„Im Sinne des Kindes“

Datum: Dienstag, 04. November 2014 09:22

Jörg Maywald, 59, Honorarprofessor an der FH Potsdam,
Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind

Wie viele Trennungskinder gibt es in Deutschland?
Wir rechnen mit etwa 200.000 Kindern, die jedes Jahr neu von Trennungen und Scheidungen betroffen sind, davon etwa 140.000 von Scheidungen. Umgerechnet ist das etwa jedes vierte Kind im Laufe seines Kinder- und Jugendlebens. Man könnte fast meinen, dass es zu einer gewissen Normalität geworden ist.

Verarbeiten Kinder Trennungen anders als Eltern?
Die Kinder haben in aller Regel die Trennung der Eltern nicht gewollt, sind aber stark davon betroffen. Es ist in jedem Fall eine Belastung. Wie nachhaltig diese ist, das kann sich sehr unterscheiden. Viele bewältigen sie nach einer Krise sehr gut, Leistungen steigen wieder an, emotional wird sie verarbeitet. Eine Minderheit hat größere Probleme, gerade bei einem Hin und Her bei den Eltern. Das ist oft der Fall, wenn sie instrumentalisiert werden und wenn Eltern sich gegeneinander ausspielen. Daraus folgen häufig große Schwierigkeiten bis hin zur Behandlungsbedürftigkeit des Kindes im therapeutischen Sinne.

Sind Trennungen immer schlimm für Kinder?
Die Scheidung wird manchmal auch als Entlastung wahrgenommen. Konflikte, die vorher vor den Augen des Kindes ausgetragen wurden, gibt es nun nicht mehr. Dies kann sogar befreiend wirken. Hier gilt gleiches für Kinder und Eltern. Eltern bleiben ein Leben lang Eltern, Paare können getrennt sein. Immerhin 10 bis 20% der Trennungen sind hochkonfliktreich und die Situation für die Kinder entspannt sich nicht, sie werden instrumentalisiert oder gegen das andere Elternteil ausgespielt.
Ein Elternteil das sich vorher zum Beispiel nur wenig um das Kind gekümmert hat, will bei einer Trennung plötzlich alles 50:50 geteilt haben, auch das Kind – eher aus Rachegründen als aus neuem Pflichtgefühl. Möglichst wenig Veränderung und so viel Kontinuität wie möglich für das Kind ist meist das Beste – sowohl örtlich als auch zu den Bezugspersonen. Freunde, Vereine, Kindergarten und Schule sind hier die Konstanten.
Selbst gutmeinende und gebildete Eltern kommen bei Trennungen oft an ihre Grenzen. Sie verlieren ihr Kind dabei oft aus dem Blick und viele benötigen dabei durchaus Hilfe, die sie in Anspruch nehmen sollten. Eltern und Kinder haben hier Rechte, solche Unterstützungen in Anspruch zu nehmen. Mediationen sind auch ein Mittel, um nicht Gerichte bemühen zu müssen, zum Beispiel bei der Frage, wann sich das Kind bei wem aufhält. Hilfen anzunehmen, ist keine Schande oder ein Zeichen von Schwäche, eher sogar ein Zeichen von Stärke und Weitblick im Sinne des Kindes.

Gibt es einen Königsweg, wie Paare es ihren Kindern sagen sollten, dass die Zukunft getrennt stattfindet?
Beide Eltern sollten die Nachricht möglichst gemeinsam übermitteln. Fragen, die das Kind nicht betreffen, sollten allerdings von ihm fern gehalten werden. Die Eltern sollten sich vorher genau überlegen, was sie dem Kind sagen und wie. Unterstützung durch eine dritte Person ist auch hier im Zweifel durchaus sinnvoll. Familienberatungsstellen sind der richtige Ansprechpartner und bieten Unterstützung. Generell sollte es erst gesagt werden, wenn Entschlüsse feststehen, nicht schon vorher, wenn Streitigkeiten aufkommen oder es „nur“ Überlegungen sind. Ganz wichtig ist, dem Kind nicht das Gefühl zu geben, an der Trennung der Eltern schuld zu sein. Eltern müssen dem Kind vermitteln, dass sie es waren, die die Entscheidung zur Trennung getroffen haben und dass sie auch weiterhin Eltern bleiben. Wichtig ist zu vermitteln, dass keine Abstriche in der Liebe und Zuwendung zum Kind auftreten werden. Kinder fragen sich manchmal auch, ob sich die Eltern jemals gemocht haben, auch das muss klar gestellt sein, dass es durchaus einmal eine schöne Zeit gab.

Stimmt das Gerücht, dass derjenige der geht, es einfacher hat?
Es ist zunächst die scheinbar einfachere Variante zu gehen, als verlassen zu werden. Auch hier sollten Eltern durchaus offen dem Kind gegenüber sein, ohne allerdings das Kind mit ihren Gefühlen zu belasten. Mutter und Vater gehen oft unterschiedlich damit um, gerade wenn ein Elternteil eine neue Beziehung hat. Der Trauerprozess nach einer intensiven Partnerschaft dauert in der Regel ein bis zwei Jahre. Die Gefühle reichen von Wut über Niedergeschlagenheit bis zum Anfreunden mit der neuen Situation und bereit sein für Neues.