Titelthema ‹ 55 Die Sozialwissenschaftlerin Gisela Notz schreibt in ihrem Buch „Genossenschaften. Geschichte, Aktualität und Renaissance“: „Viele Menschen in Deutschland stellen sich unter dem Begriff Genossenschaften lediglich Genossenschaftsbanken, bestenfalls Wohnungsbaugenossenschaften vor. Das zeigt sich auch in den vorliegenden Veröffentlichungen. Das ist schade, denn als Genossenschaft kann man Vieles gründen. Und Gründungen von Genossenschaften sind meist wirtschaftlich erfolgreicher als Einzelgründungen.“ Am Ende ihres Buchs fragt Notz nach dem utopischen Gehalt der „neuen Genossenschaften“, die mittlerweile verstärkt in den Bereichen Wohnen, Energie und VerbraucherErzeugergenossenschaften entstehen, z.B. in Form von Solawis, bei denen Obst und Gemüse gemeinsam angebaut und geerntet wird. Auch in Schüler- und Kulturgenossenschaften sind so in den vergangenen Jahren neue Gestaltungsräume entstanden. Für kleine private Wohnprojekte eignet sich die Rechtsform ebenfalls. Viele der 125 Genossenschaftsgründungen im vergangenen Jahr waren solche kleinen Projekte. Vor allem Genossenschaften zur regionalen Entwicklung waren dabei. So wurden beispielsweise Dorfgasthäuser oder andere soziale Treffpunkte von Genossenschaften renoviert und übernommen. Genossenschaften im ländlichen Raum Schon eine 2021 veröffentlichte Studie zu Bürgergenossenschaften in den neuen Ländern bestätigte den Trend hin zu genossenschaftlichen Projekten auch im Kleinen. Und genau dieser Trend könnte dem Miteinander guttun, Genossenschaften werden sozusagen zum Demokratie-Booster: Denn sie schaffen, so die Studienautoren, „soziale Orte und Räume, in denen Werte vermittelt, verhandelt und praktiziert werden. Damit erreichen und verbinden sie in Zeiten zunehmender Polarisierung auch Bevölkerungsgruppen, die sonst kaum zueinander finden würden.“ In Genossenschaften lassen sich leichter Kompromisse aushandeln und Interessenskonflikte beilegen, Wandel kann auf lokaler Ebene gestaltet werden. Als ein positives Beispiel wird die Energiewende hervorgehoben. Denn Genossenschaften sind das ideale Modell, um die Menschen vor Ort an der Energiewende zu beteiligen – finanziell und inhaltlich. Denn wenn ihnen Windparks und Solarflächen gehören, dann können sie mitentscheiden, wo diese entstehen, die Gewinne fließen nicht in große Konzerne, sondern bleiben vor Ort. Ein weiteres Ziel, das in der Praxis meist an bürokratischen Hürden scheitert, ist der Bezug eben jener erneuerbaren Energie. Allein im Raum Boxberg-Weißwasser sind in den vergangenen Jahren vier Energiegenossenschaften gegründet worden, weitere sind in Vorbereitung. 0 20 40 60 80 100 120 140 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 Trend zum Wir: Genossenschaftsgründungen in Zahlen Genossenschaftsgründungen pro Jahr, Quelle: DGRV
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