Seite 30 - lausebande-05-2012

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Titelthema :: Seite 30
Geschäftsführer der Jugendhilfe Cottbus e.V. & gemeinnützige GmbH.
Jörn Meyer ist studierter Sozialpädagoge und Erzieher.
1991 war er Mitgründer der Jugendhilfe Cottbus e.V. & gGmbH.
Jungs sollen sich auch mal prügeln dürfen
Interview mit Sozialpädagoge Jörn Meyer
Herr Meyer, wo verläuft
Ihres Erachtens bei ei-
ner Schulhofrangelei die
Grenze zwischen einer harmlosen
Rauferei und ernstzunehmender,
körperlicher Gewalt?
Die Grenze kann immer nur dort
sein, wo der andere es nicht mehr
erträgt und „Stopp“ sagt. Da muss
man schauen, ob es Vereinbarun-
gen und Verabredungen gibt. Man
sucht ja sein ganzes Leben lang
Grenzen, um dann einen Schritt
darüber hinaus zugehen. Das ge-
hört auch zum kindlichen Heran-
wachsen dazu. In jedem Fall soll-
ten Kinder wissen, wenn derjenige
es nicht mehr will und das deut-
lich signalisiert, dann muss aufge-
hört werden.
Wie schafft ein Kind es, diese Si-
gnale auch deutlich zu senden?
Natürlich über das „Nein“. Aber
im wesentlichen darüber, dass
Kinder früh lernen zu äußern, wie
es ihnen dabei geht. Dass Kinder
damit auch Gehör finden. Diese
Sachen können Eltern mit ihren ei-
genen Kindern schon im Babyal-
ter anfangen. Auch wenn sie sich
noch nicht klar verbalisieren kön-
nen, geben sie doch Signale, auf
die man achten muss.
Man hat den Eindruck, dass Ge-
walt, vor allem zwischen Kindern
und Jugendlichen, immer mehr
zunimmt. Ist das tatsächlich so
oder täuscht das eher?
Ich habe nicht das Gefühl, dass
die Gewalt zwischen Kindern und
Jugendlichen zugenommen hat.
Ich denke, dass unser Leben weit-
aus gewaltfreier geworden ist. Wir
sind aufmerksamer geworden, wir
gucken genauer hin und sind auch
bei kleinen Anzeichen von Gewalt
alarmiert. Das ist gut. Auch, dass
die Medien darüber berichten.
Aber da muss man unterschei-
den, was die Medien darstellen,
um Zuschauer zu gewinnen – und
wie die Realität wirklich aussieht.
Aber besteht nicht die Gefahr,
dass durch die hohe Aufmerk-
samkeit schneller bei kleinen Rau-
fereien eingeschritten wird? Und
brauchen nicht Kinder, vor allem
Jungs, Balgereien, um sich in ih-
ren Peer Groups zu positionieren?
Das ist richtig. Jungs wollen sich
auch mal prügeln und sich schub-
sen. Jungs wollen ihre Kräfte mes-
sen und das ist völlig in Ordnung.
Das sollte ihnen gestattet wer-
den, auch den Mädchen. Bei ih-
nen ist es aber untypischer. Ich
finde, man sollte sie nicht dazu
auffordern. Sie müssen nur mer-
ken, wann der Gegenüber, an dem
sie sich messen, sagt „Stopp“ und
dann auch aufhören können.
Wie messen Mädchen ihre Kräfte?
Ich glaube Mädchen messen ihre
Kräfte, indem sie Aufmerksamkeit
suchen. Bei ihnen geht es oft dar-
um, welches Mädchen mehr Auf-
merksamkeit erhält. Das ist im
Grundschulalter zu beobachten,
in dem sie noch für die Lehrerin
lernen. Für die Aufmerksamkeit
der Lehrerin tun sie etwas. Jungs
dagegen beginnen relativ zeitig,
so spätestens in der 6. Klasse, sich
dagegen zu positionieren. Deswe-
gen sind Mädchen auch oft besser
in der Schule.
Kann man pauschalisieren, dass
Mädchen eher zu verbaler und
Jungs eher zu körperlicher Ge-
walt neigen?
Das ist vor allem im Jugendalter
und auf der Straße zu beobachten.
Schaut man dort, was Jungs ma-
chen und was Mädchen machen,
fällt auf, dass Jungs eher mit den
Fäusten sprechen. Mädchen sind
um Verbalität bemüht. Es gibt we-
nige Mädchen, die sich prügeln.
Vielen Dank für das
Gespräch, Herr Meyer.
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