lausebande-03-2019

Mobbing erfährt infolge des darauf basie- renden Suizids einer elfjährigen Berliner Schülerin zum Beginn dieses Jahres bun- desweit eine große Aufmerksamkeit. Besonders in Berlin schlagen die Wellen hoch. Denn hier trägt die Spitze des Bildungssystems Verantwortung, weil sie jahrelang offensichtliche Probleme vertuschte und Problemlösungen verhinderte. Einer wie Carsten Stahl hätte sie liefern können. Einst Krimineller und Pate der Neukölner Unterwelt, stieg er nach der Ge- burt seines Kindes aus und krempelte sein Leben um. Über eine Doku-Soap als Privatdetektiv wur- de der kantige Typ zum Jugendidol, hatte von den holzschnittartigen Geschichten aber bald genug. Per- sönliche Betroffenheit führte ihn schließlich zu sei- ner Bestimmung: als Präventionscoach mit Schü- lern über Gewalt im Alltag, Drogen, Diskriminie- rung und kriminelles Verhalten zu sprechen und es zu ändern. Heute leitet er das sicher ungewöhnlichs- te, aber gerade darum erfolgreichste Anti-Mobbing- Projekt Deutschlands. Er hilft Schülern, Eltern und Pädagogen – wenn das Bildungssystem es denn zu- lässt. Und er macht klar, dass sowohl an der Spit- ze als auch an der Basis nicht länger weggeschaut werden darf. Mit einer Petition unter www.change. org kämpft er nun für eine nachhaltige Lösung. Wir sprachen mit Carsten Stahl: Ihr Video mit der Wutrede aufgrund des Mobbing- Selbstmords einer elfjährigen Berlinerin hat aktuell schon über zweieinhalb Millionen Klicks. Was macht das mit Ihnen, dass für diese Aufmerksamkeit erst ein Opfer notwendig war? Mich rufen auf einmal alle an, selbst die Top-Medien Deutschlands. Ich habe al- len gesagt, dass ich es verdammt traurig finde, dass erst ein Mädchen sterben musste, um dieses Interes- se an Mobbing zu verursachen. Ich arbeite seit fünf Jahren gegen Mobbing. Wir hatten in Deutschland 2002, 2009 und 2016 Amokläufe. Alle hatten Mob- bing-Hintergründe. Besonders beim letzten Vorfall, da kann man das bestens in der Akte nachvollzie- hen. Trotzdem wurde nicht über Mobbing geredet. Wir haben in der Woche 500.000 bis 1 Millionen Vor- fälle mit Hass, Mobbing oder Gewalt an deutschen Schulen. Da haben wir nach wie vor viele potenziel- le Opfer. Amokläufer und Selbstmörder sind sicher die Extreme. Beide wollen aus dem Leben scheiden, der eine still und leise, der andere mit dem großen Knall. Meistens wird dem überhaupt nicht auf den Grund gegangen, besonders beim Suizid. Die Lehrer und Direktoren werden selbst im Stich ge- lassen und bis heute nicht ausgebildet, die sind „Da brauchst du kein Diplom und keine Statistiktasche“ Interview mit Carsten Stahl, Aktivist und Anti-Mobbing-Experte Interview: Jens Taschenberger Spezial :: Seite 35

RkJQdWJsaXNoZXIy MTcxMjA2