Eene meene Muh ...

Datum: Montag, 01. September 2014 15:28


Das Leitungsproblem
Da Mobbing immer ein dauerhafter Prozess ist, kann es in Kita und Schule nur passieren, wenn es durch die Aufsichtspersonen zugelassen, ignoriert oder zumindest nicht bemerkt wird. In der Kita können das oft eingangs benannte Verniedlichungen einer Auseinandersetzung sein. In der Schule kann es eine Überforderung des Lehrpersonals oder auch dessen Desinteresse am Einfluss auf soziale Kompetenzen der Schüler sein. Mit zunehmendem Alter der Schüler kann Mobbing subtiler werden und ist durch Lehrer dann auch oft schwer zu erkennen. Grundsätzlich ist jedes „erfolgreiche“ Mobbing aber immer auch ein Versagen von Erziehern oder Lehrern.
Die Ursachen liegen leider bereits in der Ausbildung und Fortbildung der Pädagogen begründet. Mobbing spielte bislang kaum eine Rolle in der Erzieher- oder Lehrerausbildung, sodass es bei den meisten Erziehern und Lehrern eine große Unkenntnis über den richtigen Umgang mit Mobbing gibt. Selbst heute ist das Thema in der Ausbildung extrem unterbelichtet – und wird zudem von Bundesland zu Bundesland und selbst innerhalb der Bundesländer sehr unterschiedlich behandelt. Auch Fortbildungsangebote sind qualitativ sehr schwierig zu bewerten und laut Wolfgang Kindler zu selten mit klaren Anleitungen praxis- und handlungsorientiert.
Aus dem mangelnden Wissen einhergehend mit dem Problem, das Mobbing immer mit einem Versagen der Leitungspersonen bei der Dienstaufsicht und Betreuung der Kinder einhergeht, reagieren Kitas und Schulen auf Vorwürfe oder Nachfragen zu einem evtl. Mobbing meist sehr abwehrend. Das gipfelt in Äußerungen wie „bei uns gibt es kein Mobbing“. Betroffene Eltern sollten sich deshalb immer vorab kundig machen und z.B. einen Sozialpädagogen oder eine Beratungsstelle aufsuchen. Wertvolle Tipps, wie man eine kompetente Beratung findet, enthält das Interview mit Wolfgang Kindler.

Die Unbeteiligten
Mobbing wird von vielen Eltern als ein Problem Einzelner, Anderer abgetan. Meist denken Eltern, dass sich beim Mobbing verhaltensauffällige Kinder einen Außenseiter suchen – das eigene Kind ist nicht betroffen, also fühlt man sich nicht angesprochen. Genau hier liegt ein großer Irrtum. Mobbing beeinflusst nämlich immer das gesamte soziale Umfeld – z.B. die Kitagruppe oder die Schulklasse. Denn alle Kinder verfolgen den Prozess, der ja dauerhaft ist. Sie sehen, dass der Mobber Erfolg hat und nicht selten auch bei anderen Kindern Bestätigung findet. Wird nichts dagegen unternommen, wird dieser Prozess auch für alle Unbeteiligten zur Normalität. Auch die Angst, selbst zum nächsten Opfer zu werden, kann eine große Rolle spielen. Hier liegt die Gefahr: Kinder, die als Unbeteiligte einen Mobbingprozess „begleiten“, werden ebenso durch diesen sozialisiert und stumpfen ab oder erleben selbst Angst. Sie lernen, das Leitungspersonen (und evtl. auch Eltern) sowieso nichts gegen die erfolgreichen Mobber ausrichten können – und sie wollen sich selbst nicht in Gefahr bringen.
Eltern sollten sich deshalb immer wieder ganz offen mit Kindern über den Tag oder die Woche in der Kita oder Schule unterhalten. Wenn ein Kind dann immer wieder von Auseinandersetzungen zwischen denselben Kindern bzw. Gruppen erzählt, sollten Eltern hellhörig werden. Das Mobbing Anderer beeinflusst immer auch die Entwicklung des eigenen Kindes!

Täter-Opfer-Vergleich

Mögliche Täterkennzeichen
zu wenig Konfliktlösungsstrategien
Impulsiv, geringe Selbstkontrolle
Körperliche Stärke
Fehleinschätzung von Fremdverhalten
geringes Selbstwertgefühl
Machtausübung
Wenig Empathie

Mögliche Opferkennzeichen
kaum Konfliktlösungsstrategien
ängstlich und aggressiv, hitzköpfig
körperliche Schwäche
kommen oft aus überbehüteten Familien
wenig Selbstwertgefühl
tyrannisieren
geringe Sympathie - Ablehnung

Die Entwicklung
Ist Mobbing nun ein Modethema oder hat es tatsächlich zugenommen? Die Antwort ist eindeutig, aber nicht einfach. Sie hat viel mit dem veränderten Sozialverhalten in unserer Gesellschaft zu tun. Noch vor 20, 30 Jahren hatten Kinder ein starkes soziales Netz in ihrem Wohnumfeld oder im Verein. Zumindest Studien an Schulen bestätigen, dass Kids heute außerhalb der Klasse kaum noch über soziale Bindungen verfügen. Wird ein Kind in der Klasse gemobbt, verliert es damit auf einen Schlag das gesamte soziale Netz. Das macht Mobbing heute viel fataler. Zudem hat gerade in den Neuen Bundesländern eine soziale Divergenz die Unterschiede zwischen Kindern verstärkt. „Verlierer“ aus einem schwierigen sozialen Umfeld stehen „Gewinnern“ aus einkommensstarken Familien in einem stärker werdenden Kontrast gegenüber.
Andererseits ist das Erziehungs- und Bildungssystem mit Problemen behaftet: überbelastete, überforderte oder nicht gut vorbereitete Lehrer, schlecht ausgebildete Erzieher oder einfach zu wenig Personal. Aus diesen Gründen nimmt Mobbing zu und ist in seinen Auswirkungen extremer als vor Jahrzehnten.

