Seite 45 - lausebande-10-2013

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Interview :: Seite 45
Pilze gibt es wirklich reichlich in Brandenburg ..
Aber nicht jedes Jahr, im letzten Jahr gab es kaum Pil-
ze. Haben Sie schon gewusst, dass sich das Verhalten
der Pilze nach dem Fall des Sozialismus verändert
hat? Früher wuchsen sie immer im Kollektiv. Wenn
man einen Pilz gefunden hatten, waren die anderen
auch gleich in der Nähe. Jetzt wachsen sie sehr egois-
tisch, das sind richtige Ego-Pilze geworden.
Sie veröffentlichen fast jedes Jahr ein neues Buch,
wie verhindern Sie, dass Ihre Geschichten zur Rou-
tine werden?
Eigentlich schreibe ich immer das glei-
che Buch weiter. Für mich ist das Leben ein einziges
Buch. Wenn der Autor tot ist, ist auch das Buch zu
Ende. So kann ich jedes Jahr eine Fortsetzung zu
meinen Erfahrungen und Erlebnissen schreiben und
von dem was früher war, bis ich nicht mehr da bin.
Mein aktuelles Buch „Diesseits von Eden“ ist eine
Fortsetzung meines Schrebergarten-Romans, den
ich 2008 geschrieben habe.
Setzen Sie das aktuell schon wieder fort?
Jetzt habe
ich ein anderes Beispiel für diese Fortsetzungen. Ich
schreibe gerade über meine Kinder. Meine Tochter
ist gestern 17 geworden. Ich habe schon zwei Bücher
über das Leben meiner Kinder geschrieben. Einmal,
als sie noch zum Kindergarten gingen und ein zwei-
tes Buch, als meine Kinder zum Gymnasium mit La-
tein als Schwerpunkt kamen. Jetzt kommt eine Fort-
setzungsgeschichte über die Pubertät.
Das hat mich schon gewundert. Ihre Kinder kom-
men bis auf einen unfreiwilligen Badeausflug im
aktuellen Buch etwas kurz, obwohl sie mitten in der
Pubertät stecken. Haben Sie das gerade deshalb aus-
geblendet oder pubertieren Jugendliche russischer
Eltern sanfter?
Nein, das finde ich nicht. Meine The-
orie, die schon viele Landsleute bestätigt haben: wir
hatten in der Sowjetunion gar keine Pubertät. Die
Freiräume waren gar nicht vorhanden und die Erzie-
hungsmethoden ganz anders. Die Möglichkeiten, die
die jungen Leute heute haben, gab es für uns nicht.
Deshalb ist diese Pubertät für mich eine ganze
Wladimir Kaminer gehört trotz oder gera-
de wegen seiner russischen Wurzeln zu
Deutschlands besten Geschichtenerzäh-
lern. Seine Geschichten sind wie ein liebevolles
Gespräch guter Nachbarn am Gartenzaun. Dabei
schafft er es immer wieder, uns Deutsche mit Humor
genauso zu beschreiben, wie wir sind, ohne dass es
an Unterhaltungswert einbüßt. Seine herrlich ko-
mischen und dennoch klugen Geschichten sind mit
ihren menschlichen Details sicher eine gute Frau-
enlektüre. Zumal er sich nach den Bestsellern über
Russendisko und Schrebergarten nun wieder einem
Naturparadies zuwendet – diesmal mitten in Bran-
denburg, im imaginären Dörfchen Glücklitz. Die
Geschichten handeln von Fischen, Gärten, Russen-
disko in der Dorfscheune und dem Ossi-Stolz auf die
richtige Wiedergabe des russischen Zungenbrechers
Dostoprimetschatchelnosti. Am 13. Dezember wird
er im Cottbuser Gladhouse aus diesen Geschichten
und vollkommen neuen Schreibereien vorlesen, die
sich dann um die große Pubertät in seiner Familie
drehen. Ein Grund mehr für unser Gespräch mit dem
unterhaltsamen deutschen Russen:
Ihr neues Buch handelt, anders als der Titel vermu-
ten lässt, fast mehr vom Fischen als vom Gärtnern –
haben Sie in dieser Woche schon einen Fisch gefan-
gen?
Diese Woche war ich noch nicht am See, habe
aber wieder viel über Fische fangen nachgedacht.
Ich glaube, ich bin eher ein Angel-Theoretiker und
sicher der einzige in diesem brandenburgischen
Dorf, der noch keinen Fisch gefangen hat.
Was machen die Mücken in Glücklitz?
Die Mücken
erreichen in Brandenburg bedrohliche Ausmaße.
Aber ich würde viel lieber über Glücklitzer Pilze re-
den. Wir waren in diesem Jahr noch nicht Pilze sam-
meln. Mein Nachbar, der ein zugezogener Cottbuser
ist, hat mir jetzt berichtet, dass sie gerade viele Pil-
ze gefunden haben. Am Freitag fahre ich nun nach
Glücklitz in die Pilze.
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Von Gärten, Fischen und Pubertät
Interview mit Autor, Gärtner und Fischer Wladimir Kaminer