Knigge für Kids

Datum: Donnerstag, 28. März 2024 16:00

So gelingt gutes Benehmen im Familienalltag

Ab welchem Alter sollte ein Kind Tischmanieren beherrschen? Ist gutes Benehmen nicht etwas überholt? Muss ich mein Kind ständig zurechtweisen, wenn es sich nicht so benimmt, wie es sich andere wünschen? Eltern stehen oft vor diesen Fragen. Denn Kinder erlernen erst mit den Jahren, welches Verhalten erwünscht ist. Und nicht immer entspricht das den Grundbedürfnissen von Kindern. Daher schauen wir in diesem Titelthema auf die wichtigsten Regeln rund um gutes Benehmen und geben Tipps, wie man sie am besten vermittelt – und zwar ohne erhobenen Zeigefinger.

Freiherr von Knigge …

Wer über gutes Benehmen redet, kommt kaum an dem Namen Knigge vorbei. Der Familienname des Schriftstellers, der vor gut 250 Jahren geboren wurde, steht heute als Synonym für Tischsitten und Benimmregeln. Dabei enthält sein 1788 erstmals erschienenes Buch „Über den Umgang mit den Menschen“ gar keine konkreten Vorgaben, wie man sich anzuziehen hat, wen man als erstes zu grüßen hat und wie das Besteck auf dem Esstisch liegen sollte. Gleichwohl gilt das Buch bis heute als Standardwerk und hat an Aktualität kaum eingebüßt. Adolph Freiherr von Knigge wurde 1752 in Bredenbeck bei Hannover in eine Adelsfamilie geboren. Seine Familie entstammte einem alten niedersächsischen Adelsgeschlecht. Bereits in jungen Jahren zeigte Knigge ein starkes Interesse an sozialen Fragen und begann, sich aktiv in Debatten über gesellschaftliche Reformen einzubringen. Aufgrund von Schulden war er gezwungen, wie ein Bürgerlicher zu arbeiten. Er war unter anderem als Hofjunker und Kammerherr angestellt und schrieb Bücher. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit war Knigge politisch aktiv und engagierte sich für Reformen in verschiedenen Bereichen, darunter Bildung, Rechtswesen und Armutsbekämpfung. Heute gilt er als bedeutender deutscher Schriftsteller, Aufklärer und Sozialphilosoph des 18. Jahrhunderts – und eben als Vater des guten Benehmens.

… und sein Regelwerk

Zu verdanken ist das seinem erfolgreichsten und bekanntesten Werk: „Über den Umgang mit den Menschen“. Darin setzte er sich mit Fragen des sozialen Miteinanders auseinander und gab praktische Ratschläge für ein respektvolles und harmonisches Zusammenleben. Das Buch war eine Antwort auf die sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen seiner Zeit. In einer Zeit, in der die Gesellschaft durch starre Klassenschranken und Etikette geprägt war, suchte Knigge nach Möglichkeiten, wie Menschen aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten respektvoll miteinander umgehen konnten. Sein Ziel war es, eine Art Leitfaden für ein harmonisches Miteinander zu schaffen, der unabhängig von Stand und Herkunft gültig war. Nach Knigges Verständnis bilden Prinzipien wie Höflichkeit, Respekt, und Anstand das Fundament für gutes Benehmen. Das Werk machte ihn zu einem Vorreiter der modernen Etikette. Viele Passagen daraus haben auch 250 Jahre nach seinem Erscheinen nichts an Aktualität verloren. Höflichkeit, Empathie, Verständnis, gegenseitige Rücksichtnahme und Toleranz im Umgang miteinander täten unserer Gesellschaft auch heute noch gut. Nur einige wenige Aspekte würde man heute so nicht mehr veröffentlichen. So hat er beispielsweise – wie es für seine Zeit typisch war – die Frau am Herd verortet. Von Büchern und Wissenschaft solle sie sich fernhalten, dies würde nur ihre Zeit verschwenden und sie könnte ihren eigentlichen Pflichten nicht mehr ausreichend nachkommen: Haushalt, Kinder und Ehemann.

Was man in dem Original-Buch von 1788 vergebens sucht, sind konkrete Benimm-Regeln oder gar Vorgaben, wie das Besteck anzuordnen sei und wie Servietten gefaltet werden. Die Verknüpfung zwischen Knigge und Benimm-Regeln entstand erst im Laufe der Jahrzehnte und ist wohl einigen findigen Lektoren und Verlegern zu verdanken. Heute jedenfalls findet man dutzende Buchtitel mit dem Namen „Knigge“, die eben solche Etikette-Regeln vermitteln.



