Backe backe Kuchen...

Datum: Dienstag, 17. Mai 2016 13:05

Aussen


Warum wir uns wenigstens ein Mal am Tag gemeinsam mit den Kindern am Esstisch versammeln sollten. Ein Plädoyer für die Familienmahlzeit.
Um die Tischmanieren und die Kommunikation innerhalb der Familie scheint es heutzutage schlecht bestellt. Sogar Papst Franziskus bemerkt in seiner jüngsten Veröffentlichung „Amoris laetitia“, dass die Digitalisierung nicht nur Segen bringe. In Kapitel 7 zur Erziehung der Kinder mahnt er an, dass die gemeinsame Zeit der Familie leide, „wenn zur Essenszeit jeder mit seinem Mobiltelefon herumspielt“.In der Tat haben sich der Alltag und damit auch die Mahlzeiten von Familien in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt. Der Snack zwischendurch ist so beliebt, dass eine ganze Branche davon leben kann. Die Reiswaffel im Buggy, die Pommes beim Zoobesuch, das belegte Brötchen vorm nächsten Geschäftstermin. Ist das schlimm oder gar schädlich? Da sich kaum jemand ausschließlich von Snacks und Fertigessen ernährt, braucht man diese nicht per se zu verdammen. Problematisch sind die beliebten Snacks aber aus zwei Gründen: Erstens sind es selten „gesunde“ Snacks wie eine rohe Möhre oder ein paar Radieschen. Zweitens braucht ein gesunder Erwachsener, der sich nicht übermäßig viel bewegt, nicht mehr als drei Mahlzeiten täglich. Kinder dagegen können die mit der Nahrung aufgenommene Energie noch nicht so lange speichern und können bis zu fünf Mahlzeiten täglich auf dem Speiseplan stehen haben. In der Praxis heißt das: Für den Nachwuchs darf es zum Vesper auch mal ein Kuchen oder eine Banane sein. Mama und Papa sollten auf den Kuchen lieber verzichten oder aber ihn als Nachtisch nach dem Mittag essen.

Aber da Essen heutzutage oft genug nur Nebensache ist, sollte es wenigstens ein Mal am Tag zur Hauptsache werden – zur Familienmahlzeit. Sie garantiert, dass die gesamte Familie ein Mal täglich zusammenkommt. Das ist nicht immer selbstverständlich, wenn beide Eltern arbeiten, die Kinder im Sportverein oder bei der Musikschule sind. Angesichts des eng getakteten Alltags in vielen Familien ist es umso wichtiger, dass sie sich eine Stunde am Tag frei halten für eine gemeinsame Mahlzeit. Umfragen zeigen, dass sich diese Familienmahlzeit immer mehr auf den Abend verlagert. Wochentags fehlt für ein ausgiebiges Frühstück oft die Zeit, das Mittagessen nehmen die Eltern in der Kantine oder im Büro zu sich, die Kinder in der Kita oder Schule. Was bleibt, ist das gemeinsame Abendbrot. An den Wochenenden versammeln sich Familien mit älteren Kindern gern zu einem Brunch am Tisch, der Frühstück und Mittag vereint. Es kommt auch gar nicht so sehr darauf an, welche Mahlzeit nun alle Familienmitglieder an den Küchentisch lockt. Hauptsache es passiert überhaupt und halbwegs regelmäßig. Von gemeinsamen Mahlzeiten profitieren alle Familienmitglieder – große wie kleine. Sie geben Sicherheit und Geborgenheit, sie bieten Zeit und Raum für Beziehung und Erziehung.

Wie eng Essen und Erziehen miteinander verwoben sind, zeigt ein Blick in die Sprachgeschichte: In vielen westlichen Sprachen wurden die Wörter „Ernährung“ und „Erziehung“ lange mehr oder weniger synonym verwendet, hatte das Nähren und Ernähren immer auch eine erzieherische Bedeutung, im Begriff „Aufzucht“ wird das noch heute deutlich. Erst im 18. und 19. Jahrhundert kamen eigene Wörter für Erziehung auf und der Aspekt der Ernährung verschwand aus der Wortbedeutung. Noch heute belegen Redewendungen den engen Zusammenhang von ernähren und erziehen: den Wissensdurst stillen, die Weisheit mit Löffeln fressen, Bücher verschlingen, jemanden mit Wissen füttern, Wissen häppchenweise verabreichen.


