Seite 42 - lausebande-10-2011

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Kolumne :: Seite 42
mäßigen Ritual. Ich muss dem geneigten Leser aber
gleich jede Hoffnung nehmen – das machte es in der
Entwicklung nicht besser. Wäre dies unsere gemein-
same Erfahrung geblieben, hätte ich auf die übliche
spätere Verklärtheit in Kindheitserinnerungen hof-
fen können. Aber mit dem fünften Geburtstag trat
vor wenigen Tagen leider eine technische Errun-
genschaft in unser Leben. Kinder mutieren heute ja
gleich nach dem Verlassen der Windeln zu kleinen
Anakin Skywalkers und spielen mit drei Jahren Su-
per Mario bis zum Endgegner oder schrauben gleich
einen C3PO zusammen. So erhielt auch meine Kleine
einen Rekorder, auf dem sie selbst Lieder aufneh-
men und wieder abspielen konnte.
Ich bemerkte nicht, wie ihre finken Finger beim
nächsten Vorsingritual die Aufnahmetaste drückten.
Auch meine bessere Hälfte ahnte nichts Böses, als
die Kleine am kommenden Tag den Rekorder mit in
die Kita nehmen wollte – als ich schon hochseriös
im Chefsessel meines Büros Platz genommen hatte.
Ausgerechnet an diesem Tag habe ich das Abholen
aus der Kita übernommen. Kennen Sie den mitleid-
vollen, gleichzeitig aber belustigten Blick, den man
all den Versagern der TV-Castingshows entgegen
bringt? Unwissend bewegte ich mich durch genau
diese Atmosphäre dreinblickenden Kitapersonals.
Als ich eintrat, wurde sogar die Küchenfrau in den
Flur gezogen, um einen Blick auf mich zu werfen.
Ich war der Star des Tages – aber warum nur?
Auf dem Rückweg erzählte mein Töchterchen
stolz, wie sie der ganzen Kita meine Lieder vorge-
spielt hat, die sie am Vorabend heimlich aufgenom-
men hatte. Alle Lieder, mehrmals, in voller Lautstär-
ke. Und irgendwann waren auch tatsächlich ALLE
Frauen aus der Kita im Raum und hörten zu, so toll
hätten sie das gefunden. Die Kleine strahlte und war
stolz wie Bolle, auf ihren Papa. Na ja, zum Glück hat
sie das nicht als MP3-File und kann es noch nicht
auf facebook mit anderen teilen. Uuups, bin ich mir
da sicher? Ich glaube, ich muss schnell los und das
überprüfen … Ihr lausitzDADDY
Es gibt Väter, die singen können. Und es
gibt mich. Schon in der achten Klasse er-
kannte mein damaliger Musiklehrer, dass
Melodien und mein Leben so sehr zusammen gehö-
ren wie Intellekt und Naddel. So wurde mein Klas-
senkollektiv von meinen auch für mich unkontrol-
lierbaren Gesangsversuchen befreit und ich durfte
fortan die Liedtexte ohne Gesang aufsagen. Seit die-
sem Moment schien ich auf ewig davon entbunden
zu sein, anderen etwas vorsingen zu müssen.
Ich hatte die Rechnung aber ohne das Vater-
sein und die vorbehaltlose Liebe eines Kleinkindes
zu väterlichen Mitteilungen gemacht – egal ob ge-
sprochen oder gesungen. Meine Tochter erstrahlte
förmlich, als ich ihrem gefühlt jahrelangen Betteln
um ein Vorsingen aus ihrem Lieblingsbuch mit Pfer-
deliedern endlich nachgab. Jeder Vater weiß, dass
Töchter überirdische oder hypnotische Fähigkeiten
besitzen, mit ihrem Kulleraugenschmollblick in uns
eine vollkommene Willenlosigkeit und Selbstaufga-
be zu Tage zu fördern, die uns Dinge tun lässt, für
die wir uns unter normalen Umständen selbst zu
Einzelhaft verurteilen würden. Mich brachte dieser
Blick zum Singen. Das Lied „Hopp, Hopp, Pferd-
chen lauf Galopp“ mit seiner einfachen Melodie
konnte ich mir selbst noch verzeihen, aber beim mir
unbekannten „Bibi und Tina-Lied“ mit von mir frei
erfundener Melodie beobachtete ich erschrocken
meine Tochter, ob ein kindliches Wesen so viel mu-
sikalische Grausamkeit unbeschadet verkraftet. Und
was machte die Kleine: Wie ein Honigkuchenpferd
freute sie sich und machte das Vorsingen zum regel-
lausitzDADDY
Innenansichten eines verzweifelten Vaters
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