Backe backe Kuchen...
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Warum wir uns wenigstens ein Mal am Tag gemeinsam mit den Kindern am Esstisch versammeln sollten. Ein Plädoyer für die Familienmahlzeit.
Um die Tischmanieren und die Kommunikation innerhalb der Familie scheint es heutzutage schlecht bestellt. Sogar Papst Franziskus bemerkt in seiner jüngsten Veröffentlichung „Amoris laetitia“, dass die Digitalisierung nicht nur Segen bringe. In Kapitel 7 zur Erziehung der Kinder mahnt er an, dass die gemeinsame Zeit der Familie leide, „wenn zur Essenszeit jeder mit seinem Mobiltelefon herumspielt“.In der Tat haben sich der Alltag und damit auch die Mahlzeiten von Familien in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt. Der Snack zwischendurch ist so beliebt, dass eine ganze Branche davon leben kann. Die Reiswaffel im Buggy, die Pommes beim Zoobesuch, das belegte Brötchen vorm nächsten Geschäftstermin. Ist das schlimm oder gar schädlich? Da sich kaum jemand ausschließlich von Snacks und Fertigessen ernährt, braucht man diese nicht per se zu verdammen. Problematisch sind die beliebten Snacks aber aus zwei Gründen: Erstens sind es selten „gesunde“ Snacks wie eine rohe Möhre oder ein paar Radieschen. Zweitens braucht ein gesunder Erwachsener, der sich nicht übermäßig viel bewegt, nicht mehr als drei Mahlzeiten täglich. Kinder dagegen können die mit der Nahrung aufgenommene Energie noch nicht so lange speichern und können bis zu fünf Mahlzeiten täglich auf dem Speiseplan stehen haben. In der Praxis heißt das: Für den Nachwuchs darf es zum Vesper auch mal ein Kuchen oder eine Banane sein. Mama und Papa sollten auf den Kuchen lieber verzichten oder aber ihn als Nachtisch nach dem Mittag essen.
Aber da Essen heutzutage oft genug nur Nebensache ist, sollte es wenigstens ein Mal am Tag zur Hauptsache werden – zur Familienmahlzeit. Sie garantiert, dass die gesamte Familie ein Mal täglich zusammenkommt. Das ist nicht immer selbstverständlich, wenn beide Eltern arbeiten, die Kinder im Sportverein oder bei der Musikschule sind. Angesichts des eng getakteten Alltags in vielen Familien ist es umso wichtiger, dass sie sich eine Stunde am Tag frei halten für eine gemeinsame Mahlzeit. Umfragen zeigen, dass sich diese Familienmahlzeit immer mehr auf den Abend verlagert. Wochentags fehlt für ein ausgiebiges Frühstück oft die Zeit, das Mittagessen nehmen die Eltern in der Kantine oder im Büro zu sich, die Kinder in der Kita oder Schule. Was bleibt, ist das gemeinsame Abendbrot. An den Wochenenden versammeln sich Familien mit älteren Kindern gern zu einem Brunch am Tisch, der Frühstück und Mittag vereint. Es kommt auch gar nicht so sehr darauf an, welche Mahlzeit nun alle Familienmitglieder an den Küchentisch lockt. Hauptsache es passiert überhaupt und halbwegs regelmäßig. Von gemeinsamen Mahlzeiten profitieren alle Familienmitglieder – große wie kleine. Sie geben Sicherheit und Geborgenheit, sie bieten Zeit und Raum für Beziehung und Erziehung.
Wie eng Essen und Erziehen miteinander verwoben sind, zeigt ein Blick in die Sprachgeschichte: In vielen westlichen Sprachen wurden die Wörter „Ernährung“ und „Erziehung“ lange mehr oder weniger synonym verwendet, hatte das Nähren und Ernähren immer auch eine erzieherische Bedeutung, im Begriff „Aufzucht“ wird das noch heute deutlich. Erst im 18. und 19. Jahrhundert kamen eigene Wörter für Erziehung auf und der Aspekt der Ernährung verschwand aus der Wortbedeutung. Noch heute belegen Redewendungen den engen Zusammenhang von ernähren und erziehen: den Wissensdurst stillen, die Weisheit mit Löffeln fressen, Bücher verschlingen, jemanden mit Wissen füttern, Wissen häppchenweise verabreichen.
Einfluss gemeinsamer Mahlzeiten auf die Entwicklung von Kindern
Der Mehrwert ist in jedem Fall gegeben. Eine US-amerikanische Studie von 2007 kommt zu dem Ergebnis: Kinder, deren Familien häufig gemeinsam Mahlzeiten einnehmen, sind seltener übergewichtig und greifen im Teenageralter seltener zu Zigaretten und Alkohol. Zudem ernähren sie sich insgesamt ausgewogener und gesünder. Das liegt zum einen daran, dass bei gemeinsamen Familienmahlzeiten meist gesündere Lebensmittel auf den Tisch kommen, als in der Kantine oder beim Snacken zwischendurch. Zum anderen legen Eltern, denen gemeinsame Mahlzeiten wichtig sind, auch sonst Wert auf eine gesunde Lebensweise, was sich im Idealfall auf den Nachwuchs überträgt. Wenn Kinder von Beginn an lernen, wie man gesund und lecker kocht, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie als Teenager und Erwachsene nicht zu oft zur Tiefkühlpizza oder Fertiglasagne greifen. Der Mehrwert für die Gesundheit ist ein wichtiger Aspekt von Familienmahlzeiten. Ein zweiter Pluspunkt: die sozialen Effekte. Kinder lernen am Esstisch auch Ess-, Gesprächs- und Alltagskultur. Die ganz Kleinen lernen durch das Abgucken von den Großen grundlegende Dinge, wie das Benutzen von Messer und Gabel.
Durch die Familienmahlzeiten können wir unseren Kindern Werte vermitteln. Kinder lernen den Wert von Lebensmitteln kennen und schätzen. Gerade für jüngere Kinder ist es wichtig, dass sie vom Einkauf bis zum Abräumen miteinbezogen werden. Sie lernen dabei fast nebenbei, was es mit Ernährung und Lebensmitteln auf sich hat. Sie lernen, wie sie sich bei Tisch zu verhalten haben, wie Lebensmittel zubereitet und gegessen werden, wie wir mit Pflanzen und Tieren umgehen wollen, was Lebensmittel kosten, dass Essen und Gesundheit eng miteinander zusammenhängen. Dass die Art des Anbaus von Gemüse oder die Haltung von Tieren Einfluss auf die Qualität der Lebensmittel, auf unsere Gesundheit und auf die Umwelt hat. Sie erfahren, dass die Milch nicht aus dem Tetrapack kommt. Dass Wasser blubbert und irgendwann verdunstet, wenn es kocht. Dass Brot aus Mehl gemacht wird und Mehl aus Getreidekörnern. Dass man Sahne schlagen muss. Dass man Eier rühren, braten, kochen, backen, stocken, pochieren kann. Dass man nicht nur mit Salz und Pfeffer dem Essen die richtige Würze geben kann. Dass Dill anders schmeckt und aussieht als Petersilie. Dass Nudeln gekocht besser schmecken als roh. Dass aus Eiern, Mehl und Butter ein geschmeidiger Teig wird, wenn man die Zutaten vermengt. Dass Äpfel am Baum wachsen, Johannisbeeren am Strauch und Kartoffeln unter der Erde. Dass Birnen erst reifen müssen und nur wenige Wochen im Jahr frisch zur Verfügung stehen. Dass aus einem kleinen Samenkorn bei richtiger Pflege ein Radieschen wird.
Wer einen Garten oder Balkon hat, kann gemeinsam mit den Kindern Erdbeeren, Tomaten, Petersilie anpflanzen. Wem der Garten fehlt oder nur der grüne Daumen, der kann im Kleinen zeigen, wie aus einem Samenkorn etwas zu essen wird: Kresse kann jeder pflanzen – ganz ohne Geschick und sogar ohne Blumenerde, dafür mit Gelinggarantie. Einfach ein paar Samen auf Küchenkrepp verteilen, regelmäßig gießen und schon nach einer Woche kann die Beilage für Suppen, Kräuterbutter oder Salat geerntet werden. Darüber hinaus kann man den nächsten Familienausflug zum Tag der offenen Tür auf dem (Bio-)Bauernhof, in der Mosterei, beim Imker, in der Molkerei oder beim Bäcker planen, um zu zeigen: So entsteht, was später auf dem Teller landet.
Das gemeinsame Am-Tisch-Versammeln stärkt die Familienbindung, das Zusammengehörigkeitsgefühl. Wer von früh an die Geborgenheit am Familientisch kennen und schätzen gelernt hat, wird sie auch im Teenager-Alter noch suchen. Eine Studie zur Jugendesskultur von 2011 zeigt, dass Jugendliche sich auch dann noch zu einem gemeinsamen Mahl dazu setzten, wenn sie satt waren. Sie suchten diese Gemeinsamkeit und die Kommunikation. In der Studie steht auch: Etwa jeder zweite Jugendliche setzt sich mindestens ein Mal zur Familie täglich an den Esstisch. Das heißt aber auch, dass knapp die Hälfte der Jugendlichen nur gelegentlich oder gar nicht mehr (2%) an Familienmahlzeiten teilnimmt. Da das Essen häufig für Gespräche genutzt wird, stärkt die Familienmahlzeit sogar die Redegewandtheit der Kleinen. Schlussendlich kann das tägliche Abendbrot um halbsieben ein Ankerpunkt im Alltag der Kinder sein, denen feste Tagesabläufe und Strukturen gut tun, sie geben ihnen Halt und Orientierung.
Zahlen zum Thema
Drei von vier Familien bauen einen solchen Anker in ihren Alltag ein. 2008 befragte Forsa im Auftrag der DAK Familien zu deren Essverhalten. Das Abendbrot ist in den meisten Familien die Familienmahlzeit: Wochentags versammeln sich 73 Prozent der befragten Familien am Esstisch, am Wochenende 83 Prozent. Für das Frühstück schaffen das unter der Woche nur 33 Prozent der Familien und für das Mittag 25 Prozent. Auf Familienmahlzeiten wird umso seltener Wert gelegt, je weniger Kinder im Haushalt leben, je niedriger das Einkommen und je geringer der Bildungsstand. Etwa die Hälfte aller Familien kocht regelmäßig gemeinsam mit den Kindern, dabei lassen sich jüngere Kinder häufiger zum Mitkochen motivieren als Jugendliche. Familien essen häufiger in den eigenen vier Wänden, während Singles und kinderlose Paare eine Mahlzeit auch gern mal unterwegs oder in einem Restaurant zu sich nehmen.
Das Statistische Bundesamt erfasst in größeren Abständen, womit wir unsere Zeit verbringen – zuletzt wurde das 2012 erfragt. Demnach wenden wir täglich 1:40 h für das Essen auf. De Arbeit rund um die Mahlzeiten, also Kochen, Tischdecken, Abwaschen nimmt täglich gut eine Stunde in Anspruch. Rollenmuster sind über die Jahre stabil geblieben: In den meisten Familien steht die Frau am Herd, Männer bringen deutlich weniger Zeit für Kochen, Backen und Braten auf. Familien kochen häufiger als junge kinderlose Paare. Wer die Zahlen mit der Erhebung Anfang der 1990er Jahre vergleicht, stellt fest: Wir nehmen uns heute nicht weniger Zeit für gemeinsame Mahlzeiten als noch unsere Eltern, aber wir verbringen weniger Zeit mit der Zubereitung von Mahlzeiten. Weniger selber kochen, mehr convenience-Produkte. Solche Produkte nehmen vor allem Arbeit ab und sparen Zeit: Der portionierte Tiefkühl-Blattspinat fällt ebenso darunter wie der geschnittene Salat oder das komplette Fertigmenü aus dem Kühlregal. Wer den Rosenkohl nicht selber putzt, spart zwar Zeit, vergibt aber auch die Chance, seinen Kindern beizubringen, wie frische Lebensmittel verarbeitet und zubereitet werden.
Einkaufen mit Kindern
Wer sich voll und ganz auf das „Projekt Familienmahlzeit“ einlassen will, der sollte den Nachwuchs so viel wie möglich mitmachen lassen – das beginnt mit der Auswahl dessen, was auf den Tisch kommt. Herrscht darüber Einigkeit, müssen die benötigten Lebensmittel her – Obst und Gemüse kommen im besten Fall aus dem eigenen Garten oder vom Balkon. Was es dort nicht gibt, wird beim Wochenendeinkauf besorgt. Wer kleine Kinder hat, weiß, dass es mitunter anstrengend sein kann, sie mit in den Supermarkt zu nehmen. Das schreiende Kind vorm Süßigkeitenregal gilt als Klassiker in den Erziehungsratgebern. Nichtsdestotrotz sollten Eltern die Kinder zumindest gelegentlich den Einkaufswagen durch die Regalreihen schieben lassen. Dort kann man den Kleinen zeigen, welch große Auswahl an Lebensmitteln es gibt – manche Märkte führen allein ein Dutzend Sorten Tomaten oder Äpfel. In der Obst- und Gemüseabteilung bekommen die Kleinen Exoten wie Papaya oder Avocado zu Gesicht, die sonst vielleicht nicht zum Speiseplan gehören. Sie können an unterschiedlichen Kräutertöpfen riechen. Das weckt die Neugierde, unbekannte Gemüsesorten nicht nur anzusehen und zu riechen, sondern auch zu kosten. Um den gefürchteten Schreiattacken entgegen zu wirken, kann man die Kinder möglichst viel mit einbinden. Sie können die benötigten Dinge zunächst im Markt suchen, dann in den Einkaufswagen und später auf das Kassenband legen. Um das ständige „Darf ich das bitte, bitte haben…“ einzuschränken, kann man vorher vereinbaren, dass sich das Kind einen Artikel aussuchen darf – und nicht mehr.
Kochen mit Kindern
Schon Ein- und Zweijährige fühlen sich von der Küche magisch angezogen. Es ist ja auch allemal spannender, den Kochlöffel lautstark auf den Topf zu schlagen, während Mama das Mittag vorbereitet, als derweil allein im Kinderzimmer Türme zu bauen. Sobald die Kleinen größer und die Motorik ausgereifter wird, können Eltern die kleinen Küchenhelfer einarbeiten. Schon die Kleinsten können das Mehl für den Kuchenteig in die Schüssel kippen, Plätzchen ausstechen, Erdbeeren waschen oder die Butter aus dem Kühlschrank holen, je älter die Kinder werden, desto mehr erweitert sich ihr Aufgabenspektrum. Die Eltern können selbst am besten einschätzen, was sie ihren Mini-Köchen schon zutrauen können. Als grobe Orientierung kann folgende Auflistung dienen:
1 bis 2 Jahre: Gemüse und Obst in einer Schüssel waschen, Zutaten bringen, Teig kneten, Zutaten in eine Schüssel kippen, Puderzucker sieben
3 bis 4 Jahre: Teig ausrollen, Tisch decken, Käsewürfel oder weiches Obst wie Bananen schneiden, Zutaten verrühren, Käse reiben, Möhren mit dem Sparschäler schälen, Rosenkohl grob putzen, Soße abschmecken
5 bis 6 Jahre: festeres Obst und Gemüse schneiden, Zutaten abwiegen, im Kochtopf rühren, Kartoffelbrei stampfen, Kuchen glasieren, Getränke eingießen, Speisen auftun
Wer seine Kinder all diese Dinge machen lässt, gibt ihnen wertvolle Erfahrungen mit auf den Weg. Sie lernen die Lebensmittel mit unterschiedlichen Sinnen kennen. Sie lernen, wie sie riechen, aussehen, sich anfühlen und schmecken – einmal roh und einmal verarbeitet. Sie erleben, wie sich viele rohe Zutaten in ein komplettes Menü verwandeln.
Sie lernen neue Begriffe kennen wie Muskatnuss, garen oder Umluft. Sie lernen Geschick im Umgang mit unterschiedlichen Küchengeräten vom Schneebesen bis zur Waage. Sie lernen, sich in der Küche umsichtig zu verhalten, am heißen Herd und mit dem scharfen Messer vorsichtig zu sein. Beim Umgang mit dem Messer gilt: Eltern sollten dem Kind durchaus etwas zutrauen und es dem Alter angemessene Lebensmittel schneiden lassen. Kinder sollten nur im Sitzen schneiden. Zunächst sollte ein Elternteil vorführen, wie man richtig schneidet und worauf das Kind achten sollte, z.B. immer vom Körper weg. Anfangs können die Eltern vielleicht noch die Hand führen. In jedem Fall sollten sie immer einen Blick auf das Kind haben und es nicht mit dem Messer allein lassen. Wer gemeinsam mit Kindern kocht, muss mehr Zeit einplanen – für das Zubereiten des Mahls aber auch für das anschließende Saubermachen, denn bei kleinen Nachwuchsköchen landet öfter mal was neben statt in der Schüssel. Wenn alles im Kochtopf oder in der Röhre ist, kann die Garzeit genutzt werden, um das Küchenchaos zu beseitigen. Am besten natürlich mit den Kindern, so lernen sie, dass Aufräumen zum Kochen mit dazu gehört.
Wer mit Kindern kocht, sollte einige Hygiene-Regeln beachten:
- Vor und nach dem Zubereiten des Essens
Hände gründlich waschen. - Armbänder, Armbanduhren und Ringe
abnehmen. Ärmel hochkrempeln, ggf. lange Haare zusammenbinden. - Vorsicht bei rohem Fleisch, Fisch und Ei:
Für kleine Kinder sind diese tabu, auch bei der Zubereitung. Für größere Kinder gilt: gründlich Hände waschen, Brettchen und Messer danach abwaschen oder in die Spülmaschine. - Essenabfälle wie Schalen sofort wegwerfen.
- Zum Abschmecken und Kosten immer einen sauberen Löffel nehmen.
- Eine schicke Kinderschürze schützt nicht nur vor Soßenspritzern, sondern kann zusätzlich motivieren.
In der jetzt beginnenden wärmeren Jahreszeit wird die Zubereitung des Essens gern nach draußen an den Grill verlegt. Auch wenn der Grill für die Kleinen sehr spannend sein mag, können sie dem Grillmeister nur bedingt helfen. Das Würstchen-Wenden gehört in die Hände von Erwachsenen. Alternativ können die Kleinen sich ihr Stockbrot über der Glut selbst machen. Wer mit Kindern grillt, sollte darauf achten dass der Grill windgeschützt und kippsicher steht. Kinder müssen immer Mindestabstand zum Grill halten, auch noch nach dem Grillen, bis dieser abgekühlt ist. Ob nun die Bratwurst im Garten oder die Lasagne am Küchentisch, immer gilt:
Das Auge isst mit
Das Essen schmeckt besser, wenn es schön verpackt ist: in schönen Schüsseln auf einem schön gedeckten Tisch. Auch hier können die kleinen Küchenhelfer wieder mitmachen. Das fängt an mit passendem Geschirr, vielleicht haben die Kinder ihr eigenes Geschirr und Besteck. Schon vermeintlich kleine Details zaubern einen edlen Esstisch: Den Aufschnitt auf einen Teller legen, statt ihn direkt aus der Dose oder der Verpackung zu nehmen. Kartoffeln in der Schüssel servieren, nicht im Topf. Ein Teller oder eine Schüssel mit Gemüsestreifen. Eine Tischdecke (vielleicht noch nicht, wenn Kleinkinder mit am Tisch sitzen), Servietten und eine Kerze oder ein Blumenstrauß runden das Bild ab. Solche Dekorationen sollte man sich nicht nur für das Wochenende oder für Familienfeiern aufheben, sie machen auch die tägliche Familienmahlzeit zu etwas Besonderen. Sie machen deutlich: Das gemeinsame Essen ist uns wichtig, das soll nicht nebenbei passieren, das wollen wir ein Stück weit zelebrieren. Wer meint, unter der Woche fehlt dafür die Zeit, sollte die Arbeit dem Nachwuchs überlassen. Die meisten Kinder werden gern und mit Enthusiasmus die Servietten verteilen. In der Zeit können Mama oder Papa das Essen zubereiten.
Tischsitten
Ist das Essen fertig und der Tisch eingedeckt, heißt es: zu Tisch! Kaum eine andere Alltagssituation eignet sich so gut, um Kindern Regeln und Normen zu vermitteln. Der französische Philosoph und Pädagoge Rousseau sprach von „Erziehung durch den Mund“. Kinder brauchen, um ein gesundes Essverhalten zu erlernen, Rhythmen, Regeln und Rituale. Die Mahlzeiten sollten regelmäßig, zu festen Zeiten stattfinden, von Ritualen begleitet und mit Tischregeln untersetzt werden.
Tischsitten sind dabei kein Selbstzweck, es geht vielmehr darum, Achtung vor dem Essen und den Mitessern zu vermitteln und dem Nachwuchs eine gewisse Routine während der Mahlzeiten zu vermitteln. Diese gibt Sicherheit, wenn die Kleinen größer sind und außer-Haus-Mahlzeiten ohne die Eltern erleben. Welche konkreten Regeln bei Tisch gelten, muss jede Familie für sich selbst festlegen. So kann eine Regel lauten: Die Mahlzeit wird gemeinsam begonnen und beendet, beim Essen bleiben alle am Tisch sitzen. Wer kleinere Kinder hat, die sich noch schwer damit tun, lange still sitzen zu bleiben, könnte die Regel abwandeln: Wer fertig ist mit essen, darf aufstehen und spielen gehen. Radio und Fernseher sollten ausgeschaltet sein, denn nur dann können sich alle aufs Essen konzentrieren und sich dabei unterhalten. Auch Zeitung, Handy und Spielzeug sollten tabu sein, damit das Essen nicht zur Nebensache wird. Streiten und Mäkeln sollte ebenfalls unterbunden werden. Mit vollem Mund wird nicht gesprochen. Gegessen wird nicht mit Händen, sondern mit Besteck. Ausnahme sind die ganz Kleinen. Sie können ab etwa 9-12 Monaten mit am Familientisch sitzen und essen. Körperliche Voraussetzungen sind, dass sie selbständig sitzen können, vorher gehören sie nicht in den Hochstuhl. Zudem brauchen sie eine gewisse Geschicklichkeit und Auge-Hand-Mund-Koordination, um das Essen allein in den Mund zu bugsieren, sei es mit dem Löffel oder den Händen. Alternativ oder ergänzend werden die Kleinen gefüttert. Um beim Essen selbständig zu werden, benötigen die kleinen Gourmets anfangs noch Unterstützung und Anleitung. Sobald die Motorik ausgereift und das Interesse da ist, sollten Eltern die Kinder allein essen lassen. Anfangs kommen vielleicht gelegentlich noch die Hände zum Einsatz. Je älter die Kinder, desto besser werden sie ihr Besteck handhaben, spezielles Kinderbesteck mag die Motivation noch erhöhen. Anfangs wird es der Löffel sein, dann die Gabel. Vier- bis Fünfjährige sollten den Umgang mit Messer und Gabel lernen und versuchen, sich ihr Brötchen selbst zu schmieren.
Solange es in die Kategorie Experimentieren fällt, dürfen die Kleinen noch mit dem Brei rummatschen. Ansonsten gilt: Mit dem Essen wird nicht gespielt. Wenn der Nachwuchs älter wird, werden die Regeln angepasst. Dabei kann man die Kinder durchaus mit einbeziehen. Sie werden sich eher an Regeln halten, die sie mitgestalten durften. Sie werden sich vor allem dann an die Regeln halten, wenn die Eltern als Vorbilder fungieren. Daher gilt für die Regeln, die eine Familie für sich aufstellt: Alle halten sich daran!
Sowie die Kinder Regeln und Grenzen am Tisch einhalten sollten, brauchen sie auch Freiheiten. Man kann sie beispielsweise selbst entscheiden lassen, wovon und wieviel sie essen. Gewisse Regeln, wie „Du stehst erst auf, wenn der Teller leer gegessen ist“, gelten als überholt. Die sollten Eltern höchstens noch aus ihrer eigenen Kindheit kennen, aber nicht mehr an ihre Kinder weitergeben. Wird Essen als Druckmittel missbraucht, verdirbt das den Appetit und nimmt langfristig die Lust am Essen.
So verbreitet sind Tischregeln am Familientisch
75%: Mit dem Essen wird nicht gespielt
72%: Die Mahlzeit wird gemeinsam begonnen und beendet
21%: Mahlzeit wird mit Gebet oder Tischspruch begonnen
16%: Der Teller wird leer gegessen
In jedem Fall wird es Zeit und Geduld brauchen, bis aus einem Essanfänger ein manierlicher Tischgeselle wird. Der große Vorteil, wenn Kinder von früh an ein paar Grundregeln bei Tisch verinnerlichen: Blamagen in Restaurants oder bei Familienfeiern bleiben aus.
Tischgespräche
Sind die Regeln einmal verinnerlicht und etabliert, kann man sich auf das Wesentliche konzentrieren: die Mahlzeit selbst und das Tischgespräch. Familien sollten die sonst vielleicht rare gemeinsame Zeit nutzen, um sich auszutauschen. Wie war dein Tag? Was war heute besonders schön? Was wollen wir am Wochenende machen? So lässt man alle Familienmitglieder am Alltag der anderen teilhaben, kann sich gegenseitig Rat und Unterstützung geben. Negative Themen, Probleme, Streit, Konflikte (Zimmer aufräumen, Hausaufgaben…) gehören nicht an den Tisch, Essen sollte mit positiven Gefühlen verbunden werden. Der Essenstisch sollte auch nicht zur Kampfarena verkommen. Kommt es zum Disput, weil der Sohnemann nicht essen will, dann sollten die Eltern ihn auch nicht zwingen und die Grundsatzdiskussion darüber, was gegessen wird, auf einen späteren Zeitpunkt verlegen. Ebenfalls tabu: mäkeln. Über das Essen wird geredet, aber nicht gemeckert. Was nicht schmeckt, muss nicht gegessen werden, aber auch nicht abgewertet werden. Schließlich sollte dem Koch eine gewissen Achtung für seine Arbeit gezollt werden, Begriffe wie „eklig“ und „igitt“ gehören nicht an den Tisch. Laut Statistik steht in jeder zweiten Küche ein Fernseher. Wer aber die Gesprächskultur bei Tisch fördern will, sollte den Fernseher auslassen. Die gemeinsamen Tischgespräche fördern die Sprachentwicklung der Kleinen. Die eingangs erwähnte US-amerikanische Studie belegt u.a., dass Kinder, die regelmäßig mit der Familie zu Tisch sitzen, ein größeres Vokabular haben.
Geschmacksbildung
Kinder sollten von Beginn an möglichst viele verschiedene Geschmäcker kennenlernen. Denn: „Wir essen nicht, was wir mögen, sondern wir mögen, was wir essen.“ Diese Aussage des Ernährungsexperten Volker Pudel macht klar: Von wenigen angeborenen Geschmacksvorlieben abgesehen, ist Essen auch eine Frage der Herkunft, Kultur und Erziehung. Dass die Franzosen lieber Weißbrot und die Deutschen lieber Schwarzbrot, dass die Italiener lieber Pasta und die Chinesen lieber Reis essen, verweist auf unterschiedliche Esskulturen. Jede Familie hat ihre eigene durch die Herkunft und das Elternhaus geprägte Esskultur, die sie an ihre Kinder weitergibt. Es liegt an den Eltern, den Kindern eine möglichst breitgefächerte Esskultur mitzugeben.
Je früher Kinder mit verschiedenen Aromen, Gewürzen, Lebensmitteln in Berührung kommen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie diese Vielfalt an Aromen mögen. Das beginnt schon in der Schwangerschaft. Wenn die Frau in der Schwangerschaft häufig Knoblauch isst, dann wird auch das Kind Knoblauch vermutlich mögen. Das setzt sich in der Stillzeit fort. Was Mama isst, gibt der Muttermilch eine entsprechende Geschmacksnote. Wenn das Kind schon in dieser Zeit viele unterschiedliche Aromen kennengelernt hat, so wird es auch mit dem Breistart offen sein für viele Geschmäcker. Kleine Kinder lernen mit einer Mischung auf Neugier und Ablehnung essen. Sie werden viel probieren, manches wieder ausspucken. Je früher sie an unterschiedliche Lebensmittel und Geschmäcker gewöhnt werden, desto vielfältiger wird ihr Speiseplan auch im Jugend- und Erwachsenenalter aussehen. Manche Kinder werden ihr Geschmacksspektrum von sich aus zu erweitern versuchen, andere benötigen Impulse. Eltern sollten Kinder ganz bewusst beim Kennenlernen unterschiedlicher Geschmacksrichtungen anleiten. Bieten Sie die Möhre oder den Kohlrabi roh und gekocht an. Lassen Sie die Putenbrust gewürzt und ungewürzt kosten. Lassen Sie den Unterschied zwischen roter und gelber Paprika erschmecken. Wer das beherzigt, wird es leichter haben, wenn sie irgendwann kommt: die erste Mäkel-Phase.
Vom Umgang mit kleinen Kostverächtern
Denn früher oder später fällt der Satz, den viele Eltern kennen und verfluchen: „Das will ich nicht essen.“ Es gibt Phasen, da wollen die Kinder nur Nudeln („aber ohne Soße“), Grünzeug wird auch gern vom Teller geschoben, dafür der Nachtisch gern dem Hauptgericht vorgezogen. Solche Phasen lassen sich nicht verhindern, aber ein Stück weit verkürzen und abschwächen. Um Kinder an Neues und Ungeliebtes zu gewöhnen, gilt: Vorbild sein und immer wieder anbieten – allerdings ohne Druck. Wenn der Junior sieht, dass seine Eltern und Geschwister immer wieder Paprika essen und diese ihnen offenbar wirklich schmeckt, wird er auch mal zugreifen.
Prinzipiell kann und sollte man Kindern alle Lebensmittel anbieten, die man selbst auch isst. Ausnahmen sind neben Alkohol scharfe Gewürze sowie rohe Eier, Fisch und Fleisch für Kleinkinder. Für sie ist wegen des noch nicht fertig ausgereiften Immunsystems eine Salmonellen-Erkrankung gefährlich. Scharfe und intensive Gewürze überfordern ganz kleine Kinder noch, bei größeren sollte man sie zunächst zurückhaltend verwenden, mit der Zeit aber durchaus das Spektrum erweitern. Alternativ bzw. ergänzend bieten sich Kräuter als Gewürze an.
Ansonsten sollte das Essensangebot möglichst vielfältig sein. Das heißt, es können zu den Kartoffeln ruhig zwei oder drei Gemüsesorten serviert werden, eine wird schon den Geschmack des Juniors treffen. Der Familienspeiseplan sollte zudem über einen längeren Zeitraum variieren. Jeden Samstag Nudeln mit Tomatensoße und jeden Sonntag Braten mit Rotkraut, das wäre auf Dauer zu einseitig. Dabei kann man sich am Saisonkalender für Obst und Gemüse orientieren und immer wieder neue Rezepte ausprobieren. So gibt es im Winter vielleicht viele Kohlgerichte, im Sommer häufiger frischen Salat und im Herbst Kürbissuppe und -kuchen.
Tipps für Mäkel-Phasen
- Seien Sie Vorbild. Essen Sie selbst vielfältig und gesund. Probieren Sie immer wieder verschiedene Lebensmittel aus.
- Beteiligen Sie die Kinder. Was die Kleinen selbst zubereitet haben, vielleicht sogar im Garten mit ausgesät haben, werden sie eher probieren, als das was man ihnen fertig zubereitet vor die Nase setzt. Ebenso das, was sie sich selbst auf den Teller auftun durften. Lassen Sie gelegentlich auch mitentscheiden, was auf den Tisch kommt.
- Vermeiden Sie Snacks. Zu viele Zwischenmahlzeiten und zu häufiges Naschen sind kontraproduktiv. Hungrige Kinder sind eher bereit, die angebotenen Speisen zu probieren.
- Lassen Sie die Wahl. Bieten Sie möglichst viele Speisen an und lassen die Kinder selbst auswählen, was sie sich auf den Teller tun.
- Bieten Sie Alternativen an: Vielleicht schmeckt die Paprika gekocht besser als roh oder das Mischbrot besser als Roggenbrot.
- Tricksen Sie. Wenn das alles nicht funktioniert, kann man durchaus versuchen, den Kindern das ungeliebte Gemüse über Umwege schmackhaft zu machen. So lässt sich Gemüse im Auflauf oder püriert in Soße, Suppe oder Kartoffelbrei „verstecken“. Wenn das Kind Möhren mag, bieten Sie beim nächsten Mal Möhren-Rote-Beete-Salat an oder Möhren-Zucchini-Auflauf.
- Haben Sie Geduld. Bieten Sie ungeliebte Lebensmittel immer mal wieder an. In manchen Phasen wird all das nicht helfen. Dann heißt es: warten. Zwingen Sie Ihr Kind nicht. Früher oder später wird das Kind auch wieder Soße zu den Nudeln wollen.
Einige Vorlieben sind uns angeboren: Wir haben eine natürliche Präferenz für Süßes und für Fleisch und Fett. An die Geschmacksrichtungen sauer und salzig müssen wir uns in den ersten Lebensjahren erst gewöhnen. Bittere Lebensmittel lehnen Kinder lange ab, der Körper verbindet damit Gefahr, da bittere Pflanzen oft giftig sind. Wer Kinder an bitteren Chicoree oder Rosenkohl gewöhnen will, braucht Geduld und Geschick.
Süßigkeiten
So wie der Rosenkohl nur mit Mühe in den Kindermund finden wird, so leicht haben es Schokolade und Gummibärchen. Die Lebensmittelindustrie investiert Milliarden-Beträge in Kinder-Werbung. Das erschwert es den Eltern natürlich, für gesunde Lebensmittel auf dem familiären Esstisch zu werben. Vom ersten Kind kann man Süßes noch recht lange fernhalten, bis die Kita, Freunde und Verwandte kommen, die dem Kind mit viel Süßigkeiten viel Freude bereiten wollen. Spätestens beim zweiten Kind müssen die guten Vorsätze der Süßigkeiten-freien Ernährung allzu schnell über Bord geworfen werden.
Süßigkeiten komplett verbieten funktioniert nicht. Da sind sich Experten einig. Das lässt sich kaum umsetzen und macht sie nur noch reizvoller. Schokolade und Co. sind nicht per se schlecht, die Menge macht es. Daher gilt: Ab und zu eine Süßigkeit ist in Ordnung. Empfohlen wird eine Portion am Tag. Als Richtwert dienen 50 Gramm bzw. 150 kcal pro Tag.
Schwer umsetzbar, aber immer wieder von Erziehungsexperten empfohlen: Süßigkeiten nicht als Belohnung oder Trostpflaster einsetzen. Wer bei Kummer immer wieder ein Gummibärchen bekommt, prägt sich das ein, was langfristig zu Kummerspeck führen kann. Wenn Süßes als Trostspender oder Belohnung dient oder nur zu besonderen Anlässen erlaubt wird, wie Familienfeiern oder der Eiscafé-Besuch zur Zeugnisausgabe, besteht die Gefahr, dass es aufgewertet wird.
Da es ohne Süßigkeiten also in der Regel früher oder später nicht gehen wird, müssen Regeln her, an die sich alle Familienmitglieder halten – also auch beide Elternteile. Stellen Sie die Regeln gemeinsam mit den Kindern auf, folgend einige Vorschläge.
Naschregeln
- Genascht wird nur am Tisch, nicht auf dem Spielplatz oder im Kinderzimmer.
- Es gibt nur nach den Hauptmahlzeiten/ nach einer Hauptmahlzeit etwas Süßes.
- Nach dem Naschen Zähne putzen.
- Wer darüber hinaus Süßes will, darf frisches oder getrocknetes Obst naschen.
Bitten Sie Omas und Opas, Tanten und Onkel, wenig Süßes zu schenken. An Geburtstagen, Ostern und Weihnachten werden sich die Schokoladenfiguren und Smartiespackungen dennoch anhäufen. Sammeln Sie diese in einer Dose und rationieren Sie – je nach Gesamtmenge – für die nächsten Tage bzw. Wochen.
Kindern ab etwa drei Jahren kann man erklären, warum zu viel Schokolade ungesund ist, dass sie die Zähne kaputt und den Bauch dick macht. Dann akzeptieren die Kinder vielleicht auch besser die Süßigkeiten-Rationierung. Ab der Vorschule oder Grundschule können sich Kinder ihre Süßigkeitenration für eine Woche selbst einteilen: Naschen sie alles an einem Tag oder verteilen sie es über sieben Tage, bleibt ihnen überlassen. Ähnlich wie beim Taschengeld, lernen sie so selbständig zu werden. Zum Portionieren kann man z.B. eine leere Eierpackung nehmen und diese entweder für zehn Tage füllen oder für eine Woche und drei Bonusfächer für besondere Situationen lassen.
Wer all diese Tipps beherzigt und täglich in Familie einübt, der kann auch guten Gewissens und ohne Sorge vor kleinen Katastrophen mit den Kindern ins Restaurant. Das ist für die Kleinen ein besonderes Erlebnis, was sie nicht jeden Tag haben. Worauf Eltern dabei achten sollten, steht im folgenden Experten-Interview.
Tischsprüche
Wenn wir beieinander sitzen,
nicht mehr durch die Stube flitzen,
schnuppern wir die Essenszeit,
und die Löffel sind bereit.
Wer noch laut war, ist jetzt still,
weil jeder nur noch essen will.
Viele kleine Fische schwimmen jetzt zu Tische,
reichen sich die Flossen,
dann wird schnell beschlossen,
jetzt nicht mehr zu blubbern,
stattdessen was zu futtern.
Wir reichen uns die Hände nach guter alter Sitt‘
und wünschen uns zum Essen recht guten Appetit.
Kochen mit Kindern – Rezepte für den Familientisch
Gemüsestreifen mit Tomatendip
Ideal als Vorspeise oder fürs Picknick im Freien. Der leicht süßliche Dip macht fast jedes Gemüse attraktiv.
Gemüse, z.B. Paprika, Möhre, Kohlrabi, Gurke, Staudensellerie, für den Dip:
200g Sauerrahm, 1 Tomate, 1 TL Ketchup, 1 TL Honig, Schnittlauch, Salz
Gemüse in Streifen schneiden. Für den Dip Tomate häuten, entkernen und fein würfeln, Schnittlauch klein schneiden und mit den restlichen Zutaten vermengen.
One-Pot-Pasta
Schnell, einfach und wenig Abwasch.
250 g Nudeln, 200g Kirschtomaten, 1 Paprikaschote, 100 TK-Erbsen, 100 g Kabanossi, 500 ml Wasser, 200 ml Sahne
Tomaten, Paprika und Kabanossi klein schneiden. Dann alle Zutaten in einen großen Topf geben, aufkochen lassen und bei geschlossenem Deckel 10 bis 15 min gar kochen. Nach Bedarf mit Gewürzen und Kräutern abschmecken und mit Parmesan servieren.
Joghurtkuchen
Ähnlich wie Tassen-Kuchen, Abwiegen entfällt,
so dass schon die Kleinsten mitmachen können.
2 Becher Naturjoghurt (zu 150g), 4 Becher Mehl,
1 Becher Zucker, 1 knappen Becher Pflanzenöl,
1,5 TL Backpulver, 2 Eier, 1 Becher Schokotropfen,
1 Becher getrocknete Cranberries
Alle Zutaten vermengen und den Teig in eine Gugelhupfform geben. Bei 190 Grad etwa 45 min backen.
Literatur
Die Mahlzeit. Alte Last oder neue Lust?,
Schönberger & Methfessel (Hg.), 2011
Was gibt‘s heute?
Gemeinsam essen macht Familien stark., 2002
So macht Essen Spaß. Ein Ratgeber für die Ernährungserziehung von Kindern., Pudel, 2002
Käsebrot und Marmelade – Geschmack ist mehr als schmecken., Dr. Rainer Wild‐Stiftung (Hg.), 2013
Großwerden ist schön, sagte die Tomate.,
Freymann & Elffers, 2000
Was Kinder mit aussuchen und zubereiten, schmeckt ihnen besser.
Interview mit Ernährungswissenschaftlerin Sonja Fahmy von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Im Gespräch erklärt sie, warum gemeinsame Mahlzeiten für Kinder so wertvoll sind, wie Eltern mit der Nur-Nudeln-Phase umgehen und was man beim nächsten Restaurant-Besuch beachten sollte.
Warum sind gemeinsame Familienmahlzeiten für Kinder wichtig? Inwiefern profitieren Kinder davon?
Gemeinsame Mahlzeiten sind nicht nur für Kinder wichtig, sondern für alle Familienmitglieder. Traditionell haben Mahlzeiten in allen Kulturen eine große Bedeutung. Sie sind ein unverzichtbarer und zentraler Bestandteil vieler gesellschaftlicher Veranstaltungen. Was wäre das Weihnachtsfest ohne ein besonderes Essen? Ob Hochzeit oder Geburtstag – die Mahlzeit und das gemeinsame Essen spielen immer eine tragende Rolle. Familienmahlzeiten bieten Raum zum gemeinsamen Austausch. Es wird sich im oft hektischen Alltag bewusst Zeit und Ruhe genommen, um gemeinsam Dinge voneinander zu erfahren und das Essen in einer entspannten Atmosphäre zu genießen. Die Familienmahlzeit fördert somit die Gemeinschaft und stärkt die Zusammengehörigkeit. Gerade Kinder profitieren von diesem festen Ritual der gemeinsamen Mahlzeit. Findet diese gemeinsame Mahlzeit immer zur selben Zeit statt wie z. B. das Abendessen, bietet sie eine verlässliche Struktur, auf die sich Kinder freuen können. Nebenbei sind Familienmahlzeiten ein geeigneter Lernort den Kleinen Tischmanieren, Gesprächskultur und Geschmacksbildung nahe zu bringen. Und letztendlich: Gemeinsam schmeckt es allen besser!
Viele Familien beklagen die fehlende Zeit für gemeinsame Mahlzeiten oder gar gemeinsames Kochen – gerade unter der Woche. Was sagen Sie denen?
Mangelnde Zeit, Hektik und Stress sind heute ein großes Thema, gerade dann, wenn beide Elternteile berufstätig sind. Umso wichtiger ist es für die ganze Familie, dass es am Tag wenigstens eine gemeinsame Zeit gibt. Doch diese Familien(mahl)zeit will geplant sein, damit sie keinen zusätzlichen Stress bringt. Konkret bedeutet dies, dass es wichtig ist, feste Strukturen zu schaffen, die dann den Alltag erleichtern. Legen Sie gemeinsam eine Uhrzeit für das Essen fest, machen Sie gemeinsam (z. B. am Wochenende) einen groben Plan, was es in der kommenden Woche zu Essen geben soll. Dementsprechend können Sie Ihren Einkauf organisieren, der ansonsten immer viel Zeit kostet. Binden Sie die Familienmitglieder in die Vorbereitung der Mahlzeit mit ein. Das macht den Kindern meist Spaß und nebenbei lernen sie nicht nur Alltagskompetenzen, sondern verbringen auch gemeinsame Zeit mit Ihnen. Sehen Sie die Mahlzeiten nicht als nötigen Termin des Sattwerdens, sondern als Bereicherung für die ganze Familie. Wichtig ist, dass die Familienmahlzeit kein kulinarischer Höhepunkt sein muss. Vielmehr geht es um das gemeinsame Erleben. Fragen Sie Freunde und Bekannte nach Tipps und Ideen aus ihren Mahlzeiten mit den Kindern.
Ist es wichtig, welche Mahlzeit gemeinsam eingenommen werden?
Was früher das Mittagessen war, ist heute tendenziell eher das Abendbrot. Die gemeinsame Mahlzeitenaufnahme hat sich aufgrund der beruflichen Situation der Eltern vielfach zum Abend hin verschoben. Viele Familien verlassen morgens zu unterschiedlichen Zeiten das Haus, verbringen den Tag im Job, in der Kita oder in der Schule und kommen am späten Nachmittag oder Abend nach Hause. Es ist nicht wichtig, welche Mahlzeit es ist, Hauptsache es gibt die Möglichkeit einmal am Tag gemeinsam zu Essen.
Ab welchem Alter und in welcher Form kann man Kinder in die Vorbereitung der Mahlzeiten mit einbeziehen?
Kinder sind von Natur aus neugierig und wollen immer Erfahrungen sammeln und mitmachen. Es ist schwierig eine Aufgabe einem bestimmten Alter zuzuordnen. Dies hängt ganz stark vom individuellen Entwicklungsstand des Kindes ab. So können Zweijährige z. B. helfen die Salatsoße anzurühren. Sie können helfen den Tisch zu decken, Gemüse zu waschen oder gemeinsam mit Ihnen eine Pizza zu belegen. Lassen Sie die Kinder so viel wie möglich selbst machen, das stärkt ihr Selbstbewusstsein, ihre Kompetenz und die Motorik. Ältere Kinder können Sie langsam mit einem Küchenmesser oder Gemüseschäler vertraut machen. Wichtig ist, ihnen hier die Gefahren zu verdeutlichen, ihnen geduldig den Umgang zu erklären und sie zu beobachten. Es ist richtig, dass die gemeinsame Zubereitung der Mahlzeit mit Kindern oftmals länger dauert. Hierbei handelt es sich nicht um reine Küchenarbeit. Die gemeinsame Zeit, der Spaß sowie die Vermittlung von Alltagskompetenzen stehen klar im Vordergrund. Ganz nebenbei regt selber Kochen den Appetit und die Lust zum Probieren an.
Welche grundsätzlichen Regeln sollten am Tisch für alle Familienmitglieder gelten?
Wenn wir von der Familienmahlzeit in Ruhe und als Raum zum gemeinsamen Austausch sprechen, dann versteht es sich von selbst, dass jegliche Ablenkung wie Handy, Fernsehen oder Radio hier keinen Platz haben. Gleiches gilt auch für die oftmals beliebte Zeitung beim Essen. Regeln, die von allen eingehalten werden müssen, sind geben den Kindern Sicherheit. Zur besseren Akzeptanz sollten die Tischregeln gemeinsam von der ganzen Familie festgelegt werden. Die Regeln selbst können ganz unterschiedlich sein, wie gemeinsamer Beginn und Ende der Mahlzeit, nicht vom Teller des Nachbarn essen, die Ellenbogen gehören während des Essens nicht auf den Tisch oder den anderen aussprechen lassen. Die Familie sollte sich in den Regeln wiederfinden, da sie nur so gelebt werden.
Gibt es Gesprächsthemen, die nicht an den Essenstisch gehören?
Generell sollte der Esstisch nicht zum "Problemtisch" werden. Für die schlechte Note in Mathe sollte ein anderer Raum gefunden werden. Werden beim Essen immer nur Probleme besprochen, so wird die gemeinsame Familienmahlzeit schnell zum Verdruss führen und keiner freut sich mehr auf den Genuss in gemeinsamer Runde. Auch wenn es mal nicht so ein angenehmes Thema ist, sollten Gespräche die sich am Tisch ergeben, nicht abgeblockt werden. Vielmehr ist darauf zu achten, dass diese Themen dann kindgerecht kommuniziert werden.
Können Eltern schon von Kleinkindern verlangen, dass diese am Tisch sitzen bleiben, bis alle aufgegessen haben?
Eltern sollten das Ziel haben, Kindern die Bedeutung des gemeinsamen Beginns und Endes der Mahlzeit zu vermitteln. Hierzu kann man auch ganz klar Regeln definieren. Selbstverständlich kann ein Kleinkind diese Regeln noch nicht so einhalten wie z. B. ein 5-Jähriger. Hier ist der Weg das Ziel. Sind mehrere Kinder am Tisch, so kann man auch festhalten, dass man so lange sitzen bleibt, bis alle Kinder mit dem Essen fertig sind. Was man vermeiden sollte, ist das „Essen nebenbei". Das bedeutet, dass Kinder beim Essen immer wieder aufstehen, sich mit einer anderen Sache beschäftigen und dann wieder an den Tisch kommen um den nächsten Löffel zu essen.
Wie bringen Eltern ihren Kindern am besten Tischsitten bei?
Indem sie das, was ihnen wichtig ist, vorleben. Eltern sind die wichtigsten Vorbilder ihrer Kinder, auch beim Essen. Kinder lernen vor allem dadurch, dass sie das Verhalten ihrer Umwelt nachahmen. Allerdings sollten Regeln und Tischsitten dem Entwicklungsland des Kindes angepasst sein. So gehört z. B. das Spielen mit dem Essen zur normalen Entwicklung des Kindes, da es dem Kind ermöglicht das Essen mit allen Sinnen zu erfassen und zu erfahren.
Oft werden Rituale rund um die Familienmahlzeit empfohlen, wie können solche Rituale konkret aussehen?
Ein beliebtes und häufiges Ritual ist der Tischspruch oder das Gebet zum Beginn der Mahlzeit. Ein anderes Ritual kann auch sein, dass es an einem bestimmten Wochentag immer ein "Kinderessen" gibt. Der Phantasie der Familie sind hier keine Grenzen gesetzt.
Das Thema Süßigkeiten sorgt in Familien oft für Diskussionen – haben Sie Tipps, wie Eltern damit umgehen?
Zunächst einmal: Eltern sollten selbst mit Süßigkeiten genauso umgehen, wie sie es von ihren Kindern erwarten. Auch hier gilt die Vorbildrolle. Es ist wichtig, Kindern den bewussten Umgang mit Süßigkeiten zu vermitteln. Die Devise lautet: Bewusst naschen, statt nebenbei knabbern. Werden Süßigkeiten am Fernsehen, beim Spielen oder aus Langeweile gegessen, geht leicht die Kontrolle verloren. Einplanen von "Naschzeiten" kann hilfreich sein ganz bewusst zu genießen. Um die häufigen Diskussionen zu vermeiden helfen auch "Naschregeln", die gemeinsam mit den Kindern erstellt werden. Generell gilt: Süßigkeiten sind kein Erziehungsmittel. Sie dienen nicht als Belohnung, wenn das Gemüse aufgegessen wird oder als Trost nach dem Sturz mit dem Fahrrad.
Wie kann man Kindern Obst und Gemüse schmackhaft machen?
Auch hier muss ich wieder auf die Vorbildrolle der Eltern hinweisen. Meist stellt Obst aufgrund der natürlichen Süße kein Problem dar. Bei Gemüse sieht das häufig anders aus. Von Natur auswerden bittere Gemüsesorten wie Chicorée weniger gerne gegessen. Diese Abneigung, gegen bitteren Geschmack, ist angeboren. Wohingegen mildes Gemüse, wie Möhren gut akzeptiert werden. Häufig mögen Kinder auch lieber Rohkost an Stelle von gegartem Gemüse. Die Möglichkeit Gemüse z. B. in einer Soße zu verstecken, kann hilfreich sein. Nehmen Sie die Kinder auch beim Gemüsekauf mit, denn auch hier gilt, was selbst ausgesucht und zubereitet wurde schmeckt oft besser. Wichtig ist, dass Eltern hier geduldig sind, Gemüse und Salat immer wieder anbieten und das Thema nicht zum "Essstress" führt.
Viele Eltern kennen die Phase, in denen der Nachwuchs nur Nudeln essen möchte. Wie geht man mit kleinen Kostverächtern um, denen das zubereitete Essen partout nicht schmecken will?
Hier rate ich zu Gelassenheit und Geduld, aber auch zur Hartnäckigkeit. Hartnäckig im Hinblick darauf, Kindern immer wieder die Vielfalt der Lebensmittel anzubieten. Sie müssen Speisen probieren, um neue Geschmackserfahrungen zu machen. Oftmals muss dieses "Probieren" einige Male erfolgen, bevor sie eine Speise bzw. einen Geschmack akzeptieren, kennen und auch mögen. Auch wenn es schwierig ist, so sollte es seitens der Eltern nicht zum Problem gemacht werden. Denn meist erweitern die Kinder ihr "Essspektrum", allein schon aus Neugierde und das Problem ist gelöst.
Gilt dann: Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt? Oder eine „Extra-Wurst“ kochen, „hungern“ lassen?
Eltern sollten kein Essen extra für das Kind kochen, sondern das Kind aus dem allgemeinen Angebot auswählen lassen. Dabei hilft es, die einzelnen Speisenkomponenten wie Fleisch, Gemüse, Salat, Nudeln und Soße einzeln auf den Tisch zu stellen, damit das Kind selbst auswählen kann. Nimmt es nur Nudeln, so muss man das als Eltern akzeptieren. Morgen gibt es dann wieder etwas anderes, was vielleicht mehr Zuspruch findet.
Was halten Sie von der Regel, dass Kinder ihren Teller leer essen sollten?
Kinder haben von Geburt an einen natürlichen Hunger- und Sättigungsmechanismus, den es zu erhalten gilt. Daher ist die Regel, dass Kinder den Teller leer essen sollen, nicht sinnvoll. Wenn ein Kind, sagt, dass es satt ist, dann ist dies zu akzeptieren. Dasselbe gilt für Erwachsene auch. Damit keine Reste auf dem Teller bleiben, muss das Kind lernen sich adäquate Portionsgrößen zu nehmen. Hierbei braucht es natürlich Unterstützung von den Eltern, da es dies oftmals noch nicht abschätzen kann. Daher sollten die Reste auf dem Teller schon besprochen werden, mit dem Ziel, beim nächsten Mal etwas weniger zu nehmen.
Welche Rolle können Kita und Schule bei der Ernährungserziehung von Kindern spielen?
Häufig halten sich Kinder mehr als sechs Stunden in der Kita oder Schule auf, so dass sie dort mindestens zwei Mahlzeiten essen. Wenn man diese lange Zeit am Tag betrachtet sowie die Anzahl der Mahlzeiten und die Tatsache, dass das Ernährungsverhalten in den ersten Jahren geprägt wird, haben Kita und Schule einen großen Einfluss darauf. Daher sollte es, neben entsprechenden pädagogischen Angeboten, auch ein gesundheitsförderndes Speisenangebot in Kita und Schule geben. Wie dies aussehen soll? Der "DGE-Qualitätsstandard für die Verpflegung in Tageseinrichtungen für Kinder" sowie der "DGE-Qualitätsstandard für die Schulverpflegung" liefern hierzu klar definierte Kriterien und bieten Hilfestellung beim Angebot einer ausgewogenen Kita- und Schulverpflegung.
Haben Sie Tipps für einen Restaurant-Besuch mit Kindern?
Ein Restaurantbesuch sollte für alle Familienmitglieder ein schönes Erlebnis sein. Oftmals haben Kinder und Erwachsene jedoch ganz unterschiedliche Vorstellungen. Berücksichtigt man einige Punkte, so kann es für alle toll werden. Nach Möglichkeit sollte ein Restaurant gewählt werden, das einen Spielbereich für Kinder hat. So haben die Kleinen ihren Spaß bei den Wartezeiten und fühlen sich nicht gelangweilt. Gibt es das nicht, so sollte man etwas zum Spielen mitnehmen. Wichtig ist auch, ein Restaurant mit einem familienfreundlichen Ambiente zu wählen. Ein eingedeckter Tisch mit weißer Tischdecke ist zwar sehr schön, stellt aber mit Kindern eher ein "Stressfaktor" dar. Je öfter Eltern mit Kindern ein Restaurant besuchen, desto geübter werden sie darin. Als Tipp: Gehen Sie mit den Kindern am besten vor der "Rushhour", dann geht es auch in der Küche schneller. Ganz gleich wo und was Sie mit Ihren Kindern essen, sehen Sie es als ein gemeinsames und genussvolles Erlebnis, an und mit dem Ihre Kinder wachsen!
Zum Schluss die Frage: Wie handhaben Sie es privat mit den Mahlzeiten?
Unsere tägliche Familienmahlzeit ist das gemeinsame Abendessen und das ist auch wirklich ein kleines Heiligtum für uns. Einerseits weiß ich aus meiner Profession heraus sehr gut, wie die Familienmahlzeit aussehen sollte. Anderseits weiß ich als Mutter eines Vierjährigen, wie schwer es sein kann diese Tipps umzusetzen. Ich kenne die Phasen, wo nur Nudeln erwünscht sind, sehr gut. Da ermahne ich mich zu Gelassenheit, weil ich weiß dass das eine alterstypische Phase ist, die auch wieder vorüber geht. Zudem haben wir das Glück, dass unser Sohn gern Rohkost isst. Praktisch heißt das: Es wird keine extra-Wurst gekocht, aber wenn es gekochte Möhren gibt, dann stelle ich für ihn auch ein paar rohe auf den Tisch.
Kaufrausch mit Bart
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Vor Ort besser beraten & besser schenken
Was einst als großes Fest der Nächstenliebe begann, gedeiht heute immer stärker zum mehrwöchigen Konsummarathon. Weihnachten steht vor der Tür – und die Kleinen wollen ordentlich beschenkt sein. Der rote Mann mit weißem Bart bekommt oft gar nicht mehr in einen einzigen Sack, was Eltern ihren Kids zum Fest der Feste alles schenken wollen. Dabei sei allen Eltern eines ans Herz gelegt: wahres Glück erfahren Kinder auf ganz anderen Wegen. Dazu lohnt ein Blick in das große lausebande-Titelthema „Hans im Glück“ aus einer älteren Weihnachtsausgabe, das aber noch unter www.lausebande.de zu finden ist.
Machen wir uns aber nichts vor, wertvolle Pädagogik hin und her, strahlende Kinderaugen beim Päckchenaufreißen unterm Tannenbaum machen auch uns Eltern glücklich. Immer mehr Geschenke werden dabei online gekauft, viele Internetportale erleichtern mit „Geschenkefindern“ die Orientierung und empfehlen scheinbar zielgerichtet die Auswahl aus einer schier unendlichen Vielfalt. Die Auswahl ist riesig, Preise lassen sich online gut vergleichen, es ist schnell und bequem, man kann zwei Wochen ohne Angabe von Gründen Geschenke zurückgeben. Auf den ersten Blick Vorteile über Vorteile – warum brechen wir in der Weihnachts-lausebande dennoch eine Lanze für den „herkömmlichen“ Geschenkekauf im Laden vor Ort? Dafür gibt es gleich sieben sehr gute Gründe und viel mehr Argumente, als man auf den ersten Blick glauben mag.
1. Im Geschäft kann man testen,
aus- oder anprobieren
Im Internet sieht vieles toll aus, aber oft ist man enttäuscht, wenn das Produkt eintrifft. Im Geschäft kann man alles sehen und anfassen, bevor man es kauft. So gibt es z.B. bei Material und Qualität keine negativen Überraschungen.
2. Beratung versus Datenflut
In einigen Online-Portalen für Kinder- und Spielwaren sollen sogenannte „Geschenkefinder“ eine Beratung suggerieren. Nach bestimmten Kriterien (z.B. Alter, Geschlecht, Thema, Preis) werden Angebote gefiltert. Die Kriterien sind aber recht oberflächlich und die Auswahl ist dann immer noch sehr beliebig. In einem guten Fachhandel hingegen erhält man eine persönliche Beratung, in die neben den eigenen Erfahrungen und dem Wissen des Personals auch viele Meinungen und Erfahrungen von Kunden einfließen. Hier kennt man auch die Trends und weiß, was bei den Kids demnächst angesagt ist. Zudem kann eine persönliche Beratung viel individueller auf Interessen und Neigungen eines Kindes abgestimmt werden, das beschenkt werden soll.
Der Gutschein für die Kids
Je größer die Kinder werden, desto schwieriger wird es oft mit den Geschenken. Jenseits der 12 Jahre regiert inzwischen die Technik – vom Smartphone übers Tablet bis zum Computer- oder Online-Spiel. Wenn Sie statt dieser eher unpersönlichen Geschenke lieber ein gemeinsames Erlebnis verschenken wollen, eignen sich Gutscheine für Unternehmungen, die man auch mit großen Kids teilen kann. Eine gute Möglichkeit sind z.B. Kinogutscheine, die es meist auch in Geschenkboxen samt Knabberei & Getränk gibt.
3. Gerade zu Weihnachten:
Umtauschfrist versus Kulanz
Im Onlinehandel kann man Waren aufgrund des 14-tägigen Rückgaberechtes zwar einfacher zurückgeben, wogegen man im Geschäft um die Ecke auf sehr unterschiedliche Regelungen stoßen kann und auf die Kulanz des Verkäufers angewiesen ist. Aber gerade zu Weihnachten werden viele Geschenke lange vor dem Fest erworben – und da hilft das 14-tägige Rückgaberecht nicht. Im Laden um die Ecke hingegen erhält man in der Regel auch bei mehr Zeitverzug eine Gutschrift oder eben das richtige Geschenk im Tausch bzw. über eine Gutschrift.
4. Datensicherheit
Hat man im Internet-Shop etwas angesehen, wundert man sich schon im nächsten Moment über die Werbung, die einem nun passend dazu auf allen möglichen Seiten angezeigt wird. Immer mehr Bedeutung gewinnt für viele Menschen die Angst vor dem Missbrauch persönlicher Daten. Im Onlinehandel müssen zwangsläufig persönliche Daten angegeben werden und es wird in der Regel der Online-Zahlungsverkehr genutzt. In jedem Fall gibt der Online-Shopper sensible persönliche Daten preis. Im Laden um die Ecke kann man das Risiko des Missbrauchs persönlicher Daten hingegen auf Null reduzieren.
5. Der Familieneinkauf
In Geschäften kann man auch Verwandtschaft wie z.B. Oma und Opa mit einbeziehen, die sich im Onlinehandel oft weniger auskennen. So kaufen diese sinnvolle Geschenke und haben das Gefühl, auch selbst etwas beizutragen.
6. Einkaufen mit allen Sinnen
Viele schätzen am Shopping in der Stadt, dass der Einkauf hier noch zum Erlebnis werden kann. Man kann ihn mit einem Besuch im Café verbinden, Bekannte oder Freunde treffen, erlebt soziale Interaktion. Was aber ebenso wichtig ist: man kauft viel bewusster. Während im Onlinehandel oft wahllos bestellt wird – man kann das ja immer noch zurückgeben – wird im Geschäft vor Ort viel bewusster ausgewählt, man muss direkt bezahlen und übernimmt sich so auch nicht.
7. Last not least: das gute Gewissen shoppt mit
Wer vor Ort kauft, tut ein gutes Werk. Er unterstützt den Handel und damit Menschen vor Ort. Billige Onlinepreise werden – wie in vielen Medienberichten zu erfahren war – nicht zuletzt durch schlechte Bezahlung von Mitarbeitern und durch schlechte Arbeitsbedingungen realisiert. Wer vor Ort kauft und freundlich beraten wird, unterstützt letztendlich genau jene, die ihn freundlich beraten.
Der „gläserne Kunde“
Der „gläserne Kunde“ ist längst Wirklichkeit geworden. Das kann man auch in den Geschäftsbedingungen der Web-Shops nachlesen – z.B. bei Zalando: „Die von Ihnen übermittelten und automatisch generierten Informationen werden dazu genutzt, auf Sie und Ihre Interessen zugeschnittene Werbung zu gestalten. Wir nutzen hierfür vorhandene Informationen, wie beispielsweise Empfangs- und Lesebestätigungen von E-Mails, Informationen über Computer und Verbindung zum Internet, Betriebssystem und Plattform, Ihre Bestellhistorie, Ihre Servicehistorie, Datum und Zeit des Besuchs der Homepage, Produkte die Sie angeschaut haben.“
Knigge für Kids
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So gelingt gutes Benehmen im Familienalltag
Ab welchem Alter sollte ein Kind Tischmanieren beherrschen? Ist gutes Benehmen nicht etwas überholt? Muss ich mein Kind ständig zurechtweisen, wenn es sich nicht so benimmt, wie es sich andere wünschen? Eltern stehen oft vor diesen Fragen. Denn Kinder erlernen erst mit den Jahren, welches Verhalten erwünscht ist. Und nicht immer entspricht das den Grundbedürfnissen von Kindern. Daher schauen wir in diesem Titelthema auf die wichtigsten Regeln rund um gutes Benehmen und geben Tipps, wie man sie am besten vermittelt – und zwar ohne erhobenen Zeigefinger.
Freiherr von Knigge …
Wer über gutes Benehmen redet, kommt kaum an dem Namen Knigge vorbei. Der Familienname des Schriftstellers, der vor gut 250 Jahren geboren wurde, steht heute als Synonym für Tischsitten und Benimmregeln. Dabei enthält sein 1788 erstmals erschienenes Buch „Über den Umgang mit den Menschen“ gar keine konkreten Vorgaben, wie man sich anzuziehen hat, wen man als erstes zu grüßen hat und wie das Besteck auf dem Esstisch liegen sollte. Gleichwohl gilt das Buch bis heute als Standardwerk und hat an Aktualität kaum eingebüßt. Adolph Freiherr von Knigge wurde 1752 in Bredenbeck bei Hannover in eine Adelsfamilie geboren. Seine Familie entstammte einem alten niedersächsischen Adelsgeschlecht. Bereits in jungen Jahren zeigte Knigge ein starkes Interesse an sozialen Fragen und begann, sich aktiv in Debatten über gesellschaftliche Reformen einzubringen. Aufgrund von Schulden war er gezwungen, wie ein Bürgerlicher zu arbeiten. Er war unter anderem als Hofjunker und Kammerherr angestellt und schrieb Bücher. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit war Knigge politisch aktiv und engagierte sich für Reformen in verschiedenen Bereichen, darunter Bildung, Rechtswesen und Armutsbekämpfung. Heute gilt er als bedeutender deutscher Schriftsteller, Aufklärer und Sozialphilosoph des 18. Jahrhunderts – und eben als Vater des guten Benehmens.
… und sein Regelwerk
Zu verdanken ist das seinem erfolgreichsten und bekanntesten Werk: „Über den Umgang mit den Menschen“. Darin setzte er sich mit Fragen des sozialen Miteinanders auseinander und gab praktische Ratschläge für ein respektvolles und harmonisches Zusammenleben. Das Buch war eine Antwort auf die sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen seiner Zeit. In einer Zeit, in der die Gesellschaft durch starre Klassenschranken und Etikette geprägt war, suchte Knigge nach Möglichkeiten, wie Menschen aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten respektvoll miteinander umgehen konnten. Sein Ziel war es, eine Art Leitfaden für ein harmonisches Miteinander zu schaffen, der unabhängig von Stand und Herkunft gültig war. Nach Knigges Verständnis bilden Prinzipien wie Höflichkeit, Respekt, und Anstand das Fundament für gutes Benehmen. Das Werk machte ihn zu einem Vorreiter der modernen Etikette. Viele Passagen daraus haben auch 250 Jahre nach seinem Erscheinen nichts an Aktualität verloren. Höflichkeit, Empathie, Verständnis, gegenseitige Rücksichtnahme und Toleranz im Umgang miteinander täten unserer Gesellschaft auch heute noch gut. Nur einige wenige Aspekte würde man heute so nicht mehr veröffentlichen. So hat er beispielsweise – wie es für seine Zeit typisch war – die Frau am Herd verortet. Von Büchern und Wissenschaft solle sie sich fernhalten, dies würde nur ihre Zeit verschwenden und sie könnte ihren eigentlichen Pflichten nicht mehr ausreichend nachkommen: Haushalt, Kinder und Ehemann.
Was man in dem Original-Buch von 1788 vergebens sucht, sind konkrete Benimm-Regeln oder gar Vorgaben, wie das Besteck anzuordnen sei und wie Servietten gefaltet werden. Die Verknüpfung zwischen Knigge und Benimm-Regeln entstand erst im Laufe der Jahrzehnte und ist wohl einigen findigen Lektoren und Verlegern zu verdanken. Heute jedenfalls findet man dutzende Buchtitel mit dem Namen „Knigge“, die eben solche Etikette-Regeln vermitteln.
„Gute Sitten haben für die Gesellschaft mehr Wert als alle Berechnungen Newtons.“ Friedrich II., der Große (1712 - 1786), preußischer König. Foto: Pawel Sosnowski
Es gibt sogar eine Deutsche-Knigge-Gesellschaft, die sich dem Erbe Knigges verpflichtet fühlt. Dazu heißt es auf ihrer Homepage zu Knigges Standard-Werk: „Diese Schrift stellt nicht die heute mit seinem Namen verbundene steife Etikette in den Vordergrund, sondern beschreibt, was heute als „Impressionsmanagement" zur Verbesserung des persönlichen Auftretens in der Gesellschaft (…) bezeichnet wird. Die Deutsche-Knigge-Gesellschaft lehnt vor diesem Hintergrund übertriebene, steife Etikette ab. An deren Stelle tritt vollendeter Stil, sichere Kenntnis der aktuellen Umgangsformen, aber auch moralische Selbstverantwortung, sittlich einwandfreies Verhalten sowie ein situativ angemessener toleranter und lockerer Umgang miteinander.“ Ihre Handlungsgrundsätze sind an den Prinzipien des Freiherrn orientiert:
Toleranz: Ein wertschätzender Umgang miteinander erfordert vor allem Toleranz für die Bedürfnisse und Gewohnheiten des anderen. Diese Forderungen mit den eigenen Ansprüchen in Einklang zu bringen, ist eine Kunst, die mit dem Wissen um gesellschaftliche Regeln und der Sicherheit im persönlichen Stil gelingen kann.
Respekt: Sitten und Bräuche folgen selten rationalen Grundlagen. Insbesondere im interkulturellen Miteinander stoßen wir oft an Grenzen. Der Respekt vor dem anderen, kulturell wie personell, formt den eigenen Charakter und hilft dabei, an sich selbst und miteinander zu wachsen.
Aufmerksamkeit: Der Satz „Das war schon immer so“ ist nicht der Schlüssel zum Erfolg. Menschen und Gesellschaft sind einem steten Wandel unterworfen, dem sorgfältige Aufmerksamkeit gebührt. Was gestern gut war, kann heute besser werden.
Verlässlichkeit: Das Wissen um verbindliche Regeln im Umgang miteinander vermittelt uns Sicherheit und Verlässlichkeit im Alltag. Die so gewonnene Freiheit können wir nutzen, um uns respektvoll, aufmerksam und tolerant dem Zwischenmenschlichen zu widmen und die wahren Gewinne für Herz und Verstand zu ernten.
Im Interview mit der lausebande verrät Vorstandsmitglied Ina Beyer-Graichen, warum Knigge auch heute noch aktuell ist und wieso auch Kinder schon mit seinen Grundsätzen vertraut gemacht werden sollten.
