Seite 26 - lausebande-02-2012

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Dr. Johanna Barbara Sattler, approbierte Psychotherapeutin, Psychologin
Gründerin und Leiterin „Erste deutsche Beratungs- und Informationsstelle für
Linkshänder und umgeschulte Linkshänder e.V.“
„Das halte ich für einen Skandal“
Interview mit Dr. Johanna Barbara Sattler
Sie haben 1985 die ers-
te Beratungsstelle für
Linkshänder gegründet
– auf welche Erfolge können Sie
inzwischen verweisen?
Bei der Umschulung der Händig-
keit hat sich viel getan. Die Um-
schulung der Händigkeit hat
glücklicherweise drastisch abge-
nommen. Heute steht in den Lehr-
plänen nicht mehr, dass bei leich-
ter Linkshändigkeit auf rechts
umgeschult werden sollte. Auch
für die Schreibmotorik linkshän-
diger Kinder wird viel mehr ge-
tan, es wird auch versucht, mehr
auf die Schreibhaltung zu ach-
ten. Hier gibt es eine weit größe-
re Akzeptanz in den Lehrplänen
für die Grundschule. Auch bei Ge-
brauchsgegenständen für Links-
händer ist es inzwischen norma-
ler, diese auch im Handel und
nicht nur im Spezialhandel zu er-
halten. Inzwischen ist auch ein
Bewusstsein für die Bedeutung
dieses Themas im beruflichen All-
tag entstanden – aber hier ist noch
viel zu tun.
Welche Hilfe erhalten Interes-
sierte oder Betroffene bei Ihnen?
Wir verfügen inzwischen über
ein Netzwerk von über 350 zerti-
fizierten Linkshänder-Beratern im
deutschsprachigen Gebiet. Auf die
können wir verweisen. Zudem be-
treuen wir Kindergruppen zum
Erlernen der richtigen Schreib-
haltung, machen auch Tests und
Beratungen zum Thema. Wir bie-
ten für Erwachsene, umgeschul-
te Linkshänder Rückschulungen
auf ihre dominante Hand an. Da
haben wir ein Programm entwi-
ckelt, dass Betroffenen auch ein
gewisses Sicherheitsnetz bietet.
Wir versuchen auch Hilfestellung
bei Problemen mit der Händigkeit
im beruflichen Umfeld zu geben.
Vor allem auf unserer Internetsei-
te unter www.linkshaender-bera-
tung.de sammeln und veröffentli-
chen wir alle Erkenntnisse – dort
gibt es auch Literaturhinweise,
Verweise zu Spezialhändlern, z.B.
zum Thema Musik und vor allem
zu Musikinstrumenten für Links-
händer, und bald auch zum The-
ma Sport.
Kommt dem Thema Händigkeit in
Deutschland eine geringere Be-
deutung zu als z.B. in Nordeuro-
pa oder den USA?
Inzwischen ist die Versorgung
und Beratung für Linkshänder in
Deutschland einzigartig. In ande-
ren Ländern wurde Linkshändig-
keit in der zweiten Hälfte des ver-
gangenen Jahrhunderts allerdings
viel liberaler behandelt und nicht
wie in Deutschland intensiv um-
geschult. Bis in die 1980 er Jah-
re waren wir in Deutschland sehr
konservativ. Jetzt sind wir aber in-
ternational Vorreiter, insbesonde-
re bieten wir eine breite Vielfalt an
Produkten für Linkshänder an, die
zum großen Teil auch in Deutsch-
land produziert werden. Auch spe-
zielle Linkshänder-Berater gibt es
in anderen Ländern überhaupt
nicht.
Wo gibt es beim Thema Händig-
keit die größten Defizite: bei El-
tern, im Kindergarten oder im
Schulsystem?
Ich würde lieber antworten, wo
in Deutschland noch der größ-
te Handlungsbedarf besteht. In
den meisten Bildungs- und Erzie-
hungsplänen, die Kindergärten,
Kinderkrippen und Horte betref-
fen, ist Händigkeit in den meisten
Bundesländern kein Thema. Das
halte ich für einen Skandal. Dort
gehört unbedingt hinein, dass
man Kindern rechtzeitig Hilfestel-
lung gibt. Wenn z.B. die Schreib-
haltung im Kindergarten nicht or-
dentlich vorbereitet wird, hat der
Linkshänder in der Schule später
einen schweren Stand, wenn der
Füller eingeführt wird.
Ist Händigkeit Bestandteil der
Ausbildung für Erzieher bzw. Er-
zieherinnen?
In den Lehrplänen für das päda-
gogische Personal in Kindergärten
findet man viele andere Themen.
Da spielt je nach Bundesland z.B.
das Wecken von Interesse an Tech-
nik und Natur oder die Entwick-
lung verschiedener Kompetenzen
eine große Rolle. Das Thema Hän-
digkeit steht bei den meisten erst
gar nicht drin. Dadurch werden