Als Transe durch die Stadt

Datum: Montag, 26. Mai 2014 15:11

Seit dem vergangenen Monat habe ich ein Gefühl dafür, wie sich Transvestiten in freier Wildbahn fühlen müssen. Es begann wie so meist recht harmlos und sogar festlich: wir besuchten mit unseren Kids eine Jugendweihe der Verwandtschaft. Schicke Prachtkerle in edlem Zwirn und vor allem junge Frauchen in rauschenden Kleidern – unsere Kleine war hin und weg. Ich staunte nicht schlecht, dass die heutige Generation Pubertät bei den Mädels zur Hälfte wie aus dem Casting bei Heidis Supermodels daherkommt.
Am Folgetag hatte ich dann mit den Nachwirkungen zu tun. Meine bessere Hälfte war vormittags bei einer Freundin, der Junior bei einem Kumpel – und meine Kleine kam mit Schminkzeug und Prinzessinnen-Kleidchen angetobt. Sie wollte Jugendweihe feiern. Auch Papa sollte sich ganz festlich anziehen. „Ach bitte Papa, mach schon!“. Braune Kulleraugen und Schmollblick, natürlich machte Papa. Da kannte ich aber auch noch nicht ihren Plan, den sie mir erst bei meinem Griff zum Anzug offenbarte. Natürlich musste auch Papa ins Kleid und schön geschminkt werden. Eine Stunde später waren wir beide angemalt. Sie im rosa Prinzessinnenkleid, ich hatte ein altes Kleid meiner besseren Hälfte übergestülpt, das bei mir hinten nicht mehr zuging. Meine Kleine hatte mein Gesicht verbuntet und mich dann wie einen Weihnachtsbaum mit Tüchern, Haarreifen und Accessoires bestückt. Wir legten ihre Lieblings-CD ein und feierten eine wilde Party.
Plötzlich klingelte es. Ich lief schnell zur Gegensprechanlage, unten stand unsere wöchentliche Lieferung vom Bauernhof. Verdammt, bei der wilden Party hatte ich das ganz vergessen. Meine ernährungsbewusste Frau hat einen Lieferservice aufgetan, in dem ein alter Bauer immer einige Kunden in der Stadt anfährt und mit frischen Eiern, Obst und Gemüse versorgt. Für unsere kleine Großfamilie fiel die Lieferung immer etwas größer aus, weshalb wir dem alten Mann das Treppensteigen bis zu unserer Wohnung nicht zumuten wollten und die Stiege immer selbst hochtrugen. Natürlich hatte sie mir vorher gesagt, dass der heute vorbeikommt. Ich rannte mit wallendem Kleid schnell die Treppen hinunter, lugte vorsichtig aus der Haustür und sah zum Glück keine Nachbarn. Der alte Mann sah mich zwar verstört an, aber ich nuschelte was von Kindern und Spielen, drückte ihm seine 25 Euro in die Hand, griff nach der Stiege – und in diesem Moment fiel die Haustür ins Schloss.
Ich klingelte wie ein Verrückter, begriff aber bald, dass ich in der Hektik den Hörer der Gegensprechanlage nicht aufgelegt hatte und es deshalb oben auch nicht klingelte. Ich schrie nach meiner Kleinen, aber oben tobte die Partymucke. In den umliegenden Häusern öffneten sich Fenster. Die Nachbarn sahen eine wildgewordene Transe, das gab es in unserer Straße noch nie. Entsprechend groß war das Interesse und die älteren Herrschaften holten ihre Fensterbankkissen. Ich hoffte, dass die mich bei all den Tüchern und der Schminke nicht erkennen. Nach fünf Minuten gab ich auf. Als ich zu gegenüberliegenden Fensterguckern ging, um mir ein Telefon zu leihen, verschwanden die plötzlich voller Angst in ihren Wohnungen. Ich machte mir Sorgen um meine Kleine, die allein in unserer Wohnung war. Also sprintete ich als schnellste Transe der Welt in Hausschuhen durch unsere Stadt und sorgte bei meiner Ankunft als verschwitze und farbenverlaufene Gesichts-Soljanka in der Frauenrunde meiner besseren Hälfte erst für zweifelnde Blicke und dann für Lachtränen. Zum Glück wurde ich zurückgefahren und kehrte dann mit dem Bauernhofgemüse zurück zu meiner Kleinen. Als ich endlich in der Wohnung ankam, schaute sie mich verwundert und vorwurfsvoll an und sagte: „Mensch Papa, wo warst du, so läuft man doch nicht draußen herum.“ Sie hatte ja so Recht.       Euer lausitzDADDY