Früher war alles besser?
Wer selbst Kinder großzieht, hat vermutlich schon mal den Satz an den Kopf geworfen bekommen: „Die Kinder von heute wissen gar nicht mehr, was gute Erziehung ist.“ Es ist ein Klagelied, das jede Generation aufs neue anstimmt. Immer ist es um die Manieren der Jugend schlecht bestellt. Schon lange vor Beginn unserer Zeitrechnung mit Christi Geburt wurde auf die Jugend geschimpft: Auf einer 5.000 Jahre alten Tontafel der Sumerer heißt es: „Die Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein ungepflegtes Aussehen, sinnt auf Umsturz, zeigt keine Lernbereitschaft und ist ablehnend gegen übernommene Werte.“ 2.000 Jahre später hieß es auf einer Babylonischen Tontafel: „Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird niemals so sein wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Kultur zu erhalten.“ Sokrates soll vor gut 2.500 Jahren geklagt haben: „Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“ Dessen Schüler Aristoteles wiederum beschwerte sich: „Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.“ Selbst Knigge beklagte den fehlenden Respekt vor den Älteren. Und so ließe sich die Zitate-Sammlung bis in die heutige Zeit fortsetzen. Der jüngste Ausbildungsbericht der Deutschen Industrie- und Handelskammer beklagt die fehlenden Kompetenzen einiger Bewerber: „Auch wenn sich die Unternehmen nach Kräften für ihren Nachwuchs engagieren, können sie in der Schule und in Elternhäusern Versäumtes nur begrenzt wettmachen.“
Wandel von Gesellschaft und Familie
Insofern lässt sich die Frage, ob Kinder und Jugendliche heute ein schlechteres Benehmen zeigen als noch zu Zeit unserer Großeltern, nicht pauschal beantworten. Verschiedene Faktoren spielen dabei eine Rolle. Zum einen haben sich im Laufe der Jahrhunderte die sozialen Normen und Erwartungen verändert. Während es zu Knigges Zeiten noch unschicklich war, wenn Frauen Bücher lasen, stehen Mädchen heute alle Berufswege offen. Was vor zwei Generationen als unhöflich oder unangemessen galt, kann heute möglicherweise toleriert oder sogar akzeptiert werden. Dies führt dazu, dass bestimmte Verhaltensweisen heute anders wahrgenommen werden. Dieser Wertewandel trifft gerade in Familien auf veränderte Grundsätze und Methoden in der Erziehung. Während unsere Eltern oft noch autoritär und mit strenger Hand erzogen wurden und stets zu gehorchen hatten, setzen heute immer mehr Eltern auf eine bedürfnis- und bindungsorientierte Erziehung. Diese stellt die Bedürfnisse des Kindes in den Vordergrund und nicht die Erwartungen der Gesellschaft.
Nicht zuletzt haben die gesellschaftlichen Veränderungen Einfluss darauf, wie Kinder aufwachsen und wie sie sich verhalten: Familienstrukturen sind heute nicht mehr so stabil und groß wie vor zwei oder drei Generationen. Kinder wachsen häufiger als früher in Patchwork-Familien oder mit nur einem Elternteil auf. Nur noch selten leben mehrere Generationen unter einem Dach, so dass hier nicht mehr automatisch die Werte der Großeltern-Generation erlebt und vermittelt werden. Die zunehmende Digitalisierung gehört ebenso zu den Veränderungen, die sich auf das Verhalten von Kindern auswirken. Kinder nutzen schon früh Kommunikationsformen, die es in der Kindheit ihrer Eltern noch gar nicht gab.
Warum ist gutes Benehmen wichtig?
Selbst wenn die Meinungen über die angemessene Erziehung manchmal auseinander gehen, so sollte doch Einigkeit darüber herrschen, dass gewisse Grundlagen guten Benehmens dazugehören. Höflichkeit und Respekt tragen dazu bei, Konflikte zu vermeiden und erleichtern das Miteinander. Darüber hinaus hinterlässt ein freundliches Auftreten einen bleibenden Eindruck und kann Türen öffnen, sei es im beruflichen oder privaten Bereich. Kinder, die frühzeitig die Grundlagen guten Benehmens erlernen, haben daher einen Vorteil im Leben. Letztendlich ist gutes Benehmen nicht nur eine Frage der Etikette, sondern auch ein Ausdruck von Respekt und Wertschätzung gegenüber anderen Menschen. Adolph Freiherr von Knigge mag vor über 200 Jahren gelebt haben, seine Lehren sind jedoch zeitlos.
Es liegt in der Verantwortung der Erwachsenen, Kindern die Grundlagen guten Benehmens zu vermitteln. Der erste und wichtigste Ort, wo Kinder genau das erlernen, ist die Familie. Das sind zunächst einmal die Eltern, aber auch große Geschwister, Großeltern, Tante und Onkel. Je älter die Kinder werden, desto mehr Einfluss nehmen Personen außerhalb der Familien – wie Nachbarn, gute Freunde, Trainerin, Übungsleiter, Kita, Hort und Schule.
Konsequenz oder laisser-faire?
Als Eltern werden Sie wissen: Das, was Kinder wünschen und brauchen, geht nicht immer mit dem einher, was Erwachsene erwarten. Kinder sind gern laut und wild, während es Erwachsene lieber ruhig mögen. Kinder haben noch einen natürlichen Bewegungsdrang, der sich nicht unbedingt mit dem Stillsitzen während einer Mahlzeit vereinbaren lässt. Kinder spielen im Hier und Jetzt und lassen sich nur ungern aus einer Tätigkeit reißen, weil ein Termin wartet. All diese Konflikte werden Ihnen im Familienalltag immer wieder begegnen. Wie Sie damit jeweils umgehen, welches Bedürfnis in dem Fall wichtiger ist, das müssen Sie entscheiden. Geduld und Liebe sind dabei sicher nicht die schlechtesten Ratgeber, ebenso das Vertrauen, dass Ihr Kind als Erwachsener nicht mehr mit dem Essen spielen und über Stühle klettern wird, selbst wenn Sie das während der Kindheit nicht immer unterbinden.
Wir geben Ihnen im Folgenden einen Überblick darüber, welche Umgangsformen in bestimmten Situationen sozial erwünscht sind. Die Entscheidung, wie konsequent Sie diese umsetzen, liegt bei Ihnen und an der jeweiligen Situation. Beim Abendessen im Restaurant ist vermutlich mehr Konsequenz gefragt als nach einem langen Kita- und Arbeitstag am Familientisch.
Umgangsformen
- Bitte und danke sagen.
- Wir begrüßen und verabschieden uns.
- Dabei die (rechte) Hand geben und dem Gegenüber in die Augen schauen.
- Anklopfen, bevor man eine Tür öffnet.
- Anderen kein Spielzeug wegnehmen.
- Nicht hauen, schubsen, kratzen.
- Sich bei Fehlern und Missgeschicken entschuldigen.
- Beim Gähnen die Hand vor den Mund halten.
- Ins Taschenbuch oder in die Armbeuge biesen
- Ab Grundschulalter sollten Kinder Siezen.
- Andere nicht beim Reden unterbrechen.
- Anderen die Tür aufhalten.
- Schimpfwörter und Fluchen vermeiden.
- Andere nicht beleidigen.
- Keine laute Musik hören, wenn andere dadurch gestört werden.
- Pünktlich zu Terminen und Verabredungen erscheinen.
- Nicht mit dem Finger auf andere zeigen.
Tischsitten
- Vor und nach dem Essen Hände waschen.
- Die Mahlzeit gemeinsam beginnen (und beenden).
- Die Hände gehören auf den Tisch, die Ellenbogen nicht.
- Wir sitzen gerade am Tisch.
- Laute Geräusche wie Schmatzen, Schlürfen, Rülpsen sind tabu.
- Nur so viel auf den Teller nehmen, wie man auch schafft.
- Wir essen mit Besteck, nicht mit den Händen.
- Das Besteck wird zum Mund geführt, nicht umgekehrt.
- Wir reden nicht mit vollem Mund.
- Beim Kauen bleibt der Mund geschlossen.
- Besteck und Teller werden nicht abgeleckt.
- Mund und Hände mit einer Serviette säubern.
- Während des Essens kommt die Serviette auf den Schoß.
- Mit dem Essen wird nicht gespielt.
- Spielzeug und Handy gehören nicht auf den Esstisch.
- Beim Anstoßen in die Augen des Gegenübers sehen.
In Bus und Bahn
- Älteren, Behinderten und Schwangeren einen Sitzplatz anbieten.
- Erst alle aussteigen lassen, bevor man selbst einsteigt.
- Füße gehören nicht auf den Sitz.
- Rucksäcke und anderes Gepäck gehört unter den Sitz.
- Lautes Musikhören, Telefonieren und Reden vermeiden.
- Streng riechendes Essen vermeiden.
Äußeres
- Auf Körperhygiene achten: Regelmäßig waschen oder duschen.
- Nach dem Toilettengang die Hände waschen.
- Täglich Zähne putzen und Haare kämmen.
- Socken und Unterwäsche täglich wechseln.
- Gepflegte, saubere Fingernägel.
- Dem Anlass angemessen kleiden.
- Keine schmutzigen oder kaputten Sachsen tragen.
- Nicht popeln (oder wenigstens nicht in Gegenwart anderer).
Vor dem Abenteuer Zugfahrt sollten Eltern die wichtigsten Verhaltensregeln erklären. (c) FamVeld, iStock
Vorbild statt Ermahnung
Im Idealfall lernen Kinder all dies nebenbei – indem sie es zu Hause vorgelebt bekommen. Familienfeiern, Restaurantbesuche und Ausflüge sind ebenfalls gute Gelegenheiten, um Kindern diese Regeln zu vermitteln. Wenn die Eltern gute Vorbilder sind und sich so benehmen, wie sie es sich auch von ihren Kindern wünschen, dann sind das beste Voraussetzungen, damit aus dem kleinen Lausebengel ein wohlerzogener Mann wird.
Statt die Kinder immer wieder zu ermahnen („Hör auf zu kippeln!“, „Sag danke!“, „Sprich leiser!“), wirken Sie am nachhaltigsten über Ihre Vorbildfunktion. Begrüßen Sie Freunde oder Spielkameraden Ihrer Kinder, wenn diese zu Besuch kommen, bieten Sie ihnen etwas zu trinken an. Warten Sie mit dem Essen, bis alle am Tisch sitzen. Nehmen Sie Ihr Smartphone nicht mit an den Tisch, ignorieren Sie das Telefonklingeln während der Mahlzeit. Danken Sie demjenigen, der gekocht und den Tisch gedeckt hat. Nicht sofort, aber doch mit der Zeit, werden die Kinder diese Verhaltensweisen übernehmen.
Nicht immer wird Mamas gutes Vorbild sofort zum Erfolg führen. Es wird peinliche Momente geben. Das Kind wird mal das „Danke“ vergessen, wenn der Verkäufer in der Fleischerei eine Wiener über die Theke reicht. Es wird nach einem langen Kitatag vielleicht nicht mehr in der Lage sein, mit Messer und Gabel zu essen und gerade am Tisch zu sitzen. Es wird auch mal Lust darauf haben, aus Gurken, Möhren und Toast ein Gesicht auf den Teller zu zaubern, es wird schlechte Tage haben, an denen es der Oma nicht die Hand geben will. Schimpfen Sie nicht, wenn Ihr Kind das „Danke“ vergessen hat, aber loben Sie, wenn es von allein kam.
Wir haben die Etikette-Trainerin Ina Beyer-Graichen, die zugleich Vorstandsmitglied der Deutschen-Knigge-Gesellschaft ist, vier typische Situationen aus dem Familienalltag beschrieben und sie gebeten, eine angemessene Reaktion zu empfehlen. Ein ausführliches Interview mit ihr rund um gutes Benehmen in Familien lesen Sie im Anschluss an dieses Titelthema.
Mein siebenjähriges Kind feiert Kindergeburtstag und hat seine Freunde eingeladen. Es nimmt sich zuerst vom Kuchen, stellt sich immer wieder in den Mittelpunkt und will darüber bestimmen, was gespielt wird, wer zuerst dran ist und wer neben ihm sitzen darf.
In dieser Situation das Kind nicht vor seinen Freunden rügen, nur vielleicht etwas korrigierend mit Vorschlägen eingreifen, wenn die Stimmung auf Grund des Verhaltens kippen sollte. Die Situation „nachbereiten“, am besten einen Tag später und ganz in Ruhe. Erfragen Sie, warum sich das Kind so verhalten hat. Sicher meinte es, als Geburtstagskind im Mittelpunkt stehen und damit alles bestimmen zu dürfen. Notieren Sie sich dessen Argumente, gehen Sie kurz darauf ein und sprechen Sie vor der nächsten Geburtstagsfeier über die Rolle des Gastgebers bzw. der Gastgeberin. Die Geschenke der Freunde bringen Freude, deshalb sollte auch Freude verteilt werden. Das macht man, indem man seinen Gästen Kuchen und Getränke zuerst anbietet und sich zuletzt vom Kuchen nimmt. Man schlägt Spiele vor, aber die Freunde entscheiden die Reihenfolge. Eine besonders gute Idee ist es auch, mit dem Kind bereits eine Weile vor seinem Fest über eine Tischordnung nachzudenken und es Tischkärtchen basteln zu lassen.
Ich komme mit meinem sechsjährigen Kind auf eine Geburtstagsfeier und begrüße alle Gäste mit Handschlag. Mein Kind ist schüchtern und versteckt sich hinter meinem Bein. Wenn andere Gäste ihm die Hand entgegenstrecken, verweigert es sich.
Auch solche Situationen sollte man nicht in diesem Moment klären. Bereiten Sie Ihr Kind von klein an auf solche Situationen vor. Üben Sie immer wieder mit vertrauten Personen, zwingen Sie es nicht. Durch Beobachten lernt das Kind nach und nach, dass es in unserem Kulturkreis üblich ist, sich die Hand zu reichen und beim Grüßen in die Augen zu schauen. Sprechen Sie mit älteren Kindern über den Grund der Verweigerung. In den Corona-Jahren war der Handschlag nicht üblich, sodass diese Geste für ein Kind womöglich befremdlich ist.
Wir sind zu einer Hochzeit eingeladen. Mein 12-jähriger Sohn hat keine Lust auf Anzug und Krawatte. Er möchte in Jeans und Sneakers zur Feier.
Zum Glück haben Sie vom Zeitpunkt der Einladung bis zum Fest ein wenig Zeit. Nutzen Sie diese Schritt für Schritt, um mit Ihrem Sohn über verschiedene Anlässe zu sprechen. Erinnern Sie ihn daran, wie es sich anfühlte, als er als Schulanfänger im Mittelpunkt stand und wie schön sich alle Gäste extra für ihn gemacht hatten. Anlassgerechte Kleidung benutzen wir auch im Alltag. Das beginnt mit dem täglichen Wechsel von der Nachtwäsche zur Tageskleidung, von der Kleidung nach dem Sport zur Kleidung für den (Schul-) Alltag bis hin zu unseren Lieblingsstücken an Geburtstagen und Feiertagen. Damit schlagen Sie sozusagen einen Bogen zu den größten Festen im Leben eines Menschen, wozu Konfirmation und Jugendweihe, Schulabschlussbälle und natürlich eine Hochzeit gehören. Erklären Sie Ihrem Sohn, dass seine „Aufmachung“ ein Geschenk an die Brautleute ist, die ihre Hochzeitsfeier im feierlichen Rahmen begehen und sein Verhalten der Situation angemessen und seine Kleidung entsprechend anlassgerecht sein sollte. Lassen Sie ihn selbst im Internet recherchieren und Vorschläge machen, womit er sich wohlfühlen könnte. Einen Zwölfjährigen würde ich nicht zum Tragen eines Anzuges zwingen. Wie wäre es mit einem weißen Hemd und dunkler Stoffhose? Lassen Sie sich notfalls auf neue, nicht zu klobige Sneaker ein. Vielleicht findet er auch an einer Weste über dem Hemd Gefallen? Coole Ideen findet er bestimmt auch bei meinem geschätzten Kollegen Clemens von Hoyos auf dessen TikTok-Kanal für junge Leute.
Ich sitze mit meiner 4-jährigen Tochter im Bus. Ein Mann mit deutlichem Bauch steigt ein, daraufhin sagt meine Tochter laut: "Mama, der Mann bekommt ein Baby." Auch hier wieder die Frage: Welche Reaktion wäre aus Ihrer Sicht angemessen?
Folgen Sie Ihrer ersten Reaktion, lachen kurz auf und antworten Ihrer Tochter „Das kann sein!“. Schauen Sie den Mann dabei lächelnd an. Vielleicht kommt ja ein Lachen zurück mit der Bemerkung „Das höre ich nicht zum ersten Mal!“. Eine solche Bemerkung fällt unter die Kategorie „Kindermund tut Wahrheit kund“ und darf bei einer Vierjährigen getrost als drollig eingestuft werden.
Die Rolle von Schule und Kita
Werden die Kinder größer, spielen auch Kita, Hort und Schule eine wichtige Rolle bei der Vermittlung von gutem Benehmen. Zum einen ist es hilfreich, wenn die Kinder spätestens beim Schuleintritt die wichtigsten Benimmregeln und höfliches Verhalten verinnerlicht hätten. Zum anderen können Lehrerinnen und Erzieher ebenfalls dazu beitragen. Dafür gibt es mehrere Wege.
- Sozialisation und Interaktion: Kitas und Schulen sind Orte, an denen Kinder frühzeitig mit anderen Kindern und verschiedenen sozialen Situationen konfrontiert werden. Durch diese Interaktionen lernen sie, sich in Gruppen zu integrieren, Konflikte zu lösen und angemessen miteinander umzugehen. Pädagogische Fachkräfte können dabei helfen, positive Verhaltensweisen zu fördern und unerwünschtes Verhalten zu korrigieren.
- Vorbildfunktion der Lehrkräfte: Lehrkräfte und Erzieherinnen fungieren als Vorbilder für die Kinder. Ihr eigenes Verhalten und ihre Interaktionen mit den Kindern prägen deren Verständnis von gutem Benehmen. Indem sie Höflichkeit, Respekt und Empathie vorleben, können sie wichtige Werte vermitteln und die Entwicklung sozialer Kompetenzen fördern.
- Projekte und Unterricht: Einige Kitas und Schulen integrieren explizit die Vermittlung von sozialen Kompetenzen und guten Umgangsformen in ihren Bildungsplan. Dies kann durch spezielle Programme, Projekte oder Unterrichtseinheiten erfolgen, die darauf abzielen, den Kindern wichtige Fähigkeiten wie Konfliktlösung, Kommunikation und Teamarbeit beizubringen.
- Elternarbeit: Kitas und Schulen arbeiten im Idealfall eng mit den Eltern zusammen, um die Entwicklung der Kinder ganzheitlich zu fördern. Durch Elternabende, Vorträge, Workshops oder individuelle Beratung können Eltern unterstützt werden, ihre Kinder in Bezug auf gutes Benehmen zu erziehen.
- Regelwerke und Normen: Kitas und Schulen haben in der Regel klare Regelwerke und Normen, die das Verhalten der Kinder regeln. Indem sie klare Erwartungen kommunizieren und Konsequenzen für Regelverstöße aufzeigen, helfen sie den Kindern, ein Verständnis für angemessenes Verhalten zu entwickeln und Verantwortung für ihre Handlungen zu übernehmen.
Früh übt sich, wer ein vornehmer Esser werden will. Foto: joegolby, istock
Schulfach „Gutes Benehmen“?
Braucht es vielleicht ein eigenes Schulfach „Gutes Benehmen“? Zuletzt wurde das vor knapp zehn Jahren öffentlich diskutiert und Argumente ausgetauscht. Die Einführung eines Schulfachs mit dem Fokus auf „Gutes Benehmen“ ist eine Idee, über die kontrovers diskutiert werden kann. Hier sind einige Argumente, die dafür und dagegen sprechen:
Ein solches Schulfach könnte dazu beitragen, soziale Kompetenzen wie Empathie, Kommunikation, Konfliktlösung und Teamarbeit gezielt zu fördern. Wenn Kinder frühzeitig lernen, sich angemessen zu verhalten und Respekt gegenüber anderen zu zeigen, kann dies dazu beitragen, Verhaltensprobleme wie Mobbing, Aggression oder Respektlosigkeit zu reduzieren. Zudem könnte ein Schulfach die Jugendlichen auf das spätere Berufsleben vorbereiten. Denn dort lernen sie, sich angemessen zu präsentieren, professionelle Umgangsformen zu pflegen und in verschiedenen sozialen Situationen sicher zu agieren.
Doch es gibt auch Gründe, die dagegen sprechen. Ein ganz pragmatischer ist die aktuelle Situation: Fast an allen Schulen fehlen Lehrkräfte. Wo es noch vertretbar ist, werden Stundenpläne schon jetzt ausgedünnt und einzelne Stunden gestrichen. Sollten da mal ausreichend Kapazitäten für ein neues Schulfach vorhanden sein, gibt es schon jede Menge anderer Vorschläge wie Wirtschaft oder Glück. Zudem stehen beim Thema Benehmen tatsächlich zuerst die Eltern in der Verantwortung. Die Schulen müssen schon heute vieles abfangen, was in manchen Elternhäusern nicht mehr geleistet wird. Ihnen dann auch noch die Erziehung der Kinder zu gutem Benehmen aufzubürden, ist viel verlangt. Eine Alternative, die teils schon so gehandhabt wird, sind die Integration von entsprechenden Inhalten in andere Schulfächer, wie Ethik oder Religion.
Keine Regel ohne Ausnahme
Wenn Sie bis hierher gekommen sind und sich jetzt denken: „Ganz schön viel und ganz schön streng!“, dann möchten wir an dieser Stelle mit den Konventionen brechen. Denn auch hier gilt: Keine Regel ohne Ausnahme. Wenn Ihre Kinder auch im Vorschulalter noch gern mit den Fingern essen und lustige Gesichter mit dem Essen legen wollen oder ihren Namen mit den Nudeln aus der Buchstabensuppe schreiben wollen, dann könnten Sie einen Kompromiss finden: Ein Mal pro Woche (oder pro Monat) ist eine „Chaos-Mahlzeit“ erlaubt. Die Kinder dürfen auf Besteck verzichten. Blubbern mit dem Strohhalm und rülpsen sind ausdrücklich erlaubt. Vielleicht verlegen Sie die Mahlzeit auch auf den Boden und veranstalten ein Picknick in der Küche. Oder Sie lassen sich von den Sitten anderer Kulturen inspirieren. In einigen afrikanischen und asiatischen Ländern ist es durchaus üblich auf dem Boden sitzend zu essen. Vielleicht haben Ihre Kinder Lust, eine Mahlzeit komplett mit Stäbchen einzunehmen. Im Idealfall wissen die Kinder nach so einer Mahlzeit die klassischen Tischsitten umso mehr zu schätzen.
So bitte nicht! (c) Anastasiia Stiahailo, iStock
Andere Länder, andere Sitten?
Nicht alles, was bei uns in Deutschland als höflich gilt, kommt auch im Ausland gut an. Wir werfen daher an dieser Stelle einen Blick auf die (guten) Sitten und Bräuche in anderen Ländern. Wenn Sie ältere Kinder haben, können Sie genau darüber mit ihnen sprechen. Dieses Wissen und Verständnis für andere Kulturen weitet den Horizont. Außerdem kann die kleine Auswahl hilfreich sein für die Vorbereitung des nächsten Auslandsurlaubs.
Ägypten: In dem beliebten Urlaubsland sollten Sie Arme und Beine bedecken, wenn Sie eine Moschee betreten. Die Schuhe bleiben davor stehen. Frauen tragen in der Moschee ein Kopftuch. Achten Sie darauf, im Sitzen oder Liegen anderen nicht die Fußsohle entgegenzustrecken, dies gilt als Beleidigung. Die linke Hand gilt als unrein – reichen Sie also zur Begrüßung immer die rechte Hand und übergeben sie Geschenke mit rechts.
Brasilien: Pünktlichkeit wird in Brasilien ebenfalls anders verstanden als in Deutschland. Wenn Sie privat eingeladen werden, reicht es 30 bis 60 Minuten nach der vereinbarten Zeit zu erscheinen. Bringen Sie keine Geschenke in Violett oder Schwarz mit. Diese Farben stehen für Trauer. Das aus Daumen und Zeigefinger geformte Okay-Zeichen ist in Brasilien eine obszöne Geste.
Bulgarien: Viele Sitten ähneln denen der Deutschen. So ist der Handschlag zur Begrüßung auch hier üblich. Eine Stolperfalle lauert bei der Gestik. Denn während wir in Deutschland, den Kopf schütteln, wenn wir nein meinen und bei Zustimmung nicken, ist es in Bulgarien genau umgekehrt.
Indien: In Indien spielen Gastfreundschaft und Respekt gegenüber Älteren eine große Rolle. Beim Essen wird oft mit den Händen gegessen, hier ganz wichtig: Die linke Hand gilt als unrein und wird daher nicht für das Essen verwendet.
Irland: Eine der größten Umstellungen für Deutsche ist der Linksverkehr. Wer sich aus diesem Grund nicht ans Steuer eines Mietwagens traut und lieber auf den Bus setzt, sollte beachten, dass man sich beim Warten an der Haltestelle den Bus heranwinken muss, sonst hält er nicht. Das Victory-Zeichen mit dem Handrücken nach außen sollten Sie in Irland vermeiden – es entspricht dem ausgestreckten Mittelfinger in Deutschland.
Italien: Deutsche Pünktlichkeit ist hier nicht üblich. Wenn Sie privat eingeladen sind, sollten Sie erst 10 bis 20 Minuten nach der vereinbarten Zeit erscheinen. Wenn Sie Ihren Gastgebern Blumen mitbringen möchten, verzichten Sie auf Chrysanthemen – sie werden in Italien typischerweise für Trauerfeiern genutzt.
Japan: Die Begrüßung erfolgt nicht per Handschlag, sondern mit einer leichten Verbeugung. Blickkontakt sollten Sie beim Gespräch vermeiden, da dies als unhöflich gilt. In der Öffentlichkeit sind lautes Lachen und Naseputzen nicht gern gesehen. Auch das Essen mit Stäbchen erfordert eine gewisse Etikette, so ist nicht schicklich, die Stäbchen senkrecht in die Schüssel zu stecken.
Literatur-Empfehlung
Knigge kinderleicht: Gutes Benehmen für Kids
von Karolin Küntzel (2022), ISBN-13 978-3817443321
Die Autorin gibt Kindern auf über 100 Seiten Tipps und Tricks für ein freundliches, zuvorkommendes und souveränes Auftreten an die Hand: Wie lautet die passende Begrüßung? Welches Besteck verwende ich für die Vorspeise und was sind absolute Benimm No-Gos? Jedes Kapitel schließt mit einem kurzen Knigge-Quiz. Zum Schluss kann das neu gewonnene Wissen in einem Knigge-Spiel angewandt werden. Das Grußwort für das Buch kommt von Clemens Graf von Hoyos, dem Vorsitzenden der Deutschen-Knigge-Gesellschaft.
Pisa in der Kita
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Wie steht es um unsere frühkindliche Bildung?
Als die lausebande im April 2011 an den Start ging, entschied sich die Redaktion in der Premieren-Ausgabe für das Titelthema „Höher hinaus mit Lesen. Warum lesen für unsere Kinder so wichtig ist“. Die lausebande gibt es immer noch und das Thema Bildung ist kein bisschen weniger relevant geworden. Mehrfach haben wir in den vergangenen 13 Jahren Bildung zum Thema gemacht. Denn noch immer hängen die Bildungschancen für Kinder in Deutschland stark am Elternhaus. Eine der zentralen Erkenntnisse aus der lausebande-Premierenausgabe gilt ebenfalls unverändert: „Kindern, die viel lesen, fällt die Schule leicht.“ Deswegen hatte damals auch die Rubrik „Bücher für Lausebanden“ Premiere, die es noch immer gibt und in der wir Ihnen tolle Kinderbücher zum Vorlesen und Lesen empfehlen.
Nun widmen wir uns aus aktuellem, wenig erfreulichem Anlass erneut dem Thema Bildung: Im Dezember wurden die jüngsten PISA-Ergebnisse veröffentlicht. Jugendliche aus Deutschland schnitten so schlecht ab wie noch nie seit dem PISA-Start im Jahr 2000. Sowohl im Lesen und Rechnen als auch in den Naturwissenschaften gingen die Kompetenzen deutlich zurück. Umgehend startete die Suche nach den Gründen für die deutsche Bildungsmisere. Der Bildungsforscher Prof. Dr. Kai Maaz vom Leibniz-Institut für Bildungsforschung sieht eine Ursache schon vor dem Schulstart: Entscheidend für die Bildungsgerechtigkeit seien die ersten sechs Lebensjahre. In diesem Alter entstünden die größten Bildungsunterschiede: „Schule ist nicht in der Lage, dieses Delta aus den ersten sechs Jahren zu kompensieren. Es wird nicht größer, aber es wird auch nicht kleiner“. Um die Ungleichheiten zu verringern, brauche es in den Kitas gezielte qualitätsvolle Aktivitäten, die auf die Schule vorbereiten.
Wir wollen daher in dieser Ausgabe schauen, was Kita wirklich leisten kann und leisten sollte: Ist es der Ort, wo Kinder vor allem Kind sein dürfen und Freiraum zum Spielen haben? Oder ist es ein „Zuliefererbetrieb“ für Schulen, wie es Kathrin Bock-Famulla von der Bertelsmann-Stiftung im Interview mit unserem Magazin etwas provokant formulierte? Und wir werden Ihnen Impulse geben, welchen Beitrag Sie als Eltern für einen guten Schulstart leisten können. Schauen wir zunächst auf die nackten Zahlen. Die Ende 2023 veröffentlichte Pisa-Studie deckt sich in ihren Ergebnissen mit anderen Bildungsstudien.
Die aktuellen Bildungsstudien zeigen: Für viele Kinder ist Mathe ein Buch mit sieben Siegeln. © AtnoYdur, istock
PISA: Leistungen in Mathe, Lesen und Naturwissenschaft
Mit PISA werden seit dem Jahr 2000 regelmäßig die Leistungen von Schülern weltweit erhoben – in den Bereichen Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften. Bei der jüngsten Erhebung von 2022 erzielten die getesteten 15-Jährigen aus Deutschland so schlechte Werte wie noch nie seit dem Start von PISA. Der Kompetenzrückgang entspricht ungefähr dem Wissen eines ganzen Schuljahres. Damit sind die deutschen Jugendlichen nicht allein: Auch in fast allen anderen PISA-Ländern wurden schlechtere Ergebnisse erzielt, wobei der Rückgang in Mathematik in Deutschland besonders drastisch ist. In Mathematik gelten 30 Prozent der Jugendlichen als leistungsschwach, im Lesen 25 Prozent und in den Naturwissenschaften 23 Prozent. Etwa neun Prozent der Jugendlichen sind besonders leistungsstark.
Seit 2012 gehen die Leistungen von Schülern in Deutschland kontinuierlich zurück. Quelle: PISA-Berichtsbände
IGLU: Lesekompetenz
Die IGLU-Studie erfasst seit 2001 alle fünf Jahre die Lesekompetenz von Viertklässlern in mehr als 60 Ländern weltweit. Die jüngsten Ergebnisse der Erhebung wurden 2023 veröffentlicht und verheißen nichts Gutes. Demnach sind die Leseleistungen der Grundschulkinder in Deutschland in den vergangenen Jahren gesunken. Ein Viertel der Viertklässler in Deutschland erreicht nicht die Kompetenzstufe III. Das ist der international festgelegte Standard für eine Lesekompetenz, die notwendig ist für einen erfolgreichen Übergang vom Lesenlernen zum Lesen um zu lernen. Der Anteil der guten und sehr guten Leser ist im Vergleich zu 2001 um fast 10 Prozentpunkte gesunken: von 47 auf 39 Prozent. Insgesamt liegt die mittlere Lesekompetenz in Deutschland bei 524 Punkten. Damit liegt die Bundesrepublik im Mittelfeld und knapp unter dem EU-Durchschnittswert von 527. Den besten Wert erreichte in der jüngsten Erhebung Singapur mit 587 Punkten, gefolgt von Honkong und Russland. Die skandinavischen Länder liegen ebenfalls über dem EU-Schnitt.
IQB: Kompetenzen in Mathe, Deutsch und Englisch
Der IQB-Bildungstrend ist das nationale Bildungsmonitoring im Auftrag der Kultusministerkonferenz. 2022 wurden die Kompetenzen von Neuntklässlern in Deutsch und Englisch untersucht. Im Vergleich zur letzten Erhebung von 2015 sind die ohnehin schon ausbaufähigen Kompetenzen in Deutsch noch weiter zurückgegangen. Im Lesen erreichen 33 Prozent (2015: 23 Prozent) der Jugendlichen nicht die für den 10. Klasse Abschluss erforderlichen Mindeststandards, in der Rechtschreibung gilt das für 22 Prozent (2015: 14 Prozent) der Jugendlichen. Wie auch in den meisten anderen Bildungsstudien fallen die Ergebnisse für Sachsen und Bayern besonders gut aus. Kleines Trostpflaster: In Englisch sind die Kompetenzen deutlich besser, wobei die ostdeutschen Bundesländer in den Ergebnissen etwas zurückbleiben. Die Studie hat auch die sozialen und familiären Hintergründe erfragt und die Erfahrung bestätigt, dass der Schulerfolg in Deutschland noch immer stark vom Elternhaus abhängt. Erfragt wurde dazu unter anderem die Zahl der Bücher daheim. Je mehr Bücher zu Hause vorhanden sind, desto besser fallen die Leistungen in Deutsch und Englisch aus.
Grundschulkinder wurden zuletzt 2021 untersucht. Auch diese Ergebnisse sind wenig erfreulich. Die Mathe- und Deutsch-Kompetenz von Viertklässlern ist im Vergleich zu 2016 deutlich gesunken. Zwischen 18 Prozent (2016: 11 Prozent) und 30 Prozent (2016: 22 Prozent) der Kinder erreichen nicht die Mindeststandards. In Mathematik verfehlen etwa 22 Prozent der Viertklässler diese Standards. Sachsen und Bayern schneiden auch hier überdurchschnittlich gut ab, während die Ergebnisse aus Brandenburg und Nordrhein-Westfalen besonders alarmierend sind.
Im Abschlussbericht zum IQB-Bildungstrend 2022 heißt es: „Auch wenn die Erwartung unrealistisch ist, dass ein Bildungssystem ungleiche Eingangsvoraussetzungen vollständig ausgleicht, so gilt es doch als allgemein akzeptiertes bildungspolitisches Ziel, mit Hintergrundmerkmalen der Schüler:innen verbundene Disparitäten so weit wie möglich zu reduzieren.“
Bildungsgerechtigkeit in Deutschland: Schule
Durch die Bildungsinstitutionen sollen alle Kinder also möglichst gleiche Chancen auf einen guten Schulabschluss und die Möglichkeit eines Studiums haben – unabhängig davon, ob ihre Eltern die Schule nach der 10. Klasse verlassen oder studiert haben, ob sie von einem Elternteil großgezogen werden oder von beiden, ob sie reich oder arm sind, ob zu Hause deutsch oder arabisch gesprochen wird. Die eben vorgestellten Studien stellen alle fest, dass es diese Chancengleichheit in Deutschland bisher nicht gibt. Zusätzlich hat das ifo-Institut 2023 erstmals den Chancenmonitor veröffentlicht. Für diesen wurden die Daten von gut 50.000 Kindern aus dem Mikrozensus 2019 ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen detailliert auf, welche Faktoren sich negativ auf die Schullaufbahn von Kindern in Deutschland auswirken. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind auf das Gymnasium geht, schwankt je nach sozialem Hintergrund zwischen 20 und 80 Prozent! Der Migrationshintergrund hat deutlich weniger Einfluss als das Einkommen und der Bildungsabschluss der Eltern. Die Untersuchung zeigt ebenfalls, dass Jungs etwas geringere Chancen haben auf ein Gymnasium zu gehen – unabhängig vom familiären Hintergrund.
Der Chancenmonitor weist zugleich daraufhin, dass die Bildungsunterschiede schon vor der Einschulung beginnen: „Dieses Auseinanderklaffen der Bildungschancen von sozioökonomisch begünstigten und benachteiligten Kindern lässt sich bereits in der frühkindlichen Bildung beobachten und setzt sich dann auf allen weiteren Bildungsstufen sowie in außerschulischen Bereichen fort. Besonders problematisch daran ist, dass sich der Bildungsstand in den früheren Bildungsstufen auf den Erfolg in späteren Bildungsstufen auswirkt und sich Benachteiligungen somit über die Bildungslaufbahn aufsummieren.“ Das geht so weit, dass Jugendliche mit ungünstigem familiärem Hintergrund in der 9. Klasse etwa vier Schuljahre hinter den Leistungen ihrer „privilegierten“ Mitschüler zurückliegen.
Die Studienautoren haben auch gleich ein paar Lösungsvorschläge mitgeliefert. Um die Chancengerechtigkeit in Deutschland zu erhöhen, empfehlen sie sechs Ansatzpunkte:
- frühkindliche Bildungsangebote
- für benachteiligte Kinder ausbauen
- Familien benachteiligter Kinder
- bei der Erziehung unterstützen
- die besten Lehrkräfte an Schulen mit
- vielen benachteiligten Kindern bringen
- Nachhilfeprogramme für benachteiligte Kinder früh und kostenfrei anbieten
- die Aufteilung auf unterschiedliche
- weiterführende Schulen verschieben
- Mentoring-Programme für benachteiligte Kinder fördern
Wer sich die Studie und die Lösungsvorschläge im Detail anschauen möchte, findet sie hier. Wir beschränken uns auf den ersten Punkt: Ausbau frühkindlicher Bildungsangebote. Denn offenbar geht die Bildungsschere schon in den ersten Lebensjahren auseinander, noch bevor die Kinder das erste Mal eine Schule von innen sehen.
Die Tabelle zeigt, wie sehr die Bildungsgerechtigkeit vom familiären Hintergrund abhängt: Nur 21,1 Prozent der Kinder, deren Eltern kein Abitur haben, die alleinerziehend sind und über weniger als 2.600 Euro monatlich netto verfügen, gehen auf ein Gymnasium. Quelle: ifo-Chancenmonitor
Bildungsgerechtigkeit in Deutschland: Kita
Während der Bildungsstand und die Chancengleichheit in der Schulzeit recht gut wissenschaftlich erfasst werden können, ist das für Kinder zwischen 1 und 6 Jahren schon etwas schwieriger. Die Datenbasis ist dünn oder wird – wie im Falle der Schuleingangsuntersuchungen – nur bedingt der Forschung zur Verfügung gestellt. Eine Zahl, die auf Chancengleichheit hindeutet, ist die Beteiligungsquote in Kitas. Sie erfasst, wie viele Kinder eines Jahrgangs die Kita oder Krippe besuchen. Die gute Nachricht: Deutschland liegt bei diesen Werten über dem Schnitt der OECD-Länder, zu denen knapp 40 Industrienationen von allen Kontinenten gehören: In Deutschland besuchen 92 Prozent der 3- bis 6-Jährigen eine Kita, OECD-weit sind es 87 Prozent. Die weniger gute Nachricht: Schon hier zeichnet sich ein Ungleichgewicht ab.
Laut nationalem Bildungsbericht 2022 besuchen Kleinkinder aus sozial benachteiligten Familien seltener eine Kita: 90 Prozent der Kinder, deren Eltern einen hohen Bildungsabschluss haben, besuchen die Kita (Altersgruppe 3 bis 6), aber nur 74 Prozent der Kinder, deren Eltern keinen oder einen niedrigen Schulabschluss haben. Schon in der Krippe unterscheiden sich die Quoten deutlich (38 zu 18 Prozent). Auch Kinder mit Migrationshintergrund besuchen seltener die Krippe (25 zu 37 Prozent) und Kita (80 zu 91 Prozent). Dabei sind es jene Kinder, die besonders von einem Kitabesuch profitieren, weil sie dort leichter die deutsche Sprache erlernen können. Es gibt Lösungsvorschläge, wie man bildungsferne Familien für einen Kitabesuch gewinnen kann: kostenlose Kitabetreuung, Informationen und personelle Unterstützung bei der Kitaplatzsuche und -bewerbung. Der Zugang zu einem Kitaplatz muss noch niedrigschwelliger werden. Es gab bereits den Vorschlag, dass alle Kinder automatisch durch die Kommune an einer Kita angemeldet werden – es sei denn die Eltern widersprechen explizit.
Schaut man sich den Wortschatz von Kita-Kindern vor der Einschulung an, so haben mehrere Faktoren einen positiven Einfluss. Der Wortschatz ist zur Einschulung umso größer, je höher der Bildungsabschluss der Eltern ist, je früher die Kinder eine Kita besuchen und je häufiger ihnen zu Hause vorgelesen wird. Auch hier lässt sich wieder ein Geschlechter-Unterschied feststellen. So ist der Wortschatz bei 7-jährigen Mädchen im Schnitt höher als bei gleichaltrigen Jungen.
Interessant ist auch folgender Befund: Kinder aus benachteiligten Verhältnissen profitieren in besonderem Maße von einem frühen Kita-Besuch, während Kinder aus bildungsstarken Familien nicht davon profitieren. Das Gegenteil ist der Fall: Hier kann sich ein früher Kitabesuch schon mit ein oder zwei Jahren tendenziell negativ auf die kognitiven Kompetenzen auswirken. In einer Hinsicht profitieren alle Kinder von frühkindlicher außer-Haus-Betreuung: Durch den Umgang mit Gleichaltrigen stärken sie ihre sozialen und emotionalen Fähigkeiten. Die Daten zeigen also einerseits, dass die Bildungsschere schon früh auseinander geht, dass aber Kitas das Potenzial haben, eben diese Schere ein wenig zu schließen und das soziale Gefälle im Bildungsbereich zu verringern.
38 Prozent der Kinder, deren Eltern über einen hohen Bildungsabschluss verfügen (Studium, Meister o.ä.), besuchen die Krippe. Bei Eltern mit einem niedrigen Bildungsabschluss (10. Klasse) sind es 18 Prozent. Quelle: Nationaler Bildungsbericht 2022
Warum ist frühkindliche Bildung so wichtig?
Unter dem Begriff der frühkindlichen Bildung fassen Fachleute jenen angeleiteten Kompetenzerwerb zusammen, der in den ersten sechs bis sieben Lebensjahren erfolgt. In diesem Zeitraum werden die Grundlagen dafür gelegt, wie erfolgreich die weiteren Bildungsprozesse in der Schule verlaufen. Wenn man einen Säugling mit einer Erstklässlerin vergleicht, dann ahnt man, dass Kinder in dieser Zeit sehr viele neue Dinge erlernen. Das Schöne daran ist, dass sie das in dem Alter noch freiwillig machen. Kinder sind von Natur aus neugierig und wissbegierig. Sie sind offen für Neues und Unbekanntes, stellen Fragen, erkunden Dinge mit allen Sinnen. Sie wollen ihr Umfeld und ihre Umwelt erforschen und begreifen. Sie machen in den ersten Lebensjahren große Entwicklungssprünge in der Motorik (krabbeln, laufen, schwimmen, radfahren), in der Sprache, im mathematischen Verständnis, sie schulen ihre Sinne und ihre soziale Kompetenz. Sie lernen sich zu streiten und zu vertragen, zu trösten und miteinander zu spielen. Sie lernen ihre Emotionen zu regulieren, ein Spiel zu verlieren, mit einem Wutausbruch umzugehen.
All diese Entwicklungen gehen mit Veränderungen im Gehirn einher. Wiegt es bei der Geburt etwa 300 Gramm, sind es vor der Einschulung bereits 1.300 Gramm. Die Zahl der Neuronen nimmt im Laufe des Lebens nicht mehr zu: Es bleibt bei etwa 100 Milliarden Nervenzellen. Dafür nimmt die Zahl der Synapsen rasant zu. Das sind die Verbindungen zwischen den Nervenzellen, sozusagen die Datenautobahnen. Immer wenn wir etwas Neues, Unbekanntes lernen, legt das Gehirn Synapsen an. Bereits mit zwei Jahren haben Kleinkinder so viele Synapsen wie Erwachsene und mit drei Jahren sogar doppelt so viele. Etwa ab dem zehnten Lebensjahr nimmt die Zahl der Synapsen wieder ab. Das Gehirn räumt sozusagen auf. Was das Kind einmal gelernt hat, aber im Alltag nicht mehr nutzt, geht verloren: Das kann der abgebrochene Flötenunterricht sein oder das in der zweiten Klasse erlernte Wissen über den Aufbau von Korbblütlern.
Wenn wir Kindern möglichst viele verschiedene Eindrücke und Erfahrungen ermöglichen und sie dabei altersgerecht begleiten, schaffen wir gute Voraussetzungen für den Schulstart. Diese Aufgabe teilen sich Eltern und Kitas. Und dort, wo Eltern ihren Kindern – aus welchen Gründen auch immer – all das nicht in ausreichendem Maße ermöglichen können, sind gute Kitas umso wichtiger. Denn je mehr positive Lernerfahrungen Kinder in ihren ersten Lebensjahren sammeln können, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie ein Leben lang Freude am Lernen haben.
Der Migrationshintergrund hat ebenfalls Einfluss darauf, ob ein Kind die Kita besucht: 25 der Kinder mit einem solchen Hintergrund besuchen die Krippe, bei Kindern, deren Eltern beide in Deutschland geboren wurden, sind es 37 Prozent. Quelle: Nationaler Bildungsbericht 2022
Ein wenig Mathe, ein wenig Physik und ganz viel Spaß: Kinder lernen vor allem beim Spielen.
Prinzipien für erfolgreiches pädagogisches Handeln
Kinder lernen effektiver, wenn ...
- sie Erfahrungen machen können, die ihre Sinne in vielfältiger und komplexer Weise ansprechen
- sie soziale Interaktionen erleben
- ihre Interessen und Ideen von den Erzieherinnen gewürdigt und einbezogen werden und das Gelernte als persönlich bedeutsam eingestuft wird
- sie ihr Vorwissen und Können mit neuen Erfahrungen verknüpfen können
- positive Emotionen die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen begleiten, beispielsweise durch Kuscheln beim Vorlesen
- beim Lernen ein Verständnis des Ganzen vermittelt wird, damit die einzelnen Details miteinander verbunden werden können
- sie klar strukturierte, rhythmisierte oder bewusst gestaltete Lernumgebungen vorfinden, die ihre Aufmerksamkeit fokussiert,
- ihnen die Möglichkeit gegeben wird, um das eigene Lernen bewusst reflektieren zu können, beispielsweise über Portfolioarbeit oder Feedbackkultur
- verschiedene Wege zugelassen werden, damit vielfältige Verknüpfungen zwischen unterschiedlichen Informationen, bereits Gelerntem und neuen Erfahrungen entstehen
- die individuellen Unterschiede hinsichtlich der Entwicklung, der Kenntnisse, Fertigkeiten und Bedürfnisse jedes Kindes berücksichtigt werden
- eine unterstützende, motivierende, wertschätzende Umgebung gegeben ist, die zugleich neue Herausforderungen birgt, um die eigenen Fähigkeiten weiterentwickeln zu können
- sich die Kinder sicher fühlen und eine gute Bindung zu den pädagogischen Fachkräften haben, die ihr Lernen unterstützen und aktivieren
Quelle: „Wie lernen Kinder? Frühkindliche Bildung im Licht neuropsychologischer Forschung“ von Axel Bernd Kunze
Wie sehen das eigentlich die Kinder selbst? Was macht eine gute Kita für sie aus? Genau das hat die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung 2017 untersuchen lassen. Für die Studie „Kita-Qualität aus Kita-Sicht“ wurden knapp 80 Kinder aus sechs Kitas in Deutschland befragt und für mehrere Tage in ihrem Alltag begleitet. Das Ergebnis ihrer vor-Ort-Forschung fassen die Autoren so zusammen: „Kinder wünschen sich eine Kita, in der sie sich wohl, sicher, anerkannt und wertgeschätzt fühlen – und zwar auch und gerade dann, wenn sie nicht den Erwartungen und Vor-Urteilen der Erwachsenen entsprechen, wenn sie ‚besonders‘ sind und sich vielleicht auch irritierend und ‚rätselhaft‘ verhalten. Kinder wünschen sich, in ihrem Selbst- und Welterkundungsdrang von Erwachsenen unterstützt und zugleich in ein vertrautes und sicherndes Netz von Beziehungen eingewoben zu werden. Sie wollen gut informiert sein, mitreden und mitbestimmen und vor allem ungestört mit ihren Freund*innen zusammen sein und spielen.“ Die Autoren haben das Erlebte und von den Kindern Erzählte in mehreren Kriterien zusammengefasst.
Kinder erfassen ihre Umwelt mit allen Sinnen und brauchen daher eine Umgebung, die möglichst viele Sinne anspricht und ganzheitliches Lernen ermöglicht.
Kita-Qualitätskriterien aus Kindersicht
Individualität und Zugehörigkeit
- sich als individuelle Persönlichkeit wertgeschätzt fühlen und sichtbar sein: „Das bin ich, das sind meine Sachen, das habe ich gemacht.“
- sich zurückziehen und an ‚geheimen‘ Orten ungestört Spielwelten entfalten: „Hier können wir ungestört spielen und unserer Fantasie freien Lauf lassen.“
- sich durch Regeln, Rituale und Gemeinschaft miteinander verbunden und gesichert fühlen: „Wir gestalten gemeinsam den Alltag und gehören zusammen.“
Kompetenzerleben
- sich im eigenen Können ge- und bestärkt fühlen: „Ich kann was! Mir wird was zugetraut.“
- sich frei und raumgreifend bewegen: „Ich kann mich frei bewegen und den gesamten Raum erleben.“
- sich selbst und die Welt explorativ erkunden und existentielle Themen bearbeiten: „Wir erforschen die Welt und suchen nach Antworten auf schwierige Fragen.“
- sich in der Kita auskennen und im Alltag informiert sein: „Wir kennen uns hier aus.“
Autonomie und Partizipation
- sich in Bezug auf die eigenen Rechte und Entscheidungen respektiert fühlen: „Ich darf über mich bestimmen, meine Grenzen werden nicht verletzt.“
- sich-Beteiligen, Mitreden und (Mit-) Entscheiden: „Wir werden einbezogen und können (mit-) entscheiden.“
- Ausnahmen von der Regel erfahren: „Einmal durften wir das.“
Kita-Qualität in Deutschland
Um all das im Alltag umsetzen zu können, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Dafür muss die Politik langfristig ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stellen. Bis 2019 teilten sich die Finanzierung der Kitas Länder und Kommunen. Mit dem 2019 beschlossenen Gute-KiTa-Gesetz hat sich erstmals der Bund beteiligt: Seitdem hat er jedes Jahr etwa zwei Milliarden Euro bereitgestellt, damit die Kitas ihre Qualität verbessern können. Sie können mit den Mitteln beispielsweise zusätzliches Personal einstellen, ihr Ganztagsangebot ausbauen oder Programme zur sprachlichen Förderung aufsetzen. Zwei Milliarden Euro klingt nach einer großen Summe. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 haben Bund und Länder insgesamt 43,5 Milliarden Euro in die Kindertagesbetreuung investiert. Kathrin Bock-Famulla, Expertin für frühkindliche Bildung bei der Bertelsmann-Stiftung, geht noch einen Schritt weiter: Nach ihren Berechnungen bräuchte es statt zwei Milliarden Euro knapp 14 Milliarden Euro jährlich vom Bund, wenn man einen Ausbau der Betreuungsplätze entsprechend dem Bedarf und einen Personalschlüssel nach wissenschaftlichen Standards umsetzen will. Da ist also noch viel Luft nach oben. Zudem ist ungewiss, ob und wie die Bundesfinanzierung nach 2024 fortgesetzt wird. Eine Sprecherin des Bundesfamilienministeriums sagte auf lausebande-Nachfrage: „Ob der Bund sein finanzielles Engagement in der Qualitätsentwicklung über 2024 hinaus fortsetzt, wird im regulären Verfahren für die Aufstellung des Haushalts 2025 zu entscheiden sein.“
Immerhin plant der Bund die Einführung bundesweiter Standards für die Kindertagesbetreuung. Genau solche Standards sind bisher nicht festgelegt. Nach Ministeriumsangeben stehen dabei eine bessere Betreuungsrelation, sprachliche Bildung und Förderung sowie ein bedarfsgerechtes Ganztagsangebot im Fokus. Es ist eines der Versprechen aus dem Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung. Derzeit berät eine Arbeitsgruppe, wie diese Standards aussehen könnten, anschließend sollen die Beratungen von Bund und Ländern auf politischer Ebene fortgesetzt werden.
Die Bertelsmann-Stiftung hat bereits Vorschläge veröffentlicht, wie solche Standards aussehen könnten:
- kindgerechte Personalschlüssel
- ausreichend Zeit für Leitung
- professionelle Aus-, Fort- und Weiterbildung
- Fach-/Praxisberatung
- kostenfreies Mittagessen für alle Kinder
Weiterhin braucht es ausreichend Kitaplätze. Den Rechtsanspruch gibt es bereits seit 2013. Für einige Eltern gilt er aber nur auf dem Papier, denn gerade in manchen westdeutschen Städten gibt es noch immer nicht ausreichend Kitaplätze. Der Ausbau hinkt dem Bedarf hinterher. Die Bertelsmann-Stiftung geht von etwa 430.000 fehlenden Plätzen aus, davon die meisten in den westdeutschen Bundesländern.
Die dritte wichtige Säule für gute Bildungsarbeit in Kitas ist der bereits genannte kindgerechte Personalschlüssel. Wie das in der Theorie aussieht, darüber herrscht in der Wissenschaft Einigkeit: Demnach sollte sich ein Krippenerzieher um höchstens drei Kinder unter drei Jahren kümmern müssen und zwei Kitaerzieherinnen um höchstens 15 Kinder zwischen drei und sechs Jahren. Allein an der Umsetzung scheitert es. Da Bildung Ländersache ist, kocht hier jedes Bundesland sein eigenes Süppchen. Das Ergebnis sind sehr ungünstige Personalschlüssel in Sachsen, Brandenburg und den übrigen ostdeutschen Bundesländern.
Idealweise sollte sich ein Krippenerzieher um höchstens drei Kinder kümmern. Deutschlandweit sind es fast vier Kinder. Brandenburg steht etwas besser da als Sachsen. Negativer Spitzenreiter ist Mecklenburg-Vorpommern mit einem Personalschlüssel von 1 zu 5,7. Optimal betreut werden Krippenkinder in Baden-Württemberg. Quelle: Ländermonitor Frühkindliche Bildung 2022 der Bertelsmann-Stiftung
wir in den ostdeutschen Regionen zwar ausreichend Kitaplätze haben, die Betreuungsqualität dort aber nicht optimal ist. In den anderen Bundesländern wiederum ist der Betreuungsschlüssel sehr viel besser, teils entspricht er sogar den wissenschaftlichen Empfehlungen. Dafür fehlen dort Kitaplätze. Viele Eltern können ihre Kinder nach der Elternzeit nicht in die Betreuung geben. Immer wieder müssen Kitas oder einzelne Gruppen tageweise schließen, Öffnungszeiten werden gekürzt. Es ist eine Situation, die bei Eltern, Kindern und Erziehern gleichermaßen für Frust sorgt. Die Bertelsmann-Stiftung hat daher eine Maßnahme vorgeschlagen, die auf den ersten Blick unkonventionell klingen mag, die aber mehr Beachtung verdient, als sie derzeit bekommt: Eine generelle Reduzierung der Kita-Öffnungszeiten auf sechs bis sieben Stunden pro Tag. Dies ist nur als kurzfristige Maßnahme für ein oder zwei Jahre gedacht, da sich die Situation dann aufgrund der demographischen Entwicklung ohnehin entspannen wird. Zudem ist das nicht bundesweit erforderlich, sondern nur in jenen Regionen, in denen es viel zu wenig Kitaplätze gibt. Durch die Reduzierung könnte man verlässliche Betreuung zumindest während der gekürzten Öffnungszeiten anbieten und vermutlich sogar zusätzliche Kitaplätze schaffen. Denn aktuell ist es so, dass für die Betreuungsrandzeiten am frühen Morgen und am späten Nachmittag Personal für relativ wenige Kinder vorgehalten werden muss.
Die Reaktionen auf den Vorschlag sind – wenig überraschend – sehr ablehnend: „Eine generelle Einschränkung der Betreuungsumfänge auf 6 bis 7 Stunden würde einen Schritt zurück bedeuten und viele Eltern vor große Herausforderungen stellen“, heißt es vom Bundesfamilienministerium. Sachsens Kultusminister Christian Piwarz wirft der Stiftung Realitätsferne vor: „Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird durch den Vorschlag von verkürzten Kita-Zeiten torpediert. Unter diesen Bedingungen wäre kein Vollzeitjob für Eltern denkbar.“ Er verweist zugleich darauf, dass in Sachsen ausreichend Kitaplätze vorhanden sind.
Diesen Unkenrufen zum Trotz machen einige Kommunen und Landkreise bereits den Praxistest. So hat die Stadt Osnabrück in Niedersachsen im Sommer 2023 die Öffnungszeiten in neun von elf städtischen Kitas radikal reduziert: Krippengruppen bis 14.30 Uhr, Kitagruppen bis 14 Uhr. Allerdings wurden zuvor alle Eltern gefragt, ob sie Bedarf für längere Betreuungszeiten bis maximal 16 Uhr haben. Alle Eltern, die einen solchen Bedarf geäußert haben, weil sie beispielsweise länger arbeiten, können nach der Kernöffnungszeit die gruppenübergreifenden Randöffnungszeiten nutzen. Stadtvertreter Wolfgang Beckermann: „Aufgrund des hohen Fachkräftemangels haben wir mit dieser Umstrukturierung nun ein Modell geschaffen, das Kindern mit Bedarf eine Betreuung bis in den Nachmittag gewährleistet und gleichzeitig das Personal effizienter eingesetzt werden kann. Wir schaffen damit Verlässlichkeit.“
Einige freie Träger haben nachgezogen und setzen dieses Modell ebenfalls um. Andere niedersächsische Kommunen haben in Osnabrück bereits nachgefragt, wie sich die reduzierten Öffnungszeiten in der Praxis bewähren. Zusätzlich hat die Stadt Osnabrück ein ganzes Maßnahmenpaket geschnürt, um mehr Fachkräfte zu gewinnen und die Kinderbetreuung zu verbessern. In den Neubau, Ausbau und die Renovierung von Kitas investiert die Stadt bis 2027 ca. 53 Millionen Euro. Zudem wurde eine Job-Offensive gestartet, um neue Fachkräfte und Auszubildende für die städtischen Kitas zu gewinnen. Dazu wurden 50 Einzelmaßnahmen umgesetzt, wie die Schaffung zusätzlicher Studienplätze, die Erleichterung des Quereinstiegs, die Vereinfachung von Bewerbungsverfahren und die Umsetzung von Image-Kampagnen.
Die aktuelle Situation in Sachsen und Brandenburg
Sachsen und Brandenburg könnten die Kinderbetreuung in den kommenden Jahren ebenfalls verbessern – und das ganz ohne eine Kürzung von Öffnungszeiten: „Bis 2030 besteht für die ostdeutschen Bundesländer aufgrund der zurückgehenden Kinderzahlen die Chance, die Personalschlüssel an das Westniveau anzugleichen und die Elternbedarfe zu erfüllen. Brandenburg und Sachsen können bis 2030 sogar kindgerechte Personalschlüssel erreichen. Für alle Ost-Bundesländer gilt, dass das aktuell beschäftigte Kita-Personal nicht entlassen werden darf und sogar zusätzlich neue Fachkräfte gewonnen werden müssen“, heißt es im jüngsten Fachkräfte-Radar für Kita und Grundschule der Bertelsmann-Stiftung. Dazu müssten zunächst auf Länderebene die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden.
Das zuständige Ministerium in Brandenburg verweist auf den bereits verbesserten Personalschlüssel. 2015 lag dieser in der Krippe noch bei 1 zu 6. Im Sommer 2025 soll er bei 1 zu 4 liegen. Im Kindergartenbereich gab es in den vergangenen Jahren ebenfalls leichte Verbesserungen. Zudem kommt ab diesem Sommer die lange versprochene Beitragsfreiheit.
Sachsen will den Vorschlag ebenfalls aufgreifen und trotz sinkender Kinderzahlen am Personal festhalten. Allerdings hält das zuständige Kultusministerium die wissenschaftlichen Empfehlungen für nicht umsetzbar: „Die Forderungen zum Personalschlüssel in den Kindertageseinrichtungen sind völlig überzogen. Sicherlich wünschen wir uns alle eine optimale Betreuung für unsere Kinder. Aber es muss in der Realität umsetzbar sein“, so Minister Piwarz. Mit Blick auf die hohen Kosten und das nötige Personal sei das nicht zu stemmen. Stattdessen wolle man sich weiter schrittweise um eine Verbesserung des Personalschlüssels bemühen. Aktuell liegt er für die Krippe bei 1 zu 5, die letzte Verbesserung liegt bereits sechs Jahre zurück. Im Kindergartenbereich liegt der Schlüssel bei 1 zu 11,2. „Die Entscheidung über neue Maßnahmen zur Verbesserung der Personalausstattung bleibt dem Sächsischen Landtag vorbehalten und wird – so denn dieser Weg weiterverfolgt wird – mit dem Beschluss über den Landeshaushalt 2025/2026 getroffen“, heißt es vom Ministerium. Aufgrund der bevorstehenden Landtagswahl in Sachsen wird dies voraussichtlich erst im Frühjahr 2025 der Fall sein.
Ein Blick auf die Fachkräftesituation
Zugleich braucht es – in allen Bundesländern – Strategien, um mehr Personal für Kitas zu gewinnen und das Bestandspersonal zu entlasten und zu halten. Denn auch in diesem Bereich gibt es aufgrund der schwierigen Arbeitsbedingungen eine Abwanderung von Fachkräften in verwandte Berufsfelder. Als Beispiel für eine kurzfristige Maßnahme wird die Entlastung der Erzieher von hauswirtschaftlichen oder Verwaltungstätigkeiten genannt. Der Bund sieht die Notwendigkeit einer Fachkräftestrategie ebenfalls, verweist aber auf die Zuständigkeit der Länder: „Zuständig für die Ausbildung des pädagogischen Personals sind die Bundesländer, für die Arbeits- und Rahmenbedingungen die Arbeitgeber und Tarifpartner. Deshalb arbeitet das BMFSFJ gemeinsam mit diesen Partnern an einer tragfähigen Gesamtstrategie mit kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen, um zusätzliche Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. Dabei nehmen wir die Ausbildung, Fortbildung, attraktive Arbeitsbedingungen, horizontale und vertikale Karrierewege, Möglichkeiten zum Quereinstieg und die Integration ausländischer Fachkräfte in den Blick.“ Konkrete Empfehlungen will das Bundesfamilienministerium noch im Frühjahr vorstellen.
Die Wissenschaft wünscht sich, dass unter diesem Druck nicht auf Personal zurückgegriffen wird, das nicht qualifiziert ist: „Auf keiner Ebene darf es Abstriche an der pädagogischen Qualifizierung geben. Sonst leidet die Bildungsqualität darunter“, mahnt Anette Stein von der Bertelsmann-Stiftung. Schon jetzt passiert nämlich in Kitas das, was auch die Schulen machen: Es werden immer mehr Menschen über den Quereinstieg eingestellt, nicht immer folgt dann noch eine der Berufsausbildung gleichgestellte Qualifizierung. Statt also auf eine höhere Akademisierung zu setzen, wie es in anderen Ländern der Fall ist, wäre es in der aktuellen Situation wichtiger, wieder verstärkt Erzieherinnen einzustellen, die eine entsprechende Ausbildung erfolgreich abgeschlossen haben.
Brandenburg dagegen hat mit einer neuen Kita-Personalverordnung die Tür für Nicht-Qualifizierte weiter geöffnet. So dürfen künftig bis zu 20 Prozent Ergänzungskräfte in einer Kita tätig sein. Das sind Seiteneinsteigende, die eine Qualifizierung über 300 Stunden abschließen. „Damit wird die Qualität der Kinderbetreuung sichergestellt“, heißt es vom Ministerium. Das kann man hinterfragen, zum Vergleich: Die klassische Ausbildung zur Erzieherin umfasst zwischen 2.400 und 2.800 Theorie-Stunden. Derzeit arbeiten sechs Prozent Ergänzungskräfte in Brandenburger Kitas, das Land will künftig bis zu 20 Prozent erlauben. Im Unterschied zu einer Fachkraft dürfen sie nur unter Aufsicht mit den Kinder arbeiten, sie dürfen ein Kindergruppe also nicht allein betreuen.
Das Fazit lautet also: Erst wenn durch ausreichend und ausreichend qualifiziertes Personal eine gute, kindgerechte Betreuung in den Kitas abgesichert ist, dann können Kitas ein Ort der Betreuung und der Bildung sein. Davon sind wir in ganz Deutschland noch ein Stück weit entfernt. Ein Trost für Familien: Neben der Kita sind für Kinder die Familie und das Zuhause die wichtigsten Lernorte sind – hier können Eltern ausgleichen, was die Kita vielleicht nicht leisten kann.
Die Natur und Spielplätze sind der ideale Lernort für Kinder.
Was können Eltern tun?
Wir haben oben bereits erläutert, dass Kleinkinder nebenher Neues erlernen, mit großer Offenheit an Unbekanntes herangehen und ganzheitliches Lernen bei ihnen am besten funktioniert. Wir wollen Familien daher zum Schluss dieses Beitrags ein paar Tipps an die Hand geben, wie sie ihren Kindern ohne viel Aufwand die besten Voraussetzungen mit auf den weiteren Lebensweg geben.
Unsere Aufgabe als Eltern ist es, die Kinder zu begleiten, sie anzuleiten, ihnen zuzuhören, ihre Interessen aufzunehmen und daraus Ausflüge oder kleine Projekte abzuleiten. Konkrete Ideen finden Sie in der nebenstehenden Tabelle. Wir sollten uns die Zeit nehmen, ihre vielen Warum-Fragen zu beantworten. Wenn wir die Antwort selbst nicht kennen, können wir die Kinder altersgerecht in die Suche nach einer Antwort einbeziehen. Wir sollten ihnen unterschiedliche Spiel- und Lernmaterialien wie Bastelmaterial und einen Maltisch zur Verfügung stellen, ihnen verschiedene Erfahrungsräume bieten: zu Hause, im Garten, im Park, bei der besten Freundin, auf dem Spielplatz, im Zoo, im Museum, im Schwimmbad. Ganz wichtig ist die sprachliche Begleitung: Damit Kinder ihre Muttersprache erlernen können, müssen wir mit ihnen reden, ihnen Lieder vorsingen, Geschichten vorlesen, ebenso gehören kurze Reime und Fingerspiele dazu. Das wichtigste zuletzt: Kinder brauchen unsere Geborgenheit und Zeit. Zeit zum Träumen, zum Spielen, zum Entdecken.
Hahn oder Flasche?
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Ein Ratgeber rund ums Wasser
Wasser ist eines der wichtigsten Lebensmittel für den Menschen, es gilt als Grundnahrungsmittel Nummer eins. Wir müssen täglich je nach Alter und Gewicht zwischen ein und zwei Liter Flüssigkeit zu uns nehmen – idealerweise Wasser. Das ist allein deswegen so wichtig, weil unser Körper vor allem aus Wasser besteht: bei Babys noch zu fast 80 Prozent, im hohen Alter dann noch zu etwa 50 Prozent. Allein das menschliche Blut besteht zu 90 Prozent aus Wasser. Täglich verlieren wir etwa zwei Liter Wasser – beim Gang zur Toilette, beim Ausatmen und beim Schwitzen. Damit der Wasserhaushalt unseres Körpers stabil bleibt, ist es wichtig, dass wir ausreichend Wasser zu uns nehmen. Das tun wir am besten, indem wir ausreichend trinken und wasserhaltige Lebensmittel wie Obst und Gemüse essen.
Warum trinken so wichtig ist
Die Folgen von zu wenig Wasseraufnahme spüren wir schnell. Denn der Körper verfügt kaum über Wasserreserven. Wenn wir zu wenig trinken, dickt das Blut sozusagen ein und fließt nur noch zähflüssig durch unseren Körper. Darunter leiden fast alle Organe, besonders stark die wasserreichen wie Gehirn, Herz, Lunge und Niere: der Blutdruck sinkt, der Stoffwechsel verlangsamt sich, Herzrasen kann auftreten. Wir merken diese Veränderungen recht schnell: Wir sind müde, unkonzentriert, weniger leistungsfähig. Kopfschmerzen und Verstopfung sind weitere Folgen. Auch die Haut reagiert empfindlich auf Flüssigkeitsmangel: Sie wird rot und gereizt. Während wir im Notfall ziemlich lange ohne feste Nahrung auskämen (gilt nur für Erwachsene!), würde Wassermangel schon nach zwei bis vier Tagen zum Tod führen. Ausreichend zu trinken ist besonders wichtig für Babys und Kinder. Denn während wir Erwachsenen täglich etwa fünf Prozent unseres Wasserhaushaltes umsetzen, sind es bei Säuglingen noch 20 Prozent. Wenn dort also etwas verloren geht, führt das schneller zu ernsten Konsequenzen. Deswegen passiert es auch schnell mal, dass Kinder bei Magen-Darm-Erkrankungen ins Krankenhaus müssen. Sie sind so schwach, dass sie nicht so viel trinken können, wie sie auf der Toilette verlieren. Um einer gefährlichen Dehydrierung vorzubeugen, erhalten die Kinder im Klinikum über einen Tropf Flüssigkeit samt Elektrolyten.
