lausebande-11-2017

Titelthema :: Seite 52 Folglich lautet ein Vorwurf, mit dem sich Kieferor- thopäden – aber auch Zahnärzte allgemein – immer wieder konfrontiert sehen: Sie wollen mit ihren Pa- tienten vor allem viel Geld verdienen. Aus diesem Grund versuchen sie auch möglichst viele Zusatz- leistungen an den Mann bzw. das Kind zu bringen. Ein gewisser Preissprung beim Kieferorthopäden war nach 2004 zu verzeichnen. Seitdem zahlen die Krankenkassen weniger für kieferorthopädische Leistungen, die Gebührenordnung wurde ange- passt, zuungunsten der Zahnärzte. Die fehlenden Einnahmen versuchen Kieferorthopäden – aus ihrer Sicht durchaus nachvollziehbar – auf anderem Weg wieder einzuholen. Die Unabhängige Patientenberatung weist darauf hin, dass zahnmedizinische Behandlungen generell sehr preisintensiv sind, dass es aber Gebührenord- nungen gebe, nach denen sich die Ärzte zu richten hätten (siehe Interview). Die Zahnarzt-Rechnung setzt sich aus zwei großen Posten zusammen: 1. zahnärztliches Honorar 2. Material- und Laborkos- ten. Diese werden nach zwei unterschiedlichen Ge- bührenordnungen abgerechnet: Kassenleistungen werden bis auf die Laborkosten über den BEMA abgerechnet, den Bewertungsmaßstab für zahnärzt- liche Leistungen. Seine Sätze sind niedriger als die privat abgerechneten. Privatleistungen werden über die „Gebührenordnung für Zahnärzte” (GOZ) abge- rechnet. Die Laborleistungen und Materialkosten laufen separat. Ein weiterer Faktor, der zu sehr un- terschiedlichen Behandlungskosten führen kann: Je nach Aufwand und Schwierigkeit der Behandlung, wird diese mit einem Faktor zwischen 1 und 3,5 multipliziert. Preistreiber auf der Zahnarztrechnung sind meist die Laborkosten und darauf hat der Pa- tient fast keinen Einfluss. Die Laborpreise sind zum Teil reguliert, können aber stark variieren. In der Re- gel arbeitet eine Zahnarztpraxis mit einem bestimm- ten Labor zusammen. Auch aus diesem Grund kann sich eine Zweitmeinung lohnen. Wenn die zweite angefragte Praxis mit einem anderen Labor zusam- menarbeitet, führt das zu anderen Preisen. Viele Kieferorthopäden haben allerdings ein eigenes Labor. Zusatzversicherung: sinnvoll oder nicht? Eben weil die Zahnmedizin so preisintensiv ist, ver- dienen nicht nur Zahnärzte und Labore gut daran. Noch eine dritte Gruppe profitiert vomWunsch nach Die Kieferorthopäden begründen die angebotenen Zusatzleistungen in der Regel mit einer kürzeren und schmerzärmeren Behandlung. Wer will das schon seinem Kind vorenthalten? Es gibt immer mal wieder Eltern, die sagen, sie fühlten sich vom Kie- ferorthopäden unter Druck gesetzt, diese Zusatzleis- tungen auch in Anspruch zu nehmen. Sonst sei die weitere Behandlung in der Praxis nicht möglich. Ob es solche Fälle tatsächlich gibt, ist nicht ganz klar. Rein rechtlich dürfte ein Kieferorthopäde natürlich nicht mit Behandlungsabbruch drohen, da die reine Kassenbehandlung jedem Kassenpatienten zusteht. Praktisch kann es auf einmal schwierig sein, Termi- ne zu bekommen oder es gibt nur noch Vormittags- termine, was mit einem Schulkind kaum umsetzbar ist. Dieser Druck wird die Ausnahme sein, dass El- tern am Ende zuzahlen, ist aber nicht die Ausnahme – sondern die Regel. Die Höhe der in Rechnung gestellten Zuzahlungen kann