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Aktuelles ‹ 49 Bei der Bildung liefern Sie Klartext: Angepasste Schüler, Noteninflation und Helikoptereltern regieren allerorten den Schulalltag, produziert diese wattierte Kindheit künftig ein Heer der Ahnungslosen? Der Begriff der Ahnungslosen gefällt mir sehr gut. Ich sehe das selbst an meinen Studierenden, die zunehmend unkritisch sind. Sie haben merkwürdiger Weise einen starken Autoritätsglauben. Es wird immer weniger hinterfragt, was der Jugend früher eigen war. Sie sind in linken, ökologischen Themen sehr sensibel, aber bei Demokratieverständnis oder Kritik an Autoritäten sind sie sehr stromlinienförmig und angepasst. Das beobachte ich aber auch an meiner Tochter. Sie ist in der 10. Klasse und hat noch kein großes Stück der Literatur gelesen, keinen Goethe, Schiller oder Lessing. Unsere Kinder werden nicht mehr mit den tiefgreifenden Bildungsfragen und Brüchen konfrontiert. Zudem erodiert die Allgemeinbildung immer mehr. Meine Tochter kannte nicht einmal die Hälfte der Hauptstädte unserer Bundesländer. In der Schule erhalten Kinder aber selbst bei schlechten Leistungen eine Note 3, damit sie nicht unglücklich sind und man Konflikten mit Eltern aus dem Weg geht. Kinder sind heute ahnungslos, was unsere Geschichte betrifft und ahnungslos, was unsere Demokratie und die Klassiker betrifft. Das ist schrecklich. Sie formulieren viele, teils krasseWidersprüche zum Vorzeigemodell beruflich und familiär „erfolgreicher“ Mütter, halten Sie Erfolgsgeschichten von perfekten Karriere- und Familienfrauen für medial inszeniert? Natürlich sollen Frauen das Leben führen können, das sie sich wünschen. Aber mediale Vorbilder haben hier unrealistische Vorstellungen geweckt. Die Wahrheit ist: Wir können nicht alles haben. Als Anne-Marie Slaughter ihren Job imStab vonHillary Clinton kündigte, weil ihre Teenager-Söhne eine schwierige Zeit durchlebten, stellte sie klar, dass sich Kapitalismus und Familienleben nicht vereinbaren lassen und dass eine Mutter, die über eine normale Vollzeit hinaus in einer Führungsposition arbeitet, nicht der wichtigste Mensch im Leben der eigenen Kinder sein kein. Das medial vorangetriebene Ideal der schlanken, top gestylten Karrierefrau, die ihren Kindern bei den Hausaufgaben hilft und tolle Geburtstagstorten bäckt, erzeugt bei den „Zuschauerinnen“ Defizit-Interpretationen. Wir wissen, dass all diese Vorzeigemütter ein Heer an Dienstleistern haben, von der Putzfrau übers Kindermädchen bis zum Gärtner. Dies einer Durchschnittsfrau als Karotte vor die Nase zu halten, erweist sich als Bärendienst und schadet dem Selbstverständnis der Mütter in unserer Gesellschaft mehr als es helfen könnte. Sie verweisen auch auf Hirnforscher Manfred Spitzer, der vor einigen Jahrenmit seiner klaren Ablehnung digitaler Medien Schlagzeilen machte – teilen Sie seine Befürchtung einer Generation frühzeitiger Dementer aufgrund digitalen Dauerkonsums? Was Kinder und Jugendliche anbelangt, teile ich die Befürchtung von Manfred Spitzer. Es gibt übrigens viele Persönlichkeiten aus dem Silicon Valley, die das genauso sehen und ihre eigenen Kinder von Tablets und Smartphones fernhalten, solange es geht. Der Hype um die Waldorf-Schulen im Silicon Valley belegt diese Entwicklung. Bildung bei Kindern funktioniert eben nicht mit Wischen über Bildschirme. Ich bin durch die Arbeit mit meinen Studierenden darauf aufmerksam geworden. Sie können kaum noch komplexe Texte über 5 Seiten hinaus verarbeiten. Sie greifen unbewusst und aus Gewohnheit alle zwei bis drei Minuten zum Handy. Wenn man sie darauf anspricht, haben sie das überhaupt nicht wahrgenommen. Sie werden schnell nervös, sind unkonzentriert und vergessen viel. Was man nicht selbst gelesen, durchdacht und aufgeschrieben hat, ist sehr flüchtiges Wissen. Ich weiß nicht, ob sie früher dement werden, aber es sind offensichtlichwichtige Verflechtungen der Synapsen im Kindes- und Jugendalter verloren gegangen. In Kindergärten und Grundschulen hat die Digitalisierung der Bildung meines Erachtens nichts verloren. Wir müssen wieder zurück zu den Grundfertigkeiten einer klassischen Bildung: Lesen, (selber!) Schreiben, (Kopf-) Rechnen. Zwei Stunden Englisch in der Grundschule braucht dagegen niemand. Sie haben selbst zwei Töchter, wie halten Sie es mit Events und digitalenMedien? Bei den Events habe ich früh beschlossen, nicht mitzumachen. Als mich eine Freundin meiner Tochter im Kindergarten fragte, was wir Tolles zu ihrem Geburtstag machen, war ich echt ratlos. Bei uns gab es Kuchen, Topfschlagen und fertig. Wir feierten zu Hause und gingen in die Natur. Mir haben große Veranstaltungen nie viel bedeutet und das hat sicher auch unsere Kinder geprägt. Sie sind glücklich, wenn sie sich daheim mit ihrem Freundeskreis treffen und einfach quatschen. Digitale Medien sind natürlich wahnsinnig attraktiv für Kinder. Corona hat das aufgrund der Beschränkung sozialer Kontakte verschärft. Wir haben früh Regeln eingeführt. Ein Handy gab es bei uns ab der fünften Klasse. Ta-

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