Glubschaugen

Datum: Freitag, 28. Oktober 2016 11:41

Bei unseren Herbstaufräumarbeiten habe ich wieder mal über meine Kleine gestaunt. Okay, so klein ist sie mit knapp zehn Jahren nun auch nicht mehr, aber nach ihren drei großen Brüdern wird sie wohl auch mit 50 Jahren noch mein Nesthäkchen sein. Aber zurück zum Herbstputz. Sie kennen das sicher auch: genau wie im Frühjahr erfolgt auch im Herbst die Umstellung der Kleiderschrankkollektionen, diesmal von T-Shirt auf Pullover, von Shorts auf Winterjacke und Schal. In diesem Zusammenhang versuchen wir jedes Jahr natürlich auch, unsere Kinder von unnötigem Krempel im Kinderzimmer zu befreien. Bei meiner Kleinen sind das Heerscharen von Kuscheltieren, meist treudoof mit Glubschaugen um Gnade winselnd. Von meiner besseren Hälfte wurde ich diesmal instruiert, hart durchzugreifen und die „Staubfänger“ endlich einmal auszudünnen. So kündigte ich es meiner Kleinen an und ließ wieder einmal den Superpädagogen heraushängen. Wir zählten einmal die Plüschbevölkerung im gesamten Zimmer durch – und kamen dabei auf erstaunliche 174 Untermieter. Dann erhielt sie von mir aus einer Workshop-Collection farbige Klebepunkte, und zwar 80 grüne Punkte, 50 gelbe und 44 rote. Ich gab ihr drei Tage Zeit, die Punkte an ihr kleines Volk zu kleben, und zwar grüne für ihre Lieblinge, dann gelbe für die zweitwichtigsten Lieblinge und rote für die drittwichtigsten Lieblinge. Sie erahnen sicher schon meinen Plan. Meine Kleine klebte gleich drauf los und ich war mir sicher, dass sie über mein brutales Entplüschungsvorhaben hinter den lustigen Pünktchen noch im Dunkeln war. Die rot beklebten Plüschtiere wollte ich gleich aussondern, von den gelben sollte sie noch die Hälfte zum Daheimbleiben auswählen können. Sie wissen: Zuckerbrot und Peitsche, so funktioniert Erziehung nun einmal. Leider nicht bei meiner cleveren Kleinen.

Am gleichen Wochenende bekamen wir nämlich Besuch von Freunden, die sich nach dem Auszug ihrer großen Kinder als Pflegefamilie bewerben wollten. Meine Tochter bekam große Ohren und stellte unglaublich viele Fragen. Wie das denn sei mit so einem Kind auf Zeit, ob man das einfach nach ein paar Jahren rausschmeißt oder für immer lieb haben darf, ob es auch immer wieder nach Hause kommen darf, wenn es großgeworden ist. Natürlich erzählten wir alle, dass so ein Pflegekind immer zur Familie gehören wird und zu Hause immer gern gesehen ist. Sofort ging die nächste Fragerunde los: „Mit Tieren ist das aber genauso, oder Papa?“. Ich führte aus, dass es ganz auf die Tiere ankommt. Bei 50 Fischen im Aquarium ist das sicher etwas anderes als bei einem Hund. Ich grübelte und meinte, wenn man ein Tier so innig liebt, dass man ihm einen Namen gibt, es als Freund und Persönlichkeit betrachtet, dann wäre das sicher fast genauso wie ein kleines Pflegekind. Alle Erwachsenen nickten andächtig und ich war stolz wie Bolle auf meine kluge Antwort. Auch meine Tochter strahlte übers ganze Gesicht und ich freute mich umso mehr, dass sie offensichtlich ihren Papa für einen weisen Helden hielt. Da lag ich aber wie so oft weit daneben.
Den Rest des Tages samt nächstem Vormittag bekam ich meine Tochter nicht zu Gesicht. Dann wollte ich aber meinen Auftrag fürs Wochenende vollstrecken und die Plüschbrigade vereinzeln und ging in ihr Kinderzimmer. Dort waren alle Plüschtiere aufgereiht, aber keines trug einen bunten Punkt. Stattdessen hatte meine Kleine tatsächlich 174 Namensaufkleber gebastelt und jeder Plüschgeselle schaute mich treudoof mit Namensschildchen an. Sie stellte mir ihre Pflegekinder eins nach dem anderen vor und erzählte mir deren Lebensgeschichte. Vom Augenblick, als sie in ihr Zuhause kamen bis jetzt. Sie liebte sie alle. Bei Nummer 20 gab ich auf. Sie hatte meinen Plan mit den Klebepunkten natürlich durchschaut. Meine bessere Hälfte meinte, das hätte sich „der Herr Superpädagoge“ ja selbst eingebrockt. Den Rest des Wochenendes durfte ich Kuscheltiere entstauben. Eine Pflegefamilie ist eben kein Ponyhof. Euer lausitzDADDY