Umso wichtiger ist es, dass wir im Alltag ausreichend trinken. Für Erwachsene gilt die Empfehlung von 1,5 bis 2 Liter pro Tag. Babys unter einem Jahr sollten etwa einen halben Liter pro Tag trinken. Hier ist in den ersten Lebensmonaten Mutter- oder Säuglingsmilch ausreichend. Im Kita-Alter steigt die Trinkmenge dann auf etwa einen dreiviertel Liter, während der Grundschulzeit auf einen Liter. Als Faustregel für Erwachsene gilt: Pro Kilogramm Körpergewicht werden etwa 30 Milliliter Flüssigkeit empfohlen.
Nicht nur, aber vor allem beim Sport ist regelmäßiges Trinken wichtig. © Informationszentrale Deutsches Mineralwasser (IDM)
Zur Trinkwasserqualität in Deutschland
In Deutschland verbrauchen wir knapp 130 Liter Wasser – pro Tag und pro Kopf. Das meiste davon verschwindet beim Duschen, beim Händewaschen, beim Spülen auf der Toilette und beim Wäschewaschen im Abfluss. Nur einen Bruchteil nutzen wir wirklich zum Trinken oder um Obst zu waschen oder Essen zu kochen. Gut ist, dass wir das in Deutschland bedenkenlos mit Leitungswasser tun können. Denn Trinkwasser gehört hierzulande zu den am strengsten überwachten Lebensmitteln. Dafür sorgen gleich mehrere Vorkehrungen: Der Rohstoff – unser Grundwasser – wird beispielsweise über die Ausweisung von Trinkwasserschutzgebieten geschützt. Die sollen verhindern, dass gefährliche Stoffe wie Pestizide, Chemikalien oder Medikamentenrückstände ins Grundwasser gelangen. Auf dem Weg von der Landschaft bis zum Wasserhahn sorgen weitere Schutzmechanismen für beste Trinkwasserqualität. Die regionalen Wasserversorger bereiten das Wasser mit Hilfe von chemischen und physikalischen Filtern in ihren Wasserwerken so auf, dass es den hohen Anforderungen der gut 60 Seiten umfassenden Trinkwasserverordnung entspricht.
Darin sind auch die Grenzwerte für verschiedene Stoffe festgelegt, die nicht überschritten werden sollen, darunter Arsen, Blei, Nitrat und Uran. Der dritte Schutzmechanismus ist das Leitungssystem. Durch die Verwendung geeigneter Materialien und die regelmäßige Pflege und Wartung sorgt es dafür, dass das Wasser genauso rein im Wasserhahn ankommt, wie es zuvor das Wasserwerk verlassen hat. In Deutschland sind gut 99 Prozent der Bevölkerung an zentrale Trinkwasser-Verteilungsnetze angeschlossen. Die Gesamtlänge aller Verteilungsnetze beträgt etwa 500.000 Kilometer.
Die Organisation der Trinkwasserversorgung gehört zur staatlichen Pflicht als Teil der öffentlichen Daseinsfürsorge. Verantwortlich dafür sind die Städte und Gemeinden. In der Regel organisieren sie diese selbst und legen sie in die Hände öffentlich-rechtlicher Unternehmen. Kleinere Kommunen schließen sich häufig zu Zweckverbänden zusammen. In jedem Fall machen sie ihren Job gut. Regelmäßige Laboruntersuchungen bescheinigen dem deutschen Trinkwasser eine sehr gute Qualität. In Deutschland gibt es große und kleine Wasserversorgungsgebiete, wobei jene als groß gelten, die täglich mehr als 1.000 Kubikmeter Wasser abgeben bzw. mehr als 5.000 Personen versorgen. 90 Prozent der Deutschen beziehen ihr Trinkwasser von solchen großen Versorgern. Und hier lagen die Messergebnisse zuletzt zu gut 99 Prozent unter den erlaubten Grenzwerten. In den kleinen Wasserversorgungsgebieten hat das Trinkwasser ebenfalls eine gute Qualität, obwohl sie im Vergleich zu den großen Versorgungsgebieten mit einer Quote von 90 Prozent etwas schlechter abschneiden.
Die hohe Qualität des Trinkwassers in Deutschland ist auch der Arbeit der Versorgungsunternehmen zu verdanken – hier ein Blick in die Filterhalle im Wasserwerk Cottbus. © LWG
Wer sich im Detail für die Qualität interessiert, kann die jährlichen Untersuchungsberichte für das jeweilige Bundesland im Internet anschauen, in Sachsen auf der Webseite der Landesuntersuchungsanstalt, in Brandenburg beim Gesundheitsministerium. Der dortige Bericht für 2022 zeigt die häufigsten Grenzwertüberschreitungen für folgende Werte an: Coliforme Bakterien (in 47 von 1936 Proben überschritten), Calcitlösekapazität (27 von 468), Färbung (23 von 1898) und Mangan (15 von 1601). Die anderen Werte wurden noch seltener oder gar nicht überschritten.
Ab dem Wasserzähler ist der Eigentümer für die Wasserqualität verantwortlich. Deshalb ist das Wasserwerk Ansprechpartner, wenn beispielsweise die Nitratwerte erhöht sind. Sie selbst oder Ihr Vermieter müssen sich kümmern, wenn die Beanstandung auf die Installation im Haus zurückgeht. Das war früher zum Beispiel der Fall, wenn Bleileitungen für erhöhte Bleiwerte sorgten. Mittlerweile wurden fast alle Bleileitungen entfernt und durch ungefährliche Materialien ersetzt.
Während regelmäßige Wasseruntersuchungen in Mehrfamilienhäusern für die Vermieter Pflicht sind, gibt es eine solche Pflicht nicht für Besitzer von Ein- und Zweifamilienhäusern. Ihnen bleibt es selbst überlassen, ob und wie häufig sie die Qualität ihres Leitungswassers untersuchen lassen. Wer sein Trinkwasser auf bestimmte Grenzwerte untersuchen lassen möchte, der kann sich an eines der von den jeweiligen Bundesländern zugelassenen Labore wenden. Eine aktuelle Übersicht dazu findet man im Internet (siehe unten). Gut zu wissen: Die in der Trinkwasserverordnung festgelegten Grenzwerte beinhalten einen gewissen Puffer, so dass es bei einer Überschreitung nicht gleich zu einer Gesundheitsgefährdung kommt. Sobald ein Grenzwert überschritten wird, werden die zuständigen Behörden aktiv und fordern die notwendigen Konsequenzen ein.
Trinkwasseruntersuchungsstellen Brandenburg
Trinkwasseruntersuchungsstellen Sachsen
Das können Sie für sauberes Trinkwasser tun
Um die hohe Qualität des Trinkwassers in Deutschland zu schützen, können auch Familien in ihrem Alltag mitwirken. Wichtigste Regel: Entsorgen Sie nichts im Waschbecken oder in der Toilette, das dort nicht hingehört. Dazu gehören (abgelaufene) Medikamente, Chemikalien, übrig gebliebene Reinigungsmittel, Dünger, Farben, Lacke oder Lösemittel. Diese gehören in den Restmüll oder können bei der örtlichen Schadstoffsammelstelle abgegeben werden. Auch Speisereste und Fette gehören in den Restmüll und nicht in die Toilette. Verzichten Sie möglichst auf den Einsatz aggressiver Reinigungsmittel und setzen Sie stattdessen auf Hausmittel wie Zitronensaft oder Essig. Wenn Sie klassische Reinigungsmittel nutzen, dosieren Sie diese sparsam, um das Abwasser nicht unnötig zu belasten. Verzichten Sie auf Duftsteine für das WC. Verwenden Sie künstlichen Dünger im Garten und Balkon sparsam, bevorzugen Sie Kompost. Entsorgen Sie Putzwasser in der Toilette und nicht im Straßengulli. Viele Gullis sind an die Regenwasserkanalisation angeschlossen, so dass das Wasser von dort ungeklärt in Flüssen landet. Streuen Sie im Winter mit Sand oder Kies statt mit Salz. Letzteres belastet Umwelt und Tiere.
Wasserhärte: Bedeutung und Werte in der Lausitz
Ein Wert, der ebenfalls regelmäßig von den Wasserversorgern erhoben wird, ist die Wasserhärte. Sie gibt an, wie „weich“ oder „hart“ das Wasser ist. Ab 14 dH (deutsche Härte) bzw. 2,5 Milliomol Calciumoxid /Liter gilt Wasser als hart, bis 7 dH bzw. 1,3 Millimol als weich. Je härter das Wasser, desto mehr Calcium und Magnesium enthält es, ist also aufgrund des hohen Mineraliengehalts für den Körper gesund. Problematisch empfinden es Verbraucher aber oft aufgrund der Kalkflecken. Für Waschmaschinen und Geschirrspüler stellt das durch die mit Entkalker versetzten Wasch- bzw. Spülmittel kein Problem dar. Kalkflecken auf Armaturen und verkalkte Kaffeemaschinen bzw. Wasserkocher lassen sich mit Zitronensäure bzw. Essig reinigen. Je weicher das Wasser, desto weniger Waschmittel und Seife braucht man. Ob man in einer Gemeinde mit weichem oder hartem Wasser lebt, hängt unter anderem von der Art der Wasseraufbereitung im zuständigen Wasserwerk und von den geologischen Gegebenheiten ab. Wasserhärte entsteht im Boden, wenn Regenwasser versickert. Hierbei lösen sich je nach Art des Gesteins im Untergrund Mineralien – wie eben Calzium und Magnesium. So wird aus Regenwasser Grundwasser mit regionaltypischer Zusammensetzung. Wasserversorger fördern es und bereiten es zu Trinkwasser auf. In einigen Gebieten wird Talsperrenwasser als Trinkwasser aufbereitet. Dieses Wasser ist meist „weich“, da es dem Regenwasser gleicht, also vergleichsweise wenige Mineralstoffe enthält. Im Familienalltag ist die Kenntnis des eigenen Wassergrads wichtig, wenn es um das Wäschewaschen oder den Geschirrspüler geht. Wer Pulver statt Tabs benutzt, muss vorher den Wasserhärtegrad am Geschirrspüler einstellen. Beim Waschmittel sollte man darauf achten, dieses entsprechend des Härtegrads zu dosieren. Der entsprechende Hinweis findet sich auf der Waschmittel-Verpackung.
Die Grafik zeigt, wie Mineralwasser bei seiner Entstehung Mineralstoffe aufnimmt. © Informationszentrale Deutsches Mineralwasser (IDM)
Leitungswasser oder Mineralwasser – nur eine Frage des Geschmacks?
Für manche ist es eine Geschmacksfrage, für andere eine Glaubensfrage: Leitungswasser oder Mineralwasser aus der Flasche? Wer ein paar Dinge beachtet, ist bei beiden Varianten auf der sicheren Seite. Wir geben einen Überblick über die Vor- und Nachteile.
Zunächst zum wichtigsten Unterschied: Leitungswasser wird wie oben dargestellt von den regionalen Wasserversorgern aus dem Grundwasser und aus Gewässern wie Flüssen, Seen und Talsperren gewonnen und dann aufbereitet. Aufgrund der strengen Anforderungen der Trinkwasserverordnung gilt Leitungswasser als sicherstes Lebensmittel in Deutschland. Mineralwasser dagegen wird aus tiefer liegenden Quellen gefördert, die ursprüngliches und reines Wasser versprechen, weil giftige Stoffe wie Nitrat, Pestizide und Arzneimittelrückstände nicht in diese tiefen Schichten gelangen. Das Wasser wird nur minimal aufbereitet und dann direkt abgefüllt. Dann gibt es noch sogenanntes Heilwasser, das aufgrund seiner Mineralstoffe bestimmte Heilwirkungen hat und dem Arzneimittelrecht unterliegt.
In puncto Nachhaltigkeit, Lebensmittelsicherheit und Kosten ist die Rohrperle dem Flaschentrunk überlegen. Kein anderes Lebensmittel in Deutschland wird so gut überwacht wie Trinkwasser. Es gibt eine Vielzahl von Grenzwerten, die nicht überschritten werden dürfen und deren Einhaltung regelmäßig kontrolliert wird, strenger als die von Mineralwasser. Leitungswasser ist zudem deutlich preiswerter als das Wasser im Supermarkt. Für einen Liter Leitungswasser zahlt man in Deutschland etwa 0,5 Cent, für einen Liter Mineralwasser mindestens 20 Cent, also das 40-fache. Dazu kommt die Nachhaltigkeit. Trinkwasser kommt direkt aus der Leitung, Mineralwasser muss abgefüllt, verpackt (viel zu oft in Einweg-Plastikflaschen) und transportiert werden. Für Familien ebenfalls nicht zu unterschätzen ist die Schlepperei der Wasserkisten. Diese entfällt, wenn man sich das Wasser direkt aus dem Hahn ins Glas füllt. Wichtig dabei ist, das Wasser kurz ablaufen zu lassen, wenn es vorher lange in der Leitung stand. Das ist beispielsweise morgens nach dem Aufstehen und nach dem Urlaub der Fall.
Nicht zuletzt ist die Entscheidung für oder gegen Leitungswasser eine Geschmacksfrage. Manch einem schmeckt das Mineralwasser aus dem Laden besser. Hier ist auch die Auswahl sehr viel größer: Im Handel sind mehr als 500 verschiedene Sorten erhältlich. So viel Vielfalt bietet das Leitungswasser nicht. Wer Sprudelwasser bevorzugt, muss zur Flasche greifen oder sich einen Trinkwassersprudler anschaffen. Er versetzt Leitungswasser mit Kohlensäure. Da diese Sprudler keimanfällig sind, ist gute Hygiene oberstes Gebot bei der Nutzung. Nutzen Sie Glas- statt Plastikflaschen, reinigen sie diese regelmäßig, trinken sie nicht direkt aus der Flasche, geben Sie Zusätze wie Zitronenscheiben erst im Glas oder in der Karaffe zum Wasser. Lassen Sie das Gerät und die Flaschen bei Nichtbenutzung vollständig trocknen.
Leitungs- und Mineralwasser im Vergleich: Angaben in mg/l, Quelle: Wasserversorger und Webseite/ Etikett des jeweiligen Mineralwassers.
Ein weiterer Unterschied ist die Zusammensetzung des Wassers. Für einige Menschen ist der höhere Mineraliengehalt ausschlaggebend dafür, Mineralwasser statt Leitungswasser zu trinken. Doch das ist ein Stück weit ein Mythos. Zum einen nehmen wir den Großteil der erforderlichen Mineralien über unser Essen auf, Getränke haben bei der Mineralstoffversorgung nur eine ergänzende Wirkung. Zum anderen hängt es stark vom Leitungswasser und von der Mineralwasser-Sorte ab, wie viele Mineralien tatsächlich enthalten sind. Beim Mineralwasser finden sich die Angaben auf dem Etikett. Wer den Mineraliengehalt seines Leitungswassers erfahren möchte, kann beim Wasserversorger nachfragen. Viele veröffentlichen die Werte auf ihrer Homepage.
Ein prüfender Blick zeigt dem Fachhandwerker, ob der Partikelfilter an der häuslichen Trinkwasseranlage korrekt eingestellt ist und regelmäßig gespült wird. © ZVSHK
Filtermodelle im Überblick
Trotz der hohen Ansprüche an die Qualität des Trinkwassers liegen Wasserfilter im Trend. Wer sie nutzt, verspricht sich davon wahlweise einen besseren Geschmack, weniger hartes Wasser oder weniger Schadstoffe. Wer ein Aquarium besitzt oder Orchideen, der hat ebenfalls besondere Ansprüche ans Wasser. Wer sich also einen Wasserfilter anschaffen möchte, sollte sich vorab über die gängigen Systeme informieren. Wir geben einen Überblick.
Pflicht: Partikelfilter am Hausanschluss
In jeder Trinkwasser-Installation eines Mehr- oder Einfamilienhauses muss unmittelbar hinter dem Wasserzähler ein mechanischer Filter eingebaut sein. Er filtert größere Partikel, so dass diese gar nicht erst in die Leitungen und Armaturen/ Wasserhähne im Haus bzw. in der Wohnung gelangen können. Denn ansonsten bestünde die Gefahr, dass sie sich dort ablagern und zu Korrosion führen, was die Leitungen auf Dauer schädigt. Zudem bestünde bei Ablagerungen ein erhöhtes Risiko für Keimbildung. Verantwortlich für den Einbau und die Wartung dieses Filters ist der Eigentümer, bei Mehrfamilienhäusern der Vermieter. Er muss eine regelmäßige Wartung durchführen lassen. Hier gibt es zwei Varianten: Rückspülbare Filter sollten alle zwei Monate gespült werden. Dabei werden die angesammelten Partikel ausgespült, was wiederum die Lebensdauer des Filters erhöht. Bei einem nicht rückspülbaren Filter muss mindestens alle sechs Monate der Filter gewechselt werden. Hier sollte ein zugelassener Fachbetrieb ran. Ein Zeichen für einen überfälligen Wechsel oder eine Spülung des Filters kann nachlassender Wasserdruck sein. Die Kosten für den erstmaligen Einbau liegen im niedrigen dreistelligen Bereich.
Zusätzlicher Wasserfilter für den Hausanschluss
Wer sein Wasser zusätzlich filtern möchte, um die Wasserhärte zu verringern oder bestimmte Schadstoffe zu entfernen, hat verschiedene Möglichkeiten. Zunächst ist die Frage zu klären, an welcher Stelle im Haus das Wasser gefiltert werden soll: Wenn ein Filter direkt hinter dem Wasserzähler am Hausanschluss installiert wird, filtert dieser das komplette Wasser im Haus– ganz gleich ob es zum Trinken, Kochen, Wäschewaschen, Duschen, für den Geschirrspüler oder die Toilette benötigt wird. Das bringt mehr Komfort, da Sie sich nur an einer Stelle im Haus um Installation und Wartung kümmern müssen, zudem schützen Sie das gesamte Leitungssystem vor möglichen Schäden durch verunreinigtes Wasser. Demgegenüber stehen die höheren Kosten von vierstelligen Beträgen. Wenn Ihnen gefiltertes Wasser nur zum Trinken und für die Zubereitung des Essens wichtig ist, sind Filter direkt am Wasserhahn oder für den Tisch preiswerte Alternativen.
Installation am Wasserhahn: Tischfilter
Dafür bietet sich eine Installation am Wasserhahn in der Küche an, da hier ein Großteil des Wassers entnommen wird, das wir tatsächlich trinken. Diese Auftisch- oder Untertisch-Filter werden wahlweise unter der Spüle oder darüber direkt am gewünschten Wasserhahn installiert. Für welche Variante man sich entscheidet, hängt unter anderem vom zur Verfügung stehenden Platz ab. Untertisch-Filter ermöglichen meist eine bessere Reduzierung von Schadstoffen, sind dafür etwas teurer in der Anschaffung und Installation, da dafür ein Fachbetrieb notwendig ist. Zudem sind sie die elegantere Lösung, da sie nicht sichtbar sind. Es gibt verschiedene Installationsmöglichkeiten, bei denen am Ende gegebenenfalls ein zweiter Wasserhahn installiert wird, wenn nur das Trinkwasser gefiltert werden soll, nicht jedoch das Brauchwasser. Auftischfilter werden neben dem Spülbecken aufgestellt. Sie sind preiswerter und einfach zu montieren, indem sie an den vorhandenen Wasserhahn geschraubt werden. Allerdings haben sie eine geringere Kapazität und Filterleistung. Sie können nicht genutzt werden, wenn das Wasser über einen drucklosen Boiler erhitzt wird und der vorhandene Wasserhahn über eine Schlauchbrause verfügt. Für dieses Modell müssen Sie mit einem mittleren dreistelligen Betrag rechnen.
Ohne Installation: Kannenfilter
Sie sind die schnellste und unkomplizierteste Möglichkeit, um Trinkwasser zu filtern. Wie der Name sagt, werden sie als Wasserkanne am Essenstisch genutzt. Sie filtern vor allem Kalk aus sehr hartem Wasser, aber auch Blei und Kupfer. Dazu setzen sie auf Kartuschen mit Aktivkohle, teilweise mit Kunstharz und Mikrosilber versetzt. Stiftung Warentest hat gängige Tischkannen-Modelle zuletzt im Sommer 2022 getestet. Das Ergebnis war ernüchternd: Die Filterwirkung war gering und ließ schnell nach. Dafür ist das Risiko einer zusätzlichen Keimbelastung recht hoch. Um eine solche zu verhindern, ist es notwendig, die Kartuschen regelmäßig zu wechseln und den mit Wasser gefüllten Filter in den Kühlschrank zu stellen. Die Anschaffungskosten sind relativ gering, günstige Modelle gibt es ab 15 bis 20 Euro. Allerdings müssen die Filterkartuschen regelmäßig ausgetauscht werden – das kostet Geld und produziert Abfall.
Wasser ist das ideale Getränk und gesünder als Saft oder Brause. Wem der Geschmack zu fade ist, der kann es mit Früchten aufpeppen. © Informationszentrale Deutsches Mineralwasser (IDM)
Filtersysteme im Überblick
Die eben vorgestellten Modelle reinigen das Wasser entweder chemisch oder physikalisch. Wir stellen die gängigen Filtersysteme und ihre Funktionsweise sowie die Vor- und Nachteile im Überblick vor.
Aktivkohlefilter enthalten Kohlenstoffe aus Holz, Kohle oder Kokosnussschalen. Die Kohlenstoffe werden durch Erhitzen aktiviert (daher „Aktivkohle“), so dass sich ihre Poren vergrößern. Diese Poren sind in der Lage, bestimmte Stoffe aufzusaugen und einzuschließen. In Kannenfiltern werden Kartuschen mit Kohlegranulat verwendet, in Unter- oder Auftischfiltern zur Installation an der Spüle befindet sich Aktivkohle als fester Block, was die Filterleistung erhöht und die Keimanfälligkeit senkt. Aktivkohle kann Chlor, Pestizide, Herbizide und industrielle Lösungsmittel, Schwermetalle wie Blei, Quecksilber und Kupfer, Bakterien und Parasiten filtern. Mineralstoffe bleiben erhalten. Diese Filter sind relativ anfällig für eine schnelle Keimbelastung. Daher ist ein regelmäßiger Austausch der Kartusche bzw. des Filterblocks notwendig.
Ionenaustauscher entziehen dem Wasser bestimmte unerwünschte Ionen wie Calcium und tauschen sie gegen andere Ionen wie Natrium oder Kalium. Man kann auch gezielt andere Stoffe wie Magnesium, Nitrat, Sulfat, Blei oder Arsen beseitigen. Eingesetzt werden sie vor allem bei sehr hartem Wasser, da es sich auf diese Weise effektiv enthärten lässt. Ein Nachteil ist die regelmäßige Kontrolle: Volle Ionentauscher müssen je nach Modell ausgetauscht oder mit einer speziellen Lösung erneuert werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sie alle rausgefilterten unerwünschten Ionen mit einem Mal ins Wasser abgeben. Ein weiteres Risiko ist ein zu hoher Natriumgehalt des so behandelten Wassers.
Osmose- bzw. Membran-Systeme filtern wirklich fast alle Stoffe und Moleküle aus dem Wasser, sogar gelöste Stoffe wie Calcium, Magnesium und Nitrat. Das gelingt über eine Membran, durch die Wasser gepumpt wird und die fast ausschließlich Wassermoleküle durchlässt. Der Vorteil – nämlich das Entfernen fast aller Stoffe – ist zugleich der Nachteil dieses Systems: Es werden auch erwünschte Stoffe wie Mineralien und Salze herausgefiltert. Die Verbraucherzentrale warnt daher, ausschließlich solches Wasser zu trinken, da es zu einer Unterversorgung mit Nährstoffen führen könnte. Einige Hersteller versetzen das Wasser nach der Osmose daher mit Mineralien. Ein weiterer Nachteil ist die ökologische Bilanz: Je nach Modell benötigt dieses System für einen Liter gefiltertes Wasser mindestens drei Liter Wasser, dazu kommt der Stromverbrauch. Sie können alle oben vorgestellten Varianten wählen: für den Hausanschluss, für den Anschluss am Wasserhahn oder als eine Art Kannenfilter ohne Hahn-Anschluss.
UV-Behandlung: Bei diesem Verfahren wird das Wasser mit Hilfe ultravioletter Strahlen gereinigt. Mit ihrer Strahlenleistung können sie die DNA-Strukturen von Mikroorganismen aufbrechen und so die Keimbelastung deutlich reduzieren. Anders als bei der Behandlung mit Chlor bleiben bei diesem Verfahren keine chemischen Rückstände im Wasser. Über das UV-Verfahren lassen sich Keime wie Mikroben, Bakterien und Viren beseitigen, zum Beispiel Legionellen, nicht jedoch andere Schadstoffe und Chemikalien. Daher wird diese Variante gern mit anderen Filtersystemen kombiniert.
Destillation reinigt Wasser sehr effektiv, verbraucht aber viel Energie. Das Wasser wird bis zum Siedepunkt erhitzt, so dass es verdampft. Dabei bleiben Schadstoffe und Mineralien zurück. Der „reine“ Wasserdampf wird in einem Behälter aufgefangen und kondensiert dort wieder zu Wasser. Ein Nachteil: Leicht flüchtige Stoffe mit niedrigem Siedepunkt wie Lösemittel, Chlor und Benzol, werden dabei nicht zurück gehalten. Weitere Nachteile sind der hohe Energieaufwand, die Zeit und der Reinigungsaufwand für den Behälter, in dem die Schadstoffe zurück bleiben. Das destillierte Wasser enthält keine Mineralien mehr, was für eine ausgewogene Ernährung kritisch sein könnte.
Ultrafiltration ist ein Verfahren, das in vielen Wasserwerken zur Aufbereitung des Trinkwassers oder des Abwassers zum Einsatz kommt. Es eignet sich auch für den Hausgebrauch. Dabei werden durch eine Art Membran fast alle Partikel und Moleküle (bis zu einer Größe von 0,02 µm) entfernt. Das Verfahren gilt aus mikrobiologischer Sicht als sehr sicher, da fast alle Viren, Bakterien und Mikroorganismen entfernt werden. Über die Ultrafiltration können jedoch nicht alle Stoffe herausgefiltert werden. Wasserlösliche Stoffe wie Nitrat oder Kalk werden damit nicht entfernt. Zum Enthärten ist diese Methode daher nicht geeignet.
Impfkristallisation eignet sich vor allem, wenn man das Leitungswasser entkalken will, um Rohrleitungen und Haushaltsgeräte zu schützen. Das Verfahren kommt ohne chemische Zusätze oder Salze aus. Stattdessen basiert es auf einem Granulat, das mit winzig kleinen Impfkristallen versehen wurde. Sobald dieses Granulat von Wasser umspült wird, lösen sich die Kristalle. Die Kristalle wiederum ziehen die im Wasser gelösten Kalkpartikel an. Damit haften die Kalkpartikel nicht mehr an der Rohroberfläche, sondern werden mitsamt der Kristalle rausgespült. Am Granulat bilden sich immer wieder neue Kristalle, so dass dieses je nach Größe des Geräts und Wasserverbrauch zwischen drei und fünf Jahre hält, bevor es ausgetauscht werden muss. Davon abgesehen ist das System im Vergleich zu anderen sehr wartungsarm, da keine Filter getauscht oder gereinigt werden müssen. Die Kalkpartikel verbleiben im Wasser, so dass man beim Trinken keine Sorge vor Mineralienmangel haben muss. Die Kosten für die Anschaffung sind mit 1.000 bis 2.000 Euro relativ hoch, dafür entfallen die Wartungskosten.
Reparaturarbeiten an der Trinkwasseranlage dürfen nur von einem zugelassenen Fachbetrieb vorgenommen werden. © ZVSHK
Installation und Wartung
Wichtig: Alle vorgestellten Wasseraufbereitungs- und Filtersysteme müssen regelmäßig gereinigt und gewartet werden. Filter, Patronen, Kartuschen oder Pads müssen regelmäßig ausgetauscht werden, um hygienisch einwandfreies Wasser und eine gute Filterleistung zu gewährleisten. Achten Sie beim Kauf der ausgewählten Produkte darauf, dass diese zertifiziert sind. Das erkennt man am DIN-Prüfzeichen und am Prüfzeichen des DVGW: Das Kürzel steht für Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. Er zertifiziert alle Geräte und Produkte rund um die Trinkwasser-Installation entsprechend den Vorgaben der Trinkwasserverordnung.
Je nach System ist es notwendig, für Einbau und Wartung eine Fachfirma zu beauftragen. Das legt die Verordnung über Wasserversorgung (AVBWasserV) fest. Darin heißt es über die Wasserinstallation hinter dem Hausanschluss: „Die Errichtung der Anlage und wesentliche Veränderungen dürfen nur durch das Wasserversorgungsunternehmen oder ein in ein Installateurverzeichnis eines Wasserversorgungsunternehmens eingetragenes Installationsunternehmen erfolgen.“ Die Wasserversorger veröffentlichen auf ihrer Homepage jene Installationsbetriebe, die für solche Arbeiten zugelassen sind.
Alles klar? Ein Fazit zum Wasser
Wie Sie sehen, haben Sie viele verschieden Möglichkeiten, um Ihr Leitungswasser aufzubereiten. Tests der Verbraucherzentrale oder von Stiftung Warentest kommen allerdings zu dem Ergebnis, dass Wasserfilter die Wasserqualität kaum verbessern. Bei falscher Anwendung passiert sogar das Gegenteil: Dann landen vermehrt Keime im Wasser. Aus genau diesem Grund rät das Umweltbundesamt sogar davon ab, Wasserfilter im Haus oder in der Wohnung zu nutzen. Wenn Sie dies dennoch tun möchten, achten Sie unbedingt auf gute Hygiene und regelmäßige Wartung.
Eine zusätzliche und hygienisch einwandfreie Wasseraufbereitung kann dann sinnvoll sein, wenn Sie sehr hartes Wasser haben oder im Haushalt empfindliche Menschen wie Säuglinge oder Menschen mit geschwächter Immunabwehr leben. Auch für die Haltung insbesondere von exotischen Zierfischen oder für das Gießen von Orchideen kann die Aufbereitung von Wasser sinnvoll sein. Hartes Wasser kann für unschöne Kalkflecken sorgen und für Haushaltsgeräte problematisch sein, für die Gesundheit ist es aber unbedenklich – ganz im Gegenteil: Die im Wasser gelösten Mineralien sind sogar gut für den Körper. In diesem Sinne: Zum Wohl!
Zurück in die Zukunft
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Neue Perspektiven für Rückkehrer und Neu-Lausitzer in Deutschlands Boomregion
Die Weihnachtszeit ist immer auch eine Zeit der Heimkehr. Viele Ehemalige kommen für die heimeligen Tage zurück in den Schoß der Familie, verbringen die Festtage mit Oma und Opa in der Heimat, in der sie groß geworden sind. Eben weil so viele Ehemalige dann in der Lausitz weilen, ist die Zeit zwischen den Jahren auch die Zeit der Rückkehrertage. Allein am 27. Dezember laden sechs Orte zwischen Lübben und Zittau zu Jobbörsen ein, auf denen Unternehmen ihre freien Stellen, Vermieter freie Wohnungen und geplante Bauvorhaben, Stadtvertreter die Freizeit-, Betreuungs- und Bildungsangebote vorstellen. Lübben und Cottbus verlegen den Rückkehrertag gleich auf den Weihnachtsmarkt. Cottbus testet in diesem Jahr das innovative Format eines Speed-Datings auf dem Riesenrad. Während das Rad seine Runden über den festlich beleuchteten Altmarkt dreht, können Sie potenzielle Arbeitgeber kennenlernen und Ihre Bewerbungsunterlagen abgeben. Mit dabei sind unter anderem die Stadtverwaltung Cottbus, das Ansgari Pflegeteam, die Allianz, Berg & Kießling, das Diakonische Werk, die EGC, die Hamburger Containerboard & Dunapack Packaging, die Johanniter-Unfall-Hilfe, der Lausitz Science Park, und die ZEDAS GmbH. Außerdem gibt es Informationen zu Kitas, Schulen, Integration und Stadtentwicklung. Aktuelle Projekte und Entwicklungen im Strukturwandel sind in der Kino-Lounge zu sehen. Für die Kleinen gibt es eine Kreativstation.
In Guben lädt die Willkommensagentur „Guben tut gut.“ zum mittlerweile 6. Rückkehrertag. Ebenfalls am 27. Dezember 2023 präsentieren sich ortsansässige Unternehmen und Institutionen in der Alten Färberei und informieren zu den Themen Arbeiten und Wohnen in Guben, zu sozialen Einrichtungen, Kindergärten und Schulen. Man hat die Möglichkeit, mit den jeweiligen Firmen direkt ins Gespräch zu kommen und sich über angebotene Stellen zu informieren. Mit dabei sind unter anderem die Bäckerei Dreißig, Deichmann, die Energieversorgung Guben, die beiden Großvermieter, das Plastinarium, die Neuansiedlung RockTech und die Volksbank Spree-Neiße.
Wer zu den Rückkehrertagen nicht vor Ort sein kann, findet mittlerweile in vielen Kommunen Ansprechpartner, die sich um die Anliegen von Rückkehr- und Zuzugswilligen kümmern. Vor allem in Brandenburg sind in den vergangenen Jahren viele lokale Netzwerke entstanden, die kostenfrei zu freien Jobs beraten und bei der Kita- und Wohnungssuche helfen. Wir geben am Ende dieses Artikels einen Überblick samt Kontaktdaten.
Dass das Interesse ehemaliger Lausitzer an der Heimat so groß ist und andererseits auch die Arbeitgeber aktiv um Rückkehrer werben, hat gute Gründe. Die Lausitz erlebt derzeit eine nie dagewesene Dynamik voller Chancen. Der Strukturwandel ist gestartet, die ersten Investitionen sind sichtbar. Zusätzlich zu den öffentlich geförderten Leuchtturm-Projekten investiert die Privatwirtschaft in der Region. Mehrere große Unternehmen, unter ihnen internationale Player, haben jüngst ihren Standort erweitert oder sich neu angesiedelt. Damit einher gehen attraktive Arbeitsplätze in Forschung, Industrie und Zukunftstechnologien. Wer die Welt von morgen mitgestalten will, findet in der Lausitz die passende Stelle. Allein in der Boomtown Cottbus sollen bis zu 15.000 neue Jobs entstehen, auch das Land Brandenburg stellt „Schöne Stellen, soweit das Auge reicht“ ins Schaufenster. Die Oberlausitz lockt ebenso mit Wandelenergie und Lebensqualität ins Unbezahlbarland.
Zu den größten Strukturwandelprojekten gehören das neue Bahnwerk in Cottbus, in dem ab 2024 die neueste Generation der ICE-Züge gewartet werden soll. Ebenfalls in Cottbus hat in unmittelbarer Nachbarschaft zum Carl-Thiem-Klinikum der Aufbau einer Universitätsmedizin begonnen. In der Oberlausitz erforschen Wissenschaftler aus aller Welt Datenströme aus dem Universum: Das Deutsche Zentrum für Astrophysik wird in den kommenden Jahren in Görlitz aufgebaut.
Die aktuell größten privaten Investitionen sind in den Bereichen Mobilität und Energie zu verzeichnen: Die LEAG als größter Arbeitgeber stellt sich aufgrund des Kohlausstiegs neu auf. Mit der GigawattFactory wird in den kommenden Jahren Deutschlands grünes Powerhouse mit sieben Gigawatt Energieerzeugung aus Erneuerbaren entstehen. Im Industriepark Schwarze Pumpe, der schon heute mit 5.000 Arbeitsplätzen das industrielle Herz der Lausitz ist, sind ebenfalls weitere Ansiedlungen vorgesehen. Allein die australische Altech-Gruppe will in den kommenden Jahren bis zu 1.000 Arbeitskräfte einstellen. Das Unternehmen baut im Bereich Batterietechnologie eine neuartige Produktion auf. Weitere Glieder einer Wertschöpfungskette rund um Batterien entstehen in Guben, Lauchhammer und Schwarzheide mit weiteren insgesamt 1.400 Arbeitsplätzen.
Neben den Jobs sind es die weichen Standortfaktoren, die Menschen zurück oder auch neu in die Lausitz locken. Wir haben für diese Ausgabe mit sechs Familien gesprochen, die in den vergangenen Jahren zurück in ihre Heimat gekehrt sind. Für jede von ihnen war die höhere Lebensqualität in der Lausitz ausschlaggebend: mehr Ruhe als in der Metropole, bessere Bedingungen, um Kinder großzuziehen, die Nähe zu den Großeltern, mehr Möglichkeiten für gesellschaftliches Engagement, die Landschaft und die Freizeitmöglichkeiten und nicht zuletzt die geringen Lebenshaltungskosten. Jede von ihnen konnte sich hier den Traum vom eigenen Haus erfüllen, der zuvor unbezahlbar war.
Um die 20 Euro kostet ein Quadratmeter Bauland in den ländlichen Lausitzer Regionen. So ist ein Grundstück mit einer Größe von 1.000 m² im Landkreis Spree-Neiße schon für 15 bis 20 Tausend Euro zu haben, im Landkreis Görlitz gibt es Großgrundstücke mit derselben Fläche für rund 25.000 Euro. In München wird für dieselbe Grundstücksgröße ein Millionenbetrag fällig. Auch bezugsfertige Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen sind in der Lausitz für verhältnismäßig kleines Geld zu haben. So zahlt man in Cottbus im Schnitt 1.700 Euro je Quadratmeter, in Berlin 5.600 Euro und in München 8.800 Euro. Das Bild setzt sich bei den Preisen für Mietwohnungen fort. Deutschlandweit zählen diese in der Lausitz zu den niedrigsten. Je nach Kommune liegt die durchschnittliche Kaltmiete zwischen 4 und 6 Euro je Quadratmeter, in Hamburg bei 12 Euro, in München bei 17 Euro. Viele Kommunen schaffen aktuell neue Flächen zum Bau von Eigenheimen, Großvermieter investieren in Neubauprojekte, bei denen ganz bewusst auch große Familienwohnungen geschaffen werden.
Wer nach Jahren im Ausland oder in anderen Bundesländern erstmals wieder in die Lausitz kommt, der ist zudem oft positiv überrascht, wie sich die Region herausgeputzt hat. Industriebrachen sind verschwunden, viele Städte und Dörfer haben ihre Zentren saniert, so dass dort heute schmucke Fassaden Einheimische und Gäste begrüßen. Der Spreewald ist eine der beliebtesten Urlaubsregionen in Deutschland. Südlich davon entsteht seit einigen Jahren der nächste Touristenmagnet: das Lausitzer Seenland. Die riesigen Kohlebagger sind verschwunden und haben Platz gemacht für blaue Seen, weite Strände, Wassersportzentren, komfortable Campingplätze, Hotels und Restaurants, von denen einige mit einzigartigem Konzept überzeugen. Das Seenland gilt mit 25 Bergbaufolgeseen, von denen mehrere über schiffbare Kanäle verbunden sind, als größte von Menschenhand geschaffene Seenkette. Weitere beeindruckende Landschaften locken in der Oberlausitz zu ausgedehnten Spaziergängen oder Radtouren: Der Muskauer Park, die Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft und der Geopark Muskauer Faltenbogen. Sie alle tragen einen Unesco-Titel, genauso wie das Biosphärenreservat Spreewald . Auch das ist einzigartig: Kaum eine andere Region in Deutschland vereint sowohl viele Unesco-Titelträger.
Es gibt also ziemlich viele und ziemlich gute Gründe, die für eine Rückkehr in die Lausitz sprechen oder für einen Neustart. Die meisten Initiativen, die dabei unterstützen, kümmern sich längst auch um Neu-Lausitzer und Hiergebliebene, denn damit der Wandel in der Lausitz gelingt, braucht es Viele.
Kontakte für Rückkehrer & Neu-Lausitzer:
- Calau, Netzwerk Calau, Veronika Alb, Tel. 03541 89580, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.wbc-calau.de
- Cottbus, Sehnsucht Cottbus, Isabell Poneß, Tel. 0355 72991330, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.willkommen-in-cottbus.de; www.boomtown.de
- Elbe-Elster-Kreis, Comeback Elbe-Elster, Tel. 03531 718288, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.comeback-ee.de
- Forst (Lausitz), Bozena-Natalia Roch, Tel. 03562 989247, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.forst-lausitz.de
- Görlitz (Landkreis), Unbezahlbarland: Entwicklungsgesellschaft Niederschlesische Oberlausitz, Tel. 03581 329010, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.unbezahlbar.land
- Görlitz (Stadt), Europastadt GörlitzZgorzelec, Tel. 03581 475740, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.welcome-goerlitz-zgorzelec.com
- Guben, Willkommensagentur Guben tut gut. Katharina Laugks, Tel. 03561 38 67, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.guben-tut-gut.de
- Hoyerswerda, Familienregion HOY e.V., Tel. 0172 2339759, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.familienregion-hoy.de
- Kamenz & Wachstumsregion Dresden, Tel. 03578 379104, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.wachstumsregion-dresden.de
- Oberlausitz, Raumpionierstation Oberlausitz, Arielle Kohlschmidt & Jan Hufenbach, Tel. 035775 41664, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.raumpioniere-oberlausitz.de
- Spremberg, Initiative Heeme fehlste!, Anja Guhlan, 0172 7595655, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.heeme-fehlste.de
- Weißwasser, Hotline für Rückkehrer & Neubürger: Tel. 03576 265279, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.weisswasser.de
- Wirtschaftsregion Westlausitz, Tel. 0176 15753300, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.wachstumskern-westlausitz.de
Rückkehrertage
Bautzen: Rückkehrer-Börse „Wiederda“: Mittwoch 27.12.2023 von 10 bis 14 Uhr, Bahnhof Bautzen
Calau: Nachtwächter-Rundgang: Dienstag 5.12.2024, 17 Uhr, Treff im Info-Punkt der WBC Calau
Cottbus: BOOMTOWN Rückkehrertag: Mittwoch 27.12.2023 von 13 bis 18 Uhr, Weihnachtsmarkt auf dem Altmarkt
Guben: Rückkehrertag: Mittwoch 27.12.2023 von 10 bis 13 Uhr, Alte Färberei
Herzberg: Rückkehr- und Zuzugsberatung: Donnerstag 14.12.2023 von 10 bis 13 Uhr, LUG2 Coworking
Lübben: Jobmesse auf der Glühweinmeile: Mittwoch 27.12.2023 ab 18 Uhr, Marktplatz
Spremberg: „Heeme fehlste“-Stammtisch für Rückkehrer und Neu-Spremberger: Mittwoch 10.01.2024 ab 19 Uhr, Confiserie Felicitas in Hornow
Weißwasser: Rückkehrer- und Karrieretag: Mittwoch 27.12.2023 von 13 – 16 Uhr, Traditionsraum der Eisarena
Zittau: Rückkehrertag: Mittwoch 27.12.2023 von 10 bis 14 Uhr, Theater
Den schönsten Spielplatz direkt vor der Haustür
Familie Fengler zog 2021 von Berlin nach Bergen
Als Familie Fengler 2021 in den kleinen Ort Bergen bei Hoyerswerda zog, hat sich dessen Einwohnerzahl mit einem Mal um gut ein Prozent erhöht. Die Rückkehr von Familie Fengler bescherte der Dorfgemeinschaft acht neue Mitglieder: Die hier geborene Tina Fengler, ihr Mann Thomas und die sechs Kinder. Der Jüngste wird bald sieben Jahre und besucht inzwischen die sorbische Grundschule in Hoyerswerda, die Älteste ist 20 und macht eine Ausbildung in Dresden. Geboren und aufgewachsen sind sie alle in Berlin, ein beträchtlicher Gegensatz zum beschaulichen Bergen. „Natürlich hat eine Großstadt wie Berlin eine ganz andere Infrastruktur zu bieten, angefangen beim Mobilfunknetz über den ÖPNV bis hin zum Kulturangebot“, weiß Dr. Thomas Fengler und schiebt gleich hinterher: „Man muss aber ehrlicherweise sagen, dass wir durch die Kinder ohnehin kaum Zeit hatten, abends mal wegzugehen.“ Dafür war es hier 2021 einfacher, nach dem Umzug im Juni einen Kitaplatz für den Jüngsten zu finden. Auf dem Vier-Seiten-Hof in Bergen gibt es nun nicht nur reichlich Platz, sondern auch den schönsten Spielplatz umsonst und draußen direkt vor der Tür: den Anger und hinten raus Wald in Richtung Bergener Zugvögel-Oase im ehemaligen Tagebau.
Tinas Eltern leben fast um die Ecke. Sie waren natürlich ein gewichtiges Argument für die Rückkehr in die Lausitz: Jetzt können sie die Enkel erleben, und packen gern mit an. Und wenn sie selbst Hilfe brauchen, können die Jüngeren ihnen zur Seite stehen. Tochter Tina arbeitet in der Pflege. Sie hat mit dem Umzug in die Lausitz ihren Traumjob gefunden: als Pflegedienstleiterin in einem recht kleinen Seniorenwohnheim, in dem noch der Mensch im Mittelpunkt steht. Vater Thomas Fengler muss nicht mehr arbeiten, er „darf“. Der Arzt und Ingenieur gibt sein Wissen und seine Expertise gern weiter, schreibt an Büchern und hält auf Einladung Vorträge wie zuletzt in Mexico und in Dresden. Die Kinder haben sich rasch eingelebt und Freunde gefunden, wenn sie auch manchmal den Trubel und die Vielfalt der Großstadt vermissen. „Wir sind angekommen und fühlen uns angenommen“, bilanziert Thomas Fengler nach bald zwei Jahren und ergänzt schmunzelnd: „Sogar ich als Berliner.“
Wir haben uns für die Kinder etwas anderes gewünscht
Familie Pache kam 2017 aus Potsdam zurück nach Guben
Es war ein reizvolles Jobangebot, das Juliane Pache 2011 aus Guben weg in die Landeshauptstadt Potsdam lockte. Sie fand dort eine passende Stelle als Physiotherapeutin. 2012 folgte ihr Mann Christian. Die beiden fanden eine schöne Wohnung in der Innenstadt, mit der Arbeit passte es auch, dazu die Potsdamer Kulisse mit den vielen Sehenswürdigkeiten und kulturellen Angeboten. „Natürlich ist Potsdam eine schöne Stadt, aber mit der Zeit hat der Reiz des Neuen nachgelassen“, so das Paar. Als 2016 Tochter Valentina zur Welt kam, verlor die Großstadt für die junge Familie noch mehr an Reiz. Stattdessen wuchs die Sehnsucht nach der alten Heimat. Als die Entscheidung für eine Kinderbetreuung anstand, wurde aus Sehnsucht Gewissheit: „In Potsdam überhaupt eine Betreuung zu finden, ist schon schwierig: Die Wartezeiten sind lang, viele Einrichtungen groß und anonym. Wir haben uns etwas anderes gewünscht“, erzählt Christian Pache. Also zogen sie 2017 zurück nach Guben, fanden dort eine Tagesmutter für Valentina. Mutter Juliane konnte nach der Elternzeit wieder als Physiotherapeutin arbeiten, sie fand in Guben eine optimale Stelle. Ihr Mann Christian Pache entschied sich nach der Geburt von Sohn Cornelius im Jahr 2018 für das Wagnis Selbständigkeit. An seinem damaligen Arbeitsplatz verstärkte sich sein Asthma. In Potsdam hatten ihm regelmäßige Besuche in der Salzgrotte gut getan. So etwas fehlte in Guben. Also entschied er sich, einen solchen Wohlfühlort auch in seiner Heimatstadt zu schaffen. Nach einem Pandemie-bedingt schwierigen Start haben die Menschen in Guben und Umgebung die Salzgrotte gut angenommen. Auch privat hat sich Familie Pache mittlerweile ihren ganz persönlichen Wohlfühlort geschaffen. Vor zwei Jahren hatten sie die Möglichkeit, ein Haus in einem kleinen Ort unweit von Guben zu erwerben. „Wir sind selbst dörflich aufgewachsen. Für uns und die Kinder lebt es sich hier so viel schöner als im anonymen Trubel der Großstadt“, so die Familie. Noch ein Pluspunkt: Oma und Opa wohnen um die Ecke. In ihrer Freizeit sind sie gern mit dem Rad unterwegs und würden sich über eine bessere Infrastruktur freuen: „In Guben passiert gerade viel, es wird investiert, die Innenstadt soll belebt werden. Die Stadt setzt auf Zuzug. Da wäre es schön, wenn das Drumherum auch passt: mehr Gastronomie und besser ausgebaute Radwege.“
Wandel im Großen und Kleinen
Familie Ludwig zog 2022 vom Rhein an den Bärwalder See
„Mich bekommen keine zehn Pferde zurück.“ Das dachte Guido Ludwig immer, wenn er zu Besuch in seiner alten Lausitzer Heimat war. Seine Geburtsstadt Weißwasser hat er schon als Kind verlassen. Gemeinsam mit seiner Mutter ging es in den 1990er-Jahren nach Potsdam. Nach der Schule zog es den jungen Mann dann nach Baden-Württemberg, wo er eine Lehre machte und seine Frau Heidi kennenlernte. Der Kontakt zur Lausitzer Heimat riss nie ab. Immer mal wieder besuchte er die Großeltern, verbrachte seinen Urlaub hier. Nur dauerhaft zurückkehren wollte er nicht. Doch dann kam vor sechs Jahren Sohn Finn zur Welt, später seine Schwester Fiona. Mit den Kindern kam der Wunsch nach mehr Nähe zur Familie und nach der eigenen Scholle. „Wir wollten immer schon ein Haus mit einem großen Grundstück“, erzählen die beiden. In Nochten sind sie fündig geworden. Im Frühjahr 2022 wurden Kisten gepackt und mit dem LKW quer durch Deutschland geschickt. Aus Breisach am Rhein brachte Guido Ludwig nicht nur seine Frau und die Kinder mit, sondern auch die Schwiegereltern. Der Wechsel von der Kleinstadt aufs Dorf fiel ihnen leicht: „Wir sind gut aufgenommen worden von der Dorfgemeinschaft, genießen die dörflichen Traditionen und Feste.“ Und auch die Kinderbetreuung ist hier in Sachsen leichter zu organisieren als in Baden-Württemberg. Beruflich ist die Familie ebenfalls angekommen: Heidi arbeitet in einem Betonwerk in Boxberg, Guido hat zwei Standbeine: bei der Werksfeuerwehr der LEAG und als selbständiger Vermögensberater. Gerade baut sich die Familie ein weiteres Standbein auf: Auf ihrem Hof errichten sie zwei Ferienwohnungen. „Die Region hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Der Tourismus birgt ein großes Potenzial für die Lausitz“, sagt Guido Ludwig. Sie selbst nutzen regelmäßig den Bärwalder See und den Findlingspark: „Gleich am Tag nach unserem Umzug, haben wir uns eine Jahreskarte für den Park gekauft“, erzählt Heidi Ludwig. Beide Orte stehen exemplarisch für den Wandel der Region: von der Kohleregion zum Seenland und zum Grünstromland. Guido Ludwig trägt seinen Teil zum Wandel bei. Er engagiert sich im Vorstand der Energiegenossenschaft Perspektive Boxberg, welche die Energieversorgung nachhaltiger und regionaler machen möchte. Privat ist das Familie Ludwig bereits gelungen: Ihr Haus kann sich fast vollständig selbst mit Strom und Wärme versorgen – aus erneuerbaren Energien.
Unsere Lebensqualität ist jetzt höher
Familie Barthel zog 2016 von Stuttgart nach Weißwasser
Aufgewachsen ist Marcel Barthel in der Region Weißwasser, hier bezog er nach der Schule die erste eigene Wohnung, machte eine Ausbildung im Kraftwerk. Er wollte dann ein Studium anschließen und ging dafür gemeinsam mit seiner damaligen Freundin und heutigen Frau ins Vogtland. Gemeinsam zogen sie weiter nach Baden-Württemberg. Sie arbeiteten und lebten acht Jahre in Stuttgart, dort kamen auch ihre beiden Söhne Florian und Tobias zur Welt. Die Familie fühlte sich wohl in Süddeutschland, beide hatten gute Jobs und doch zog es sie während des Urlaubs immer wieder in die sächsische Heimat. Sie verbrachten viel Zeit im Garten in Weißwasser und dachten immer öfter an eine dauerhafte Rückkehr: „Wir merkten, dass die Kinder sich während der Heimatbesuche wohler fühlten, sie waren hier geerdet“, so die Rückkehrer. Dazu kam der wachsende Platzbedarf. Mit den zwei Jungs wurde die Stuttgarter Wohnung langsam zu eng: „Die Suche nach einer größeren Wohnung gestaltete sich schwierig. Für zehn Quadratmeter mehr Wohnfläche mussten wir mit etwa 400 Euro mehr Miete rechnen“, blickt Marcel Barthel zurück. Und so schlugen sie zwei Fliegen mit einer Klappe: 2016 zogen sie nach Weißwasser und bauten dort ein Haus, zu dem ein 2.800 Quadratmeter großes Grundstück gehört: „In Stuttgart hätten wir dafür ein Vielfaches bezahlen müssen.“ Und auch in anderer Hinsicht haben sie an Lebensqualität gewonnen: Viele Wege sind kürzer, die Jungs können mit Bus und Rad fast alle Wege zur Schule und in der Freizeit selbständig bewältigen. Andrea Barthel arbeitet als Architektin in Görlitz, sie pendelt mit dem Zug, Marcel Barthel ist seinem alten Arbeitgeber in Süddeutschland treu geblieben und arbeitet als Programmierer im Home-Office. Zusätzlich hat er sich im Nebenerwerb mit einer IT-Firma selbstständig gemacht, wobei seine Kunden vor allem außerhalb der Lausitz sitzen. „Hier in der Region ist das Verständnis für Digitalisierung und effiziente digitale Prozesse noch ausbaufähig“, bedauert der Jungunternehmer. Das kennt er aus Baden-Württemberg anders. Noch an anderer Stelle wünscht er sich etwas mehr süddeutsche Mentalität: „Die Lausitz braucht eine Willkommenskultur, mehr Offenheit für andere Kulturen. Und etwas mehr Macher-Qualitäten wären auch schön. Der Strukturwandel bietet so viele Möglichkeiten, aber wir brauchen mehr Enthusiasmus.“
Ich wollte ein stabiles, familiäres Umfeld für meine Tochter
Nicole Dentz zog aus Freiburg zurück nach Guben
„Ich bin Nicole Dentz, gebürtige Gub`nerin, 37 Jahre jung und Mutter einer 9-jährigen Tochter. Wie viele junge Menschen zog es mich nach dem Abitur erst einmal in die Großstadt, nach Dresden. Dort absolvierte ich meine erste Ausbildung zur Gestaltungstechnischen Assistentin für Medien und Kommunikation. Zur zweiten Ausbildung zur Mediengestalterin für Bild & Ton kam ich vorerst nach Guben zurück. Doch es kommt im Leben oft anders als gedacht, und so zog es mich anschließend nach Freiburg im Breisgau. Nach knapp sieben Jahren, in denen zwischenzeitlich meine Tochter geboren wurde, war klar: ich will zurück! Die Arbeitsmarktlage in Guben hatte sich in den Jahren meiner Abwesenheit zum Positiven verändert und so fand ich direkt nach meiner Rückkehr eine neue Arbeit, bei der Gubener Plastinate GmbH. Seit 2017 bin ich hier unter anderem im PLASTINARIUM tätig. Ein Job, der abwechslungsreich, einzigartig und spannend ist. Warum bin ich zurück gekommen? Ganz klar: die Familie! Ich wollte wieder von meinen Liebsten umgeben sein und auch meiner Tochter ein stabiles, familiäres Umfeld bieten.“
Von der Küste ins Seenland
Familie Morling kam im Sommer aus Kiel nach Spremberg zurück
Das Meer fehlt doch etwas. Im Sommer dieses Jahres ist Familie Morling aus der Nähe von Kiel in die Spremberger Heimat zurückgekehrt. Zuvor hatten Morris Morling und seine Frau Nadine fast 25 Jahre an der Ostsee gelebt – das Reihenhaus, das sie zur Miete bewohnt hatten, war nur fünf Kilometer von der Küste entfernt. Das Meer war es auch, was Morris Morling 1997 nach Norden zog: Er wollte zur See, fing nach der abgeschlossenen Lehre in Schwarze Pumpe bei der Marine an und lebte vier Jahre vor allem auf dem Schiff. Dann wurde er mit seiner Frau sesshaft, vor zwölf Jahren machte Dominik die Familie komplett. In diesem Sommer wechselte er nicht nur die Schule, sondern auch die Heimat. Geboren und aufgewachsen ist er in Schleswig-Holstein, seit diesem Sommer besucht er das Erwin-Strittmatter-Gymnasium in Spremberg. „Wir hatten schon länger mit dem Gedanken einer Rückkehr gespielt. Jetzt hat es sich angeboten, weil in Brandenburg der Schulwechsel mit Klasse 7 stattfindet“, erzählt Nadine Morling. Unterstützt wurden sie bei der Rückkehr von der Initiative „Heeme fehlste“. Sohn Dominik hat sich schnell eingelebt und genießt die Nähe zu Oma und Opa. Die Familie ist in das Elternhaus von Mama Nadine eingezogen. Hier haben sie sehr viel mehr Platz als an der Küste und auf dem knapp 3.000 Quadratmeter großen Grundstück ist immer gut zu tun. Sohn Dominik packt überall mit an und kann so sein handwerkliches Geschick weiter ausbauen: beim Beete anlegen und Pflastersteine verlegen oder einfach nur Oma nebenan helfen. „Zuletzt habe ich ein Bewässerungssystem für Mama gebaut und angefangen, eine Kräuterspirale zu mauern“, berichtet er von seiner Leidenschaft. Beruflich sind sie auch angekommen: Morris Morling hat eine Stelle bei einem großen Unternehmen in Elsterheide gefunden, Nadine Morling kann vom Homeoffice aus weiter für ihren bisherigen Arbeitgeber – eine Rechtsanwaltskanzlei aus Altenholz bei Kiel – arbeiten. Und wenn neben dem Job und der Arbeit auf dem Grundstück noch Zeit bleibt, dann erkunden sie Spremberg und die Umgebung: „Die Stadt hat sich schön herausgeputzt in den vergangenen Jahren“, freuen sich die Rückkehrer. Sie lieben die grünen Ecken wie den Stadtpark, den Schwanenteich oder die Radwege entlang der Spree. Das Lausitzer Seenland haben sie auch schon für sich entdeckt. Die Seen sind zumindest ein kleiner Ersatz für das fehlende Meer.
Von den Möglichkeiten des Landlebens
Familie Schimmack zog 2019 von Berlin nach Hornow
Diese Rückkehrergeschichte lassen wir am besten mit dem Foto auf dieser Seite beginnen. Es zeigt Carmen und Steffen Schimmack mit ihren beiden Töchtern beim Dreh für den Spielfilm „Ein Feuerwerk für die Kleinstadt – eine Sommerkomödie aus der Lausitz“. Dort spielt die ganze Familie als Komparsen mit – ehrenamtlich: „Es heißt immer, die Großstadt bietet so viele Möglichkeiten“, sagt Carmen Schimmack. „Aber seit unserer Rückkehr in die Lausitz haben wir gemerkt, dass es hier so viel mehr Möglichkeiten als in Berlin gibt, sich zu engagieren und das Leben hier mitzugestalten.“ Und diese Möglichkeiten nutzt sie: Sie sitzt im Ortsbeirat und ist Vorsitzende des örtlichen Kulturvereins „Wir lassen die Kultur im Dorf Hornow e.V. aufleben.“ Dieser hatte sich gegründet, nachdem ein Verkauf des Schlosses in Hornow zur Diskussion stand. „Das Schloss gehört zum Ort und sollte wieder zum kulturellen Anker des Ortes werden“, sagt Carmen Schimmack. Sie verbindet auch eine persönliche Erinnerung mit dem Schloss: 2009 hat sie hier ihre Jugendliebe Steffen geheiratet. Damals haben die beiden in Nordrhein-Westfalen gelebt. Nach dem Abitur hatten sie der Lausitzer Heimat den Rücken gekehrt, Carmen zog aus ihrem Heimatdorf bei Lohsa nach Freital, Steffen aus Hornow nach Berlin. Weitere berufliche Stationen waren Bonn, Mainz und Berlin. Dort wuchsen auch die Töchter Milena und Annelie auf. „Irgendwann haben wir gemerkt, dass uns doch die Nähe zur Familie fehlt“, berichten die beiden Rückkehrer. Also wuchs der Wunsch, wieder in die Heimat zurückzukommen. In direkter Nachbarschaft zum Grundstück von Steffens Eltern konnten sie sich ein Haus bauen. „Das hätten wir in Berlin niemals bezahlen können“, erzählt Carmen Schimmack schon vom ersten Vorzug der neuen, alten Heimat. Und natürlich die Nähe zur Familie: „Die Kinder müssen nur über die Wiese laufen und sind schon bei der Oma.“ Auch die Tante wohnt direkt nebenan. Dafür sind andere Wege mit dem Umzug aufs Land länger geworden. In Berlin konnte die Familie vieles mit dem Rad erledigen. Jetzt braucht es doch häufiger das Auto oder den Bus: Die Töchter besuchen ein Gymnasium in Hoyerswerda, die jüngere ist beim Turnen in Spremberg. Und Milena wünscht sich mit ihren 13 Jahren manchmal etwas mehr Abwechslung, als es das Landleben bieten kann. Den Filmdreh aber fand auch sie toll. Und diese Möglichkeit hätte sich in Berlin kaum ergeben.
Rezepte für eine heile Welt
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Alles, was sie rund um den Arztbesuch mit Kind wissen müssen
Für junge Eltern ist die behandelnde Kinderärztin im ersten Lebensjahrzehnt eine der wichtigsten Vertrauenspersonen der Familie. Sie ist Ansprechpartnerin bei Fragen und Sorgen, versorgt Wunden, behandelt Infekte, verabreicht Impfungen, macht die Vorsorgeuntersuchungen, reagiert auf Entwicklungsstörungen. Grund genug, sich der Arzt-Kind-Eltern-Beziehung etwas ausführlicher zu widmen.
Laut Statistik verfügen fast alle Regionen in der Lausitz über ausreichend Kinderärzte. Nur im Kreis Elbe-Elster und im Landkreis Dahme-Spreewald ist der Versorgungsgrad so niedrig, dass sich neue Kinderärzte niederlassen dürften. Abseits der offiziellen Statistik ist die Arztsuche manchmal doch eine Herausforderung, müssen mehrere Praxen abtelefoniert werden. Wer das erste Kind erwartet, macht sich am besten schon in der Schwangerschaft auf die Suche. Wer ein zweites oder drittes Kind erwartet, hat es einfacher, da Geschwisterkinder in der Regel mit aufgenommen werden.
Sollten Sie keinen Kinder- und Jugendarzt für Ihr Kind finden, können Sie alternativ versuchen, das Kind in einer bzw. Ihrer Hausarzt-Praxis unterzubringen. Auch Allgemeinmediziner können Kinder behandeln. Ausgebildete Kinder- und Jugendmediziner sind aber besser auf die besonderen Bedürfnisse von kleinen Patienten eingestellt – auch in Bezug auf die Praxisausstattung.
Checkliste Praxissuche
- Ist die Praxis gut erreichbar? Gerade in den ersten Lebensjahren werden Sie aufgrund von Vorsorgeuntersuchungen, Impfungen und Infekten häufig mit dem Kind in die Praxis müssen. Dann ist es hilfreich, wenn diese schnell und leicht erreichbar ist. Falls Sie auf das Auto angewiesen sind, schauen Sie nach Parkmöglichkeiten in der Nähe.
- Ist die Praxis barrierefrei erreichbar und gibt es eine Abstellmöglichkeit für den Kinderwagen? Wenn Sie die Praxis zu Fuß aufsuchen und den Kinderwagen dabei haben, ist es hilfreich, wenn Sie stufenfrei in die Praxis kommen und den Wagen in der Praxis sicher abstellen können.
- Wen empfehlen andere Eltern? Wenn Sie Verwandte oder Freunde mit Kindern haben, fragen Sie dort nach, welche Praxis sie empfehlen können, mit welcher Kinderärztin sie gute Erfahrungen gemacht haben?
- Sind die Öffnungszeiten patientenfreundlich? Während der Elternzeit können Sie problemlos Termine am Vormittag wahrnehmen. Aber wenn Sie wieder arbeiten gehen oder der Nachwuchs schulpflichtig wird, sind Öffnungszeiten auch am Nachmittag wichtig.
- Ist die Praxis gut telefonisch oder online erreichbar? Einige Praxen bieten bereits eine online-Terminvergabe an. Wie schnell Sie telefonisch durchkommen, testen Sie am besten vorab. Denn mit krankem Baby haben Sie nicht die Nerven, ewig in der Warteschleife zu hängen.
- Wie kindgerecht ist die Praxis eingerichtet? Gibt es im Wartezimmer Spiel- und Beschäftigungsmöglichkeiten für die Kleinen? Sind auch Sprechzimmer und WC auf die Bedürfnisse kleiner Menschen ausgerichtet?
- Gibt es getrennte Wartezimmer bzw. Sprechzeiten für kranke und gesunde Kinder? Manche Praxen bieten das an, damit gesunde Kinder, die zur Vorsorge oder Impfung kommen, sich nicht bei kleinen Virenschleudern anstecken.
- Wie einfühlsam wird auf das Kind eingegangen? Spricht der Arzt oder die Krankenschwester direkt mit dem Kind, erklären sie altersgerecht, was jetzt gemacht wird? Werden mögliche Ängste ernst genommen?
- Werden Sie als Eltern ernst genommen? Wichtig ist ein enges Vertrauensverhältnis. Dazu gehört, dass ggf. unterschiedliche Auffassungen zu Themen wie Impfungen, Antibiotika oder Homöopathie vorurteilsfrei besprochen werden können.
- Wird alles verständlich erklärt? Bei bestimmten Erkrankungen und der Verschreibung von Medikamenten und Behandlungen ist es wichtig, dass Sie als Eltern alles verstehen und die Möglichkeit und Zeit haben, Nachfragen zu stellen.
Vorsorge im Kindes- und Jugendalter
Die ersten medizinischen Untersuchungen fangen schon im Mutterleib an. Während der Kontrolltermine in der Schwangerschaft schauen Hebamme und Frauenarzt nicht nur, ob es der werdenden Mutter gut geht, sondern behalten auch den Embryo im Blick: Nimmt das Kind ausreichend an Gewicht und Größe zu, sind alle Organe angelegt und ohne Auffälligkeiten?
Kurz nach der Geburt
... wird das Neugeborene medizinisch untersucht. Damit startet die Reihe der Vorsorge-Untersuchungen, die bis ins Teenager-Alter fortgesetzt und von den Krankenkassen bezahlt werden. Mit diesen Untersuchungen soll festgestellt werden, ob sich das Kind altersgerecht entwickelt, körperliche und psychische Auffälligkeiten sollen festgestellt werden. Zudem gibt es in einigen Bundesländern, darunter Brandenburg, eine Meldepflicht. Das heißt: Wenn Eltern eine Vorsorgeuntersuchung trotz Erinnerung nicht wahrnehmen, wird das Gesundheitsamt informiert. Jenes kann weitere Maßnahmen treffen, um eine mögliche Kindeswohlgefährdung auszuschließen.
U1: direkt nach der Geburt
Diese erste Vorsorgeuntersuchung, die bei einer Klinik-Entbindung noch im Kreißsaal stattfindet, ist die einzige, die nicht zwingend vom Kinderarzt durchgeführt werden muss. Das übernehmen oft die anwesende Hebamme, Krankenschwester oder Frauenärztin. Bei der U1 werden Atmung, Kreislauf und Hautfarbe überprüft und mit einem Punktesystem bewertet. In den folgenden ein bis drei Tagen folgen mehrere Screenings u.a. auf Mukoviszidose und andere schwere Erkrankungen. Ein Hörtest überprüft das Hörvermögen.
U2: 3. bis 10. Lebenstag
Die U2 erfolgt in der Regel auch noch in der Klinik, dann aber durch die diensthabende Kinderärztin. Das Kind wird körperlich untersucht, es wird nach Fehlbildungen oder Geburtsverletzungen geschaut. Die Eltern werden wie auch bei allen anderen Vorsorge-Untersuchungen zu relevanten Themen informiert, beispielsweise zum Stillen und zum plötzlichen Kindstod. Außerdem erhalten sie für das Kind Vitamin D zur Vorbeugung der Knochenkrankheit Rachitis.
U3: 4. bis 5. Lebenswoche
Die U3 ist für die meisten Familien die erste Vorsorgeuntersuchung, die in der Kinderarztpraxis stattfindet. Es wird geschaut, ob sich das Baby altersgerecht entwickelt, dazu gehören – wie auch bei allen weiteren Vorsorgeuntersuchungen – Messen und Wiegen. Auch das Hörvermögen, die Augen und die Reflexe werden überprüft. Zudem gehört zur U3 ein Hüftultraschall, um mögliche Auffälligkeiten frühzeitig zu erkennen.
U4: 3. bis 4. Lebensmonat
Bei der U4 erfolgt neben der körperlichen Untersuchung eine Überprüfung der Beweglichkeit und des Reaktionsvermögens. Hören und Sehen werden erneut getestet, ebenso ob der Säugling schon allein sein Köpfchen halten kann. Die Fontanelle am Kopf wird überprüft. Zudem erfolgt eine Information zu den in diesem Alter empfohlenen Impfungen.
U5: 6. bis 7. Lebensmonat
Zusätzlich zu den körperlichen Untersuchungen und einem erneuten Hör- und Sehtest erfolgen weitere Tests: So wird geschaut, ob sich das Baby in Bauchlage auf den Armen abstützen kann und ob es sich hochzieht, wenn man es an zwei Fingen festhält. Auch nach dem Greifreflex wird geschaut.
U6: 10. bis 12. Lebensmonat
Die U6 erfolgt, wenn das Kind etwa ein Jahr alt ist. Die Ärztin schaut, ob sich das Kind altersgerecht entwickelt, also schon erste Wörter spricht und schon sitzen, stehen oder sogar laufen kann. Die Eltern werden zur sprachlichen Entwicklung und Verhaltensauffälligkeiten befragt. Der Impfstatus wird überprüft.