Woran erkenne ich Mobbing?
Bei Meinungsverschiedenheiten oder Streitigkeiten zwischen Kindern muss nicht gleich immer die „Mobbing-Keule“ geschwungen werden. Oft ist es für Eltern auch schwer, Anzeichen eines Mobbings bei ihren Kindern zu erkennen. Auch hier müssen wir nach Tätern und Opfern unterscheiden:

Täter: Nur wenige Kinder kommen auf die Idee, zu Hause damit zu prahlen, wie sie ein anderes Kind quälen oder demütigen. Insoweit sind Eltern von Mobbingtätern meist überrascht. Oft gehen sie sofort in die Verteidigungsposition und geben Kita, Schule oder sogar dem Opfer die Schuld – meist sind die Opfer dann eigenartig, komisch und sowieso Außenseiter. „Mit denen stimmt doch sowieso etwas nicht“. Die Opfer bekommen sozusagen die Schuld für das Mobbing durch ihr Verhalten, dass sie meist erst im Mobbingprozess entwickelt haben. Auch hier liegt ein großes Problem: Eltern wollen oft nicht wahrhaben, dass ihre Kinder Täter sein können.

Opfer: Mobbingopfer sind für aufmerksame Eltern viel eher zu erkennen. Es gibt Kinder, die sich stark zurückziehen oder depressiv werden. Erzählten sie vorher darüber, was sie in der Schule gemacht haben, werden die Geschichten nun kürzer oder mit „nichts Besonderes“ abgetan. Aber auch körperliche Anzeichen können zutage treten. Konzentrationsmängel, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen oder chronische Krankheiten (Stress-Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen) können Anzeichen für ein fortgeschrittenes Mobbing sein. In der Schule kann auch ein plötzlicher Leistungsabfall darauf hindeuten. Kinder verarbeiten diese Stresssituation höchst unterschiedlich und die genannten Symptome können auch anderer Natur sein. Manchen Kindern merkt man selbst ein dauerhaftes Mobbing kaum an, andere leiden schon nach kurzer Zeit an schweren, psychosomatischen Störungen. Eines eint die gemobbten Kinder allerdings: Angst vor der Kita oder Schule!

Wie wirkt sich Mobbing aus
Täter können schon im Kindergarten Gewalt und Macht über andere als Erfolgserlebnis verinnerlichen. Fehlendes Einfühlungsvermögen oder einfach Spaß am Leiden anderer können sich als Persönlichkeitsmerkmale verfestigen. Wem früh kein Einhalt geboten wird, der kann die Verhaltensweisen eines Mobbers verstetigen und verstärken. Opfer können höchst unterschiedlich an einem Mobbing leiden. Das Fatale: Meist geben sie sich selbst die Schuld und lernen, dass sie keine Hilfe erhalten. Da sie sich immer weniger wehren, sind sie ständigen Angriffen ausgesetzt und können ein permanentes Angstgefühl entwickeln. Anstatt die Probleme bei Eltern oder Leitungspersonen anzusprechen, schämen sich die Opfer meist und schweigen. Die ständige Angst vor neuen Angriffen führt zu Stress, der auch krank machen kann. Opfer suchen oft Fehler bei sich selbst. Sie fragen sich, warum gerade ihnen das passiert, was als nächstes passiert und mit wem man darüber sprechen könnte. Das Selbstwertgefühl bricht in sich zusammen, körperliche Beschwerden setzen ein und die Unternehmungslust lässt nach. Bei körperlicher Gewalt kommen zusätzlich Verletzungen hinzu, für die sie Erklärungen erfinden müssen. Resultierende Persönlichkeitsstörungen können bis zu bleibenden Bindungsängsten, Beziehungsproblemen und starken psychosomatischen Störungen selbst im Erwachsenenalter führen. Die Erfahrungen mit Kränkungen, die vom Umfeld toleriert wurden, können zu einem stark gestörten Sozialverhalten führen. Das betrifft z.B. Angst vor öffentlichen Auftritten, sei es auch nur das normale Gespräch in einer kleinen Gruppe.
Das alles kann dazu führen, dass Schulnoten absacken, Kinder passiv und inaktiv werden und Versagensängste aufbauen. Mobbingstress ist immer auch Schulstress. Kommt aufgrund schlechterer Noten dann auch noch Druck von den Eltern hinzu, kann das Opfer in einen Teufelskreis geraten. Wo eigentlich Hilfe sein müsste, erfährt es zusätzlich Demütigung und kann noch mehr zur Überzeugung gelangen, selbst das Problem zu sein. Im schlimmsten Fall kann Mobbing zu Selbstmordgedanken oder eigener Gewaltausführung auch in der Zukunft führen.