„Gute Sitten haben für die Gesellschaft mehr Wert als alle Berechnungen Newtons.“ Friedrich II., der Große (1712 - 1786), preußischer König. Foto: Pawel Sosnowski

Es gibt sogar eine Deutsche-Knigge-Gesellschaft, die sich dem Erbe Knigges verpflichtet fühlt. Dazu heißt es auf ihrer Homepage zu Knigges Standard-Werk: „Diese Schrift stellt nicht die heute mit seinem Namen verbundene steife Etikette in den Vordergrund, sondern beschreibt, was heute als „Impressionsmanagement" zur Verbesserung des persönlichen Auftretens in der Gesellschaft (…) bezeichnet wird. Die Deutsche-Knigge-Gesellschaft lehnt vor diesem Hintergrund übertriebene, steife Etikette ab. An deren Stelle tritt vollendeter Stil, sichere Kenntnis der aktuellen Umgangsformen, aber auch moralische Selbstverantwortung, sittlich einwandfreies Verhalten sowie ein situativ angemessener toleranter und lockerer Umgang miteinander.“ Ihre Handlungsgrundsätze sind an den Prinzipien des Freiherrn orientiert:

Toleranz: Ein wertschätzender Umgang miteinander erfordert vor allem Toleranz für die Bedürfnisse und Gewohnheiten des anderen. Diese Forderungen mit den eigenen Ansprüchen in Einklang zu bringen, ist eine Kunst, die mit dem Wissen um gesellschaftliche Regeln und der Sicherheit im persönlichen Stil gelingen kann.

Respekt: Sitten und Bräuche folgen selten rationalen Grundlagen. Insbesondere im interkulturellen Miteinander stoßen wir oft an Grenzen. Der Respekt vor dem anderen, kulturell wie personell, formt den eigenen Charakter und hilft dabei, an sich selbst und miteinander zu wachsen.

Aufmerksamkeit: Der Satz „Das war schon immer so“ ist nicht der Schlüssel zum Erfolg. Menschen und Gesellschaft sind einem steten Wandel unterworfen, dem sorgfältige Aufmerksamkeit gebührt. Was gestern gut war, kann heute besser werden.

Verlässlichkeit: Das Wissen um verbindliche Regeln im Umgang miteinander vermittelt uns Sicherheit und Verlässlichkeit im Alltag. Die so gewonnene Freiheit können wir nutzen, um uns respektvoll, aufmerksam und tolerant dem Zwischenmenschlichen zu widmen und die wahren Gewinne für Herz und Verstand zu ernten.

Im Interview mit der lausebande verrät Vorstandsmitglied Ina Beyer-Graichen, warum Knigge auch heute noch aktuell ist und wieso auch Kinder schon mit seinen Grundsätzen vertraut gemacht werden sollten.

Früher war alles besser?

Wer selbst Kinder großzieht, hat vermutlich schon mal den Satz an den Kopf geworfen bekommen: „Die Kinder von heute wissen gar nicht mehr, was gute Erziehung ist.“ Es ist ein Klagelied, das jede Generation aufs neue anstimmt. Immer ist es um die Manieren der Jugend schlecht bestellt. Schon lange vor Beginn unserer Zeitrechnung mit Christi Geburt wurde auf die Jugend geschimpft: Auf einer 5.000 Jahre alten Tontafel der Sumerer heißt es: „Die Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein ungepflegtes Aussehen, sinnt auf Umsturz, zeigt keine Lernbereitschaft und ist ablehnend gegen übernommene Werte.“ 2.000 Jahre später hieß es auf einer Babylonischen Tontafel: „Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird niemals so sein wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Kultur zu erhalten.“ Sokrates soll vor gut 2.500 Jahren geklagt haben: „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“ Dessen Schüler Aristoteles wiederum beschwerte sich: „Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.“ Selbst Knigge beklagte den fehlenden Respekt vor den Älteren. Und so ließe sich die Zitate-Sammlung bis in die heutige Zeit fortsetzen. Der jüngste Ausbildungsbericht der Deutschen Industrie- und Handelskammer beklagt die fehlenden Kompetenzen einiger Bewerber: „Auch wenn sich die Unternehmen nach Kräften für ihren Nachwuchs engagieren, können sie in der Schule und in Elternhäusern Versäumtes nur begrenzt wettmachen.“

