lausebande-02-2022

viel Aufmerksamkeit. Als Jugendlicher geht man lieber eigene Wege. In den Jahren zuvor gab es regelmäßig Mutti-Philipp-Tage. Da gingen die beiden ins Kino oder schwimmen. Ansonsten war der große Bruder bei allen Anna betreffenden Entscheidungen dabei. „Er sollte verstehen was lief.“ Alle Abläufe, die sich in jener Zeit etabliert haben, waren nur mit dem Vertrauen zum Pflegeteammöglich. Das Johanniter-Team brachte noch eine andere Entlastung mit: das Zuhören. Nach dem Unfall von Anna hat sich das Umfeld zurückgezogen. „Es wurde viel Blödsinn erzählt. Man wechselte die Straßenseite. Der Bekanntenkreis wurde reduziert und sortiert. Die, die geblieben sind, sind noch heute für einen da. Highlife ist in unserer Situation halt nicht möglich. Das Verständnis dafür ist nicht immer da. Auch in der Familie nicht.“, erzählt Anja. Was macht so ein Schicksalsschlagmit einem? „Man ist nicht mehr so unbeschwert, geht an alles konstruktiver ran. Philipp konnten wir nicht in Watte packen, aber er war der einzige Schüler, der bis zur zehnten Klasse das Schulgelände während der Unterrichtszeit nicht verlassen durfte. Außerhalb des Schulgeländes sind die Schüler nicht versichert. Ein hypothetischer Unfall ist für uns schon einmal Realität geworden. Daraus lernt man.“ Der Alltag erscheint gewöhnungsbedürftig. Man ist nie alleine. Das Pflegeteam läuft immer mit. Die einzige Zeit ohne Fremde imHaus ist die Schicht vonAnja. Ansonsten frühstückt man zusammen. Nicht jeden Tag. Es ist wichtig, trotzdem gewisse Grenzen zu wahren. Es ist immer noch ein Zuhause für eine Familie. Kein Krankenhaus, kein öffentlicher Treffpunkt. „Zuerst sind wir vier, dann der Rest. Keine Rechtfertigungen.“ Die Frage des Vertrauens zum Pflegeteam hat die oberste Priorität. Wie wird entschieden, ob ein neues Team-Mitglied in das System passt? Anja erklärt: „Die Chemie-Frage ist unwichtig. Neue Kräfte kommen, schauen wie es bei uns läuft und haben eine Einarbeitungszeit. Ich gucke auf die Finger, das ist klar. Ich bin die Pflegekraft, die die meiste Zeit mit Anna verbringt. Es passt auch nicht jede Kraft zu jedem Patienten. Einen Tagesablaufplan gibt es nicht. Man muss flexibel sein, nach der Tagesform von Anna entscheiden. Das bedeutet, dass man ihre Signale wahrnehmen und verstehen muss. Das kann nicht jeder.“ Anna befindet sich im Wachkomma. Es gibt keine wahrnehmbare Sensorik oder Motorik. Es sind Mikrozeichen, manchmal nur ein Schnaufen, die den starken Willen und die Sturheit der Prinzessin zum Ausdruck bringen, ihr Wohlbefinden oder Unbehagen. Zum Pflegeteam gehört auch Lilly, der Wach- und Therapiehund. Die weiße Bolonka-Dame hat alle im Griff. Sie bleibt auch mit den Großeltern bei Anna, wenn die www.johanniter.de In gutenwie in schlechten Zeiten: Anna und die helfendenHände von Johanniter Krankenschwester Kathleen Zedlick. Eltern den wohlverdienten Urlaub antreten. Die Großeltern bewachen das Haus, Lilly die Großeltern und das Pflegeteamder Johanniter kümmert sich umAnna. Die Aufgabenverteilung steht. Seit circa vier Jahren wird die Familie von einer Familienbegleiterin des Kinderhospizdienstes der Johanniter unterstützt. „Uns kann nur jemand begleiten, der uns kennt.“, erzählt Anja. Am Anfang war die Skepsis da. Als Kathrin vorgestellt wurde, schien es fast natürlich, mit ihr zu reden, sich von ihr zum Arzt oder bei anderen Unternehmungen begleiten zu lassen. Inzwischen sind sie befreundet. Jede Familie hat einen Rhythmus. Ein Familienbegleiter kennt und respektiert das. Es geht bei der Betreuung nicht zwangsläufig um das Thema der Vergänglichkeit des erkrankten Kindes. Es geht hauptsächlich darum, dass die Familie die Präsenz eines aufmerksamenMenschen erfährt. Jede Lebenslage teilen andere Betroffene mit einem. Diese Menschen zu treffen, ohne jegliche Vorbehalte mit ihnen zu reden, ohne von anderen beäugt zu werden, entspannte Familienzeit am Grill oder auf dem Spielplatz zu erleben, ist wichtig und auch möglich. Die von der Kinderkrankenpflege und dem Kinderhospizdienst der Johanniter organisierten Kinderfeste sind ein fester Bestandteil der Dienste rund um die jungen Patienten und deren Familien. „Es tut einfach gut, andere Betroffene kennenzulernen.“, sagt Anja. Das zehnjährige Jubiläum der Pflege von Anna durch das Johanniter-Team ist sicherlich kein Grund zur Freude im herkömmlichen Sinne. Andererseits wäre wohl vieles für die Familie Heinze ohne die Johanniter Kinderkrankenpflege und den Kinderhospizdienst anders gelaufen. „Es ist wie eine Ehe: in guten und in schlechten Zeiten. Eine Beziehung, die auf Gegenseitigkeit beruht.“

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