Seite 33 - lausebande_09-2013

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Titelthema :: Seite 33
an der Berufspraxis ausgerichtet – laut OECD-
Lehrstudie spielt der Praxisbezug im deutschen
Lehramtsstudium nur eine untergeordnete Rolle.
Wen wundert es da, dass viele Lehrer dem Umgang
mit Schülern und Eltern nicht gewachsen sind.
Auch die zunehmende Heterogenität in den Klas-
sen bereitet Lehrern Probleme, da sie in der Aus-
bildung nicht die notwendigen Methoden für eine
individuelle Förderung erlernt haben, hier kann
man den Lehrern auch keinen Vorwurf machen.
Der Zustand der deutschen Lehrerschaft schürt
auch Widerstände gegen Veränderung: Bei einer
PISA-Umfrage kam heraus, dass Deutschlands
Schulleitungen es als das zweitgrößte Problem
unserer Schulen ansehen, dass es im Kollegium so
viel Widerstand gegen Veränderungen gibt. Schon
im Jahr 2006 zeigte die Lehrerstudie der Uni Pots-
dam, dass lediglich 17 Prozent der Lehrer zufrieden
und gesundheitlich auf der Höhe sind, hingegen
knapp zwei Drittel in den Risikogruppen als ge-
sundheitsgefährdet, erschöpft, ausgebrannt und
eingeschränkt bzw. nicht mehr belastbar einge-
stuft wurden. Da die Ausbildung zum Lehrer aber
kaum Beschäftigungsalternativen zulässt, steigen
viele mit den entsprechenden Konsequenzen für
Schüler und Schule trotzdem in den Lehrerberuf
ein und halten irgendwie durch. Spitzennationen
in Sachen Bildung testen Lehrerkandidaten mit ef-
fektiven Mechanismen, in Finnland werden ange-
hende Studenten mit einem mehrstufigen Aufnah-
meverfahren auf Eignung überprüft.
Ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt am deut-
schen Schulsystem besteht in der mangelnden
Vermittlung von Methoden-Kompetenzen. Es mag
komisch klingen, aber Bildungsexperten fordern
als zentrale Kompetenz für heutige Schüler das
„Lernen lernen“. In unserer flexiblen Arbeitswelt
überholt sich Faktenwissen schnell. Viel wichtiger
ist es, Methoden zu erlernen, wie man sich Wissen
aneignet und wie man es anwendet. In der Kurzfor-
mel: Weniger Wissen besser anwenden. Stattdes-
sen wird bei uns aber noch zu viel gepaukt, endlo-
ser Stoff abgefüllt und überprüfbares Faktenwissen
vermittelt, dass nach ein paar Wochen vergessen
ist. Das beginnt schon in der Grundschule. Selbst
im Abitur sind wir Deutschen auf hochkomplizierte
Aufgaben stolz, während in finnischen Abiturprü-
fungen auch mal der Dreisatz aus der Grundschul-
zeit mit abgeprüft wird. Nur wenn die Lehrpläne
um unnützes Wissen entrümpelt werden und Kin-
der Lernen lernen und sich selbst Wissen sinnvoll
erschließen können, ist die individuelle Förderung
einer heterogenen Klasse überhaupt möglich. Nur
wenn Kinder eigenverantwortlich lernen, können
Lehrer besser auf unterschiedliche Wissensstände
eingehen. Wie sehr das Schulsystem hier versagt,
beweist allein die Branche der Nachhilfeinstitute
auch in unserer Region. Deutsche Eltern geben im
Jahr 1,5 Milliarden Euro für Nachhilfe aus – und
das sind dann schon die eher leistungsbereiten
Kinder. Sozial Benachteiligte können sich Nach-
hilfe erst gar nicht leisten, das Defizit der Schul-
bildung liegt demnach um ein Vielfaches höher. 57
Prozent des Nachhilfeunterrichts entfallen auf Ma-
thematik, was auf einen deutlichen Fehler in der
Vermittlung und übertriebenen Bedeutung der Ma-
thematik im gesamten Bildungssystem hinweist.
Natürlich gibt es darüber hinaus viele Themenfel-
der, die heiß diskutiert werden. Zum einen verste-
hen viele Eltern nicht den Sinn des Schreibenler-
nens mit dem lautgetreuen Schreiben. An anderen
Schulen wird wiederum keine Schreibschrift mehr
vermittelt, sondern nur noch eine Grundschrift. An
schlecht geführten Schulen können sogar in Paral-
lelklassen unterschiedliche Methoden zur Anwen-
dung kommen und beim Lehrerwechsel wieder
über den Haufen geworfen werden, weil der neue
Lehrer andere Methoden bevorzugt. All das hat
aber mit der Methodenvielfalt an deutschen Schu-
len zu tun, die an sich nicht schlecht ist. Bei all
diesen Themenfeldern geht es vielmehr um die Au-
tonomie einer Schule und ihrer Freiheit zur Wahl
zwischen verschiedenen Methoden, die alle zum
Erfolg führen sollen – sowie um das Teamwork
unter den Lehrern. Gute Schule erkennt man heu-
te vor allem daran, das alle Beteiligten an einem
Strang ziehen und ein gesundes Miteinander von
Schulleitung, Lehrern und Eltern herrscht. Wenn
unterschiedliche Methoden zu Problemen führen,
hat das meist mit mangelnder Abstimmung an
der jeweiligen Schule zu tun. Denn zumindest von
dieser Kritik kann man unser Bildungssystem frei
sprechen: Es gängelt die Schulen nicht, denn letzt-
endlich macht jede Schule nach groben Vorgaben
ihren eigenen internen Lehrplan und kann selbst
Methoden und Wege der Wissensvermittlung fest-
legen. Eltern können an diesen Entscheidungen
über ihre Mitwirkung als Klassenelternspre-
»