Wandel von Gesellschaft und Familie

Insofern lässt sich die Frage, ob Kinder und Jugendliche heute ein schlechteres Benehmen zeigen als noch zu Zeit unserer Großeltern, nicht pauschal beantworten. Verschiedene Faktoren spielen dabei eine Rolle. Zum einen haben sich im Laufe der Jahrhunderte die sozialen Normen und Erwartungen verändert. Während es zu Knigges Zeiten noch unschicklich war, wenn Frauen Bücher lasen, stehen Mädchen heute alle Berufswege offen. Was vor zwei Generationen als unhöflich oder unangemessen galt, kann heute möglicherweise toleriert oder sogar akzeptiert werden. Dies führt dazu, dass bestimmte Verhaltensweisen heute anders wahrgenommen werden. Dieser Wertewandel trifft gerade in Familien auf veränderte Grundsätze und Methoden in der Erziehung. Während unsere Eltern oft noch autoritär und mit strenger Hand erzogen wurden und stets zu gehorchen hatten, setzen heute immer mehr Eltern auf eine bedürfnis- und bindungsorientierte Erziehung. Diese stellt die Bedürfnisse des Kindes in den Vordergrund und nicht die Erwartungen der Gesellschaft.

Nicht zuletzt haben die gesellschaftlichen Veränderungen Einfluss darauf, wie Kinder aufwachsen und wie sie sich verhalten: Familienstrukturen sind heute nicht mehr so stabil und groß wie vor zwei oder drei Generationen. Kinder wachsen häufiger als früher in Patchwork-Familien oder mit nur einem Elternteil auf. Nur noch selten leben mehrere Generationen unter einem Dach, so dass hier nicht mehr automatisch die Werte der Großeltern-Generation erlebt und vermittelt werden. Die zunehmende Digitalisierung gehört ebenso zu den Veränderungen, die sich auf das Verhalten von Kindern auswirken. Kinder nutzen schon früh Kommunikationsformen, die es in der Kindheit ihrer Eltern noch gar nicht gab.

Warum ist gutes Benehmen wichtig?

Selbst wenn die Meinungen über die angemessene Erziehung manchmal auseinander gehen, so sollte doch Einigkeit darüber herrschen, dass gewisse Grundlagen guten Benehmens dazugehören. Höflichkeit und Respekt tragen dazu bei, Konflikte zu vermeiden und erleichtern das Miteinander. Darüber hinaus hinterlässt ein freundliches Auftreten einen bleibenden Eindruck und kann Türen öffnen, sei es im beruflichen oder privaten Bereich. Kinder, die frühzeitig die Grundlagen guten Benehmens erlernen, haben daher einen Vorteil im Leben. Letztendlich ist gutes Benehmen nicht nur eine Frage der Etikette, sondern auch ein Ausdruck von Respekt und Wertschätzung gegenüber anderen Menschen. Adolph Freiherr von Knigge mag vor über 200 Jahren gelebt haben, seine Lehren sind jedoch zeitlos.

Es liegt in der Verantwortung der Erwachsenen, Kindern die Grundlagen guten Benehmens zu vermitteln. Der erste und wichtigste Ort, wo Kinder genau das erlernen, ist die Familie. Das sind zunächst einmal die Eltern, aber auch große Geschwister, Großeltern, Tante und Onkel. Je älter die Kinder werden, desto mehr Einfluss nehmen Personen außerhalb der Familien – wie Nachbarn, gute Freunde, Trainerin, Übungsleiter, Kita, Hort und Schule.

Konsequenz oder laisser-faire?

Als Eltern werden Sie wissen: Das, was Kinder wünschen und brauchen, geht nicht immer mit dem einher, was Erwachsene erwarten. Kinder sind gern laut und wild, während es Erwachsene lieber ruhig mögen. Kinder haben noch einen natürlichen Bewegungsdrang, der sich nicht unbedingt mit dem Stillsitzen während einer Mahlzeit vereinbaren lässt. Kinder spielen im Hier und Jetzt und lassen sich nur ungern aus einer Tätigkeit reißen, weil ein Termin wartet. All diese Konflikte werden Ihnen im Familienalltag immer wieder begegnen. Wie Sie damit jeweils umgehen, welches Bedürfnis in dem Fall wichtiger ist, das müssen Sie entscheiden. Geduld und Liebe sind dabei sicher nicht die schlechtesten Ratgeber, ebenso das Vertrauen, dass Ihr Kind als Erwachsener nicht mehr mit dem Essen spielen und über Stühle klettern wird, selbst wenn Sie das während der Kindheit nicht immer unterbinden.

