lausebande-2021-06
Beim ersten Kind habe ich sie noch aus- giebig studiert: die Listen von Babykursen. Pekip, Babyturnen, Musik für Babys, ich war bei allem dabei. Auch aus Langeweile, wie ich im Rückblick zugeben muss. So ein Alltag mit ei- nem Baby musste gefüllt werden, denn er wurde schnell lang. Aber ich besuchte diese Kurse auch, weil ich dachte, meinem Sohn etwas Gutes zu tun. Nur das Beste! Bevor sich die Zeitfenster schlie- ßen und überhaupt: Macht man das nicht so?! Nun, von Kind zu Kind wurde ich entspann- ter. Bei Kind 3 weiß ich: Das Kind wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Kinder haben ihr eigenes Tempo, ihre eigenen Zeitfenster, wann welcher Entwicklungsschritt ansteht. Wenn man sich gute Ratgeber wie zum Beispiel Remo Largos Klassiker „Babyjahre“ anschaut, wird einem klar, wie groß die Zeitfenster für Entwicklungsmeilen- steine sind. Die normale Zeitspanne, in der Kinder laufen lernen, liegt zwischen 10 und 24 Monaten! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! Und so ist es ja bei vielen Dingen. Der richtige Zeitpunkt fürs Trockenwerden, das Sprechenlernen, wann der erste Kopffüßler gemalt wird, wann das Kind hüpfen kann und auch das Tempo, in dem Kinder in der ersten Klasse Schrei- ben und Lesen lernen: Die Norm ist weit gefasst. Ist das nicht beruhigend? Jedes Kind ist anders. Und jedes Kind ist bei anderen Dingen schnell. Und, was ich nach drei Kindern bestätigen kann: Wenn der richtige Zeitpunkt da ist, dann lernen Kinder auf einmal ganz schnell. Mein Großer zum Beispiel wollte nie Radfahren lernen. Er hat- te schlicht keine Lust. Als irgendwann alle seine gleichaltrigen Freunde mit dem Rad herumflitz- ten, wurde ich etwas nervös. Aber er wollte es immer noch nicht lernen. Bis irgendwann der Tag kam, an dem er sich aufs Rad setzte, ich kurz anschob und er alleine losfuhr. Kein rückenermü- dendes Radschieben und Nebenherlaufen. Er fuhr einfach los. Der richtige Zeitpunkt war da. So war es bei allen meinen Kindern. Ganz ohne Druck waren sie auf einmal soweit. Und als sie so- weit waren, ging es auf einmal auch ganz schnell. Beim Schwimmenlernen zum Beispiel. Oder der Zeitpunkt, an dem sie alleine auf einem Kinder- geburtstag blieben. Plötzlich war der richtige ganznormalemama.com Mehr über das Thema, wie man Kinder ent- spannt beim Großwerden begleitet und auch im sonstigen Familienleben weniger Druck erlebt, hat die Autorin Nathalie Klüver in ihrem neuen Buch „Das Kind wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“ (Trias Ver- lag, 14,99 Euro) gewohnt undogmatisch zu- sammengefasst. Zeitpunkt da und ganz ohne Tränchen wurde ich an der Tür einfach nach Hause geschickt. Jedes Kind hat seinen eigenen richtigen Zeitpunkt für bestimmte Meilensteine – wir sollten ihm die Ge- legenheit geben, diesen zu finden. Bei bestimmten Dingen wirkt Druck, also über- mäßiges „Ziehen“, sogar kontraproduktiv, etwa beim Trockenwerden. Dass exzessives Töpfchen- training eher schadet als nützt, ist mittlerweile klar. Jedes Kind hat seinen eigenen Zeitpunkt, an dem es „reif“ ist, trocken zu werden. Und wenn man den abpasst, geht es auf einmal ganz schnell und ohne Stress und Tränen. Wir müssen nicht an unseren Kindern ziehen, sie wachsen ganz von alleine. Unsere Aufgabe als Eltern ist es, sie aufmerksam zu betrachten, zu begleiten und die Signale zu erkennen, wenn der Zeitpunkt für einen neuen Meilenstein gekom- men ist. So werden sie groß, ohne Druck, ohne Stress, ohne Streit. (gravierende Entwicklungsverzögerungen sind na- türlich etwas anderes und bedürfen Förderung und ärztlicher Begleitung – aber um das zu erkennen, gibt es die U-Untersuchungen beimKinderarzt) Das Kind wächst nicht schneller, wenn man daran zieht
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