Chefarzt Derek Shepherd

Datum: Mittwoch, 04. November 2015 09:53

Die Rolle von uns Vätern hat sich in nur zwei Generationen fast ins Gegenteil verkehrt. Waren die Schnurrbartträger früher die Autoritätspersonen im Haushalt – immer mit einer klaren Ansage und manchmal auch mit einer starken Hand – so sind wir glattrasierten Väter heute doch eher so etwas wie zu groß geratene Spielkameraden unserer Kids. Das liegt sicher daran, dass wir als Männer uns wunderbar in eine Sache vertiefen können, wie früher beim Jagen oder heute beim Fernsehen und Herumwerkeln. Deshalb können wir uns auch viel besser in die Fantasiewelten unserer Kinder begeben als Frauen, die immer die ganze „Höhle“ im Blick behalten wollen. Leider manchmal auch zu sehr.
Der nasskalte Herbst verlagert die Spielaktivitäten ja wieder mehr aufs Wohnungsinnere, wo dann umso mehr Fantasie bei der Verwandlung des Kinderzimmers in einen Spielplatz gefragt ist. Meine Kleine spielt in letzter Zeit sehr gern „Krankenhaus“, das Arztfieber brach bei ihr nach einem Krankenhausbesuch zum Jahresbeginn aus. Seitdem ist auch „Greys Anatomie“ ihre Lieblingsserie im TV. Deshalb verwandeln wir ihr Zimmer immer wieder in eine Notaufnahme – diesmal mit überraschend realistischen Auswirkungen.
Ich stattete unser Hospital – als Chefarzt Derek Shepherd mit weißem Hemd und Namensschildchen – mit allem aus, was meine kleine Assistenzärztin sich wünschte. So hingen an der OP-Liege bald ein Tropf, gebastelt aus einer Trinkflasche, einem Stück Schlauch und der Halterung mit einer Besen-Bügel-Drahtkonstruktion, eine Beatmungsanlage und ein Defibrilator, das ist dieses Teil für Stromstösse bei einem Herzstillstand. Als besonderen Clou hatte ich auch noch meinen Laptop angeschlossen und bei youtube ein Video von einem OP-Monitor samt Herzschlag, Puls und Atemfunktion heruntergeladen. Unser Junior gab den Patienten, der mal von einem Auto angefahren, mal aus dem Hubschrauber gefallen oder vom Zug überrollt worden war. Das Monitor-Video lief in einer Endlos-Schleife und machte alle zwei Minuten so richtig Alarm, sodass Chefarzt samt Assistenzärztin das ganze Programm aus Herzdruckmassage, Stromschocken und Adrenalinspritze ins Herz abspulen mussten, bis der Patient wieder einen Puls hatte. Imaginäres Blut spritzte umher, Körperteile mussten amputiert werden – unsere Notaufnahme hätte es mit jedem Horrorfilm aufnehmen können.
Ich steigerte mich mit meiner kleinen Assistenzärztin immer mehr in die Rolle der Lebensretter. Da passierte es. Als wir den Patienten ein weiteres Mal retten wollten, verfingen sich die Kabel, ähm Schnürsenkel des Defilibrators am Gestell des Tropfes, der umkippte und auf den Laptop zu stürzen drohte, den ich in aller Hektik retten wollte, woraufhin im Gewirr der OP-Geräte meine doch recht wacklige Gesamtkonstruktion zusammenbrach und nach dem Tropf auch noch der Laptop auf meinen Junior krachte. Der Patient war am Kopf getroffen und blutete diesmal wirklich. Wir hatten eine richtige Platzwunde in unserer Notaufnahme und Chefarzt Shepherd hatte die Hosen voll. Zum Glück war meine bessere Hälfte zu Hause und übernahm sofort die Regie. Sie kümmerte sich um die Erstversorgung des Patienten und machte ihn „transportfähig“, dann fuhr ich mit ihm sofort ins Krankenhaus. In aller Hektik hatte ich mir nicht mal eine Jacke übergeworfen. So kam ich in die Notaufnahme des Klinikums, mit weißem Kittel und großem Aufkleber „Chefarzt Derek Shepherd, Seattle Grace Hospital“. Die Schwestern staunten nicht schlecht und suchten wahrscheinlich nach der versteckten Kamera. Nachdem ich unsere Unfallgeschichte erzählte, waren wir aber die Attraktion auf der Station. Minütlich ging die Tür auf und Ärzte oder Schwestern fragten mich belustigt, wie „Chefarzt Shepherd“ denn die Situation des Patienten einschätze. Wieder zu Hause, wurde die Notaufnahme von meiner besseren Hälfte erst einmal geschlossen. „Wer weiß, was sonst noch passiert“. Darauf fragte mich meine Kleine, ob wir dann nicht lieber Zombie spielen wollen. Das machte mir dann doch ein bisschen Angst. Euer lausitzDADDY