U7: um den 2. Geburtstag
Wie schon bei der U6 steht hier nicht nur die körperliche Untersuchung im Mittelpunkt, sondern auch die geistige Entwicklung des Kindes. Wie viele Wörter spricht es? Versteht es einfache Sätze? Wie verhält es sich beim Spielen mit Geschwistern, Eltern oder in der Kita? Zudem wird auf die Milchzähne geschaut und es gibt Informationen zu den Themen Impfen, Kariesprophylaxe und Ernährung und Sturzvorbeugung.
U7a: um den 3. Geburtstag
Die U7a soll dazu beitragen, das Sozialisations- und Verhaltensstörungen, Übergewicht, Sprachstörungen, Zahn-, Mund- und Kieferanomalien erkannt und rechtzeitig behandelt werden, ebenso allergische Erkrankungen. Auch das dreidimensionale Sehen wird im Rahmen dieser Untersuchung geprüft. Beraten wird zu den empfohlenen Impfungen und zur Unfallverhütung und zum Medienkonsum.
U8: um den 4. Geburtstag
Der Kinderarzt untersucht die altersgerechte körperliche und geistige Entwicklung. In Tests wird geschaut, wie beweglich das Kind ist, ob es gut sprechen und sich allein beschäftigen kann. Zusätzlich wird der Blutdruck gemessen. Sollte es Auffälligkeiten in der Entwicklung geben, werden Sie als Eltern über Möglichkeiten der Frühförderung informiert.
U9: um den 5. Geburtstag
Die U9 ist nicht nur die umfangreichste Untersuchung, sie ist auch die letzte reguläre im Kindesalter und die letzte vor dem Schulstart. Neben der körperlichen Untersuchung, bei der auch wieder der Blutdruck gemessen wird, folgen Einschätzungen der Fein- und Grobmotorik, der Körperhaltung und der Fußstellung, der sprachlichen, geistigen und sozialen Entwicklung. Sollte es Entwicklungsverzögerungen geben, kann rechtzeitig vor dem Schulbeginn gegengesteuert werden.
U10 und U 11
Diese beiden Untersuchungen sind freiwillig und zusätzlich, die Kosten dafür werden von vielen, aber nicht von allen Krankenkassen übernommen. Die U 10 im Alter von 7 bis 8 Jahren und die U 11 im Alter von 9 bis 10 Jahren sollen die lange Lücke zwischen der regulären U9 und der J1 schließen. Bei ihnen geht es vor allem um mögliche Entwicklungsstörungen wie ADHS, Lese-Rechtschreibschwäche oder Verhaltensauffälligkeiten und Schulprobleme.
J1: 12 bis 15 Jahre
Sie ist eine von zwei Untersuchungen im Jugendalter, wobei die J2 zusätzlich und nicht überall Kassenleistung ist. Bei der J1 erfolgt ein umfangreicher Gesundheitscheck, zu dem u.a. eine Blut- und eine Harnuntersuchung gehören. Der Arzt schaut auf Größe, Gewicht, Knochen, Organe und Sinne. Dabei sollen Fehlhaltungen aufgrund von Wachstumsschüben und chronische Erkrankungen frühzeitig erkannt werden. Auch Hautprobleme, Essstörungen, psychische Probleme, Fragen zu Sexualität und Drogen können vertrauensvoll angesprochen werden. Eltern müssen bei der J1 nicht mehr dabei sein.
J2: 16 bis 17 Jahre
Diese zusätzliche und freiwillige Untersuchung im Jugendalter wird nicht von allen Kassen bezahlt. Auch sie bietet die Möglichkeit eines Check-Ups. Der behandelnde Arzt schaut auf mögliche Probleme bei Haltung, Pubertät, Sexualität. Auch eine Diabetes-Vorsorge gehört dazu.
Wird bei einer dieser Untersuchungen Therapiebedarf festgestellt, weil sich das Kind sprachlich, motorisch oder psychisch nicht altersgerecht entwickelt, kann die Kinderärztin eine entsprechende Therapie verordnen. Zu fast jeder Vorsorge-Untersuchung gehört eine Beratung zum Impfen und eine Überprüfung des Impfstatus dazu. Oft lassen sich die Vorsorge-Termine gleich mit einer Impfung verknüpfen. Ausführliche Informationen zum Thema gibt es in unserem Impfen-Spezial.
In Sachsen können Eltern die Vorsorgeuntersuchungenbeim Zahnarzt
und in Kita und Schule im blauen Heft eintragen lassen.
Der erste Zahnarzt-Besuch
Genauso wichtig wie der regelmäßige Besuch in der Kinderarzt-Praxis ist jener in der Zahnarztpraxis. Auch hier gibt es die Möglichkeit der Vorsorge und Kontrolle. Der große Vorteil, wenn Sie mit Ihrem Nachwuchs zur Vorsorge in die Praxis gehen und nicht nur zur Behandlung: Die Kinder verknüpfen mit dem Arztbesuch nicht nur negative oder schmerzhafte Erfahrungen, wie sie manchmal mit Spritzen, Medikamentengabe, Wundversorgung oder Kariesbehandlung einhergehen.
Geht Ihr Kind von klein auf ein bis zwei Mal jährlich zum Zahnarzt, der dort nur in den Mund schaut, wird es keine Angst entwickeln. Gute Zahnarztpraxen gehen auf die Kleinen kindgerecht ein, begleiten die Untersuchung mit Erklärungen, kurzen Geschichten oder Handpuppen. Im Anschluss gibt es vielleicht eine Urkunde oder eine kleine Überraschung.
Die Krankenkassen übernehmen bis zum 6. Geburtstag die Kosten für sechs zahnärztliche Früherkennungsuntersuchungen. Erstmals können Kinder mit sechs Monaten zum Zahnarzt, wobei der Besuch erst dann lohnt, wenn tatsächlich schon die ersten Milchzähne durchgebrochen sind. Zwischen den einzelnen Untersuchungen müssen jeweils mindestens vier Monate liegen. Sollten tatsächlich schon im Milchgebiss Karies oder Fehlstellungen auftreten, dann übernimmt die Kasse unabhängig von diesen Empfehlungen die Kosten für die Behandlung. Bei den Früherkennungsuntersuchungen wird das Gebiss untersucht und es gibt Tipps zur Mundhygiene. Dazu gehören neben dem regelmäßigen Putzen auch das Vermeiden süßer Getränke oder von gesüßtem Tee im Fläschchen.
Im Alter zwischen 6 und 17 Jahren haben Kinder und Jugendliche wie auch Erwachsene zwei Mal jährlich Anspruch auf eine Vorsorgeuntersuchung. Zu dieser Individualprophylaxe gehören neben der Untersuchung der Zähne auch das Auftragen von Fluoridgel, ein Zahnputz-Training, die Aufklärung über (zahn-)gesunde Ernährung und auf Wunsch die Versiegelung der bleibenden Backenzähne mit Fluoridlack, um das Kariesrisiko zu senken. Ein Mal jährlich übernimmt die Kasse das Entfernen von Zahnstein.
Diese Untersuchungen können im zahnärztlichen Kinderpass eingetragen werden, den es in einigen Praxen gibt. Zudem haben viele Bundesländer eigene Vorsorgepässe. In Sachsen ist es das blaue Vorsorgeheft, in Brandenburg der zahnärztliche Prophylaxe-Pass. Achten Sie als Eltern darauf, dass Ihr Kind ab dem 12. Lebensjahr die Vorsorge zwei Mal jährlich im Bonusheft abstempeln lässt. Das Heft gibt es in der Zahnarztpraxis. Wenn darin die regelmäßigen Vorsorge-Untersuchungen dokumentiert sind, zahlt die Kasse einen höheren Zuschuss, wenn später Zahnersatz nötig wird.
Ergänzend zu den individuellen Zahnarztbesuchen bieten fast alle Kitas und Schulen eine Gruppenprophylaxe an. Der Teilnahme müssen die Eltern allerdings zustimmen. Dann wird auch diese im Vorsorgeheft eingetragen. Dass der regelmäßige Gang in die Zahnarztpraxis wichtig ist, zeigt ein Blick auf die Statistik: Jedes dritte Grundschulkind in Deutschland musste sich bereits wegen Karies behandeln lassen. Immerhin: Vor zehn Jahren waren es noch 43 Prozent der Kinder.
Neben dem gelben Impfausweis sollten Eltern die Chipkarte der Krankenkasse dabei haben. © ABDA
Krank – und nun?
Die Vorsorge-Untersuchungen sind das eine. Vermutlich noch viel häufiger werden Sie eine Praxis aufsuchen müssen, weil Ihr Nachwuchs krank ist. Gerade mit dem ersten Kind steht man dann oft vor der Frage: Ab wann sollte ich das Kind einem Arzt vorstellen? Reicht vielleicht nur Bettruhe? Hat das Kind etwas schlechtes gegessen oder hat es sich einen Magen-Darm-Virus eingefangen? Ist es wirklich krank oder braucht es gerade nur besonders viele Kuscheleinheiten? Mit der Zeit entwickeln Sie ein Gespür dafür, wann Sie besser zur Kinderärztin gehen. Wenn Sie unsicher sind, gehen Sie lieber ein Mal zu viel als zu wenig in die Praxis. Ein guter Arzt zeigt dafür Verständnis.
In diesen Fällen sollten Sie mit Ihrem Kind zum Arzt:
- Ohrenschmerzen, die länger als zwei Tage anhalten
- Harnwegsinfekte
- eitrige Mandelentzündungen
- Verdacht auf Pseudokrupp
- unbekannter Hautausschlag
- Blut im Stuhl oder im Urin
- Verdacht auf eine Allergie
- Durchfall und Erbrechen: bei zusätzlichen Symptomen wie Fieber oder bei nicht ausreichender Trinkmenge (Gefahr des Dehydrierens)
In diesem Fällen sollten Sie bei geschlossener Praxis in die Rettungsstelle:
- schwere Atemnot
- Fieber: länger über 40 Grad oder länger als drei Tage oder bei Säuglingen unter 3 Monaten oder wenn das Kind nichts trinken möchte
- Teilnahmslosigkeit und auffällige Ruhe des Kindes
- Bewusstseinsstörung des Kindes
- Nackensteife, d.h. das Kind kann den Kopf nicht nach vorne beugen
- das Kind krampft oder stürzt grundlos zu Boden
- schwere Verletzungen, insbesondere am Kopf
- Verdacht auf Gehirnerschütterung
Alle Hinweise und Informationen in diesem Artikel beziehen sich auf gesunde und normal entwickelte Kinder. Wenn Ihr Kind chronisch krank ist, empfehlen wir Ihnen einen Blick in unser lausebande-Archiv. In der Ausgabe April 2018 haben wir uns ausführlich mit chronischen Erkrankungen bei Kindern beschäftigt.
Kind-krank-Regeln
Manchmal muss man auch mit einer Erkältung zum Kinderarzt. Denn wenn das Kind mit Infekt nicht in die Kita darf oder soll und zu Hause von Mama oder Papa betreut wird, brauchen die Eltern eine Bescheinigung für den Arbeitgeber und die Krankenkasse. Gesundheitsminister Karl Lauterbach plant eine Neuregelung, wonach man diese erst ab dem vierten Tag vorlegen muss.
Das würde Familien und Praxen entlasten. Diese umgangssprachlich als KI-Schein bezeichnete Bescheinigung wird bei der Krankenkasse eingereicht. Ausgestellt wird sie von der Kinderärztin, wenn Kinder unter zwölf Jahren aufgrund einer Erkrankung die Betreuung durch einen Elternteil benötigen. Dann übernimmt die Krankenkasse die Lohnfortzahlung anstelle des Arbeitgebers – allerdings nur in Höhe von ca. 90 Prozent des Nettogehalts. Der Betrag ist gedeckelt, sodass Gutverdienende stärkere Einbußen hinnehmen müssen. Anspruch auf die Kindkrank-Regelung haben auch Eltern, die im Homeoffice arbeiten.
Aktuell hat jeder Elternteil hat Anspruch auf 30 Kind-krank-Tage pro Kalenderjahr und Kind, Alleinerziehende doppelt so viel. Wer mehrere Kinder hat, kann bis zu 65 Tage in Anspruch nehmen. Diese Zahlen waren während der Corona Pandemie festgelegt worden. Ab 2024 liegt der Anspruch bei 15 Tagen je Elternteil. Das sind immerhin fünf Tage mehr als noch vor Corona. Alleinerziehende dürfen bis zu 30 Tage je Kind zu Hause bleiben. Noch muss der Bundesrat zustimmen.
In jedem Fall gilt die Regelung nur für Kinder unter zwölf Jahren. Wer ein krankes Kind, das zwölf Jahre oder älter ist, nicht allein zu Hause lassen möchte, kann Urlaub nehmen, sich unbezahlt freistellen lassen oder die Großeltern um Unterstützung bitten. Sich selbst krankschreiben zu lassen, mag verbreitet sein. Das kann aber im schlimmsten Fall eine Kündigung nach sich ziehen.
Arztbesuch vorbereiten
Zum Besuch in der Praxis sollten Sie immer die Chipkarte der Krankenkasse und den Impfausweis dabei haben. Bei einer Vorsorgeuntersuchung ist auch das gelbe Heft wichtig. Bei Neugeborenen können auch der Mutterpass und der Geburtsbericht wichtige Hinweise enthalten. Säuglinge werden am besten kurz vor dem Termin nochmal gestillt oder gefüttert, dann sind sie entspannter. Wer mit einem Baby kommt, sollte Wechselwindeln dabei haben. Kommen Sie mit einem kranken Kind, ist es hilfreich, wenn Sie die Symptome gut beschreiben können und die Entwicklung der letzten 24 Stunden. Wenn das Kind Fieber hat, notieren Sie sich die zu Hause gemessene Temperatur. Auch wenn Sie Fragen an den Arzt haben, schreiben Sie diese am besten vorher auf einen Zettel, damit Sie in der Aufregung nichts vergessen. Prüfen Sie in der Hausapotheke, ob Sie noch ausreichend Fiebersaft und Hustensaft haben. Bekommt Ihr Kind Arzneimittel verschrieben, lassen Sie die Dosierung und weitere Hinweise zur Anwendung auf dem Rezept vermerken. Notieren Sie sich gegebenenfalls auch andere Informationen auf einem Zettel. Um längere Wartezeiten zu überbrücken, hilft ein Buch zum Vorlesen oder ein Spielzeug. Die meisten Kinderarztpraxen haben den Wartebereich so gestaltet, dass sich Kinder dort gut beschäftigen können. Kleine Snacks sind aus hygienischen Gründen in den meisten Wartezimmern und Sprechzimmern nicht gern gesehen – genauso wenig wie Spielzeuge mit Geräuschkulisse. Auch wichtig: Ziehen Sie Ihrem Kind für die Untersuchung Kleidung an, die sich leicht an- und ausziehen lässt. Das spart Zeit und Nerven.
Rat von Dr. Google?
62 Prozent der Patienten befragen das Internet vor und nach einem Arzttermin. Das ergab die jüngste Umfrage des Digitalverbands Bitkom, die Anfang dieses Jahres veröffentlicht wurde. Dieser Wert steigt seit Jahren kontinuierlich. 43 Prozent der Befragten gaben sogar an, aufgrund einer Internetrecherche gänzlich auf den Praxisbesuch verzichtet zu haben und stattdessen die Diagnose selbst gestellt und sich entsprechend behandelt zu haben. Das mag bei einfachen Infekten oder harmlosen Symptomen eine gute Möglichkeit sein. Bei länger anhaltenden Beschwerden sollten Sie das Internet immer nur ergänzend zum Arztbesuch nutzen – und diesen nicht durch Dr. Google ersetzen.
„Im Internet gibt es eine Vielzahl an hochwertigen Informationen zu Gesundheitsthemen. Auch über innovative Apps können sich die Menschen mit hoher Genauigkeit über ihre Symptome und Therapien informieren“, sagt Malte Fritsche, Bitkom-Experte für E-Health. Wichtig sei es, auf vertrauenswürdige Anbieter zu achten. „Und grundsätzlich gilt: Im Zweifelsfall immer Arzt oder Ärztin zu Rate ziehen.“
Laut einer 2018 veröffentlichten Bertelsmann-Studie schauen die meisten Menschen in Internet-Lexika wie Wikipedia, auf Gesundheitsportalen wie apotheken-umschau.de oder netdoktor.de und auf den Internetseiten der Krankenkassen nach Informationen. Zugleich bekannten viele der Befragten, dass es ihnen schwerfällt, die Seriosität der aufgesuchten Internetseiten einzuschätzen. Hier hilft ein Blick ins Impressum. Wir haben am Ende dieses Artikels mehrere Internetportale aufgeführt, von denen die meisten von öffentlichen Institutionen betrieben werden.
Die selbe Studie wollte wissen, wie der Arzt oder die Ärztin darauf reagiert, wenn man sein im Internet recherchiertes Wissen bei der Sprechstunde angibt: 10 Prozent der Ärzte haben sich darüber geärgert, 28 Prozent finden das gut. Solange beide – Patient und Ärztin – offen sind für die Sicht des jeweils anderen, wird das Vertrauensverhältnis keinen Schaden nehmen, wenn man zusätzlich das Internet zu Rate zieht. Die Studienautoren von Bertelsmann empfehlen daher:
- Alle Akteure im Gesundheitssystem sollten die Vielfalt von Gesundheitsinformationen anerkennen: Sie erfüllt die unterschiedlichen Bedürfnisse der Patienten.
- Ärzte sollten Patienten bestärken, sich selbst zu informieren. Zudem sollten Ärzte gute Informationsquellen kennen und empfehlen, um Praxisbesuche und Krankenhausaufenthalte gezielt vor- oder nachzubereiten.
- Patienten sollten offen mit ihrem Arzt über eigene Rechercheergebnisse sprechen.
Mit der passenden Vorbereitung wird der Arztbesuch für Kinder ein Klacks. peopleimages, istock
Kindern die Angst nehmen
Damit der Besuch beim Kinderarzt für alle Beteiligten möglichst entspannt abläuft, bereiten Sie Ihr Kind am besten darauf vor. Je älter das Kind ist, desto mehr können sie es einbeziehen. Vor einer Impfung oder Vorsorge-Untersuchung können Sie erklären, was die Ärztin macht, was sie untersucht. Zeigen Sie den Impfausweis oder das Vorsorgeheft. Machen Sie dem Kind weder Angst, noch verharmlosen Sie. Sie können Ihrem Kind ehrlich sagen, dass eine Spritze wehtut und zugleich darauf hinweisen, dass es nach einem kurzen Pieks schnell wieder vorbei ist. Hat das Kind dennoch große Angst, kann es helfen, das Kind beim Impfen auf den Schoß zu nehmen oder das Lieblingskuscheltier dabei zu haben. Mit passenden Bilderbüchern oder einem Kinder-Arztkoffer können Sie Ihr Kind spielerisch vorbereiten. Wenn es zu Hause selbst mal den Papa abhorchen und verbinden darf, sieht es dem nächsten Besuch in der Praxis vielleicht etwas entspannter entgegen.
Neben rosa sind manche Rezepte auch grün oder blau. © ABDA
Farbkunde Rezepte
Wenn Sie ein Rezept für Fiebersaft, Nasenspray oder Hustensaft bekommen, ist das meist rosa. Es gibt aber auch grüne, gelbe und blaue Rezepte. Wir erklären die Unterschiede: Auf rosafarbenen Rezepten werden jene Medikamente verschrieben, für welche die gesetzliche Krankenkasse die Kosten übernimmt – bis auf die Zuzahlung. Diese sind 28 Tage gültig. Gelbe Rezepte sind nur sieben Tage gültig. Auf ihnen werden jene Arzneimittel verschrieben, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Das sind neben starken Schmerzmitteln beispielsweise einige Medikamente gegen ADHS. Grüne Rezepte sind unbegrenzt gültig, da sie eher den Charakter eines Merkzettels haben. Auf ihnen werden in der Regel nicht verschreibungspflichtige Medikamente notiert, die Sie auch ohne Rezept in der Apotheke bekämen. Die Kosten dafür werden nicht von der Krankenkasse übernommen. Blaue Rezepte erhalten Privatversicherte für ihre Arzneimittel. In der Apotheke zahlen sie dafür den vollen Preis, können die Kosten aber bei ihrer Kasse einreichen. Blaue Rezepte sind drei Monate gültig.
Während Erwachsene zwischen 5 und 10 Euro je Medikament zuzahlen müssen, sind Kinder unter zwölf Jahren von Zuzahlungen für Medikamente befreit. © ABDA
Zuzahlungen bei Kindern
Anders als Erwachsene sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren von Zuzahlungen zu Arzneimitteln befreit. Das gilt für alle verschreibungspflichtigen Medikamente. Für Kinder unter zwölf Jahren trägt die Krankenkasse auch die Kosten für nicht rezeptpflichtige, aber apothekenpflichtige Medikamente. Das gilt übrigens auch für viele homöopathische Arzneimittel, sofern sie auf einem Rezept verordnet wurden. Für Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren werden die Kosten dann übernommen, wenn eine Entwicklungsstörung diagnostiziert wurde.
Dennoch kann es passieren, dass Sie für den Fiebersaft für Ihre kleine Tochter in der Apotheke Geld bezahlen müssen – obwohl dieser auf Rezept verordnet wurde. Das ist dann der Fall, wenn das gewünschte Medikament den zuvor festgelegten Arzneimittelfestbetrag überschreitet. Hat also die Krankenkasse einen Höchstbetrag von fünf Euro festgelegt, die Apotheke verlangt aber sechs Euro, zahlen Sie die Differenz – in diesem Fall ein Euro – selbst.
In zwei Fällen sind Kinder und Jugendliche nicht von der Zuzahlung befreit: Das gilt für Fahrtkosten beispielsweise zum Klinikaufenthalt oder zu einer ambulanten Untersuchung in einer anderen Stadt und zweitens für Zahnersatz und kieferorthopädische Behandlungen, die über die Regelleistung der gesetzlichen Kassen hinausgehen. Hier müssen die Eltern für die Zuzahlung aufkommen.
Medizin verabreichen
Wenn Ihrem Kind Medizin verschrieben wurde, dann achten Sie darauf, dass es diese entsprechend der ärztlichen Empfehlung einnimmt. Dazu gehören die richtige Dosierung, die sich meistens nach dem Körpergewicht des Kindes richtet, die Häufigkeit und Tageszeit sowie die Gesamtdauer der Einnahme. Manchmal ist wichtig darauf zu achten, dass die Medizin vor, während oder nach einer Mahlzeit eingenommen wird oder nicht zusammen mit bestimmten Lebensmitteln wie Milch. Viele Medikamente speziell für Kinder schmecken süß, so dass die Kinder diese bereitwillig einnehmen. Wenn das Kind trotzdem nicht will, die Einnahme Schmerzen verursacht (z.B. bei Zäpfchen) oder die Arznei bitter schmeckt, bringen Sie Ihr Kind bitte mit Geduld und Liebe dazu, sie trotzdem zu nehmen.
Antibiotika
Besonders wichtig ist die konsequente Einnahme bei Antibiotika. Heute gehören sie zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten. Das ist Fluch und Segen zugleich. Als sie Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt wurden, mussten Menschen nicht mehr an einfachen bakteriellen Infektionen sterben. Mittlerweile aber entwickeln sich aufgrund der zunehmenden Verbreitung von Antibiotika in der Humanmedizin und in der Massentierhaltung Resistenzen. Das heißt jene Bakterien, die durch das Antibiotikum bekämpft werden sollen, werden widerstandsfähig. Das Antibiotikum wirkt nicht mehr. Vor allem im Krankenhaus häufen sich resistente Keime, darunter MRSA aus der Gattung der Staphylokokken und Escherichia-coli-Bakterien. Die Weltgesundheitsorganisation zählt die Antibiotika-Resistenzen zu den größten globalen Bedrohungen für die Gesundheit. Ein weiteres Problem von Antibiotika: Die meisten von ihnen zerstören nicht nur die „schlechten“ Bakterien, sondern auch die „guten“. Sie spülen einmal den Darm durch und lassen nicht viel übrig. Daher gehört Durchfall zu den häufigsten Nebenwirkungen von Antibiotika. Vom zuvor mühsam aufgebauten Mikrobiom im Darm verschwindet vieles, manche gute Bakterien sogar dauerhaft. Das lässt sich an einem weiteren Beispiel veranschaulichen: Erhalten Patienten wegen einer Parodontitis oral Antibiotika, ist manchmal Mundsoor die Folge, eine Pilzerkrankung. Die Hefepilze befinden sich auch bei gesunden Menschen im Mund, werden aber normalerweise durch Bakterien in Schach gehalten. Das Antibiotikum vernichtet diese Bakterien, die Hefepilze können sich ausbreiten.
Eltern sollten deshalb darauf achten, dass ihre Kinder Antibiotika nur dann verschrieben bekommen, wenn dies medizinisch sinnvoll und notwendig ist. Noch immer werden auch bei Erkältungen Antibiotika verschrieben. Dabei werden viele Erkältungen durch Viren verursacht, Antibiotika wirken aber nur gegen Bakterien, nicht gegen Viren. Wer sicher gehen will, kann den behandelnden Arzt um einen sogenannten PCT-Test bitten. Damit lässt sich ein bakterieller Infekt recht zuverlässig ausschließen oder bestätigen. In vielen Kliniken wird er standardmäßig genutzt, um die unnötige Antibiotika-Gabe zu verhindern. Auch der durch Corona bekannt gewordene PCR-Test ist geeignet, da er eine Probe auf gleich mehrere Erreger untersucht. Wer dennoch ein Antibiotikum nehmen muss, sollte sich bei der Einnahme genau an die Vorgaben halten. Werden Antibiotika kürzer als vorgeschrieben eingenommen oder vergessen, erhöht das die Wahrscheinlichkeit von Resistenzen.
Übrigens können Familien auch bei der Ernährung Einfluss nehmen: Fleisch- und Wurstprodukte aus Massentierhaltung sind aufgrund der dort verbreiteten Gabe von Antibiotika häufig mit multiresistenten Keimen belastet und sollten daher nicht oder nur gut durchgegart verzehrt werden. Aus dem gleichen Grund ist es wichtig, Obst und Gemüse vor dem Verzehr gründlich zu waschen. Durch die Gülle können sich auch hier resistente Keime finden.
Wenn das Kind in die Klinik muss, ist viel Mama-Papa-Nähe wichtig. Foto: iStock/ Sasiistock
Krankenhausaufenthalte meistern
Manchmal reicht der Besuch in der Arztpraxis nicht aus, stattdessen ist eine stationäre Behandlung notwendig. Das ist eine große Herausforderung für das Kind und die Eltern – vor allem, wenn noch weitere Kinder zur Familie gehören. Falls der Krankenhausaufenthalt langfristig geplant ist, bleibt Ihnen die Zeit für die nötigen Vorbereitungen: Bereiten Sie das Kind in Gesprächen oder mit Hilfe von Bilderbüchern auf das vor, was es erwartet. Auch hier gilt wieder: Verharmlosen und verschweigen Sie nichts, aber machen Sie auch nicht unnötig Angst. Nehmen Sie die Sorgen und Ängste des Kindes ernst und erklären Sie, warum die Behandlung nötig ist.
Kümmern Sie sich – wenn nötig – um eine Betreuung für Geschwisterkinder. Einige Kliniken bieten einen Geschwister-Kindergarten an. Das kann dann sinnvoll sein, wenn der Aufenthalt länger dauert oder die Fahrtzeit zur Klinik sehr lang ist. Als Elternteil dürfen Sie über Nacht bei Ihrem Kind bleiben, wenn dies „aus medizinischen Gründen notwendig“ ist. Mehr ist gesetzlich nicht geregelt. Was medizinisch notwendig ist, muss der behandelnde Arzt festlegen und bescheinigen. Fachgremien empfehlen eine Begleitung bis zum 9. Geburtstag des Kindes, bei älteren Kindern kann auch ein medizinischer Notfall oder eine besonders schwere Erkrankung das „rooming-in“ notwendig machen. Bis zu welchem Alter die Kosten dafür übernommen werden, regelt jede Krankenkasse individuell. Bei den meisten Kassen liegt die Altersgrenze zwischen dem 6. und dem 12. Geburtstag. Informieren Sie sich vorab. Wenn die räumlichen Möglichkeiten vor Ort gegeben sind, können Sie bei älteren Kindern die Kosten für ein Eltern-Kind-Zimmer auch selbst tragen. Wenn Sie nicht bei Ihrem kranken Kind in der Klinik übernachten dürfen oder möchten, nutzen Sie die Besuchsmöglichkeiten am Tag. Dann können auch die Geschwister mitkommen.
Informieren Sie Ihren Arbeitgeber und gegebenenfalls Kita bzw. Schule. Wenn Sie aufgrund des Klinikaufenthalts nicht arbeiten können, dann können Sie Ihre Kindkrank-Tage in Anspruch nehmen.
Packen Sie die Kliniktasche für das Kind und falls Sie ebenfalls mit in der Klinik bleiben, auch für sich selbst. Neben Kleidung, Badelatschen und Waschzeug gehören in die Kindertasche Spielzeug, Bücher und ein Kuscheltier. Denken Sie an die notwendigen Dokumente:
- Einweisungsschein
- Krankenversicherungskarte
- Impfpass und Gelbes Kinderuntersuchungsheft bzw. Vorsorgeheft
- ggf. Unterlagen bereits durchgeführter Untersuchungen wie Röntgenbilder und Laborbefunde
- ggf. Informationen über Medikamente, die Ihr Kind nimmt oder eingenommen hat
Bei erforderlichen längeren Klinikaufenthalten sollte bei Kindern ab sechs Jahren wenn möglich ein Krankenhaus mit Klinikschule gewählt werden. Dort werden die Kinder stundenweise unterrichtet. Die Klinikschule arbeitet dazu eng mit der Regelschule des Kindes zusammen. Alternativ können Sie als Eltern engen Kontakt zur Schule oder zu anderen Eltern halten, um über aktuelle Aufgaben informiert zu bleiben.
Erste Hilfe bei Kindern leisten
Manchmal müssen Sie erste Hilfe leisten, bevor der Rettungsdienst da ist oder Sie eine Praxis erreicht haben. Dann ist die wichtigste und erste – in einer Notfallsituation aber auch die schwerste – Regel: Ruhe bewahren! Nur dann können Sie überlegt handeln und Ihrem Kind die notwendige Ruhe und Hilfe geben, die es braucht.
Verschaffen Sie sich einen Überblick über die Situation: Was ist passiert? Wenn nötig, holen Sie das Kind aus der Gefahrenzone (Badewanne, Feuer) und bringen Sie sich nicht selbst in Gefahr. Überprüfen Sie den Zustand des Kindes: Ist es ansprechbar/bei Bewusstsein, hat es offensichtliche Verletzungen wie blutende Wunden, offene Brüche, Verbrennungen? Stillen Sie starke Blutungen, um bedrohlichen Blutverlust zu vermeiden und halten Sie offene Wunden keimfrei. Reden Sie mit dem Kind, bis der Rettungsdienst eintrifft und beruhigen Sie es.
Wenn Sie Ihr Kind nicht selbst in die Praxis oder in die Notaufnahme bringen können, sollten Sie wichtige Telefonnummern immer griffbereit haben:
Notruf 112 | Polizei 110
Giftnotruf für Brandenburg 030/19240
Giftnotruf für Sachsen 0361/730730
Bereitschaftsarzt 116117
Außerdem sollten Sie die Nummern des nächst gelegenen Krankenhauses und dort der Kinderstation und Ihrer Kinderarztpraxis, bei Säuglingen auch die der Hebamme, parat haben. Um auf Notsituationen gut vorbereitet zu sein, hilft es, wenn der letzte Besuch eines Erste-Hilfe-Kurses nicht allzu lange zurückliegt. Für Eltern gibt es spezielle Kurse für Erste-Hilfe am Baby und Kind. Fragen Sie dazu bei der Krankenkasse, den Johannitern oder dem DRK nach.
Das gehört in die Hausapotheke
Wer Kinder zu Hause hat, sollte über eine gut ausgestattete Hausapotheke verfügen. Denn damit lassen sich schnell kleine Wehwehchen versorgen, die keine ärztliche Versorgung benötigen. Das sollte nicht fehlen:
- Fiebersaft
- Nasenspray
- Hustensaft
- Mittel gegen Durchfall und Elektrolytlösung
- Wund- und Heilsalbe
- Desinfektionsmittel
- Pflaster
- Wundschnellverband und Mullbinden
- Kühlkissen (Kühlschrank)
Überprüfen Sie Inhalte mit Mindesthaltbarkeitsdatum regelmäßig und tauschen Sie wenn nötig aus. Kaufen Sie aber nicht unnötig viele Medikamente im Voraus. Denn dieses Horten aus Vorsicht war eine von mehreren Ursachen für die Engpässe bei Kinderarzneien im zurückliegenden Winter.
Exkurs: Arzneimittelengpässe
In der zurückliegenden Erkältungssaison 2022/23 waren viele Arzneimittel knapp. Von den Lieferengpässen waren auch Medikamente speziell für Kinder betroffen. So war es in einigen Regionen über Monate schwer, Fiebersaft oder Antibiotika zu erhalten. Die Ursachen dafür waren vielschichtig: Produktionsstopps im Ausland, eine vergleichsweise starke Erkrankungswelle als Nachholeffekt nach der Pandemie, Hamsterkäufe durch Eltern und die Preispolitik von Pharmaunternehmen und Krankenkassen. Durch gedeckelte Festbeträge lohnt die Produktion von bestimmten Medikamenten kaum noch, die meisten Medikamente werden in Fernost hergestellt, wo die Produktionskosten geringer sind. So sind deutsche Apotheken auf zuverlässige Lieferungen aus dem Ausland angewiesen. Zudem werden bestimmte Medikamente nur noch von wenigen Herstellern produziert, was die Abhängigkeit nochmals erhöht. Die Politik hat darauf mit einem Lieferengpass-Gesetz reagiert, das in diesem Sommer verabschiedet wurde. Es sieht unter anderem vor, die Preisregeln von Kinderarzneien zu lockern, ein Frühwarnsystem für Engpässe einzurichten und die Abgabe eines wirkungsgleichen Medikaments durch Apotheken zu erleichtern. Aktuell (Stand Mitte Oktober 2023) ist die Situation bei Kinderarzneien nicht so dramatisch wie Anfang des Jahres, aber durchaus angespannt: „Bei einigen Präparaten haben wir Lieferschwierigkeiten. Das betrifft unter anderem Fiebersäfte, Antibiotika und Medikamente gegen Atemwegsinfekte. Noch aber können wir alle Patienten versorgen. So kann ich beispielsweise in Abstimmung mit dem verschreibenden Arzt einen alternativen Wirkstoff herausgeben“, sagt Tina Koch, Apothekerin aus Michendorf südlich von Potsdam und Vorstandsmitglied im Apothekerverband Brandenburg.
Hausmittel
Der Gang zum Arzt oder zur Apotheke ist nicht immer nötig. Manchmal hat man die passende „Medizin“ bereits zu Hause. Wir stellen ein paar sanfte Hausmittel ohne Nebenwirkungen vor. Das einfachste und wichtigste Mittel für kranke Kinder sind übrigens Bettruhe und Kuschelzeit mit Mama und Papa.
Wadenwickel sind ein beliebtes Hausmittel bei Fieber und eine gute Alternative zum Fiebersaft. Sie sollten aber nur bei sehr hohem Fieber (ab 40 Grad) angewendet werden, erst bei Kindern ab zwei Jahren und dann auch nur, wenn das Kind nicht friert. Für die Wadenwickel werden Handtücher in lauwarmes Wasser gegeben, dann ausgewrungen und für etwa zehn Minuten um die Unterschenkel gewickelt. Darüber ein trockenes Tuch wickeln.
Inhalieren finden Kinder meist lästig. Es hilft aber super bei Husten und verstopfter Nase, da es für Feuchtigkeit sorgt. Bei starkem oder häufigem Husten verschreibt die Kinderärztin ein Gerät samt Kochsalzlösung zum Inhalieren. Je nach Alter des Kindes muss es sich dafür einen Aufsatz in den Mund stecken oder eine Maske über Mund und Nase halten. Alternativ kann man heißes Wasser in eine Schüssel geben und darin wahlweise Salz (ca. 10 Gramm auf 1 Liter) oder Kamillentee auflösen. Dann Kopf mit Handtuch darüber halten und einatmen. Vorher unbedingt prüfen, ob der Wasserdampf nicht zu heiß ist. Um die Kinder während des Inhalierens bei der Stange zu halten, hilft Ablenkung durch einen Film, ein Hörbuch oder Vorlesen.
Zwiebeln sind nicht nur in der Küche ideale Helfer, sondern auch in der Hausapotheke. Ihre Säfte haben eine antibakterielle Wirkung. Diese kann man sich in Form eines Hustensafts zu Nutze machen. Dazu eine Zwiebel klein würfeln und mit ein bis zwei Esslöffeln Honig vermengen. Die Mischung ein paar Stunden stehen lassen. Der Saft, der dabei entsteht, soll mehrmals täglich getrunken gegen Husten helfen. Babys unter 1 Jahr dürfen keinen Honig essen, für sie ist dieser Hustensaft daher ungeeignet. Gegen Ohrenschmerzen sollen Zwiebelwickel helfen. Dazu die Zwiebel ebenfalls würfen und in ein Baumwolltuch wickeln und auf das schmerzende Ohr legen. Das sollte man vorsichtig testen. Bei manchen Kindern werden die Schmerzen dadurch noch größer, dann darauf verzichten.
Hühnersuppe gilt als eines der wirksamsten und schmackhaftesten Hausmittel gegen Erkältung – vorausgesetzt sie wird aus frischen Zutaten selbst gemacht und nicht nur aus fertiger Boullion aus dem Glas. Denn entscheidend sind – neben der Wärme und der Flüssigkeit – die Vitamine und Nährstoffe aus dem Gemüse und dem Hühnerfleisch. Wer noch Suppennudeln mit in den Topf gibt, macht diese Medizin auch dem Nachwuchs schmackhaft.
Globuli und andere Mittel aus der Alternativmedizin sind umstritten: Manche Familien schwören darauf, andere können nichts damit anfangen. Wenn Sie Ihnen und Ihrem Kind bei leichten Beschwerden Linderung verschaffen, dann spricht nichts gegen die Anwendung.
Training für das Immunsystem: bei Wind und Wetter draußen bewegen und im Matsch spielen.
Prävention im Alltag: Tipps für ein starkes Immunsystem
Erkältungen und andere Infekte, Schrammen und Wunden gehören zum Kind-Sein dazu und lassen sich im Grunde nicht vermeiden. Trotzdem können Sie in den ersten Lebensjahren den Grundstein für ein gesundes Immunsystem legen, das Ihre Kinder später auch durch die Zeit als Erwachsene begleitet. Hier ein Überblick über die wichtigsten Maßnahmen:
Ernährung: Eine gute Basis legen Eltern mit einer gesunden, ausgewogenen Ernährung. Die besteht idealerweise aus ballaststoffreichen, pflanzlichen Lebensmitteln und aus fermentiertem Essen wie Joghurt, Käse und Sauerkraut. Rotes Fleisch, Fast Food und stark verarbeitete Lebensmittel mit vielen Zusatzstoffen wirken sich ungünstig aus, ebenso Süßigkeiten. Beim Trinken gilt: Ideal sind ungesüßte Getränke wie Tee und Wasser. Kinder sollten je nach Alter 0,5 bis 1 Liter täglich trinken. Milch ist für die Calcium-Versorgung sinnvoll. Nahrungsergänzungsmittel brauchen Sie und Ihre Kinder nicht, wenn Sie sich ausgewogen ernähren und gesund sind. Bei Kindern bis zwei Jahren empfehlen Kinderärzte die Vitamin-D-Gabe, da Babys und Kleinstkinder nicht der direkten Sonne ausgesetzt werden sollen. Im Säuglingsalter hat Stillen einen positiven Effekt auf das Immunsystem des Kindes. Vor allem die Milch der ersten Tage, das sogenannte Kolostrum, enthält jede Menge mütterlicher Immunzellen, die den Darm des Babys besiedeln.
Frische Luft: Ein weiterer Booster für ein fittes Immunsystem ist viel Zeit im Grünen. Zum einen geht der Gang nach draußen vor allem im Winter mit einem deutlichen Temperaturunterschied einher – das trainiert die Abwehr. Außerdem kommen Kinder draußen in der Regel mit jeder Menge Dreck in Berührung: Sie streicheln den Hund, kosten vom Sand-Kuchen und spielen in der Pfütze. All das ist wunderbares Training für das Immunsystem. Eine weitere positive Nebenwirkung vom Aufenthalt im Freien ist die Vitamin-D-Produktion. Die wird nämlich durch Sonnenlicht angekurbelt. Außerdem gilt zumindest für Kinder: Wer draußen ist, bewegt sich und damit wären wir schon beim nächsten Punkt.
Bewegung: Regelmäßiger Sport stärkt nachweislich das Immunsystem und schützt vor Krankheiten und Übergewicht. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt für Kinder, dass sie sich mindestens eine Stunde täglich mäßig bewegen, also mit dem Fahrrad oder Roller fahren, toben oder Fangen spielen. Zusätzlich sollten sie sich drei Stunden pro Woche so intensiv bewegen, dass sie ins Schwitzen kommen, beispielsweise im Schulsport oder beim Vereinstraining.
Stress vermeiden: Ebenso wichtig wie ausreichend Bewegung sind Phasen der Ruhe und Erholung. Wenn Kinder ständig Stress haben, sei es durch zu viele Hobbys (Stichwort „Freizeitstress“), zu viele Hausaufgaben und Klassenarbeiten, kann das auf Dauer das Immunsystem schwächen. Das gilt auch für psychischen Stress. Gibt es zu Hause oder in der Schule immer wieder Zoff oder leiden die Kinder stark unter der Trennung der Eltern, kann sich das in vermehrten Infekten bemerkbar machen. Daher ist es wichtig, im Familienalltag immer wieder kleine Ruheinseln einzuplanen, das kann ein Faulenzer-Wochenende sein, zehn Minuten Seele-Baumeln-lassen auf dem Balkon oder Garten oder die gemeinsame Kitzel- oder Vorlesestunde auf dem Sofa.
Ausreichend Schlaf: Wer ein oder zwei Nächte schlecht geschlafen hat, merkt schnell, dass er tags darauf nicht so leistungsfähig ist. Das gilt auch für das Immunsystem: Es wird bei zu wenig Schlaf anfälliger. Kinder brauchen je nach Alter zwischen 10 und 14 Stunden Schlaf. Achten Sie als Eltern daher darauf, dass Ihr Kind abends rechtzeitig zur Ruhe kommt und dass jüngere Kinder Mittagsschlaf machen.
Temperaturunterschiede: Der schnelle Wechsel der Umgebungstemperatur ist ein gutes Training für das Immunsystem. Daher können Kneippkuren, Saunabesuche und Wechselduschen dem Immunsystem auf die Sprünge helfen. Schon Kleinkinder kann man für wenige Minuten in eine Niedrigtemperatursauna mitnehmen. Beim Wassertreten nach dem Konzept von Sebastian Kneipp watet man mit den Beinen immer im Wechsel durch ein Becken mit kaltem und eines mit warmem Wasser. Unser Tipp für den Winter: Die Kinder für ein paar Sekunden – die ganz Harten auch für ein paar Minuten – barfuß durch den Schnee laufen lassen. Danach ganz schnell wieder warm kuscheln.
Hygiene: Für Eltern besteht die Gratwanderung darin, auf die Einhaltung grundlegender Hygieneregeln zu achten, andererseits nicht durch übertriebene Hygiene mehr Schaden als Nutzen anzurichten. Denn tatsächlich gelten Kinder, die auf dem Bauernhof aufwachsen und dort mit jeder Menge Dreck und Keimen in Kontakt kommen, als weniger anfällig für Autoimmunerkrankungen und Allergien. Praktisch heißt das: regelmäßiges Händewaschen ist wichtig und richtig, Desinfektionsspray für zu Hause braucht es aber nicht.
Übergewicht: Verschiedene Studien belegen einen Zusammenhang zwischen Körpergewicht und Erkrankungen des Immunsystems. Demnach erkranken stark übergewichtige Menschen häufiger an Autoimmunerkrankungen wie Diabetes. Für die Entstehung der Zuckerkrankheit werden immer häufiger entzündliche Mechanismen diskutiert, denn das Fettgewebe setzt eine Reihe von Botenstoffen frei, die infolge einer Überreaktion des Immunsystems
Entzündungen fördern. Zudem führt eine ungesunde, ballaststoffarme Ernährung zu einem ungünstigen Mikrobiom im Darm.
Impfungen sind ebenfalls ein wichtiges Training fürs Immunsystem. Dazu mehr im Impfen-Spezial in dieser lausebande. Selbst wenn Sie all diese Tipps beherzigen, wird Ihr Kind vermutlich trotzdem jede Menge Infekte anschleppen. So nervig und anstrengend das ist – denn oft genug lässt sich das Virus dann auch bei Geschwistern und Eltern nieder – so wichtig ist es. Die vielen Erkrankungen in den ersten Lebensjahren trainieren das Immunsystem der Kinder. Es lernt jede Menge Erreger kennen und ist beim nächsten Auftreten besser dagegen gewappnet. Und Sie als Eltern werden mit jedem Infekt auch etwas entspannter und gelassener. Falls Sie trotzdem unsicher sind: Fragen Sie die Kinderärztin oder den Kinderarzt Ihres Vertrauens und/oder informieren Sie sich auf einer der folgenden seriösen Internetseiten.
Hilfreiche Internetseiten:
Drei, zwei, eins – meins!
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Von Kindern und ihren Sammelleidenschaften
Beim Sammeln von Dingen können Kinder eine bemerkenswerte Ausdauer und Leidenschaft an den Tag legen. Das beginnt im zarten Alter von etwa einem Jahr mit dem Auflesen von Steinen, Kastanien, Federn, Münzen, Murmeln, Müll und setzt sich fort bis zur Pubertät, wobei die Objekte der Sammelbegierde mit der Zeit immer kostspieliger werden. Da vermutlich jedes Kind irgendwann irgendetwas sammelt, wollten wir uns etwas intensiver mit dem Thema beschäftigen. Wir haben dafür recherchiert: Warum sammelt der Mensch überhaupt? Was unterscheidet die kindliche Sammelleidenschaft von der professionellen Sammlung im Museum? Wir haben uns auf die Suche gemacht nach rekordverdächtigen Sammlungen. Wir haben uns bei Kindern selbst umgehört und sie gefragt, was sie sammeln und wie und wo sie tauschen. Außerdem haben wir mit einer Frau gesprochen, die eine ziemlich beeindruckende Puppensammlung hat – ihre erste Puppe hat sie als Kind bekommen.
Die Gene: Jäger und Sammler?
Fangen wir also mit der Frage nach dem Warum an. Warum sammelt der Mensch Dinge? Ein Teil der Antwort führt zurück in die Steinzeit. Bis vor etwa 10.000 Jahren waren die Menschen bei der Nahrungssuche auf das Jagen und Sammeln angewiesen. Die Landwirtschaft und mit ihr den Anbau von Feldfrüchten als Nahrung gab es noch nicht. Stattdessen sammelten die Menschen, was die Natur ihnen bot: Beeren, Früchte, Samen, Nüsse, Pilze, Kräuter, Honig, Insekten, Muscheln. Sammeln war also zunächst einmal eine Voraussetzung, um zu überleben. Ob die heutige Sammelleidenschaft für Karten und Sticker auf das genetische Erbe dieser Urahnen zurückgeht, ist zumindest fragwürdig. Aber der kleine historische Exkurs zeigt, dass das Sammeln die menschliche Spezies schon sehr lange begleitet.
Begehrtes Sammlerobjekt: Fußballsticker © Panini
Während des Mittelalters waren es vor allem die Klöster und Kirchen, die Sammlungen beherbergten. Darin befanden sich wertvolle Objekte wie Kreuze, Marienbildnisse oder Reliquien. Erst als nach dem Mittelalter ein gewisser Wohlstand zumindest in einigen Bevölkerungsschichten einsetzte, begann das Sammeln aus Lust und Überfluss heraus. Zunächst waren es die Fürsten und Könige, die sich persönliche Wunderkammern mit Gemälden, Skulpturen, Schmuck, Knochen, Tierfellen, antiken Münzen und exotischen Mitbringseln anlegten. Hier wurde noch recht willkürlich gesammelt, was gefiel. Das Staunen stand im Mittelpunkt.
Zu den fürstlichen Wunderkammern kamen bald naturwissenschaftliche Sammlungen des Bildungsbürgertums hinzu, von Fossilien, Pflanzen und Tieren. Sie sind die Vorläufer der modernen Naturkunde-Museen. Mit der Anzahl und dem Umfang der Sammlungen wuchs der Wunsch nach Ordnung. Es galt, die gesammelten Objekte zu dokumentieren, sortieren und präsentieren. Als erster Museologe gilt der Belgier Samuel Quicchelberg. Im Jahr 1565 schrieb er eine theoretische Abhandlung, in der er die ideale Einrichtung und Anordnung eines Museums am Beispiel der Münchner Kunstkammer beschrieb. Schon damals kam die Idee des Museums als Ort der Bildung auf. Die gesammelten Objekte sollten nicht mehr nur zum Staunen verführen, die Betrachtenden sollten etwas daraus lernen.
Blick ins Depot des Bautzener Museums © Museum Bautzen
Museen als Sammler
Das Sammeln und das Vermitteln gehören noch heute zu den wichtigsten Aufgaben von Museen. Fast jedes Museum – unabhängig davon, ob es Gemälde, Fotografien, Tiere, Computer, Bücher oder Vasen zeigt, verfügt über eine Sammlung. Sie ist das, was uns, wenn wir ein Museum besuchen, meist verborgen bleibt. In Ausstellungen werden im Schnitt nur etwa zehn Prozent des gesamten Sammlungsbestands eines Hauses gezeigt. Die übrigen Objekte lagern in Depots, die nur gelegentlich geöffnet werden. Was darin gesammelt wird, ist abhängig vom wissenschaftlichen Erkenntnisstand und den aktuellen gesellschaftlichen Gegebenheiten. Was uns heute bewahrenswert erscheint, kann in 50 Jahren auf der Müllhalde landen. Seit einigen Jahren erweitern viele Museen ihre Depots um virtuelle Sammlungen. Gemälde, Bücher, Exponate werden eingescannt, fotografiert und digitalisiert. Das erleichtert zum einen die Pflege der Sammlung, weil man so jederzeit per Mausklick einen Überblick über den Sammlungsbestand hat. Zudem machen viele Museen ihre virtuellen Sammlungen komplett oder teilweise öffentlich zugänglich, was wiederum der Forschung weiterhilft.
Die Aufgaben eines Museums
Der Bund deutscher Museen fasst die Aufgaben eines Museums wie folgt zusammen:
Sammeln: Das Museum sammelt Natur- und Kulturgut, um es für die Nachwelt zu erforschen und vor dem Verfall oder der Vernichtung zu bewahren. Im Museum erfolgt das Sammeln zielgerichtet und dient der Erweiterung, Zusammenführung und Ergänzung der bestehenden Sammlung.
Bewahren: Objekte vor dem Verfall zu schützen und für kommende Generationen zu bewahren, gehört zu den primären Aufgaben des Museums. Das Bewahren umfasst neben dem Konservieren und Restaurieren der Objekte auch das sachgerechte Handling und Aspekte der Sicherheit.
Forschen: Forschen im Museum beinhaltet die wissenschaftliche Bearbeitung von Objekten, Objektgruppen und Objektzusammenhängen. Die Erkenntnisse und Informationen werden dokumentiert und in Form von Publikationen oder Ausstellungen öffentlich zugänglich gemacht.
Ausstellen: Mit der Ausstellung präsentiert das Museum seine Sammlung der Öffentlichkeit. Die Objekte werden hier in immer wieder neuen thematischen Zusammenhängen präsentiert. Das Ausstellen vollzieht sich in der Regel in Dauer- oder Wechselausstellungen sowie in Studiensammlungen.
Vermitteln: Bildung und Vermittlung sind elementare Bestandteile der Arbeit im Museum. Die frühesten Vermittlungsformen im Museum waren Objektbeschriftungen, Kataloge, öffentliche Vorträge und Führungen. Durch die gesellschaftliche Öffnung der Museen hat sich die Vermittlung in den vergangenen Jahren institutionalisiert und professionalisiert.
Wir nehmen Museen in erster Linie über ihre Ausstellungen wahr. In ihnen kommen sie ihren beiden originären Aufgaben nach: dem Ausstellen und dem Vermitteln von Wissen. Dazu kommen das Sammeln, das Bewahren und das Forschen – jene Aufgaben, die mindestens ebenso wichtig sind, aber öffentlich kaum wahrgenommen werden, es sei denn in den Medien erhitzt sich die Debatte darüber, ob man historische Gemälde umbenennen darf, weil ihre ursprüngliche Bezeichnung heute als rassistisch gilt. Auch die Provenienzforschung schafft es gelegentlich in die öffentliche Diskussion: immer dann, wenn die unklare Herkunft von Objekten erforscht wird, wenn am rechtmäßigen Besitz des Museums gezweifelt wird oder wenn die Rückgabe eines Objekts in dessen Ursprungsland erfolgt.
In jedem Fall sind die Sammlungen das wichtigste Kapital eines Museums. Die große Herausforderung für die Museen liegt darin, nicht einfach nur willkürlich Dinge anzuhäufen, sondern eine Idee zu erarbeiten, ein Konzept zu erstellen, das eigene Profil zu schärfen: Was sammeln wir? Was ist es Wert, bewahrt zu werden? Was kann der Nachwelt eine Geschichte erzählen? Damit stehen institutionalisierte Sammlungen vor der gleichen Aufgabe wie private Sammler: Wie definiere und begrenze ich meine Sammlung so, dass sie nicht ins Unendliche wächst? Denn die zweite große Herausforderung für Museen und Kinderzimmer ist ebenfalls die gleiche: Der Platz zum Lagern ist begrenzt.
Das Deutsche Museum mit mehreren Standorten gilt als das meistbesuchte Museum in Deutschland. Die Bilder zeigen Ausschnitte aus den Ausstellungen auf der Museumsinsel in München.
Sammeln im Kinderzimmer
Jetzt wissen wir ungefähr, warum Museen sammeln. Doch was genau motiviert Kinder (oder auch Erwachsene), Dinosaurier, Mineralien, Federn, Überraschungseierfiguren, Einhörner, Barbies, Bierdeckel, Kronkorken, Vasen, Teekannen oder Streichholzschachteln zu sammeln? Das Steinzeit-Gen allein reicht als Erklärung nicht aus. Der Kulturwissenschaftler und Museologe Andreas Grünewald Steiger erklärt es mit dem Wunsch nach Ordnung: „Sammeln ist Begrenzung, Zusammenhang, Sinn, Erklärung in der Zerstreutheit, Sammeln ist Ordnung im Unübersichtlichen, Zufälligen, Grenzenlosen, im Unbekannten.“ Sammeln ist für ihn auch der Wunsch, der Vergänglichkeit etwas entgegenzusetzen, wobei das vermutlich eher bei Erwachsenen eine Rolle spielen dürfte: „Sammeln ist der permanente Versuch, damit fertig zu werden, dass die Zeit vergeht: Laufend geht die Zeit verloren“, so Grünewald Steiger: „Das Sammeln stemmt sich dagegen an. Es nimmt die Dinge aus ihrem natürlichen Zusammenhang und beendet damit den sonst unweigerlichen Kreislauf von Werden und Vergänglichkeit. In Sammlungen ,vergeht‘ kein Ding mehr im Lauf der Zeit, es bleibt erhalten für die Ewigkeit.“ Bei Kindern spielen sicher noch weitere Aspekte hinein: Die Neugierde und das Interesse an (neuen) Dingen. Gerade in den ersten Lebensjahren ist die Neugier von Kindern scheinbar grenzenlos, sie saugen neues Wissen förmlich auf und lassen sich leicht für Dinge begeistern. Ihr Kind bringt vom Spaziergang Stöcke mit nach Hause? Je nach Alter des Kindes könnten Sie diese nach Größe und Form sortieren, daraus kleine Kunstwerke basteln oder eine Baumsammlung beginnen. Von jeder Baumart im Park wird ein Stock und ein Blatt aufgelesen und anschließend auf ein Blatt geklebt und dokumentiert. Wenn Ihr Kind seine Hosentaschen stattdessen mit Steinen füllt, könnten Sie das willkürliche Steine-Auflesen auf Mineralien lenken.
Platz schaffen
Kinder, die sammeln, brauchen zuerst einmal jede Menge Platz. Je nachdem wie groß die Objekte der Begierde sind, kann das eigene Kinderzimmer da schnell zu klein werden. Wenn die Sammlung dann nicht auf dem Dachboden oder in der Garage weiter wachsen soll, braucht es eine andere Strategie. Die heißt „Spezialisieren“ und ist für jede Sammlung zentral. Ein paar Beispiele verdeutlichen, wie das praktisch funktioniert: Wenn das Kind Kuscheltiere sammelt, könnte es sich auf eine „Tierart“ beschränken, also nur Teddybären, Einhörner oder Elefanten aus Plüsch sammeln. Wenn es Mineralien sammelt, könnte es sich auf ein Exemplar je Mineral beschränken. Bei Spielzeugautos könnte die Sammlung auf eine bestimmte Marke oder einen Fahrzeugtyp beschränkt werden.
Je größer die Sammlung, desto wichtiger ist eine gewisse Ordnung. Ein paar einzelne Steine oder Federn vom letzten Spaziergang lassen sich noch auf dem Fensterbrett drapieren. Wer mehr und professionell sammelt, sollte die Fundstücke ordnen und so lagern, dass sie nicht kaputt gehen können und bestimmte Exemplare bei Bedarf schnell wieder gefunden werden können. Je nach Sammelobjekt, kann es wichtig sein, diese zu beschriften. Mineraliensammler beispielsweise legen Wert darauf, dass jedes Mineral mit Name, Fundort und Funddatum abgelegt wird.
Zum Aufbewahren eignen sich beispielsweise Alben, unterteilte Boxen und Kisten, die im Idealfall transparent sind. Vielleicht kann die Sammlung auch in einem separaten Schrank mit mehreren Fächern und Schüben untergebracht werden. Da die Sammlung ja ein Herzensprojekt ist und nicht die ganze Zeit hinter Schranktüren schlummern soll, braucht es einen gut sichtbaren Ort zum Präsentieren. Dort kann das Kind Teile seiner Sammlung zeigen. Das kann eine Vitrine sein, ein Setzkasten, ein Fensterbrett, ein Regal, eine Wand.
Wenn die Sammlung in Größe und Umfang doch irgendwann die Dimensionen des Kinderzimmers sprengt, gilt es auszusortieren. Das fällt vermutlich nicht leicht, aber auch Museen müssen regelmäßig schauen, was noch ins Depot gehört und was dann doch weg kann. Das Aussortieren machen Sie am besten gemeinsam mit dem Kind, schauen Sie, was es doppelt hat, was kaputt oder nicht mehr gut erhalten ist, was vielleicht doch nicht (mehr) in die Sammlung passt.
Bei den meisten Kindern beginnt die Sammelleidenschaft mit Naturalien, die sie vom Spaziergang mit nach Hause bringen.
Tauschen und kaufen
Das Aussortieren kann zugleich ein Anlass sein zum Tauschen. Zwar hilft das nicht wirklich beim Verkleinern der Sammlung, aber letztendlich lebt das Hobby Sammeln vom Tauschen und Kaufen. Ermöglichen Sie Ihrem Kind daher in Museen, Geschäften, auf Flohmärkten und Sammlerbörsen und natürlich im Internet nach Neuzugängen zu suchen. Wenn das Kind eifrig sammelt, erleichtert das übrigens die Suche nach Geschenkideen für Geburtstage und Weihnachten.
Für manche Sammelgebiete wie Münzen, Briefmarken und Mineralien gibt es Vereine, die sich durchweg über Nachwuchs freuen. Allerdings gelingt es nur wenigen Vereinen, eine aktive Jugendarbeit zu leisten. Oft scheitert dies einfach an zu wenig Sammlern im Kinder- und Jugendalter und an der fehlenden Zeit, eine solche Jugendgruppe anzuleiten. Alternativ können Sie gezielt auf einen Verein in Ihrer Stadt und auf die Schule zugehen. Über Arbeitsgemeinschaften oder Ganztagsangebote können Vereine relativ viele Kinder erreichen. Alternativ bieten sich zum Tauschen Freunde, Familie, Nachbarn an. Gerade bei sehr beliebten Sammelobjekten wie Fußball- oder Pokémon-Karten wird rege in Kitas und auf Schulhöfen getauscht.
Wissen sammeln
Nicht zuletzt lässt sich eine Sammlung wunderbar mit Wissenserwerb verbinden. Wenn ein kleines Kind das erste Mal eine historische Münze, eine Saurierfigur oder eine besondere Feder entdeckt, dann ist sein Interesse geweckt und es will noch mehr davon haben. Es fängt vielleicht an, sich mehr mit Dinosauriern zu beschäftigen, hält Ausschau nach weiteren Exemplaren. Wenn die Familie Zeit, Platz und Muße hat, sind solche Sammelstarts ein wunderbarer Anlass, um sich tiefer mit einem bestimmten Thema zu beschäftigen und dem Kind so spielerisch Wissen zu vermitteln. Bieten Sie Ihrem Kind daher altersgerechte Sachbücher und Nachschlagewerke an oder suchen Sie im Internet gezielt nach Informationen. Über kindgerechte Suchmaschinen wie Frag Finn oder Blinde Kuh wird man auf Ergebnisse geleitet, die Wissen so vermitteln, dass es auch Kinder verstehen. Wenn in der Schule der nächste Vortrag in Sachunterricht oder Geographie ansteht, könnte Ihr Kind sein Sammelgebiet als Thema anbieten.
Sammeln und einkaufen
Einen sicher nicht ganz kleinen Anteil an der Sammelbegeisterung der jungen Generation hat der Handel. Die Sammelaktionen für Groß und Klein sind ein offenbar sehr erfolgreiches Kundenbindungsprogramm. Fast jeder Supermarkt, selbst Bäckereien und Eiscafés, haben eigene Rabattkarten oder beteiligen sich an Handelsketten-übergreifenden Programmen wie Payback. Während die Erwachsenen mit dem Sammeln schnöder Rabatte und Punkte zum Wiederkommen animiert werden, sind die Märkte bei der jungen Generation kreativer. Dort gibt es in regelmäßigen Aktionen Spielzeug, Sammelsticker oder Sammelkarten. Das Prinzip ist dabei immer gleich: Ab einem bestimmten Einkaufswert gibt es ein Sammelpäckchen gratis. Das dazugehörige Sammelalbum, das es zu füllen gilt, gibt es wahlweise gratis oder gegen eine kleine Summe im Einkaufsmarkt des Vertrauens. Alternativ können die Eltern bei jedem Einkauf Punkte sammeln. Sobald eine bestimmte Punktzahl zusammengekommen ist, kann man sich ein Produkt in Kinderoptik aussuchen: Plüschtier, Trinkflasche, Spielzeug. Oft begleiten die Supermärkte große Sportereignisse wie internationale Fußballmeisterschaften mit passenden Karten und Alben – hier gilt das italienische Unternehmen Panini als führender Anbieter von Sammeltüten. Immer sind diese Aktionen auf wenige Wochen begrenzt. Denn das erhöht den Anreiz, in dieser Zeit viel Geld auszugeben, um das Album noch vollzubekommen. Vier aktuelle Beispiele:
Edeka & Marktkauf: Wilde Schleich-Tiere
In Kooperation mit dem WWF läuft bei Edeka (und Marktkauf) noch bis Ende Oktober eine Sammelaktion, bei der es gegen Punkte Wildtiere von schleich® zum vergünstigten Preis gibt. Auf der Aktions-Website heißt es dazu: „Gemeinsam mit WWF und schleich® wollen wir durch die Sammelaktion Kindern spielerisch die Vielfalt der Tierarten, aber auch besonders der wilden Tiere, näherbringen – vom Eisbär bis zum Gepardenjungtier. Diese Kooperation soll das Bewusstsein schärfen, dass viele Tierarten auf den verschiedenen Kontinenten gefährdet sind und wir eine Verantwortung für den Schutz unserer Umwelt und der Tiere tragen.“
Aldi-Nord: Miraculous
Aldi hat sich für die aktuelle Sammelaktion, die noch bis Anfang Oktober läuft, die beliebte TV-Serie Miraculous um die beiden Teenager Marinette und Adrien ausgesucht, die im zweiten Leben als Superhelden die Welt vor Bösewichten retten. Bei der Aktion erhält man für einen bestimmten Einkaufswert Tütchen mit Sammelkarten. Wer das dazugehörige Album komplett füllen möchte, braucht alle 126 Karten. Alternativ kann man die Karten für verschiedene Spiele wie Domino nutzen. Wer die Aktions-Website besucht, erhält noch jede Menge Spielideen, Bastel- und Malvorlagen sowie Rezepte für Themengeburtstage rund um Miraculous.
Rewe: Dynamo Dresden
Dynamo Dresden-Fans können noch bis Mitte Oktober in ausgewählten Rewe-Märkten in Ostsachsen das Sammelalbum ihres Lieblingsvereins füllen. Anlässlich des 70-jährigen Vereinsjubiläums haben die Fußballer aus Elbflorenz ein Sammelalbum herausgebracht, in dem man nicht nur die 182 Sticker einkleben, sondern auch noch zur Geschichte des Vereins nachlesen kann. Auch hier braucht es für ein Stickertütchen einen Mindestumsatz beim Einkauf.
Globus: Die Welt des Wassers
Der Globus-Einkaufsmarkt hat vor einigen Jahren eine eigene Sammelaktion ins Leben gerufen, bei der jedes Jahr ein neues Abenteuer von Professor Globus und seinem Begleiter Globini erzählt wird. Zur jährlichen Aktion gehören ein Sammelalbum mit 160 Stickern inklusive Hörbuch mit Geschichte und Wissensliedern. Dabei wird den Kids jeweils Wissen aus Natur, Geschichte und Wissenschaft vermittelt, Experimente und Comics inklusive. In der aktuellen Sammelaktion, die bis Ende September dauert, geht es ums Wasser. Die Stickertüten gibt es, wenn man beim Einkaufen einen Mindestumsatz erreicht.
Eltern wissen aus Erfahrung, dass all diese Aktionen sehr anziehend auf Kinder wirken können. Das Ergebnis: Manchmal entscheidet die aktuelle Sammelaktion darüber, wo der Familieneinkauf in dieser Woche stattfindet.
Die Panini-Brüder Giuseppe, Umberto, Franco Cosimo und Benito (v.l.,1966) vor einer Fifimatic. © Panini
Panini: Sammeln als Erfolgsgeschäft
Ein Name, der vielen Sammelfans bekannt sein dürfte, ist Panini. Dem Unternehmen ist es gelungen, das Sammeln zu einem Geschäftsmodell zu machen – zu einem ziemlich erfolgreichen. Die Geschichte begann am Ende des Zweiten Weltkriegs mit einem einfachen Zeitungskiosk in der nord-italienischen Stadt Modena. Der Vater der Familie Panini war an der Front gefallen, zurück blieben die Mutter und ihre acht Kinder – vier Töchter und vier Söhne. Da die Familie kaum Geld hatte, übernahm eine Tochter einen Zeitungskiosk in der Innenstadt. Nach dem Krieg arbeiteten dort auch die Mutter und die vier Söhne mit. Der Kiosk lief erfolgreich. Mit den Jahren kamen neben Zeitungen auch Bücher und Sammelbildchen zum Sortiment – zunächst Sammelbilder fremder Anbieter. Die ausgewählten Blumenmotive floppten. Der zweite Anlauf war umso erfolgreicher: Bilder von Fußballern gingen in Massen über die Kiosk-Theke. Daraufhin entstand im Jahr 1961 die Idee, selbst Fußballsticker herauszugeben: Es war die Geburtsstunde von Panini, dem nach eigenen Angaben mittlerweile weltweit größten Verlag für Sammelprodukte. Das erste selbst produzierte Sammelalbum vereinte die damaligen Spieler der italienischen Serie A, darunter auch ein hierzulande bekannter Fußballer: Giovanni Trapattoni. Verkauft wurden die Sticker in Tütchen. Um zu vermeiden, dass in einem Tütchen ein Sticker doppelt vorkam, nahmen die Panini-Brüder zunächst ein Butterfass zu Hilfe, das mittels Fahrradrahmen mit einem Rad verbunden war. Die Sammelsticker wurden durch Drehen im Butterfass vermischt. Um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden, brauchte es eine professionelle Lösung. So entwickelte einer der Brüder 1964 das heutige Herz der Firma: die Fifimatic. Es handelt sich um eine Misch-und Eintütmaschine, die dafür sorgt, dass niemals zwei gleiche Bilder in einer Tüte landen. Noch heute stehen 25 dieser Maschinen in der Produktionshalle von Panini in Modena. Neben Fußballstickern vermarktet Panini mittlerweile auch zahlreiche andere Motive – die Sticker der Kicker sind aber weiterhin das Zugpferd des einstigen Familienunternehmens.
Foto: Rekord-Institut für Deutschland
Rekorde rund ums Sammeln
Zum Schluss unseres redaktionellen Sammelsuriums rund ums Sammeln haben wir ein paar rekordverdächtige Sammlungen herausgesucht. Diese veranschaulichen, dass fast jeder Gegenstand eine Sammelleidenschaft entfachen kann und dass diese manchmal wirklich ausgesprochen groß werden kann. Fündig geworden sind wir beim Rekord-Institut für Deutschland (RID), dem deutschsprachigen Pendant zum international ausgerichteten Guinness-Rekordbuch aus London. Das RID sammelt und prüft Höchstleistungen aus dem deutschen Sprachraum und erkennt Weltrekorde an und veröffentlicht diese ebenfalls regelmäßig in einem Buch der Weltrekorde.