stark schwanken – 400 Euro sind ebenso mög- lich wie 2.000 Euro. Wer unsicher ist, ob und welche Zusatzleistungen sinnvoll sind, kann sich bei der Unabhängigen Patientenberatung Rat holen (siehe Interview) oder eine Zweitmeinung von einem Fach- kollegen einholen. Die Kosten dafür trägt die Kasse. Wie unterschiedlich Erst- und Zweitmeinung nicht nur in Hinsicht auf die Kosten ausfallen können, zeigt eine Untersuchung von Stiftung Warentest 2010: Sie gingen mit drei Patienten zu je zwei Kie- ferorthopäden und ließen sich einen Behandlungs- und Kostenplan aufstellen. Die großen Unterschiede in Befund, Therapie und Kosten sind ernüchternd bis erschreckend. So soll derselbe Kreuzbiss einmal mit Zuzahlungen in Höhe von 700 Euro und einmal in Höhe von 4.000 Euro therapiert werden. Behandlung. Gesetzlich krankenversicherte Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben bei schweren Zahnfehlstellungen (ab KIG 3)Anspruch auf ein komplett kassenfinanzierte Behandlung. Die Krankenkasse übernimmt zunächst 80 Prozent, bei Geschwisterkindern 90 Prozent der Kosten. Die restlichen 20 bzw. 10 Prozent müssen die Eltern zunächst selbst bezahlen, bekommen sie aber nach erfolgreichemAbschluss der Behandlung von der Kasse erstattet. Darüber hinaus zahlt die große Mehrheit der Eltern trotzdem zu – und zwar für private Zusatzleistungen von der Zahnversiegelung, über farbige Brackets bis hin zu zusätzlicher Fotodiagnostik. Laut Gesundheitsmonitor 2016 zahlten 85 Prozent der befragten Eltern für zusätzliche Leistungen – im Schnitt 1.200 Euro pro Kind. Die Kieferorthopäden begründen die angebotenen Zusatzleistungen in der Regel mit einer kürzeren und schmerzärmeren Behandlung. Wer will das schon seinem Kind vorenthalten? Es gibt immer mal wieder Eltern, die sagen, sie fühlten sich vom Kieferorthopäden u t r Druck ges tzt, diese Zusatzleistungen auch in Anspruch zu nehmen. Sonst sei die weitere Behandlung in der Praxis nicht möglich. Ob es solche Fälle tatsächlich gibt, ist nicht ganz klar. Rein rechtlich dürfte ein Kieferorthopäde natürlich nicht mit Behandlungsabbruch drohen, da die reine Kassenbehandlung jedem Kassenpatienten zusteht. Praktisch kann es auf einmal schwierig sein, Termine zu bekommen oder es gibt nur noch Vormittagstermine, was mit Schulkind kaum umsetzbar ist. Dieser Druck wird dieAusnahme sein, dass Eltern am Ende zuzahlen ist aber nicht dieAusnahme sondern die Regel. Die Höhe der in Rechnung gestellten Zuzahlungen kann stark schwanken – 400 Euro sind ebenso möglich wie 2.000 Euro. Wer unsicher ist, ob und welche Zusatzleistungen sinnvoll sin , kann sich bei der Unabhängigen Patientenberatung Rat holen (s. Interview) oder eine Zweitmeinung von einem Fachkollegen einholen. Die Kosten dafür trägt die Kasse. Wie unterschiedlich Erst- und Zweitmeinung nicht nur in Hinsicht auf die Kosten ausfallen können, zeigt eine Untersuchung von Stiftung Warentest 2010: Sie gingen mit drei Patienten zu je zwei Kieferorthopäden und ließen sich einen Behandlungs- und Kostenplan aufstellen. Die großen Unterschiede in Befund, Therapie und 48 37 37 34 25 21 0 10 20 30 40 50 60 Häufigkeit der privat bezahlten Leistungen (in Prozent) Quelle: Gesundheitsmonitor 2016

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