Seite 15 - lausebande-02-2012

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Titelthema :: Seite 15
pädagogisch durchaus üblich. In diesen Jahrzehn-
ten sorgten erste Erkenntnisse der Hirnforschung
und der Psychoanalyse hierzulande für ein öffent-
liches Interesse an Ursachen und Auswirkungen
der Händigkeit – da hatten nordeuropäische Län-
der und die USA eine weitgehende Liberalisierung
beim Handgebrauch längst hinter sich. Den Unter-
schied dokumentierten zwei Studien Anfang der
1970er Jahre: Der Anteil der aktiven Linkshänder
an der Bevölkerung der USA wurde in einer Studie
mit 25 % angenommen, während es zur gleichen
Zeit in Deutschland gerade einmal 1,5 % waren.
Die Tatsache, dass vier der letzten fünf amerikani-
schen Präsidenten Linkshänder waren und auch
mit Barack Obama wieder ein Linkshänder an der
Macht ist, unterstreicht die Normalität der Links-
händigkeit in der amerikanischen Bevölkerung.
In Deutschland wirkt die massive Umerzie-
hung und die traditionelle Normierung zur Rechts-
händigkeit bis heute nach. Das pädagogische
Personal und viele Einrichtungen sind häufig
unzureichend informiert bzw. strukturiert – und
in der breiten Gesellschaft wird Händigkeit wenn
überhaupt, dann meist als Thema für die „Min-
derheit“ der Linkshänder wahrgenommen. Viele
Eltern bemerken vor diesem Hintergrund oft gar
nicht, dass sich Kinder in ihrer frühkindlichen Ent-
wicklung durch Modell- und Nachahmungsverhal-
ten von selbst auf die gesellschaftlich „normierte“
und von Kindern als „richtig“ empfundene Hand
umschulen. Dies betrifft auch bewegungskompe-
tente Kinder mit höherem Intellekt, die bewuss-
Das Thema Händigkeit wird in unserer
Gesellschaft leider meist mit dem „Rand-
problem der Linkshänder“ gleich gesetzt.
Nur wenige wissen über die tatsächliche, immen-
se Bedeutung bescheid. Einige Experten gehen
heute davon aus, dass fast 50 % der Bevölkerung
von Geburt aus als Linkshänder programmiert sein
könnten, es gilt inzwischen als gesichert, dass zu-
mindest fast jeder Vierte diese Eigenschaft teilt.
Noch heute geht ein Großteil der Eltern falsch mit
dem Thema um – und viele wissen nicht, dass Kin-
der sich von selbst und durch Eltern oft unbemerkt
auf die rechte Hand „umerziehen“ können. Ein
Dilemma mit oft lebenslangen Folgen. So gesehen
haben tatsächlich alle Eltern Berührungspunkte
mit diesem Thema – wenn nicht in der eigenen
Familie, dann im Bekannten- oder Freundeskreis
und garantiert spätestens im Kindergarten oder der
Schule. Zudem können auch Rechtshänder dazu
lernen, welche Vorgänge sich eigentlich hinter ih-
rem Automatismus verbergen. Auf den folgenden
Seiten werden ausgehend von den Grundlagen für
die Händigkeit die immensen Auswirkungen einer
falschen Erziehung und viele Tipps für den richti-
gen Umgang mit diesem Thema geschildert.
Irrglauben von der Minderheit
Schon bei den Griechen wurde – wie in vielen
Völkern und Kulturen – die rechte Seite bevorzugt
und mit guten Eigenschaften besetzt, während der
linken Seite weniger Bedeutung zukam, sie galt so-
gar negativ als die unglückbringende Seite. Diese
Entwicklung wurde kulturgeschichtlich manifes-
tiert – eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der
Händigkeit fand allerdings erst mit der Industria-
lisierung, genormten Maschinen und der Einfüh-
rung der Schulpflicht statt. Da die Mehrheit in der
Bevölkerung die rechte Hand bevorzugte, wurden
entsprechende Normen geschaffen, denen sich die
vermeintliche Minderheit anzupassen hatte. Noch
bis in die 1980er und gar 1990er Jahre war die Um-
erziehung von Linkshändern in deutschen Schulen
Redaktion: Jens Taschenberger (zwei helden) / Fotografie: Ben Peters (codiarts)
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„Das mach ich doch
mit rechts
Händigkeit – eine umfassende Betrachtung
Definition:
Als Händigkeit bezeichnet man die
Überlegenheit der linken oder rechten Hand. Sie
äußert sich in einer größeren Geschicklichkeit,
längeren Ausdauer und dem präferierten Hand-
gebrauch. So werden feine Tätigkeiten, wie z.B.
das Zeichnen und Schreiben, Schneiden mit dem
Messer und das kleinteilige Bauen, vornehmlich
mit der bevorzugten oder auch als dominant be-
zeichneten Hand ausgeführt.