Klick. Bunt. Fertig!

Datum: Donnerstag, 02. April 2015 09:50


Die Sozialisierung unserer Kinder mit digitalen Medien.

Es gibt sicher kaum ein Thema wie dieses, in dem sich unsere Elterngeneration fast kollektiv hilflos und oft überfordert fühlt. Die beschleunigte Entwicklung digitaler Medien verändert das Leben und die Sozialisierung insbesondere der jüngeren Generationen immer deutlicher. Während wir früher ganz analog in der Natur herumtobten oder fiktive Abenteuer beim Lesen unzähliger Bücher erlebten, klickt und zockt sich der heutige Nachwuchs auf Smartphones, Tablets und Spielekonsolen durchs Leben. Nicht selten sitzen wir bewundernd daneben und staunen, mit welcher Geschwindigkeit die Kleinen zu Gange sind und wie gut sie manch technische Anwendung beherrschen. Politik, Gesellschaft und selbst Kita und Schule prägen die große Bedeutung einer Medienkompetenz für kommende Generationen, und da wollen wir ja nicht hinten anstehen. Besser gesagt, unsere Kinder sollen fit für die Zukunft sein. Dabei erahnen wir aber nicht selten, dass an dieser kindlichen Mediennutzung nicht alles toll sein kann. Wie beeinflussen nun aber digitale Medien unsere Kinder und wie sollten wir uns als Eltern verhalten?
Wer nach guten, übersichtlichen und vor allem neutralen Ratgebern zu diesem Themenbereich sucht, der wird schnell enttäuscht. Zwar gibt es scheinbar sehr viele Angebote, aber meist stammen diese auch aus dem Medienbereich. Logisch, dass die Medien ihre eigene Zukunft im digitalen Zeitalter so früh wie möglich in die Kinderzimmer tragen wollen. Aus diesem Grund sind die folgenden Seiten auch nicht als fachlicher Rat, sondern als umfassender Denkanstoß zu verstehen. Für einen differenzierten Blick empfehlen wir die Lektüre des Sachbuches „Digitale Demenz – Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen“ von Hirnforscher Prof. Manfred Spitzer, eine fundamentale Kritik an unserer oft vorbehaltlosen Akzeptanz digitaler Medien. Egal, wie die eigene Position zum Thema sein mag: es hilft auf jeden Fall, dieses sperrige Thema einmal gründlich zu hinterfragen. Viele Informationen dieses Beitrags sind durch das Buch motiviert, werden allerdings auch mit der Lebenswirklichkeit im elterlichen und erzieherischen Alltag abgeglichen.

