lausebande-11-2017
Titelthema :: Seite 53 ten Kieferorthopäden nur selten zum Abwarten. Ein Hauptgrund – auch für die Eltern – liegt darin, dass die Krankenkasse nur für Kinder und Jugendliche zahlt. Ab 18 Jahren muss man für ein perfektes Lä- cheln selbst zahlen. Insofern sollten Eltern und Kin- der gemeinsam die Vor- und Nachteile und auch die Risiken abwägen. Ist uns ein schönes Lächeln wirk- lich so wichtig, dass wir diese sehr lange, sehr teure Behandlung in einer so schwierigen Lebensphase wie der Pubertät auf uns nehmen wollen? Ohne Frage sind gesunde, gerade, weiße Zähne in unse- rer Gesellschaft ein wichtiges Aushängeschild. Dass man es auch ohne perfekte Zahnreihe bis nach Hol- lywood schaffen kann, zeigen prominente Beispiele wie Madonna, Jürgen Vogel oder Woody Harrelson. Sie alle haben ein sympathisches Lächeln, bei dem manch ein Kieferorthopäde vermutlich die Hän- de über dem Kopf zusammenschlagen würde. Das Schlusswort wollen wir aus diesem Grund jeman- dem überlassen, der die Entwicklung der Zahnme- dizin hin zum Schönheitsdienstleister sehr kritisch sieht, dem Mediziner und Philosoph Giovanni Maio: „In einer Kultur, in der so viele Gebisse nach ästhe- tischen Gesichtspunkten medizinisch modifiziert werden, wird am Ende auch das durchschnittliche Gebiss als mangelhaft empfunden werden. Durch das Anbieten von ästhetischen Eingriffen sorgt die Medizin erst dafür, dass eine Nachfrage geschaffen wird, die ohne die Medizin selbst nicht aufgekom- men wäre. […] So ist der moderne Dienstleisterarzt und Wunscherfüller mit dafür verantwortlich, dass junge (und zunehmend auch alte) Menschen glau- ben, ihre Zähne ästhetisch verändern zu müssen, um Anerkennung zu finden. ... Was ist das für eine Vorstellung vom Menschen, wenn man davon aus- geht, dass man nur mit einem gleichmäßigen Gebiss ein lebenswertes Leben führen kann? Eine solche Medizin hat sich von ihrem ureigensten Auftrag, eine Hilfe für krank gewordene, für in Not geratene Menschen zu sein, verabschiedet und sich dazu he- rabgelassen, Erfüllungsgehilfin einer mit Ideologien behafteten Konsumgesellschaft zu werden. Sie ist zuweilen nicht mehr als eine Dienerin der Beauty- Industrie. Daher wird die ästhetische Zahnmedizin als Medizin nur dann eine Zukunft haben können, wenn sie das bewahrt, was ihr größtes Pfand ist, nämlich das Vertrauen in ihre moralische Integri- tät.“ (Vortrag 2007: Die Zahnmedizin zwischen Heil- kunde und Beauty-Industrie) schönen Zähnen: die Versicherungen. Laut Verband der privaten Krankenversicherung (PKV) hatten 2015 knapp 15 Millionen Bundesbürger eine private Zahnzusatzversicherung abgeschlossen. Die Zahl wächst stetig: Jedes Jahr kommen etwa 500.000 Neuverträge hinzu. Je nach Vertrag sichern diese kieferorthopädische Behandlungen oder Implan- tate ab. Einige Versicherer bieten auch Zusatztarife speziell als Absicherung für eine mögliche kieferor- thopädische Behandlung von Kindern an, Nachteil: In der Regel werden nur Kinder im Alter bis zu fünf Jahren versichert. War die Diagnose bei Versiche- rungsabschluss bereits bekannt, zahlt die Versi- cherung nicht mehr. Das heißt zum Beispiel: Ist bei Vorschulkindern auf dem Röntgenbild eine Zahn- fehlstellung erkennbar oder überweist der Zahnarzt zum Kieferorthopäden, ist es für den Abschluss einer Versicherung zu spät. Die Branche selbst rät dazu, bereits vor dem 3. Geburtstag eine kieferor- thopädische Zahnzusatzversicherung für den Nach- wuchs abzuschließen. Das ist für Eltern eine Inves- tition ins Blaue, die sich in der Regel vor allem für die Versicherung lohnt. Die Policen kosten um die 15 Euro im Monat. Wer diese Versicherung für sein vierjähriges Kind abschließt und die Versicherung vielleicht im Alter von neun Jahren in Anspruch nimmt, hat bis dato 900 Euro eingezahlt. Nicht eben wenig Geld. Eltern sollten gut abwägen, ob es gut angelegtes Geld ist. Gerade Eltern mit mehr als einem Kind können so auf hohe Zusatzkosten kommen. Erstattet werden auch nicht die gesamten Kosten der Behandlung bzw. der anfallenden Privat- leistungen, sondern nur ein Teil. Meist ist die Erstat- tung gedeckelt. Alternativen zur Zahnspange? Nachdem wir also die Vor- und Nachteile einer Zahnspangen-Behandlung betrachtet haben, wol- len wir zum Schluss die Frage beantworten: Welche Alternativen gibt es zur Zahnspange? Zunächst sei nochmals klar gestellt: Bei sehr schwe- ren Zahnfehlstellungen gibt es keine Alternative. Diese sollten unbedingt kieferorthopädisch behan- delt werden. Die Alternative ist der Verzicht auf eine Zahnspangenbehandlung oder das Abwarten. Je nach Alter und Fortschreiten des Zahnwechsels kann es sich lohnen, das natürliche Wachstum von Kiefern und Zähnen abzuwarten. Vielleicht schie- ben sie sich noch von allein zurecht. Gleichwohl ra- »
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MTcxMjA2