lausebande_2021-11_ebook

60 › Titelthema mit leichten Erkältungssymp- tomen lieber zu Hause lassen oder trotzdem in die Einrich- tung schicken? Prinzipiell sollte den Kindern wieder ein mög- lichst normales Leben mit Kita, Schule und Sportverein ermög- licht werden. Das brauchen sie, das tut ihnen gut. Die Entschei- dung bei einem Infekt sollte in- dividuell getroffen werden. Das hängt einerseits von der aktu- ellen Situation vor Ort ab: Wie ist die Test- und Maskenpflicht geregelt? Häufen sich lokal In- fekte? Aber in der Regel ist ein leichter Schnupfen unproblema- tisch. Anders sieht es aus, wenn weitere Symptome wie Husten oder Fieber hinzukommen. Dann sollte man das Kind lieber zu Hause lassen bzw. vom Kin- derarzt auf SARS-Cov-2 testen lassen. Das tut demKind gut und schützt davor, dass sich mehr Kinder anstecken und das Ge- sundheitssystemüberlastet wird. Unabhängig vom weiteren Verlauf der Pandemie wird empfohlen, Hygieneregeln wie Händewaschen und Ab- standhalten langfristig beizu- behalten, insbesondere in den Wintermonaten. Was ist denn für die Entwicklung des kindli- chen Immunsystems günstiger: Wieder mehr „Normalität“ in Kita und Schule oder das Beibe- halten strikter Hygieneregeln? Wir müssen sicher weiter achtsam sein. Die Pandemie ist Die Kitas waren lange fast leer, jetzt sind sie wieder voll, die Kinderarztpraxen ebenso. Über die Zusammen- hänge und die Folgen für die Kinder und ihr Immunsystem sprachen wir mit dem Medi- ziner Prof. Dr. med. Tobias Tenenbaum. Er ist Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugend- medizin Sana Klinikum Berlin Lichtenberg und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie. Mitte Oktober fand die Jah- restagung der Kinder- und Jugendmedizin statt – war die Pandemie ein Thema? Die Pan- demie und ihre Folgen haben natürlich eine Rolle gespielt. Wir haben dort ganz verschie- dene Aspekte betrachtet. Na- türlich ging es auch um die ak- tuelle Situation in den Kliniken und Kinderarztpraxen. Dort stehen die Kollegen fast überall vor der gleichen Herausforde- rung. Es gibt einen für diese Jahreszeit ungewöhnlichen Anstieg an Infektionen mit Atemwegsinfektionen wie dem RS-Virus bei Kindern. Dieses erhöhte Patientenaufkommen verzeichnen wir üblicherweise erst in den Wintermonaten. Dieses Jahr hat es deutlich früher eingesetzt. Woran liegt das? Zwei Jahr- gänge an Kindern konnten durch die Schließungen über Monate kaum oder gar nicht in die Kita. Deren Immunsystemhattewenig Gelegenheit, sich mit unter- schiedlichen Krankheitserregern auseinander zu setzen. Das holen sie jetzt nach. Das trifft prozen- tual nicht mehr Kinder als sonst, aber in summa ist es doch deut- lichmehr, weil so viele Kinder die Infekte jetzt nachholen. Wenn die Infekte jetzt einfach nachgeholt werden, müssen sich Eltern also nicht vor lang- fristigen Folgen für die Immun- abwehr der Kinder sorgen? Ich halte es für sehr unwahrschein- lich, dass das Immunsystem langfristig Schaden nehmen wird. Wichtig ist, dass sich das Immunsystem überhaupt mit Er- regern auseinandersetzt. Wo das geschieht – also ob im Kinder- garten, zu Hause oder draußen im Garten – ist zweitrangig. Die Kinder waren ja auch zu Hause Erregern ausgesetzt, wenn auch sicher nicht so stark wie in einer Gemeinschaftseinrichtung. Die langfristigen Nebenwirkungen des Lockdowns sehe ich eher auf anderen Ebenen, die für die Gesundheit von Kindern aber ebenso wichtig sind. Dazu ge- hören die Zunahme von Überge- wicht, von Angststörungen und anderen psychischen Problemen. Gerade kleine Kinder haben gefühlt alle vier Wochen eine Schnupfnase. Sollten Eltern sie in der aktuellen Situation Schritt für Schritt zurück zur Normalität Interviewmit Prof. Dr. med. Tobias Tenenbaum, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Sana Klinikum Berlin Lichtenberg und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie.

RkJQdWJsaXNoZXIy MTcxMjA2