schlagen, trainiert Sprachfähigkeit, Selbstbeherrschung und Mitgefühl. Studien zeigen, dass Kinder, die früh erfahren, dass Streit nicht das Ende der Beziehung bedeutet, später in Freundschaften und Partnerschaften stabiler agieren. Natürlich gibt es auch die Schattenseite: Wenn Streit ständig eskaliert, wenn Beschimpfungen oder körperliche Übergriffe zur Regel werden, wenn Kinder oder Eltern sich verletzt und ohnmächtig fühlen, dann verliert der Konflikt seine Lernfunktion. Dann entsteht Angst statt Entwicklung. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern einen sicheren Rahmen schaffen und dass sie unterscheiden lernen, wann ein Streit zum Wachstum beiträgt und wann er Schaden anrichtet. Einmischen oder raushalten? Viele Eltern fragen sich: Wann sollte ich eingreifen, und wann lieber laufen lassen? Es gibt einerseits jene, die jeden Konflikt sofort schlichten wollen. Aus Sorge, die Kinder könnten sich verletzen, kommen sie dazu, sobald es im Kinderzimmer lauter wird. Doch damit nehmen sie Geschwistern eine entscheidende Lernerfahrung: die Fähigkeit, Konflikte eigenständig zu lösen. Kinder, die nie die Erfahrung machen, selbst eine Einigung zu erzielen, werden später eher konfliktscheu oder passiv. Andere wiederum überlassen die Kinder sich selbst – mit der Haltung: „Das müssen die unter sich klären.“ Auch das birgt Risiken. Denn Kinder brauchen Orientierung und emotionale Sicherheit, um sich in Streitmomenten nicht zu verlieren. Es ist also ein Balanceakt für Eltern: präsent, aber nicht dominierend sein. Im Idealfall beobachten Eltern zunächst, wie die Kinder miteinander umgehen. Wenn sie beispielsweise nur um ein Spielzeug streiten und sich vorrangig verbal behaupten, ist es gut, sie das selbst klären zu lassen. So lernen sie, Verantwortung für ihre Gefühle zu übernehmen. Eingreifen sollten Eltern dagegen, wenn ein Kind regelmäßig unterliegt oder wenn es körperlich angegriffen wird. Aber auch hier ist die Grenze in jeder Familie sehr individuell. Manche Eltern stören sich schon daran, wenn mal geboxt oder gekniffen wird, für andere ist die Grenze erst überschritten, wenn Blut fließt. Sobald der Streit zu eskalieren droht, gilt es, die Streithähne kurz zu unterbrechen, Ruhe in die Situation hineinzubringen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Generell gilt, je jünger die Kinder sind, desto präsenter sollten Mama oder Papa bei einem Streit sein. Kleinkinder können noch nicht abschätzen, was passieren kann, wenn sie den Bruder mit der Gartenschaufel auf den Kopf hauen. Und auch bei einem großen Altersunterschied und ungleichen körperlichen Verhältnissen sollten Eltern das „schwächere“ Kind besonders im Blick behalten. Wichtig ist unabhängig vom Alter der Kinder: Eltern sind keine Richter, sondern Begleiter. Sie helfen, Worte zu finden, an zuvor vereinbarte Regeln zu erinnern, Gefühle zu übersetzen – aber sie nehmen den Kindern nicht die Verantwortung ab. Es hilft meistens nicht, sich das Geschehene nochmal detailliert von beiden Seiten schildern zu lassen, zumal es nicht darum geht, einen Schuldigen zu finden, sondern eine Lösung zu finden. Hilfreiche Sätze können sein: • „Ich habe den Eindruck, ihr kommt hier gerade allein nicht weiter. Braucht ihr meine Hilfe, kann ich euch unterstützen?“ • „Ihr wollt gerade beide mit dem Spielzeug spielen. Das geht nicht. Habt ihr eine Idee, wie wir das lösen können, dass beide damit spielen können?“ • „Ihr scheint mir beide gerade echt sauer zu sein. Wollt ihr mir mal sagen, warum ihr so sauer seid?“ • „Du bist aber traurig, wollen wir beide mal eine Runde kuscheln, bis der Kummer weg ist?“ • „Bei euch ist es aber ganz schön laut. Ihr spielt gar nicht mehr miteinander. Braucht ihr vielleicht eine Pause und wollt erstmal getrennt weiterspielen?“ Oft sind die Gemüter so erhitzt, dass es gar nicht möglich ist, den Konflikt gleich zu klären. Stattdessen sollte man die Kinder für einen Moment räumlich trennen und den Disput später gemeinsam auswerten. Manchmal brauchen beide Kinder oder eines von beiden auch einfach nur Trost oder Jemanden zum Kuscheln. Bedürfnisse erkennen Streit entzündet sich oft an für Eltern scheinbar banalen Dingen: Wer bekommt den besseren Platz, wer darf zuerst ans Tablet, wer hat mehr Gummibärchen, wer darf länger auf Papas Schoß sitzen? Doch dahinter steckt fast immer etwas Tieferes: das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, nach Gerechtigkeit, nach Zugehörigkeit. Besonders stark ist das bei Geschwistern ausgeprägt. „Warum darf sie länger aufbleiben?“ oder „Warum hast du ihm geholfen und mir nicht?“ sind typische Sätze, in denen sich im Grunde Titelthema ‹ 53
RkJQdWJsaXNoZXIy MTcxMjA2