Seite 29 - lausebande-09-2012

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Titelthema :: Seite 29
Dr. Hermann Josef Kahl ist Arzt für Kinderheilkunde und
Jugendmedizin sowie Kinder-und Jugend-Kardiologie.
Dr. Kahl ist Sprecher des Ausschusses Prävention und Frühtherapie beim
Berufsverband Kinder- und Jugendärzte.
„Jugendliche müssen sich ernst genommen fühlen.“
Interview mit Dr. Hermann Josef Kahl
Herr Kahl, können Sie
sich an Ihre eigene Pu-
bertät erinnern?
Natür-
lich, das war ziemlich turbulent.
Man fängt ja auf einer ganz neuen
Ebene an die Welt zu erobern.
Was versteht man ganz allge-
mein unter „Pubertät“?
Zum ei-
nen kommt es zu der körperli-
chen Veränderung. Es bilden sich
die sekundären und die primären
Geschlechtsorgane. Es gibt hor-
monelle Umstellungen, die für den
Übergang vom Kindesalter ins Ju-
gendalter wichtig sind. Gleichzei-
tig finden psychosoziale Verände-
rungen statt. Solche Änderungen
gibt es auch im intellektuellen und
kognitiven Bereich.
Wie kann man sich das im Einzel-
nen vorstellen?
Im emotionalen
Bereich sind die Gefühle in die-
ser Zeit sehr labil. Ängste, Freude,
Hoffnungen wechseln sich ab. Es
kann sehr schnell zu Enttäuschun-
gen kommen. Bei Mädchen weiß
man, dass schnell eine Traurigkeit
entstehen kann, unter Umstän-
den depressive Verstimmungen.
Aber auch das Gegenteil ist mög-
lich. Bei Jungs ist es eher so, dass
sie aggressiver werden, trotzdem
kann es auch bei ihnen zu Traurig-
keit kommen. Diese Schwankungs-
häufigkeiten imGefühlsleben sind
bekannt.
Im kognitiven Bereich ist es so,
dass die Jugendlichen erkennen,
dass es eine, einfach ausgedrückt,
soziale Welt gibt. Sie sehen, dass
es bestimmte Regeln gibt. Im All-
gemeinen ist es so, dass Jugendli-
che in der Pubertät davon ausge-
hen, dass diese Regeln beachtet
werden. Zu erkennen, dass diese
Regeln oft nicht befolgt werden,
führt bei ihnen, glaube ich, zu ko-
gnitiven Verunsicherungen. Dabei
steht in dieser Zeit im kognitiven
Bereich eine Forderung nach Ge-
rechtigkeit im Vordergrund. Jede
Verletzung des Gerechtigkeitsge-
fühls fällt in diesem Alter auf sehr
wackligen Boden.
In welchemAlter setzt die Pubertät
normaler Weise ein?
Heute beginnt
sie bei Mädchen etwa mit zehn Jah-
ren, bei Jungs ungefähr mit 12 –
plus, minus ein Jahr. Kommt ein
Kind drei Jahre früher in die Pu-
bertät, muss von einemArzt unter-
sucht werden, ob es sich um eine
krankhafte pubertas praecox, also
eine vorzeitige Pubertät handelt.
Gibt es auch eine verspätete Puber-
tät?
Auch das kann vorkommen.
Die verzögerte Pubertät kann, vor
allem bei Jungs einen Vorteil ha-
ben. Laut neuesten Untersuchun-
gen kann sie das Risiko von Ho-
denerkrankungen reduzieren. Ob
früher oder später: Ein, an sich ge-
sundes Kind wird immer eine Pu-
bertät entwickeln.
Kann es sein, dass die Pubertät
immer früher beginnt oder täuscht
dieser Eindruck?
Das täuscht nicht
– die Pubertät beginnt tatsächlich
früher. Wir wissen, dass die Puber-
tät in den letzten 20 bis 30 Jahren,
zumindest in den Industrienatio-
nen immer früher verläuft. Die Ur-
sache ist nicht bekannt. Man ver-
mutet, dass es mit höherer Hygiene
und besserer Ernährung zusam-
menhängt. Unter Umständen spielt
auch die Reduktion von Krankhei-
ten durch Impfungen eine Rolle.
Das sind zum jetzigen Zeitpunkt
aber Vermutungen, einen Beweis
hat dafür noch keiner erbringen
können.
Ist die Pubertät ein fließender Pro-
zess oder kann man einzelne Ver-
laufsphasen voneinander ab-
grenzen?
Es handelt sich um ein
Lebensalter mit fließenden Über-
gängen. Man kann zwar eine Vor-
pubertät erkennen, aber die pu-
bertäre Phase ist nur schwer in
einzelne Abschnitte zu unterteilen.
Was ist die Vorpubertät?
In der
Regel spricht man von einer Vor-
pubertät, wenn sich die ersten se-
kundären
Geschlechtsmerkma-
le bilden, wie zum Beispiel die
Schambehaarung .......
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