lausebande-12-2025

Titelthema ‹ 61 Wir kommen mit so vielen Menschen, mit all ihren individuellen Vorstellungen, Anliegen, Werten und Erwartungen zusammen, dass es zwangsläufig zur Reibung kommt. Auseinandersetzen heißt, die Reibungsthemen auf den Tisch zu legen, um zu verstehen, warum der andere so tickt, wie er es tut und man selbst die Möglichkeit hat, zu erklären, warum einem die eigene Sichtweise so wichtig ist und warum man nicht willens ist, Situationen einfach hinzunehmen. Allein dieser Austausch beruhigt unsere Erregungsspirale ungemein und nicht selten kommt es zu der Erkenntnis, dass man in der Sache gar nicht so weit auseinanderliegt. Eine erzwungene Harmonie hingegen, um des sogenannten lieben Friedens willen, ist teuer erkauft. Man muss sich auf Dauer verbiegen, kann vielleicht sein Potenzial nicht ausleben. Vor allem aber geht wertvolle Zeit verloren für eine bessere gemeinsame Lösung, die man hätte erstreiten können. Richtig angegangen kann Streit eine Kraft sein, die so vieles schafft: Missverständnis-Aufklärer, Blockade-Auflöser. Sie ist Verständigungskraft und auch Beziehungsverstärker, die uns als Menschen näher zusammen bringen kann. In sozialen Medien und im öffentlichen Diskurs scheint Streit häufig in Polarisierung zu enden – nicht in Verständigung. Können wir als Gesellschaft vielleicht in der kleinen Einheit Familie gutes Streiten lernen, um auch gesellschaftlich wieder „besser“ zu streiten? In der ffentlichkeit nehme ich auch eher Gezänk, Frontalangriff oder Totschweigen war. Nachahmungswürdige Streitvorbilder sind hier kaum zu finden. Es ist nicht der Streit, der Probleme schafft, es ist die Art und Weise, wie wir miteinander streiten. Deswegen hat Streit auch ein so schlechtes Image. Wobei wir verstehen sollten, dass unsere Streitkultur wir alle sind. Diejenigen, die sich lautstark in erster Reihe produzieren, aber auch die große Masse, die schweigend zusieht und dadurch akzeptiert. „Charity begins at home“ ist ein Zitat aus dem englischen Sprachraum – „Nächstenliebe beginnt Zuhause“. Werte werden in der Familie vermittelt und dort auch gelebt, ob nun ganz bewusst oder eher passiv – sie prägen die Familienmitglieder. Ich glaube, wir alle kennen das 11. Gebot: „Hört endlich auf zu streiten! Vertragt euch!“ Auf der einen Seite mehr als verständlich, aber wie soll das gelingen? Denn die Probleme, die Kinder nun einmal haben, ob es darum geht, wer das Spielzeug bekommt oder auch der Kampf um elterliche Aufmerksamkeit, lösen sich nicht einfach in Luft auf, nur weil einem gesagt wird, dass man aufhören soll, darum zu kämpfen. Kinder sind sicherlich nicht emotional einfältig, im Gegenteil, sie haben ein besonders feines Gespür für die Schwingungen in der Familie und Kinder ahmen nach. Wie kann echte Harmonie entstehen, wenn ich die Bedürfnisse, des Andern nicht kenne? Wenn ich nicht weiß, warum er wütend ist, sich hintenangestellt fühlt oder Angst hat. Was hilft, wie so oft, ist Zeit. Sich Zeit zu nehmen, um zu verstehen, worum es im Streit eigentlich geht. Keine schnellen Pauschallösungen oder gar Bestrafungen und Verurteilungen, sondern wirklich echtes, empathisches Zuhören. Seinen Kindern Konfliktfähigkeit mitzugeben, macht sie unglaublich stark und widerstandsfähig und stärkt ihre Beziehungsfähigkeit – ein großer Gewinn für den Einzelnen, vor allem aber auch für die Gesellschaft. Im Buch schreiben Sie, dass es nicht so sehr um „Streittechniken“ geht, sondern um eine Haltung gegenüber Konflikten. Welche drei Haltungselemente würden Sie als besonders zentral bezeichnen? Und lassen sich diese auch auf Familienkonflikte übertragen? Ob ein Konflikt sich furchtbar oder fruchtbar entwickelt, darauf habe ich einen großen Einfluss und es ist weniger eine Frage der guten Technik, als vielmehr der inneren Haltung. Diese prägt das menschliche Klima, gerade in einem Konflikt: Bin ich lösungsorientiert und beziehungserhaltend, offen für andere Meinungen, kann ich eventuelle Irrtümer eingestehen? Grundsätzlich gilt: Je gefestigter, je mehr ich mit mir selbst im Reinen bin, um so weniger muss ich in einem Streit „lautstark“ auf den Anderen zeigen. Wenn ich mich auf drei Haltungspositionen festlegen sollte, wären es folgende: Augenhöhe: Ich handle weder aus einer gefühlten Position über- oder unterlegen zu sein. Respekt: für mein Gegenüber, auch wenn er eine andere Meinung hat oder gerade dann. Anständigkeit: kein Tricksen. Ich behandle den Anderen so, wie ich behandelt werden möchte. Dieses Grundverhalten ist ein Angebot an mein Gegenüber zu einer guten Auseinandersetzung zu kommen, an deren Ende eine gemeinsame Lösung steht oder wenigsten die Erkenntnis, dass, wenn wir in der Sache nicht zueinanderfinden, wir uns als Menschen ein ganzes

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