Zauberwürfel
Florian Kastenmeier aus dem schwäbischen Mindelheim nennt die weltgrößte Zauberwürfel-Sammlung sein Eigen. Zuletzt wurde im April 2021 offiziell nachgezählt. Zu diesem Zeitpunkt besaß er 1.283 Stück der bunten Würfel. Begonnen hat alles mit einem Zufallsfund in einer Kiste auf dem Dachboden, wo er einen ungelösten Rubik Cube entdeckte. Die Faszination am Lösen des Würfels war geweckt, es folgte das Sammeln. Mittlerweile besitzt er Würfel aus Plastik, Holz, Metall, Plüsch, selbst runde und pyramidenförmige, mit Mustern und Comic-Figuren. Erweitert hat er die Sammlung um Produkte im Zauberwürfel-Design wie Handyhüllen und Kleidung. Das Rätseln selbst hat der dreifache Familienvater noch nicht aufgegeben. Anstatt seine Sammlung verstauben zu lassen, löst er jeden Tag einen Zauberwürfel. Seine persönliche Bestzeit von 35 Sekunden reicht ihm aus. Viel wichtiger ist ihm, die Sammlung ständig zu vergrößern.
Foto: Rekord-Institut für Deutschland/ Johanna Reumann
Polizeimützen
Als Andreas Skala aus dem brandenburgischen Hennigsdorf von seinem Großvater im sechsten Lebensjahr eine Schirmmütze vom Arbeiter Samariter Bund bekam, infizierte er sich mit dem Sammlervirus. Zunächst sammelte er alles an Hüten und Mützen, was er bekommen konnte, von Müllmännern, Busfahrern, Feuerwehrleuten. Später fokussierte er seine Sammelleidenschaft ausschließlich auf Polizeimützen. Heute zeigt seine Rekordsammlung die Vielfalt von Polizei-Kopfbedeckungen in aller Welt. Er besitzt einen neuseeländischen Buschhut, die Mütze des Polizeichefs von Palästina, eine Polizeimütze aus Nordkorea, eine aus dem Vatikan. Alle drei Wochen werden sie abgestaubt. Die laut offizieller Zählung vom April 3.253 Kopfbedeckungen umfassende Sammlung musste Andreas Skala aus Platzgründen teilweise auslagern. Ein Teil konnte in Obhut der Berliner Polizei untergebracht werden.
Foto: BR/ south & browse
Dackelfiguren
Seppi Küblbeck und Oliver Storz teilen dieselbe Leidenschaft: Beide sammeln für ihr Leben gerne Dackel in Form von Skulpturen, Plüschtieren, Bildern und natürlich die berühmten Wackeldackel. Laut offizieller Zählung vom Oktober 2020 umfasst die Sammlung 8.952 Dackel-Objekte und ist damit Rekordhalter. Um ihre Sammlung und ihre Freude an Dackeln mit möglichst vielen Menschen zu teilen, haben die beiden Sammler in Regensburg ein Dackelmuseum eröffnet – das vermutlich einzige dieser Art. Auf 80 Quadratmetern reiht sich dort Dackelfigur an Anstecknadel und Dackelbilderbuch an Spielzeug. Dort entdeckt man so ungewöhnliche Exponate wie einen Dackel-Aschenbecher aus Halbedelstein mit Augen aus Rubinen, einen CD-Halter in Dackelform und natürlich Waldi. Der bunte Plüschdackel Waldi begleitete die Olympischen Spiele in München 1972 offiziell als Maskottchen.
Foto: Rekord-Institut für Deutschland
Liebe ist … Cartoon
Im Jahr 1996 schnitt Gottfried Blöchl aus dem bayerischen Deggendorf erstmals ein „Liebe ist“-Bild der Autorin Kim Casali aus der Zeitung aus. Damals war er bereits 30 Jahre mit seiner Frau Margot verheiratet. Aus dem ersten Ausschnitt sind mittlerweile 6.575 der kleinen Liebesbeweise geworden, zuletzt gezählt und als Weltrekord bestätigt im November 2022. Um seiner riesigen Sammlung Herr zu werden, ließ Gottfried Blöchl die Ausschnitte zu Büchern binden. Die nicht weit entfernte Buchbinderei der Benediktinerabtei Metten übernahm es, aus den auf Papier geklebten Ausschnitten kleine Büchlein zu binden. Mittlerweile umfasst die liebevolle Sammlung 20 Bände. Auch interessant: Die ersten Cartoons zeichnete Kim Casali ausschließlich für ihren Freund. Der aber schickte sie heimlich an die Los Angeles Times, die sie dann veröffentlichte und so berühmt machte.
Foto: Bettina Dorfmann
Barbie
Mit dem Erfolg des Kinofilms Barbie rückte auch Bettina Dorfmann aus Düsseldorf wieder stärker ins Rampenlicht. Sie ist die Besitzerin der weltweit größten Barbie-Sammlung und hält mit ihren 18.500 Puppen gleich vier offizielle Rekorde, darunter in Deutschland, USA und Indien. Bei ihrer Sammlung konzentriert sich Bettina Dorfmann auf Barbiepuppen aus den 1960er Jahren. Selbstverständlich besitzt sie auch eine der ersten Barbiepuppen aus dem Jahr 1959. Alle ihre Barbies sind in einem guten bis unbespielten Zustand, auch original verpackte Puppen und Outfits befinden sich darunter. Mittlerweile gilt sie mit ihrer Expertise auch als anerkannte Puppendoktorin. Weil ihre Sammlung viel zu schade ist, um nur in den eigenen vier Wänden zu verbleiben, wird sie regelmäßig in Wanderausstellungen gezeigt. Aktuell kann man ausgewählte Barbies in Ratingen, Sonneberg und Lünen sehen.
Foto: Rekord-Institut für Deutschland Oliver Klesy
Pinguine
Im Alter von 17 Jahren wurde bei Birgit Berends aus Cuxhaven durch die Animationsserie um die Knet-Figur Pingu die Faszination für die tierischen Frackträger geweckt. Damals fing sie mit dem Sammeln von Pinguinen an und beherbergt mittlerweile die nachweislich größte Pinguin-Sammlung der Welt, zuletzt wurden 2015 insgesamt 17.283 Pinguinartikel gezählt. Und dazu gehören keineswegs nur Figuren und Plüschtiere, sondern auch Puzzle, Bücher, Briefmarken, Postkarten. Selbst Fingerhüte, Krawatten, T-Shirts oder Bettwäsche gibt es verziert mit Pinguinen. Zu den Kuriositäten in der Sammlung von Birgit Berends zählen Schnuller, Zigarrenbauchbinden und ein Pommes-Pieker. Das kleinste Objekt ihrer Sammlung ist eine mehrfarbige Glasfigur, die nicht einmal 5 mm misst. Dem gegenüber steht »Robbie«, eine fast 1,90 m große Pinguinfigur, als Unikat zur Pinguinale 2006 in Wuppertal gestaltet.
Foto: Rekord-Institut für Deutschland
I-Aah-Figuren
Auslöser für die Sammelleidenschaft von Tina Kring aus dem hessischen Pohlheim war ein Mitbringsel aus dem Disneyland in Paris: ein I-Aah-Kuscheltier von ihrer Familie. Das fand sie so toll, dass nach kurzer Zeit viele weitere der Eselfiguren aus der Winnie Puh-Familie hinzu kamen. Mittlerweile besitzt sie I-Aah-Merchandising-Artikel aller Art. Neben reichlich Plüschfiguren sind das unter anderem Minifiguren, Tassen, Taschen, Pins und Kleidung. Im Oktober 2022 ist ihre Sammlung offiziell als Weltrekord anerkannt worden mit 1.332 verschiedenen I-Aah-Merchandise-Objekten. Viele von denen kommen wie damals der erste I-Aah direkt aus dem Disneyland. Dort und in den anderen Disney-Themenparks hält Tina Krieg regelmäßig Ausschau nach Nachschub für ihre Sammlung.
Rekord-Institut für Deutschland
Kugelschreiber
Auf Messen sind sie ein ebenso etabliertes wie begehrtes Werbegeschenk: Kugelschreiber. Dass man diese auch sammelt, ist so ungewöhnlich nicht. Es gibt sogar einen Club der Kugelschreibersammler. Den Rekord über die weltweit größte Sammlung hält derzeit eine Frau mit fast 300.000 Kulis. Mit knapp 30.000 Stiften ist Marcus Baum weit entfernt von diesem Rekord. Er hat sich bei seiner Sammlung daher auf eine Nische spezialisiert: Werbekugelschreiber von deutschen genossenschaftlich organisierten Banken und deren Partnerunternehmen. Seine Sammlung auf diesem Gebiet ist einzigartig und wurde im Juli 2018 gezählt. Mit damals 3.197 unterschiedlichen Kugelschreibern hält Marcus Baum den Weltrekord für die größte monothematische Werbekugelschreibersammlung. Sein nächstes Ziel hat er bereits im Blick: die 5.000er Marke.
Foto: Rekord-Institut für Deutschland
Spaten
Ein eher ungewöhnliches Sammelobjekt weckte das Interesse von Klaus Mueller aus dem niedersächsischen Wallenhorst: der Spaten. Bestehend aus einem Blatt, zumeist aus Metall, das in einem Holzgriff steckt, ist der Spaten eines der ältesten Bodenbearbeitungsgeräte der Menschheit. Dass über die Jahrhunderte viele verschiedene Arten dieser Geräte entstanden sind, zeigt die Spatensammlung von Klaus Mueller, der es sich zugleich zur Aufgabe gemacht hat, die Geschichte des Spatens zu erforschen. Als Geologe und Bodenforscher nutzt er den Spaten täglich für seine Arbeit. Vor 30 Jahren fing er mit dem Sammeln an, heute umfasst seine als Rekord anerkannte Privatsammlung 130 Spaten: vom Grabstock der Frühzeit, über Halbspaten des Altertums sowie mittelalterlichen Spaten bis hin zu modernen. Besonders kurios sind Modelle wie der Pedal-Wendespaten, bei dem das Spatenblatt über ein angebautes Pedal bewegt werden kann.
Hey Kids, was sammelt ihr?
Matz, 4 Jahre: „Ich habe ganz viele Müllautos. Die stehen bei mir im Zimmer, manche sind im Kleiderschrank unter den Winterjacken. Das größte ist so groß wie ein Bobbycar, mit dem kann ich auch selbst fahren. Ich durfte sogar schon mal in einem echten Müllauto mitfahren. Wenn ich groß bin, will ich selbst Müllkutscher werden.“
Victoria, 8 Jahre: „Ich sammle Schleichpferde. Ich schätze, ich habe schon etwa 40 Pferde und dazu vielleicht 20 Reitfiguren. Mit denen spiele ich gern Reiterhof, den habe ich auch von Schleich. Mein Lieblingspferd ist ein Schimmel mit rosa Schleife, den ich mal von meiner Freundin geschenkt bekommen habe. Viele Pferde kaufe ich mir vom Taschengeld, aber manchmal bekomme ich auch welche geschenkt.“
Carolin, 6 Jahre: „Ich habe bei mir im Kinderzimmer ganz viele Kuscheltiere. Das sind bestimmt schon mehr als 30. Mein Lieblingskuscheltier ist ein Einhorn, mit dem kuschel und spiele ich am liebsten. Und ich hoffe, dass ich noch ganz viele Kuscheltiere bekomme.“
Felix, 4 Jahre: „Ich sammele, was ich so finde, am liebsten schöne Steine oder auch Stöcke. Ich habe auch ein paar tolle Edelsteine. Ein paar Steine hat mir meine Oma geschenkt. Und wenn wir im Findlingspark sind, finde ich auch immer tolle Steine und Edelsteine.“
Lina, 6 & Ben, 9: Lina: „Ich mag Schminke und Schmuck. Ich habe Lippenstift und Nagellack. Manchmal darf ich auch Rouge von meiner Mama haben. Außerdem habe ich Ketten, Ringe, Haarspangen und Haargummis.“ Ben: „Ich bin Fußballfan und habe davon vieles zu Hause: Fußballkarten, Sportsachen und Trikots. Meine Lieblingsmannschaft ist FC Energie. Ich spiele auch selbst gern Fußball.“
Felix, 11 Jahre: „Ich sammle Pokémon-Karten. Ich habe schon einen dicken A4-Ordner voll mit Karten. Angefangen hat es, als mir mein Cousin mal eine Pokémon-Karte geschenkt hat, die ich doppelt hatte. Da war ich fünf Jahre. Ich spiele auch Pokémon-Go und habe Figuren und Kuscheltiere von Pokémon.“
Meine Sammelleidenschaft: Briefmarken
Visch darf sich mit seinen gerade mal 12 Jahren schon als erfahrener Philatelist bezeichnen.
Wie kam es dazu, dass Du in mit dem Sammeln von Briefmarken begonnen hast?
Vor fünf Jahren habe ich erstmals in die Philatelie, also das Sammeln von Briefmarken, reingeschnuppert. Das war während meiner Zeit an der Erich-Kästner-Grundschule, dort habe ich aus Neugierde die Arbeitsgemeinschaft von Manfred Kunath besucht. Das hat mein Interesse geweckt und ich habe weiter gemacht.
Du bist mittlerweile aufs Gymnasium gewechselt. Besuchst Du die AG trotzdem weiter?
Ja, ich bin weiter hingegangen und habe im vergangenen Jahr angefangen, die AG an meiner alten Schule als Anleiter zu begleiten. Es macht mir Spaß, Wissen an andere Kinder zu vermitteln.
Hast Du eine Lieblingsbriefmarke?
Interessant finde ich die Blaue Mauritius, sie gilt als bekannteste Briefmarke der Welt. Auf dem Foto halte ich eine Kopie von ihr in der Hand. Originale sind etwa zehn Millionen Euro wert. Ansonsten interessieren mich als Motive Fahrzeuge und Länder. Meine Spezialität sind dreieckige Briefmarken. Und aus meiner Heimat Thailand bekomme ich seltene Marken.
Bist Du auch auf Sammlerbörsen oder -messen unterwegs?
Das würde ich gern machen, aber die sind meistens weiter weg oder während der Schulzeit, so dass mir dazu die Gelegenheit fehlt. Ich würde mich gern mal mit mehreren Sammlern zusammenschließen, um gemeinsam einen Ausflug zu machen.
Die Jugendgruppe der Briefmarkensammlergemeinschaft Cottbus trifft sich während der Schulzeit immer mittwochs 14.15 Uhr in der Erich-Kästner-Grundschule in Cottbus.
Kontakt & Anmeldung: Manfred Kunath, Tel. 0355/711525
Meine Sammelleidenschaft: Mineralien
Der zehnjährige Henry sammelt Mineralien, einige hat er selbst gefunden.
Seit wann sammelst Du Mineralien?
Schon im Kitaalter habe ich mir schöne Steine auf Flohmärkten gekauft, wenn ich welche entdeckt habe. Richtig los ging es mit dem Hobby vor etwa einem Jahr, als ich im Lausitz Center Hoyerswerda das erste Mal auf einer Mineralienbörse war. Dort bekam ich Kontakt zum NATZ und bin dann in diesem Sommer erstmalig bei der Exkursionswoche mitgefahren.
Dort habt ihr Kieswerke und Steinbrüche in Sachsen und Brandenburg besucht und nach Mineralien gesucht. Hat die Suche gelohnt?
Ja, ich konnte meine Sammlung erweitern. Wir haben unter anderem Bernstein, Amethysten, Quarze, Calcit, Jaspis, einen Achat und sogar versteinertes Holz gefunden.
Wir groß ist denn Deine Sammlung mittlerweile?
Ich schätze, dass ich mehr als 50 Mineralien habe, einige habe ich selbst gefunden, andere gekauft oder geschenkt bekommen. Ich habe zu Hause mehrere Kisten und Boxen, wo ich sie aufbewahre und den Fundort und das Datum dokumentiere.
Hast Du ein Lieblingsmineral?
Eigentlich mag ich alle, aber am liebsten die Amethysten. Die halte ich auf dem Foto in der Hand, in der anderen Bernsteine.
Sammelst Du noch andere Dinge?
Wir haben zu Hause eine große Sammlung Meerglas, das sind vom Wasser glatt geschliffene Scherben, davon haben wir ganz viele Formen und Farben. Ich habe lange am Meer gelebt, dort haben wir die gefunden. Außerdem sammle ich noch Lego und Plüschtiere und habe eine Zeit lang Pokémon-Karten gesammelt.
Das Naturwissenschaftlich-Technische Kinder- und Jugendzentrum NATZ in Hoyerswerda bietet jährlich den Mineralien-Sommer mit Exkursionen an. Das Exkursionsprogramm wird im Frühjahr 2024 online gestellt. Anmeldung und Details: www.natz-hoy.de
Meine Sammelleidenschaft: Münzen
Jaromir ist 7 und sammelt neben historischen Münzen Dinge, die noch viel älter sind.
Wie bist Du zum Sammeln von Münzen gekommen?
Ich war letztes Schuljahr auf einem Piratenfest, dort wurden Münzen geprägt, die man sich mit nach Hause nehmen durfte. Das fand ich so spannend, dass ich angefangen habe, Münzen zu sammeln.
Wie viele Münzen hast Du mittlerweile?
In meinem Münzordner, wo ich sie aufbewahre, habe ich schon viele Münzen, davon sind 14 schon sehr alt. Einige habe ich mir in Münzläden oder auf Märkten gekauft. Ulf Lehmann von den Herzberger Münzfreunden hat mir auch schon welche gegeben. Ich habe sogar einen 100 Jahre alten 100.000-Reichsmarkschein.
Hast Du eine Lieblingsmünze?
Ja, das ist meine älteste Münze. Es ist eine französische Münze von 1854. Auf ihr ist das Portrait von Napoleon III. abgebildet.
Sammelst Du noch mehr?
Ja, als ich mit meinen Eltern vor zwei Jahren mal im Naturkunde-Museum in Berlin war, habe ich angefangen Fossilien zu sammeln. Ich habe schon einen versteinerten Mammutzahn, eine versteinerte Koralle und eine große Ammonitplatte. Ich habe sogar schon mal im Sandkasten bei uns auf dem Schulhof eine versteinerte Muschel gefunden.
Gibt es Münzen oder Fossilien, die Du gern noch haben möchtest?
Ja, ich habe im Urlaub in Österreich im Museum mal eine ganz tolle antike Münze gesehen. Die hätte ich gern. Schön wäre es, wenn es einen Verein oder eine Arbeitsgemeinschaft an der Schule geben würde, wo ich mich auch mal mit anderen Kindern austauschen kann.
Jaromir bekam von Ulf Lehmann, dem Vorsitzenden der Herzberger Münzfreunde e.V., viele Hinweise zum Münzensammeln. Eine Jugendgruppe betreut der Verein derzeit nicht. Wer Interesse am Münzensammeln hat, kann sich an Ulf Lehmann wenden: Tel. 0173/8652592. Weitere Informationen: www.herzberger-muenzfreunde.de
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Wegweiser durch den Ratgeber-Dschungel
Wo Sie bei Problemen im Familienalltag Rat und Hilfe finden
Wenn Sie Kinder haben, steht bestimmt mindestens ein Erziehungsratgeber in Ihrem Bücherregal. Selbst wenn Sie dieser Lektüre eher skeptisch gegenüberstehen, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass Ihnen eine gute Freundin, Ihr Bruder oder Jemand anderes, der Ihnen nahe steht, etwas Gutes tun wollte und Ihnen genau jenen Ratgeber geschenkt hat. Es gibt ein paar Klassiker, die seit Generationen gelesen werden und die immer wieder neu aufgelegt werden. Es kommen aber auch jedes Jahr neue Ratgeber und Impulse hinzu, allein beim Verlag Gräfe Unzer mit seiner bekannten GU-Ratgeber-Reihe kommen jährlich knapp ein Dutzend Sachbücher zu den Themen Familie, Partnerschaft und Erziehung neu auf den Markt. Offenbar haben also viele Eltern das Bedürfnis, sich in Büchern Rat zu holen. Das gilt besonders dann, wenn man das erste Kind erwartet. So viele Fragen schwirren der werdenden Mama und dem werdenden Papa im Kopf herum, da können fundierte Ratschläge und bewährte Tipps ein paar Unsicherheiten beseitigen.
Die Themenbreite der Erziehungsratgeber ist so komplex wie die Herausforderungen, vor die Familien gestellt sind: Schlafen und Spielen, Stillen und Geburt, Krankheiten und Körperpflege, Geschwister und Großelternbeziehung, Pubertät und Trotzphase, Behinderung und Fehlgeburt, Paarbeziehung und Trennung, Ernährung und Essgewohnheiten.
Zu jedem dieser einzelnen Aspekte kann man zwischen mehreren Titeln wählen. Doch woran erkennt man einen guten Ratgeber? Ein erster, sehr einfacher Anhaltspunkt kann das Durchlesen der Rezensionen auf gängigen Online-Portalen sein. Wenn das Buch von der besten Freundin geschenkt oder empfohlen wurde, ist das nicht die schlechteste Voraussetzung. Ansonsten kann ein Blick auf den Autor bzw. die Autorin helfen. Ist sie oder er vom Fach, also beispielsweise Kinderarzt, Hebamme, Familienberaterin oder Ernährungsexperte? Einige Erziehungsratgeber werden von Menschen geschrieben, die hauptberuflich als Journalist oder eben Autorin arbeiten. Auch dann kann ein gehaltvolles Buch herauskommen. Übrigens: Fast alle sind selber Mutter oder Vater und können somit schon mal aus ihrem persönlichen Erfahrungsschatz schöpfen. Ein zweites Kriterium ist der Blick auf das Quellen- und Literaturverzeichnis am Ende des Buches. Je umfangreicher dieses ist, desto fundierter ist in der Regel der vorhergehende Inhalt. Wer noch unsicher ist, ob das Buch wirklich das Richtige ist, der kann auf die Internetseite des herausgebenden Verlags schauen. Dort findet man Leseproben zu den Büchern und kann auf ein paar Seiten reinlesen.
Nicht zuletzt werden Sie einen Ratgeber immer dann auswählen, wenn Sie das spezielle Thema interessiert und wenn Sie die Grundhaltung des Buches anspricht. Wer eher auf das Setzen enger Grenzen, auf Belohnen und Bestrafen, auf Konsequenz setzt, der wird wenig anfangen können mit Büchern, die auf „artgerechte“ Erziehung, auf Bindung und Miteinander statt auf Machtkämpfe setzen. Andererseits kann es auch ganz gut sein, sich von anderen Haltungen inspirieren zu lassen, die den eigenen Überzeugungen diametral entgegen stehen.
Braucht man überhaupt Ratgeber, um Kinder großzuziehen? Über den Sinn und Unsinn von Ratgebern kann man lange diskutieren. In jedem Fall bieten sie Inspiration und neue Anregungen, sie können hilfreiche Praxistipps für Dauerbaustellen im Familienalltag geben, sie können vor allem tröstlich für verzweifelte oder erschöpfte Eltern sein: Einfach weil sie zeigen, dass andere Eltern vor genau den gleichen Problemen stehen und weder man selbst irgendetwas falsch gemacht hat noch das Kind nicht richtig funktioniert. Warum Eltern überhaupt Ratgeber lesen und ob sie die rot markierten Ratschläge dann auch umsetzen, beantwortet der Soziologe Christian Zeller in unserem Experteninterview im Anschluss an dieses Titelthema.
Wer dennoch nichts mit Büchern anfangen kann, der kann sich Rat natürlich auch woanders holen: Es gibt mittlerweile jede Menge Internetportale, Blogs und Podcasts zu typischen Elternthemen. Hilfreich sind andere Eltern, weil die oft vor ähnlichen Hürden stehen oder standen und vielleicht schon gute Lösungen gefunden haben, die auch zum eigenen Problem passen. Wer lieber das persönliche Gespräch mit Profis sucht oder so große Probleme hat, dass auch Bücher nicht mehr weiterhelfen, der kann sich an eine Beratungsstelle wenden. Die gibt es in jeden größeren Ort, typische Anbieter sind die Diakonie, die Malteser, das DRK oder die AWO, aber auch freie Träger wie der SIN e.V. oder das Netzwerk Gesunde Kinder in Brandenburg. Kontaktdaten von Beratungsstellen findet man auf der Homepage der Kommune oder des Landkreises. Die Beratung erfolgt in der Regel kostenfrei.
Bevor wir auf den kommenden Seiten einige Erziehungsratgeber vorstellen, wollen wir noch aus einem der international erfolgreichsten Ratgeber zitieren. Das bereits 1946 erstmals erschienene Buch „Säuglings- und Kinderpflege“ des US-amerikanischen Kinderarztes Benjamin Spock gilt in den USA als das meistverkaufte Buch des 20. Jahrhunderts – nach der Bibel. In der Einleitung schreibt Spock: „Vertrauen Sie sich. Sie wissen mehr als Sie glauben. (…) Nehmen Sie nicht alles zu ernst, was die Nachbarn sagen. Lassen Sie sich nicht zu sehr von dem beeindrucken, was die Experten sagen. Fürchten Sie sich nicht, Ihren gesunden Menschenverstand zu gebrauchen.“ Das gilt auch knapp 80 Jahre später noch: Wenn Sie im Dschungel der Erziehungsratgeber nicht weiterwissen, hören Sie auf Ihr Bauchgefühl.
Verlosung: Wir verlosen einige der hier vorgestellten Ratgeber auf unserer Facebook-Seite:
Babypedia: Elterngeld, Elternzeit, Anträge, Finanzen, Rechtsfragen, Ausstattung, Checklisten, Links, Apps, Literatur
von Anne Nina Simoens und Anja Pallasch
Dieses Buch ist kein klassischer Elternratgeber, kann für werdende und junge Eltern aber trotzdem sehr hilfreich sein. Die beiden Autorinnen haben darin alle wichtigen Informationen zusammengefasst, die Eltern für die Zeit der Schwangerschaft, der Geburt und im ersten Babyjahr wissen müssen. Dabei geht es aber weniger darum, was wann im Bauch der Schwangeren passiert und wann das Baby durchschläft. Hier sind stattdessen ganz praktische Informationen aufgeführt rund um Finanzen, Rechtliches und die vielen Behördengänge, die zum Elternwerden in Deutschland leider dazu gehören. Ab wann muss ich mich um eine Hebamme kümmern, wo finde ich den für mich passenden Geburtsvorbereitungskurs, wie sage ich es meinem Arbeitgeber, welche Rechte sind mit Mutterschutz verbunden, was gilt im Falle eines Beschäftigungsverbots? Wo beantrage ich Elterngeld, Kindergeld, die Krankenversicherung fürs Kind und was brauche ich dafür alles? Wie ist das eigentlich mit Vaterschaftsanerkennung und Sorgerecht? Brauchen wir als Eltern bestimmte Versicherungen, welche steuerlichen Aspekte sollten wir berücksichtigen und sollten wir jetzt schon an die Geldanlage für den Nachwuchs denken? Was brauche ich, wenn ich mit dem Kind ins Ausland verreisen will? Brauchen Babys auch schon biometrische Passbilder? Was gehört zur Erstausstattung? Welche Apps erleichtern den Alltag mit Kind? Zwei Kapitel widmen sich den besonderen Fragen von Zwillingseltern und Alleinerziehenden. Die meisten Infos aus dem Buch könnte man sich vermutlich auch im Internet zusammensuchen, aber die Zeit haben junge Eltern selten. Hier haben sie praktischerweise alles kompakt zwischen zwei Buchdeckeln, noch dazu mit Checklisten zum Abhaken.
Paperback, 400 Seiten/ 2023, 10 Euro
ISBN 978-3-442-17564-2
Das große Buch zur Schwangerschaft: Umfassender Rat für jede Woche
von Franz Kainer und Annette Nolden
Dieser Ratgeber ist vor allem für Erstgebärende eine hilfreiche Begleitung durch die Schwangerschaft. Für jede Schwangerschaftswoche wird erklärt, was im Körper der Mama und mit dem Fötus passiert, welche Untersuchungen durch die Hebamme oder die Frauenärztin möglich und notwendig sind. Dazu werden die typischen Untersuchungsmethoden beschrieben und mögliche Ergebnisse verständlich erklärt. Das Buch geht darauf ein, was gegen Übelkeit hilft, welche Komplikationen und Risiken möglich sind und wie sich Frauen am besten auf die Geburt vorbereiten. Es gibt auch Tipps, wann man sich am besten um eine Hebamme kümmert und wann man sich zum Geburtsvorbereitungskurs anmelden sollte. Für Zuhause gibt es einige Schritt-für-Schritt-Anleitungen für Schwangerschaftsgymnastik, Yoga oder Akupressur. Ergänzt wird das Buch um allgemeine Informationen dazu, was Schwangere dürfen und was sie lieber sein lassen sollten – dort geht es um Themen wie Ernährung, Sport, Sonnenbaden und Sex. Abschließend betrachtet ein ganzes Kapitel die wichtigsten Fragen, die sich jungen Eltern nach der Schwangerschaft stellen. Es geht um die Geburt, das Wochenbett und das Stillen. Ein Glossar am Ende erläutert jene Begriffe und Abkürzungen, die werdenden Eltern während der Schwangerschaft beim Arzt oder im Mutterpass begegnen. Der Autor Prof. Dr. Franz Kainer ist Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe. Sein umfangreiches Fachwissen übersetzt die Autorin Annette Nolden in eine leicht verständliche Sprache.
Hardcover, 416 Seiten / 2018, 34 Euro
ISBN 978-3-8338-6380-6
Die selbstbestimmte Geburt: Handbuch für werdende Eltern. Mit Erfahrungsberichten
von Ina May Gaskin und Ursula Fassbender
Rund um die Geburt gibt es unzählige Ratgeber. Dieser hier legt den Fokus auf eine selbstbestimmte Geburt – abseits von Kreißsälen, Wehenmitteln, PDA und Saugglocke. Autorin ist die US-amerikanische Hebamme Ina May Gaskin, die in ihrem Heimatort in Tennesse ein Geburtshaus eröffnet hat, dessen Kaiserschnittrate bei knapp zwei Prozent liegt und damit deutlich unter dem Schnitt amerikanischer, aber auch deutscher Kliniken. Die Autorin ermutigt Frauen dazu, sich und ihrem Körper eine natürliche Geburt zuzutrauen. In 13 Kapiteln geht sie auf einzelne Aspekte der Geburt ein, von der Wehentätigkeit über Gebärhaltungen bis zu möglichen Geburtsrisiken. Zudem enthält das Buch Geburtsberichte von Frauen, die schildern, wie sie ihre selbstbestimmte Geburt erlebt haben. Frauen finden in dem Buch auch Informationen zu Geburtslagen im Mutterleib, zur körperlichen Betätigung während der Geburtsvorbereitung, zu Kaiserschnittentbindungen und zur ersten Zeit nach der Geburt. Sie verdammt nicht per se eine Klinikgeburt, im Gegenteil: Jede Frau soll dort entbinden, wo sie sich am besten aufgehoben fühlt. Aber sie plädiert für eine andere Geburtshilfe in Kliniken – mit weniger ärztlichen Eingriffen und mehr 1-zu-1-Betreuung. Für alle Frauen, die auf selbst- und nicht fremdbestimmte Geburt hoffen – vielleicht sogar zu Hause oder im Geburtshaus – ist das Buch eine tolle Vorbereitung.
Hardcover, 336 Seiten
2021, 22 Euro
ISBN 978-3-466-34769-8
Das Papa-Handbuch: Alles, was Sie wissen müssen zu Schwangerschaft, Geburt und dem ersten Jahr mit Baby
von Robert Richter und Eberhard Schäfer
Mittlerweile gibt es auch einige Erziehungsratgeber, die sich explizit an Männer richten. Wir haben uns für diese Reihe für das Papa-Handbuch entschieden. Es unterstützt werdende Väter dabei, von Anfang an in ihre neue Rolle zu wachsen. Die Autoren, selbst engagierte Väter und beruflich als Paarberater und Sexualtherapeuten mit Männer- und Väterthemen vertraut, geben jungen Vätern Tipps und Hilfen an die Hand: Sie erfahren, wie sie ihre Partnerin während Schwangerschaft und Geburt unterstützen können und wie sie selbst den Übergang vom Vaterwerden zum Vatersein gut meistern. Für die ersten Monate zu dritt gibt es ebenfalls viele Anregungen: Einschlafrituale für das Baby, Spielideen, Tipps für die Badezeit. Ergänzt wird das ganze um bebilderte Anleitungen zum richtige Tragen, Wickeln und Massieren von Säuglingen. Das Buch ermuntert Väter, ihre Rolle als Papa bewusst wahrzunehmen und auszufüllen, ihre Stärken zu sehen (Väter erziehen vielleicht anders, aber nicht schlechter als Mütter), sich gegen gut gemeinte Ratschläge von Müttern in Krabbelgruppen abzuschirmen und ihr Kind nach Herzenslust zu bevatern. Drei Kapitel am Ende des Buches widmen sich den Themen: Paar bleiben, Trennung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf inklusive den Basics zu Elternzeit und Elterngeld. Das Buch wird übrigens auch gern von Frauen gekauft: als Geschenk für ihren Partner.
Hardcover, 240 Seiten
2020, 18,99 Euro
ISBN 978-3-8338-7423-9
Jedes Kind kann schlafen lernen
von Annette Kast-Zahn, Dr. med. Hartmut Morgenroth
Wohl kaum ein Ratgeber in unserer Reihe ist so umstritten und so erfolgreich wie dieser. 1995 erstmals erschienen, wird dieses Buch noch immer nachgefragt, in der derzeit 10. Auflage. Autoren sind die Kinderpsychologin Annette Kast-Zahn und der Kinderarzt Hartmut Morgenroth. Die Beiden stellen in dem Buch die nach einem amerikanischen Arzt benannte Ferbermethode vor, wonach jedes gesunde Kind ab sechs Monaten das selbständige Einschlafen und Durchschlafen lernen könne. Vereinfacht geht es darum, das Kind müde aber allein ins Bett zu legen und dann das Zimmer zu verlassen. Wenn es anfängt zu weinen, gehen die Eltern kurz zurück um es zu beruhigen, verlassen dann aber wieder das Zimmer. Die Zeiträume, in denen das Kind allein bleibt und schreit, werden immer länger, bis es irgendwann eingeschlafen ist. Erste Erfolge zeigen sich nach wenigen Tagen. Während einige Eltern auf die Methode schwören, verurteilen andere sie als herzlos und brutal. Aber – und das betonen auch die Autoren: Wer das sich und seinem Kind nicht antun möchte, der sollte diese Methode nicht durchführen. Wer sein Kind gern abends in den Schlaf schaukelt und nachts tröstet, braucht dieses Buch nicht. Für jene Eltern aber, die sich endlich wieder nach mehr als zwei Stunden Schlaf am Stück sehnen und die wirklich nervlich am Ende sind, für diese Eltern kann die Methode ein Segen sein. Darüber hinaus bietet das Buch wissenschaftlich fundierte Aussagen rund um das Thema Schlaf bei Babys und Kindern, inklusive Erklärungen zu typischen Schlafproblemen wie Nachtschreck, Schlafwandeln und Alpträumen.
Hardcover, 177 Seiten
2013, 19,99 Euro
ISBN 978-3-8338-3618-3
Schlaf gut, Baby! Der sanfte Weg zu ruhigen Nächten
von Herbert Renz-Polster und Nora Imlau
Das Buch ist eine Gegenrede zum Titel „Jedes Kind kann schlafen lernen“. Es argumentiert anhand wissenschaftlicher Fakten, warum das Schlaftraining nach der Ferbermethode für Babys und Kleinkinder ungeeignet sei. Dazu wird zunächst erläutert, dass Nähe und Geborgenheit zu den Grundbedürfnissen von Säuglingen gehören. Und genau diese Bedürfnisse wollen sie auch nachts erfüllt bekommen – oft genug zum Preis von Augenringen und totaler Erschöpfung. Der Ratgeber öffnet eine neue Perspektive auf den Schlaf von Kindern. Das Autorenteam räumt Mythen und Ängste rund um den Kinderschlaf von 0 bis 6 Jahren aus dem Weg und plädiert für eine entwicklungsgerechte, individuelle Wahrnehmung des Kindes – fernab von starren Regeln und Schlaftrainings. Das Buch kann weniger mit handfesten Tipps dienen, wie Kinder besser ein- und durchschlafen, aber es macht Eltern Mut, indem es zeigt: Wir sind nicht allein, der Weg ist anstrengend, aber es tut unserem Kind gut, wenn wir seinem Bedürfnis nach Nähe nachkommen. Der im Titel versprochene „Sanfte Weg zu ruhigen Nächten“ wird mit solchen Strategien eingelöst, welche die meisten Eltern schon kennen dürften: Tagsüber viel Bewegung an der frischen Luft, keine Bildschirm-Medien kurz vor dem Schlafengehen, eine ruhige Schlafumgebung und viel Nähe schon tagsüber. Ein Kapitel widmet sich übrigens dem Familienbett mit all seinen Vorteilen. Außerdem gibt es Informationen zum plötzlichen Kindstod.
Hardcover, 224 Seiten
2022, 19,99 Euro
ISBN 978-3-8338-8696-6
Mein Schreibaby verstehen und begleiten: Der geborgene Weg für High Need Babys
von Susanne Mierau und Anja Constance Gaca
Eltern, deren Baby viel schreit, finden in diesem Buch einen hilfreichen Ratgeber. Zum einen ist es tröstlich, weil die Eltern hier erfahren: Es geht auch anderen Eltern so, nicht nur unser Baby schreit so viel. Zudem beantwortet es die Frage: Warum schreit mein Baby so viel und was kann ich dagegen tun? Der erste Teil vermittelt mehr theoretisches Wissen und erklärt mögliche Ursachen für vermehrtes Schreien und Weinen. Die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich, sie reichen von Regulationsstörungen über Hochsensibilität bis hin zu organischen Ursachen und Traumata während der Geburt. Diese Babys haben besonders starke Bedürfnisse: Sie weinen oder schreien viel, lassen sich kaum ablegen und können nur im Körperkontakt mit ihren Eltern schlafen. Solche 24-Stunden-Babys sind für die Eltern eine echte Herausforderung. Im Praxisteil des Ratgebers bekommen sie praktische Alltagstipps, wie sie ihr Kind mit seinen Anliegen annehmen und unter den erschwerten Bedingungen eine gute Bindung aufbauen können. Großes Gewicht wird dabei darauf gelegt, dass sich die Mütter auch mal um sich selber kümmern und Aufgaben an den Partner, die Großeltern, Freunde und Nachbarn delegieren. Den Ratgeber können übrigens alle Eltern mit Neugeborenen lesen – unabhängig davon, wie oft und wie lange das eigene Kind schreit. Denn er hilft, die Bedürfnisse von Babys zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren.
Paperback, 128 Seiten
2018, 14,99 Euro
ISBN 978-3-8338-6558-9
Babyjahre: Entwicklung und Erziehung in den ersten vier Jahren
von Remo H. Largo
1993 erstmals erschienen, gilt das Buch des renommierten Schweizer Kinderarztes Remo H. Largo heute als Standardwerk. Es ist ein Erziehungsbuch für die ersten vier Lebensjahre, in dem es die wichtigsten Entwicklungsschritte erläutert und Eltern somit an die Bedürfnisse ihrer Kinder heranführt. Dem Autor gelingt es einerseits, die Entwicklungsstadien inklusive der Normvorstellungen darzustellen, andererseits aber zu verdeutlichen, dass jedes Kind einzigartig ist und in seiner Individualität von den Eltern angenommen werden sollte. Eltern können also entspannt bleiben, wenn ihr Kind noch nicht krabbelt, obwohl das zwei Monate jüngere Nachbarsmädchen längst mobil ist. Die einzelnen Entwicklungsschritte, die jedes Kind früher oder später durchlebt, werden mit Grafiken veranschaulicht. Die Schaubilder beruhen auf den Daten der Zürcher Longitudinalstudien, in denen die Entwicklung von der Geburt bis ins Erwachsenenalter bei mehr als 700 Kindern ausführlich untersucht worden ist. Sie sollen verdeutlichen, wie groß die Vielfalt in allen Entwicklungsbereichen ist und dass Normvorstellungen den Kindern daher nicht entsprechen können. In einzelnen Kapiteln handelt Largo die unterschiedlichen Entwicklungsbereiche ab: Schreien, Schlafen, Bewegung, Spielen, Ernährung, Wachstum, Trockenwerden und Beziehungen. Im Anhang am Ende des Buches finden Eltern einige praktische Tools wie Gewichts- und Längenkurven, Meilensteine in der Entwicklung von Kindern und ein Schlafprotokoll.
Paperback, 576 Seiten
2019, 18 Euro
ISBN 978-3-492-30684-3
Oje, ich wachse
von Hetty van de Rijt, Frans X. Plooij und Xaviera Plooij
Mit einer Million verkauften Exemplaren im deutschsprachigen Raum ist „Oje, ich wachse!“ einer der Klassiker unter den Erziehungsratgebern. Die renommierten Entwicklungspsychologen Dr. Hetty van de Rijt und Dr. Frans X. Plooij fanden heraus, dass jedes Baby in den ersten anderthalb Lebensjahren zehn große Sprünge in seiner geistigen Entwicklung durchlebt und dass diese aufregenden, doch oft als Krisenzeiten erlebten Wachstumsphasen immer dem gleichen Rhythmus folgen. In diesem Buch haben sie ihre Erkenntnisse leicht verständlich aufgeschrieben. In diesen Sprüngen lernen Kinder beispielsweise Sinneseindrücke zu verarbeiten, Muster zu erkennen, Reihenfolgen und Kategorien zu begreifen. Die große Herausforderung für Eltern besteht darin, dass die Sprünge fast immer mit einer „schwierigen“ Phase einhergehen, in der das Kind sehr weinerlich ist oder viel schreit. Aber allein das Wissen, dass diese Phase mit einem Entwicklungsschritt einhergeht und eben nur eine Phase ist, kann schon sehr tröstlich sein. Eltern sollten sich nicht verunsichern lassen, wenn ihr Kind nicht in dem vorgegebenen Zeitraum eben jenen Sprung macht oder bestimmte Dinge erst später kann. Ein Bonus für Eltern sind die Entdeckungslisten, Übungen und der persönliche Sprünge-Kalender zum Ausfüllen. So können Eltern die Welt durch die Augen ihres Babys entdecken und für später dokumentieren.
Paperback, 448 Seiten
2019, 12 Euro
ISBN 978-3-442-17823-0
Breifrei für Babys
von Lena Merz und Annina Schäflein
Während die heutige Elterngeneration noch klassisch mit Brei aufgewachsen ist, gibt es seit einigen Jahren einen gegenläufigen Trend: Baby-led weaning – breifrei für Babys. Dabei bekommen Babys keinen Brei vorgesetzt, sondern entscheiden aus verschiedenen Angeboten selbst, was sie brauchen und was ihnen schmeckt. Das können Waffeln, Bratlinge oder Brot sein. Wer das ausprobieren möchte oder damit schon gute Erfahrungen gemacht hat, findet in diesem Buch die Breifrei-Grundlagen und die passenden Rezepte. Das Buch begleitet die babygeleitete Entwöhnung von der Brust bzw. Flasche und die schrittweise Einführung der Beikost. Dabei verzichtet die Methode bewusst auf starre Ernährungspläne und richtet sich stattdessen nach den Bedürfnissen des Kindes. Die Rezepte vereinen den elterlichen Wunsch nach gesunder Ernährung mit der kindlichen Neugier auf neue Lebensmittel, die sie auch gern anfassen und selbst in den Mund führen wollen. Die Rezepte sind so ausgewählt, dass Baby, Eltern und eventuell ältere Geschwister sie gemeinsam essen können. Jedes Rezept ist mit einem Foto sowie Angaben zu den Portionen, der Zubereitungszeit und den Kalorien versehen. Außerdem gibt es viele zuckerfreie Alternativen zu den bei Kids beliebten Klassikern wie Schokoladenaufstrich, Milchreis und Muffins. Da Eltern von Babys nicht täglich Zeit zum Frischkochen haben, lassen sich bei den meisten Rezepten größere Mengen zubereiten und für später einfrieren. Die Autorinnen beschäftigen sich schon viele Jahre mit breifreier Babykost und führen einen eigenen Blog zum Thema.
Paperback, 64 Seiten
2020, 11,99 Euro
ISBN 978-3-8338-7365-2
Wenn der Rotz läuft und der Pups drückt. Kindermedizin jetzt verständlich
von Vitor Gatinho
Wer dem Kinderarzt und Vater Dr. med. Vitor Gatinho bereits auf Instagram folgt oder regelmäßig seinen Podcast hört, wird dieses Buch lieben. Aber auch alle Eltern, die ihn bisher nicht kennen, werden mit dem Ratgeber viel Freude haben. Darin vermittelt er humorvoll und alltagsnah Tipps und Studienergebnisse für den Alltag mit Baby und Kleinkind, immer mit dem Fokus auf Kindergesundheit. Er erklärt typische Wehwehchen und Kinderkrankheiten leicht verständlich und verzichtet auf Ärzte-Latein. Die behandelten Themen reichen vom Durchschlafen über das Stillen und den ersten Brei bis hin zur Verdauung und dem, was in der Windel landet. Es geht um Zahn- und Hautpflege, um die sprachliche und motorische Entwicklung von Kindern. Ein Kapitel widmet sich typischen Kinderkrankheiten. Dort erfahren Eltern, wann sie einen Kinderarzt aufsuchen sollten, was in die Hausapotheke gehört und wie sie Erste Hilfe leisten können. Besonders geeignet ist der Ratgeber für werdende Eltern und für Paare mit Kindern zwischen 0 und 3 Jahren. Wer nach der Lektüre neugierig geworden ist auf den sympathischen Kinderarzt, kann sich seinen 500.000 Followern auf Instagram anschließen. Dort liefert er unter dem Namen @kids.doc.de aktuelle Infos und Ratschläge und beantwortet regelmäßig die Fragen von Eltern.
Paperback, 256 Seiten
2022, 19,99 Euro
ISBN 978-3-8338-8363-7
Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn. Der entspannte Weg durch Trotzphasen
von Danielle Graf und Katja Seide
Ihr Kind will auch nie ins Bett? Und Treppen laufen kommt erst recht nicht infrage? Statt selbst Tobsuchtsanfälle zu kriegen, lesen Eltern lieber dieses Buch. Es richtet sich an Eltern von Kleinkindern im Alter zwischen 1 und 4 Jahren. Das Trotzalter ist die erste heiße Phase im Leben mit dem Nachwuchs. Kaum steht es auf seinen eigenen Beinen, beginnt das Kind nach Autonomie zu streben. Der kleine Sonnenschein wird zum tellerwerfenden Wutmonster und verunsichert seine Eltern zutiefst. Die Autorinnen des erfolgreichen www.gewuenschtestes-wunschkind.de zeigen, wie man in diesen Fällen die eigenen Nerven beruhigt und das Kind gleich mit. Sie machen Mut, Wege abseits der klassischen Erziehung mit festen Grenzen und strenger Konsequenz zu gehen. Sie erklären, was in den Kindern vorgeht, welche Entwicklungen das kindliche Gehirn durchmacht und warum Trotzphasen wichtige Entwicklungsphasen sind, die Eltern aktiv annehmen sollten, statt sie zu unterdrücken. Die witzig-persönlichen Erfahrungsberichte dürften vielen Eltern aus dem eigenen Familienalltag bekannt vorkommen. Dazu gibt es praktische Tipps für typische Stresssituationen wie das Drama beim Einschlafen oder Anziehen. Mittlerweile hat das Autorinnen-Duo weitere Bände für die Babyzeit, das Alter zwischen 5 und 10 sowie für Geschwisterthemen herausgebracht.
Paperback, 292 Seiten
2022, 20 Euro
ISBN 978-3-407-86422-2
Erziehen ohne Schimpfen: Alltagsstrategien für eine artgerechte Erziehung
von Nicola Schmidt
Der Buchtitel klingt vielversprechend, oder? Haben Sie das Gefühl, Sie schimpfen zu oft mit Ihren Kindern? Oder haben die Kinder das Gefühl, dass Mama und Papa zu oft schimpfen? Dann könnte ein Blick in diesen Ratgeber lohnen. Die Sozialwissenschaftlerin Nicola Schmidt, die schon mehrere Erziehungsratgeber in die Beststeller-Listen katapultiert hat, weiß: Ratschläge wie „Statt auszuflippen, zählen Sie ruhig bis zehn!“ helfen den wenigsten Eltern, wenn sie mal wieder auf 180 sind. Doch bevor sie andere mögliche Strategien an die Hand gibt, erläutert sie mit Hilfe der Hirnforschung, warum wir wütend werden, aber auch, was häufiges Schimpfen, Schreien, Meckern und Bestrafen mit Kindern macht. Und da ist die Forschung sehr eindeutig: Weder hören die Kinder besser, noch halten sie sich deswegen an Regeln und Verbote. Stattdessen setzt Schimpfen und Strafen Kinder unter Druck, löst Stress in ihnen aus und führt zu „schwierigem“ Verhalten. Die Autorin zeigt im Buch Strategien auf, wie es anders geht und gibt konkrete Ideen für typische Stresssituationen im Familienalltag: Zähneputzen, Anziehen, Zimmer aufräumen, ins Bett gehen, den Spielplatz verlassen. Denn sie ist überzeugt: Eltern können klare Ansagen machen und gleichzeitig empathisch und liebevoll mit ihren Kindern bleiben. Dabei helfen kreative Ideen zur Konfliktlösung, Entlastungstricks für den Familienalltag und Mini-Übungen zur Selbstfürsorge. Wer nach der Lektüre Lust bekommen hat und die vorgestellten Strategien ausprobieren will, kann eine 21-Tage-Challenge wagen: Drei Wochen wird nicht geschimpft.
Paperback, 176 Seiten
2019, 19,99 Euro
ISBN 978-3-8338-6856-6
Der Elternkompass: Was ist wirklich gut für mein Kind? Alle wissenschaftlichen Studien ausgewertet
von Nicola Schmidt
Das Bauchgefühl ist schon mal eine gute Möglichkeit, wenn man beim Kindergroßziehen vor Herausforderungen steht. Wer seinem Bauchgefühl nicht so recht traut oder sich von den gut gemeinten Ratschlägen von Oma und Opa, Kitaerzieher und Grundschullehrerin nicht abgeholt fühlt, dem könnte dieser Ratgeber weiterhelfen. Die Wissenschaftsjournalistin Nicola Schmidt hat mehr als 900 wissenschaftliche Studien um typische Familienthemen gelesen und ausgewertet. Sie räumt auf mit Mythen, Irrtümern und Ammenmärchen und filtert heraus, was wirklich wichtig ist, um gesunde, respektvolle und glückliche Kinder großzuziehen. Im Ergebnis beantwortet sie die wichtigsten Fragen, vor denen Eltern von Kindern zwischen 0 und 10 Jahren stehen: Wie oft sollte man ein Baby stillen? In welchem Alter kann ich das Kind in die Kita geben? Braucht mein Kind ein Töpfchentraining oder zeigt es mir von sich aus an, wann es trocken werden will? Wie viel sollte ein Kleinkind täglich essen? Schaden digitale Medien Kindern? Sollten Kinder teilen können? Wie sinnvoll sind Hausaufgaben? Außerdem schaut die Autorin bei ausgewählten Themen auf andere Kulturen: Manche Völker tragen ihre Babys fast ständig bei sich, andere stillen Babys alle 15 Minuten. Da der Elternkompass auf vielen wissenschaftlichen Studien beruht, findet sich am Ende ein sehr umfangreiches Literaturverzeichnis für jene Eltern, die es noch etwas genauer wissen wollen.
Hardcover, 304 Seiten
2020, 25 Euro
ISBN 978-3-8338-7526-7
Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen: (und deine Kinder werden froh sein, wenn du es gelesen hast)
von Philippa Perry
Dieser Ratgeber bringt Eltern (und auch Nicht-Eltern) dazu, sich mit den Erfahrungen aus ihrer Kindheit auseinanderzusetzen und zu schauen, wie sie das heute beeinflusst. Vermutlich wissen das viele Eltern schon unbewusst, weil sie beispielsweise ihre eigene Mutter oder den Vater heraushören, wenn sie mit ihren Kindern schimpfen. Sie machen genau das, was sie in ihrer Kindheit gestört hat, was sie aber über die Jahre verinnerlicht und übernommen haben. Die Autorin, die Psychotherapeutin Philippa Perry, erklärt, worauf es zwischen Eltern und Kindern wirklich ankommt. Sie verrät, wie wir schmerzliche Erfahrungen aus der eigenen Kindheit an unsere Kinder weitergeben und wie wir sie heilen können. Dazu gibt es in jedem Kapitel praktische Übungen, die meist mit einer Reise in die Vergangenheit beginnen. Zudem arbeitet sie viel mit Beispielsituationen aus ihrer Arbeit als Psychotherapeutin, die Anregungen für den eigenen Alltag mit Kind bieten. Ihre Überzeugung lautet: Wenn wir uns bewusst machen, dass unsere eigene Erziehung auch das Verhältnis zu unseren Kindern beeinflusst, können wir aus Fehlern lernen – und sie wiedergutmachen. Sie gibt Ratschläge, wie Eltern aus negativen Verhaltensmustern (z.B. Schimpfen) ausbrechen und mit impulsiven Gefühlen wie Wut umgehen können. Je nachdem, welches Alter die Kinder haben, kann man auch auszugsweise lesen und sich das passende Kapitel heraussuchen.
Paperback, 320 Seiten
2021, 13,99 Euro
ISBN 978-3-548-06459-8
Simplicity Parenting. Weniger ist mehr – Was Kinder wirklich brauchen, um ausgeglichen, glücklich und rundum geborgen aufzuwachsen
von Kim John Payne
Haben Sie den Eindruck, dass das Kinderzimmer Ihres Nachwuchs‘ zu voll ist. Zu viel Spielzeug, zu viel Kleidung, zu viele Bücher? Dann lohnt ein Blick in dieses Buch. Autor ist der Pädagoge und Erziehungsberater Kim John Payne, der lange in den USA und England mit sogenannten schwierigen Kindern gearbeitet hat. Immer öfter stellte er die Diagnose einer Aufmerksamkeitsstörung. Also hat er Nachforschungen angestellt, woran das liegen könnte, dass so viele Kinder (in den USA und England) mit psychischen Problemen kämpfen. Die Ergebnisse hat er in diesem Buch zusammengefasst, dessen Kernaussage sich schon im Titel findet: Weniger ist mehr. Payne ist ein Verfechter des Minimalismus. Und der fängt im Kinderzimmer an. Er plädiert dafür, die Zahl der Bücher, der Puzzle, der Puppen, der Spielzeugautos radikal zu reduzieren. Ein Zuviel diagnostiziert der Autor auch in der Freizeit von Familien: Zu viele Hobbys und Termine führen zu Freizeitstress. Wie gut hier Entschleunigung tun kann, hat die Corona-Pandemie gezeigt. Das Buch zeigt Strategien auf, wie der Familienalltag wieder entschleunigt werden kann, wie man etwas Tempo rausnehmen kann, wie man das Zuviel an Dingen, Auswahl und Information reduzieren kann. Der Lohn sind Kinder, die Selbstwirksamkeit, Selbstvertrauen, Gelassenheit und innere Stärke entwickeln. Viele der vorgestellten Ansätze wurzeln in der Waldorf-Pädagogik. Wer die zu schätzen weiß, wird sich auch mit diesem Buch gut aufgehoben fühlen.
Paperback, 368 Seiten
2020, 11,99 Euro
ISBN 978-3-453-60532-9
Menschenkinder: Artgerechte Erziehung – was unser Nachwuchs wirklich braucht
von Herbert Renz-Polster
Dieses Buch gehört zu jenen Ratgeber, die Erziehungsratgeber prinzipiell in Frage stellen. Denn – so die Kritik – darin würde nur aufgezeigt, was Kinder in unserer Leistungsgesellschaft angeblich alles können müssen und unbedingt brauchen. Das aber helfe weder Kindern noch Eltern weiter, sondern setzt beide nur unter Druck. Was also brauchen Kinder wirklich? Eine Umgebung, die zu ihren Bedürfnissen passt, denn diese haben sich in den letzten Jahrtausenden kaum verändert. Der Kinderarzt und vierfache Vater Herbert Renz-Polster erläutert zunächst das biologische Urprogramm von Kindern. Denn wenngleich wir nicht mehr in Höhlen leben, kommen Kinder mit uralten Bedürfnissen und Erwartungen auf die Welt. Und eines der wichtigsten ist zunächst Nähe. Der Autor möchte Eltern ermutigen, mehr auf die Bedürfnisse ihres Kindes zu achten, statt auf die Vorschläge der neuesten Ratgeber. Das Buch will eben nicht die neuste Anleitung zur Kindererziehung bieten, sondern eine neue Perspektive auf Kinder. Es unterstützt Familien, die gerne mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen möchten. Es nimmt die Angst vor Bildungslücken und ermutigt Abstand zu nehmen von immer neuen Förderprogrammen. Stattdessen gibt es Anregungen zur „artgerechten“ Erziehung. Wem diese Idee gefällt, der kann zusätzlich den Ratgeber „artgerecht“ von Nicola Schmidt zur Hand nehmen.
Hardcover, 256 Seiten
2018, 18 Euro
ISBN 978-3-466-31068-5
101 Dinge, die in keinem Elternratgeber stehen! … obwohl sie so wichtig, witzig und wunderbar wohltuend sind!
von Silke Schröckert
Dieser Ratgeber warnt indirekt vor Elternratgebern, weil sie nicht wirklich auf das echte Leben mit Kindern vorbereiten. Weil sie mit solchen Aussagen (werdende) Eltern eher verunsichern: In der 16. Schwangerschaftswoche ist das Baby so groß wie eine Avocado, zur Erstausstattung gehören fünf Bodys, die Presswehen dauern 30 Minuten und eine Kita-Eingewöhnung drei Wochen. Die Autorin, Journalistin und zweifache Mutter, weiß aus eigener Erfahrung, dass es mit Kindern sowieso anders kommt. Der Ratgeber, der vor allem für Erstgebärende und frisch gebackene Mamas gut geeignet ist, kommt nicht mit wissenschaftlichen Studien und Fakten daher, sondern mit praktischen Erfahrungen, die unterhaltsam und kurzweilig erzählt werden. Die meisten der 101 Fakten werden auf einer Seite abgehandelt. Dazu gehören beispielsweise: Den Geburtsschmerz kann man nicht wegatmen. Die Hälfte der Erstausstattung wird man nie brauchen. Der Ratschlag: „Schlaf doch einfach, wenn dein Kind schläft“ ist ziemlicher Quatsch. Das gilt auch für die Regel: Gegessen wird, was auf den Tisch kommt. Durch die gute Gliederung kann man im Buch springen und sich jene Alltagstipps raussuchen, die man gerade braucht. Die schönste und tröstlichste Regel ist die letzte im Buch: Egal was du machst und wie du es machst und an welche Ratgeber du dich hältst: Du bist die beste Mama der Welt und das kann niemand so schön formulieren wie der eigene Nachwuchs, um abschließend direkt aus dem Buch zu zitieren: „Wenn ich groß bin, möchte ich dich heiraten.“
Paperback, 187 Seiten
2021, 16,95 Euro
ISBN 978-3-982-29922-8
Das Wochenbett: Alles über diesen wunderschönen Ausnahmezustand. Für Mütter und Väter
von Loretta Stern und Anja Constance Gaca
Dieses Buch richtet sich an Neumamas und explizit auch an Neupapas. Es beschreibt ausführlich die aufregende, anstrengende und oft kräftezehrende Zeit des Wochenbetts. Das sind die ersten etwa sechs bis acht Wochen nach der Geburt, in denen sich die Frau von der Geburt erholt und die kleine Familie zueinanderfindet. Das Buch gliedert sich in drei Teile, wobei der Mittelteil jede Menge praktischer Informationen für die erste Zeit mit Baby erhält: Was braucht der kleine Erdenbürger jetzt, welche Ausstattung, welche Körperpflege? Was muss ich zum Stillen wissen? Was braucht die Familie, wie findet jeder seine neue Rolle? Welche Ernährung tut der Mutter gut (hier gibt es gleich ein paar Rezepte dazu) und wie geht man am besten mit dem zahlreich angemeldeten Besuch um? Die anderen beiden Teile richten sich gezielt an die Eltern, einer an die Mütter und einer an die Väter. Es gibt praktische Tipps, wie sie das möglicherweise schwierige Geburtserlebnis verarbeiten, wie sie das Stillen unterstützten können und wie sie dafür sorgen können, dass sie nicht nur Eltern werden, sondern ein Paar bleiben. Für die Frauen gibt es Ratschläge zur Körperpflege während des Wochenbetts und zur passenden Kleidung. Es wird erläutert, welche hormonellen Umstellungen passieren und was diese bewirken. Mit all diesen Infos ist das Buch in seiner Kompaktheit für Schwangere und junge Eltern geeignet.
Paperback, 176 Seiten
2020, 17 Euro
ISBN 978-3-466-31069-2
Intuitives Stillen: Einfach und entspannt – Dem eigenen Gefühl vertrauen – Die Beziehung zum Baby stärken
von Regine Gresens und Wolf Lütje
Stillen gilt als optimaler Start ins Leben – für Mutter und Kind. Nicht aber immer klappt es so, wie sich die Mütter das vorher erhofft hatten. Dieser Ratgeber will eine Handreichung sein für jene, die unbedingt stillen wollen und noch Tipps brauchen, aber auch für jene, die Startschwierigkeiten mit dem Stillen haben. Die Autorin ist Hebamme und gibt Tipps, wie sich Mütter schon vor der Geburt auf das Stillen vorbereiten können, wie noch im Kreißsaal das erste Anlegen gelingt, welche Stillhaltungen es gibt. Sie plädiert für ein Stillhaltung, die mit der Schwerkraft arbeitet statt dagegen. Zudem setzt intuitives Stillen auf die angeborenen Reflexe des Babys und das Bauchgefühl der Mutter. Außerdem erklärt sie, warum Stillen so wichtig ist, wie Muttermilch zusammengesetzt ist und warum sie sich in den ersten Tagen und Wochen nach der Geburt verändert. Sie geht darauf ein, welche Probleme beim Stillen auftreten können und was dagegen hilft. Auf diese Art lassen sich viele Stillprobleme beheben oder gleich vermeiden. Sympathisch ist, dass die Autorin trotz ihres Plädoyers für intuitives Stillen jene Mütter nicht verurteilt, die ihr Kind nicht stillen können oder wollen oder die nach ein paar Wochen entnervt aufgeben. Gleichwohl betont sie natürlich die Vorteile, die das Stillen für beide bringt und zeigt auch die Risiken auf, die mit nicht-Stillen einhergehen.
Paperback, 160 Seiten
2016, 16 Euro
ISBN 978-3-466-31061-6
Chill mal! Am Ende der Geduld ist noch viel Pubertät übrig
von Matthias Jung
Ihr Kind ist in der Pubertät oder kurz davor? Herzlichen Glückwunsch! Dieses Buch kann Ihnen durch die schwere Zeit helfen. Schon zu Beginn des Buches macht der Autor anschaulich klar, was Eltern mit pubertierenden Kindern bevorsteht: „Eine Umfrage im Bekanntenkreis hat ergeben, dass 90 Prozent der Befragten lieber in eine Privatinsolvenz gehen würden, als die Pubertät ihres Kindes noch einmal durchzustehen. Zwei Väter haben ernsthaft behauptet, eher eine Niere spenden zu wollen, als diese Phase noch einmal mitmachen zu müssen.“ Woran das liegen könnte, schildert der Pädagoge und Comedian Matthias Jung sehr unterhaltsam in seinem Buch. In einzelnen Kapiteln geht der Autor auf Themen wie körperliche und hormonelle Veränderungen, auf Schule und Hobbys, auf Handy und Familie ein. Er schildert hitzige Diskussionen über Schule, Zimmeraufräumen, Helfen im Haushalt. Er erklärt, warum das Kind auf einmal so maulfaul wird. Er zeigt auf, warum WhatsApp überlebenswichtig ist – und Hygiene überschätzt, jedenfalls aus der Sicht der Teenager. Man muss lernen loszulassen, so Jung, am liebsten die Kreditkarte. Das Buch kombiniert wissenschaftliche Erkenntnisse mit persönlichen Erfahrungen und Humor. Der ist es auch – neben reichlich Geduld – der Eltern die Pubertät irgendwie überstehen lässt. Denn, erstens: Wir müssen uns irgendwann von den Kindern abnabeln (so wie sie sich von uns) und zweitens: Irgendwann hört die Pubertät wieder auf.
Paperback, 224 Seiten
2018, 17,95 Euro
ISBN 978-3-841-90609-0
Pubertät – wenn Erziehen nicht mehr geht: Gelassen durch stürmische Zeiten
von Jesper Juul
Der zweite Ratgeber für die heiße Phase der Pubertät stammt von der dänischen Erziehungskoryphäe Jesper Juul. Er nähert sich dem Thema weniger humorvoll, eher wissenschaftlich und sachlich, aber mit ebenso viel Empathie und Verständnis für die Jugendlichen und ihre Eltern. Da Erziehung ab etwa zwölf Jahren in seinen Augen nicht mehr möglich ist, bleibt für ihn das A und O: Kommunikation und Beziehung. Den Eltern kommt in diesem Alter eine neue, aber ebenso wichtige Rolle zu: Sie müssen für ihr großes Kind da sein und ihm zeigen, dass es so gut ist, wie es ist. Was es nicht braucht, sind Vorhaltungen und Kritik. Da erziehen nicht mehr hilft, sind Strafen ebenso nutzlos. In drei großen Kapiteln gibt Juul Anregungen, was stattdessen hilft. Zunächst erläutert er, wie sich Jugendliche in der Pubertät verändern und damit auch unsere Beziehung zu ihnen. Kinder brauchen in diesem Alter mehr Verständnis und Begleitung und nur noch selten Grenzen und Präsenz. Der zweite Teil stellt in Briefform typische Konflikte mit Pubertierenden und mögliche Lösungsansätze dar. Der dritte Teil zeichnet zehn Workshops mit Familien nach, die 2009 im von Jesper Juul initiierten Familylab stattfanden. Auch hier finden sich einige praktische Tipps. Wer den Ratgeber lesen will, fängt am besten schon in der Vorpubertät an, also bevor es wirklich zu spät ist zum Erziehen.
Paperback, 224 Seiten
2020, 12 Euro
ISBN 978-3-328-10558-9
Tutu oder Bolzplatz?
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So findet Ihr Kind den passenden Sportverein
27 Millionen Menschen in Deutschland sind Mitglied in einem Sportverein, das ist jeder dritte Deutsche. Besonders hoch ist der Anteil bei den Kindern: Zwei von drei Kindern im Alter zwischen 7 und 14 Jahren sind im Sportverein und damit doppelt so viele wie in der Gesamtbevölkerung. Die mit Abstand mitgliederstärksten Sportverbände und damit die beliebtesten Sportarten sind Fußball und Turnen.
Ein Drittel der Gesamtbevölkerung, zwei Drittel der 7- bis 14-Jährigen und die Hälfte der Jugendlichen sind im Sportverein. Quellen: Destatis 2021, DOSB Bestandserhebung 2022, eigene Berechnungen
Sporttreiben im Verein
Für die Studie „Jugend in Brandenburg“ werden seit 1991 Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren befragt, dabei geht es auch um ihre sportlichen Aktivitäten. Bis zur 2017er-Studie waren etwa drei Viertel aller Jugendlichen mindestens ein Mal pro Woche in ihrer Freizeit sportlich aktiv. Im ersten Corona-Jahr 2020 waren es nur noch gut 60 Prozent, was einem Rückgang um 15 Prozentpunkte entspricht. Mitglied in einem Sportverein sind gut 40 Prozent der Befragten.
Neben dem Alter gibt es weitere Faktoren, die beeinflussen, wie sportlich Kinder sind. Studien zeigen, dass Kinder häufiger Sport treiben, wenn auch die Eltern sportlich aktiv sind. Jungs treiben tendenziell mehr und häufiger Sport als Mädchen. Zudem gibt es einen statistischen Zusammenhang zwischen Bildungsniveau des Elternhauses und sportlicher Aktivität: Demnach sind Kinder aus bildungsstarken Familien häufiger im Sportverein.
Nachdem der Anteil der sportlich aktiven Jugendlichen von 2005 bis 2017 stetig anstieg, schränkte Corona die Aktivitäten deutlich ein. Ob die Corona-Delle mittlerweile überwunden ist, wird die nächste Erhebung zeigen. Quelle: Studie Jugend in Brandenburg, Angaben in Prozent
Vereinssport stärkt das Gemeinschaftsgefühl und gibt Selbstvertrauen. links © VR Bank Lausitz eG, recht © Steve Seifert, Cottbuser Ostseesportverein
Warum Sport so wichtig ist
Ein Grund dafür könnte sein, dass sie um die Bedeutung von Sport für die Gesundheit wissen. Zahlreiche moderne Volksleiden werden dem Bewegungsmangel zugeschrieben. Wer sich zu wenig bewegt, hat ein erhöhtes Risiko für Übergewicht, Herz-Kreislaufprobleme, Diabetes und Bluthochdruck. Haltungsschäden und Rückenschmerzen können dazu kommen. Die zunehmende Verbreitung von Allergien und Diabetes Typ II schon bei Kindern wird ebenfalls auf unseren modernen, bewegungsarmen Lebensstil zurückgeführt. Kinder, die kaum draußen rennen, hüpfen, balancieren, sind motorisch unsicherer als Altersgenossen, die genau das tun. Ihr Risiko für Unfälle steigt. Deswegen ist es wichtig, dass Eltern ihrem Nachwuchs etwas zutrauen: Ihn allein und ohne stützende Hand über die Mauer balancieren oder aufs Klettergerüst lassen. Das mag manchen Müttern schwer fallen (eher als den Vätern), den Kindern aber tut es gut. Durch solche Freiräume lernen die Kinder recht schnell, ihre eigenen Fähigkeiten einzuschätzen. Zu wenig Bewegung kann zu einem geringen Selbstwertgefühl führen, aber auch eine Ursache für Konzen-trationsschwierigkeiten sein.
