Heilige Rituale?

Datum: Dienstag, 26. November 2013 09:48

Schweren Herzens haben wir im November die Trennung von unserem geliebten Familiengefährt vorbereitet, das uns seit acht Jahren so treu und ohne Zwischenfälle überall hingebracht hatte. Ein zweites Auto, das aus der Firma „geerbt“ wurde, ist leider schwerer zu verkaufen und zwei Autos sind zuviel. Also machten wir uns daran, unser Familiengefährt noch einmal ordentlich zu putzen, bevor es in den Verkauf geht.
Natürlich wollten meine zwei Kleinen mitkommen und unseren „Froschi“ auch mit schick machen. So fuhren wir zu dritt zum Autowaschplatz und nahmen zwischen einem tiefergelegten Chrom-VW mit Goldkettchen-Solarium-Muckimännchen samt Böhse Onkelz-Beschallung und einem Skoda-Rentner mit Hut und Stasi-Beschattungsblick Platz. In der Sonntagsgemeinde deutscher Autoputzer sind kleine, spielende Kinder mit Spaß am Autoputzen keine gern gesehenen Gäste. Die Reingung eines Autos wird bei diesen Menschen offensichtlich als eine Art heiliges Ritual begriffen. Früher ging man in die Kirche, heute fährt man auf den Waschplatz. Selbst die Fußmatten werden nicht einfach nur gereinigt, sondern wie Gebetteppiche gebürstet und mit Zauberwasser eingesprüht. Während meine Kids mit dem Reinigungszeugs aus der Sprühflasche Gesichter aufs Auto sprühten und jede Menge Spaß hatten, verdüsterte sich mit zunehmendem Spaßfaktor bei den Kleinen der Gesichtsausdruck bei den Großen nebenan. Der Skoda-Rentner blickte mich vorwurfsvoll an und drehte sein Radio lauter. Die Wildecker Herzbuben, auch das noch. Nebenan konterte Goldkettchen, zappte zum Böhse Onkelz-Song „Der nette Mann“ vor und sang lauthals seine offensichtliche Lieblingszeile „Kleine Kinder hab ich gern, zerstückelt und in Scheiben“ mit. Ich legte zur Freude meiner Kleinen unsere Schnappi-CD ein. Gegen Gute-Laune-Schnappi hatten beide deutschen Volksmusiken von nebenan keine Chance. Wir hatten Spaß und ich sah uns schon als eindeutige Sieger den Platz verlassen.
Bis es dann in die Waschbox ging. Skeptisch verfolgten mich die Blicke der Sonntagswaschexperten. Ich machte nun erst recht eine Kindertagsparty daraus. Mein Kleiner durfte erstmals auch an die Hochdruck-Waschpistole und vertiefte sich so in seine Arbeit, dass keine weitere Information von außen mehr zu ihm durchdrang. So überhörte er es auch, als ich ihm dreimal sagte, dass ich jetzt übernehme. Beim vierten Mal war ich dann laut genug, sodass er sich mit einem „Hääh?!“ zu mir umdrehte. Die Hochdruck-Waschpistole schwenkte gleichmäßig in meine Richtung – und wanderte von links nach rechts über meinen Körper, ab Kniehöhe bis zur Nase war ich einheitlich pitschnass. Kinder haben die Angewohnheit, in solchen Momenten zu versteinern. Mein Kleiner leider auch. So kämpfte ich mich wie ein Seemann durch den Hochdruckstrahl und entriss ihm die Wasserkanone. Es wurde kurzzeitig sehr ruhig zwischen uns.
Ich überlegte kurz, stellte die Schnappi-CD auf Song Nummer 16 und wir sangen zu Dritt: „Hey ich bin der Krötenkäpt`n, alle Mann an Deck“. Ich konnte nicht meckern, die Sonntagswaschexperten beobachteten uns inzwischen, als seien wir Außerirdische. Mir war schweinekalt, aber wir putzten in Ruhe das Auto zu Ende, als würden wir das immer so tun. Zu allem Übel griff meine Kleine in einem Moment meiner Unachtsamkeit dann noch einmal zur Hochdruckpistole und wiederholte den Spaß einer ordentlichen Papawäsche. „Papa, das ist toll. Das können wir jetzt jedes Wochenende machen“. VW-Goldkettchen schaute verstört zu uns herüber, der Skoda-Rentner packte nun eifrig sein Zeug zusammen und fuhr wahrscheinlich zu einem anderen Waschplatz. Sein Abschiedsblick war eindeutig voller Angst, das ansteckend sein könnte, was diesen irren Vater (mich) mit seinen zwei Blagen befallen hatte. Aber das Auto war sauber, ich auch – und singend fuhren wir nach Hause. 
Euer lausitzDADDY