lausebande-11-2017

Titelthema :: Seite 44 anderen Land tragen so viele Kinder eine Zahnspan- ge. In Schweden und Norwegen sind es knapp ein Drittel der Jugendlichen, in Südeuropa spielt Kiefer- orthopädie kaum eine Rolle. Nur in den USA und in den Niederlanden gibt es wohl ähnlich hohe Zahlen wie bei uns in Deutschland. Sind Werte über 50 Pro- zent zu viel? Viel zu viel, sagen Kritiker. Einer der bekanntesten ist Dr. Henning Madsen, selbst Kiefer- orthopäde. Bei einer so hohen Behandlungsquote stelle sich automatisch die Frage: Brauchen diese Kinder und Jugendlichen wirklich alle eine Zahn- spange? Nein, sagt Madsen. Der Hauptnutzen kie- ferorthopädischer Behandlungen sei eine ästheti- sche Verbesserung. Ein gesundheitlicher Nutzen sei mit den meisten kieferorthopädischen Behandlun- gen dagegen nicht verbunden. Würde man das KIG- Schema streng anwenden, hätte nur noch ein Drittel jedes Jahrgangs Leistungsanspruch an die gesetzli- che Krankenversicherung für eine Zahnspange. Das heißt im Umkehrschluss: Jede zweite derzeit einge- setzte Zahnspange wird unter Umgehung des KIG eingesetzt und ist medizinisch gesehen überflüssig, so Madsen. Auf die harsche Kritik und die hohen Behand- lungszahlen wurde reagiert. 2002 wurde eben jenes KIG-Bewertungssystem eingeführt. Die kieferor- thopädischen Indikationsgruppen (KIG) sollen die medizinische Behandlungsnotwendigkeit von rein kosmetischen Behandlungswünschen abgrenzen. Ziel ist, dass die gesetzlichen Kassen tatsächlich nur die Kosten für jene Fälle übernehmen, in denen ein medizinischer Behandlungsgrund vorliegt. Das ist nur begrenzt gelungen. Zwar sind die Behandlungs- zahlen im Vergleich zu den 19980er und 1990er Jahren tatsächlich zurückgegangen. Damals hatte fast jedes Kind eine Zahnspange. Nach der KIG- Einführung sanken die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für kieferorthopädische Leistungen zunächst. Doch mittlerweile haben wir wieder den Wert aus dem Jahr 2000 erreicht: 2015 lagen die Ausgaben bei knapp 1,1 Mrd. Euro, fast genauso hoch wie vor der KIG-Einführung. Der GKV-Spit- zenverband erklärt dazu auf Nachfrage: „Im selben Zeitraum sind die Ausgaben pro Behandlungsfall dagegen stark gestiegen. Das liegt zum einen daran, dass der Punktwert für die Abrechnung der kiefer- orthopädischen Leistung anstieg (allgemeine Kos- tensteigerung), zum anderen hat sich der Anteil der Demnach gehen die Zahlen seit Jahren leicht zu- rück. 2015 wurden in Deutschland knapp 618.000 kieferorthopädische Behandlungen begonnen, etwa halb so viele wie 2001, dem Jahr vor der KIG-Ein- führung. Das sogenannte KIG (kieferorthopädische Indikationsgruppen)-Schema unterteilt Zahnfehl- stellungen in 5 Klassen, nur noch Kinder mit starker Fehlstellung werden seitdem auf Kassenkosten be- handelt. Zahlen liefert auch die Deutsche Mundgesundheits- studie, durchgeführt vom Institut der Deutschen Zahnärzte. Die repräsentative Studie ist seit 1989 fünf Mal erschienen, zuletzt 2015. Da allerdings wur- den nicht mehr die kieferorthopädischen Behand- lungen erhoben. In den vorhergehenden Studien von 1997 und 2005 zeigte sich, dass gut jedes zweite Kind in kieferorthopädischer Behandlung ist oder diese geplant ist. Die Zahlen waren von 1997 zu 2005 leicht rückläufig, aber noch immer hoch. Ganz gleich, welche Statistik man zu Rate zieht: Sie alle weisen auf eine relativ hohe Behandlungsquote hin. Je nach Lesart tragen zwischen 45 und 65 Pro- zent der Kinder und Jugendlichen eine Zahnspange. Und auch wenn es kaum internationale Erhebungen zum Thema gibt, so deutet doch Einiges daraufhin, dass Deutschland einsame Spitze ist. In kaum einem Zahnspangen sind in der Regel Kassenleistung. Dennoch zahlen viele Eltern zu, im Schnitt 1.200 Euro. Auch farbige Brackets kosten extra. Foto: Kieferorthopädie / Svea Pietschmann

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