Wir geben Ihnen im Folgenden einen Überblick darüber, welche Umgangsformen in bestimmten Situationen sozial erwünscht sind. Die Entscheidung, wie konsequent Sie diese umsetzen, liegt bei Ihnen und an der jeweiligen Situation. Beim Abendessen im Restaurant ist vermutlich mehr Konsequenz gefragt als nach einem langen Kita- und Arbeitstag am Familientisch.

Umgangsformen

  • Bitte und danke sagen.
  • Wir begrüßen und verabschieden uns.
  • Dabei die (rechte) Hand geben und dem Gegenüber in die Augen schauen.
  • Anklopfen, bevor man eine Tür öffnet.
  • Anderen kein Spielzeug wegnehmen.
  • Nicht hauen, schubsen, kratzen.
  • Sich bei Fehlern und Missgeschicken entschuldigen.
  • Beim Gähnen die Hand vor den Mund halten.
  • Ins Taschenbuch oder in die Armbeuge biesen
  • Ab Grundschulalter sollten Kinder Siezen.
  • Andere nicht beim Reden unterbrechen.
  • Anderen die Tür aufhalten.
  • Schimpfwörter und Fluchen vermeiden.
  • Andere nicht beleidigen.
  • Keine laute Musik hören, wenn andere dadurch gestört werden.
  • Pünktlich zu Terminen und Verabredungen erscheinen.
  • Nicht mit dem Finger auf andere zeigen.

Tischsitten

  • Vor und nach dem Essen Hände waschen.
  • Die Mahlzeit gemeinsam beginnen (und beenden).
  • Die Hände gehören auf den Tisch, die Ellenbogen nicht.
  • Wir sitzen gerade am Tisch.
  • Laute Geräusche wie Schmatzen, Schlürfen, Rülpsen sind tabu.
  • Nur so viel auf den Teller nehmen, wie man auch schafft.
  • Wir essen mit Besteck, nicht mit den Händen.
  • Das Besteck wird zum Mund geführt, nicht umgekehrt.
  • Wir reden nicht mit vollem Mund.
  • Beim Kauen bleibt der Mund geschlossen.
  • Besteck und Teller werden nicht abgeleckt.
  • Mund und Hände mit einer Serviette säubern.
  • Während des Essens kommt die Serviette auf den Schoß.
  • Mit dem Essen wird nicht gespielt.
  • Spielzeug und Handy gehören nicht auf den Esstisch.
  • Beim Anstoßen in die Augen des Gegenübers sehen.

In Bus und Bahn

  • Älteren, Behinderten und Schwangeren einen Sitzplatz anbieten.
  • Erst alle aussteigen lassen, bevor man selbst einsteigt.
  • Füße gehören nicht auf den Sitz.
  • Rucksäcke und anderes Gepäck gehört unter den Sitz.
  • Lautes Musikhören, Telefonieren und Reden vermeiden.
  • Streng riechendes Essen vermeiden.

Äußeres

  • Auf Körperhygiene achten: Regelmäßig waschen oder duschen.
  • Nach dem Toilettengang die Hände waschen.
  • Täglich Zähne putzen und Haare kämmen.
  • Socken und Unterwäsche täglich wechseln.
  • Gepflegte, saubere Fingernägel.
  • Dem Anlass angemessen kleiden.
  • Keine schmutzigen oder kaputten Sachsen tragen.
  • Nicht popeln (oder wenigstens nicht in Gegenwart anderer).


Vor dem Abenteuer Zugfahrt sollten Eltern die wichtigsten Verhaltensregeln erklären. (c) FamVeld, iStock

Vorbild statt Ermahnung

Im Idealfall lernen Kinder all dies nebenbei – indem sie es zu Hause vorgelebt bekommen. Familienfeiern, Restaurantbesuche und Ausflüge sind ebenfalls gute Gelegenheiten, um Kindern diese Regeln zu vermitteln. Wenn die Eltern gute Vorbilder sind und sich so benehmen, wie sie es sich auch von ihren Kindern wünschen, dann sind das beste Voraussetzungen, damit aus dem kleinen Lausebengel ein wohlerzogener Mann wird.

