Pokerface

Datum: Montag, 27. Juni 2011 15:08

Mit dem Vatersein geht in den frühen Kinderjahren unweigerlich der Verlust einer männlichen Grundprogrammierung einher, zumindest wenn man ein guter Vater sein will. Wir sind ja alle von Natur aus als das verdammt starke Geschlecht auf Wettkampf programmiert. Immer die Besten sein, beim Wettlauf, beim Einparken, beim gemeinschaftlichen Urinieren mit Fußballkumpels im Freien. Ihr wisst schon, mein Haus, meine Frau, meine Kinder, mein Revier. Das können wir auch bei Gesellschaftsspielen nur schwer abstellen – während Frauen wie in einer 68er Kommune Räucherstäbchenschwenkend den Weltfrieden predigten, habe ich manchen „Pärchenabend“ mit Freunden als Kriegsschauplatz hinterlassen. Risiko und Siedler kennen keine Gnade. Bei meinem Sohnemann änderte sich alles. Schon als er zwei Jahre war und wir die ersten „Mau Mau“-Versuche unternahmen, drohte er bei jeder auch nur entfernten Möglichkeit einer sich anbahnenden Niederlage mit dicken Kullertränen aus seinen traurigen Augen. Gute Väter verlieren ja sowieso beständig, um ihren Söhnen die Motivation am Spiel zu erhalten – denn wir wissen ja selbst, dass man eigentlich gar nicht verlieren will. Daran bin ich nun seit gut fünf Jahren gewöhnt und beherrsche inzwischen alle Taktiken, jedes Spiel trotz bester Ausgangslage verlieren zu können. Ganz ohne Selbsthilfegruppe, für Sohnemann hab ich das immer gern gemacht. Bis zum letzten Wochenende. Da spielte er Schiffe versenken mit unserem Nachbarsjungen und als sie mich nicht im Flur bemerkten, erzählte doch mein Kleiner im Zimmer sehr belustigt, dass sein Papa beim Spielen nichts auf die Reihe bekomme! Von wegen auf Arbeit der Chef sein wollen, aber zu Hause … beim Blick durch den Türspalt sah ich den wissenden Blick meines selbstgezüchteten Dauergewinners. Nach einem gefühlten Jahrhundert Betriebsruhe erwachte der Alpha-Spieler in mir. Ausgerechnet vor dem Sohn unseres Nachbarn musste mein Kleiner das sagen. Jener Nachbar, dessen Körper vom täglichen Fitness-Training zu explodieren droht und der mich schmalbrüstigen Schreiberling immer wie eine Entschuldigung auf zwei Beinen mustert. Also begab ich mich siegessicher ins Kinderzimmer und sagte zu den Jungs: Lasst uns doch ein Spielchen machen! Der Nachbarsjunge war gleich Feuer und Flamme und schrie: Oh ja, Yu-Gi-Oh! Mit nur fünf Mal Zweibuchstabenwörtern hatte er den Alpha-Spieler und Wortkünstler in mir platt gemacht. Mein Sohn erklärte sofort mit einem entschuldigenden Kopfschütteln: „Das kann Papa doch nicht“. Als zweiter Vorschlag folgte Memory – und durch den diffusen Auftakt im Hintertreffen, willigte ich sofort ein. Kinder und Memory – was läuft da eigentlich ab? Ich habe die Vermutung, bis zur Pubertät verfügen die über ein geheimes Memory-Gen, das seine Funktion mit dem Erwachsenwerden vollständig einbüßt. Nach drei Runden war mir jedenfalls klar, dass mein Memory-Gen in irgendeinem Memorial vor sich hinfault. Weiterer Versuche und demütigender Niederlagen müde, erzählte ich etwas von erschöpft, zu viel Arbeit diese Woche, verdammt viele wichtige Sachen für große Verlage geschrieben (ob das der kleine Zweibuchstabenmann seinem Muskelvater auch erzählen wird?). Am Abend habe ich dann mit meinem Kleinen eine Runde Schach gespielt – immerhin ein Remis. Aller Anfang ist eben schwer.