Seite 16 - lausebande-02-2012

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Titelthema :: Seite 16
ter beobachten und abstrahieren – und sich so von
den eigenen Eltern oder von Alters- bzw. Spielka-
meraden die unnatürliche Dominanz der eigent-
lich schwächeren Hand angewöhnen. Sie erziehen
sich quasi selbst um – von den Eltern unbemerkt
und ohne dass es deren Einwirkung bedarf. Das
ist natürlich in beide Richtungen möglich. Dieses
Modell- und Nachahmungsverhalten ist einer der
stärksten Impulse der frühkindlichen Entwicklung
und eng verwandt mit dem Bindungsverhalten an
Bezugspersonen. Es liefert heute auch eine Erklä-
rung, warum noch immer viele Kinder an nach-
haltigen Problemen durch eine falsche Erziehung
ihrer Händigkeit leiden. Eltern, die sich intensiv
über Händigkeit informieren, können diese Fehl-
entwicklung rechtzeitig vermeiden und ihrem Kind
helfen.
In den vergangenen Jahren sorgte eine zu-
nehmende Aufklärung zu einem beständigen
Wachstum links schreibender Kinder an deutschen
Grundschulen, er liegt inzwischen bei 15 bis 25 %.
Dabei steigt tatsächlich nur der Anteil des aktiven
und sichtbaren Handgebrauchs – der sogenannten
Manifestation der Linkshändigkeit – und nicht der
tatsächliche Anteil, der ja früher durch massive
Umerziehung verborgen blieb.
Links ist Normal
Es ist von enormer Bedeutung für linkshändi-
ge Kinder, dass sie sich als ganz „normale“ Kinder
fühlen. Befürchtungen der Eltern und in der Fami-
lie müssen vollständig ausgeräumt werden, damit
sich ein Linkshänder nicht als Sorgenkind fühlt.
Es darf auch nicht zu einer Überbetonung und
Überfürsorglichkeit kommen, die fast immer eine
Gegenreaktion bei den Mitschülern und Geschwis-
tern hervorruft. Es sollte allerdings klar gegen
überkommene Äußerungen von der „guten Hand“
und ähnliche Sprüche vorgegangen werden, auch
wenn das z.B. bei Großeltern zu Auseinanderset-
zungen oder Problemen führt. Ein Kind sollte seine
Linkshändigkeit als natürlichste Sache der Welt
erfahren, als Selbstverständlichkeit. Mit einem An-
teil von einem Viertel oder gar mehr Linkshändern
an der Bevölkerung ist es das ja auch.
Händigkeit ist Hirnigkeit
Es ist bis heute nicht endgültig geklärt, wie
stark der Anteil vererbter Eigenschaften die Hän-
digkeit bestimmt. Klar ist allerdings, dass die Hän-
digkeit schon vor der Geburt fest steht und mit der
Entwicklung des Gehirns auch fest programmiert
wird, also für jeden Menschen genetisch bedingt
ist und auch bleibt, selbst wenn Einflüsse der Um-
welt, Erziehung und Normvorstellungen zu einem
tatsächlich abweichenden Handgebrauch führen.
Die Händigkeit wird somit durch das Gehirn vorge-
geben – und Wissenschaftler bezeichnen die Um-
erziehung der Händigkeit als den „maximalen un-
blutigen Angriff auf das Gehirn, der möglich ist“.
Die Umschulung der Händigkeit widerspricht der
Natur und grundlegenden Strukturen im mensch-
lichen Gehirn, die ein Leben lang Bestand haben.
Heute ist in der Wissenschaft unbestritten, dass
jeder gesunde Mensch von Natur aus über eine do-
minante Gehirnhälfte und dadurch bedingt über
einen dominanten Handgebrauch verfügt.
Im menschlichen Organismus laufen die Ner-
venbahnen, die für motorische oder sensorische
Impulse verantwortlich sind, fast vollständig über-
kreuz. Rechts befindliche Bestandteile des Körpers
werden durch die linke Gehirnhälfte gesteuert und
umgekehrt linke Bestandteile durch die rechte
Gehirnhälfte. Am intensivsten werden dabei die
am weitesten vom Rumpf entfernten Teile der Ex-
tremitäten – wie die Hand- oder Fingermuskulatur
– durch die gegenüberliegende Gehirnhälfte reprä-
sentiert. Auch die Steuerung der Augen, Ohren und
Füße erfolgt durch die jeweils gegenüberliegende
Gehirnhälfte. Man spricht dabei von Lateralität
bzw. Seitigkeit. Allerdings ist die Verbindung z.B.
bei den Füßen von ganz anderer Qualität, da die-
se andere und weniger komplizierte Aufgaben wie
laufen, stehen, springen oder balancieren ausfüh-
ren. So kann man eine Dominanz der Hand auch
nicht zwangsläufig auf die Füße übertragen. Das
Hantieren und feinteilige Arbeiten mit den Händen
bringt in vielen Aufgaben weitaus diffizilere An-
sprüche mit sich. Aus diesem Grund – und verbun-
den mit der starken Bindung an die gegenüberlie-
gende Gehirnhälfte aufgrund der Entfernung vom
Rumpf – kommt der Händigkeit im Gegensatz zur
Steuerung anderer Organe oder Extremitäten auch
eine besondere Bedeutung zu.