„Da ist noch viel zu tun“

Datum: Freitag, 20. September 2013 11:40

„Da ist noch viel zu tun“
Interview mit Wolfgang Seelbach, Sprecher des Landesrats der Eltern Brandenburg

Alle Eltern wählen in ihrer Klasse Klassenelternsprecher, die sich in der Elternkonferenz zusammensetzen und u.a. Schulelternsprecher(in) sowie eine(n) Vertreter(in) für den Kreiselternrat (KER) wählen. Die Kreiselternräte aus allen Brandenburger Kreisen wiederum wählen je 2 Mitglieder in den Landeselternrat (LER). Er ist das oberste Mitwirkungsgremium der Brandenburger Elternschaft, das unsere Interessen gegenüber dem Bildungsministerium vertritt und auf verschiedenen Ebenen Einfluss auf das Bildungssystem nehmen kann. Wir sprachen mit Wolfgang Seelbach, dem Sprecher unseres Brandenburger Landeselternrats:

Welche Aufgabe hat der Landeselternrat?
Er ist ein Mitwirkungsgremium. Er vertritt die Interessen der Elternschaft und berät das Ministerium zu Missständen in den Schulen. Außerdem entsendet der Landeselternrat 8 Mitglieder in den 32-köpfigen Landesschulbeirat, dem obersten schulischen Mitwirkungsorgan, in dem sich neben Eltern auch Lehrkräfte, Schüler und Verbände befinden. Hier steht das Ministerium regelmäßig Rede und Antwort und es werden Beschlüsse zu Verordnungen und Gesetzen gefasst. Ich wurde 2011 als Landeselternsprecher in den Vorstand des Landesschulbeirates gewählt.

Aus welchen Gründen engagieren Sie sich ausgerechnet an dieser Stelle?
Das ist ehrenamtliches Engagement und hat rein private Gründe. Ich bin seit 2003 in der Elternarbeit, u.a. 7 Jahre als Schulelternsprecher und bin im Kreiselternrat des Landkreis Havelland aktiv. Ich habe festgestellt, dass man mit diesen Tätigkeiten tatsächlich Bildungspolitik mitgestalten kann. Wir werden gehört und man nimmt unsere Vorschläge ernst.

Wie groß sind die Einflussmöglichkeiten tatsächlich und was können Eltern in der Mitwirkung erreichen?
Wir haben Einflussmöglichkeiten. Wenn ich an die Veränderungen bei der Inklusion denke, die in Brandenburg offenbar als Kostensparmaßnahme geplant war und jetzt doch deutlich finanziell unterstützt wird, ist das sicher auch unser Verdienst. Nicht (wie ursprünglich geplant) mit der Schließung der Förderschulen zu beginnen, sondern die Schulen für Inklusion fit zu machen und dann erst die Förderschulen zurück zu bauen, ist die richtige Reihenfolge. Auch das ist unser Erfolg. Ebenso wurde nicht zuletzt auf unseren Druck hin die Vertretungsreserve erhöht, das ist ja gerade durch die Medien gegangen. Wir haben bei der Vertretung von Unterrichtsausfall auch erreichen können, dass die Sonderpädagogen hier deutlich weniger als in der Vergangenheit eingesetzt werden. Heute sind meist andere Lösungen möglich, sodass Vertretung nicht gleich auf Kosten der Schüler geht, die zu fördern sind.

Über unsere Schulen wird viel diskutiert, wie steht es nach Ihrer Meinung um das Brandenburger Schulsystem?
Ich denke, dass wir im Bereich der Begabtenförderung noch Luft nach oben haben. Allerdings betrifft das nicht unbedingt die Wettbewerbe, da gibt es durchaus auch viele gute Ergebnisse Brandenburger Kinder. Aber die individuelle Förderung steckt bei uns noch in den Kinderschuhen. Das betrifft sowohl die Lernschwachen als auch die Lernstarken. Da ist noch viel zu tun. Das Ranking bezüglich der Leistungen im Lesen, Rechnen und Schreiben zwischen den Bundesländern hängt hingegen auch von kulturellen, familiären und anderen Bedingungen ab. Deswegen ist das nur zum gewissen Teil auf das Schulsystem zu beziehen. In diesem Zusammenhang fordern wir, dass an den Schulen mehr Schulsozialarbeiter eingesetzt werden. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Schulsozialarbeiter eine sehr positive Auswirkung auf das Lernklima an den Schulen haben.