Statt die Kinder immer wieder zu ermahnen („Hör auf zu kippeln!“, „Sag danke!“, „Sprich leiser!“), wirken Sie am nachhaltigsten über Ihre Vorbildfunktion. Begrüßen Sie Freunde oder Spielkameraden Ihrer Kinder, wenn diese zu Besuch kommen, bieten Sie ihnen etwas zu trinken an. Warten Sie mit dem Essen, bis alle am Tisch sitzen. Nehmen Sie Ihr Smartphone nicht mit an den Tisch, ignorieren Sie das Telefonklingeln während der Mahlzeit. Danken Sie demjenigen, der gekocht und den Tisch gedeckt hat. Nicht sofort, aber doch mit der Zeit, werden die Kinder diese Verhaltensweisen übernehmen.

Nicht immer wird Mamas gutes Vorbild sofort zum Erfolg führen. Es wird peinliche Momente geben. Das Kind wird mal das „Danke“ vergessen, wenn der Verkäufer in der Fleischerei eine Wiener über die Theke reicht. Es wird nach einem langen Kitatag vielleicht nicht mehr in der Lage sein, mit Messer und Gabel zu essen und gerade am Tisch zu sitzen. Es wird auch mal Lust darauf haben, aus Gurken, Möhren und Toast ein Gesicht auf den Teller zu zaubern, es wird schlechte Tage haben, an denen es der Oma nicht die Hand geben will. Schimpfen Sie nicht, wenn Ihr Kind das „Danke“ vergessen hat, aber loben Sie, wenn es von allein kam.

Wir haben die Etikette-Trainerin Ina Beyer-Graichen, die zugleich Vorstandsmitglied der Deutschen-Knigge-Gesellschaft ist, vier typische Situationen aus dem Familienalltag beschrieben und sie gebeten, eine angemessene Reaktion zu empfehlen. Ein ausführliches Interview mit ihr rund um gutes Benehmen in Familien lesen Sie im Anschluss an dieses Titelthema.

Mein siebenjähriges Kind feiert Kindergeburtstag und hat seine Freunde eingeladen. Es nimmt sich zuerst vom Kuchen, stellt sich immer wieder in den Mittelpunkt und will darüber bestimmen, was gespielt wird, wer zuerst dran ist und wer neben ihm sitzen darf.

In dieser Situation das Kind nicht vor seinen Freunden rügen, nur vielleicht etwas korrigierend mit Vorschlägen eingreifen, wenn die Stimmung auf Grund des Verhaltens kippen sollte. Die Situation „nachbereiten“, am besten einen Tag später und ganz in Ruhe. Erfragen Sie, warum sich das Kind so verhalten hat. Sicher meinte es, als Geburtstagskind im Mittelpunkt stehen und damit alles bestimmen zu dürfen. Notieren Sie sich dessen Argumente, gehen Sie kurz darauf ein und sprechen Sie vor der nächsten Geburtstagsfeier über die Rolle des Gastgebers bzw. der Gastgeberin. Die Geschenke der Freunde bringen Freude, deshalb sollte auch Freude verteilt werden. Das macht man, indem man seinen Gästen Kuchen und Getränke zuerst anbietet und sich zuletzt vom Kuchen nimmt. Man schlägt Spiele vor, aber die Freunde entscheiden die Reihenfolge. Eine besonders gute Idee ist es auch, mit dem Kind bereits eine Weile vor seinem Fest über eine Tischordnung nachzudenken und es Tischkärtchen basteln zu lassen.

Ich komme mit meinem sechsjährigen Kind auf eine Geburtstagsfeier und begrüße alle Gäste mit Handschlag. Mein Kind ist schüchtern und versteckt sich hinter meinem Bein. Wenn andere Gäste ihm die Hand entgegenstrecken, verweigert es sich.

Auch solche Situationen sollte man nicht in diesem Moment klären. Bereiten Sie Ihr Kind von klein an auf solche Situationen vor. Üben Sie immer wieder mit vertrauten Personen, zwingen Sie es nicht. Durch Beobachten lernt das Kind nach und nach, dass es in unserem Kulturkreis üblich ist, sich die Hand zu reichen und beim Grüßen in die Augen zu schauen. Sprechen Sie mit älteren Kindern über den Grund der Verweigerung. In den Corona-Jahren war der Handschlag nicht üblich, sodass diese Geste für ein Kind womöglich befremdlich ist.

Wir sind zu einer Hochzeit eingeladen. Mein 12-jähriger Sohn hat keine Lust auf Anzug und Krawatte. Er möchte in Jeans und Sneakers zur Feier.

