Seite 34 - lausebande-09-2014

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Titelthema :: Seite 34
Interview mit Mobbing-Experte Wolfgang Kindler
Mobbing hat
eine lange Geschichte
Wolfgang Kindler ist ehe-
maliger
Gymnasialleh-
rer und gilt heute auf na-
tionaler und internationaler Ebene
als Experte in SachenMobbing. Als
Autor veröffentlichte er bereits meh-
rere Bücher zumThema und ist vie-
len durch die Reportage „Schluss
mit Mobbing“ im Privatfernsehen
bekannt. Er nahm sich für unser
Familienmagazin lausebande viel
Zeit für ein ausführliches Gespräch:
Ist Mobbing ein überbewertetes Mo-
dethema oder gab es das schon im-
mer?
Die Frage ist schwierig zu be-
antworten. Ich halte es nicht für
überbewertet, wenn tatsächlich je-
mand gemobbt wird. Gerade für He-
ranwachsende ist das furchtbar und
bringt oft langfristige Schäden mit
sich. Auf der anderen Seite haben
Sie Recht, da wird inzwischen al-
les Mögliche zu Mobbing gemacht,
was gar kein Mobbing ist. Ich habe
in einer aktuellen Untersuchung
von Prof. Reinhold Jäger gelesen,
dass 17 % aller deutschen Lehrer
gemobbt werden. Wennman genau
hinschaut, hat das oft mit Mobbing
nichts zu tun. Was die Geschichte
des Mobbings angeht, finden Sie
das schon in uralten Volksmärchen
wie „Aschenputtel“ oder „Die drei
Federn“. Auch in der Literatur fin-
den sich gute Beispiele, bei Thomas
Mann wird z.B. der kleine Budden-
brock gemobbt. Mobbing hat eine
lange Geschichte.
Welche Entwicklungenmachen das
Thema heute so populär?
Zum einen das meines Erachtens
deutlich überschätzte Cyber-Mob-
bing. Wir haben aber auch eine ge-
sellschaftliche Entwicklung, die
bestimmte Mobbingprozesse stark
begünstigt. So hat sich das Kon-
kurrenzverhalten verschärft. Schü-
ler wissen, dass „nur“ Abitur heute
nichts mehr bringt, es muss ein gu-
tes Abitur sein. Wir haben den Ver-
lust von sozialen Gewissheiten: was
darf ich machen, was kann ich mir
erlauben, was ist möglich? Es fin-
det eine Entnormisierung der Ge-
sellschaft statt, der Einfluss von
Kirchen und ähnlichen Instituti-
onen geht deutlich zurück. Dann
haben wir heute auch eine andere
Form von Pädagogik, die genauer
hinschaut. Und wir haben eine ver-
änderte Form von Kindheit. Als ich
Kindwar, waren ein Großteil meiner
Freunde nicht in meiner Klasse. Da
spielten dasWohnumfeld, die Stra-
ße, in der man lebte oder der Sport-
verein eine größere Rolle. Bei Um-
fragen stellenwir jetzt fest, dass die
Kinder außerhalb der Schulklasse
nur noch wenige soziale Kontakte
haben. Wenn Sie nun in der Schul-
klasse gemobbt werden, bedeutet
das häufig einen sehr tiefen Fall,
bei dem sie nicht mehr durch ein
soziales Netz aufgefangen werden.
Es wird inzwischen viel über Mob-
bing berichtet, dennoch scheint im
Alltag eher Hilflosigkeit zu herr-
schen, bestätigen das Ihre Erfah-
rungen?
Absolut! Ich habe heute
zufällig eine Untersuchung gelesen,
nach der fast die Hälfte aller Schu-
len eine Mobbingfortbildung hat-
te, aber nur ein ganz geringer Teil
konnte die Fortbildung in der Pra-
xis tatsächlich nutzen. Das liegt an
der Qualität der Fortbildungen. Es
gibt in der Fortbildung zu wenige
Anregungen zu strukturellen Ver-
änderungen und zu wenig neue In-
halte – und auch zu viele schlechte
Angebote. Da wollen Leute mit ei-
ner Theorie oder einem Konzept al-
les retten. Mobbing kann sich aber
so unterschiedlich darstellen, da
braucht es ein umfangreiches Wis-
sen. Genau da liegt das Problem.
Die Hilflosigkeit liegt aber auch da-
rin begründet, dass viele Mobbing-
Prozesse erst gar nicht bekannt wer-
den. Als ich Lehrer war, fand auch
unter meiner Nase Mobbing statt
und ich habe das erst im Nachhi-
nein erfahren. Es ist auf der ande-
ren Seite richtig, dass es inzwischen
viel öffentliches Interesse am The-
ma Mobbing gibt. Auch ich bekom-
me dadurch viele Anfragen von
Schulen, die eine Fortbildung ma-
chen wollen.
Sie reden viel von Fortbildung –
ist der Umgang mit Mobbing nicht
schon fester Bestandteil in der Aus-
bildung für Erzieher und Pädago-
gen?
Ich gehe mal einen Schritt
zurück. Ein Großteil der Erzieher
und Lehrer, insbesondere der Äl-