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schullehrer und Erzieher sind weiblich. Jungen
fehlt es also, im Gegensatz zu Mädchen, an Bezugs-
personen. Darüber hinaus gibt es häufig Vorurteile
bei den Bezugspersonen und Vorbildfiguren. Das
fängt bereits bei der Ausstattung mit Spielzeug
im Kindergarten an. Es gibt Bauklötzer in der ei-
nen Ecke, die sich bis zum Tisch mit den kreativen
Bastelsachen in der anderen Ecke erstrecken. Der
Unterricht ist oftmals recht einseitig ausgeprägt:
Mathe ist für Jungs und Deutsch für Mädchen. Das
beweist auch die PISA-Studie: Mädchen schneiden
im Lesen durchschnittlich besser ab als ihre gleich-
altrigen Mitschüler.
Nicht nur Eltern, Lehrer und Erzieher sorgen für
eine frühzeitige, bewusste oder unbewusste Ty-
pisierung der Geschlechter. Auch die Medien und
Spielzeughersteller treiben diesen Vorgang vor-
an. Früher gab es Bibi Blocksberg und Benjamin
Blümchen. Heute gibt es Lego Star Wars und Lego
Friends. Es ist zwar zu begrüßen, dass Spielzeug-
hersteller beide Geschlechter im Visier haben. Den-
noch wirkt die Einführung eines Baukastens spe-
ziell für Mädchen wie ein erzwungenes Klischee.
Ähnlich war es wahrscheinlich bei der Einführung
von Ken – die Puppe zu Barbie, die Puppe für
Jungs. Beide Spielzeugvarianten führen nicht nur
zu getrennten Spielzeugen, sie stellen gleichzei-
tig auch Vorbilder. Ken ist durchtrainiert und hat
eine ruhige, hübsche, blonde Freundin. Die Figu-
ren bei der Mädchenkollektion „Lego Friends“ ha-
ben hübsche Röckchen an, versuchen sich jedoch
auch in Sachen Wissenschaft oder Musik. Diese
Produkte spiegeln reale Entwicklungen, die auch
für wissenschaftliche Auseinandersetzungen inte-
ressant sind: Mädchen und Frauen soll ein Zugang
zu männlichen Domänen gewährt werden. Das
Männerbild in der Spielzeugindustrie und anderen
Bereichen des täglichen Lebens ist ungebrochen
hart. Ja, Jungen sollen sich raufen und ihre Kräf-
te messen. Sie sollen männliche Vorbilder finden
können. Die Situation ist paradox: In Sachen Spiel-
zeug und Debatte haben Mädchen und Frauen viel
Unterstützung. In der Realität wie dem Berufsleben
oder weitestgehend voreingestellten Meinungen,
sind Männer noch immer in der Vormachtstellung.
Dennoch gibt es einige Bereiche, in denen sich
auch das Männerbild gewandelt hat: Tokio Hotel
oder David Beckham haben einen Schritt weg vom
„harten Bauarbeitertyp“ hin zu mehr Selbstbestim-
mung, sei es auch nur äußerlich, gewagt.
Für Kinder ist es dadurch aber schwerer denn je,
Vorbilder außerhalb der engeren Bezugsgruppe zu
finden. Einerseits existiert vielerorts und in vielen
Köpfen die klassische Einteilung in das „starke“
und das „schwache“ Geschlecht. Auf der anderen
Seite verläuft eine parallele Entwicklung hin zu
einem Ruf nach Gleichstellung. Folgendes Bei-
spiel verdeutlicht das Problem: in den 50er Jahren
waren Frauen Hausfrauen und Männer waren die
Familienernährer. Heutzutage herrscht wesentlich
mehr Toleranz. Das ist eine positive Entwicklung.
Mit dieser Toleranz geht Freiheit einher – ein eben-
so positiver Aspekt. Mit Freiheit geht aber auch
immer Unsicherheit einher. Die Unsicherheit, die
richtige Entscheidung zu treffen, sich richtig zu
orientieren, etc. Das betrifft sowohl Eltern als auch
Kinder. In solchen Situationen ist die erste Lösung
meist der Weg ins Gewohnte – in die Typisierung.
Wer sich sicher durch diese Unsicherheiten hin-
durchschiffen kann, trifft auf andere Probleme.
Denn selbst wenn man sich von Rollenklischees
losgelöst hat und das für seine Kinder auch möch-
te, stößt man auf die Sozialisation anderer. Auch
wenn man auf die Meinung anderer nichts geben
möchte, will man seine Kinder auch nicht der
Häme anderer aussetzen. Der Sohn will zum Bal-
lett? Das ist weit schwerer als die Tochter zum Fuß-
ball zu schicken. Frauenfußball wird von Männern
zwar nach wie vor belächelt, dennoch ist ein Belä-
cheln weniger hämisch als der Hohn, der Ballett
tanzenden Jungen oft noch entgegenschlägt.
übler Pirat = typisch Junge?