Zum Glück haben Sie vom Zeitpunkt der Einladung bis zum Fest ein wenig Zeit. Nutzen Sie diese Schritt für Schritt, um mit Ihrem Sohn über verschiedene Anlässe zu sprechen. Erinnern Sie ihn daran, wie es sich anfühlte, als er als Schulanfänger im Mittelpunkt stand und wie schön sich alle Gäste extra für ihn gemacht hatten. Anlassgerechte Kleidung benutzen wir auch im Alltag. Das beginnt mit dem täglichen Wechsel von der Nachtwäsche zur Tageskleidung, von der Kleidung nach dem Sport zur Kleidung für den (Schul-) Alltag bis hin zu unseren Lieblingsstücken an Geburtstagen und Feiertagen. Damit schlagen Sie sozusagen einen Bogen zu den größten Festen im Leben eines Menschen, wozu Konfirmation und Jugendweihe, Schulabschlussbälle und natürlich eine Hochzeit gehören. Erklären Sie Ihrem Sohn, dass seine „Aufmachung“ ein Geschenk an die Brautleute ist, die ihre Hochzeitsfeier im feierlichen Rahmen begehen und sein Verhalten der Situation angemessen und seine Kleidung entsprechend anlassgerecht sein sollte. Lassen Sie ihn selbst im Internet recherchieren und Vorschläge machen, womit er sich wohlfühlen könnte. Einen Zwölfjährigen würde ich nicht zum Tragen eines Anzuges zwingen. Wie wäre es mit einem weißen Hemd und dunkler Stoffhose? Lassen Sie sich notfalls auf neue, nicht zu klobige Sneaker ein. Vielleicht findet er auch an einer Weste über dem Hemd Gefallen? Coole Ideen findet er bestimmt auch bei meinem geschätzten Kollegen Clemens von Hoyos auf dessen TikTok-Kanal für junge Leute.

Ich sitze mit meiner 4-jährigen Tochter im Bus. Ein Mann mit deutlichem Bauch steigt ein, daraufhin sagt meine Tochter laut: "Mama, der Mann bekommt ein Baby." Auch hier wieder die Frage: Welche Reaktion wäre aus Ihrer Sicht angemessen?

Folgen Sie Ihrer ersten Reaktion, lachen kurz auf und antworten Ihrer Tochter „Das kann sein!“. Schauen Sie den Mann dabei lächelnd an. Vielleicht kommt ja ein Lachen zurück mit der Bemerkung „Das höre ich nicht zum ersten Mal!“. Eine solche Bemerkung fällt unter die Kategorie „Kindermund tut Wahrheit kund“ und darf bei einer Vierjährigen getrost als drollig eingestuft werden.

Die Rolle von Schule und Kita

Werden die Kinder größer, spielen auch Kita, Hort und Schule eine wichtige Rolle bei der Vermittlung von gutem Benehmen. Zum einen ist es hilfreich, wenn die Kinder spätestens beim Schuleintritt die wichtigsten Benimmregeln und höfliches Verhalten verinnerlicht hätten. Zum anderen können Lehrerinnen und Erzieher ebenfalls dazu beitragen. Dafür gibt es mehrere Wege.

  1. Sozialisation und Interaktion: Kitas und Schulen sind Orte, an denen Kinder frühzeitig mit anderen Kindern und verschiedenen sozialen Situationen konfrontiert werden. Durch diese Interaktionen lernen sie, sich in Gruppen zu integrieren, Konflikte zu lösen und angemessen miteinander umzugehen. Pädagogische Fachkräfte können dabei helfen, positive Verhaltensweisen zu fördern und unerwünschtes Verhalten zu korrigieren.
  2. Vorbildfunktion der Lehrkräfte: Lehrkräfte und Erzieherinnen fungieren als Vorbilder für die Kinder. Ihr eigenes Verhalten und ihre Interaktionen mit den Kindern prägen deren Verständnis von gutem Benehmen. Indem sie Höflichkeit, Respekt und Empathie vorleben, können sie wichtige Werte vermitteln und die Entwicklung sozialer Kompetenzen fördern.
  3. Projekte und Unterricht: Einige Kitas und Schulen integrieren explizit die Vermittlung von sozialen Kompetenzen und guten Umgangsformen in ihren Bildungsplan. Dies kann durch spezielle Programme, Projekte oder Unterrichtseinheiten erfolgen, die darauf abzielen, den Kindern wichtige Fähigkeiten wie Konfliktlösung, Kommunikation und Teamarbeit beizubringen.
  4. Elternarbeit: Kitas und Schulen arbeiten im Idealfall eng mit den Eltern zusammen, um die Entwicklung der Kinder ganzheitlich zu fördern. Durch Elternabende, Vorträge, Workshops oder individuelle Beratung können Eltern unterstützt werden, ihre Kinder in Bezug auf gutes Benehmen zu erziehen.
  5. Regelwerke und Normen: Kitas und Schulen haben in der Regel klare Regelwerke und Normen, die das Verhalten der Kinder regeln. Indem sie klare Erwartungen kommunizieren und Konsequenzen für Regelverstöße aufzeigen, helfen sie den Kindern, ein Verständnis für angemessenes Verhalten zu entwickeln und Verantwortung für ihre Handlungen zu übernehmen.


