Der Karrusselflitzer

Datum: Dienstag, 29. September 2015 10:19

Vatersein ist heute allzuoft auch eine Art Wettrüsten. Da geht es anfangs um den besten Kinderwagen, später um den Sieg des Juniors beim Kita-Bastelwettbewerb oder den Sieg der kleinen Prinzessin beim Tanzwettbewerb. Seit der Steinzeit hat sich da bei uns Männern erstaunlich wenig geändert. Wir sind nun einmal Jäger und auf Wettkampf programmiert, nur der stärkste Hirsch auf der Wiese hat ein Zukunftsrecht auf seinen Genpool. Deshalb können wir uns auch nicht damit abfinden, wenn uns andere Väter überlegen sind. Und sei es noch so abwegig.
Ich muss es wissen, denn in mir hat am vergangenen Wochenende wieder der Neandertaler zugeschlagen. Alles begann ganz gemütlich, bei bestem Sonnenschein und meinem Lieblingsausflug zu unserem Italiener in den Spreewald. Lecker Pizza! Für die Kinder ist es auch ein Paradies, wegen des vielen Grün ringsum, einer benachbarten Spielgolfanlage und eines schönen Spielplatzes genau an der Sommerterrasse. Genau dieser Spieplatz war die Wiese, auf der mich ein anderer Hirsch herausforderte. Auf dem Spielplatz befindet sich nämlich ein Drehkarrussel, dass Kinder von innen in Bewegung setzen können, das mit einem rotierenden Vater von außen aber höhere Geschwindigkeiten erreicht. So strampelte ich für meine Kleine am Drehkarrussel, dem bald zwei weitere kleine Passagiere zustiegen. Einer der Jungs sagte plötzlich, dass ihm das viel zu langsam ist und rief „Papa, kannste mal richtig anschieben?“. Eine Sekunde später stand der menschgewordene Clon von Robert Harting neben mir: „Lassen Sie mich mal machen, Sie sehen ja ganz erschöpft aus“.
Mein internes Steinzeitprogramm schaltete sofort um auf Wettbewerb. Ich hätte ja nur langsam gemacht, weil ich nicht wüsste, ob seine Kinder das vertragen. Auch wenn er vielleicht aussieht wie Terminator, dann bin ich hier immer noch Mister Ventilator und für meine zentrifugale Extrembeschleunigung bekannt. Der Zwerg meines Herausforderers verstummte plötzlich in meiner Zentrifuge, ähm im Drehkarrussel. Robert Harting sah mich zweifelnd an. Ich stellte mir vor, ich wäre der alleinige Anschieber eines Viererbobs. Nach drei Mal Schwung holen beschleunigte ich wie ein kreiselnder Usain Bolt. Die Kinder jauchzten, ich nach ein paar Runden leider auch. Ich hatte eines mit Steinzeitmenschen und stolzen Hirschen weißgott nicht gemein: mir fehlte es im Alltag absolut an Bewegung. Mein Körper war eher den Schreibtisch mit einer Bequemzone gewohnt, die maximal vier Mal pro Tag bis zur Kaffeemaschine reichte. Mister Ventilator ging nach wenigen Minuten die Luft aus. Allein der Stolz erhielt mich aufrecht, denn Robert Harting stand immer noch einsatzbereit am Spielplatz. Ich ließ mir nichts anmerken und die Besatzung des Karrussels schrie vor Begeisterung. Ich hatte schon Angst, dass bei meiner Überschallgeschwindigkeit im Inneren des Karrussels plötzlich die Schwerkraft aufgehoben wird. Die vollbesetzte Restaurantterrasse wunderte sich über den wildgewordenen Karrusselflitzer, wie ich später erfuhr.
Dann passierte es. Mein Körper zog die Notbremse und stieg aus. Ich rotierte schlingelnd noch eine halbe Runde am Karussel mit und klatschte dann mit Schwung auf den Boden, das Gesicht nach unten. Ein Raunen ging durch die Terrasse. Ausgerechnet Robert Harting hob mich auf. Mir war speiübel. Der Kreislauf rebellierte und ich bekam kein Stück Pizza mehr hinter. Während der überlegene Hirsch eine Siegesrunde nach der nächsten am Karrussel drehte, kämpfte ich um mein Leben. Als meine Kinder endlich mit zerzausten Haaren wieder vom Spielplatz kamen, berichteten sie stolz von der besten Karrusselfahrt ihres Lebens, mit dem „anderen, starken Papa“. Aber auch, dass ich das große Thema auf dem Spielplatz war: „Das fanden alle voll krass, wie du geflogen bist. Sowas haben die noch nie gesehen, richtig stark, Papa!“. Naja, zumindest ein Teilerfolg, meldete sich das Steinzeitprogramm sofort zurück und klopfte mir auf die Schulter. (Die) Einsicht ist eben doch nicht gerade männlich. Euer lausitzDADDY