lausebande_2020-11_ebook

Aktuelles :: Seite 19 der Empfänglichkeit einer immunologisch nai- ven Population für dieses neue Virus schafft die Voraussetzungen für eine rasche Ausbreitung in der Bevölkerung. Die Infektionssterblichkeit von COVID-19 ist um ein Vielfaches höher als die der saisonalen Grippe (2), und die Infektion kann auch bei jungen, zuvor gesunden Menschen (d.h. «Long COVID» (3) zu einer anhaltenden Erkran- kung führen. Es ist unklar, wie lange eine schüt- zende Immunität anhält (4). Genauso wie andere saisonale Coronaviren ist SARS-CoV-2 in der Lage, Menschen nach einer überstandenen Erstinfektion erneut zu infizieren. Die Häufigkeit einer erneuten Infektion ist jedoch noch unbekannt (5). Die Über- tragung des Virus kann durch Abstandhalten, Verwendung eines Mund-Nasen-Schutzes, Hand- hygiene, Husten- und Nies-Etikette sowie durch Vermeidung von Menschenansammlungen und schlecht belüftete Räume eingedämmt werden. Schnelltests, Kontaktverfolgung und Isolierung sind ebenfalls entscheidend für die Kontrolle der Weiterübertragung. Die Weltgesundheitsorganisa- tion setzt sich seit Beginn der Pandemie für diese Maßnahmen ein. In der Anfangsphase der Pandemie haben viele Länder Lockdowns (allgemeine Einschränkungen der Bevölkerung, einschließlich der Anordnung, zu Hause zu bleiben und von zu Hause aus zu ar- beiten) eingeführt, um die rasche Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Dies war unerlässlich, um die Sterblichkeitsrate zu senken (6, 7), eine Über- lastung der Gesundheitssysteme zu verhindern, und um Zeit für den Aufbau von Reaktionssyste- men zur Kontrolle der Pandemie zu gewinnen, um die Weiterübertragung nach Ende des Lockdowns zu unterdrücken. Obwohl die Lockdowns stark in das Leben der Bevölkerung eingegriffen haben, die psychische und physische Gesundheit in die- ser Zeit erheblich beeinträchtigt wurde und auch der Wirtschaft geschadet haben, waren die ge- sellschaftlichen Auswirkungen vor allem in jenen Ländern umso schlimmer, die die Zeit während und nach der Abriegelung nicht genutzt haben, um wirksame Pandemiekontrollsysteme aufzubauen. In Ermangelung angemessener Vorkehrungen zur Bewältigung der Pandemie und ihrer gesellschaft- lichen Auswirkungen sehen sich diese Länder wei- terhin anhaltenden Beschränkungen ausgesetzt. Dies hat verständlicherweise zu einer weit ver- breiteten Entmutigung und einem schwindenden Vertrauen geführt. Der Beginn der zweiten Welle und die Erkenntnis der vor uns liegenden Her- ausforderungen hat zu einem erneuten Interesse an der sogenannten Herdenimmunitäts-Strategie geführt, die vorschlägt, einen großen unkontrol- lierten Ausbruch in Bevölkerungsgruppen mit einem niedrigen Risiko zuzulassen und gleichzei- tig Hochrisikopatienten zu schützen. Befürworter argumentieren, dass dies zur Entwicklung einer Infektions-vermittelten Populationsimmunität in der Bevölkerung mit niedrigem Risiko führen wür- de, die letztendlich Hochrisikopatienten schützen würde. Dies ist ein gefährlicher Trugschluss, der nicht durch wissenschaftliche Beweise belegt ist. Eine Strategie zumManagement einer Pandemie wie COVID-19, welche auf eine natürliche Immunität durch Infektion baut, ist mangelhaft. Eine unkont- rollierte Zirkulation in den jüngeren Altersgruppen birgt das Risiko einer erheblichen Morbidität (3) und Mortalität in der gesamten Bevölkerung. Zusätzlich zu den menschlichen Folgen würde sich dies auf die Verfügbarkeit von Arbeitskräften auswirken und die Bereitstellung der Akut- und Routineversorgung durch das Gesundheitssystem überfordern. Darüber hinaus gibt es keine Belege für eine dau- erhaft schützende Immunität gegen SARS-CoV-2 nach einer natürlichen Infektion (4). Die endemi- sche Übertragung von SARS-CoV-2, als Folge einer schwindenden Immunität, würde auf unbestimmte Zeit ein Risiko für gefährdete Bevölkerungsgrup- pen darstellen. Eine solche Strategie würde die COVID-19-Pandemie nicht beenden, sondern zu wiederkehrenden Epidemien führen, wie dies bei zahlreichen Infektionskrankheiten vor dem Auf- kommen der Impfung der Fall war. Sie würde auch eine inakzeptable Belastung für die Wirtschaft und das Gesundheitspersonal darstellen, von denen viele an COVID-19 gestorben sind oder ein Trauma erlitten haben, weil sie Katastrophenmedizin prak- tizieren mussten. Darüber hinaus verstehen wir immer noch nicht, welche Bevölkerungsgruppen an den Langzeitfolgen («Long COVID») leiden (3). Zu definieren, wer gefährdet ist, schwer oder dau- erhaft an COVID-19 zu erkranken oder zu sterben, ist komplex. Jedoch selbst wenn man nur Perso- »

RkJQdWJsaXNoZXIy MTcxMjA2