lausebande-12-2019
Titelthema :: Seite 58 mit so wenig Hilfsmittel wie mög- lich. Natürlich gibt es auch mal Phasen, wo es ohne Nuckel oder auf dem Arm wiegen nicht geht, aber sie sollten nicht zur Dauerlö- sung werden. Vermutlich ist Ihnen der Ratgeber „Jedes Kind kann schlafen lernen“ in Ihrer Arbeit schon begegnet… Ja, fast alle Eltern, die zu uns kom- men, haben ihn zumindest schon in der Hand gehabt. Problema- tisch an Schlafratgebern finde ich grundsätzlich, dass eine Methode für alle Kinder empfohlen wird. Kinder sind aber sehr unterschied- lich, in ihrem Bindungsverhalten, in ihrem Regulationsvermögen. Generell erlebe ich es leider im- mer wieder, dass Eltern sich nicht mehr auf ihr Bauchgefühl verlas- sen. Sie lassen sich von Ratgebern oder Ratschlägen von Bekannten verunsichern und wissen nicht, was ihr Kind eigentlich braucht. Hat sich denn das Schlafverhalten von Kindern in den letzten Jahren verändert? Wenn man sich die Stu- dienlage anschaut, verändert sich insgesamt in unserer Gesellschaft das Schlafverhalten. Wir schlafen tendenziell kürzer, als wir es ma- chen würden, wenn wir nicht so eingespannt wären durch unseren Alltag. Das trifft v.a. die Erwachse- nen, hat aber auch Einfluss auf die Kinder, weil sie vomVerhalten der Erwachsenen lernen. Schlafen Sie eigentlich gut? Ich bin eine klassische Eule, was sich leider nicht so gut mit meinen Arbeitszeiten verträgt. Aber wenn ich einmal im Bett liege, dann schlafe ich sehr gut. Vielen Dank für das Gespräch. Aber das Beruhigen hilft nur kurz und spätestens, wenn die Eltern ver- suchen es abzulegen, geht es wie- der von vorn los… Ja, manmuss da- her aufpassen, dass man rechtzeitig die Kurve kriegt. Ich habe oft Eltern hier sitzen, die sagen, dass sie den Punkt versäumt haben, wo sie sich relativ einfach hätten zurückziehen können. Das sind tatsächlich keine Schlafstörungen von seiten des Kin- des. Das fühlt sich ja nicht unwohl, wenn es in den Schlaf geschaukelt wird. Die Schlafstörung haben die Eltern, weil ihr Schlaf nachts in der Folge ständig unterbrochen wird. Und was hilft dann? Wenn der Lei- densdruck sehr groß ist und die El- tern so erschöpft und verzweifelt sind, dass es ihnen zunehmend schwer fällt, liebevoll mit ihren Kin- dern zu sein, dann sollten sie sich tatsächlich professionelle Unter- stützung suchen. Wir schauen uns zunächst die Belastungssituation der Eltern an. Wenn Eltern es nicht schaffen, schwierige Einschlafge- wohnheiten zu Hause allein zu ver- ändern, bietenwir ihnen Unterstüt- zung an und laden sie auchmal für eineWoche zu uns in die Klinik ein. Was machen Sie dort? Das Kind hat möglicherweise eine falsche Ver- knüpfung gelernt, z.B. verbindet es das Fläschchen mit dem Einschla- fen. Wenn es dann nachts wach wird, sucht es die gleiche Situati- on, um wieder einzuschlafen und fordert das Fläschchen wieder ein – unabhängig davon, ob es hungrig ist. Wir versuchen die falsche Ver- knüpfung wieder zu lösen. Wenn ich bei dem Beispiel bleibe, dann versuchenwir zunächst das Trinken und das Einschlafen zeitlich und räumlich voneinander zu trennen. Das Fläschchen gibt es also schon eine halbe Stunde vor dem Zubett- gehen und nicht im Schlafzimmer. Das geht nicht von heute auf mor- gen, das ist ein längerer Prozess, bei demdas Kind unter Umständen auchWiderstand leistenwird. Denn von Seiten des Kindes gab es ja kei- nen Grund etwas zu ändern. Beim Thema Schlaf werden Eltern oft kreativ. Welche Fälle aus Ihrer Arbeit sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben? Da gibt es tatsächlich sehr phantasievolle Ge- schichten: auf dem Pezziball wip- pen, durch die Wohnung tragen, Staubsauger, Föhn oder Waschma- schine laufen lassen. Es gibt tau- send Sachen, die Eltern in ihrer Verzweiflung probiert haben und die auch erst einmal funktionie- ren. Aber wenn man das die ganze Nacht immer wieder machenmuss, damit das Kind schläft, dann geht den Eltern oft die Kraft aus. Was empfehlen Sie also stattdes- sen? Eigentlich ist der Schlüs- sel zum Ziel: weniger ist mehr. Je langweiliger, desto besser. Außen- reize reduzieren, das Zimmer ab- dunkeln und den Kindern zeigen: Ich bin für dich da, du kannst jetzt zur Ruhe kommen. Denn Schlaf hat auch etwas mit Geborgen- heit und Sicherheit zu tun. Na- türlich spüren Babys, wenn die Eltern nervös sind und kommen dann ebenfalls nicht zur Ruhe, das kann eine problematische Spirale in Gang setzen. Gibt es empfehlenswerte Ein- schlafrituale wie Nuckel oder Spieluhr? Je selbständiger das Kind einschläft, desto leichter fällt es ihm nachts wieder allein zur Ruhe zu kommen. Zuwen- dung und Nähe, aber am besten
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