Der Wahlkampf der Kleinen

Datum: Freitag, 01. April 2016 09:39

Im letzten Monat habe ich zum ersten Mal die hautnahen Auswirkungen von Landtagswahlen auf unsere Familie gespürt. Dabei waren die Wahlen nicht einmal bei uns, sondern in ganz anderen Bundesländern. Sicher ist das kleine politische Beben auch an Ihnen nicht vorbeigegangen, egal wie sehr Sie sich für Politik interessieren.
Mich erwischte es am Frühstückstisch – bei uns immer ein lebhafter Austausch mit den Kindern über alles, was am Vortag geschah und das, was der kommende Tag mit sich bringt. Als die Nachrichten mit den Wahlergebnissen kamen, bat ich laut um Ruhe – und alles schwieg andächtig. Nachdem klar war, dass eine Partei namens AFD wohl ganz wichtig geworden ist, fragte meine Kleine, was die Sache mit der Wahl denn bedeutet. Ich nuschelte was von Demokratie und alle können mitbestimmen in mein Marmeladenbrötchen – als ich einen strengen Blick meiner besseren Hälfte erntete: „Wenn du schon in Ruhe deine Nachrichten hören musst, dann erkläre den Kindern auch vernünftig, was es damit auf sich hat“.
Also erklärte ich zwischen Frühstück und Zähneputzen kindgerecht, was sich eigentlich hinter Wahlkampf und Demokratie verbirgt. Mein Praxisbeispiel war der Hort meiner Kleinen: „Siehst du, da wollen ja auch alle mitmachen und müssen sich auf bestimmte Regeln einigen, dass auch alles klappt. Dazu haben alle Gruppen Vertreter bestimmt, die wie du in der Hortkonferenz gemeinsam die Regeln besprechen (ja, meine Kleine ist auch ein Wahlsieger!). Trotzdem gibt es große und kleinere Grüppchen, die sich besser untereinander verstehen und mehr miteinander spielen, aber immer Rücksicht auf andere nehmen und vernünftig sind. Das sind dann sozusagen die demokratischen Volksparteien, die „Guten“ – denn Demokratie ist, wenn alle mitmachen dürfen und sich an vereinbarte Regeln halten. Dann gibt es in eurem Hort aber auch die Zickenfraktion, die gleich rummosert, wenn es Probleme gibt und die anderen gern Angst macht. Das ist dann die AFD. Und wenn bei denen immer mehr mitmachen, ist das nicht gut für den Hort.“ Boah, war ich stolz wie Bolle. Sie hatte alles verstanden. Anschließend erklärte ich ihr sogar noch, was es mit den Prozenten bei der Wahl auf sich hatte.
Am Nachmittag kam meine Kleine ebenso stolz aus dem Hort zurück und sagte, dass sie mit den Kindern die ganze Zeit Wahlkampf gespielt hat – und die Zicken von der AFD haben nicht einmal 10 Prozent bekommen. Ich nahm sie spontan in die Arme und sagte ihr, dass Papa auf sein kluges Mädchen sehr, sehr stolz ist. Nur eine kurze Erklärung, und sie hatte in einem Abwasch gelebte Demokratie, Wahlkampf und Prozentrechnung verstanden. Das soll mir mal einer nachmachen. Triumphierend schlenderte ich den Flur auf und ab und ließ das Volk der kleinen Leute über meinen Erziehungserfolg jubeln – ein Bild wie einst bei Cäsars Rückkehr auf die Prachtstraßen Roms, nachdem er Gallien erobert hatte. Meine besse Hälfte rollte nur mit den Augen – die übliche Universalgeste der Frauen, wenn wir Männer uns mal so richtig im Recht fühlen.
Leider lag sie mit ihrem Augenrollen auch diesmal richtig. Die Freude über meinen multiplen Erziehungserfolg währte nämlich nicht lange. Genaugenommen nur bis zum nächsten Tag. Da ereilte uns ein Anruf aus dem Hort, dass es doch einen Sachverhalt zu klären gäbe und wir am Nachmittag bitte zum Gespräch erscheinen sollten. Nichtsahnend machte ich mich auf den Weg und saß gleich vier Elternpaaren mit hochrotem Kopf gegenüber, die ich sogar alle kannte: ein führender Gewerkschaftsvertreter, einer von der Linkspartei, zwei Pärchen aus dem sozialpädagogischen Bereich. Alle waren sie Eltern von Mitgliedern der Zickenfraktion des Horts, die seit gestern nur noch als AFD bezeichnet wurde. Ich sah mich der geballten Wut von Demokratieverfechtern, geeint im antiauoritäten und zickenbegünstigenden Erziehungsstil gegenüber, die ihre Töchter wieder aus der AFD raus haben wollten – und musste klein beigeben. Demokratie ist eben auch, wenn die Vernunft mal unterliegt. Euer lausitzDADDY