Daddy Wolverine

Datum: Mittwoch, 04. März 2015 14:46

Wie in jedem Jahr haben wir auch in diesem Winter den Familienkampf mit der Grippewelle aufgenommen. Meine bessere Hälfte hatte schon zum Jahresbeginn die Wohnung hochgerüstet: Sagrotan-Seifenspender mit vollautomatischer Lichtschranke hier, Desinfektionsmittel da, Feuchtigskeitstücher zur Reinigung von Türgriffen, Einkaufswagengriffstangen oder Tastaturen in allen Jackentaschen sowie beständige Appelle zum Händewaschen und entsprechende Klebezettel an allen Nassbereichen. Fiese Viren hatten bei uns keine Chance. Bereits im vergangenen Herbst fand der obligatorische familiäre Impftermin statt, den ich aber wegen eines kurzfristigen Geschäftstermins nicht schaffte. Dann habe ich das immer wieder verschoben und irgendwann war das Jahr vorbei. Ausgerechnet ich, der immer auf die impfmüden Strickmuttis schimpft. Na ja, immer wenn das Gespräch in den folgenden Wochen auf meinen versäumten Impftermin kam, sahen meine Kids mich ganz besorgt an. Ganz so wie sie im Fernsehen bei einer Tiersendung schauen, kurz bevor das unrettbare Meerschweinchen oder das Hündchen eingeschläfert werden muss. Nach Übereinkunft der Kids standen Daddys Chancen zum Beginn dieses Jahres schlecht, diesen Winter heil zu überstehen. Besonders, als sich dann im Januar die ersten Grippefälle häuften. Zweimal erwischte ich sie beim Spiel mit Playmobilfiguren, in dem die etwas demolierte Figur mit fehlendem Arm und ohne Plastehaaraufsatz als „Zombie-Papa“ die Hauptrolle spielte. Immerhin: es gab für mich scheinbar auch eine Zeit nach der Grippe.
Jedenfalls wurde ich daraufhin nicht müde, auf meine unverwüstliche Gesundheit zu verweisen. Ich wusste gar nicht, wann ich in den letzten Jahren überhaupt einmal ernsthaft erkrankt war. In der örtlichen Shirtdruckerei ließ ich mir T-Shirts mit den Aufdrucken „Mr. Dauergesund“, „Antivirenman“ und als klares Zeichen meiner Unsterblichkeit mit „Daddy Wolverine“ anfertigen. Ich vertilgte Vitamine wie sonst meine geliebten Kekse und mied Ostdeutschlands größtes Bazillenbad im Cottbuser Karnevalsumzug sowie andere Menschenansammlungen mit närrischen Niesnasen. Alles machte ich richtig, bis der Tod in mein Leben trat. Es war am Samstagvormittag, als ich den Familieneinkauf übernahm und allein in den Supermarkt düste. Wie immer überforderte mich die Odyssee durch ein Labyrinth, das sich nur der weiblichen Intuition erschließt. Durchschwitzt aber glücklich packte ich die Ware schließlich an der Kasse aufs Band. Und dann sah ich SIE vorn hinter der Kasse sitzen. Eine verschnupfte und hustende Kassiererin mit tiefen, schwarzen Augenringen. Ich wollte sofort einpacken und die Kasse wechseln, aber hinter mir hatten schon mürrische Rentner eingeparkt. Die motzten bereits, weil ich vergessen hatte, diesen Plaste-Trennklotz aufs Band zu packen. Ich war Miss Triefnase ausgeliefert. Dann sah ich ihren Nachnamen auf dem Schildchen, Frau Tod. Nur 45 Menschen tragen in Deutschland diesen Namen, ich habe recherchiert. Und ausgerechnet hinter meiner Kasse sitzt der Tod. Meine letzte Hoffnung galt der halbvollen Packung Desinfektionstücher in meiner Jackentasche. Als der Tod die Waren durchzog, wischte ich wie ein Besessener alles mit den Tüchern nach. Ich sah den Sieg vor Augen und bezahlte schon, als ich bemerkte, dass Miss Tod in ihrer Benommenheit meine geliebte Toblerone mit so einem Trennklotz verwechselt und in die Schiene neben das Warenband platziert hatte. Ich sagte ihr das leider – und mit einem kräftigen Niesen drückte sie mir die Packung direkt in die Hand. Der Gipfel des Genusses wurde für mich zum Virenberg.
Jetzt liege ich mit dicker Nase, Halsschmerzen und Fieber im Bett. Die Kids besuchen mich Todgeweihten regelmäßig und bereiten sich nun mit Zombie-Papa wieder spielerisch auf die Zeit „danach“ vor. Meine Kleine ging gestern als Skelett zur Faschingsparty und als wir gemeinsam „The Addams Family“ schauten, sah sie mich zuversichtlich an: „Siehst du Papa, die haben das auch geschafft!“. In diesem Sinne: hoffentlich bis zum nächsten Mal.     Euer lausitzDADDY