lausebande-04-2021

Tom und Tina (Namen geändert) sind beide stu- diert, sozial kompetent und kommunikations- stark – sie hätten sich nie vorstellen können, einmal mit ihren zwei Kindern an physische und psychische Grenzen zu geraten. Die beiden Mäd- chen (6 und 10 Jahre) besuchen aktuell die erste und vierte Klasse einer Lausitzer Grundschule. Er (38 Jahre) hat im Energiebereich studiert und arbeitet in der Privatwirtschaft, sie (36 Jahre) ist im mittleren Management einer öffentlich-recht- lichen Körperschaft in Führungsverantwortung für ein Team mit fünf weiteren Mitarbeitern zu- ständig. Das Interview wollten sie nur anonym führen, um vor allem beim Arbeitgeber unnö- tigen Diskussionen aus dem Weg zu geben, aber auch, weil die Gesellschaft in ihren Augen für einen offenen Umgang mit der pandemiebe- dingten Überlastung in Familienstrukturen noch nicht bereit ist. Ein Versagen wird in ihren Augen hier noch immer mit schwachen Ressourcen und fehlender sozialer Kompetenz gleichgesetzt. Ein Zustand, zu dessen Änderung dieses Gespräch hoffentlich einen Anstoß gibt: Wie erlebt ihr den Unterschied zwischen erstem und zweitem Lockdown? Tom: Im ersten Lockdown war alles noch chao- tisch und weniger fest geregelt. Es war für alle neu. Das betraf sowohl die Arbeit als auch die Fa- milie. Es gab auf allen Seiten mehr Verständnis. Im zweiten Lockdown wird unser Familienleben eher zum täglichen Kampf. Wir machen jetzt die Erfahrung, dass vor allem die Schule durchzieht und einen immensen Druck ausübt. Der Arbeit- geber besteht ebenso darauf, dass wir unsere Auf- gaben ohne Abstriche erfüllen. Tina: Mit dem zweiten Lockdown ging es von An- beginn und seitdem durchweg an die Nerven. Es machte sich schnell ein Gefühl von Frust breit. Anfangs hat man noch motiviert mitgemacht und hatte das Gefühl, es wäre Licht am Ende des Tunnels. Jetzt ist dieses Gefühl völlig verloren, es dringen nur noch schlechte Nachrichten durch und wir haben längst Orientierung und Halt verloren. Es ist ein Gefühl der Hilflosigkeit entstanden. Welche Veränderungen beobachtet ihr an euren Kindern? Tina: Wir beobachten sehr starke Veränderungen. Das betrifft vor allem unsere große Tochter. Bei beiden hat sich eine absolute Lustlosigkeit und Antriebslosigkeit eingeschlichen. Sie wollen nicht mehr raus und empfinden kaum noch Freude. Man muss sie immer mehr antreiben. Selbst das tägliche Spazierengehen ist mit einer Diskussion verbunden. Man soll sie ja auch von anderen Kindern fernhalten. Im ersten Lockdown war all das nicht spürbar, da überwog manchmal auch die Freude, mit Mama zu Hause bleiben zu können, während Papa auch im Homeoffice war. Das war etwas Besonderes und schön für die Kinder. Tom: Der Alltag ist für die Kinder öde geworden. Sei es die Schule, das Spielen oder Spazieren- gehen. Unsere kleine Tochter wurde zudem in- mitten der Pandemie eingeschult. Sie hatte sich kaum an den Wechsel von der Kita in die Schule gewöhnt, da wurde sie schon nach Hause ge- schickt und seitdem bleibt uns alles überlassen. Das wird auch an ihr nicht spurlos vorübergehen. Welche Veränderungen beobachtet ihr an euch? Tina: Wir haben uns das Zwischenmenschliche erhalten. Die Familie ist intakt. Aber die so- zialen Kontakte fehlen. Tom ist seit einem Jahr im Homeoffice, auch da fehlt der Austausch mit Kolleg*innen. Dafür muss man beständig eine Aufgabe erfüllen: Haushalt, Schule oder Job. Man muss Eltern spielen, Lehrer spielen und den Haushalt schmeißen. Es gibt keinen Freizeitaus- gleich mehr. Tom: Man arbeitet einfach nur noch ab. Die Zeit für sich selbst und für die Beziehung bleibt auf der Strecke. Wir kommen damit noch ganz gut klar, bei befreundeten Paaren sieht das durchaus schlechter aus. Aber auch wir sind inzwischen schneller reizbar. Der Rucksack, den man mit sich schleppt, wird von Woche zu Woche schwerer. Was wirkt auf euch motivierend, was demo- tivierend? Tina: Es kommen ständig schlechte Nachrichten, alles wird auf Schlagzeilen und die nächste Ka- tastrophe verkürzt. Es wird nur noch negativ be- richtet. Das erschwert, auf andere und auch die Kinder positiv und motivierend zu wirken. Hat sich in der Schule aus den Erfahrungen des ersten Lockdowns etwas verändert, erhaltet ihr als Eltern jetzt mehr Unterstützung? Tom: Hilfsangebote erhalten wir überhaupt nicht. Es wurde zeitweise eine Cloud ins Leben gerufen, die dann einfach mit Aufgaben gefüllt wurde. Weil es diesen Kanal gibt, denkt man auf Seiten der Schule, eine Lösung zu haben. Für Vorschläge von uns Eltern ist man nicht offen. Es ist wie Corona Update ‹ 43

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