Sie sagen, dass individuelle Förderung zu wenig praktiziert wird. Fehlt es am Willen der Lehrer, sich fortbilden zu lassen, an der Zeit dazu oder an guten Angeboten?
Auch wenn ich das in der Priorität nicht voranstellen möchte, bringen einige Lehrer einfach nicht die notwendige Empathie zu ihrem Beruf mit. Viele machen eher den Unterricht, den sie als Kinder selbst erfahren haben. Zudem wurde bislang im Lehrerstudium noch zu wenig darauf eingegangen. Die künftigen Lehrer lernen erst ab diesem Jahr, was Diagnose als wichtige Grundlage für individuelle Förderung bedeutet. Das ist ein großer Fortschritt, aber es dauert jetzt zehn bis zwanzig Jahre, bis das im Schulsystem angekommen ist und umgesetzt werden kann. Auch die Weiterbildung findet im Wesentlichen nur bei Grundschullehrern und bei den Lehrern in den Pilotschulen für Inklusion statt. Das fängt bei uns also jetzt erst richtig an. Es wurde bislang zu wenig Wert darauf gelegt. Ein Hauptgrund ist sicher, dass es auch sehr viel Arbeit macht und diese Arbeit eigentlich nur im Team zu bewältigen ist. Es gibt Schulen, die das schon machen und auch erfolgreich sind. Dort arbeiten Lehrerteams, die Arbeitsmaterialien erstellen und mit diesem Material können dann alle Lehrer an der Schule Unterricht individuell gestalten und werden entlastet. Die Senkung der Klassengröße ist hilfreich, reicht aber nicht aus. Gerade im ländlichen Raum haben wir viele kleine Klassen und auch von dort kommen viele Beschwerden über zu wenig individuelle Förderung. Es kommt auf die Lehrkräfte an, ob die das wollen.

Eine Schulleiterin berichtete uns auch von der mangelnden fachlichen Kompetenz bei der Fortbildung zur individuellen Förderung, kennen Sie das Problem?
Das kann ich bestätigen. Ich habe mich mit einem Potsdamer Professor unterhalten, der selbst sagt, dass auch die Uni da noch ganz am Anfang steht. Sie wissen zwar einiges über Diagnose, wissen aber über die Lösung der Probleme zu wenig. Ein Austausch zwischen Uni und Praktikern vor Ort ist notwendig. Das sind Versäumnisse vieler Jahre. Das kann man übrigens Frau Dr. Münch nicht in erster Linie anlasten. Sie hat im Frühjahr 2011 das Thema in Brandenburg überhaupt erst in Bewegung gebracht, wenn auch zunächst äußerst ungeschickt und administrativ. Herr Rupprecht und die Vorgängerregierung haben es versäumt die Konsequenzen aus der UN-Menschenrechtskonvention und deren Ratifizierung zu ziehen.

Ist eine Lösung in Sicht?
Ja. Wir haben Schulen, die individuelle Förderung schon hervorragend umsetzen, auch Brandenburger Schulen erhalten Schulpreise. Die Waldhofschule Templin ist ein gutes Beispiel. Selbst in meiner unmittelbaren Nachbarschaft gibt es Schulen, an denen Lehrer hervorragenden Unterricht machen. Die Ansätze sind da, aber das betrifft sicher weniger als ein Drittel unserer Brandenburger Schulen. Das muss erst durchwachsen und dauert vermutlich länger als sich einige Verantwortliche und Politiker das so vorstellen. Es muss auch von den Schulleitern eine Atmosphäre geschaffen werden, in der diese Entwicklung erwartet und unterstützt wird. Das war früher nicht so. Lehrer mit modernen Unterrichtsmethoden wie Stationenlernen wurden teilweise misstrauisch beäugt und nicht unterstützt. Das hat sich inzwischen geändert. Lehrer mit solchen Methoden werden in den Kollegien inzwischen besser angesehen.

Mit welchen Problemen wenden sich Eltern meist an den Landeselternrat?
Ein Schwerpunkt ist, dass sie mit den Schulleitern nicht klar kommen, die Mitwirkung der Eltern missachtet und somit das Schulgesetz nicht umgesetzt wird. Eltern werden immer noch in ihren Rechten beschnitten, eigenständig Versammlungen durchzuführen. Ich berate da häufig per E-Mail und verweise auch auf die Rubrik FAQ auf der Seite des Landesrates der Eltern.
Der zweite Schwerpunkt ist der Unterrichtsausfall, auch da fragen uns viele Eltern, wie man dem begegnen kann. Wenn das Schulamt die Mittel nicht einsetzen kann oder keine Reserven mehr hat, muss man notfalls auch mal an die Öffentlichkeit gehen. Die Erhöhung der Vertretungsreserve um 50% und die Personalbudgetierung bringt sicherlich Entlastung. Viele Eltern zweifeln jedoch, ob das ausreicht. Der dritte Schwerpunkt sind schlechte Lehrkräfte. Leider gibt es nach wie vor mehr schlechten Unterricht, als es das Ministerium wahr haben will. Wir bekommen immer wieder Hinweise über abenteuerlichen Unterricht. Es gibt immer noch viele Situationen, in denen Lehrer sich nicht um die Besonderheit von Schülern kümmern. Es ist immer noch üblich, dass für die gesamte Klasse das gleiche Arbeitsblatt ausgegeben wird. Die Leistungsstarken sind „zu früh“ fertig und langweilen sich. Andere, denen Voraussetzungen fehlen, können mit den Aufgaben nichts anfangen und langweilen sich auch. Differenzierung oder gar individuelle Förderung findet häufig nicht statt, der Unterricht ist für einen Teil der Lernenden ineffektiv. Außerdem gibt es immer noch Situationen, in denen Schüler vor der Klasse gedemütigt werden. Das sind leider Fakten, da sollten Eltern das Gespräch suchen, notfalls auch mit Schulleitungen und Schulaufsicht.