lausebande_2022-03_ebook

Aktuelles ‹ 47 ist es nie schön, sich selbst zu ertappen. Manche werden sich abgrenzen. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass viele Mütter die dargestellten Fehlentwicklungen selbstkritisch erkennen, sie selbst reflektieren und dann auch nach Auswegen suchen. Ob das nun der ausufernde Kindergeburtstag oder das Bespaßungsfeuerwerk aus Reiten, Ballett und Tennis in einem überfüllten Wochenplan fürs Kind sind – viele stellen plötzlich fest, wie wenig sie diesen Stress für sich und ihr Kind eigentlich wollen. Das Buch führt nicht zu Depressionen, es öffnet eher die Augen und stößt Veränderungen an. Warum haben Sie den Titel „Happy Family“ gewählt? Wir wollen alle in einer glücklichen Familie leben und das auch zeigen. Das „H“ aus Happy als Hashtag umzusetzen, unterstreicht den Einfluss der Medialisierung auf die Darstellung heutiger Familien. Glück ist immer eine sehr subjektive Sache. Es kann für Mütter und Familien auch richtig sein, jeden Tag mit dem Kind etwas Neues zu machen und das dann auch mit der Welt zu teilen. In meinem Umfeld habe ich aber festgestellt, dass genau das nicht glücklich macht. Familie ist ja bestimmt durch das Zusammengehörigkeitsgefühl, einen geschützten Raum, in dem jeder er selbst sein darf – und zu all dieser Widersprüchlichkeit passt der Buchtitel doch ganz gut. Was möchten Sie mit dem Buch erreichen? Ich würde mir wünschen, dass insbesondere Frauen und Mütter reflektieren, was sie in ihrem Alltag unglücklich macht und wie sie diesen wieder schlanker und glücklicher gestalten können. Und dass wir Frauen aufhören, einander ständig zu bewerten und in Kategorien einzustufen. Wir sollten uns als eine Gemeinschaft sehen und für unsere gemeinsamen Ziele eintreten. Sie beschreiben eine neue Sucht nach Aufmerksamkeit, die von derMedialisierung unserer Gesellschaft getrieben wird – warum betrifft sie Mütter am stärksten? Mütter spüren den Druck der Medialisierung am stärksten. Das geht schon los, wenn das erste Kind auf dieWelt kommt. Mütter werden in der Betreuung des Babys zunehmend fremdbestimmt, der gesamteAlltag ordnet sichdem Baby unter. Dafür gibt es aber keinerlei Wertschätzung aus dem beruflichen oder gesellschaftlichen Umfeld. Das spüren vor allem Mütter aus einem akademischen Umfeld, die heute meist die ersten Berufsjahre oder Karrierestufen abwarten, bevor sie ihr erstes Kind bekommen. Sie sind es gewohnt, für Leistung auchAnerkennung zu erhalten. AlsMutter sind sie dann den ganzen Tag auf denBeinenund erhalten nicht nur keine Anerkennung, sondern eher eineAbwertung für den beruflichenAusfall oder die unaufgeräumteWohnung. Es gibt beständig Defiziterfahrungen. Diese Defizite gleichen Mütter heute damit aus, ihr neues Lebensglück zu präsentieren. Das sind meist schöne Bilder mit dem Baby, die in sozialen Medien inszeniert möglichst viele Likes und Kommentare erhalten sollen. Dieses Feedback wird immer mehr zum Ausgleich für die fehlende Anerkennung – das beginntmit demBaby und zieht sich dann über Kindergeburtstage und etliche Familienevents durchs gesamte Familienleben. Diese Aufmerksamkeit bezeichnen Sie als neue Währung, was können sich Mütter davon kaufen? Man erkauft sich Selbstwertgefühl, auch wenn das nicht lange anhält. Es ist etwas sehr Flüchtiges. Ein Like ist schnell verflogen. Insofern kann man das fast mit einer Sucht vergleichen, in der man die Dosis erhöhen oder einen neuen Schuss setzen muss. Man lebt mehr im Außen. Sichtbare Attribute werden in unserem medial bestimmten Systemauch stärker beachtet und honoriert. Im Buch begegnet uns sehr oft Ihre Aversion gegen aufwändige Backkunstwerke, haben Sie hier ein Trauma verarbeitet? Das war in meinen Studien sozialer Medien einfach ein großes und sehr auffälliges Thema. Viele Mütter inszenieren Geburtstagstorten auf ihren Profilen wie in einem Wettbewerb. Den aufwändigen Geburtstagstorten für Vorschulkinder folgen illustre Schultüten, dann Fotos von Konzerten. Bei uns daheim gibt es seit jeher Schokokuchen aus der Backmischung oder Gugelhupf. Das Muttersein zeichnen Sie dann auch als steten Wettbewerb, der über Kuchen hinaus per Instagram, exotischen Ausflügen oder ausufernden Kindergeburtstagen ausgetragen wird; wen sehen Sie da eher als Verlierer: die Kinder oder die Mütter? Auf lange Sicht sind die Kinder die Verlierer. Sie werden mit dem Ideal groß, dass beständig etwas Neues und Besonderes passieren muss. Das überholt sich irgendwann und nutzt sich auch ab. Kinder generieren falsche Erwartungshaltungen. Wurden früher zum Kindergeburtstag Freunde eingeladen, ein paar Spiele gespielt und einfach nur gequatscht, muss es heute ein besonderes und durchorganisiertes Event sein, ob

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