Bewegung stärkt das Herz-Kreislauf-System, das Immunsystem, Bindegewebe, Muskulatur und Knochen. Bei Neugeborenen sind die Knochen noch sehr weich, was dazu führt, dass sie tiefe Stürze unter Umständen weitgehend unverletzt überstehen. Im Laufe der Kindheit und Pubertät wachsen und verhärten die Knochen. Viel Bewegung unterstützt diesen Prozess. Wer allerdings erst im Erwachsenenalter mit Sport beginnt, wird an seiner Knochendichte nur noch bedingt etwas ändern können. Bewegungsmuffel werden daher lebenslang tendenziell weniger feste Knochen haben als Leistungssportler. Gerade für Frauen ist Sport schon in frühen Jahren eine wichtige Vorbeugung zu Osteoporose, auch Knochenschwund genannt. Bewegung fördert darüber hinaus die Fettverbrennung und beugt Übergewicht vor. Bewegung schult die Motorik, die Koordination und die Kondition. Wer regelmäßig Sport treibt, ist fitter, schneller, leistungsfähiger, beweglicher.
Bewegung ist „Futter“ fürs Gehirn. Wie auch durch andere Reize von außen, z.B. Sprache, sorgt sie für neue Vernetzung der Nervenzellen im Gehirn, die sogenannten Synapsen. Bewegung regt die Durchblutung im Gehirn an und erhöht so die Sauerstoffkonzentration. Dies wiederum lässt uns leichter lernen. Ein weiterer wichtiger Aspekt von Bewegung ist die soziale Entwicklung. Kinder, die sich viel und frei bewegen, lernen ihre körperlichen Fähigkeiten einzuschätzen. Sie wachsen an motorischen Herausforderungen, sie loten ihre Grenzen aus und schieben diese immer weiter nach hinten. Sie erleben Erfolge und Misserfolge und lernen damit umzugehen. Sie können beim Sport Gefühle ausleben und verarbeiten. Sie vergleichen sich mit anderen Kindern. Sie entwickeln Ehrgeiz, lernen den Wettkampfgedanken ebenso kennen wie Mannschaftsgefühl. Wegen all dieser Aspekte gilt: Sport ist gesund, Sport macht gesund.
Wieviel Sport sollte es sein?
Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht davon aus, dass jährlich fünf Millionen Todesfälle weltweit auf zu wenig Bewegung zurückzuführen sind. Sie hat daher folgende Empfehlungen herausgegeben, wie viel Sport notwendig ist.
Kinder und Jugendliche sollen sich mindestens eine Stunde täglich moderat bewegen, dazu zählen beispielsweise Spazierengehen oder Radfahren. An drei Tagen pro Woche sollen sie sportlich so aktiv sein, dass sie ins Schwitzen kommen.
Erwachsene sollten sich mindestens 2,5 bis 5 Stunden pro Woche moderat bewegen oder 75 min bis 2,5 Stunden so, dass sie ins Schwitzen kommen. Zusätzlich sollten sie an zwei Tagen pro Woche moderates Krafttraining machen.
Je mehr man tagsüber sitzt (sei es in der Schule, im Büro oder vor dem Fernseher), umso wichtiger ist sportlicher Ausgleich. Die oben erwähnten Studien zeigen, dass nicht einmal die Hälfte aller Kinder die WHO-Empfehlungen einhält. Sie zeigen aber auch: Wer im Verein ist, macht mehr Sport als Nicht-Vereinsmitglieder. Die festen wöchentlichen Trainingstermine und der „Gruppendruck“ helfen gegen Motivationspausen.
Welche Sportart passt zu meinem Kind?
Auf der Suche nach dem passenden Sportverein für den Nachwuchs sollten Eltern und Kind vorab einige Punkte klären: Soll es eine Mannschafts- oder Einzelsportart sein? Bewegt sich das Kind lieber drinnen oder draußen? Steht Spaß an der Bewegung im Vordergrund oder sollen auch nationale, vielleicht sogar internationale Wettkämpfe auf dem Programm stehen? Hat das Kind bestimmte Stärken und Schwächen, die durch den Sport gefördert oder ausgeglichen werden können? Was trainiert das Kind, wann kann es damit beginnen, wie hoch ist die Verletzungsgefahr? Wir geben einen Überblick über mögliche Sportarten:
Akrobatik: Akrobaten, wie sie die meisten vermutlich aus dem Zirkus kennen, lernen eine künstlerische Sportart – mit Hebefiguren, Pyramiden, Überschlägen, Sprüngen, tänzerischen Elementen. Die Kinder trainieren vor allem Beweglichkeit, Kraft und Ausdauer. Sie lernen, sich in einem Team einzubringen und Zuverlässigkeit. Nur wenn sich einer auf den anderen verlassen kann, wird aus sechs Akrobaten eine beeindruckende Pyramide. Das ideale Einstiegsalter liegt zwischen 5 und 10 Jahren. Risiken sind Verletzungen an Hand- und Fußgelenken durch Überlastung und Rückenbeschwerden.
American Football: Die Sportart von der anderen Seite des Atlantiks wird in Europa zunehmend beliebter, der Super Bowl im Februar hat jede Menge Fans vor die Bildschirme gelotst. Das hat vielleicht auch beim Nachwuchs das Interesse an der bisher wenig verbreiteten Sportart geweckt. Für die Sportart braucht man Ausdauer, Tempo, Kraft und eine gewisse Robustheit. American Football ist ein Sport mit sehr viel Körperkontakt und hohem Verletzungsrisiko. Nicht umsonst tragen die Spieler einen Kopf- und Gesichtsschutz. Fachleute empfehlen erst ab etwa zwölf Jahren mit diesem Sport zu beginnen. Allerdings gibt es für jüngere Kinder auch weniger stürmische Formen des American Footballs: Flag Football. Dabei wird auf Körperkontakt verzichtet, Schutzausrüstung ist nicht notwendig, dennoch werden die grundlegenden Spielregeln vermittelt. In der Lausitz kann man in Cottbus und in Lauchhammer Flag Football (ab 6 Jahren) und American Football (ab 15 Jahren) im Verein spielen. In Görlitz gibt es seit vergangenem Jahr ein Football-Team, da wird der Kinder- und Jugendbereich erst noch aufgebaut. Um die Football-Mannschaft Magpies in Elsterwerda ist es seit Corona sehr ruhig geworden.
Badminton: Anders als Federball in der Freizeit wird Badminton nur in der Halle auf Feldern und nach Wettkampfregeln gespielt. Die Kinder trainieren Kraft, Schnelligkeit, Reaktionsvermögen, Ausdauer und Koordination. Badminton ist vorrangig eine Individualsportart, wird allein oder im Zweierteam gespielt. Anders als im Mannschaftssport lernen die Kinder hier stärker Eigeninitiative und Selbständigkeit. Wichtig sind das Aufwärmen und das Dehnen der Muskeln, sowie sehr gute Schuhe. Sonst besteht bei sehr intensiver Ausübung das Risiko von Verletzungen an Schulter, Fußgelenk und Rücken. Kindern wird der Einstieg ab etwa 7 Jahren empfohlen, dann noch mit kurzen Schlägern.
Ballett: Der Tanzsport ist anspruchsvoll, ob die Begeisterung fürs rosa Tutu anhält, kann sich bei einem Schnuppertraining zeigen. Die Kleinen trainieren Ausdauer, Körperspannung, Gleichgewichtssinn und Rhythmusgefühl – das kann kaum eine andere Sportart vergleichbar leisten. Körpergang und -haltung werden ebenfalls verbessert. Der Einstieg ist bereits mit drei Jahren möglich – in dem Alter allerdings noch spielerisch. Wer nicht gerade eine Karriere am russischen Ballett anstrebt, wird sich kaum ernsthaft verletzen. Wen Ballett nicht nur in der Kleidung, sondern auch in den Bewegungsformen zu sehr einengt, kann eine andere Tanzsportart ausprobieren.
Basketball: Wer Dirk Nowitzki nacheifern will, trainiert beim Basketball Koordination, Schnelligkeit und Kondition. Die Kleinen schulen Gleichgewicht, Orientierung und Reaktionsfähigkeit. Sie lernen Werfen und Dribbeln. Im Grundschulalter wird die Variante Minibasketball gespielt mit Spielfeld, Ball und Korb in kleinerer Ausführung. Ab etwa zehn Jahren erfolgt der Umstieg auf die Normalvariante. Der Nachwuchs muss nicht so groß werden wie Nowitzki, aber größere Kinder haben es sicher leichter als kleine Altersgenossen. Basketball wird im Team gespielt, die Kinder lernen Zusammenhalt und Kooperation. Gute Schuhe können Verletzungen am Sprunggelenk vorbeugen. Je nach Härte der Zweikämpfe mit dem gegnerischen Spieler können Unfallverletzungen hinzukommen.
Bogenschießen: Diese Sportart ist ein schöner Ausgleich zum oft hektischen Familienalltag. Um beim Bogenschießen erfolgreich zu sein, braucht es Ruhe, Konzentration und Geduld. Bogenschießen schult das Körpergefühl, Disziplin, Koordination und die Frustrationstoleranz. Für Kinder übt das Abenteuer in der Natur – Robin Hood lässt grüßen – einen gewissen Reiz aus. Solange sich die Kinder an die Regeln halten, die wichtigste lautet: Den Bogen nie auf einen Menschen richten, ist Bogenschießen eine sehr sichere Sportart, bei der auch weniger sportliche Kinder schnell Erfolge erzielen können. Empfohlen wird der Einstieg ab zehn Jahren. In dieser Altersklasse starten auch erst die Wertungen bei Wettkämpfen. Eltern sollten den nicht ganz preiswerten Bogen ins Familienbudget einplanen.
© Moises Mogollones
Eishockey: Eishockey gilt als schnellste Mannschaftssportart, da sie auf dem Eis trainiert und gespielt wird. Eishockey schult Beweglichkeit, Gleichgewicht, Koordination und Ausdauer. Der Einstieg erfolgt frühestens mit vier Jahren, reicht aber auch ab dem Grundschulalter. Erste Erfahrungen im Schlittschuhlaufen sind hilfreich, aber nicht zwingend erforderlich. Durch die umfangreiche Ausrüstung vom Helm über die Maske bis zu den Schlittschuhen ist der Sport sehr sicher, aber auch sehr kostenintensiv. Für das Schnuppertraining kann man sich die Ausrüstung in der Regel vom Verein leihen. Danach kann gebrauchte Ausrüstung eine preisgünstige Alternative sein. In der Lausitz können Kinder bei den Nachwuchsgruppen der Lausitzer Füchse in Weißwasser Eishockey erlernen.
Fußball: Noch immer der Klassiker, bei dem der Nachwuchs Ausdauer, Schnelligkeit, Reaktionsvermögen und Kraft trainiert. Der Einstieg ist schon mit etwa vier Jahren möglich, kleinere Kinder spielen meist weniger als 90 Minuten und mit weniger als 11 Mann auf dem Feld. Wie jede Teamsportart fördert Fußball das Sozialverhalten. Übrigens auch dass der Eltern, die bei diesem Hobby einen Großteil ihrer Wochenenden auf dem Fußballplatz verbringen werden. Sie haben am besten immer Pflaster dabei. Schürfwunden gehören zu den harmlosen Verletzungen beim Fußball. Typisch sind darüber hinaus Verletzungen an Knie- und Sprunggelenk.
Handball: Handball ist ein dynamisches Spiel, bei dem der Nachwuchs neben Kraft und Schnelligkeit auch Koordinations- und Reaktionsvermögen trainiert. Die Kinder lernen, sich in Zweikämpfen mit den gegnerischen Spielern zu messen und durchzusetzen. Gleichzeitig müssen sie sich gut ins eigene Team einfügen, um Erfolg zu haben. Viele Vereine bieten den Einstieg schon im Kindergartenalter an. Wie bei anderen Sportarten gibt es eine Minivariante für Kinder bis etwa 12 Jahren. Da Handball eher als „harte“ Sportart zählt, sind Verletzungen und Unfälle verbreitet.
Hockey: Die Regeln sind ähnlich wie beim Eishockey, aber gespielt wird nicht auf dem Eis, sondern in einer Sporthalle. Bekannte Varianten sind Hallenhockey, Feldhockey (Freiluft) oder Floorball. Dadurch ist es nicht ganz so rasant wie Eishockey. Schnelligkeit wird trotzdem gebraucht, ebenso Ausdauer und Koordination. Starten kann man in den meisten Vereinen mit dem Grundschulalter. Das Verletzungsrisiko ist gering und betrifft am ehesten die Bänder und Sehnen.
Kampfsport: Es gibt zahlreiche Kampfsportangebote schon für die Kleinsten: Karate, Judo, Taekwondo. Ihnen allen ist gemein, dass der Nachwuchs sich sportlich und geistig weiterentwickelt. Er trainiert Fitness, Kraft, Koordination und Schnelligkeit. Die kleinen Kampfsportler lernen, nicht zu prügeln, sondern vor allem Disziplin, Geduld, Fairness und Respekt. Es geht weniger darum, andere zu besiegen, sondern sich selbst weiterzuentwickeln – und dafür mit dem nächsten Gürtel ausgezeichnet zu werden. Schüchterne Kinder werden selbstbewusster, hyperaktive Kinder rücksichtsvoller und disziplinierter. Der Beginn der Grundschule ist ein gutes Einstiegsalter. Verletzungen gibt es selten, am ehesten Prellungen.
Leichtathletik: Hier lernen die Kleinen die Grundbewegungsarten Laufen, Werfen und Springen. Der Einstieg ist im Kitaalter möglich. Bis zur Grundschule ist das Training noch sehr vielseitig, später erfolgt eine Spezialisierung. Die Auswahl ist groß: Kugelstoßen, Weitsprung, Marathon, wer sich nicht entscheiden mag, wählt Siebenkampf oder Zehnkampf. Bei der Leichtathletik trainieren Kinder Kraft, Ausdauer, Koordination und Schnelligkeit. Es ist eine Einzelsportart mit starkem Wettkampfgedanken, trainiert wird aber im Team. Verletzungsrisiken sind Prellungen und Verstauchungen.
Reiten: Gerade bei kleinen Mädchen sehr beliebt. Empfohlen wird der Einstieg ab 6 Jahren. Die Kinder trainieren Grobmotorik, Gleichgewicht, Koordination und Kraft. Da sie mit dem Pferd ein Team bilden, Verantwortung, Sorgfalt, Rücksicht und Tierschutz. Wer nicht nur über die Weide traben will, muss sich später zwischen den Disziplinen Dressurreiten und Springreiten entscheiden. Möglich ist auch das sogenannte Voltigieren, das Kunstturnen auf dem Pferd mit bis zu drei Personen gleichzeitig. Verletzungen sind unwahrscheinlich, aber schwer, falls das Pferd seinen Reiter doch mal abwirft.
Ringen: Wer sich für diese Sportart mit sehr langer Tradition entscheidet, trainiert Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Beweglichkeit. Wer erfolgreiche Ringkämpfe auf der Matte bestreiten will, für den sind Taktik und Technik wichtige Voraussetzungen. Ringen ist sehr vielseitig, da nicht nur die richtigen Griffe erlernt werden, sondern auch Gymnastik, Fitness, Kraft und Spiel auf dem Trainingsplan stehen. Auf sozialer Ebene lernen die Kleinen Selbstbeherrschung, Fairness und Respekt. Ein Einstieg ist ab etwa 6 Jahren zu empfehlen. Zwei Spezialisierungen sind möglich: Freistil-Ringen (voller Körpereinsatz) und Greco-Ringen (Griffe nur oberhalb der Taille). Verletzungen sind selten. Schürfwunden sind ebenso möglich wie Prellungen und Verletzungen der Hand- und Sprunggelenke.
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Schwimmen: Je früher sich die Kleinen mit dem nassen Element vertraut machen, desto besser. Schwimmen lernen können schon 4- oder 5-jährige. Anfangs sollte der Schwimmsport noch viele spielerische Elemente enthalten. Schwimmen trainiert Ausdauer, Beweglichkeit und Koordination. Im Wettkampf schwimmt jedes Kind für sein Ergebnis. Gemeinsames Training in der Mannschaft und Teamwertungen sorgen dafür, dass die Kinder sich gegenseitig unterstützen. Eine Spezialisierung auf einen Schwimmstil sollte nicht zu früh erfolgen, auch um einseitige Belastung zu vermeiden. Durch die Bewegung im Wasser ist Schwimmen eine Gelenke und Muskeln „schonende“ Sportart. Wenn die Kleinen sich an die Regeln halten und nicht am Beckenrand toben, ist die Gefahr für Verletzungen daher minimal.
Tennis: Tennisspieler trainieren Ausdauer und Schnelligkeit, Geschicklichkeit und Reaktionsvermögen. Sie laufen viel und brauchen eine gute Hand-Augen-Koordination. Steffi Graf stand schon mit drei Jahren auf dem Tennisplatz, ein Einstieg mit 7 bis 8 Jahren reicht aber völlig aus, wenn das Ziel von Eltern und Nachwuchs nicht gerade Wimbledon heißt. Typische Risiken sind einseitige Belastung, der „Tennisarm“ und Bänderverletzungen.
Turnen: Turnen ist eine gute Einstiegssportart für die Kleinsten, weil es sehr vielseitig ist. An den Geräten lernen die Kinder verschiedene Bewegungsarten kennen. Zu den Disziplinen gehören Bodenturnen, Trampolinturnen, Barren, Pferd und Balken. Das Training schult Beweglichkeit und Koordination, dehnt und kräftigt die Muskulatur. Es ist eine gute Basis, um ab etwa 10 Jahren eine andere Sportart zu erlernen. Wenn es zu Verletzungen kommt, dann meist durch Stürze oder andere Unfälle.
© Brandenburgische Sportjugend
Volleyball: Bei dieser Sportart trainiert der Nachwuchs vor allem Kraft und Schnelligkeit. Die Kinder müssen gelenkig sein und schnell auf den Ball reagieren. Ein Einstieg kann mit etwa 6 bis 8 Jahren erfolgen. Wie bei jeder Mannschaftssportart lernen die Kinder, dass sie nur gemeinsam Erfolg haben. Verletzungen sind selten und betreffen vor allem die Hände und die Sprunggelenke.
Kurzer Hype oder bald olympisch? Trendsportarten im Überblick
Bikepolo kombiniert Elemente des Polos zu Pferd mit Radsport und Hockey. So jung ist die Sportart nicht: Sie wurde vor mehr als 100 Jahren in England erfunden schaffte es sogar schon einmal zu Olympia – als Demonstrationsspiel zu den Sommerspielen 1908. Dann geriet es in Vergessenheit und wurde angeblich um das Jahr 2000 von Fahrradkurieren in den USA wiederbelebt. Zu den olympischen Disziplinen gehört es noch nicht, aber es gibt nationale und internationale Meisterschaften.
© Claudius Wecke
Bangonton ist die jüngste der hier vorgestellten Trendsportarten und ein echtes Lausitzer Gewächs. Die Regeln und die dafür nötige Ausrüstung hat der Cottbuser Claudius Wecke entwickelt. Bangonton ist an Badminton angelehnt, wird aber im Freien gespielt. Es ist deutlich dynamischer und überraschender als Badminton und Federball. Gespielt wird ebenfalls mit zwei Schlägern, das Spielfeld aber ist deutlich kleiner und wer das Gegenüber mit dem Ball trifft, erhält zusätzliche Punkte. Da man dafür kein Netz braucht, sondern mit einem kompakten Starterset sein Spielfeld fast überall aufbauen kann, ist es ideal für einen Familientag im Freien.
Capoeira ist eine Art Kampfsporttanz. Die Sportart, die aus Südamerika nach Europa kam, verbindet Elemente von Akrobatik, Kampfsport und Tanz miteinander. Anders als beim klassischen Kampfsport steht nicht der Zweikampf im Fokus. Ein entscheidender Unterschied ist, dass sich die beiden Gegner während ihres Tanzes nicht berühren dürfen, Tritte und Schläge sind nicht erlaubt. Stattdessen geht es um Technik, Zusammenspiel und Kreativität. Im Ursprungsland Brasilien gibt es seit den 1970er-Jahren Meisterschaften im Capoeira. Seit einigen Jahren gibt es auch in Deutschland bundesweite Wettkämpfe.
© Van Klaveren Quidditch Photography
Quidditch, das neuerdings Quadball heißt, wurde erstmals auf Papier gespielt: in der Buchreihe Harry Potter. Doch der Weg auf die Leinwand und dann aufs Spielfeld ließ nicht lange auf sich warten. 2008 wurde die erste Weltmeisterschaft ausgetragen. Mittlerweile gibt es Quadball-Verbände u.a. in den USA und in Deutschland. Die Regeln sind komplex und an die Romanvorlage angelehnt. Geflogen allerdings wird nicht. Die Zauberbesen werden auf dem Spielfeld durch Stangen ersetzt. Der Schnatz kann nicht fliegen, sondern versteckt sich in der Socke des Schnatzläufers. Quadball ist eine der wenigen Sportarten, in denen Jungs und Mädchen bzw. Frauen und Männer gemeinsam spielen.
Jugger hat wie Quidditch ein fiktives Vorbild. Für den australischen Film „Jugger – Kampf der Besten“ von 1989 wurde diese Sportart erfunden und wird mittlerweile weltweit gespielt. Die Sportart ist ein Mix aus antikem Gladiatorenkampf und modernem Rugby. Zwei Teams spielen gegeneinander, ihr Ziel: Der Ball bzw. Hundeschädel muss ins gegnerische Tor/ Mal. Mittlerweile gibt es in Deutschland eine Jugger-Liga und nationale und regionale Meisterschaften.
Parkour ist eine Art Hindernislauf. Anders als beim klassischen Hindernislauf, bietet die natürliche Umgebung jene Hürden, die es zu überwinden gilt: Mauern, Geländer, Gebäude. Diese werden ohne Hilfsmittel überwunden, nur mit der Kraft des eigenen Körpers: erlaubt sind springen, klettern, balancieren, laufen. Dadurch wird Parkour mitten in der Stadt möglich. Mittlerweile gibt es aber auch spezielle Trainingshallen. Der Wettkampfgedanke steht bei dieser Sportart weniger im Fokus, so dass es kaum nationale oder internationale Meisterschaften gibt.
© Judith Eger
Slacklining ist eine noch recht junge Sportart, bei der ähnlich dem Seiltanzen auf einem schmalen gespannten Kunststoffband balanciert wird. Da die Slackline in einem Park oder auf einer Wiese zwischen zwei Bäumen gespannt werden kann, ist der Einstieg sehr niedrigschwellig. Zum Start gibt es spezielle Anfänger-Slacklines mit einer Breite von 3 bis 4 Zentimeter. Slacklining erfordert einen sehr guten Gleichgewichtssinn, Konzentration und Koordination. Am besten wird barfuß balanciert. In einigen Städten gibt es mittlerweile Slackline-Vereine, die sich im deutschen Slackline Verband zusammengeschlossen haben und jährlich das Meisterstein-Festival organisieren. 2019 gab zuletzt eine internationale Meisterschaft in Stuttgart.
Leistungssport oder Breitensport?
Für die meisten Kinder ist und bleibt der Vereinssport ein schöner Ausgleich zur Schule, eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung, eine gute Möglichkeit, um in Bewegung zu bleiben. Für manche aber steht der Leistungsgedanke im Vordergrund. Wenn Kinder das Talent, das Interesse und die Leistungsbereitschaft dafür zeigen, spricht nichts dagegen, den Sport auf Profiniveau zu betreiben. Das heißt ganz praktisch: vier bis sechs Mal pro Woche Training, regelmäßige Teilnahme an Meisterschaften, Wettkämpfen und Turnieren – auch weiter weg und im Ausland. Wenn das Kind diesen Weg wählt, muss die ganze Familie dahinter stehen. Die Eltern müssen die regelmäßige Teilnahme am Training und an Wettkämpfen ermöglichen, andere Hobbys nebenher sind dann kaum möglich. Auch die Zeit für Treffen mit Freunden außerhalb des Vereins ist begrenzt, gemeinsame Familienausflüge müssen hinten anstehen. Der Verein wird zur zweiten Familie. Umso wichtiger ist es, dass Schutz- und Präventionskonzepte im Verein umgesetzt werden. Hier sollten Eltern konkret nachfragen. Denn eben weil Kinder im Leistungssport so viel Zeit im Verein und abseits anderer sozialer Bereiche verbringen, ist hier das Risiko für Missbrauch tendenziell höher. Damit die schulischen Leistungen nicht leiden, sind Absprachen bzw. Kooperationen zwischen Schule und Verein möglich und bei Vereinen mit Leistungssportlern und Kaderathleten üblich.
An folgenden Kriterien erkennen Eltern eine gute Talent- und Leistungsförderung:
- systematische Talentsichtung und Talentförderung
- ausgebildete Trainer und Trainerinnen
- Zusammenarbeit mit anderen Institutionen wie Schulen
- soziale und pädagogische Maßnahmen bzw. Projekte
- sportmedizinische und Ernährungsberatung
- Missbrauchs- und Dopingprävention
Der jüngste Kinder- und Jugendsportbericht, der 2020 veröffentlicht wurde, beklagt eine Tendenz hin zu weniger Leistungsanspruch. Der Leistungsgedanke im Kinder- und Jugendsport gehe zunehmend verloren, so die Autoren. Stattdessen seien gesundheitliche Aspekte für Eltern wichtiger. Etwa ein Drittel der Sportvereine im Kinder- und Jugendbereich engagiert sich im Leistungssport und in der Talenteförderung, wobei Sachsen und Brandenburg mit 30 Prozent eher im unteren Bereich liegen. Spitzenreiter sind Baden-Württemberg und Bremen mit 40 Prozent. In der Regel kostet der Mitgliedsbeitrag in diesen Vereinen etwas mehr, da durch Wettkämpfe und intensiveres Training deutlich mehr Kosten anfallen. Wer sich für Leistungssport entscheidet, ermöglicht seinem Nachwuchs exklusive Erfahrungen wie das Messen mit Kindern und Jugendlichen aus aller Welt, sportliche Erfolge, den Umgang mit Niederlagen, die Teilnahme an nationalen und internationalen Wettkämpfen.
Auch im Breitensport können Kinder Medaillen und Pokale gewinnen, sich über Erfolge freuen. Die meisten Sportvereine beteiligen sich am Ligaspielbetrieb, an Wettkämpfen und Turnieren – nur eben auf regionaler Ebene und nicht auf nationaler oder gar internationaler. Und dafür reicht es dann, wenn nur zwei bis drei Mail wöchentlich trainiert wird.
Wie finden wir den passenden Sportverein?
Neben der Frage, welche Sportart es sein soll und ob es zum Leistungs- oder zum Breitensport geht, spielen folgende Aspekte eine wichtige Rolle, wenn es um die Suche nach dem passenden Sportverein geht: Zum einen soll das neue sportliche Hobby Spaß machen. Es ist eine Aktivität in der Freizeit, die je nach Alter und Intensität bis zu fünf Nachmittage pro Woche in Anspruch nimmt. Daher ist es wichtig, dass das Kind Freude daran hat, kurzzeitige Phasen der fehlenden Motivation mal außen vor gelassen. Ob der gewählte Sport Spaß macht, zeigt sich unter Umständen nicht erst nach zwei oder drei Schnupperstunden, sondern vielleicht erst nach einem halben Jahr, wenn erste Wettkämpfe absolviert und vielleicht verloren wurden, das Training auch mal bei schlechtem Wetter stattfand oder für das Turnier ein geplanter Familienausflug ins Wasser gefallen ist. Wenn das Kind dann trotzdem noch mit Eifer dabei ist, dann hat es offenbar den richtigen Sport und Verein gefunden. Wenn die Lust aufs Training dann deutlich nachlässt, sollten Sie gemeinsam nach Alternativen schauen.
Zweitens sollte es menschlich passen. Ein gutes Miteinander unter den Vereinskameraden, aber auch zwischen Trainern und Kindern ist wichtig, damit das Kind dauerhaft dran bleibt. Training und Wettkämpfe funktionieren nur, wenn alle Kinder ordentlich mitmachen, sich an die Regeln halten und sich kameradschaftlich verhalten. Insofern ist es ganz normal und wichtig, wenn die Trainerin streng ist und klare Ansagen macht. Allerdings kann und sollte das mit Empathie für die Kinder einhergehen. Wir empfehlen, dass Sie als Eltern gelegentlich beim Training zuschauen, dort bekommen Sie einen guten Eindruck vom Miteinander im Verein. In manchen Vereinen und Trainingsgruppen sind Eltern auf der Zuschauerbank nicht erwünscht. In diesem Fall können Sie um eine Ausnahme bitten oder öffentliche Wettkämpfe und Turniere nutzen. Gut aufgestellte Vereine lassen ihre Trainerinnen und Übungsleiter regelmäßig qualifizieren und realisieren einen konsequenten Kinder- und Jugendschutz über ein entsprechendes Konzept bzw. eine verantwortliche Person im Verein.
Drittens muss die Logistik berücksichtigt werden. An welchen Tagen ist Training, wie oft sind Wettkämpfe bzw. Turniere, wie kommt das Kind dort hin? All das muss mit den Terminen der Eltern und vielleicht auch der Geschwister koordiniert werden. Insbesondere wenn die Kinder noch jünger sind und nicht allein zum Training fahren können, braucht es hier Unterstützung. Nicht zuletzt begrenzt die Zahl der Angebote im Heimatort die Auswahl des Sportvereins. Wenn es unbedingt Basketball sein soll, das aber nur im 20 Kilometer entfernten Nachbarort angeboten wird, müssen Sie als Familie abwägen, ob Sie die weite Anfahrt in Kauf nehmen oder nach einer Alternative suchen.
Um herauszufinden, ob es für alle Seiten passt, sollten Familien unbedingt das Angebot des Schnuppertrainings nutzen. Das bieten im Grunde alle Vereine an, die meisten kostenfrei, manche gegen Gebühr. Idealerweise kann das Kind drei bis vier Einheiten zum Probetraining kommen, bevor es in den Verein eintritt.
Keine Lust mehr? Wie man trotzdem dranbleibt
Das Phänomen kennen vermutlich viele Eltern: Erst ist das Kind mit Begeisterung dabei und schon nach ein paar Wochen heißt es: „Ich hab keine Lust mehr.“ Zum Trost: Das kann Ihnen bei jedem Hobby passieren, nicht nur beim Sport. Dass Kinder nicht jede Woche hochmotiviert zum Training gehen, sondern auch mal eine Phase haben, in der die Lust aufs Nichtstun überwiegt, ist ganz normal. Wenn die Phase nur ein oder zwei Wochen anhält, können Sie getrost darüber hinweg sehen. Wichtig ist aber, dass das Kind trotzdem zum Training geht. Denn auch das lernen Kinder beim Sport: Disziplin und Verbindlichkeit. Hält die Unlust über mehrere Wochen an, sollten Sie das Gespräch mit Ihrem Kind suchen und nachfragen. Liegt es am Trainer, an den Mitspielern, gab es vielleicht eine Serie von Misserfolgen? Ist das Kind mit neuen Übungen oder Trainingseinheiten überfordert, ist es vielleicht unterfordert? Macht der Wechsel in eine neue Altersklasse oder Trainingsgruppe Sorgen? Suchen Sie am besten das Gespräch unter sechs Augen – gemeinsam mit dem Trainer oder der Trainerin. Statt gleich das Handtuch zu werfen, können Sie gemeinsam einen überschaubaren Zeitraum vereinbaren, in dem das Kind weiter trainiert, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wird. Vielleicht liegt dem Junior eine andere Sportart besser. Kinder sollen sich ausprobieren und verschiedene Hobbys testen. Studien belegen, dass vor allem Jugendliche relativ häufig den Verein wechseln und neue Sportarten ausprobieren. Damit trotzdem eine gewisse Verbindlichkeit für alle gegeben ist, könnten Sie folgende Vereinbarung mit Ihrem Kind treffen: Du bleibst jetzt mindestens ein halbes (oder ein ganzes) Jahr in dem Verein. Wenn du dann wirklich nicht mehr willst, suchen wir gemeinsam etwas Neues. Druck und Zwang werden auf Dauer nicht funktionieren. Wenn das Kind wirklich nicht von sich aus möchte, wird es keine guten Leistungen bringen und nur widerwillig am Training teilnehmen.
Kosten & Ausrüstung
Je nachdem für welche Disziplin sich der Nachwuchs entscheidet, wird das Hobby das Familienbudget mehr oder weniger stark in Anspruch nehmen. Zum einen wird ein monatlicher Mitgliedsbeitrag fällig, einige Vereine verlangen zudem eine einmalige Aufnahmegebühr. Die Mitgliedsbeiträge machen bei Sportvereinen gut die Hälfte aller Einnahmen aus, sind somit die wichtigste finanzielle Einnahmequelle. Damit finanzieren die Sportvereine die Miete bzw. den Unterhalt für die Sportstätte, die Fahrten zu den Wettkämpfen und Turnieren, die Trikots und Sportgeräte und nicht zuletzt Schiedsrichter und Trainerin, von denen sich viele ehrenamtlich engagieren. Der Mitgliedsbeitrag liegt bei mindestens 5 bis 10 Euro pro Monat, kann aber je nach Sportart deutlich höher sein. Einige Sportvereine bieten einen Geschwisterrabatt an. In Brandenburg zahlen Kinder und Jugendliche im Schnitt 5 Euro monatlich, Erwachsene 10 Euro.
Dazu kommen eventuell noch die Kosten für die Fahrten zum Training, beispielsweise fürs Busticket oder die Spritkosten fürs Elterntaxi. Ein ebenfalls nicht kleiner finanzieller Posten sind die Ausgaben für die Ausrüstung: Das kann das Vereinstrikot sein, das Tutu, der Bogen, der Handball, die Reitstiefel, der Hockeyschläger. Teilweise werden diese Dinge vom Verein gegen eine geringe Leihgebühr gestellt oder man muss sie selbst anschaffen. Da Kinder noch wachsen, fallen diese Kosten immer wieder dann an, wenn eine neue Kleider- bzw. Schuhgröße notwendig ist. Hier kann es sich lohnen, nach gebrauchter Ausrüstung zu schauen. Die finden Eltern im Internet, auf Flohmärkten oder am einfachsten im Verein. Dort gibt es jede Menge andere Eltern, die ebenfalls regelmäßig aussortieren müssen. Manche Vereine organisieren Tauschbörsen.
Familien mit kleinem Budget können bei der Familienkasse der Arbeitsagentur einen Antrag auf Kinderzuschlag stellen. Wer den bekommt, hat auch Anspruch auf das Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes. Darin wird unter anderem auch eine monatliche Pauschale gezahlt, wenn das Kind im Verein ist.
Engagiert im Verein: Wie Eltern unterstützen können
Wir haben es weiter oben bereits angedeutet: Sportvereine leben vom Engagement Ehrenamtlicher. Gerade im Breiten- und Nachwuchssport ist ein Großteil der Menschen, die Woche für Woche Kindern das Schwimmen, Reiten oder Tanzen beibringen, im Ehrenamt tätig: Etwa 9 von 10 Trainern machen diesen Job ehrenamtlich neben ihrem Beruf. Sie machen das in ihrer Freizeit gegen eine geringe Aufwandsentschädigung. Aktuell engagieren sich in Deutschland etwa zwei Millionen Menschen ehrenamtlich im Sportverein, davon die Hälfte im Vereinsvorstand, die andere Hälfte als Trainerin, Übungsleiter, Schiedsrichter oder Kamprichterin. Hinzu kommen etwa sechs Millionen Freiwillige, die bei Festen, Trainingslagern und Sportveranstaltungen helfen oder Fahrdienste übernehmen.
Damit das in vielen Städten breite Sportangebot aufrecht erhalten werden kann, braucht es engagierte Eltern, die ebenfalls mithelfen. Der Möglichkeiten gibt es viele: Sie können bei Turnieren und Wettkämpfen anfeuern, Bratwürste zum Sommerfest grillen, die Trikots nach dem Training waschen und Plätzchen backen für die Weihnachtsfeier, den Kleinbus zum Ligaspiel steuern, vor dem Auftritt der kleinen Ballerinas beim Umziehen helfen.
Genauso werden Trainer und Übungsleiterinnen, Schiedsrichterinnen und Kampfrichter gesucht. Wer sich vorstellen kann, ein bis zwei Mal pro Woche Kinder zu trainieren oder regelmäßig bei Wettkämpfen und Spielen zu unterstützen, wendet sich direkt an den Verein. Das ist in der Regel jener Verein, bei dem der eigene Nachwuchs trainiert. Wichtigste und zunächst einzige Voraussetzung sind Zeit und Motivation, Kinder an den Sport heranzuführen. Als Einstieg in die Tätigkeit eignet sich ein Tandemmodell: Dabei trainieren Sie zunächst gemeinsam mit einem erfahrenen Trainer und übernehmen anfangs die Rolle des Ersatz- bzw. Co-Trainers. Ein Trainerschein bzw. eine vergleichbare Qualifikation ist im Breitensport nicht erforderlich, wird aber empfohlen und erleichtert das Ehrenamt. Wer sich langfristig engagieren möchte, sollte einen solchen Lehrgang wahrnehmen. Notwendig ist der Schein auch fast immer für eine Tätigkeit als Kamprichterin oder Schiedsrichter.
In den Lehrgängen werden fachliche und trainingstheoretische Grundlagen vermittelt, aber auch didaktische und soziale Kompetenzen wie Konfliktlösungsstrategien. Als Vorstufe kann man eine Schulung zur Übungsleiter-/Trainerassistentin oder zum Gruppenhelfer absolvieren. Dieser Lehrgang wird ohne Lizenz abgeschlossen. Darauf aufbauend kann man die Trainerscheine mit Lizenz absolvieren, los geht’s mit Lizenz C bis hin zu Lizenz A. Für die Lizenz C muss man mindestens 120 Lerneinheiten à 45 min absolvieren, dafür braucht es in der Regel drei bis vier Wochenenden. Die Kosten tragen mittlerweile immer häufiger die Vereine, weil sie dringend Nachwuchs auf der Trainerbank brauchen.
Übrigens können auch Jugendliche jüngere Nachwuchsgruppen trainieren. Ein Mindestalter dafür gibt es nicht. Allerdings können die Trainingslizenzen erst ab 16 Jahren erworben werden. Viele Vereine übernehmen neben den Kosten für die Qualifizierungen auch Fahrtkosten und zahlen eine Aufwandsentschädigung. Ein Versicherungsschutz besteht ebenfalls. Wenngleich der finanzielle Anreiz nur eine untergeordnete Rolle für ein Engagement im Verein spielt, so ist es doch ein Zeichen der Wertschätzung, wenn Vereine diese Kosten tragen.
Die TOP 5 für ein Engagement im Verein
- Weil es mir Spaß macht (anderen zu helfen)
- Aus Verbundenheit zur Sportart
- Weil ich mich dabei gut fühle
- Weil ich mich in meiner Freizeit für etwas engagieren möchte, das mir sinnvoll erscheint
- Weil ich mich allgemein gern engagiere
Diese fünf Motive nannten Ehrenamtliche am häufigsten als Grund für ihr Engagement. Quelle: Sportentwicklungsberichte 2017/18 und 2020/22
Wer jetzt noch zögert, dem sei folgendes Forschungsergebnis ans Herz gelegt: Die 2020 vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft veröffentlichte Studie „TrainerInnen und ÜbungsleiterInnen in Sportvereinen in Deutschland“ zeigt, dass sich ein Engagement im Sportverein positiv auf die allgemeine Lebenszufriedenheit auswirkt. Demnach sind Menschen, die ein Ehrenamt im Sportverein inne haben, zufriedener mit ihrer beruflichen Situation, ihrer Freizeitgestaltung, ihrer Gesundheit und generell mit ihrem Leben als die Gesamtbevölkerung.
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Sorbische Heimat für Familien
Warum wir im Alltag mehr sorbisch wagen sollten
Sie sind die „Ureinwohner“ der Lausitz: die Sorben bzw. Wenden. Jeder und jede kennt die verzierten Ostereier, die zweisprachigen Orts- und Straßenschilder, ihre prachtvollen Trachten. Und doch gibt es im Alltag erstaunlich wenig Berührungspunkte, wenn man sich selbst nicht zur sorbischen Minderheit zählt. Warum es für Familien lohnt, sich etwas intensiver mit der Sprache, Tradition und Kultur der Lausitzer Ureinwohner zu beschäftigen und wie das im Alltag gelingt, ist Thema dieser lausebande.
Wir starten mit einem kleinen historischen Exkurs. Die Geschichte des sorbischen Volkes reicht etwa 1.500 Jahre zurück. Im 6. Jahrhundert siedelten westslawische Stämme auf dem Gebiet der heutigen Lausitz. Aus dieser Zeit und der frühen Besiedlung stammt der Name Lausitz. Der Stamm der Lusizi benannte sich nach dem Sumpfland, das er in der Region vorfand. Das slawische Wort „łuža“ bedeutet „sumpfige Wiesen“. Über die Jahrhunderte lebten die Sorben in der Lausitz, pflegten ihre Sprache und Kultur. Erst mit der Industrialisierung ab dem 19. Jahrhundert und der stärkeren Zuwanderung anderer Volksgruppen verloren die Sorben nach und nach ihren Mehrheitsstatus. Während man vor etwa 100 Jahren in der Öffentlichkeit noch mehrheitlich sorbisch bzw. wendisch sprach, ist die sorbische Sprache mittlerweile in vielen Orten des offiziellen sorbischen Siedlungsgebiets aus dem Alltag verschwunden. Die UNESCO, die eine Liste bedrohter Sprachen führt, zählt das Sorbische zu den gefährdeten Sprachen, wobei das Niedersorbische als noch stärker gefährdet gilt ist als das Obersorbische.
Sorben oder Wenden?
Die Unterscheidung der Bezeichnung Sorben oder Wenden gibt es nur im Deutschen. Im Sorbischen wird beides als „Serbja“ bezeichnet. In der sächsischen Oberlausitz wird eher von Sorben gesprochen, in der brandenburgischen Niederlausitz werden eher beide Begriffe synonym verwendet. In der Brandenburgischen Verfassung zum Beispiel wird es als „Sorben/Wenden“ gleichgesetzt. Somit ist es jedem selbst überlassen, ob er sich als Sorbe oder Wende bezeichnet. Beide sind „Serbja“.
Zahlen zum Sorbentum
Offizielle Erhebungen dazu, wie viele Menschen sorbisch sprechen, gibt es nicht. Eine Erhebung wäre schon deswegen schwierig, weil die Sprachkenntnisse stark variieren – von jenen, die sorbisch täglich und als Muttersprache sprechen und jenen, die in der Schule erstmals damit Kontakt hatten und nur einige Wörter und Sätze beherrschen. „Daher gibt es lediglich Schätzungen“, erklärt Dawid Statnik, Vorsitzender der Domowina, des sorbischen Dachverbands: „Dies begründet sich darin, dass in Deutschland das Bekenntnis zu einer Minderheit, wie es das sorbische Volk ist, frei ist und somit nicht nachgeprüft werden darf. Auch die Sprachkenntnisse als solche werden statistisch nicht vollumfänglich erfasst. Nach groben Schätzungen gehen wir davon aus, dass etwa 13.000 Menschen in Sachsen die obersorbische Sprache sprechen und in Brandenburg etwa 7.000 Menschen niedersorbisch. Das Niedersorbische gehört damit zu einer der bedrohtesten Sprachen Europas.“
Minisprachführer Sorbisch
Ohnehin ist es schwierig, die Sorben in Zahlen zu fassen. Denn wer sorbisch ist, lässt sich nicht nur an der Sprache festmachen oder an den familiären Wurzeln. Vielmehr kann sich jede und jeder, der das möchte, zum Sorbentum bekennen. Diese oben erwähnte Bekenntnisfreiheit für nationale Minderheiten ist auf EU-Ebene rechtlich festgelegt und gilt auch für die anderen nationalen Minderheiten in Europa. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs werden in Deutschland keine offiziellen Zahlen mehr zu nationalen Minderheiten erhoben. Es ist eine Lehre aus dem Dritten Reich, in dem Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit verfolgt und ermordet wurden. Stattdessen stehen der Schutz und die Förderung der Minderheiten im Vordergrund: Sie sollen ihre Sprache, Kultur und Tradition in Deutschland leben können, ohne dadurch Nachteile zu erfahren. Dies ermöglicht der Staat unter anderem mit einer festen finanziellen Förderung.
Bei einer repräsentativen Befragung für den Lausitz-Monitor im vergangenen Jahr haben sich übrigens 16 Prozent der Befragten zum Sorbischen bekannt – das entspricht hochgerechnet auf die Bevölkerung in der Lausitz immerhin 150.000 Menschen.
Exkurs: Minderheiten in Deutschland
In Deutschland leben vier anerkannte nationale Minderheiten: die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein, die friesische Volksgruppe in Niedersachsen und Schleswig-Holstein, die deutschen Sinti und Roma im gesamten Bundesgebiet sowie das sorbische Volk in der Lausitz. Der besondere rechtliche Status der nationalen Minderheiten und ihrer Sprache gründet sich auf das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten und auf die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen. Die Bundesregierung muss die Rahmenbedingungen schaffen, die es den Minderheiten ermöglicht, ihre Sprache und Tradition zu leben und zu erhalten. Dazu gehören u.a. eine finanzielle Förderung, Möglichkeiten der politischen Mitwirkung und die Anerkennung der Sprache als Amtssprache. Eine zentrale Rolle kommt der Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten zu. Das ist derzeit Natalie Pawlik. Sie kümmert sich innerhalb der Bundesregierung um die Belange der nationalen Minderheiten und steht im engen Austausch mit den jeweiligen Gremien. Von ihr kommt auch das Grußwort gleich zu Beginn dieser Ausgabe.
Der Automobilzulieferer TDDK mit Sitz in Straßgräbchen hat als erstes Unternehmen eine Beauftragte für sorbische Angelegenheiten berufen.
Wandel und Sorben
Und das ist ein Pfund, mit dem die Lausitz noch öfter glänzen sollte. Es gibt neben der Lausitz nur wenige zweisprachige Gebiete in Deutschland. Die Mehrsprachigkeit und der interkulturelle Dialog, den Sorben und Deutsche Tag für Tag leben, ist ein echter Schatz, der den europäischen Gedanken quasi in sich trägt. Das ist nicht zuletzt wichtig für den Strukturwandel, der sich derzeit in der Lausitz vollzieht. Die Fraunhofer-Studie „Innovation durch Tradition“ von 2020 zeigt das sorbische Potenzial für den Lausitzer Wandel auf. Die Studie betont, wie wichtig Standortfaktoren wie Mehrsprachigkeit, Weltoffenheit und kulturelle Kompetenz im Wettbewerb der Regionen sind. Dem sorbischen Volk werden drei zentrale Funktionen zugeschrieben: Netzwerker, Identitätsanker und Brückenbauer. In der Studie heißt es unter anderem: „Die sorbische Kultur bildet einen Eckpfeiler der Lausitzer Identität.“ Denn das Sorbische ist es, was die Lausitz über Jahrhunderte, über Glaubenskriege und Herrschaftswechsel, über politische Partei- und über Ländergrenzen hinweg zusammengehalten hat. Auch Dawid Statnik betont diesen Aspekt: „Die sorbische Sprache und Kultur ist ein wichtiger Teil der Identität der Region. Ihr Erhalt und ihre Förderung können dazu beitragen, die regionale Identität zu stärken und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit in der Gemeinschaft zu schaffen.“ Diese Argumentation hat auch dazu geführt, dass sich die Erhaltung der sorbischen Sprache als ein wichtiger Aspekt im Strukturstärkungsgesetz wiederfindet. Darin heißt es, der Bund plane „Maßnahmen zur Förderung der Bewahrung und Fortentwicklung der Sprache, Kultur und Traditionen des sorbischen Volkes als nationaler Minderheit“ einzurichten bzw. aufzustocken.
Ganz zentral für die Identität und Bewahrung des Sorbischen, ist die Sprache. In der Regel wird Sprache als Muttersprache durch die Eltern weitergegeben und so über Generationen bewahrt. Das allein reicht aber nicht. Die Domowina hat kürzlich das Ziel geäußert, dass am Ende des 21. Jahrhunderts 100.000 Menschen in der Lausitz sorbisch sprechen. Um dieses hehre Ziel zu erreichen und die Zahl der Sorbischsprechenden zumindest deutlich zu erhöhen, sieht der Dachverband mehrere Ansätze:
Kitas und Schulen: Ein immanenter Punkt ist die Förderung der Sorbischen Sprache in Bildungseinrichtungen. Hier würden die derzeitigen schulischen Angebote dem Ziel bisher nicht entsprechen. Eines der größten Probleme ist dabei der Lehrermangel, welcher auch an sorbischen Schulen vorherrscht.
Sprachkurse für Erwachsene: Beispielhaft zu nennen ist das Projekt Zorja. Hierbei handelt es sich um ein Immersionsmodel, welches derzeit in der Niederlausitz in die Erprobungsphase geht. In 10 Monaten, 5 Tage die Woche, 6 Stunden am Tag lernt man die niedersorbische Sprache. Zorja basiert auf den vielfältigen Erfahrungen ähnlicher Programme auf der ganzen Welt, von der bretonischen Minderheit in Frankreich bis zu den indigenen Völkern der Salish und Mohawk in Kanada.
Kultur und Traditionen fördern: Eine stärkere und vielfältigere Förderung der sorbischen Kultur und Traditionen könnte dazu beitragen, das Interesse an der sorbischen Sprache zu steigern und somit die Zahl der Sorbischsprechenden zu erhöhen. Daher entwickelt die Domowina mit der Stiftung für das sorbische Volk und beiden Bundesländern stetig neue Förderprogramme, um das Sorbische in immer mehr Bereichen zu fördern. So wurde in Sachsen vor einigen Jahren ein Servicebüro für kommunale Zweisprachigkeit eröffnet. Es unterstützt die Gemeinden und Städte im sorbischen Siedlungsgebiet bei der Umsetzung der Zweisprachigkeit.
Wirtschaft & Unternehmen: Auch die Förderung der sorbischen Sprache in der Wirtschaft kann helfen, das Bewusstsein für die sorbische Kultur und Sprache zu erhöhen und somit das Interesse an Sorbisch zu fördern. Ein Beispiel ist der Automobilzulieferer TDDK in Straßgräbchen, welcher als erstes Unternehmen eine Mitarbeiterin als Beauftragte für sorbische Angelegenheiten berufen hat.
Digitalisierung: Es gibt weitere Bereiche, die helfen, die sorbische Sprache stärker zu implementieren. So gibt es bereits Übersetzungsprogramme wie Microsoft Bing, die Sorbisch verstehen. Wenn zukünftig auch Alexa sorbisch sprechen kann, ist es für die nächste Generation leichter, diese Sprache zu lernen, da sie dann gleichwertig ist.
Strukturwandel: Durch Mittel des Strukturwandels konnten zusätzliche sprachwissenschaftliche Projekte aufgesetzt werden, die den Prozess wissenschaftlich begleiten und gezielt helfen sollen, mehr Sprecherinnen und Sprecher zu aktivieren. Dabei sollen durchaus auch bereits bestehende Bereiche kritisch hinterfragt werden.
In Witaj-Kitas werden Kinder spielerisch an die sorbische Sprache und Kultur herangeführt. Foto: Witaj-Sprachzentrum
Witaj – sorbische Bildungslandschaft
Eines der bisher wichtigsten und wohl auch erfolgreichsten Projekte für die Förderung der sorbischen Sprache ist das Witaj-Konzept. Es wurde vor 25 Jahren in der Lausitz etabliert. „Witaj“ ist sorbisch und heißt „Willkommen“. Mit Witaj lernen Kinder in Kitas und Schulen die sorbische Sprache – unabhängig von ihrer Muttersprache. Wie intensiv sie die Sprache lernen, hängt vom Konzept der Einrichtung ab. Es gibt Kindergärten, deren Alltag komplett in sorbischer Sprache stattfindet und Kindergärten, bei denen nur einzelne Gruppen sorbisch sprechen. Die Pädagogen sind entweder sorbische Muttersprachler oder haben die sorbische Sprache erlernt. In Kitas wird häufiger das Immersionsprinzip angewandt. Sorbisch ist in diesen Einrichtungen Alltagssprache, die Kinder lernen die Sprache spielerisch nebenbei, nicht verschult wie im klassischen Fremdsprachenunterricht. Sie eignen sich die Sprache so an, wie sie als Kleinkind ihre Muttersprache erlernt haben, durch beobachten, hören und selbst sprechen. Derzeit lernen etwa 5.000 Kinder in Kitas und Schulen sorbisch. Damit sind alle Kinder gemeint, die Sorbisch entweder auf muttersprachlichem Niveau oder Sorbisch nur als Fremdsprache lernen. Diese Zahl ist in den vergangenen Jahren erfreulicherweise stabil geblieben, obwohl die Bevölkerungszahlen rückläufig waren.
Eine große Herausforderung für das Witaj-Konzept ist der Mangel an Lehrkräften, der natürlich auch den Sorbisch-Unterricht betrifft. Dawid Statnik: „Klar ist: ohne sorbischsprachige Lehrerinnen und Lehrer gibt es keine sorbischen Schulen. Das gleiche gilt für den Bereich der Kitas. Demnach ist das eine der größten Herausforderungen, mit denen wir derzeit zu kämpfen haben.“ Er hat mehrere Stellschrauben im Blick, an denen gedreht werden müsste: So könnte man die Studienprogramme an den Universitäten noch stärker unterstützen. Bereits heute gibt es Erleichterungen für Studienbewerber, die Sorbischkenntnisse vorweisen können. In der Fachsprache nennt man das „positive Diskriminierung“. Damit versucht der Staat bewusst Gruppen zu fördern, die es sonst durch Quoten oder Einstellungstests schwerer haben. Doch Statnik weiß auch: „Natürlich funktioniert das nur, wenn man auch genügend Bewerberinnen und Bewerber hat, die die sorbische Sprache beherrschen. Hier haben wir zweierlei Herausforderungen: Sowohl den Fachkräftemangel, als auch den Mangel an genügend Sprecherinnen und Sprechern.“ Daher müsse noch mehr im Bereich des Spracherwerbs unternommen werden, einerseits an den Schulen. Darüber hinaus müssten aber noch mehr Angebote für all jene geschaffen werden, die die sorbische Sprache erst später erlernen. Hier sind in den vergangenen Jahren viele neue digitale Angebote entstanden. Auch Sprachkurse haben zugenommen. „Wir stellen fest, dass hier viel Bereitschaft herrscht, uns aber die Angebote fehlen“, so der Domowina-Vorsitzende: „An sich ist das kein rein sorbisches Problem. Auch andere Regionen und Minderheitensprachen stehen vor diesen Herausforderungen. Wichtig ist hierbei den Blick zu weiten und zu schauen, was hat wo funktioniert.“
Die Witaj-Einrichtungen vermitteln alles rund um Trachten und Traditionen der Sorben. Foto: Witaj-Sprachzentrum
Besonders viele Witaj-Einrichtungen gibt es in der sächsischen Oberlausitz, seinen Ursprung hat das Konzept aber in Brandenburg: Im Cottbuser Ortsteil Sielow wurde 1998 die erste zweisprachige Kita der Lausitz etabliert. Zunächst begann man mit einer sorbischen Kindergruppe, heute wird an der gesamten Einrichtung mit allen Kindern sorbisch gesprochen. Mittlerweile gibt es in der Lausitz mehr als 40 Kitas und ebenso viele Grundschulen mit sorbischsprachigem Angebot. Ergänzt wird das um etwa ein Dutzend weiterführende Witaj-Schulen. So wird es Kindern im Idealfall ermöglicht, vom Krippenalter bis zum Schulabschluss zweisprachig aufzuwachsen. Da Witaj-Einrichtungen keine besonderen Zugangsvoraussetzungen haben und anderen Kitas und Schulen rechtlich gleichgestellt sind, stehen sie allen Sorbisch-Interessenten, Sprachbegeisterten und natürlich Muttersprachlern offen.
Zum Witaj-Konzept gehört neben dem Vermitteln der Sprache auch die Kultur. Die Kinder lernen die sorbischen Bräuche kennen, studieren die Vogelhochzeit ein, tragen sorbische Gedichte und Lieder vor, lernen die sorbischen Trachten kennen.
Bräuche und Feste der Sorben im Jahresverlauf
Es sind jene Aspekte, die bis heute eng mit dem sorbischen Volk verknüpft werden und die auch überregional und bei nicht-sorbischen Lausitzern weithin bekannt sind. Seit 2014 gehören die „Gesellschaftlichen Bräuche und Feste der Sorben im Jahresverlauf“ zum Bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes, das von der Unesco geführt wird. Insgesamt zählen 32 Bräuche und Feste dazu, die im Jahresverlauf immer wiederkehren und die Identität der Sorben/ Wenden bis heute prägen. Darunter sind so bekannte wie die Vogelhochzeit, das Osterreiten oder das Maibaumaufstellen, aber auch weniger öffentlich bekannte wie das Neujährchen oder die Gemeindeversammlung Woklapnica. „Mit der Anerkennung als Immaterielles Kulturerbe haben wir eine stärkere Anerkennung und mehr öffentliche Aufmerksamkeit für unser lebendiges kulturelles Erbe erreicht“, freut sich David Statnik. Er ist Vorsitzender der Domowina, Dachverband sorbischer Vereine und wichtigste Vertretung sorbischer Interessen gegenüber der Landes- und der Bundespolitik.
Neujährchen, Ober- und Niederlausitz, 1. Januar/6. Januar
Zu Neujahr und zum Dreikönigstag wurden früher Gebildebrote in Tiergestalt (Neujährchen) gebacken und dem Vieh ins Futter gegeben, damit es gesund bleibt.
Woklapnica, Mittel- und Niederlausitz, um den 6. Januar
Öffentliche Gemeindeversammlung am Jahresanfang mit Resümee („Abklopfen“) des vergangenen Jahres.
Vogelhochzeit, gesamte Lausitz, 25. Januar
Kinderbescherbrauch: Als Dank für das Füttern der Vogel im Winter erhalten Kinder süßes Gebäckin Form von Vögeln und Nestern. In vielen Kindergärten wird eine sorbische Hochzeit nachgestellt.
Zampern, gesamte Lausitz, Februar bis März
Heischebrauch: Traditionell verkleidete Figuren erheischen beim Umzug durch den Ort Geld, Eier und Speck.
Fastnacht/Zapust, Niederlausitz, Januar bis März
Festumzug der Jugend in sorbischer Tracht, der nach dem Zampern stattfindet.
Ostereier verzieren, gesamte Lausitz, März bis April
Osterbrauch: Verzierte Ostereier sind ein traditionelles Patengeschenk. Typische Verziertechniken sind die Wachsbatik- und Wachsbossiertechnik sowie die Kratz- und Ätztechnik.
Ostersingen Mittellausitz, Niederlausitz, vier Wochen vor Ostern bis zur Osternacht
Osterbrauch: Mädchen und junge Frauen in Tracht singen bis zur Osternacht Passions- und Auferstehungslieder.
Klappern, Oberlausitz, Gründonnerstag bis Karsamstag
Osterbrauch. Wenn die Glocken schweigen, ziehen in einigen katholischen Dörfern Jungen mit Holzklappern durch das Dorf, um alle Gläubigen zum Gebet einzuladen.
Osterfeuer Mittellausitz, Niederlausitz, Karsamstag
Osterbrauch: Hohe Symbolkraft hat der warme Schein der Osterfeuer, die vor allem in der Niederlausitz zur Osterzeit allerorts flackern. In manchen Dörfern tanzt man zu traditionellen Liedern einen Reigen um das Feuer. Wenn es bis zu einer bestimmten Höhe heruntergebrannt ist, versucht sich die Dorfjugend an der Mutprobe, schadlos über die noch lodernden Flammen zu springen.
Osterschießen, Oberlausitz, Osternacht
Schießen mit Karbid(kanonen) in der Osternacht.
Waleien, gesamte Lausitz, Ostersonntag
Osterbrauch: Heute ein beliebtes Kinderspiel, bei dem verzierte Eier über eine schräge Bahn („wala“) hinabgerollt werden.
Osterwasser, Mittellausitz, Osternacht
Osterbrauch: Mädchen holen am Ostersonntag vor Sonnenaufgang schweigend frisches Quellwasser, mit dem Gesundheit und Schönheit verbunden werden. Wird gesprochen, verliert es seine Wirkung.
Osterreiten, Oberlausitz, Ostersonntag
Osterbrauch: Im katholischen Gebiet überbringen Osterreiter die Osterbotschaft. Sie singen und beten in sorbischer Sprache und verkünden die Auferstehung.
Hexenbrennen, Mittellausitz, 30. April
Frühlingsbrauch, bei dem ein hohes, weithin sichtbares Feuer entfacht wird. In einigen Dörfern wird auf den Holzhaufen eine Strohpuppe (Hexe) gesetzt.
Maibaum, gesamte Lausitz, 30. April bis 1. Mai
Frühlingsbrauch. Am Vorabend des 1. Mai wird der Maibaum aufgestellt. In der Niederlausitz steht der Maibaum oft bis Johanni, wird dann gefällt und versteigert. In der Oberlausitz findet das Maibaumwerfen statt: es wird getanzt (die Mädchen tragen Tracht) und im Wettkampf beim Fällen des Baumes wird der Maikönig ermittelt.
Fronleichnam, Oberlausitz, Donnerstag 50 Tage nach Ostern
Zu Fronleichnam und am darauffolgenden Sonntag finden im katholischen Gebiet Prozessionen statt, an denen sich Mädchen und Frauen in sorbischer Festtracht beteiligen.
Johannisreiten, Niederlausitz, 24. Juni
Sommerlicher Brauch mit Reiterspiel zum Johannistag in Casel. Ein junger Mann (Johann) wird mit Kornblumenranken geschmückt. Während er reitet, versuchen die Zuschauer ihn anzuhalten und seine Blumen zu erhaschen, da sie als Glücksbringer gelten.
Stollenreiten, Niederlausitz, August
Erntebrauch: Wettreiten, bei dem der schnellste Reiter einen mit Blumen geschmückten Stollen erhält.
Ringreiten, Mittel- und Niederlausitz, August bis September
Erntebrauch: Wettreiten, bei dem eine Stange durch einen unter einer Girlande hängenden kleinen Kranz gestochen werden muss.
Kokot, Niederlausitz, August bis September
Viele Bräuche sind mit dem Ende der Ernte verbunden. Besondere symbolische Bedeutung wurde dem Hahn (Kokot) zugesprochen und Erntebräuche danach benannt. Beim Hahnschlagen versuchen junge Männer mit verbundenen Augen und mit einem Dreschflegel einen umgestürzten Topf, unter dem der Hahn sitzt, zu treffen. Beim Hahnrupfen wird ein toter Hahn am Querbalken einer geschmückten Pforte angebunden. Die Reiter galoppieren durch die Pforte und versuchen, Teile des Hahnes zu ergreifen. Wer den Kopf erhascht, wird König.
Kirmes, gesamte Lausitz, September bis November
Kirchweihfest: Im Mittelpunkt stehen Treffen mit der Familie und Geselligkeit.
Spinte, gesamte Lausitz, Herbst/Winter
Nach Abschluss der Ernte versammelten sich abends die unverheirateten Mädchen in der Spinnstube (Spinte), um Handarbeiten zu verrichten. Sie galt als Träger vieler sorbischer/ wendischer Bräuche.
Martinssingen, Oberlausitz, 11. November
Heischegang der Kinder am St. Martinstag in den katholischen Dörfern.
Heilige Barbara, Ober- und Mittellausitz, 4. Dezember
Der Brauch der Heiligen Barbara ist ein Bescherbrauch in den katholischen Dörfern um Wittichenau.
Heiliger Nikolaus, Ober- und Mittellausitz, 6. Dezember
Kinder werden vom Heiligen Nikolaus mit Süßigkeiten beschenkt.
Heilige Maria auf Herbergssuche, Oberlausitz, Adventszeit
Eine Marienfigur wird von Haus zu Haus zu getragen und symbolisch die biblische Szene der Herbergssuche nachgestellt.
Christkind, Mittel- und Niederlausitz, Adventszeit
Weihnachtlicher Brauch in der Schleifer Region („Dźěćetko“), dem Hoyerswerdaer Land („Dźěćatko“) und der Niederlausitz („Janšojski Bog“). Das Christkind oder Bescherkind, begleitet von zwei Trachtenträgerinnen, ist in der Adventszeit unterwegs, beschenkt Kinder und spendet mit der geschmückten Lebensrute Segen.
Quelle: Lausitz. Die Sorben/Wenden verbinden die Lausitz. Hg. Wirtschaftsregion Lausitz, 2020
Auftakt für Unesco 5 im März in Klein Kölzig. Foto: Frank Stein
Unesco 5 – für mehr Strahlkraft
Anfang März starteten die vier Lausitzer Unesco-Stätten gemeinsam mit der Domowina und unterstützt von den Bundesländern eine Kampagne, mit der das Potenzial der Natur- und Kulturlandschaften in der Lausitz noch besser vermarktet werden soll. Unter dem Schlagwort „Unesco 5“ werden eigens Angebote zu Bildung und Tourismus zusammengestellt, die den Menschen in der Lausitz und ihren Gästen die Unesco-Landschaften und die Bräuche der Sorben erlebbar machen. „Gemeinsam mit den vier Lausitzer Unesco -Stätten und dem immateriellen Kulturerbe der Sorben/Wenden ergibt sich in der Lausitz eine weltweit einmalige Dichte an Landschaften mit Unesco -Status. Erst mit einer gemeinsamen Angebotsentwicklung und Kommunikation können sie ihre maximale Strahlkraft entfalten“, erklärt Eugen Nowak, Leiter des Unesco-Biosphärenreservates Spreewald und Hauptinitiator des Projektes. Konkret sollen in den kommenden Jahren Bildungs- und Informationsformate, Themenradtouren, Videoproduktionen, Schulungsangebote für Gästeführer, Bildungsangebote für Schulen und Erlebnispädagogik umgesetzt werden.
Foto links: Maja Schramm (hinten li.) und Hella Stoletzki beim Dreh mit MDR Kultur für das Format „Nächste Generation“. Foto rechts: Das Kolektiw Wakuum mit Freunden beim Vernetzungstreffen „seś“.
Sorbisch modern
Dass zum Sorbischen so viel mehr gehört als Tracht und Eierverzieren, als dörfliche Traditionen, zeigen Initiativen junger Menschen, die auf erfrischende Weise sorbische Sprache und Tradition mit junger, moderner Rock- und Popkultur verknüpfen. In den vergangenen Jahren sind eine Handvoll Bands und Gruppen entstanden, wie die Hip Hop-Band Koletwi Klanki, die Musiker von Skupina Astronawt oder das Kolektiw Wakuum, eine Gruppe junger Menschen, die seit 2020 die sorbische Subkultur bereichert. Mitbegründerin Maja Šramojc: „Uns haben die sorbischen Rapperinnen in den Konzerten, die sorbischen DJs hinter den Turntables gefehlt. Natürlich gehören Kulturen und Traditionen zum Sorbischen. Aber wenn man in der Stadt, außerhalb der dörflichen, sorbischen Strukturen lebt, fehlt einem das Identifikationspotenzial. Hier gibt es kaum Möglichkeiten, sorbische Kultur – gerade auch für junge Menschen – zu erleben. Genau das möchten wir mit unserem Projekt ändern.“ Und so schaffen sie und ihre Mitstreiter junge, neue Kulturangebote. Sie füllen eine Lücke, ein Vakuum an sorbischer Jugend- und Popkultur außerhalb der Dörfer. Ihr Repertoire ist so vielfältig wie Kultur eben ist: Karaoke, Konzerte, Tanz, Theater, Kunstausstellungen, Lese- und Filmabende. Sogar eine eigene TV-Sendung haben sie produziert. Mit der jungen Modedesignerin Sarah Gwiszcz gibt es seit 2014 ein eigenes Modelabel. Unter dem Namen Wurlawy, was übersetzt „wilde Spreewaldfrauen“ bedeutet, verknüpft sie traditionelle Elemente sorbischer Tracht mit modernem Design und macht die sorbische Tracht so alltagstauglich.
Sarah Gwiszcz übersetzt mit ihrem Modelabel Wurlawy sorbische Trachten ins Moderne.
Sorbisch im Alltag
Abseits der sorbischen Feste sieht man die klassischen sorbischen Trachten nur selten in der Öffentlichkeit. Wahrnehmbar ist das Sorbische im Alltag unter anderem durch die zweisprachige Beschilderung in den Gemeinden. Orts- und Straßenschilder tragen den deutschen und den ober- bzw. niedersorbischen Namen. Vielen deutschen Ortsnamen sieht man bis heute ihre sorbischen Wurzeln an – auch außerhalb der Lausitz. So gehen Ortsbezeichnungen, die auf -ow oder -itz enden, auf die frühe slawische Besiedlung im heutigen Ostdeutschland zurück. Beispiele sind Chemnitz, Kolkwitz, Sandow oder Pankow. Auch einige Familiennamen spiegeln die sorbischen Wurzeln der Region: Einige Namen verwiesen auf den Hof (Kulka/ Kartoffel), andere auf den Berufsstand. So geht der Name Krautz auf das sorbische Wort „Krawc“ für Schneider zurück, Kowar ist der Schmied, Sarodnik der Gärtner. In Deutschland ermöglicht ein Fachgesetz den Angehörigen einer Minderheit, ihren Namen in ihrer Sprache zu führen. Im Sorbischen wird so aus dem „Lehmann“ ein „Wićaz“ (gesprochen Witschas). Hier ändern sich der Begriff und auch die diakritische Schreibweise, also die sorbischen Buchstaben werden angewandt. In der Praxis bringt dies einige Schwierigkeiten mit sich. So ist es nicht in allen Bereichen möglich, die sorbischen Buchstaben anzuwenden. Am Ende hat man dann einen Namen im Personalausweis und auf dem Versicherungsschein einen anderen.