Früh übt sich, wer ein vornehmer Esser werden will. Foto: joegolby, istock

Schulfach „Gutes Benehmen“?

Braucht es vielleicht ein eigenes Schulfach „Gutes Benehmen“? Zuletzt wurde das vor knapp zehn Jahren öffentlich diskutiert und Argumente ausgetauscht. Die Einführung eines Schulfachs mit dem Fokus auf „Gutes Benehmen“ ist eine Idee, über die kontrovers diskutiert werden kann. Hier sind einige Argumente, die dafür und dagegen sprechen:

Ein solches Schulfach könnte dazu beitragen, soziale Kompetenzen wie Empathie, Kommunikation, Konfliktlösung und Teamarbeit gezielt zu fördern. Wenn Kinder frühzeitig lernen, sich angemessen zu verhalten und Respekt gegenüber anderen zu zeigen, kann dies dazu beitragen, Verhaltensprobleme wie Mobbing, Aggression oder Respektlosigkeit zu reduzieren. Zudem könnte ein Schulfach die Jugendlichen auf das spätere Berufsleben vorbereiten. Denn dort lernen sie, sich angemessen zu präsentieren, professionelle Umgangsformen zu pflegen und in verschiedenen sozialen Situationen sicher zu agieren.

Doch es gibt auch Gründe, die dagegen sprechen. Ein ganz pragmatischer ist die aktuelle Situation: Fast an allen Schulen fehlen Lehrkräfte. Wo es noch vertretbar ist, werden Stundenpläne schon jetzt ausgedünnt und einzelne Stunden gestrichen. Sollten da mal ausreichend Kapazitäten für ein neues Schulfach vorhanden sein, gibt es schon jede Menge anderer Vorschläge wie Wirtschaft oder Glück. Zudem stehen beim Thema Benehmen tatsächlich zuerst die Eltern in der Verantwortung. Die Schulen müssen schon heute vieles abfangen, was in manchen Elternhäusern nicht mehr geleistet wird. Ihnen dann auch noch die Erziehung der Kinder zu gutem Benehmen aufzubürden, ist viel verlangt. Eine Alternative, die teils schon so gehandhabt wird, sind die Integration von entsprechenden Inhalten in andere Schulfächer, wie Ethik oder Religion.

Keine Regel ohne Ausnahme

Wenn Sie bis hierher gekommen sind und sich jetzt denken: „Ganz schön viel und ganz schön streng!“, dann möchten wir an dieser Stelle mit den Konventionen brechen. Denn auch hier gilt: Keine Regel ohne Ausnahme. Wenn Ihre Kinder auch im Vorschulalter noch gern mit den Fingern essen und lustige Gesichter mit dem Essen legen wollen oder ihren Namen mit den Nudeln aus der Buchstabensuppe schreiben wollen, dann könnten Sie einen Kompromiss finden: Ein Mal pro Woche (oder pro Monat) ist eine „Chaos-Mahlzeit“ erlaubt. Die Kinder dürfen auf Besteck verzichten. Blubbern mit dem Strohhalm und rülpsen sind ausdrücklich erlaubt. Vielleicht verlegen Sie die Mahlzeit auch auf den Boden und veranstalten ein Picknick in der Küche. Oder Sie lassen sich von den Sitten anderer Kulturen inspirieren. In einigen afrikanischen und asiatischen Ländern ist es durchaus üblich auf dem Boden sitzend zu essen. Vielleicht haben Ihre Kinder Lust, eine Mahlzeit komplett mit Stäbchen einzunehmen. Im Idealfall wissen die Kinder nach so einer Mahlzeit die klassischen Tischsitten umso mehr zu schätzen.



