70 › Titelthema besserung der Weltlage, sondern einen inneren Kampfgeist, einen Optimismus und gutes weiteres Handwerkszeug. Gibt es typische Kinderängste, die Ihnen in Ihren Beratungen immer wieder begegnen? Oh ja, einige. Trennungsängste sind bei kleineren Kindern häufig. Ab dem Schulalter kommt es mehr zu sozialen Ängsten und Ängsten vor Bewertungen, und in der Pubertät gibt es da noch weitere Ausprägungen, denn dann sind nicht nur Noten relevant, sondern auch die Meinung der Clique. Aber es gibt noch einige weitere Ängste, die ich oft sehe: Angst vor Fremden, vor Monstern, vor Ärzten, vor Krankheiten, vor Wasser oder Höhe, vor Hunden oder Spinnen… Manches ist gar nicht so anders als bei Erwachsenen. Helfen in diesen Fällen Pauschal-Lösungen oder braucht es für jede Familie eine individuelle Lösung? Individuell hinsehen ist immer gut, gerade um zu entdecken, wo Ängste herkommen und ob es im Alltag des Kindes etwas gibt, was den Umgang mit Ängsten erschwert. Aber manche Hilfsinstrumente sind natürlich auch pauschal nützlich, wie mein 6-Schritte-Plan zur Angstbewältigung. Jeden Schritt gilt es, individuell auszuformen, aber das Grundgerüst ist stets gleich: Wissen – Helfen – Wahrnehmen – Planen – Üben – Nachbereiten. Gab es Fälle, wo Sie überrascht waren vom Angstauslöser? Manchmal ist es überraschend, dass hinter einer Angst erst nach längerer Zeit eine ganz andere Sache entdeckt wird, wie ADHS, eine Lese-Rechtschreib-Schwäche oder eine Kurzsichtigkeit. Aber dass ich mal gedacht hätte, ein Kind hat vor etwas Angst, was ich total unverständlich und daher überraschend finde, daran kann ich mich nicht erinnern. Irgendwie ist alles herleitbar. So hatte ich zum Beispiel in der Beratung ein Kleinkind mit Angst vor Babys. Nach und nach haben wir verSie haben bereits mehrere Bücher veröffentlicht, zwei davon mit dem Fokus auf Angst. Wie kam es dazu, dass Sie sich speziell diesem Thema widmen? Ich arbeite seit vielen Jahren mit Familien und Fachkräften und bemerke dadurch rasch, wenn sich bestimmte Entwicklungen ausbreiten und bei vielen Kindern zeigen. Angst ist seit Corona ein wachsendes Thema, gerade auch oft in der Kombination mit unsicheren, manchmal auch selbst ängstlichen Eltern. Verschiedene gesellschaftliche Entwicklungen und Krisen haben dies verstärkt und ein sehr kindzentrierter, teilweise überfürsorglicher Erziehungsstil auch. Hinzukam, dass gerade auch in der Coronazeit die Suche nach einem Therapieplatz immer herausfordernder und langwieriger wurde. So kamen viele Familien erst einmal zu mir und ich habe die Eltern dafür gestärkt, selbst mit ihren Kindern an deren Ängsten zu arbeiten – und an ihren eigenen auch. Dadurch kamen der humboldt Verlag und ich gemeinsam auf die Idee, den Ratgeber „Meine Angst, deine Angst“ und den Vorleseratgeber „Ups, ich habe Angst“ zu entwickeln, um noch mehr Eltern zu ermöglichen, ihren Kindern selbst zu helfen, wenn die Ängste nicht zu heftig sind oder aber eben wenn sie lange auf professionelle Hilfe warten müssen. Sie haben die großen Themen wie Corona und Krisen als Angstauslöser angesprochen. Darauf haben Eltern keinen Einfluss. Was können sie dennoch tun? Diese Krisen in der Welt, in den Gesprächen der Erwachsenen, in gesellschaftlichen Veränderungen, die spüren die Kinder. Sie sind oft groß und diffus, und damit fällt ein Umgang schwer. Wenn sie keine gute Unterstützung bekommen, können diese Bereiche die Ängste sehr verstärken. Das sehen wir in den vergangenen Jahren bei Groß und Klein, und es liegt am Ohnmachtsgefühl. Man muss wieder in ein Gefühl von Macht kommen. Und das muss nicht von außen kommen. Da braucht es keine Politik oder Ver- „Du musst keine Angst haben“ hilft dem Kind nicht Familienbegleiterin, Coach und Autorin Inke Hummel über Ängste, Krisen und die Rolle der Eltern. Foto: Nat Hummel
RkJQdWJsaXNoZXIy MTcxMjA2