lausebande-04-2021

Gibt es von euren Arbeitgebern Angebote, weil ihr zwei Kinder im Grundschulalter be- treuen müsst? Tina: Wir hatten das Angebot, Minusstunden auf- zubauen und Urlaub zu nehmen. Das sehe ich nicht als Angebot. Eine Kollegin ist unbezahlt zu Hause geblieben, weil sie keinen Urlaub nehmen konnte. Das ist nicht familiengerecht, aber nach der Auskunft vieler Freunde und Bekannter wohl allgemein üblich. Tom: Wir konnten mit Gleitzeitsalden spielen und mehr Minusstunden aufbauen. Auch das würde uns später dringend benötigte Familien- zeit nehmen, ohne jetzt großartig zu helfen. Wir haben uns deshalb den Tag zu Hause eher in Früh- und Spätschicht eingeteilt, sodass man am Ende des Tages auch jeder auf seine acht Arbeits- stunden kommt. Tina: Ein Angebot mit Minusstunden, Kranken- tagen oder Sonderurlaub behandelt letztendlich immer ein begrenztes Kontingent. Wir glauben aber nicht mehr daran, dass die Pandemie rund um Ostern vorbei ist. Inzidenzen steigen wieder, das wird sich noch hinziehen. Mit Blick auf die kommenden Monate sind diese begrenzten Kon- tingente bei uns fürsorgenden Eltern keine Lö- sung mehr. Wie verteilt sich bei euch die sogenannte Care-Arbeit im Haushalt und bei der Kinder- betreuung? Tom: Es ist schon so, dass Tina sich größtenteils um die Kinder und die Schule kümmert. Dafür arbeite ich und helfe viel imHaushalt. Tina: Die Belastung hat überhandgenommen, aus diesem Grund musste ich jetzt auch zeitweise aus der Erwerbsarbeit aussteigen. Ich hatte zwei Ohrinfarkte und ständig Kopfschmerzen. Ich bin nachts oft aufgewacht und es gingen mir tau- send Dinge durch den Kopf, die noch zu erledigen sind. Ich bin nun wegen Überlastungssymptomen krankgeschrieben – und kann mich derzeit besser um die Kinder kümmern. Die Gesamtsituation macht das allerdings kaum besser. Ihr habt einen breiten Freundes- und Bekann- tenkreis, sprecht ihr offen mit Dritten über diese Probleme? Tina: Man spricht hauptsächlich über die Kinder und darüber, wie andere mit der Situation zu- rechtkommen. Das Bild ist überall ähnlich. Bei den meisten liegen die Nerven blank, sie sind er- schöpft. Es sagt aber niemand laut. Die seelischen und psychischen Folgen werden nur unter vier Augen geäußert, offen will das niemand zugeben. Es wird sofort als Zeichen der Schwäche ausge- legt. Wie stehen wir dann auch da? Dann heißt es, wir hätten uns ja das Elternsein ausgesucht. Wir haben uns aber nicht ausgesucht, Eltern in dieser Zeit zu sein. Tom: Es ist in unserer Gesellschaft leider ein Zei- chen von Schwäche, wenn ich zugebe, Job und Familie nicht mehr zu packen. Die breite Betrof- fenheit merken wir nur in sehr privaten Gesprä- chen. Öffentlich ist das stigmatisiert und wird mit sozialer Inkompetenz verbunden. Studien besagen, dass jedes dritte Kind unter psychischen Problemen leidet – das wird dann allerdings deutlich mehr bildungsfernen Haushalten zugeschrieben. Wie steht es um eure Kinder? Tom: Unsere große Tochter war zuvor eher ruhig und introvertiert. Die Pandemie schadet ihr, es fehlen die klaren Rahmenbedingungen. Beständig gibt es Änderungen in der Schule. Sie nimmt natürlich auch war, dass wir als El- tern zunehmend gestresst sind. Im zweiten Lockdown äußerte sich das in Appetitlosigkeit und Angstzuständen. Wir haben uns jetzt dazu entschlossen, die professionelle Hilfe eines Psy- chotherapeuten zu nutzen. Tina: Wir waren wirklich ratlos. Es reichte bis zum Essensstreik, als die Schule wieder los- ging. Sie wollte das Haus nicht mehr verlassen. Im Lockdown hat sie eine übertrieben starke Bindung zu uns Eltern aufgebaut. Wir haben es aus eigener Kraft nicht mehr geschafft, das zu lösen. Wir hatten Glück, nach einem Erstge- spräch zum Jahreswechsel können wir nun eine Therapie nutzen. Es gibt derzeit wahnsinnig viele Anfragen und Verhaltenstherapien für Kinder sind kaum noch möglich. Gute Freunde, die sich mit uns über Erfahrungen ausgetauscht haben, wollten das auch nutzen, finden derzeit aber keinen Therapeuten mit entsprechenden Kapazitäten mehr. Die Kinderpsychologen scheinen ausgebucht zu sein. Tom: Bei unserer kleinen Tochter ist es eher Lustlosigkeit und eine gewisse Gewichtszu- nahme. Sie hat es vorm Lockdown geliebt, zu tanzen. Das ist jetzt in kleinen Gruppen wieder möglich, aber wir können sie kaum noch dazu motivieren. Bei beiden ist der Eigenantrieb weggebrochen. Sie fordern eher von uns Be- schäftigung ein. Corona Update ‹ 45

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