So bitte nicht! (c) Anastasiia Stiahailo, iStock

Andere Länder, andere Sitten?

Nicht alles, was bei uns in Deutschland als höflich gilt, kommt auch im Ausland gut an. Wir werfen daher an dieser Stelle einen Blick auf die (guten) Sitten und Bräuche in anderen Ländern. Wenn Sie ältere Kinder haben, können Sie genau darüber mit ihnen sprechen. Dieses Wissen und Verständnis für andere Kulturen weitet den Horizont. Außerdem kann die kleine Auswahl hilfreich sein für die Vorbereitung des nächsten Auslandsurlaubs.

Ägypten: In dem beliebten Urlaubsland sollten Sie Arme und Beine bedecken, wenn Sie eine Moschee betreten. Die Schuhe bleiben davor stehen. Frauen tragen in der Moschee ein Kopftuch. Achten Sie darauf, im Sitzen oder Liegen anderen nicht die Fußsohle entgegenzustrecken, dies gilt als Beleidigung. Die linke Hand gilt als unrein – reichen Sie also zur Begrüßung immer die rechte Hand und übergeben sie Geschenke mit rechts.

Brasilien: Pünktlichkeit wird in Brasilien ebenfalls anders verstanden als in Deutschland. Wenn Sie privat eingeladen werden, reicht es 30 bis 60 Minuten nach der vereinbarten Zeit zu erscheinen. Bringen Sie keine Geschenke in Violett oder Schwarz mit. Diese Farben stehen für Trauer. Das aus Daumen und Zeigefinger geformte Okay-Zeichen ist in Brasilien eine obszöne Geste.

Bulgarien: Viele Sitten ähneln denen der Deutschen. So ist der Handschlag zur Begrüßung auch hier üblich. Eine Stolperfalle lauert bei der Gestik. Denn während wir in Deutschland, den Kopf schütteln, wenn wir nein meinen und bei Zustimmung nicken, ist es in Bulgarien genau umgekehrt.

Indien: In Indien spielen Gastfreundschaft und Respekt gegenüber Älteren eine große Rolle. Beim Essen wird oft mit den Händen gegessen, hier ganz wichtig: Die linke Hand gilt als unrein und wird daher nicht für das Essen verwendet.

Irland: Eine der größten Umstellungen für Deutsche ist der Linksverkehr. Wer sich aus diesem Grund nicht ans Steuer eines Mietwagens traut und lieber auf den Bus setzt, sollte beachten, dass man sich beim Warten an der Haltestelle den Bus heranwinken muss, sonst hält er nicht. Das Victory-Zeichen mit dem Handrücken nach außen sollten Sie in Irland vermeiden – es entspricht dem ausgestreckten Mittelfinger in Deutschland.

Italien: Deutsche Pünktlichkeit ist hier nicht üblich. Wenn Sie privat eingeladen sind, sollten Sie erst 10 bis 20 Minuten nach der vereinbarten Zeit erscheinen. Wenn Sie Ihren Gastgebern Blumen mitbringen möchten, verzichten Sie auf Chrysanthemen – sie werden in Italien typischerweise für Trauerfeiern genutzt.

Japan: Die Begrüßung erfolgt nicht per Handschlag, sondern mit einer leichten Verbeugung. Blickkontakt sollten Sie beim Gespräch vermeiden, da dies als unhöflich gilt. In der Öffentlichkeit sind lautes Lachen und Naseputzen nicht gern gesehen. Auch das Essen mit Stäbchen erfordert eine gewisse Etikette, so ist nicht schicklich, die Stäbchen senkrecht in die Schüssel zu stecken.


Literatur-Empfehlung
Knigge kinderleicht: Gutes Benehmen für Kids
von Karolin Küntzel (2022), ISBN-13 978-3817443321

Die Autorin gibt Kindern auf über 100 Seiten Tipps und Tricks für ein freundliches, zuvorkommendes und souveränes Auftreten an die Hand: Wie lautet die passende Begrüßung? Welches Besteck verwende ich für die Vorspeise und was sind absolute Benimm No-Gos? Jedes Kapitel schließt mit einem kurzen Knigge-Quiz. Zum Schluss kann das neu gewonnene Wissen in einem Knigge-Spiel angewandt werden. Das Grußwort für das Buch kommt von Clemens Graf von Hoyos, dem Vorsitzenden der Deutschen-Knigge-Gesellschaft.