„Diese Herausforderung beschäftigt uns bereits länger“, sagt Dawid Statnik und verweist zugleich auf ein weiteres Problem: „In den slawischen Sprachen werden bei Familiennamen Suffixe verwenden. Wenn der Mann „Wićaz“ heißt, heißt seine Frau „Wićazowa“. Der Sohn heißt (wie der Vater auch) „Wićaz“, die Tochter jedoch „Wićazec“. Die deutsche „Namenskontinuität“, bei der der Familienname vererbt wird, ist mit der sorbischen Sprache also nicht vereinbar. Darum setzen wir uns bereits seit Jahren dafür ein, dass das deutsche Namensrecht angepasst wird.“ Das könnte nun tatsächlich passieren. Das Bundesjustizministerium will einen entsprechenden Gesetzesentwurf auf den Weg bringen. Demnach soll das Namensrecht liberalisiert werden und sorbischen Frauen das entsprechende Suffix ermöglichen. Dawid Statnik: „Ein Name ist immer Teil der Identität und unser Staat sagt uns mit dem aktuellen Namensrecht schlicht, dass ihm unsere Identität egal ist. Als Sorbe ist es immer ein bedrückendes Gefühl, wenn Sie einen Namen haben, der sorbisch ist, Sie aber einen Pass haben, in dem der deutsche Name steht, mit dem Sie eigentlich nicht viel zu tun haben. Daher ist unsere Hoffnung groß, dass es uns nun endlich gelingt, ein weiteres Stück Normalität zu schaffen.“
Die zweisprachigen Ortsschilder sind eines des sichtbarsten Zeichen für die Zweisprachigkeit der Lausitz.
Was vielen vermutlich nicht bewusst ist: Die Lausitzer Küche ist ebenfalls sorbisch geprägt: Gerichte wie Kartoffeln, Quark und Leinöl, Rindfleisch mit Meerrettich oder Buttermilchplinse kommen in vielen Familien auf den Tisch. Weithin bekannt – auch über die Grenzen der Lausitz hinaus, sind die Figuren der sorbischen Sagenwelt. Drei der bekanntesten sind die Mittagsfrau, der Wassermann und Krabat. Über Romane und Verfilmungen sind ihre Geschichten einem breiten Publikum bekannt gemacht worden. Otfried Preußler hat sowohl die Geschichte vom kleinen Wassermann als auch von Krabat als Roman aufgeschrieben, 2008 wurde der Stoff mit einer prominenten Schauspielriege verfilmt. Die sorbische Sagenfigur Krabat geht zurück auf den kroatischen Offizier Janko Šajatović, auf Deutsch Johann von Schadowitz. Ab 1658 diente Schadowitz als Obrist in der Leibgarde des sächsischen Kurfürsten unter insgesamt vier Königen. Zum Dank für seine treuen Dienste erhielt er das Gut Särchen. Vielleicht wäre von Schadowitz aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden, hätte nicht kurz nach seinem Tod die Sage vom sorbischen Zauberer Krabat die Runde gemacht. Heute wird die Figur geschickt fürs Marketing eingesetzt. Die Krabatmühle in Schwarzkollm zieht jährlich tausende Besucher an. Die Krabat-Festspiele mit etwa 10.000 Zuschauern pro Jahr sind regelmäßig innerhalb weniger Stunden ausverkauft. Die Stadt Hoyerswerda vermarktet sich im Geiste Krabats als sagenhafte Familienregion und will damit vor allem junge Familien für die Stadt gewinnen. Dafür werden nicht nur bestehende Angebote beworben, sondern auch neue geschaffen – wie der jährliche Krabatmarkt oder Stadtrallyes. Erst jüngst wurde eine eigens dafür geschaffene Skulpturen-Bank im Stadtbild aufgestellt, auf der man neben Krabat/Schadowitz Platz nehmen kann.
Jährlich zeichnet die Domowina in einem Wettbewerb für Kinde rund Jugendliche die schönsten sorbischen Ostereier aus. Hier die Preisträger von 2021. Foto: Theresia Krüger
Chancen für Familien
Die reiche sorbische Kultur, die wir hier vorgestellt haben, ist für Familien ein echter Schatz. Ihn zu bewahren, ist unser aller Aufgabe. Dazu sollten möglichst viele Menschen, ganz gleich ob sie sich zum Sorbentum bekennen oder nicht, die sorbische Sprache lernen und sprechen, sorbische Theater besuchen, sorbischen Festen beiwohnen und sie mitgestalten.
Dafür braucht es das Engagement jedes einzelnen. Das Alleinstellungsmerkmal Zweisprachigkeit sollten Eltern als Chance sehen. In den Metropolen Hamburg, Berlin oder München ist es unter gebildeten Familien verbreitet, den Nachwuchs in zweisprachigen Kitas anzumelden, die neben Deutsch auch Englisch vermitteln. Denn Zweisprachigkeit gilt als vorteilhaft für die geistige, sprachliche und soziale Entwicklung von Kindern. Neben der Annäherung an die eigene Identität bringt das Erlernen der sorbischen Sprache weitere praktische Vorteile mit sich. Die Vorzüge der Zweisprachigkeit im Kindesalter fächern sich von Entwicklungsvorsprüngen im Denken und Handeln bis hin zu mehr Einfühlungsvermögen gegenüber anderen. Ganz konkret steigert sich die Gedächtnisleistung, die Aufmerksamkeit kann besser gelenkt und Informationen können schneller verarbeitet werden. Nicht zuletzt fällt es grundsätzlich leichter, die nächste Fremdsprache zu lernen, wenn es zuvor schon einmal gelungen ist. All diese Vorteile treffen auch auf Erwachsene zu, wenn sie sich intensiv mit anderen Sprachen auseinandersetzen. Umso eher damit begonnen wird, desto spielerischer und natürlicher kann der Lernprozess gelingen.
Und warum dann ausgerechnet Sorbisch lernen – und nicht Englisch oder Spanisch? Ganz einfach: Es ist nicht nur die Frage der Identität und der Verbundenheit mit der Lausitzer Heimat, die Sorbisch als frühe erste Fremdsprache prädestiniert. So besitzt sowohl das Ober- als auch das Niedersorbische grammatikalische Phänomene und Raritäten, die in wenig anderen Sprachen vorkommen oder konserviert wurden, wie den Dual oder das Supinum. Allein mit seinen sechs Fällen, Aspektverben, Diminutiven, Augmentativen und vielem mehr ist Sorbisch linguistisch betrachtet eine ausgesprochen reiche Sprache. Daher stellt ein frühzeitiges, natürliches Erwerben dieses komplexen Sprachsystems eine perfekte Basis für das Erlernen weiterer Fremdsprachen dar. Besonders leicht dürfte der Erwerb von Polnisch oder Tschechisch fallen, wenn vorher Nieder- bzw. Obersorbisch erlernt wurde. Die Ähnlichkeiten gehen auf die historische Nachbarschaft des heutigen Südbrandenburgs mit Polen und des heutigen Ostsachsens mit Tschechien zurück. Bis ins 17. Jahrhundert gab es im Bereich zwischen Cottbus und Zielona Góra sogar Übergangsdialekte, die Grenzen zwischen Niedersorbisch und Polnisch waren fließend.
Ferner erweitert das Erlernen einer weiteren Sprache nicht nur das Vokabular, sondern auch die kognitiven Fähigkeiten. Es kann dazu beitragen, die Fähigkeit des Kindes zu verbessern, komplexe Konzepte zu verstehen und in verschiedenen Kontexten zu kommunizieren. Studien haben darüber hinaus gezeigt, dass Kinder, die mehrere Sprachen sprechen, tendenziell bessere akademische Leistungen erbringen als ihre einsprachigen Kommilitonen. Dies kann dazu beitragen, die Fähigkeit des Kindes zu verbessern, in verschiedenen Fächern zu lernen und bessere Noten zu erzielen. Nicht zuletzt kann Zweisprachigkeit bei der Jobsuche ein echter Wettbewerbsvorteil sein.
Und wenn Sie jetzt Lust bekommen haben auf etwas mehr Sorbisch in Ihrem Familienalltag, haben wir auf den kommenden Seiten Kitas, Schulen, Vereine, Kultureinrichtungen, Medien, Internetseiten und Literatur zusammengestellt. Eine tolle und für Kinder meist sehr spannende Möglichkeit ist der Besuch oder gar das Mitwirken bei sorbischen Bräuchen. Ostern steht vor der Tür. Besuchen Sie gemeinsam einen der Ostermärkte in der Region und verzieren Sie gemeinsam Ostereier, bewundern Sie vom Straßenrand aus die imposanten Züge der Osterreiter oder machen Sie es sich beim Osterfeuer bzw. Hexenbrennen gemütlich. Aber auch Veranstaltungen wie der Spreewälder Weihnachtsmarkt in Lehde oder das Dudelsackfestival in Schleife lohnen einen Besuch.
Blick auf die Krabatmühle in Schwarzkollm.
Kultur
Serbski muzej / Sorbisches Museum Bautzen
Auf dem Areal der Ortenburg hoch über der Spree stand einst die Stammesburg der slawischen Milzener. Heute ist die Hauptstadt der Oberlausitz das kulturelle Zentrum der Sorben. Familien und Interessierte können hier die Gelegenheit nutzen, die Geschichte und Kultur der slawischen Minderheit kennenzulernen: von traditionellen Trachten und Bräuchen bis hin zu moderner Kunst und Musik. Zu empfehlen ist dabei der Audioguide für Erwachsene sowie der unterhaltsame Videoguide für Kinder.
Serbski muzej / Wendisches Museum Cottbus
Ein abwechslungsreicher Rundgang durch das 2020 umfangreich sanierte Museum gibt vielschichtige Einblicke in das sorbische/wendische Leben gestern und heute. Wertvolle Originale, aufwändig erstellten Repliken und mediale Angebote vermitteln Wissenswertes zu den Themen Glaube und Religion, Sprache und Literatur, Brauchtum und Tracht, Musik und Bühnenkunst, aber auch zu Industrialisierung und Umbruch sowie zu Bedrohung und Verlust von Heimat und Identität.
Slawenburg Raddusch
Die Slawenburg ist eine äußerlich originalgetreue Nachbildung eines slawischen Burgwalls. Dieser diente der in unmittelbarer Nähe lebenden Bevölkerung zum Schutz. Heute beherbergt die Burg eine der interessantesten Archäologie-Ausstellungen des Spreewaldes. Anhand von Original-Funden können sich Familien auf eine Zeitreise durch 130.000 Jahre Lausitzer Geschichte begeben.
Sorbisches Kulturzentrum Schleife
Hier erhalten Familien Einblick in die Besonderheiten und Einzigartigkeit der sorbischen Kultur in den Dörfern des Kirchspiels Schleife. Eine ständige Ausstellung zeigt die umfangreiche Trachtenpuppensammlung zur Schleifer sorbischen Tracht, nimmt sie mit in die Schleifer sorbische Sagenwelt und veranschaulicht die sorbischen Techniken des Ostereierverzierens. In der Osterzeit kann man sie vor Ort selbst ausprobieren.
www.sorbisches-kulturzentrum.de
Heimatmuseum Dissen
In der Dauerausstellung und den Sonderausstellungen des Heimatmuseums geht es um sorbischen Alltag, um Bräuche und Trachten. Man erfährt, warum es 60 verschiedene Trachtenvarianten gibt, warum die Brautjungfer am Tag der Hochzeit drei Mal ihre Kleidung wechselt und was die Redewendung „den Montag blau machen“ mit dem Sorbischen zu tun hat. Auf dem Gelände befindet sich auch ein Freilichtmuseum mit rekonstruierten slawischen Grubenhäusern, in denen Kinder nachempfinden können, wie die Slawen im frühen Mittelalter lebten. Und auch in Dissen kann man sich in die Geheimnisse des sorbischen Eierverzierens einweihen lassen.
www.heimatmuseum-dissen-spreewald.de
Sorbisches National-Ensemble Bautzen
Mit rund 14.000 Gastspielen in mehr als 40 Ländern auf vier Kontinenten seit seiner Gründung 1952 gilt das Ensemble als einer der wichtigsten Kulturbotschafter des sorbischen Volkes. In den drei Sparten Ballett, Chor und Orchester wird die kulturelle Tradition der Sorben gepflegt, bewahrt und weiterentwickelt. Zu den bekanntesten Inszenierungen gehört jährlich zum Jahresbeginn die Vogelhochzeit – in einer Version für Kinder und einer für Erwachsene. Aufgeführt wird sie nicht nur in Bautzen, sondern in vielen Orten der Lausitz. Darüber hinaus sind für die Jüngsten insbesondere die Mitmach-Theaterstücke des Ensembles zu empfehlen.
Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen
Das Deutsch-Sorbische Volkstheater Bautzen gilt in seiner künstlerischen Konzeption als deutschlandweit einmalig: ein Theater, zwei Sparten, drei Sprachen, nämlich Deutsch, Ober- und Niedersorbisch. Es ist damit das einzige bikulturelle Berufstheater Deutschlands. Mit verschiedenen sorbischsprachigen Inszenierungen und dem Puppentheater-Repertoire wird die gesamte Lausitz bespielt. Es gibt eigens Inszenierungen für Kinder, in der aktuellen Spielzeit beispielsweise das Puppen- und Schattentheater „Närrische Märchen“ in deutscher und niedersorbischer Sprache. Sehr zu empfehlen für Familien ist das jährliche Sommertheater. In diesem Jahr treibt die Addams Family auf der Ortenburg ihr Unwesen.
Krabatmühle Schwarzkollm
Im Hoyerswerdaer Ortsteil wurde der zentrale Ort der Krabatsage aufgebaut, so dass man dort heute die authentische Geschichte von Krabat alias Johann von Schadowitz erleben kann. Möglich sind Führungen oder selbstständige Rundgänge durch die Mühle und die anderen Gebäude, darunter eine Backstube, das Gesindehaus und der Turm des Müllers. Ergänzt wird das weitläufige Gelände durch einen Krabat-Erlebnispfad, einen Spielplatz und einen Barfußpfad. Wir empfehlen einen Blick in den Veranstaltungskalender, der von Ostereier-Verzieren bis zum Erntedank-Fest vieles für Familien bereit hält.
Njepila-Hof Rohne
Die Geschichte des Hofes reicht mehr als 200 Jahre zurück und ist eng verbunden mit dem sorbischen Volksschriftsteller Hanzo Njepila-Rowniski. Ein rühriger Verein kümmert sich seit 1999 um den Erhalt und die Pflege dieses architektonischen Kleinods. Das Hauptgebäude ist ein über 200 Jahre altes Schrotholzhaus, in dem sich eine Sorbische Heimatstube, Ausstellungsräume mit historischen Geräten zur Flachsverarbeitung und zum Weben und ein rustikaler Veranstaltungsraum befinden. Ein Besuch lohnt sich besonders zu den Veranstaltungen, in denen sorbische Bräuche gepflegt werden.
Vereinsleben
Viele Dörfer im sorbischen Siedlungsgebiet haben wenigstens eine sorbische Tanz-, Chor und Trachtengruppe, in der oft schon Kinder die sorbischen Tänze, Lieder, Bräuche und Trachten kennenlernen. Sie alle hier darzustellen, ist schon aus Platzgründen nicht möglich. Einen guten Überblick erhalten Familien auf den Internetseiten der fünf Domowina-Regionalverbände.
Wir beschränken uns an dieser Stelle auf eine Übersicht von einigen überregional wirkenden Mitgliedsvereinigungen des sorbischen Dachverbands Domowina, in dem sich Kinder, aber auch Eltern engagieren können.
Der Sorbische Jugendverein Pawk (Spinne) vernetzt sorbische Jugendliche – aber nicht nur untereinander, sondern z. B. auch in der Jugend Europäischer Volksgruppen (JEV).
Sokoł – der Dachverband sorbischer Sportvereine und einzelner Sportenthusiasten ist Teil der slawischen Sokołbewegung und initiiert regelmäßige regionale Sportveranstaltungen.
Gegründet wurde der Bund sorbischer Gesangsvereine bereits 1923, um das sorbische Liedgut zu pflegen, die sorbische Chorbewegung zu fördern und Freude beim gemeinsamen Singen in der Muttersprache zu finden.
Im Sorbischen Künstlerbund engagieren sich Künstler, Journalisten, und Freunde der sorbischen Kunst und Kultur für die Interessen der bildenden Künste, Musik, Prosa, Poesie, Film, Theater und Publizistik.
Der Sorbische Schulverein vertritt sorbische Interessen im zweisprachigen Bildungswesen und ist Träger von Kindertagesstätten.
Der 1862 begründete Cyrill-Methodius-Verein ist ein Zusammenschluss katholischer Sorben, der den christlichen Glauben im sorbischen Volk verbreiten will und sorbische Interessen innerhalb der katholischen Kirche vertritt.
Dem Förderkreis für sorbische Volkskultur gehören 34 Volkskünstler der Ober-, Mittel- und Niederlausitz an. Er organisiert den jährlichen Ostereiermarkt in Bautzen, Malerei-, Keramik- und Holzwerkstätten sowie Ausstellungen.
Die Gesellschaft zur Förderung des Sorbischen National-Ensembles dient der allgemeinen Unterstützung des Drei-Sparten-Hauses.
Das Point-and-Click-Adventure „Krabat und das Geheimnis des Wendenkönigs“ erhält man unter www.rapaki.de für PC, Android und iOS, inzwischen auch als Englischversion.
Bildung & Sprache – inklusive digitalen Helferlein zum Sorbisch-Lernen
Alle auf einer Karte: Sorbisch/wendische Kindergärten und Schulen
Das Erlernen der sorbischen Sprache sollte mit dem Ende des Kita- bzw. Schultags nicht aufhören. Mithilfe vielfältiger Angebote aus der Literatur oder in digitalen Medien haben sowohl Kinder als auch Erwachsene die Möglichkeit, sich auch zu Hause mit der Sprache vertraut zu machen. Unser Tipp an Eltern: Wagen auch Sie sich an die sorbische Sprache. Die Schule für niedersorbische Sprache und Kultur in Cottbus und das Witaj-Sprachzentrum in Bautzen bieten Sprachkurse für Erwachsene an. Ergänzend oder alternativ probieren Sie einige der folgenden digitalen Sprachlernangebote ruhig selbst einmal aus:
Online-Sprachkurs: Auf www.sorbischlernen.de stehen sowohl Anfänger- als auch Muttersprachler-Kurse zur Verfügung, nochmals unterteilt in Ober- und Niedersorbisch. Nach wenigen Klicks geht’s mit den ersten Lektionen schon los. Die Lektionen sind vielfältig und eignen sich super z.B. für kleine Sorbisch-Häppchen am Abend.
Kurse fürs Smartphone: Auch per App kann man kinderleicht in das Sorbisch-Lernen einsteigen. Möglich machen das die Apps „Sorbisch leicht“ (Obersorbisch) bzw. „Niedersorbisch leicht“, die sowohl im Google Play Store als auch im App Store zum Download angeboten werden.
Krabat-Abenteuer für die ganze Familie: Mit „Krabat und das Geheimnis des Wendenkönigs“ brachte ein Entwicklerteam in sechs Jahren liebevoller Arbeit ein spannendes Abenteuerspiel für PC, Android und iOS heraus. Das Point-and-Click-Adventure regt zum Nachdenken an, ist wunderschön illustriert und verfügt über eine komplett sorbische Sprachausgabe samt sorbischer, deutscher oder englischer Untertitel.
Sorbische Lieder als App: Dolna Łužyca spiwa (niedersorbisch) und Towaršny spěwnik (obersorbisch) sind Apps, die dutzende sorbische/wendische Lieder inklusive Texten und Noten enthalten.
Märchenklassiker als Video: Der Sorbische Schulverein Bautzen brachte unter www.dyrdakojstwo.de bis Ende 2020 neun Märchenklassiker als Videos heraus, die in sorbischer Sprache eingesprochen wurden.
Digitales Sorbisch-Quiz: Unter www.quizserb.de können Sorben und Nicht-Sorben ihr Wissen bei einem Quiz-Spiel festigen. Bei den Fragen dreht es sich u.a. um Mythologie, Musik, Kultur oder die Niederlausitz, das Quiz kann auf Sorbisch oder Deutsch gespielt werden.
Sorbisch-Memory im Web: Unter www.materialien.sorbischlernen.de finden Familien Memory-Spiele mit verschiedenen Themenwelten, bei denen nicht nur die Konzentrationsfähigkeit gestärkt, sondern auch der Wortschatz ausgebaut wird.
Online-Wörterbücher: Wer einzelne Begriffe nachschlagen möchte, kann www.dolnoserbski.de (Niedersorbisch) bzw. www.soblex.de (Obersorbisch) dafür nutzen. Beide Wörterbücher lassen sich auch in Microsoft Word integrieren, um die Rechtschreibprüfung in den entsprechenden Sprachen einstellen zu können.
Die Lausitz auf Sorbisch: Wie die Straße vor der eigenen Haustür auf Sorbisch heißt? Unter www.karta.luzica.la findet man die Antwort – dort gibt es die einzige sorbische Karte im Netz. Sämtliche Stadt-, Orts- und Straßennamen sind hier übersetzt.
Blog-Einblicke in die Sorben/Wenden: „Sorbisch? Na klar!“ ist ein toller Blog des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Kultur und Tourismus, der die sorbische Sprache und Kultur auf interessante Art und Weise beleuchtet, Sorbisch in Alltagssituationen vermittelt sowie kleinere und größere sorbische Projekte, Initiativen und Persönlichkeiten vorstellt. Einfach mal reinklicken unter www.sorbisch-na-klar.de.
Märchenstunde: Die digitalen Lernplattformen „dyrdakojstwo“ für Niedersorbisch und „dyrdomdej“ für obersorbisch verknüpfen das Sorbisch-Lernen mit Märchen. Hier sind neben Lernmaterialien und Wörterlisten auch wunderschön illustrierte Märchen-Videos zu finden – darunter Rotkäppchen, Hans im Glück, der Froschkönig und viele weitere.
Krasse Lausitz?
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- Kategorie: Titelthemen
Foto: choreograph, istock
Perspektiven im Lausitzer Wandel für Eltern & Kinder
Es ist einer der größten Wandelprozesse der Bundesrepublik: Die Lausitz zwischen Spreewald und Zittauer Gebirge wird von einer Energieregion, in der Jahrzehnte Braunkohle gefördert und verarbeitet wurde, zu einer Modellregion für Klimaschutz und Wirtschaftswachstum. Heiko Jahn, Geschäftsführer der Wirtschaftsregion Lausitz und damit eines der wichtigsten Gesichter des Wandels hat es im Grußwort für diese Ausgabe so formuliert: „Die Lausitz … wird das größte Umweltschutzprogramm der Bundesrepublik.“
Die Lausitz schickt sich an zu einer Modellregion mit internationaler Ausstrahlung zu werden. Sie kann anderen Regionen, die vor ähnlich tiefgreifenden Veränderungen stehen, zeigen, wie Wandel gelingen kann. Da dieser Wandel mit vielen Ansiedlungen und Chancen für Familien einher geht, machen wir ihn in der lausebande zum Thema. Nach rund zweieinhalb Jahren Strukturstärkungsprozess wollen wir im großen Titelthema eine erste positive Bilanz ziehen und Eltern sowie deren Kindern die neuen Perspektiven und Chancen aufzeigen. Inzwischen sind viele Vorhaben beschlossen und erste bereits umgesetzt. Wir werden auf den kommenden Seiten einen Überblick über die wichtigsten Strukturstärkungs-Projekte geben, über bereits bekannte private Investitionen etwa in Fabriken für Batterietechnologien oder die grüne GigawattFactory der LEAG – aber auch über begleitende Maßnahmen etwa in den Entwicklungen in Städten und Gemeinden. Alles in allem wollen wir Familien zum Hierbleiben und Zusammenbleiben animieren, zu neuem Stolz auf eine Region in einem einzigartigen Aufbruch.
Historie & Ausgangslage
Der Beginn der Lausitzer Braunkohlegeschichte reicht mehr als 200 Jahre zurück. Ende des 18. Jahrhunderts wurde erstmals Braunkohle entdeckt. Jahrzehnte später entwickelte sich daraus ein ganzer Industriezweig. Insbesondere zu DDR-Zeiten spielte die Lausitzer Kohleförderung eine zentrale Rolle für die Energieversorgung des Landes und als Wirtschaftsmotor.
In den kommenden 15 Jahren wird also eine mehr als 200-jährige Geschichte abgewickelt werden. Es ist verständlich, dass das bei einigen Menschen zu Verunsicherung führt. Dabei hat der lange Abschied von der Kohle längst begonnen. Heute sind nur noch vier von einst etwa 30 Tagebauen aktiv. Die Menge der jährlich geförderten Kohle hat sich um 80 Prozent reduziert. Die LEAG zählt etwa 7.000 Beschäftigte und ist damit aber noch immer der größte Arbeitgeber der Region.
2020 wurde der lange diskutierte Kohleausstieg Deutschland beschlossen und in Gesetze gegossen. Praktisch heißt das: Spätestens 2038 wird das letzte deutsche Braunkohlekraftwerk vom Netz genommen und stellt seine Arbeit ein. Bis dahin soll die Energieinfrastruktur so ausgebaut sein, dass Deutschland auf Strom und Wärme aus eigener Kohle verzichten kann.
TOP 5 – die größten Arbeitgeber der Lausitz
- 7.000 Beschäftigte: LEAG
- 3.000 Beschäftigte: Carl-Thiem-Klinikum Cottbus
- 2.800 Beschäftigte: Sachsenmilch Leppersdorf
- 2.100 Beschäftigte: BASF Schwarzheide
- 1.900 Beschäftigte: ISS Energy Services Lübbenau
Milliardenförderung & Aufbruchstimmung
Das liegt auch daran, dass der Bund bereits 2019 mit einem Sofortprogramm die ersten Fördergelder für die Region freigegeben hat. Denn flankiert wird das politisch beschlossene Kohleaus mit mehreren Milliarden Euro Strukturhilfe. Insgesamt stellt der Bund den vier deutschen Kohlerevieren 40 Milliarden Euro bereit, davon stehen gut 17 Milliarden Euro der Lausitz zur Verfügung.
Die Strukturmilliarden fließen über zwei Wege ins Lausitzer Revier. Der erste Arm ist für regionale Projekte unter dem Dach der Länder gedacht. Damit kann das Land eigene Projekte finanzieren, aber auch Projekte der Kommunen. Dieses Geld aus dem Länderarm wird in drei Förderperioden ausgezahlt, was bereits für Kritik gesorgt hat, da die Mittel der ersten Förderperiode (2020-2026) bereits weitgehend verplant sind und aktuell keine neuen Projekte beantragt werden können. Sollte der Kohleausstieg wie gefordert vorgezogen werden, müsste die Einteilung in Förderperioden bis 2038 ohnehin überarbeitet werden.
Der zweite Arm umfasst die Bundesmittel, mit denen die Bundesressorts eigene Projekte finanzieren. Diese lassen sich in drei Bereiche aufteilen: Ausbau der Verkehrsinfrastruktur inklusive Neubau von Schienenverbindungen und Autobahnen, Forschung und Wissenschaft, hier insbesondere die Ansiedlung von Instituten, Schaffung von Behördenarbeitsplätzen. Dazu kommen noch weitere Mittel wie das Anpassungsgeld für LEAG-Beschäftigte, die aufgrund des Kohleausstiegs ihren Job verlieren, und Fördergelder aus dem Just Transition Fund der EU. Dieser Fund soll explizit der Wirtschaft zu Gute kommen.
Schon jetzt wird klar: Das Geld ermöglicht zusammen mit den privaten Investitionen aus der Wirtschaft der Region und ihren Menschen einen einzigartigen Wandel. Es entstehen neue Unternehmen, Forschungsinstitute und Behörden mit vielfältigen Möglichkeiten für Ausbildung, Studium und Karriere. Zudem wird in die Infrastruktur investiert. Die Region wird besser ins nationale und internationale Verkehrsnetz eingebunden, Kindergärten und Schulen werden saniert und neu gebaut, Freizeiteinrichtungen profitieren ebenfalls.
Mit den angekündigten Investitionen können in der Lausitz in den kommenden Jahren mehr als 20.000 Arbeitsplätze entstehen, in fast allen Branchen und Qualifikationen. Kaum eine andere Region in Deutschland steht vor einem solchen Aufbruch. Damit bei den manchmal etwas zurückhaltenden Lausitzern die dazu passende Aufbruchstimmung entsteht, sind erste Kampagnen gestartet, die den Menschen innerhalb und außerhalb der Lausitz klar machen sollen: Hier bewegt sich was und hier können Menschen etwas bewegen!
Kampagnenstart in der Staatskanzlei: Ende Dezember wurde die neue Image-Kampagne vorgestellt. Foto: Land Brandenburg
Die Stadt Cottbus wirbt seit gut einem Jahr als BOOMTOWN mit gleichnamiger Kampagne um Zuzug von Menschen, die den Aufbruch der Stadt und der Region mitgestalten wollen. Mit den Megaprojekten wie dem ICE-Instandhaltungswerk der Deutschen Bahn, dem Ausbau des Carl-Thiem-Klinikums zur Universitätsmedizin und dem Aufbau des Lausitz Science Parks werden allein in der Lausitz-Metropolen rund 15.000 neue Jobs entstehen. Viele dieser Arbeitsplätze bieten die Chance, neue Weichenstellungen hin zu mehr Nachhaltigkeit mitzugestalten. Stichworte wie smart city, new work oder grüne Mobilität zeigen, wohin die Reise geht. Schon heute finden sich auf der Plattform mehr als 500 Stellen und Ausbildungsplätze für eine neue berufliche Perspektive.
Ministerpräsident Dietmar Woidke hat Ende Dezember 2022 die gemeinsame Kampagne von Landes Brandenburg und Region gestartet: Unter dem Slogan „Die Lausitz. Krasse Gegend“ wirbt sie regional und bundesweit um Fachkräfte. Die Kampagne will die Transformation vom Bergbaurevier zum Innovationsstandort sichtbar machen und die Möglichkeiten aufzeigen, die sich hier ergeben. Die auf der Kampagne-Seite veröffentlichten Geschichten machen klar: Dabei stehen nicht nur die krassen beruflichen Chancen im Blickpunkt, sondern auch ein Lebensgefühl. In der Lausitz stimmt auch das Drumherum: von Bildung über Kultur bis zum Wohnraum und zur Vereinbarkeit. Die Lausitz, das soll deutlich werden, ist nicht nur ein Karrieresprungbrett. Sie ist ein Ort zum Ankommen und Hierbleiben, zum heimisch werden und Kinder großziehen.
Diese Drohnenaufnahme vom Januar 2023 zeigt den Baufortschritt an der fast 450 Meter langen ersten Halle, in der ab 2024 ICE-Züge gewartet werden sollen. © Filmart, Christian Horn
Projekte & Investitionen
Für die Lausitz ist der Kohleausstieg, der erst vor vier Jahren beschlossen wurde, ein Marathon. Noch sind wir ganz am Anfang – haben dafür aber schon so einiges erreicht.
Auf sächsischer Seite wurden bisher mehr als 80 Projekte bewilligt, auf Brandenburger Seite mehr als 60. Dabei fällt ein Unterschied auf: Während es bei den Projekten auf Brandenburger Seite häufig um Projekte aus dem Bereich der Wirtschaft geht, bei denen direkt oder indirekt Arbeitsplätze entstehen, stehen auf der sächsischen Vorhabenliste viele Projekte der Daseinsfürsorge von der Kitasanierung bis zur Schwimmbad-Erweiterung.
Eine vollständige Darstellung aller bisher bewilligten bzw. vom Bund geplanten Projekte würde den Rahmen dieses Magazins sprengen, ist aber in der nebenan (Infokasten) aufgeführten Präsentation zu finden. Wir beschränken uns daher auf eine Auswahl jener Projekte, die als Leuchttürme weit über ihren Standort hinausstrahlen und solche, die vor allem für Familien relevant sind.
Das Bahnwerk in Cottbus wird das modernste in Europa werden. Unweit des Cottbuser Hauptbahnhofs errichtet die Deutsche Bahn zwei Hallen zur Wartung und Instandhaltung von ICE 4-Zügen, dem Flaggschiff der Bahn. Der Bund investiert für das Projekt mehr als eine Milliarde Euro. Die Fertigstellung des Komplexes ist bis 2026 vorgesehen. Schon im nächsten Jahr soll in der ersten Halle die Wartung von ICE-Zügen beginnen. Jobs und Lehrstellen für das kommende Ausbildungsjahr finden Familien bereits jetzt auf der Projektseite unter Karriere. Insgesamt entstehen 1.200 hochwertige Industriearbeitsplätze, davon etwa 100 Lehrstellen.
Gelb markiert sind die neuen geplanten Gebäude des Universitätsklinikums auf dem CTK-Gelände eingezeichnet.
Die Universitätsmedizin wird ebenfalls unweit des Cottbuser Hauptbahnhofs entstehen – auf dem Gelände des Carl-Thiem-Klinikums. Die Lausitz soll mit dem Innovationszentrum Universitätsmedizin Cottbus zu einer Modellregion für neue Ansätze in der Gesundheitsversorgung werden, das CTK wird zum digitalen Leitkrankenhaus für die Region. Finanziert wird das Projekt mit 1,9 Milliarden Euro aus dem Bundesarm, das Land Brandenburg beteiligt sich mit 300 Millionen Euro in der Aufbauphase, später mit einem jährlichen Zuschuss. Die ersten Studierenden können sich voraussichtlich zum Wintersemester 2026/27 einschreiben. Perspektivisch sind 1.800 Studienplätze und mindestens 1.500 direkte und 2.000 indirekte Arbeitsplätze geplant.
Der Technologiepark Adlershof gilt als Vorbild für den Lausitz Science Park.
Der Lausitz Science Park ist das dritte Leuchtturm-Projekt mit Standort in Cottbus. Im Norden der Stadt, auf dem Gelände des Technologie- und Innovationsparks, entsteht in den kommenden Jahren ein riesiger Wissenschafts- und Technologiepark, vergleichbar mit dem in Adlershof südlich von Berlin. Auf 420 Hektar wird Platz sein für Forschungsinstitute, Kompetenzzentren und bis zu 200 Unternehmen und Start-ups. Die Brandenburgische Technische Universität BTU Cottbus-Senftenberg will hier Spitzenforschung und Transfer auf internationalem Niveau bündeln. Als vier Themenschwerpunkte sind vorgesehen: „Energiewende und Dekarbonisierung“, „Gesundheit und Life Sciences“, „Globaler Wandel und Transformationsprozesse“ sowie „Künstliche Intelligenz und Sensorik“. Schätzungen zufolge birgt der Lausitz Science Park ein Potenzial von 10.000 neuen Arbeitsplätzen – vom Akademiker bis zur Fachkraft, von der Erzieherin bis zur Managerin. Auf dem Gelände werden auch Wohnungen, Kitas und Gastronomie entstehen.
Dieser Entwurf zeigt den künftigen Campus des DZA. © DESY, Staab Architekten
Das Deutsche Zentrum für Astrophysik DZA kommt in die Lausitz nach Görlitz. Es wird damit eines von zwei neuen Großforschungszentren in den sächsischen Kohlerevieren, das zweite entsteht bei Leipzig. Das DZA wird Datenströme astronomischer Observatorien rund um den Globus zusammenführen und in enger Kooperation mit der Industrie und Forschungseinrichtungen neue Technologien entwickeln. Von Anfang an will man dabei das Green Computing vorantreiben und Lösungen entwickeln, die Strom sparen. Zudem könnte unweit des Zentrums – zwischen Bautzen, Kamenz und Hoyerswerda – ein Untergrund-Forschungslabor entstehen. Der designierte Gründungsdirektor des DZA ist der wissenschaftliche Direktor der Europäischen Weltraumorganisation Prof. Dr. Günther Hasinger, er geht von einer internationalen Strahlkraft des neuen Forschungszentrums aus. Die künftig mehr als 3.000 Beschäftigten werden nicht nur aus der Region, sondern der ganzen Welt kommen. Gebraucht werden nicht nur Forschende, sondern auch kaufmännische, technische und administrative Berufe. Hier kann man wirklich nach den Sternen greifen.
Das CASUS in Görlitz ist neben dem DZA sicher eines der spannendsten Forschungsprojekte für die Lausitz. Das Zentrum für datenintensive Forschung ging 2019 an den Start. Während der dreijährigen Aufbauphase investieren Bund und Land gut elf Millionen Euro. Unter dem organisatorischen Dach des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf werden große, vernetzte Systeme erforscht. Mathematiker und Astrophysikerinnen, Klimaexpertinnen und Verkehrsforscher arbeiten an den Fragen der Zukunft: Wir kann man Algorithmen nutzen, um Pandemien zu bekämpfen? Was passiert im Umfeld von Schwarzen Löchern? Wie kann man mit Künstlicher Intelligenz die Therapien bestimmter Krankheiten verbessern oder überhaupt erst ermöglichen?
Das Bauraumwerk will das Bauen und Wohnen in Deutschland moderner und nachhaltiger gestalten. Dazu wird ein Technikum in Hoyerswerda errichtet, in dem innovative Technologien im Bauwesen erprobt werden sollen. Der Fokus liegt zunächst auf neuartigen Systembaulösungen, seriellem Sanieren und Baumaterialien aus nachwachsenden, regionalen Rohstoffen. Langfristig sollen in der Region die dazu passenden Wertschöpfungsketten aufgebaut werden. Schon heute ist den Initiatoren um das Lausitzer Technologiezentrum Lautech gelungen, zwei Dutzend Forschungseinrichtungen und Unternehmen in dem dazugehörigen Netzwerk zu versammeln.
Das Smart Mobility Lab forscht an der Mobilität der Zukunft. Die Technische Universität in Dresden will in Hoyerswerda ein Kompetenzzentrum für autonome Mobilität errichten. Im Ortsteil Schwarzkollm soll eine riesige Halle entstehen, in der Tests mit autonomen Fahrzeugen und Fluggeräten wie Drohnen durchgeführt werden. In den Forschungscampus fließen 100 Millionen Euro aus Strukturmitteln. Schätzungsweise 500 Studierende sollen dort an emissionsfreien und smarten Mobilitätskonzepten forschen. Baustart ist noch in diesem Jahr.
Das Forschungszentrum für elektrisches Fliegen entsteht unter dem Kürzel CHESCO an der BTU in Cottbus. Dort wird daran geforscht, das Fliegen klimafreundlicher zu machen. Auf dem Gelände des bereits vorgestellten Lausitz Science Park entsteht ein in Deutschland einzigartiges Demonstrationsfeld zum Testen neuer Flugantriebe – elektrische ebenso wie Technologien mit Wasserstoff. Dabei liegt der Fokus zunächst auf kleineren Flugzeugen mit einer Kapazität für etwa 70 bis 80 Passagiere, die vor allem auf Kurzstreckenflügen zum Einsatz kommen. Es entstehen bis zu 400 Jobs.
Das Referenzkraftwerk Lausitz in Schwarze Pumpe soll beispielhaft zeigen, wie grüner Wasserstoff aus erneuerbaren Energien zwischengespeichert werden und so zur Energieversorgung beitragen kann. Damit werden in der Lausitz völlig neue Maßstäbe der Energieversorgung erforscht. Errichtet wird das innovative Wasserstoffkraftwerk in den nächsten drei Jahren im Industriepark Schwarze Pumpe. Ende Februar war Wirtschaftsminister Robert Habeck in der Lausitz, um den Fördermittelbescheid für den Bau zu übergeben. Hier geht man von 600 Arbeitsplätzen aus, das Investitionsvolumen liegt bei etwa 50 Millionen Euro.
Die Baumuniversität Branitz wird nach dem historischen Vorbild des illustren Garten-Fürsten Pückler zu einem wichtigen Forschungsprojekt für Parks und Gärten in Europa. Im Branitzer Park soll getestet werden, wie Parklandschaften künftig resilienter gegen Trockenheit und zunehmenden Schädlingsbefall werden können. Wie einst unter Pückler wird dazu erneut eine Baumuniversität etabliert, in der Parkgehölze und Kreuzungen großgezogen werden. Mit ihnen soll es gelingen, die Parklandschaft trotz klimatischer Veränderungen möglichst originalgetreu zu erhalten. Geschaut wird, welche Bäume optisch den vor mehr als 150 Jahren angepflanzten ähneln, aber besser mit Trockenheit und Hitze zurechtkommen. Der Bund unterstützt das Vorhaben mit fünf Millionen Euro.
Die Knappschaft – hier der Cottbuser Standort – gehört zu den Behörden, die weitere Arbeitsplätze in der Lausitz schaffen.
Behörden und Forschungszentren
Weitere Arbeitsplätze schafft der Bund durch die Ansiedlung und Erweiterung von Bundeseinrichtungen. Bereits eröffnet wurden die neue Außenstelle des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle in Weißwasser, hier entstehen 300 Stellen. Die Knappschaft Bahn-See erweitert ihre Standorte in Cottbus und Hoyerswerda, hier entstehen weitere 200 Jobs. Auch das Umweltbundesamt und die Bundesnetzagentur werden in der Lausitz neue Stellen schaffen. Die Bundeswehr will in Ostsachsen einen neuen Standort aufbauen. In den kommenden acht Jahren sollen bis zu 1.000 Bundeswehr-Angehörige stationiert werden – wo genau, das soll noch in diesem Jahr entschieden werden. Insgesamt könnten in den kommenden 20 Jahren auf diesem Weg etwa 2.000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Zu den neuen Forschungsstandorten gehören unter anderem Kompetenzzentren für Regionalentwicklung, für Klimaschutz und für Elektromagnetische Felder. Dazu kommen mehrere Fraunhofer-Institute. Schon jetzt wird klar, dass die Region bei den Themen Forschung, Entwicklung und Innovation ab sofort in der Bundesliga mitspielt. Forschungszentren wie das CASUS und das DZA ziehen kluge Köpfe aus der ganzen Welt an, denn hier können sie Grundlagenforschung betreiben. Allein das CASUS versammelt aktuell 70 Top-Forschende aus 25 Nationen.
Der Ausbau der Bahnverbindungen gehört zu den Infrastrukturvorhaben. Foto: Allianz pro Schiene/ F. Kayser
Schiene und Autobahn
Zu den vom Bund geförderten Projekten gehört auch der Ausbau von Bahn- und Straßenverbindungen. Das vorhandene Netz soll verdichtet werden. Die Lausitz erhält mit dem Strukturwandel endlich einige der schon lange geforderten Bahnverbindungen. Mit dem Ausbau soll einerseits die Ansiedlung von Unternehmen unterstützt werden, andererseits wird die Region so noch attraktiver für Menschen, die hier arbeiten und wohnen wollen, auch für Pendler. Zu den wichtigsten Verkehrsprojekten gehören der Bau mehrerer Ortsumfahrungen entlang der B 97 und der B 169 und der Ausbau der A 13 zwischen Spreewald und Schönefeld. Vom geplanten Ausbau der A 4 in Ostsachsen hat der Bund vorerst wieder Abstand genommen. Bei den Bahnverbindungen sind es der zweigleisige Ausbau der Strecke Lübbenau-Cottbus, der Ausbau und die Elektrifizierung der Strecke Arnsdorf-Kamenz-Hosena ggf. bis Hoyerswerda und Spremberg sowie der Strecke Dresden-Bautzen-Görlitz ggf. bis Zittau. Ob und wann die Lausitz eine ICE-Verbindung erhält, ist derzeit noch offen. Favorisiert wird die Strecke zwischen Berlin-Cottbus-Görlitz und von dort weiter nach Breslau.
Investitionen in Europas grüne Zukunftsregion: der nachhaltige Industriepark in Drewitz.
Private Investitionen
Dass der Lausitzer Aufbruch längst begonnen hat, zeigen die Investitionen aus der Wirtschaft, welche die beschriebenen Investitionen von Bund und Land flankieren. In den vergangenen drei Jahren wurden mehrere Ansiedlungen und Erweiterungen bekanntgegeben, die mit Millionen-Investitionen und neuen Jobs einhergehen. Auch hier entstehen Perspektiven für Schulabgänger, Berufsanfänger und Fachkräfte.
Die LEAG, bisher und wohl auch künftig der größte Arbeitgeber der Lausitz, bereitet derzeit den „Big Green Switch“ vor, die Transformation des Unternehmens hin zu nachhaltiger, grüner Energieversorgung. Bereits im Herbst hat die LEAG mit der GigawattFactory ihren Plan für eine neue Energiewelt in der Lausitz präsentiert. Das Ziel: Sieben Gigawatt Erneuerbare will das Unternehmen bis 2030 installieren, bis 2040 ist sogar eine Verdopplung auf 14 Gigawatt im Blick. Die einmalige Chance dazu liefert der Flächenschatz des Energieunternehmens, der aus rund 33.000 Hektar ehemaliger Bergbauflächen und Betriebsanlagen besteht. Hier können konfliktarm neue Photovoltaik- und Windkraftanlagen in der benötigten Größenordnung entstehen. Durch die Kraftwerksstandorte verfügt die LEAG auch gleich über die nötige Infrastruktur, um die Energie ins Netz einzuspeisen. Innerhalb von sieben Jahren soll so das größte ganzheitliche grüne Powerhouse Deutschlands entstehen. Die LEAG kann so zu einem der führenden Energieunternehmen unseres Landes für Erneuerbare und zu einem der Top 10 Stromerzeuger Europas wachsen. Schon in den zurückliegenden Jahren hat die LEAG diesen Weg konsequent eingeschlagen – unter anderem mit dem Bau eines riesigen Batterie-Speichers und dem Bau und Betrieb erster Solarparks.
Der Bau der Tesla-Fabrik südlich von Berlin strahlt bis in die Lausitz aus. So hat der japanische Automobilzulieferer TDDK angekündigt, sein Werk im sächsischen Straßgräbchen mit knapp 1.000 Arbeitsplätzen so auszubauen, dass es zum europaweit größten Werk für elektrische Kfz-Klimakompressoren wird. Die Tesla-Fabrik dürfte auch einen entscheidenden Anteil daran haben, dass in der Lausitz die bisher erste vollständige Wertschöpfungskette für die Herstellung von Lithium-Batterien in ganz Europa entsteht. Die Rohstoffaufbereitung des Lithiums erfolgt künftig in Guben, wo das kanadische Unternehmen Rock Tech Lithium den ersten Lithium-Hydroxid-Konverter errichtet. Die BASF in Schwarzheide investiert in eine Anlage zu Kathodenfertigung. Die Unternehmensgruppe Altech wiederum wird in Schwarze Pumpe in eine neue Fabrik investieren und dort Anodengraphit herstellen. Beide Materialien sind wichtige Bestandteile für die Batteriefertigung. Die Fertigung von Batterien erfolgt bisher in Kamenz, bei der Daimler-Tochter Accumotive, bei Microvast in Ludwigsfelde und künftig auch direkt bei Tesla. In Lauchhammer werden künftig ebenfalls Batterien hergestellt: Der chinesische Investor SVolt will auf dem früheren Gelände von Vestas eine Batteriezell-Fabrik errichten. Selbst für das Recycling der Batterien und die Wiederaufbereitung der verwendeten Rohstoffe gibt es mit der BASF und Rock Tech ebenfalls Akteure vor Ort. Zudem will das chinesische Unternehmen Botree Cycling in Guben eine Anlage für Batterie-Recycling errichten.
Auch weitere Branchen setzen auf grüne Technologien und nachhaltige Unternehmensentwicklung. So wird auf dem ehemaligen Flugplatz Cottbus-Drewitz eines der ersten grünen Industriegebiete entstehen. Dort entwickeln private Investoren derzeit einen ökologisch ausgerichteten Gewerbe- und Industriepark, auf dem perspektivisch Platz für 2.000 neue Jobs ist. Etwa ein Drittel der Fläche ist für die Erzeugung erneuerbarer Energien vorgesehen, so dass das Gewerbegebiet CO2-neutral versorgt werden kann. Auch die sich ansiedelnden Unternehmen setzen auf nachhaltige Produkte und Prozesse. So soll in Drewitz künftig grünes Kerosin für nachhaltiges Fliegen hergestellt werden.
Mit dem Stahlproduzenten ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt wird ein weiteres großes Unternehmen den Wandel hin zu einer grünen Produktion anpacken. Die Stahlindustrie gilt als eine der wichtigsten, aber zugleich als eine mit hohem CO2-Ausstoß. Die internationale Unternehmensgruppe ArcelorMittal gilt als einer der größten Stahlproduzenten Deutschlands, eines der deutschen Werke steht in Eisenhüttenstadt. Dort will man in den kommenden Jahren schrittweise den CO2-Ausstoß verringen. Als Brückentechnologie wird zunächst Erdgas anstelle von Kohle in den Hochofen eingeblasen, bis grüner Wasserstoff im benötigten Umfang und zu wettbewerbsfähigen Kosten zur Verfügung steht. Als Zwischenschritt ist die Installation einer elektrischen Schrottschmelz-Anlage geplant, um durch die Erhöhung des Schrottanteils die Roheisenproduktion reduzieren zu können und damit die CO2-Emissionen signifikant zu senken. In der finalen Ausbaustufe soll die installierte elektrische Schmelzanlage mit einer mit grünem Wasserstoff betriebenen Direktreduktionsanlage kombiniert werden. So könnte das Unternehmen bis 2050 das Ziel erreichen, Stahl klimaneutral herzustellen.
Unternehmensinvestitionen und neue Arbeitsplätze
- Altech Industries, Schwarze Pumpe: 150
- Rocktech Lithium, Guben: 160
- Jack Links, Guben: 100
- Botree Cycling, Guben: 130
- SVolt, Lauchhammer: 1.000
- BASF Schwarzheide: 30
- Green Areal Lausitz, Drewitz: 2.000
Ein Traum für Urlauber, Investoren und Lausitzer: Der Geierswalder See als eine Perle des Lausitzer Seenlandes. Foto: Peter Radke
Arbeiten UND Leben
Nachdem wir auf den bisherigen Seiten die vielen, spannenden, neuen Möglichkeiten für Beruf und Karriere vorgestellt haben, wollen wir nun noch aufzeigen, dass die Lausitz auch zum Leben und Wohnen, für Freizeit und Familie eine echt krasse Gegend ist.
Mit gleich drei traumhaften Landschaften ist sie ein beliebtes Urlaubsziel für Touristen aus ganz Deutschland und für Gäste aus Polen und Tschechien: der Spreewald mit seinen weitverzweigten Fließen und dem grünen Blätterdach, das Lausitzer Seenland mit seinen blauen Seen und nicht zuletzt die Oberlausitz mit ihrer vielfältigen Landschaft und dem kleinsten Mittelgebirge Deutschlands. Vielleicht sollten wir Lausitzer uns noch öfter bewusst machen: Wir leben dort, wo andere Urlaub machen. Wir können nicht nur in den Ferien und an den Wochenenden an den See zum Baden fahren, sondern einfach nach Feierabend Kind und Kegel zusammenpacken und ans Wasser fahren. In vielen Regionen geht das sogar mit dem Fahrrad, weil die Seen hier quasi vor der Haustür liegen. Mit der weiteren Flutung der Seen und den Hotels, Gaststätten, Freizeitparks, die ringsherum entstehen, wächst das, was man so schön Lebensqualität nennt, von Jahr zu Jahr.
Mit ihren Dörfern und Kleinstädten, dem Mittelzentrum und der Lausitzmetropole Cottbus bietet die Region zudem fast die ganze Palette an Wohnorten – außer Großstadtdschungel können wir alles. Wer das idyllische Landleben mit eigener Scholle sucht, wird hier ebenso fündig wie jene, die gern die gesamte Familien-Infrastruktur von Kita über Schule bis zu Kino und Schwimmbad fußläufig erreichen wollen. Und dort kann dann jede Familie die für sie passende Wohnform wählen: Eigentum oder Mietmodell, Wohnung oder Haus. In vielen Städten werden seit Jahren und auch künftig neue Baugebiete ausgewiesen, eben weil die Nachfrage nach Bauland durch Familien so groß ist. Und anders als in Berlin, München oder Dresden, sind die Mieten und Immobilienpreise hier für Normalverdiener finanzierbar.
In einigen Orten kann man sogar Grundstücke in Seenähe finden. So werden in Cottbus in den kommenden Jahren mit der Seevorstadt und dem Hafenquartier gleich zwei Wohnviertel am Cottbuser Ostsee entstehen. Nicht nur die Nähe zum Wasser macht die neuen Quartiere besonders reizvoll, sondern auch die nachhaltige Stadtplanung. So soll die 300 ha große Seevorstadt als Reallabor der Energiewende umgesetzt werden, CO2-Neutralität und Klimagerechtigkeit stehen hier im Fokus. Und auch bei den Planungen zum Hafenquartier wird ein Schwerpunkt auf die Umsetzung von nachhaltigen, klimaschützenden und energieeffizienten Versorgungskonzepten gelegt.
Familien finden in der Lausitz zudem eine große Auswahl an Kita- und Schulkonzepten, von klassischen Konzepten bis hin zu freien Schulen mit alternativen, pädagogischen Angeboten. Es gibt mittlerweile auch in der Lausitz Orte, wo es nicht ganz einfach ist, einen Platz in der Wunschkita zu finden. Aber für die meisten Städte und Gemeinden gilt: Hier findet man auch ohne Warteliste und Bewerbungsgespräch einen Kitaplatz.
Nicht zuletzt stimmt das Freizeitangebot. Wer regelmäßig die lausebande liest, weiß, wie unfassbar groß und vielfältig das Angebot an Kinos und Schwimmbädern, Tierparks und Kletterparks, an Museen und Schlössern, an Freizeitparks und Festivals ist. Jährlich finden in Ober- und Niederlausitz gut zwei Dutzend Festivals statt und decken fast alle Bereiche ab: Hochkultur und Theater, Fantasy und Rock. Beispielhaft sei hier nur das Elbenwald-Festival genannt, das im August zum dritten Mal junge Fantasy-Fans aus ganz Deutschland in den Cottbuser Spreeauenpark lockt. Mit dem Strukturwandel wird all das, was der Staat gemeinhin als Daseinsfürsorge bezeichnet, noch weiter ausgebaut. Zu den bereits beschlossenen Strukturwandelprojekten gehören unter anderem:
- Neubau eines Besucher- und Bildungszentrums für den Geopark Muskauer Faltenbogen und den Muskauer Park
- Erweiterung von Zoo und Schwimmbad in Hoyerswerda
- Ausbau der Volkshochschule in Weißwasser
- touristischer Ausbau am Geierswalder See
- Aufwertung des Olbersdorfer Sees
- Schaffung wassertouristischer Infrastruktur am Sedlitzer See
- Neubau eines Besucherzentrums am Großräschener See
- Bau eines Rundwegs um den Cottbuser Ostsee
- Neubau einer Trampolinhalle im Sportzentrum Cottbus
- Bau eines Kultur- und Sportzentrums in Burg (Spreewald)
- Erweiterung, Neubau und Sanierung von mehreren Kitas
Anfang Januar warb die Junge Lausitz-Vorsitzende Laura Staudacher in Berlin für die Lausitz: „5 Euro pro Quadratmeter? In Berlin Platte. Bei uns Villa. Die Lausitz ist (D)eine Chance.“ heißt es auf dem Plakat. Foto: James Zabel
Wandel mitgestalten
Die wichtigste Voraussetzung jedoch – damit der Wandel gelingt – sind die Menschen in der Lausitz. Sie haben die Chance, diesen einzigartigen Transformationsprozess mitzugestalten, indem sie einen der neuen spannenden Jobs übernehmen, indem sie eigene Projekte umsetzen, indem sie Menschen zum Hierbleiben, Zurückkehren und Herkommen überzeugen, indem sie jene Netzwerke und Vereine unterstützen, die sich die Begleitung des Wandels auf die Agenda geschrieben haben. Eltern können mit ihren Kindern immer wieder über die schönen Seiten ihrer Heimat sprechen, ihnen die beruflichen Perspektiven aufzeigen. Es gibt schon lange keinen Grund mehr, der Lausitz nach der Schule den Rücken zu kehren. Wenn es der Nachwuchs trotzdem machen möchte, um Großstadtluft zu schnuppern oder die Welt zu bereisen, dann können Sie als Eltern dafür sorgen, dass das Band zur Heimat nicht abreißt, dass die Kinder hier verwurzelt bleiben und in ein paar Jahren vielleicht zurückkommen.
Die Lausitz bietet in Stadt und Land durch eine breit aufgestellte Vereinslandschaft jede Menge Möglichkeiten, sich zu engagieren. Ob Kunst und Kultur, Wissenschaft und Bildung, Kirche oder Freiwillige Feuerwehr – überall bringen sich Menschen ein und gestalten die Gesellschaft mit. Hier punktet die Lausitz ebenfalls gegenüber den anonymen Metropolen: Wer sich wirklich einbringen will, wer etwas bewegen will, der kann das in den kleineren Städten sehr viel schneller. Die Wege zum Bürgermeister sind kurz, neue Mitglieder im Stadt- und Gemeinderat willkommen.
Wir wollen an dieser Stelle beispielhaft drei Netzwerke vorstellen, die sich lausitzweit mit ihren Ideen für die Zukunft ihrer Lausitz einbringen.
Die Junge Lausitz ist ein Netzwerk junger Menschen, die mit ihren Ideen die Region noch bekannter und anziehender machen wollen. Dazu haben Sie eine eigene freche Image-Kampagne gestartet und zunächst in der Hauptstadt Berlin mit einer Plakataktion vor dem Brandenburger Tor für die Chancenregion Lausitz geworben. Zudem haben sie fünf konkrete Ideen entwickelt, die sie gern als Zukunftsprojekte im Strukturwandel umsetzen wollen:
Ausbildungscampus: In unmittelbarer Nähe zum BTU-Campus soll ein innovativer Standort für die duale Ausbildung und berufliche Fortbildung entstehen – der mit moderner Lernmittelvielfalt, innovativen Lernkonzepten und einem attraktiven Lernumfeld überzeugt. Durch die BTU-Nähe sollen Azubis und Studierende näher zusammenrücken, Mensa, Sportangebote, Wohnheime und Bibliothek könnten gemeinsam genutzt werden. Die Durchlässigkeit zwischen den beiden Ausbildungswegen würde erhöht.
Start-up-Inkubator: Um die Region zum Inkubator für Start-ups und junge Unternehmen zu machen, fordert das Netzwerk eine Start-up-Strategie, eine zentrale digitale Plattform und einen Gründercampus im neuen Lausitz Science Park. Zudem soll ein Start-up-Beauftragter in jedem Landkreis und in jeder kreisfreien Stadt geschaffen werden, der u.a. Start-ups für den Standort Lausitz wirbt und in Schulen über das Thema Unternehmertum und Selbstständigkeit informiert.
Energie für die Zukunft: Die Lausitz soll eine Energie-Region bleiben und in einer Innovationsachse über Berlin, Cottbus und Breslau ihren Beitrag zur Dekarbonisierung leisten. Dazu soll ein Energiecluster gebildet werden, das den massiven Ausbau von erneuerbaren Energien, den Bau einer Wasserstoffpipeline, die Schaffung von Gravitationsspeichern sowie die Transformation des Lausitzer Chemieclusters umfasst.
E-Sport-Leistungszentrum: Das Netzwerk sieht E-Sport als sportliches und wirtschaftliches Zukunftsfeld und will daher die Lausitz zum Zentrum für E-Sport machen. Dazu soll ein E-Sport-Leistungszentrum in der Region angesiedelt werden. Die Athleten sollen im Leistungszentrum Räumlichkeiten für Ausbildung und Training vorfinden sowie gesundheitlich und schulisch betreut werden. E-Sport-Turniere sollen dort ebenfalls ausgetragen werden. Perspektivisch könnte das Leistungszentrum um ein Digitalzentrum ergänzt werden, das den Umgang mit neuen Medien und Technik für alle Altersgruppen vermittelt.
Hyperloop-Teststrecke: Es ist eine der scheinbar verrückten Ideen, mit denen Elon Musk, die Welt ein bisschen besser machen möchte: Ein Hyperloop-Tunnel, indem wir uns unterirdisch mit etwa 1.200 km/h fortbewegen können. Erste kurze Teststrecken dieser Hochgeschwindigkeitsröhre mit Vakuum-Technologie gibt es schon. Die Junge Lausitz möchte die Lausitz zur Testregion für den Hyperloop machen und verweist dabei auf mögliche Synergien zum Cottbuser Standort des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt.
Die Kreative Lausitz & die Lausitz Marketing AG engagieren sich als lausitzweite Netzwerke der Kultur- und Kreativwirtschaft. Ihr Ziel: die Kultur- und Kreativszene in der Lausitz fördern, vernetzen und fest verankern. Die kreativen Köpfe beider Netzwerke treffen sich regelmäßig zum Austausch und haben erste Projekte auf den Weg gebracht. Die Idee hinter dem Engagement: Kreativität ist der stärkste Motor des Strukturwandels. Zu sehen unter www.kreative-lausitz.de und unter www.lausitz-marketing.de.
Die Raumpioniere Oberlausitz sind ein mittlerweile riesiges Netzwerk um die beiden Oberlausitzer Raumpioniere Arielle Kohlschmidt und Jan Hufenbach. Nach vielen Jahren in Berlin sind sie 2010 in die Oberlausitz gezogen – mitten in die schöne „Pampa“. Seitdem unterstützen sie weitere Landlustige, Möchte-gern-mal-Teilselbstversorger, Heimatler, Selbermacher und Raumpioniere, also Menschen, die sich ganz bewusst für das Leben im ländlichen Raum entschieden haben. Mit ihrer Raumpionierstation erleichtern sie Rückkehrern und Zuzüglern das Ankommen in der Oberlausitz. Für alle Fragen, die rund um den Umzug aufkommen, haben sie eine passende Antwort oder kennen Jemanden, der eine Antwort hat. Wer andere Landlustige ebenfalls beim Ankommen in der neuen Heimat unterstützen möchte oder Jemanden kennt, der mit dem Gedanken an eine Rückkehr spielt, der kann sich gern an die Raumpioniere wenden. Glückliche Raumpioniere, engagierte Netzwerke und Vereine stellen sich ein Mal jährlich bei der „Landebahn für Landlustige“ vor, das nächste Mal am 6. und 7. Mai in der Kulturfabrik Hoyerswerda – inklusive Bustour durch das Lausitzer Seenland und Probewohnen in Hoyerswerda.
Fazit: Bitte nach außen freuen!
Der Lausitzer freut sich eher nach innen. So wird gelegentlich die etwas skeptische und zurückhaltende Art der Menschen in der Lausitz beschrieben. Mit Blick auf den derzeitigen Wandel in der Region bekommt man manchmal den Eindruck, dass die Skepsis noch immer überwiegt. Zu tief scheint die Sorge vor einem erneuten Strukturbruch zu sitzen. Dabei zeigt der umfangreiche, aber längst nicht vollständige Abriss in diesem Magazin, dass es keinen Grund zur Skepsis gibt. Die wichtigsten Beschlüsse und Entscheidungen sind getroffen, erste Gelder bewilligt, viele Projekte bereits gestartet und wirklich sichtbar.
Flankiert werden diese von Bund und Land geförderten Investitionen durch weitere Millionen-Investitionen aus der Privatwirtschaft. Das Besondere dabei ist: Ein Großteil der neuen Jobs arbeitet an einer besseren Welt. Die Nachhaltigkeit, die insbesondere die junge Generation so vehement und berechtigt einfordert, kann hier mitgestaltet werden – ganz gleich ob Mobilitätswende, Digitalisierung, Gesundheitsversorgung oder Kreislaufwirtschaft.
Es gibt also genügend Gründe, stolz auf die Lausitz zu sein und auf das, was hier passiert. Die Lausitz ist die neue Chancen- und Gewinnerregion in Deutschland. Freuen Sie sich darüber – gern zuerst nach innen, aber dann bitte auch nach außen. Machen Sie Werbung für Ihre Heimat, drücken Sie diese lausebande jenen Menschen in die Hand, die noch etwas skeptisch auf die Lausitz blicken.
Stromfrei in der Bude?
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Richtig Familienwohnen in der bleibenden Energiekrise
Vor genau einem Jahr haben wir uns die schon damals turbulenten Entwicklungen auf dem Energiemarkt etwas genauer angeschaut. Kurz danach brach der Ukraine-Krieg aus und brachte erneut Unruhe in den Energiemarkt. Für Familien und alle anderen Haushalte sind die Themen Strom, Gas und Heizen weiterhin aktuell. Grund genug für uns, den aktuellen Stand zusammenzufassen und Entlastungspakete, Beratungsangebote und Förderprogramme vorzustellen.
Die aktuelle Situation
Das vergangene Jahr war von mehreren Entwicklungen geprägt, die viele bis dato für unvorstellbar hielten: Russland hat einen Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen. Die Gaslieferungen von Russland nach Deutschland wurden zunächst reduziert, später eingestellt. Die Ostseepipelines Nord Stream I und II wurden durch Lecks zerstört. Die Gas- und Strompreise erreichten ungekannte Höhen. Blackouts und das Abschalten der Gasversorgung in ausgewählten Bereichen gelten nicht länger als undenkbar. Sowohl der Ausstieg aus der Atomkraft als auch aus der Braunkohle werden zumindest zeitlich in Frage gestellt. Die Inflation erreichte Werte wie zuletzt vor 30 Jahren.
Für Familien bedeuten all diese Entwicklungen immense Mehrkosten. Fast alle Energieversorger haben ihre Preise angehoben, so dass spätestens ab diesem Jahr höhere Abschläge für Strom und Gas fällig werden. Da sich parallel dazu die Kosten in fast allen Lebensbereichen drastisch erhöht haben, geraten selbst Familien mit mittleren und hohen Einkommen in finanziell unruhiges
Fahrwasser.
Zu den größten Preistreibern gehören derzeit die Heizkosten. Foto: www.co2online.de
Preisentwicklungen auf dem Energiemarkt
Nach Angaben des Online-Portals co2online mussten Familien im Eigenheim in 2022 im Schnitt etwa 1.000 Euro mehr fürs Heizen ausgeben als im Vorjahr. Wer in einer Wohnung lebt, zahlte etwa 530 Euro mehr. In diesen Mehrbelastungen sind bereits die Soforthilfen des Bundes einberechnet. Besonders stark waren die Preisanstiege dort zu spüren, wo mit Gas und Öl geheizt wird – hier stiegen die Kosten um etwa 70 Prozent. Aber auch, wer mit einer Wärmepumpe heizt, zahlt mittlerweile deutlich mehr (75 Prozent) als noch vor einem Jahr. Grund hierfür sind die stark gestiegenen Strompreise. Denn Wärmepumpen brauchen viel Strom. Zwar gibt es Tarife explizit für Wärmepumpenstrom, die in der Regel einige Cent günstiger sind als jene für den normalen Haushaltsstrom. Nichtsdestotrotz sind auch hier die Preise deutlich gestiegen. Einzig für Fernwärme wurden im zurückliegenden Jahr nur moderate Preiserhöhungen verzeichnet – im Schnitt zehn Prozent.
Besonders stark von den Preissteigerungen sind Neukunden betroffen. Wer seinen Energieversorger im vergangenen Jahr wechseln wollte, musste oft deutlich mehr zahlen als Bestandskunden. Grund dafür waren die unterschiedlichen Beschaffungsstrategien der Energieversorger. Wer sich langfristige Lieferverträge für Strom und Gas gesichert hatte, konnte die Preise noch relativ lange stabil halten. Alle anderen mussten die Preissprünge an die Kundschaft weitergeben. Und diese Preissprünge waren teils immens.
So stieg der Börsenpreis für Strom zwischenzeitlich auf 700 Euro je Megawattstunde (Mwh), während er in den Jahren zuvor zwischen 30 und 50 Euro schwankte. Dieses Rekordhoch wurde Ende August 2022 erreicht, als Russland die Gaslieferungen über Nord Stream komplett einstellte. Doch bereits mit Beginn des Ukrainekriegs im Februar 2022 stieg der Strompreis merklich an. Unter den Wert von 100 Euro je MWh sank er erstmals wieder Ende Dezember 2022. Damit folgte der Strompreis etwas zeitversetzt der Preisentwicklung auf dem Gasmarkt.
Auch hier wurden die höchsten Preise Ende August verlangt: 315 Euro je MWh Gas. Anfang Januar 2023 hatte sich der Preis bei etwa 70 Euro eingepegelt. Der durchschnittliche Börsenpreis für eine MWh Gas lag in 2022 bei 235 Euro. Zum Vergleich: 2021 zahlte man im Schnitt 30 Euro, 2020 sogar nur zehn Euro. Die Großhandelspreise an der Börse wirken sich direkt auf jene Preise aus, die Verbraucher zu zahlen haben. Denn den größten Anteil am Gaspreis machen die Beschaffungskosten aus. Hinzu kam die lange geplante CO2-Abgabe, die seit 2022 beim Heizen mit Gas fällig wird und die in den kommenden Jahren weiter steigen wird.
Gründe dafür, dass die Gaspreise zuletzt wieder gesunken sind, waren die milden Temperaturen um den Jahreswechsel und der damit niedrige Heizbedarf. Zugleich konnte Deutschland die ersten Häfen für Flüssiggas in Betrieb nehmen. So trifft derzeit eine vergleichsweise geringe Nachfrage auf ein hohes Angebot, was die Preise drückt. Mit der Rückkehr des Winters Mitte Januar könnte sich das wieder ändern.
Weiße Pracht: Was die Kinder freut, treibt Energieversorgern und Politik Sorgenfalten ins Gesicht.
Entlastungen durch die Bundesregierung
Um die Preissteigerungen der zurückliegenden Jahre abzufedern, hat die Bundesregierung mehrere Maßnahmen auf den Weg gebracht, mit denen unter anderem Privathaushalte entlastet werden sollen. Hier ein Überblick:
Entlastungspakete
Bereits im vergangenen Jahr hat der Bund insgesamt drei Entlastungspakete mit einem Gesamtvolumen von rund 100 Milliarden Euro beschlossen. Dazu gehören unter anderem die Kindergelderhöhung auf 250 Euro für jedes Kind, ein einmaliger Kinderbonus in Höhe von 100 Euro je Kind, die Erhöhung des Kinderzuschlags und des Wohngelds, eine einmalige Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro, das 9-Euro-Ticket für den ÖPNV während der Sommermonate, der Ausgleich der kalten Progression im Steuerrecht, der Wegfall der EEG-Umlage. Zudem wurde der Mehrwertsteuersatz für Gas und Wärme von 19 auf 7 Prozent gesenkt. Arbeitgeber können ihren Mitarbeitern eine steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichsprämie zahlen.