Einfluss gemeinsamer Mahlzeiten auf die Entwicklung von Kindern
Der Mehrwert ist in jedem Fall gegeben. Eine US-amerikanische Studie von 2007 kommt zu dem Ergebnis: Kinder, deren Familien häufig gemeinsam Mahlzeiten einnehmen, sind seltener übergewichtig und greifen im Teenageralter seltener zu Zigaretten und Alkohol. Zudem ernähren sie sich insgesamt ausgewogener und gesünder. Das liegt zum einen daran, dass bei gemeinsamen Familienmahlzeiten meist gesündere Lebensmittel auf den Tisch kommen, als in der Kantine oder beim Snacken zwischendurch. Zum anderen legen Eltern, denen gemeinsame Mahlzeiten wichtig sind, auch sonst Wert auf eine gesunde Lebensweise, was sich im Idealfall auf den Nachwuchs überträgt. Wenn Kinder von Beginn an lernen, wie man gesund und lecker kocht, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie als Teenager und Erwachsene nicht zu oft zur Tiefkühlpizza oder Fertiglasagne greifen. Der Mehrwert für die Gesundheit ist ein wichtiger Aspekt von Familienmahlzeiten. Ein zweiter Pluspunkt: die sozialen Effekte. Kinder lernen am Esstisch auch Ess-, Gesprächs- und Alltagskultur. Die ganz Kleinen lernen durch das Abgucken von den Großen grundlegende Dinge, wie das Benutzen von Messer und Gabel. 

Durch die Familienmahlzeiten können wir unseren Kindern Werte vermitteln. Kinder lernen den Wert von Lebensmitteln kennen und schätzen. Gerade für jüngere Kinder ist es wichtig, dass sie vom Einkauf bis zum Abräumen miteinbezogen werden. Sie lernen dabei fast nebenbei, was es mit Ernährung und Lebensmitteln auf sich hat. Sie lernen, wie sie sich bei Tisch zu verhalten haben, wie Lebensmittel zubereitet und gegessen werden, wie wir mit Pflanzen und Tieren umgehen wollen, was Lebensmittel kosten, dass Essen und Gesundheit eng miteinander zusammenhängen. Dass die Art des Anbaus von Gemüse oder die Haltung von Tieren Einfluss auf die Qualität der Lebensmittel, auf unsere Gesundheit und auf die Umwelt hat. Sie erfahren, dass die Milch nicht aus dem Tetrapack kommt. Dass Wasser blubbert und irgendwann verdunstet, wenn es kocht. Dass Brot aus Mehl gemacht wird und Mehl aus Getreidekörnern. Dass man Sahne schlagen muss. Dass man Eier rühren, braten, kochen, backen, stocken, pochieren kann. Dass man nicht nur mit Salz und Pfeffer dem Essen die richtige Würze geben kann. Dass Dill anders schmeckt und aussieht als Petersilie. Dass Nudeln gekocht besser schmecken als roh. Dass aus Eiern, Mehl und Butter ein geschmeidiger Teig wird, wenn man die Zutaten vermengt. Dass Äpfel am Baum wachsen, Johannisbeeren am Strauch und Kartoffeln unter der Erde. Dass Birnen erst reifen müssen und nur wenige Wochen im Jahr frisch zur Verfügung stehen. Dass aus einem kleinen Samenkorn bei richtiger Pflege ein Radieschen wird.

Wer einen Garten oder Balkon hat, kann gemeinsam mit den Kindern Erdbeeren, Tomaten, Petersilie anpflanzen. Wem der Garten fehlt oder nur der grüne Daumen, der kann im Kleinen zeigen, wie aus einem Samenkorn etwas zu essen wird: Kresse kann jeder pflanzen – ganz ohne Geschick und sogar ohne Blumenerde, dafür mit Gelinggarantie. Einfach ein paar Samen auf Küchenkrepp verteilen, regelmäßig gießen und schon nach einer Woche kann die Beilage für Suppen, Kräuterbutter oder Salat geerntet werden. Darüber hinaus kann man den nächsten Familienausflug zum Tag der offenen Tür auf dem (Bio-)Bauernhof, in der Mosterei, beim Imker, in der Molkerei oder beim Bäcker planen, um zu zeigen: So entsteht, was später auf dem Teller landet.

Das gemeinsame Am-Tisch-Versammeln stärkt die Familienbindung, das Zusammengehörigkeitsgefühl. Wer von früh an die Geborgenheit am Familientisch kennen und schätzen gelernt hat, wird sie auch im Teenager-Alter noch suchen. Eine Studie zur Jugendesskultur von 2011 zeigt, dass Jugendliche sich auch dann noch zu einem gemeinsamen Mahl dazu setzten, wenn sie satt waren. Sie suchten diese Gemeinsamkeit und die Kommunikation. In der Studie steht auch: Etwa jeder zweite Jugendliche setzt sich mindestens ein Mal zur Familie täglich an den Esstisch. Das heißt aber auch, dass knapp die Hälfte der Jugendlichen nur gelegentlich oder gar nicht mehr (2%) an Familienmahlzeiten teilnimmt. Da das Essen häufig für Gespräche genutzt wird, stärkt die Familienmahlzeit sogar die Redegewandtheit der Kleinen. Schlussendlich kann das tägliche Abendbrot um halbsieben ein Ankerpunkt im Alltag der Kinder sein, denen feste Tagesabläufe und Strukturen gut tun, sie geben ihnen Halt und Orientierung.