lausebande-11-2017

Titelthema :: Seite 46 nicht darüber aufgeklärt wurden, dass auch die Möglichkeit besteht, die Behandlung später oder gar nicht durchzuführen. Stattdessen wurden sehr viele Eltern vor den Risiken einer Nichtbehandlung gewarnt. Zudem hätten viele Ärzte darauf hingewie- sen, die Behandlung zeitnah zu beginnen, da die Kassen die Kosten nur bis zum 18. Geburtstag über- nehmen. In der Studie heißt es: „Die Forschungsli- teratur geht von der relativen Ungefährlichkeit von Zahnfehlstellungen aus, sodass derartige Angstsze- narien absolut unbegründet erscheinen.“ 65 Prozent der befragten Jugendlichen gab an, zunächst mit einer herausnehmbaren Spange behandelt worden zu sein, bevor eine feste Spange folgte. Der Nutzen dieser frühen Behandlung noch vor Abschluss des Zahnwechsels mit einer herausnehmbaren Spange, ist in der Fachwelt ebenfalls umstritten. Befürwor- ter sagen: So könne man frühzeitig Fehlstellungen vorbeugen und die Gesamtbehandlungsdauer ver- kürzen. Kritiker halten eine so frühe Behandlung, wenn Zähne und Kiefer sich noch im Wachstum be- finden, für unnötig. Sie sei sehr viel schneller und preiswerter machbar, wenn man erst die bleiben- den Zähne behandele. In der Studie heißt es dazu: „Der hohe Anteil junger Patienten, die zunächst mit zusätzlichem, finanziellem und zeitlichem Aufwand mit losen Zahnspangen behandelt werden, ist wissen- schaftlich nicht zu rechtfertigen. Der hohe Anteil an herausnehmbaren Apparaturen kann zusätzlich die lange aktive Behandlungsdauer in Deutschland erklä- ren. Natürlich gibt es Ausnahmefälle, in denen eine Frühbehandlung durchaus indiziert sein kann, doch für das Gros der Kinder bleibt die Behandlung mit fes- ter Zahnspange im bleibenden Gebiss das Mittel der Wahl: Sie ist kürzer, effektiver und kostengünstiger als die zweiphasige Behandlung mit loser und fester Zahnspange.“ Interessant sind auch die Ergebnisse zu den Grün- den der Behandlung: Funktionelle und psychosozi- ale Probleme oder Beschwerden der Kinder spielen vor Behandlungsbeginn fast keine und nur bei einer Minderheit eine veranlassende Rolle. Aber gut die Hälfte der Befragten gab an, dass ihnen ästhetische Gründe wichtig sind. Fast immer hat der Arzt über die Notwendigkeit einer Behandlung entschieden. 85 Prozent der Eltern gaben an, dass ihnen privat zu zahlende Zusatzleistungen in Rechnung gestellt wurden, im Schnitt zahlten Eltern 1.200 Euro. Das reine Kassenmodell ohne jegliche Zusatzkosten für die Eltern ist nur wenig verbreitet. Aber es gab in der Studie auch Lob für die Kieferorthopäden: Fast 90 Prozent der Befragten waren insgesamt zufrieden mit der Behandlung. Kritik gab es nur im Detail: So hätten sich 43 Prozent eine kürzere Behandlung ge- wünscht. Trotz des Lobs: Einige der Ergebnisse dürf- ten den Kieferorthopäden nicht gefallen haben. Ei- ner der Autoren dieser Studie, der Kieferorthopäde Alexander Spassov, hat nach der Veröffentlichung seine Stelle an einer Klinik verloren. Diese Befragung bestätigt, was Kritiker wie Mad- sen sagen: Die wenigsten Spangenträger haben zu Behandlungsbeginn gesundheitliche Probleme auf- grund ihrer schiefen Zähne. Dass sie ohne Spange tatsächlich welche bekämen, ist unwahrscheinlich. Vielmehr scheinen manche Zahnärzte die Angst ihrer Patienten auszunutzen. So baut eine kiefer- orthopädische Praxis auf Ihrer Internetseite noch ganz andere Gefahren-Szenarien auf, sollte die Fehlstellung unbehandelt bleiben: „Vielfältige Ent- wicklungsstörungen wie ADHS, Konzentrations- oder Lernstörungen können im Zusammenhang mit Zahn- und Kieferfehlstellungen stehen. Zudem kann eine Rücklage des Unterkiefers oder ein zu schmaler Kiefer bereits im Kindesalter Atemprobleme, Schnarchen und Schlafstörungen mit Folgeerscheinungen hervor- rufen.“ Stattdessen spielen in fast allen Fällen ästhetische Aspekte eine Rolle: Kinder und Eltern möchten ein strahlendes, gleichmäßiges Lächeln. Die Frage: Muss man das öffentlich finanzieren über die ge- setzliche Krankenversicherung oder sollte dies nicht lieber privat finanziert werden? Madsen hat dazu eine klare Meinung: „Die begrenzten Mittel unseres Gesundheitswesens sollten sehr sorgfältig eingesetzt und nur das wirklich Notwendige finanziert werden. Ich denke, dass es sehr viel ernstere Probleme im Ge- sundheitswesen gibt als schiefe Zähne.“ Darüber werden Patienten, die seine kieferortho- pädische Praxis aufsuchen, auch aufgeklärt. Viele wünschen gleichwohl eine Behandlung aus ästheti- schen Gründen. Der Wunsch nach einen perfekten Lächeln sei durchaus legitim, allein die Frage nach der Bezahlung ist es auch. Andere kosmetische Be- handlungen werden schließlich auch nicht von den Kassen getragen. Etwas anderes sei es, wenn Kinder

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