lausebande-12-2025

52 › Titelthema Hinzu kommt die unausgesprochene Erwartung, dass alles „perfekt“ sein soll: das Essen, die Deko, die Stimmung. Kinder spüren diese Spannung oft feiner als wir Erwachsene und reagieren schneller als sonst mit Trotz, Unruhe oder eben Streit. Auch zwischen den Generationen liegen die Nerven manchmal blank – der Schwiegervater kritisiert das Menü, die Tante vergleicht die Geschenke und Mama ist einfach übermüdet. Weihnachten bündelt Nähe, Emotion und Stress – mitunter eine explosive Mischung. Dazu kommt, dass mehrere Familienmitglieder und Generationen auf engem Raum zusammensitzen – ohne Möglichkeiten des Rückzugs. Warum Streiten wichtig ist Obwohl in Familien Streit fast täglich vorkommt, kann er für alle Beteiligten unglaublich nervenaufreibend sein: mehrstimmiges Gebrüll, knallende Türen, herumfliegendes Spielzeug, Wuttränen, wüste Beschimpfungen. Das macht weder den Streitenden Spaß noch denen, die dem Streit zuhören oder zuschauen müssen. Doch was, wenn wir Streit nicht als Störfaktor, sondern als natürlichen Teil des Familienlebens begreifen? Wenn wir ihn als eine Art Trainingsfeld verstehen – für Kinder und Erwachsene gleichermaßen? In Familien mit Kindern ist das tägliche Aufeinandertreffen unterschiedlicher Bedürfnisse unausweichlich. Das Baby braucht Aufmerksamkeit, das Kindergartenkind will spielen, das Schulkind verlangt Ruhe bei den Hausaufgaben. Die Eltern müssen noch schnell was für Arbeit erledigen und der Haushalt ist schon wieder liegen geblieben. Alle wollen gehört werden. Streit ist dann der Moment, in dem Grenzen spürbar werden – aber auch der Moment, an dem Beziehungen wachsen können. Daher sollten Eltern auf den Satz „Hört doch mal auf zu streiten“ lieber verzichten. Kinder, die in einer Familie leben, in der Streit nicht als Bedrohung, sondern als Teil des Miteinanders verstanden wird, entwickeln langfristig eine innere Sicherheit. Sie wissen, dass sie auch geliebt sind, wenn sie mal sehr wütend sind oder gemeine Sachen sagen. Sie lernen, dass Beziehungen auch dann bestehen bleiben, wenn man unterschiedlicher Meinung ist. Diese Erfahrung ist ein Schatz für ihr weiteres Leben – in Freundschaften, in der Schule, irgendwann im Beruf und in der Partnerschaft. Denn wer früh erlebt, dass man nach einem Konflikt wieder zueinanderfinden kann, geht auch als Erwachsener konstruktiver mit Spannungen um. Forscherinnen und Pädagogen sind sich einig: Kinder, die streiten dürfen, entwickeln soziale und emotionale Kompetenz. Sie lernen, eigene Wünsche zu formulieren, Frust auszuhalten und Kompromisse zu finden. In der Psychologie spricht man vom „sozialen Lernen am Konflikt“. Geschwister, die miteinander ringen, testen nicht nur Kräfte, sie üben Frustrationstoleranz und Empathie. Wer lernt zu sagen: „Ich bin wütend, weil du mein Lego genommen hast“, anstatt zu "Gib her. Ich hatte das zuerst." Der Streit ums Spielzeug oder Tablet gehört zu den Klassikern im Kinderzimmer. Foto: PeopleImages, istock

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