Medien und Wissen

Seit etwas über 20 Jahren liefert uns die Hirnforschung immer bessere Erkenntnisse darüber, wie wir von klein auf lernen und wie sich eine Persönlichkeit entwickelt. Egal wie wichtig andere Bereiche unseres Körpers sein mögen, unsere Identität steckt noch immer im Kopf. Ein Einblick in dessen Entwicklung liefert uns darum auch grundlegende Erkenntnisse, was bei der Sozialisation unserer Kinder mit digitalen Medien eigentlich passiert und wie Eltern damit umgehen sollten.
Dank der Forschung wissen wir inzwischen, warum wir mit Babys und Kleinkindern so deutlich gestikulieren und laut und einfach reden. Kinder lernen durch ständige Wiederholung Sprache, sie lernen sie aber am besten in Zusammenhang mit Gesten und der Körpersprache eines menschlichen Gegenübers. Die reale Erfahrung und der Umgang mit der Umwelt bringen die stärksten Lerneffekte mit sich. Das bloße Zuschauen bewirkt vergleichsweise sehr wenig. Es hat nichts mit einer vertieften, realen Erfahrung zu tun, sondern bleibt eher ein oberflächliches Dahinplätschern. Deshalb ist Fernsehen für Kinder bis 3 Jahren auch eine sinnlose Beschäftigung, wenn es um Lerneffekte geht. Ganz im Gegenteil fehlt vor dem TV geparkten Kleinkindern die Bindung zu Eltern und zu einem sozialen Umfeld. Heute ist längst klar, dass die Teletubbies und andere TV-Konzepte für Kleinstkinder bei jenen, die sie reichlich konsumierten, viel nachhaltigen Schaden angerichtet haben.
Auch in der späteren Entwicklung von Kindern macht die Konzentration auf und die Vertiefung in eine Erfahrung den entscheidenden Unterschied. Das menschliche Gehirn verändert sich insbesondere in den ersten Lebensjahren enorm, seine Entwicklung ist am Ende der Pubertät mit etwa 17 Jahren abgeschlossen. Den Rest des Lebens müssen wir im Grunde mit dem auskommen, was sich bis dahin an Leistungsfähigkeit und Strukturen entwickelt hat. Im kindlichen Gehirn bilden sich durch Erfahrungen und Lernprozesse Milliarden von Verbindungen zwischen Nervenzellen, die nicht nur das Wissen, sondern die gesamte Persönlichkeit eines Menschen formen. Diese Verbindungen machen unsere Fähigkeit zur Verarbeitung von Wissen aus und entscheiden, wie gut wir denken können. Abgesehen vom geringeren Einfluss erblich bedingter, genetischer Faktoren machen uns die gesammelten Erfahrungen unserer Kindheit also zu dem, was wir später als Erwachsene sein können.
Auf den ersten Blick scheint da die Medienflut eine dankbare Quelle für viele Informationen und eine vielseitige Entwicklung unserer Kinder. Leider verhält es sich anders. Vereinfacht dargestellt, entwickeln sich durch bestimmte Erfahrungen im Gehirn bestimmte Spuren. Dabei kommt es auf die Erfahrungstiefe an, wie deutlich diese Spuren ausgeprägt werden. Je tiefer die Erfahrung, desto tiefer die Spuren und desto stärker die Kernkompetenzen in diesen Bereichen. Bestimmend ist im Kleinkindalter die Sprachkompetenz, später die Lese- und Schreibkompetenz. Verfügen Kinder in den ersten Jahren in diesen Bereichen über viele Erfahrungen, entstehen in den zuständigen Bereichen des Gehirns mehr Verknüpfungen, also „tiefere“ Spuren. Spätestens zur Pubertät, in der sich das Gehirn vor dem Erwachsenwerden sozusagen neu formatiert, werden diese tiefen Spuren zu Datenautobahnen ausgebaut, während weniger benötigte Verknüpfungen entsprechend vernachlässigt werden. Wer als Kind eine gute Sprach-, Lese- und Schreibkompetenz erworben hat, profitiert durch Strukturen des Gehirns dann also ein Leben lang, er hat eine gewisse „geistige Höhe“ erreicht. Wer mit Abschluss der Pubertät hingegen über weniger vertiefte Erfahrungen, somit weniger Verknüpfungen zwischen Nervenzellen und weniger leistungsfähige Nervenbahnen im Gehirn verfügt, der wird es später im Leben mit dem Lernen und vielen anderen anspruchsvollen Tätigkeiten schwerer haben. Der wird bei abnehmender Hirnaktivität und dem zwangsläufigen Absterben der Nervenzellen im Alter aber auch schneller an Auswirkungen wie der Altersdemenz leiden. Er steigt dann einfach von der geringeren geistigen Höhe schneller ab. In diesem Zusammenhang wurde auch der Begriff „Digitale Demenz“ geprägt.
Der Zusammenhang ist denkbar einfach. Digitale Medien verhindern in der Kindheit oft die wichtigen vertieften Erfahrungen, sie führen zu weniger tiefen Spuren und einer geringeren geistigen Höhe. Wenn sich Kinder mit digitalen Medien beschäftigen, können sie sich zwar stundenlang in Spielwelten verlieren, die Erfahrung ist und bleibt aber oberflächlicher Natur. Kinder können dann zwar hervorragend mit digitalen Bildschirmgeräten und Spielekonsolen umgehen, eine ausgeprägte Sprach, Lese- und Schreibkompetenz bleibt dabei aber auf der Strecke. Die Folgen reichen bis zur deutlichen Verkürzung eines selbstbestimmten Lebens. Wer dieses Thema vertiefen möchte, dem möchten wir auch unseren Beitrag zum Thema „Lesen“ (siehe Kasten rechts) empfehlen.