Soforthilfe Dezember 2022
Durch sie wird Haushalten, die mit Gas heizen, die monatliche Abschlagszahlung für den Dezember 2022 erlassen. Wie die Soforthilfe konkret umgesetzt wird, hängt vom Versorger ab. Einige haben den Dezember-Abschlag nicht abgebucht, andere nehmen eine Rücküberweisung vor. Möglich ist auch eine Verrechnung mit der nächsten Jahresabrechnung. Wer mit Fernwärme heizt, wird ebenfalls entlastet. Da dient allerdings der September-Abschlag als Berechnungsgrundlage. Diese Entlastung überbrückt die Zeit bis zur Einführung der Gas- und Strompreisbremse.
Preisbremse für Strom, Gas und Wärme ab 2023
Ab 2023 deckelt der Staat die Preise für Strom, Gas und Wärme für private Haushalte. Der Gaspreis wird auf 12 Cent brutto pro Kilowattstunde begrenzt, der Strompreis auf 40 ct/kWh brutto und Fernwärmekunden zahlen höchstens 9,5 Cent pro Kilowattstunde. Die Preisbremse tritt erst ab März in Kraft, um den Versorgungsunternehmen ausreichend Zeit für die Umsetzung zu geben, die neuen Preise gelten aber rückwirkend ab Januar 2023. Um einen Sparanreiz zu schaffen, gilt die Preisdeckelung nur für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs. Wer mehr als 80 Prozent verbraucht, zahlt den aktuell gültigen Marktpreis seines Versorgers. Die Preisbremse ist befristet bis April 2024.
Härtefallfonds
Geplant sind Härtefall-Regelungen für Haushalte, die durch die steigenden Energiepreise in besonderer Weise betroffen sind und ihre Energieabrechnung ggf. nicht zahlen können. Zudem sollen von diesem Fonds jene Haushalte profitieren, die von den Preisbremsen nichts haben, weil sie beispielsweise mit Öl oder Pellets heizen. Bundestag und Bundesrat haben dem bereits zugstimmt. Allerdings muss die konkrete Umsetzung noch durch die Bundesländer festgelegt werden. Als erstes Land hat Berlin Ende Dezember 2022 entsprechende Regelungen erlassen. Dort können Haushalte seit 9. Januar bei einer drohenden Energiesperre eine einmalige Zahlung beantragen, die dann direkt an den Energieversorger überwiesen wird.
Renaissance der Stadtwerke
Wer angesichts der Preissteigerungen für Energie auf der Suche nach einem neuen Versorger ist, wird schnell feststellen, dass es durch einen Wechsel derzeit kaum Einsparmöglichkeiten gibt. Die Preise für Neukunden sind bei fast allen Anbietern sehr hoch – sowohl für Strom als auch für Gas. So zahlt man nach Angaben des Vergleichsportals Verivox als Neukunde derzeit (Stand 9.1.2023, ohne Berücksichtigung der Preisbremse) 44 Cent pro kWh Strom und 18 Cent pro kWh Gas. Zum Vergleich: Anfang 2021 lagen die Preise bei 32 Cent für Strom und 6,5 Cent für Gas.
Allerdings haben mehrere Portale festgestellt, dass überraschend oft der regionale Grundversorger – also die heimischen Stadtwerke – vergleichsweise günstige Preise bieten. Durch ihre langfristige Beschaffungsstrategie konnten sie sich moderate Preise für eine lange Laufzeit sichern. Ein weiterer Vorteil der heimischen Energieversorger: Während viele deutschlandweit agierende Versorgungsunternehmen im vergangenen Jahr keine Neukunden aufgenommen haben, kommt man über die Ersatz- und Grundversorgung jederzeit in einen Tarif des heimischen Anbieters. Voraussetzung dafür ist, dass man seinen bisherigen Anbieter gekündigt hat. Mit dem Wechsel zum Regionalversorger sichert man überdies regionale Wertschöpfung und Arbeitsplätze vor Ort. Oft engagieren sich die Stadtwerke als Sponsoren für regionale Vereine und Institutionen, begleiten Kitas und Schulen in Projekten. So wird der Wechsel zum Heimspiel.
Das steigende Interesse stellt die kommunalen Versorger vor eine zweifache Herausforderung: Denn parallel müssen sie die recht hastig vom Bund beschlossenen Entlastungspakete in der Praxis umsetzen und die Entlastungen an die Kunden weitergeben. Zwar trägt der Staat die Differenz zwischen dem gedeckelten Preis und dem ggf. höheren Vertragspreis. Die Abrechnung und Erstattung aber ist kompliziert und bei Gas/Wärme und Strom unterschiedlich. Nach Angaben des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) wird das Prozedere derzeit vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz vorbereitet.
Doch die kurzfristigen Entlastungen sorgen auch bei den Verbrauchern für Unsicherheit: Aktuell werden viele Stadtwerke förmlich überrollt von Anfragen und Nachfragen. So ist beispielsweise unklar, wie der Jahresverbrauch bei einem Umzug, Versorgerwechsel oder bei einer Vergrößerung der Familie berechnet wird. Dazu teilt der VKU mit: „In allen Fällen muss der Energielieferant den ihm vom zuständigen Netzbetreiber mitgeteilten und nach gesetzlichen Vorgaben prognostizierten Jahresverbrauch der Entnahmestelle ansetzen.“ Auch zum Zeitpunkt der Auszahlung oder Verrechnung der Dezember-Soforthilfe gibt es unterschiedliche Modelle. Hier sollten Familien sich in Geduld üben und zunächst schauen, ob sich das Anliegen auch online klären lässt.
Noch wichtiger und vor allem effektiver als der Wechsel in einen günstigeren Tarif ist das Einsparen von Energie. Denn die Energie, die Sie nicht verbrauchen, müssen Sie auch nicht bezahlen. Da die Preisbremsen für Strom, Gas und Wärme auf 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs gedeckelt sind, ergibt sich ein zusätzlicher Sparanreiz.
Beratungsmöglichkeiten für Familien
Eine professionelle Energieberatung kann für Familien ebenfalls sinnvoll sein, zumal es Basis-Checks dank staatlicher Förderung kostenfrei gibt. Der Gang zum Berater lohnt in folgenden Fällen: Sie wollen als Mieter noch mehr Energie im Alltag einsparen. Sie wollen Ihr Haus energetisch sanieren und/ oder auf eine nachhaltige Energieversorgung umsteigen. Sie planen einen Neubau und wollen diesen nach den aktuellen Energieeffizienz-Standards umsetzen.
Möglich sind Beratungen per Telefon oder Mail, aber auch vor Ort. Das ist besonders für Familien mit Wohneigentum sinnvoll, die über Sanierung oder Umbau nachdenken. Denn die Energieberatungen wissen auch, welche Fördermittel für Neubau und Sanierung in Frage kommen.
Energieberatung der Verbraucherzentrale
Für Mieter und Eigentümer kostenfrei ist die Online-Beratung, Telefon-Beratung und die Beratung in den Beratungsstellen vor Ort. Ein tiefergehender Detail-, Gebäude-, Heiz- oder Solarwärmecheck durch die Energieprofis bei Ihnen zu Hause kostet dank staatlicher Förderung maximal 30 Euro, für einkommensschwache Haushalte gar nichts. Terminvereinbarung sind jederzeit möglich unter Tel. 0800 – 809 802 400.
www.verbraucherzentrale-energieberatung.de
Kostenlose Pflichtberatung bei Kauf oder Sanierung
Das 2020 beschlossene Gebäudeenergiegesetz (GEG) sieht beim Kauf oder bei einer umfangreichen Sanierung eines Ein- oder Zweifamilienhauses eine verpflichtende Energieberatung vor. Die Käufer bzw. Eigentümer müssen sich über die Möglichkeiten eines kostenfreien Informationsgesprächs zu Sanierungsaspekten und Energieausweis informieren und ein solches dann in Anspruch nehmen. Angeboten wird es beispielsweise von den Verbraucherzentralen. Das Gespräch hat eher informativen Charakter, um den möglichen Sanierungsbedarf abschätzen zu können. Es ersetzt keine professionelle Energieberatung.
BAFA-Förderung für Energieberatung für Wohneigentum
Mit dieser Förderung können Familien, die ein Haus besitzen und über eine energetische Sanierung nachdenken, sich vorab eine professionelle Energieberatung fördern lassen. Der Fördersatz liegt bei 80 Prozent der Beratungskosten, die maximale Fördersumme hängt von der Gebäudegröße ab. Für Einfamilienhäuser werden maximal 1.300 Euro übernommen. Dafür bekommt man eine umfangreiche Beratung inklusive energetischer Bewertung des IST-Zustands und einem individuellen Sanierungsfahrplan hin zu einem energieeffizienten Gebäude. Der bürokratische Aufwand für Familien ist minimal, da die Förderung direkt durch den Beratungsbetrieb beim BAFA beantragt wird.
www.energie-effizienz-experten.de/fuer-private-bauherren
Alternativ können Familien sich vorab online informieren. Hier einige kostenfreie Portale rund um Energie:
Im Juni 2022 stellte Klimaschutz-Minister Robert Habeck die bundesweite Kampagne für mehr Energieeffizienz vor. Sein Ministerium und mehrere Spitzenverbände wie die Wirtschaftskammern und Verbraucherzentralen wollen mit der Kampagne „80 Millionen gemeinsam für den Energiewechsel“ zum Sparen motivieren. Auf dem Online-Portal werden Energiespartipps und passende Förderprogramme des Bundes vorgestellt.
www.verbraucherzentrale-energieberatung.de
Die Energieberatung der Verbraucherzentrale, zu der neben dem umfangreichen Online-Portal auch persönliche Beratung vor Ort gehört, gilt nach eigenen Angaben als das größte unabhängige Beratungsangebot zum Thema Energie in Deutschland. Bevor man über eine telefonische oder persönliche Beratung nachdenkt, kann man sich online Möglichkeiten aufzeigen lassen, um Energie und Kosten zu sparen. Zudem erfahren Familien Wissenswertes zu den Themen Stromverbrauch, Heiztechnik, Dämmung und regenerative Energien.
... berät als Portal zum Energiesparen, Modernisieren und Bauen und den dazu passenden Fördermitteln. Zudem kann man sich den passenden Handwerksbetrieb in seiner Nähe anzeigen lassen. Mit Datenbanken und Tools wie Strom-, Wasser- und Heizcheck kann man seinen aktuellen Verbrauch samt Kosten mit Durchschnittswerten vergleichen und so erkennen, wo es noch Einsparpotenzial gibt.
... ist ein unabhängiges Expertenportal zu Energieeffizienz und Erneuerbaren Energien. Eine themenbezogene Suchfunktion mit Filter hilft, eine Energieberatung oder einen Handwerksbetrieb aus der Region zu finden.
Wer sein Haus dämmen lässt und so die Energieeffizienz erhöht, kann dafür Fördermittel nutzen. Foto: www.co2online.de / Phil Dera
Förderprogramme
Bauen
Mit der Bundesförderung für effiziente Gebäude BEG können Häuslebauer bei der Förderbank KfW einen Kredit mit Tilgungszuschuss beantragen. Anspruch darauf hat, wer ein Effizienzhaus der aktuell höchsten Nachhaltigkeitsklasse 40 baut bzw. kauft und zusätzlich das Qualitätssiegel für nachhaltiges Bauen und eine fachliche Baubegleitung nachweisen kann. Über einen Kredit samt Tilgungszuschuss werden sowohl der Bau, als auch das Siegel und die Baubegleitung anteilig gefördert: maximal jedoch in Höhe von 150.000 Euro je Wohneinheit. Der Tilgungszuschuss liegt bei 5 Prozent der Kreditsumme, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Wichtig: Dieses Programm kann nur noch bis Ende Februar genutzt werden. Ab März plant die Bundesregierung ein neues Programm für private Bauherren. Da die KfW über kein Filialnetz verfügt, stellen Familien den Antrag direkt bei ihrer Hausbank.
Sanieren
Auch wer sein Haus energieeffizient sanieren möchte, kann noch bis Ende Februar die GEB-Förderung nutzen. Steuerlich gefördert werden Einzelmaßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung, die energetische Baubegleitung und Fachplanung. Auch hier werden Familien über Kredite und Tilgungszuschüsse entlastet. Wie hoch der Kredit und der Tilgungszuschuss sind, hängt davon ab, wie energieeffizient das Haus nach der Sanierung ist. Maximal gibt es einen Kredit über 150.000 Euro je Wohneinheit. Der maximal erreichbare Tilgungszuschuss liegt bei 25 Prozent bzw. 37.500 Euro. Auch dieses Förderprogramm läuft Ende Februar aus. Die Förderung von Einzelmaßnahmen ist über dieses Programm schon jetzt nicht mehr möglich.
Diese Einzelförderung kann aber jetzt über das BAFA beantragt werden. Gefördert werden Sanierungs- und Umbaumaßnahmen, die zur Erhöhung der Energieeffizienz führen. Das sind beispielsweise die Dämmung der Außenwände oder des Daches sowie die Erneuerung von Vorhangfassaden. Auch die Erneuerung, der Ersatz oder der erstmalige Einbau von Fenstern, Außentüren, Sonnenschutzeinrichtungen und Lüftungsanlagen sind förderfähig. Der Fördersatz beträgt 15 Prozent der förderfähigen Ausgaben. Gedeckelt ist die Förderung auf 60.000 Euro pro Wohneinheit und Kalenderjahr.
Heizen
Über die BAFA kann man sich auch den Austausch der Heizungsanlage fördern lassen. Gefördert werden der Einbau und der Umbau der Wärmeerzeugung, die Erweiterung eines Gebäudenetzes oder der Anschluss an ein Gebäude- oder an ein Wärmenetz, Solarkollektoranlagen, Biomasseheizungen, Wärmepumpen und stationäre Brennstoffzellenheizungen. Der Fördersatz liegt je nach Heizungsart zwischen 10 und 40 Prozent. Maximal gibt es 60.000 Euro je Wohneinheit.
Alternativ kann man die bestehende Heizung optimieren lassen. Auch das wird über ein BAFA-Programm gefördert. Förderfähige Maßnahmen sind beispielsweise der hydraulische Abgleich oder der Austausch der Heizungspumpe, die Dämmung der Rohrleitung oder die Anpassung der Vorlauftemperatur. Der Fördersatz liegt bei 15 Prozent.
Der hydraulische Abgleich optimiert die Heizung, spart dadurch Heizkosten und wird vom Staat bezuschusst. Foto: www.co2online.de / Alois Müller
Die passende Heizung finden
Etwa 80 Prozent des Energieverbrauchs in Privathaushalten geht für die Heizungsanlage drauf. Das Erwärmen von Wasser und Heizung bietet damit zugleich die größten Einsparpotenziale. Während Mieter keinen Einfluss auf die Art der Heizung haben, sollten Eigentümer einen Heizungstausch zumindest in Betracht ziehen – vor allem wenn das Haus oder die Heizungsanlage schon in die Jahre gekommen sind. Der Möglichkeiten gibt es viele: Von der Gas- oder Ölheizung über den Anschluss ans Fernwärmenetz bis zur Solarthermie oder Wärmepumpe. Die Entscheidung hängt vor allem von den örtlichen Gegebenheiten des Hauses und den finanziellen Möglichkeiten ab.
Hoch im Kurs standen zuletzt Wärmepumpen. 2021 wurde erstmals in mehr als der Hälfte aller neugebauten Wohnhäuser eine Wärmepumpe eingebaut. Sie erzeugt Wärme, indem sie je nach Bauart der Umgebungsluft, der Erdwärme oder dem Grundwasser Wärme entzieht. Die Vorteile der Wärmepumpe: Sie heizt brennstoffunabhängig. Man ist also weder von Gas, Öl oder Pellets abhängig und riskiert damit keine ungeahnten Preissteigerungen. Besonders effektiv arbeitet eine Wärmepumpe, wenn das Haus gut gedämmt ist und wenn Flächenheizungen wie eine Fußboden- oder Deckenheizung genutzt werden. Es gibt Modelle, die zugleich im Sommer das Haus kühlen und die eine integrierte Lüftungsanlage haben. Weiterer Vorteil: Sie gelten als sehr wartungsarm. Wärmepumpen brauchen für den Betrieb Strom. Das ist auch schon der einzige Nachteil – zumindest mit Blick auf die derzeit stark steigenden Strompreise.
Dennoch ist die Wärmepumpe langfristig günstiger und nachhaltiger. Das liegt zum einen daran, dass beim Heizen mit Wärmepumpen keine CO2-Abgabe gezahlt werden muss, anders als beispielsweise bei der Gasheizung. Zudem kann man die Stromkosten für den Betrieb der Wärmepumpe deutlich reduzieren, wenn man selbst zum Stromproduzenten wird – beispielsweise mit einer eigenen Solaranlage auf dem Dach.
Erneuerbare Energien erzeugen
Die am weitesten verbreitete Form für den privaten Grünstrom ist die Solaranlage auf dem Hausdach. Wer neu baut und nach neuesten Standards dämmt, kann sein Haus theoretisch bereits komplett mit erneuerbaren Energien versorgen. Eine PV-Anlage lohnt sich vor allem dann, wenn das Haus über eine ausreichend große Dachfläche verfügt (mindestens sechs Quadratmeter sollten bebaut werden können) und die geplante Fläche möglichst nach Süden ausgerichtet ist. Ob sich eine solche Anlage wirklich rechnet, kann man vorab online durchrechnen lassen.
Die Installation einer Solaranlage kostet zwischen 7.000 und 12.000 Euro – in Abhängigkeit von der Größe und Leistung. Hinzu kommen etwa 200 bis 300 Euro jährlich für Wartung und Versicherung. Nach etwa acht bis zehn Jahren hat man die Investitionskosten wieder drin. Im Idealfall lässt sich eine anstehende Dachsanierung mit der Montage der Solarkollektoren verbinden. Ebenfalls sinnvoll ist der Einbau eines Stromspeichers, um möglichst viel der selbst erzeugten Energie für den Eigenbedarf nutzen zu können. Da diese Speicher aber recht teuer sind, dauert es dann etwas länger, bis sich die Investitionen amortisiert haben.
Mittlerweile gibt es mit solaren Dachziegeln eine Alternative zum Solarmodul. Diese Ziegel erzeugen Solarstrom, mit ihnen wird das Dach direkt eingedeckt. Sie sind teurer als die klassischen Module, werden aber gern aufgrund ihrer Optik bevorzugt.
Da der Staat den Ausbau der Erneuerbaren Energien weiter forcieren möchte, unterstützt er die Anschaffung einer Photovoltaikanlage mit finanziellen Zuschüssen: Die EEG-Umlage muss nicht mehr gezahlt werden und man erhält eine Einspeisevergütung für jenen selbst produzierten Solarstrom, den man ins öffentliche Stromnetz einspeist. Diese wurde 2022 auf durchschnittlich 7,8 Cent pro Kilowattstunde erhöht. Zudem wird für den Kauf und die Installation von PV-Anlagen an Einfamilienhäusern seit Anfang dieses Jahres keine Mehrwertsteuer mehr fällig. Mit dieser Neuregelung will der Staat den Ausbau der Sonnenenergie forcieren.
Bei der KfW gibt es einen zinsgünstigen Kredit. Die Kredithöhe liegt bei bis zu 50 Millionen Euro pro Vorhaben. Über den Kredit kann bei Bedarf auch eine Dachsanierung mitfinanziert werden. Um den Kredit in Anspruch nehmen zu können, muss ein Teil des Stroms eingespeist werden. Ein spezielles Förderprogramm, das die Installation einer Photovoltaik-Anlage bezuschusst, gibt es aktuell nicht.
Eine Alternative zum Solardach ist ein Mini-Windrad am oder auf dem Haus. Sogenannte Kleinwindkraftanlagen lassen sich auf dem Dach, im Garten und sogar auf dem Balkon aufstellen. Ob sich das lohnt, ist von verschiedenen Faktoren wie dem Standort und der Bebauung im Umfeld abhängig. Bäume oder benachbarte Gebäude können den Ertrag schmälern. Vor der Aufstellung sollten die Nachbarschaft und das zuständige Bauamt informiert werden. Bei der Bundesnetzagentur ist ebenfalls eine Anmeldung erforderlich. Immerhin braucht es keine baurechtliche Genehmigung für Windturbinen bis zehn Metern Höhe. Allerdings rät die Verbraucherzentrale von den Mini-Windrädern ab: In den wenigsten Fällen lohne sich das finanziell. Dafür ist der Ertrag einfach zu gering.
Solarstrom-Anlage mit Solarspeicher zur optimierten Eigennutzung. Das freut die Familienkasse und das Klima. Foto: Grammer Solar / R. Ettl
E-Mobilität
Wer Solarstrom herstellt und bereits ein E-Auto fährt, der sollte zu Hause tanken. Aus Sicherheitsgründen raten Experten vom Aufladen an der heimischen Steckdose ab. Stattdessen sollte man sich eine Wallbox – eine an der Wand befestigte Ladestation – einbauen lassen. Die wird idealerweise an der Wand der Garage oder des Carports installiert. Je nach Leistung und Bauart der Wallbox dauert das komplette Aufladen zwischen zwei und elf Stunden. Wichtig: Die Installation muss durch einen Fachbetrieb erfolgen.
Eine Wallbox gibt es auch in der smarten Version: Dann lässt sie sich über das Internet mit dem Smartphone verbinden und der Ladevorgang digital steuern. So kann man beispielsweise einstellen, dass dann getankt wird, wenn die Solaranlage auf dem Dach viel Strom produziert oder während eines günstigen Nachstromtarifs. Wer seinen Strom nicht selbst erzeugt, sollte bei seinem Stromversorger nach einem speziellen Autostromtarif fragen. Ansonsten lohnt es sich angesichts der Höhenflüge der Strompreise, vorab zu schauen, ob man aktuell günstiger zu Hause oder an einer öffentlichen Ladesäule tankt. Fördermittel vom Bund für die Installation einer privaten Ladestation gibt es nicht mehr.
Mieter haben seit Ende 2020 ebenfalls Anspruch auf eine Ladestation am Haus, um ihren PKW aufzuladen. Wer sich eine Ladestation oder Wallbox am Haus errichten lassen will, kann bei seinem Vermieter einen entsprechenden Antrag stellen. Der muss diesen genehmigen, wenn nicht triftige Gründe wie Denkmalschutz dagegen sprechen. Die Kosten trägt der Mieter, dementsprechend bleibt die Ladestation sein Eigentum und er muss bzw. darf sie nach dem Auszug mitnehmen. Falls mehrere Mietparteien ein E-Auto fahren, lohnt es sich, über eine gemeinsame Nutzung und Finanzierung nachzudenken.
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Wie Familien glücklich werden – ein Ratgeber
In Zeiten der Dauerkrise wollen wir über schöne Dinge schreiben. Denn schlechte Nachrichten gibt es derzeit zur Genüge. Daher schauen wir uns für diese Ausgabe das weite Thema „Glück“ an. Was macht Menschen glücklich und was brauchen Kinder und Eltern zum Glücklichsein? Zunächst vorweg: Auch wenn viele Deutsche Meister im Jammern sind, so tun sie dies doch auf einem hohen Niveau. Denn im Allgemeinen geht es den Menschen in Deutschland gut. Zumindest die vor Corona erhobenen Statistiken zeigen hohe Glücks- und Zufriedenheitswerte an. So gaben in einer YouGov-Studie von 2019 zwei Drittel der Deutschen an, dass sie derzeit optimistisch und glücklich sind.
Exkurs Hygge: Hygge – kaum ein anderes fremdsprachiges Wort steht so sehr für Glück und Wohlbefinden wie das skandinavische „Hygge“. Das Wort steht im Dänischen und im Norwegischen für Gemütlichkeit, Heimeligkeit und ist mittlerweile mehr als nur ein Wort: Es steht für ein Konzept, für eine Art zu leben. Auf den Trend aus dem Norden sind viele Marketing-Experten aufgesprungen. Es gibt Hygge-Bücher und -Zeitschriften, Cafés und Mobiliar. Sie alle versprechen mehr Zufriedenheit und Gemütlichkeit. Das nordische Hygge ist mittlerweile so präsent in Deutschland, das es sogar Eingang in den Duden gefunden hat. Auch andere Sprachen haben ihre ganz eigenen Wörter für Lebenszufriedenheit. So unterscheidet das Englische zwischen „luck“ als Zufallsglück im Spiel oder beim Lotto und „happiness“ als Glücklichsein. Das französische „bonvivant“ oder „savoir vivre“ steht für die französische Lebenskunst, das Wissen, wie man gut lebt und genießt. Die Aborigines in Australien nutzen den Begriff „dadirri“, er steht für Selbst-Besinnung, ein spirituelles In-sich-Ruhen.
Eine der umfangreichsten und längsten Studien zum Thema Glück wird seit mehr als 80 Jahren in den USA durchgeführt. Dort begannen Wissenschaftler in den 1930er-Jahren gut 700 junge Männer nach ihrer Lebenszufriedenheit, ihren Zielen und ihren Lebensumständen zu befragen. Diese Befragung wurde alle zwei Jahre wiederholt – bis ins hohe Alter der Probanden hinein. Ergänzt wurden die Interviews um die Auswertung von Blutproben und Hirnscans der Befragten. 2015 fasste der derzeitige Studienleiter Robert Waldinger die Ergebnisse zusammen: „Die wichtigste Botschaft aus dieser Studie ist: Gute Beziehungen machen glücklicher und gesünder.“ Nicht Reichtum oder beruflicher Erfolg machen glücklich, sondern Freundschaften und Partnerschaften. Einsamkeit dagegen wirkt toxisch. Dabei allerdings komme es weniger auf die Quantität der Beziehungen an, als vielmehr auf die Qualität. Eine unglückliche Ehe schadet unserer Gesundheit und Zufriedenheit, während gute Beziehungen den Körper und den Geist schützen. Die Studie wird übrigens fortgesetzt. Da die meisten der 700 Probanden mittlerweile verstorben sind, werden jetzt deren Kinder befragt.
Einen internationalen Blick auf Glück erlaubt der World Happiness Report. Seit 2012 erfasst er die Zufriedenheitswerte in etwa 150 Ländern. Ein Stück weit gibt dieser Bericht also Antwort auf die Frage, wo die glücklichsten Menschen leben: in Skandinavien. In den zurückliegenden Jahren landeten Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland und Island stets in den Top 10, oft nahmen skandinavische Länder sogar die vorderen drei Plätze ein. Als Gründe dafür gelten unter anderem hohe Einkommen, ein geringes Maß an Ungleichheit, ein starker Sozialstaat, stabile demokratische Institutionen, denen die Bürger ein hohes Vertrauen entgegenbringen, geringe Kriminalität und Korruption, ein hoher Grad an gesellschaftlichem Zusammenhalt sowie an persönlicher Autonomie und Freiheit.
Schaut man sich die Zufriedenheitswerte innerhalb Deutschlands genauer an, leben die glücklichsten Menschen in Schleswig-Holstein (6,78), Sachsen-Anhalt und Bayern, Brandenburg (6,74) folgt auf Platz 5, Sachsen (6,58) auf dem zwölften Platz, Schlusslicht sind die Berliner (6,20).
Passend zum Thema haben wir von Kinderhand Glückssymbole aus aller Welt zeichnen lassen. Der Klee gilt als Glückssymbol – aber nur, wenn er vier Blätter hat.
Glücksforschung
Warum ist Glücklichsein überhaupt erstrebenswert? Was können wir dafür tun, damit wir häufiger glücklich sind? Ist die Neigung zum Glücklichsein angeboren oder erlernt? Macht Geld glücklich? Mit solchen Fragen beschäftigt sich die Wissenschaft. Es gibt zwar an Universitäten keine Lehrstühle für Glücksforschung, aber verschiedene Fachdisziplinen nähern sich dem Thema aus ihrer Sicht, allen voran die Psychologie und die Soziologie. Auch die Wirtschaftswissenschaft, die Neurowissenschaft und die Medizin tragen ihre Erkenntnisse bei.
Etwas schwieriger ist die Frage, wie man Glück misst. Das lässt sich nämlich kaum objektiv messen, hier muss sich die Wissenschaft auf die subjektiven Aussagen der Befragten verlassen. Glück wird in der Regel über Befragungen erfasst, in denen die Interviewten auf einer Skala angeben sollen, wie glücklich und zufrieden sie sind. Gefragt wird dabei sowohl nach der Zufriedenheit in den zurückliegenden Tagen als auch mit dem eigenen Leben im Allgemeinen. Etabliert hat sich dabei die Skala 0 bis 10, wobei 10 für das größtmögliche Glück steht. Dänemark, dessen Menschen als besonders glücklich gelten, erreichte im World Happiness Report in den zurückliegenden Jahren Werte zwischen 7 und 8. Ergänzt werden solche Befragungen um objektiv messbare Daten wie die Lebenserwartung und das Bruttoinlandsprodukt. So lässt sich feststellen, welche Faktoren glücklich machen und welche unglücklich.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse der Glücksforschung: Beziehungen machen glücklich, sei es innerhalb der Familie oder zu Freunden.
Der Ökonom Bernd Raffelhüschen, der als Forschungsleiter den deutschen Glücksatlas wissenschaftlich begleitet, spricht von den 4G: „Das erste G steht für Gesundheit und alles was damit objektiv und subjektiv zu tun hat. Das zweite G meint Gemeinschaft, also Partnerschaft, Kinder, Freunde etc. Das dritte ist G wie Geld und die Freiheiten, die Geld ermöglicht. Das vierte G steht für genetische Disposition, umfasst unsere Persönlichkeitsmerkmale sowie Mentalitätsaspekte, etwa den Optimismus, also ob das Glas eher als halb leer oder als halb voll angesehen wird.“
Die Chemie des Glücks: Was passiert im Gehirn?
Die Neurowissenschaft befasst sich vor allem mit den Vorgängen im Gehirn: Was passiert in unserem Körper, wenn wir glücklich sind? Die Antworten darauf sind ziemlich komplex, da mehrere Teile unseres Gehirns ins Glücklichsein involviert sind. Eine weitere zentrale Rolle spielen die sogenannten Glückshormone, die unser Körper ausschüttet, wenn wir etwas Schönes erlebt haben: Dopamin motiviert uns, es sorgt dafür, dass wir uns überwinden und Dinge tun, weil eine Belohnung auf uns wartet. Haben wir dann tatsächlich Erfolg, schüttet der Körper Endorphine aus. Sie sorgen für eine Art leichten Rauschzustand und unterdrücken Schmerzen. Besonders viele Endorphine schüttet der Körper in Extremsituationen aus, zum Beispiel nach dem Zieleinlauf beim Marathon, beim Fallschirmsprung oder während der Geburt. Oxytocin gilt als „Kuschelhormon“. Unser Körper produziert es, wenn wir uns anderen Menschen nah fühlen – sei es bei einem geselligen Essen mit Freunden, beim Kuscheln mit dem Baby oder beim Sex mit dem Partner. Der weibliche Körper produziert besonders viel davon rund um die Geburt. Oxytocin leitet die Wehen ein, erleichtert das Stillen und schafft eine Bindung zwischen Mama und Baby. Serotonin hat unter den Botenstoffen eine eher ausgleichende Wirkung. Es sorgt dafür, dass wir nicht dauerhaft in ein Extrem abdriften – also weder ständig himmelhochjauchzend noch zu Tode betrübt sind. Es wirkt auf den Körper ausgleichend und regulierend, gilt als Wohlfühl-Hormon, weil es dafür sorgt, dass wir zufrieden sind und uns rundum wohlfühlen.
Das Hufeisen gilt ebenfalls als Glückssymbol. Ob man es mit der Öffnung nach oben oder unten aufhängen sollte, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen.
Ist Glücklichsein Erziehung oder Veranlagung?
Nun kennen wir die Glückshormone und die wissenschaftlichen Theorien. Doch haben wir überhaupt Einfluss darauf, wie glücklich oder unglücklich wir sind? Auch das hat die Wissenschaft untersucht und ist zu folgender Formel gekommen: Unser persönlicher Weg zum Glücklichsein ist zu 50 Prozent von den Genen bestimmt. Sind wir eher Optimisten oder eher Pessimisten, ist das Glas für uns halb voll oder halb leer? Diese Grundeinstellung ist genetisch bestimmt. Etwa zehn Prozent werden von den Lebensumständen bestimmt – also wo und wie leben wir, sind unsere Grundbedürfnisse erfüllt? Wer in einem armen Land lebt, in dem Krieg herrscht, hat es schwerer, ein glückliches Leben zu führen, als Menschen in den westlichen Staaten. Damit bleiben immerhin 40 Prozent, die wir selbst beeinflussen können – durch unsere Einstellung und unser Handeln.
Warum ist Glück erstrebenswert?
Und das sollten wir tun. Denn Glück tut gut. Mehrere Studien zeigen, dass glückliche und zufriedene Menschen gesünder sind, sowohl psychisch als auch physisch. Sie haben ein besseres Immunsystem und eine höhere Lebenserwartung. Sie sind kreativer, motivierter und produktiver, sie streiten seltener. Wer glücklich ist, dem fällt das Lernen leichter. Glück führt langfristig zu größerem beruflichen Erfolg. Glückliche Menschen sind besonders empathisch und sozial.
Es dürfte also in unserem ureigensten Interesse sein, glücklich zu werden. Doch auch Unternehmen und Staaten haben messbare Mehrwerte, wenn ihre Menschen glücklich sind. Die Produktivität steigt und die Kosten für die Behandlung von Krankheiten sinken. So geht die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin davon aus, dass Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen im Jahr 2019 Produktionsausfallkosten in Höhe von 14 Milliarden Euro verursacht haben. Der Ausfall bei der Bruttowertschöpfung lag sogar bei 24 Milliarden Euro. Damit stehen psychische Erkrankungen auf Platz zwei der für die Wirtschaft „teuersten“ Krankheiten.
Beim Glücklichsein können wir manches von unseren Kindern lernen, die viel öfter lachen als Erwachsene und sich schon an Kleinigkeiten erfreuen – wie an einer Pfütze.
Definition von Glück
Was genau ist eigentlich Glück? Fragt man die Menschen draußen auf der Straße, was Glück für sie bedeutet, werden die Antworten wohl recht verschieden ausfallen. So sagt die Glücksministerin Gina Schöle: „Glück ist für mich Verbundenheit: Mit sich selbst, den Mitmenschen und der Umwelt. Das bedeutet Selbstfürsorge, Gemeinschaft und Achtsamkeit – wichtige Bausteine für das Glück. Glück besteht für mich auch darin, Veränderungen anzunehmen und im Positiven für sich zu nutzen. Dies bedeutet auch, Chancen zu erkennen und mutig genug zu sein, sie wahrzunehmen.“ Der deutsche Glücksforscher Bernd Hornung wiederum definiert Glück recht allgemein: „Erstens: Zufriedenheit mit dem eigenen Leben. Zweitens: Mehr angenehme Gefühle, vor allem mehr Freude, als drittens: unangenehme Gefühle, vor allem möglichst wenig Angstgefühle und Niedergeschlagenheit.“
In der Wissenschaft sind zwei Konzepte zur Erklärung von Glück verbreitet, beide aus der Psychologie. Doch eines vorweg: Nicht gemeint ist das Zufallsglück, z.B. das Losglück auf dem Rummel oder der gefundene Geldschein. Die Wissenschaft interessiert sich stattdessen für das Lebensglück: Was macht uns langfristig glücklich?
Der erste Ansatz versteht Glück als subjektives Wohlbefinden: Wir sind zufrieden, die positiven Gefühle wie Freude, Dankbarkeit und Begeisterung überwiegen, negative Gefühle wie Angst, Wut oder Trauer haben wenig Platz in unserem Leben. Zu dieser emotionalen Komponente kommt noch die kognitive. Damit ist die Lebenszufriedenheit gemeint. Wie zufrieden sind wir mit unserem Leben, haben wir unsere selbstgesteckten Ziele (bisher) erreicht?
Der zweite Ansatz nennt sich PERMA-Modell und wurde von einem US-Wissenschaftler entwickelt. Er vereint fünf Faktoren, die dafür sorgen, dass wir glücklich sind:
- Positive Emotionen – Gefühle wie Freude, Vergnügen, Zufriedenheit
- Engagement – das völlige Aufgehen in einer Tätigkeit (auch „Flow“ genannt)
- Relationships – positive Beziehungen zu anderen Menschen, ein stabiles soziales Netz
- Meaning – Sinnerfüllung/Lebensziel, zu etwas beitragen, das größer ist als man selbst
- Accomplishment – Zielerreichung/Erfolg, persönliche Ziele erreichen
Wichtig bei dieser Theorie: Die fünf Faktoren beeinflussen und bedingen sich gegenseitig. Ein Faktor allein, z.B. Erfolg, macht noch nicht glücklich, aber wir können daran arbeiten, jeden dieser Faktoren so zu beeinflussen, dass wir glücklicher werden.
Ball oder Bagger? Das ist zweitrangig. Solange Kinder ganz in ihrem Element sind, fühlen sie sich glücklich und sind sozusagen im Flow.
Glücksfaktoren: Was macht uns glücklich?
Das PERMA-Modell zeigt bereits Aspekte auf, die zu einem glücklichen Leben führen. Auch die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN, die wir ausführlich in der lausebande-Ausgabe April 2022 vorgestellt haben, beruhen auf den Erkenntnissen der Glücksforschung. Die dort geforderten Ziele sind Grundvoraussetzungen für ein glückliches, zufriedenes Leben. Dazu gehören Frieden, Gesundheit, Bildung, eine gesunde saubere Umwelt, gute Arbeit, mehr Gerechtigkeit und weniger Hunger und Ungleichheit. Glück für uns, dass wir in Deutschland leben, wo viele dieser Ziele bereits erreicht sind.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD erfasst seit 2011 mit dem Better Life Index das Wohlergehen in 34 Ländern. Dazu werden folgenden Kriterien erfasst und bewertet:
- Wohnverhältnisse
- Einkommen
- Beschäftigung
- Gemeinsinn
- Bildung
- Umwelt
- politischer Rahmen/zivilgesellschaftliches Engagement
- Gesundheit
- Lebenszufriedenheit
- Sicherheit
- Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben
Viele dieser Aspekte können wir kaum bis gar nicht beeinflussen, sie sind der gesellschaftliche Rahmen, in dem wir unser Glück finden müssen. Die Glücksforschung hat insgesamt sechs Faktoren ermittelt, die zum Lebensglück beitragen und die wir zumindest teilweise beeinflussen können:
1. Liebevolle soziale Beziehungen: Dazu gehören Familie und Freunde. Aber auch ein gutes Verhältnis zu Kollegen und Nachbarn macht glücklich. Geselligkeit gilt als einer der entscheidenden Faktoren für ein glückliches Leben. Denken Sie selbst zurück: Wann haben Sie das letzte Mal herzlich gelacht? Vermutlich nicht, als Sie allein waren. Der Mensch ist ein soziales Wesen und braucht andere Menschen um sich herum. Wichtig ist, dass uns die Beziehung gut tut. Wenn Sie also eine Freundin haben, die immer nur nörgelt und Sie mit ihrer schlechten Stimmung ansteckt, sollten Sie diese Freundschaft lieber ruhen lassen.
2. Physische und psychische Gesundheit: Wer ständig krank ist oder schwer erkrankt ist, ist nachweislich weniger glücklich. Ein Stück weit können wir unsere Gesundheit beeinflussen: über gesunde Ernährung und viel Bewegung. Und über das Glücklichsein. Denn wer glücklich ist, ist gesünder.
3. Engagement und befriedigende Arbeit: Arbeit macht glücklich. Statistisch sind arbeitslose Menschen unzufriedener und das liegt nicht nur am fehlenden Einkommen, sondern auch daran, dass ihnen eine sinnstiftende Tätigkeit fehlt. Insofern macht nicht jede Arbeit glücklich, sondern vor allem jene, die nicht nur Beruf ist, sondern auch Berufung. Interessant: Besonders glücklich sind leitende Angestellte mit Führungsverantwortung und Selbständige, eher unzufrieden sind Leih- und Zeitarbeiter. Nicht zuletzt sorgt Arbeit für Anerkennung und Ansehen in der Gesellschaft und vergrößert über das Kollegium die sozialen Beziehungen, die einer der wichtigsten Glücksfaktoren sind.
4. Persönliche Freiheit: Selbstbestimmung ist ein entscheidender Glücksfaktor. Wenn wir unsere Meinung frei äußern können, wenn wir selbst entscheiden können, mit wem wir unsere Zeit verbringen, welchen Beruf wir wählen, steigert das die Zufriedenheit. Länder, in denen die Freiheiten der Menschen stark eingeschränkt sind, landen im World Happiness Report regelmäßig auf den hinteren Plätzen, so hat Afghanistan aktuell den letzten Platz inne. Zu Freiheit gehört auch, ausreichend Zeit zu haben, um unseren Tag so zu gestalten, wie wir es möchten. Das erklärt auch, warum Eltern junger Kinder in Studien oft weniger glücklich sind. Ihr Leben ist stark fremdbestimmt durch die Bedürfnisse ihres Nachwuchses.
5. Innere Haltung: Hier können wir viel für mehr Glücksgefühle tun. Zur inneren Haltung gehört unsere Grundeinstellung. Gefühle wie Optimismus, Dankbarkeit und Zufriedenheit schon mit kleinen Dingen zahlen auf unser Glückskonto ein. Für Minuspunkte sorgen negative Gefühle wie Neid und Missgunst, Ärger und Wut. Hier kann die Einstellung helfen: Ärgere dich nicht über Dinge, die du nicht ändern kannst. Wir sollten uns also in Gelassenheit üben. Auch Spiritualität, Glaube und die Suche nach dem Sinn des Lebens gehören zu diesem Aspekt.
6. Einkommen zur Befriedigung der Grundbedürfnisse: Die wichtigste Erkenntnis vorweg: Geld macht nicht glücklich. Es stimmt, dass sehr arme Menschen (beispielsweise in Entwicklungsländern) unglücklicher sind, als Menschen in den reichen westlichen Staaten. Doch sind erst einmal die Grundbedürfnisse erfüllt und reicht das Geld auch noch für Urlaub und Freizeitbeschäftigungen, dann bringt mehr Geld nicht automatisch mehr Glück. Insbesondere Konsum macht nicht (dauerhaft) glücklich. Das neue schicke Kleid kann uns für den Moment glücklich machen. Doch dem Kaufrausch folgt meist recht schnell die Ernüchterung. Das lässt sich gut an Kindern beobachten. Sie wünschen sich unbedingt ein ganz bestimmtes neues Spielzeug. Wenn sie es dann bekommen, sind sie glücklich. Doch nach ein paar Tagen liegt es neben den vielen anderen Spielsachen unbeachtet in der Ecke. Viel wichtiger als Geld, so die Forschung, ist Zeit.
Auch das Schwein gilt hierzulande als Glückssymbol, was sich in der Redewendung „Schwein gehabt“ widerspiegelt.
Schulfach Glück
Nun kennen wir die Faktoren, die uns glücklich machen. Aber kann man Glücklichsein erlernen? Ja, sagt Ernst Fritz-Schubert. 2007 hat der damalige Lehrer erstmals „Glück“ als Schulfach unterrichtet. Er war mit dem, wie Schule funktioniert, nicht ganz glücklich. Denn er merkte, dass die Kinder schnell die Lust am Lernen verlieren. „Wir müssen aufhören, die Kinder wie Fässer zu betrachten, die wir mit Wissen füllen“, sagte er 2011 im Interview mit der lausebande. Stattdessen müsse man in ihnen die Fackel der Erkenntnis entzünden, so Fritz-Schubert: „Das gelingt weniger über Belehrung, sondern über ganzheitliche Erfahrungen, die zu dem Wunsch führen, das Leben selbst in die Hand zu nehmen. Das erwarte ich von einer Schule.“ Also hat er zunächst an seiner Heidelberger Schule das Schulfach Glück eingeführt. Es vermittelt zwei Schwerpunkte: Zufriedenheit und Lebenskompetenz. Die Kinder beschäftigen sich mit Sinnfindung, Geborgenheit, sozialen Beziehungen, selbstbestimmtem Handeln, Selbstakzeptanz und der persönlichen Weiterentwicklung. Sie sollen ihren Weg im Leben finden. Sie sollen herausfinden, was ihnen gut tut und was sie erreichen wollen. Vermittelt wird all das über theoretische Grundlagen aus der Psychologie und praktische Übungen, die das Selbstvertrauen und das Miteinander in der Klasse stärken.
Mittlerweile hat Fritz-Schubert ein eigenes Institut gegründet, um das Schulfach Glück an weiteren Schulen zu etablieren. Das Institut bietet Schulen und Kindergärten Weiterbildungen an, um selbst Glück als Schulfach bzw. im Kitalltag zu vermitteln. Schon etwa 300 Einrichtungen aus Europa haben das Angebot genutzt, davon 60 aus Deutschland.
Wenn Sie dem Thema Glück an der Schule Ihres Kindes gern mehr Raum geben würden, bringen Sie das Thema beim nächsten Elternabend an oder wenden sich an den Elternrat der Schule. Hier sind zwei Angebote, bei denen sich Lehrkräfte zum Thema qualifizieren können:
Ministerium für Glück:
Kostenfreier eintägiger Workshop für Lehrkräfte, der praktische Übungen aus der Positiven
Psychologie, der gewaltfreien Kommunikation und anderer Konzepte und Theorien vermittelt.
www.ministeriumfuerglueck.de/angebote/connect-fuer-lehrkraefte/
Fritz-Schubert-Institut:
Die deutlich umfangreicheren Aus- und Weiterbildungen des Instituts vermitteln Kenntnisse und Methoden zum Schulfach Glück und zum Lernziel Wohlbefinden, übrigens für alle Schularten und auch Kitas.
www.fritz-schubert-institut.de/schulfachglueck
Schokolade gehört nicht zu den von Forschern herauskristallisierten Glücksfaktoren, kann aber in Maßen zumindest kurzfristig Glücksgefühle hervorrufen – bei Kindern und Eltern gleichermaßen.
So werden Kinder glücklich
In der Lausitz gibt es noch keine Glücksschule. Daher liegt es vor allem an uns Eltern, unseren Kindern den Kompass für ein glückliches Leben mit auf den Weg zu geben. Die meisten Studien zur Glücksforschung befragen Menschen im Erwachsenenalter. Es gibt nur wenige Studien, die Kinder und Jugendliche einbeziehen. Wir stellen beispielhaft zwei Studien vor, die schon etwas älter sind, aber dennoch aufzeigen, was Kinder glücklich macht.
Die World Vision Studie erhebt seit 2007 die Lebensumstände von Kindern in Deutschland. Bei der zweiten Studie von 2010 stand die Lebenszufriedenheit der Kinder im Fokus. Befragt wurden gut 2.500 Kinder zwischen 6 und 11 Jahren. Die große Mehrheit von ihnen ist glücklich und zufrieden. Ein Faktor dafür ist, neben Familien und Freunden, Selbstwirksamkeit. Kinder, die das Gefühl haben, mit ihrem Handeln etwas bewirken zu können und ernst genommen zu werden, haben ein größeres Selbstvertrauen und sind zufriedener. Allerdings blicken etwa 20 Prozent der befragten Kinder negativ und ohne Perspektive in die Zukunft. Dieser Pessimismus ist fast immer mit Armut im Elternhaus verknüpft.
Die Sozialpädagogin und Familienforscherin Sabine Andresen, die die Studie wissenschaftlich begleitete, hat für einen Zeitungsbeitrag fünf Basis-Regeln zusammengefasst, die Kinder glücklich machen:
- Kinder wollen Beachtung
- Kinder brauchen Grenzen
- Kinder wollen keine rundum verplanten Tage
- Kinder brauchen nicht in Watte gepackt zu werden
- Kinder sind gern mit anderen Kindern zusammen
Die zweite Studie, die wir uns genauer angesehen haben, wurde 2013 anlässlich des Weltkindertages veröffentlicht. Für die „kinderStudie“ wurden 1.000 Kinder zwischen 4 und 12 Jahren im Auftrag der Süßigkeiten-Marke „kinder“ dazu befragt, wie glücklich sie sind und was sie glücklich macht. Die große Mehrheit der befragten Kinder ist glücklich. Die Top 3 der Glücksfaktoren sind: Familie, Freunde, Spielzeug. Wobei bei Kindern ab zehn Jahren die Freunde wichtiger werden als die Familie. Aber auch Freiraum ist Kindern wichtig. Ziemlich weit hinten landen Medien wie Handy oder PC-Spiele. Zu den Dingen, die Kinder unglücklich machen, gehören: ein fehlendes eigenes Kinderzimmer, krank sein, Hausaufgaben, Hausarbeit, Stress in der Schule.
Die Studie hat sechs Glücksquellen für Kinder herauskristallisiert:
- Kinder brauchen Freiräume und Reservate, in denen sie sich ausprobieren, beweisen oder einfach auch nur erholen können – denn Kindsein ist harte Arbeit.
- Kinder brauchen Geborgenheit – denn aus dieser Geborgenheit wächst der Mut, Dinge auszuprobieren, Herausforderungen anzunehmen und – letztlich – erwachsen zu werden.
- Kinder brauchen Regeln – egal ob streng oder lässig. Die Regeln müssen nachvollziehbar sein und eingehalten werden.
- Kinder brauchen Zukunft – es kann nicht gelingen, Kinder unter einer Käseglocke zu halten und vor allem Bösen abzuschirmen, aber die Kinder müssen die Zuversicht gewinnen, dass alles gut wird.
- Kinder brauchen Freunde – zwar eigentlich noch nicht so dringend, aber wer in jungen Jahren nicht die Konventionen der Freundschaft erlernt, wird Probleme haben, wenn die Freunde in der Jugend wirklich wichtig werden.
- Kinder brauchen materielle Sicherheit – es braucht keine Reichtümer, aber ein solides wirtschaftliches Fundament, um Kindern die Freiräume und Chancen zu bieten, die sie verdienen.
Der Skarabäus gilt in Ägypten als Glückssymbol. Der Käfer, der auch Pillendreher genannt wird, steht dort für das Leben und die Auferstehung und wird gern als glücksbringender Schmuckstein verschenkt.
Der Glücksforscher Mihaly Csikszentmihalyi hat dazu noch folgende Faktoren für eine glückliche Kindheit herauskristallisiert: klare Aussagen und Erwartungen von Seiten der Eltern an ihre Kinder, Wahlmöglichkeiten für das Kind, Herausforderungen, an denen das Kind wachsen kann.
Zusammengefasst lässt sich sagen: Kinder brauchen zunächst einmal Liebe und Vertrauen, das wir Eltern ihnen schenken können, indem wir liebevoll mit ihnen umgehen, wenig schelten und schimpfen, nicht mit Belohnung und Bestrafung arbeiten, sondern mit Zeit und Zuneigung, aber dennoch klare Regeln und Grenzen aufstellen. Kinder brauchen Erfahrungen – und zwar in der analogen Welt, nicht am Bildschirm. Ihnen tun Erlebnisse draußen im Wald, auf dem Spielplatz, auf dem Bolzplatz gut. Kinder brauchen Kinder, sei es in Kita und Schule, in der Nachbarschaft oder im Verein oder in der Familie. Leistungsdruck macht Kinder nicht glücklich. Weder zu viele Hobbys noch der ständige Noten-Druck in der Schule tun unseren Kindern gut. Sie brauchen stattdessen bewusste Freiräume, Zeiten des Nichtstuns. Wir sollten sie einfach häufiger mal Kind sein lassen.
So werden Eltern glücklich
Sind Eltern glücklicher als Nicht-Eltern? Oder anders gefragt: Machen Kinder glücklich? Eine eindeutige Antwort darauf kann die Wissenschaft nicht liefern. Es gibt Studien, die zeigen, dass Menschen ohne Kinder glücklicher sind, weil sie mehr Zeit und mehr Geld haben. Es gibt aber auch Studien, die das Gegenteil belegen. Demnach machen Kinder durchaus glücklich, vielleicht nicht in den ersten Jahren, wo sie uns viel Schlaf und Nerven rauben. Aber langfristig geben sie unserem Leben einen Sinn.
Untersuchungen des SKL Glücksatlas zeigen, dass Paare mit Kindern etwas glücklicher sind als kinderlose Paare. Eine Auswertung von 2015 bestätigt: Besonders im Jahr vor und nach der Geburt nimmt die Zufriedenheit zu. Mit Kind 1 und 2 steigen die Zufriedenheitswerte leicht an, bei mehr Kindern stagniert das private Glücksniveau dann oder sinkt sogar. Immerhin: Bei der eingangs erwähnten YouGov-Studie von 2019 gaben bei der Frage nach den bisher größten Glücksmomenten die meisten Menschen die Geburt ihrer Kinder an.
Ein neuer Erdenbürger: Für die meisten erwachsenen Menschen ist die Geburt ihrer Kinder ihr größter Glücksmoment.
Wie glücklich Kinder machen, hängt nicht zuletzt von den äußeren Umständen ab: Steigen die Ausgaben sehr stark, während das Einkommen sinkt, kann das zu finanzieller Not und folglich zu Unzufriedenheit führen. Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern hat darauf Einfluss. Fast alle Studien zeigen, dass Menschen mit Job glücklicher sind als Arbeitslose. Wenn Mütter oder auch Väter ihren Job dann wegen der Kinder zurückstellen müssen, kann das unzufrieden machen. Hier liegt es an der Politik, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Kinder und Karriere sich nicht ausschließen. Die sehr gute Vereinbarkeit in den skandinavischen Ländern dürfte ein Grund dafür sein, dass die Menschen dort im internationalen Vergleich als sehr glücklich gelten.
Da die größten Stress-Faktoren im Alltag mit Kindern die fehlende Zeit und das angespannte Nervenkostüm sind, sollten sich Mütter und Väter ab und zu eine kleine Auszeit gönnen. Sie sollten sich selbst nicht vernachlässigen, nur weil die Kinder so viel Aufmerksamkeit erfordern. Wenn Mütter darauf achten, dass es ihnen gut geht und dass sie glücklich sind, dann werden auch ihre Kinder zufriedener. Die meisten Eltern dürften aus ihrem Alltag wissen: Stress produziert Stress. Wenn wir gestresst sind, dann reagieren auch unsere Kinder genervt. Daher folgen jetzt noch ein paar praktische Tipps für mehr Glücksmomente im Alltag.
Alltagstipps für glückliche Familien
Suchen Sie das Glück im Kleinen: Freuen Sie sich über den Regenbogen, über die Blume am Wegesrand, über das kurze Gespräch mit der Kita-Mutti, über das Lob der Erzieherin zu Ihrem Kind.
Gönnen Sie sich Mini-Auszeiten: Fünf Minuten Kaffee- oder Teepause ganz für sich allein. Fünf Minuten auf den Balkon oder vors Haus gehen und tief durchatmen und in die Ferne schauen. Fünf Minuten Lieblingsmusik an und durch die Wohnung tanzen.
Dankbarkeit macht glücklich, die können Sie trainieren. Notieren Sie sich dazu jeden Abend vor dem Schlafengehen drei Dinge, für die Sie an diesem Tag dankbar sind oder die besonders schön waren.
Setzen Sie sich sinnvolle und erreichbare Ziele. Und dazu gehört eben nicht die picobello aufgeräumte Wohnung, wenn man Baby und Kleinkind zu Hause hat. Wer ständig seine Ziele verfehlt, weil sie einfach nicht zu schaffen sind, wird unglücklich.
Erstellen Sie Ihre persönliche Glücksliste. Dort notieren Sie, was Sie glücklich macht. Das kann ein Waldspaziergang sein, eine Kuschelstunde mit der ganzen Familie, ein Filmabend mit der besten Freundin, eine Tasse heiße Schokolade, ein gutes Glas Rotwein, ein heißes Bad. Die Liste sollte mindestens 15 Dinge umfassen. Versuchen Sie, täglich mindestens einen Punkt davon umzusetzen und bewusst zu genießen.
Machen Sie andere glücklich: Lächeln Sie die Kassiererin im Supermarkt an und wünschen Ihr einen schönen Tag, halten Sie einer Mutti mit Kinderwagen die Tür auf, tragen Sie dem Nachbarn den Einkauf hoch, schreiben Sie der besten Freundin eine Postkarte, überraschen Sie Ihren Partner mit einer süßen Post-it-Nachricht auf dem Weg zur Arbeit, laden Sie Ihre Kinder spontan zu einer Kissenschlacht ein, sagen Sie der Kita-Freundin Ihres Kindes, was für ein hübsches Kleid sie heute anhat. Schon mit kleinen Aufmerksamkeiten können wir unseren Mitmenschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Das macht auch uns selbst glücklicher.
Verlassen Sie Ihre Komfortzone: Es kostet etwas Überwindung, unseren sicheren, routinierten Alltag zu verlassen. Machen Sie bewusst die Dinge, die Sie sich normalerweise nicht (zu)trauen. Das kann das Erlernen eines Instruments oder eine Fremdsprache sein, die Fahrt mit der Achterbahn, der erste Disco-Besuch seit zehn Jahren, die Teilnahme an einem Extrem-Hindernis-Lauf oder das Tragen eines knallig roten Kleids. Belohnt wird das fast immer mit kleinen Abenteuern, mit neuen Erfahrungen, neuen Kontakten, manchmal auch mit Bauchkribbeln und Herzklopfen. Das tut uns und unseren Kindern gut, denn wir lernen dabei Neues und sind stolz auf das Erreichte.
Kuriose Fakten rund ums Glück
Zum Abschluss haben wir ein paar spannende Fakten rund um das Thema Glück gesammelt und stellen diese hier vor.
- Es gibt verschiedene Glückssymbole. Bei uns stehen der Schornsteinfeger, das Schwein, das Hufeisen oder ein vierblättriges Kleeblatt für Glück. Andere Länder, andere Talismane: So gilt in Japan die Winkekatze als Glückssymbol, in China der Glückskeks mit seiner kleinen Weisheit im Inneren, in Bali Fledermäuse, in Indien Elefanten und in Ägypten der Skarabäus.
- In der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 wurde das Recht auf Streben nach Glück („the pursuit of hapiness“) festgeschrieben. Sie ist die Basis für die spätere US-Verfassung, in der dieses Recht allerdings nicht mehr explizit erwähnt wird.
- Das kleine Königreich Bhutan im Himalaya-Gebirge ist das einzige Land der Welt, das ein Recht auf Glück in seiner Verfassung verankert hat. Die Regierung habe nicht nur für Frieden und Sicherheit der Menschen zu sorgen, sondern eben auch für deren Wohlbefinden. Dazu hat man eigens den Begriff des Bruttonationalglücks eingeführt, Glück steht dort über Einkommen. Damit möglichst viele Bhutaner ein glückliches Leben führen können, sollen unter anderem Bildung und Umweltschutz verbessert werden, aber auch Kultur und wirtschaftliche Entwicklung spielen eine Rolle.
- Der Tag des Glücks wurde 2012 durch die Vereinten Nationen ausgerufen und wird jährlich am 20. März begangen. Er soll Themen wie Glück und Wohlbefinden international eine größere Aufmerksamkeit bringen.
- Glücksministerin von Deutschland ist Gina Schöle. Sie verantwortet seit 2012 das Ministerium für Glück und Wohlbefinden. Das ist weder staatlich anerkannt noch öffentlich finanziert, sondern aus einem studentischen Projekt heraus entstanden. Gleichwohl verfolgt es mit einem Augenzwinkern ein ernstes Anliegen: Mit verschiedenen Impulsen will es jeden Einzelnen, aber vor allem die Gesellschaft, glücklicher und zufriedener machen.
Während dieses Tier in Deutschland eher mit Blutsaugern und Superhelden in Verbindung gebracht wird, gilt die rote Fledermaus in China und Bali als Glücksbringer.
Empfehlungen
Wer noch mehr rund um das Glück erfahren will, für den haben wir Bücher, Filme, Podcasts und Online-Portale ausgewählt, die sich auf verschiedene Weise dem Thema nähern.
Literatur
Glück doch mal!:Das kreative Workbook für alle, die sich das gute Leben selbst gestalten wollen. Gina Schöler und Franziska Misselwitz haben ein Arbeitsbuch geschrieben, in dem sie 99 unterhaltsame Challenges versammeln. Die Aufgaben basieren auf Erkenntnissen der Glücksforschung, der Positiven Psychologie, der Persönlichkeitsentwicklung und aus dem ganz normalen Leben.
Glück kann man lernen: Was Kinder stark fürs Leben macht. Der Erfinder des Schulfachs Glück, Ernst Fritz-Schubert, hat in diesem Buch sein Konzept der Glückserziehung aufgeschrieben, damit es auch Eltern zu Hause umsetzen können. Sein Fazit: Wir müssen unseren Kindern helfen, die eigenen Potenziale zu entdecken und an sich selbst zu glauben – denn nur starke Kinder sind glückliche Kinder.
Das Geheimnis glücklicher Kinder. Dieser Klassiker des Psychologen und Familientherapeuten Steve Biddulph gibt Eltern Handlungsanleitungen zu einem entspannteren und konfliktfreieren Umgang mit ihrem Nachwuchs. Hier erfahren Eltern, was in ihren Kindern wirklich vor sich geht und wie man am besten darauf reagiert.
Die 5 Säulen der positiven Psychologie: Wie Sie ab sofort Glück, Lebensfreude und Erfolg wie ein Magnet anziehen und alle negativen Energien für immer loswerden. Jonathan M. Albrecht zeigt in diesem Buch einen Weg auf, der in ein Leben voller Leichtigkeit führt! Dazu greift er zurück auf Erkenntnisse der positiven Psychologie, inkl. zahlreicher Übungen und Workbook.
Emma und ein Koffer voller Glück. In ihrem Kinderbuch erzählt Anya F. Steiner die Geschichte der kleinen Emma. Auf ihren alltäglichen Abenteuern stellt sie sich neuen Herausforderungen. Aus einem trotzigen Mädchen mit vielen Selbstzweifeln und Unsicherheit wird ein glückliches Kind. Die Geschichte zeigt, wie Kinder das Glück, die Liebe und das tiefe Vertrauen in sich selbst finden und was sie dafür am besten in ihrem Koffer immer dabei haben sollten.
Podcasts
15 Minuten fürs Glück: Die Paar- und Familientherapeutin Anette Frankenberger und die Journalistin Antonia Fuchs unterhalten sich darüber, wie wir im Alltag glücklich werden. So schauen sie, was wir uns von den Schweden abgucken können, wie Eltern trotz Kindern Paare bleiben und was Erwachsene von Kindern lernen können beim Thema Glücklichsein. Mit nur 15 Minuten Länge lassen sich die Folgen auch in volle Arbeits- und Familientage zwischenschieben.
Schokolade für die Seele: Der Autor und Motivationstrainer Biyon Kattilathu gibt in den etwa halbstündigen Folgen Tipps für mehr Glück, Motivation und Inspiration. Im Fokus stehen Themen wie Selbstwertgefühl, Vertrauen, positives Denken, Wertschätzung.
Einmal täglich Glück: Moderatorin Claudia Röttger begibt sich auf die Suche nach kleinen und großen Glücksmomenten. Dazu unterhält sie sich in jeder der 45-Minuten-Folgen mit Menschen, die auf ihre Art ihr Glück gefunden haben, darunter eine Lottogewinnerin, ein Extremsportler und eine Lachyoga-Trainerin.
Film
Luck (2022, FSK 0): Der noch ganz frische Animationsfilm begleitet das wohl unglücklichste Mädchen der Welt, auf seiner Reise in die Welt von Glück und Pech. Dafür muss es sich mit magischen Wesen zusammentun, um eine Kraft zu entdecken, die mächtiger ist als das Glück selbst.
Das Blubbern von Glück (2021, FSK 6): Ein bunter, magischer Familienfilm rund um die zwölfjährige Candice und ihre unglückliche Familie. Gemeinsam mit ihrem Freund Douglas, der wie sie als Außenseiter gilt, begeben sie sich auf die Suche nach dem Glück.
Hectors Reise oder Die Suche nach dem Glück (2014, FSK 12): Der Psychiater Hector macht sich auf die Suche nach dem Glück. Seine Reise führt ihn dabei um den ganzen Erdball und hält neben vielen interessanten Reisebekanntschaften und lustigen Momenten auch Antworten für seine Fragen bereit.
Das Streben nach Glück (2006, FSK 0): Dieses Familiendrama mit Will Smith und seinem Sohn in den Hauptrollen basiert auf einer wahren Begebenheit. Es geht um einen alleinerziehenden Familienvater, der trotz Existenzangst für das Glück und Wohlergehen seines fünfjährigen Sohnes kämpft.
Web
www.ministeriumfuerglueck.de – Die Homepage des Ministeriums für Glück versammelt Ratschläge für mehr Glück im Alltag, auf Arbeit oder zu Hause. Im Shop kann man Glücksbotschaften für sich und seine Mitmenschen erwerben oder auch ein Kartenspiel für Familien mit kleinen Glücks-Challenges. Daneben findet man dort einen Podcast mit Tipps zum Glücklichsein.
www.skl-gluecksatlas.de – Auf dem Portal finden sich vor allem Zahlen und Statistiken rund ums Glück. Außerdem wird erklärt, welche Faktoren wirklich glücklich machen und welche nicht.
www.gluecksarchiv.de – Die Website gibt einen umfangreichen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zum Thema und verlinkt zu Buchempfehlungen und Interviews.
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Ein Ratgeber rund um Sicherheit im Straßenverkehr
In Deutschland wird im Schnitt alle 23 Minuten ein Kind bei einem Verkehrsunfall verletzt oder getötet. Wenngleich das viel klingt und noch immer zu viel ist, so zeigt doch immerhin der langfristige Trend nach unten. Im vergangenen Jahr starben bei Verkehrsunfällen 48 Kinder – so wenig wie noch nie. Auch die Zahl der Verkehrsunfälle mit Kindern sank auf ein historisches Tief. Ein Grund ist die Corona-Pandemie. Da Kinder in den vergangenen zwei Jahren deutlich seltener als sonst unterwegs waren, weil Kitas, Schulen, Vereine, Schwimmbäder und Kinos geschlossen hatten, waren sie auch seltener in Verkehrsunfälle verwickelt.
Die wichtigsten Fakten und Zahlen zusammengefasst:
- Seit 1991 hat sich die Zahl der im Straßenverkehr verunglückten Kinder mehr als halbiert: von 51.000 auf 22.000.
- Noch deutlicher sank die Zahl der im Straßenverkehr getöteten Kinder: von mehr als 1.000 in den 1950er-Jahren, auf unter 500 in den 1990er-Jahren und zuletzt ca. 50 pro Jahr.
- Kinder verunglücken häufiger an Werktagen und vor allem morgens zwischen 7 und 8 Uhr sowie nachmittags zwischen 13 und 17 Uhr.
- Im Frühjahr und Sommer verunglücken mehr Kinder als im Winterhalbjahr. Das dürfte daran liegen, dass Kinder im Sommer mehr Zeit draußen verbringen.
- Brandenburg und Schleswig-Holstein sind die Bundesländer mit den höchsten Unfallzahlen. In Brandenburg verunglückten im vergangenen Jahr 256 von 100.000 Kindern, bundesweit 194 von 100.000.
- Die meisten Kinder, die 2021 im Straßenverkehr verunglückten, waren mit dem Fahrrad unterwegs (38 %). 33 % saßen in einem Auto und 21 % gingen zu Fuß, als der Unfall passierte.
- Kleinkinder und Grundschulkinder verunglücken besonders häufig im Auto, Jugendliche mit dem Fahrrad.
- Die meisten tödlichen Verkehrsunfälle passieren im Auto.
- Jungs verunglücken häufiger als Mädchen im Straßenverkehr (Jungs: 60 %, Mädchen: 40 %). Die Gründe dürften in der höheren Verkehrsbeteiligung und Risikobereitschaft von Jungs liegen.
- Die häufigste Unfallursache bei kleinen Fußgängern: Sie überqueren die Straße; ohne auf den Verkehr zu achten. Die häufigste Unfallursache junger Radfahrer: Sie benutzen die falsche Fahrbahn.
Damit künftig noch weniger Kinder im Straßenverkehr verunglücken, ist vor allem Prävention gefragt. Und hier wiederum sind wir Eltern gefragt. Wie genau Sie Ihre Kinder am besten vor Verkehrsunfällen schützen, erklären wir in diesem Titelthema.
Kinder gehören zur am stärksten gefährdeten Gruppe im Straßenverkehr. Daher organisieren Verkehrswachten immer wieder Aktionstage für sie. © Landesverkehrswacht Brandenburg
Warum sind Kinder besonders gefährdet?
Obwohl Kinder im Vergleich zu anderen Altersgruppen relativ selten in Verkehrsunfälle verwickelt sind, so sind sie doch besonders gefährdet. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen sind Kinder ab einem gewissen Alter häufiger zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs als Erwachsene, die über Fahrerlaubnis und PKW verfügen. Zum anderen sind sie einfach kleiner und werden daher schlechter oder später gesehen. Ein weiterer Grund: Aufgrund ihrer entwicklungsbedingten Besonderheiten sehen, hören und erleben sie den Straßenverkehr anders als Erwachsene. Dadurch gehören sie zu den schwächsten Verkehrsteilnehmern und brauchen besonders viel Schutz.
Kinder sehen anders als Erwachsene. Bis in die Pubertät hinein ist ihr Sehvermögen noch nicht vollends ausgereift. Vor allem das räumliche Sehen und das seitliche Sichtfeld sind noch nicht voll entwickelt. Genau das aber ist wichtig, um herannahende Autos rechtzeitig zu erkennen oder einschätzen zu können, wie weit das Auto noch entfernt ist. Auch Geschwindigkeiten oder Bremswege können Kinder noch nicht gut einschätzen. Sie können nicht sicher beurteilen, ob sie es vor einem herannahenden Auto noch über die Straße schaffen.
Das Gehör ist bei Kindern ebenfalls erst mit dem Ende der Grundschulzeit ausgereift. Vorher sind jüngere Kinder noch nicht in der Lage, Geräusche sicher zu unterscheiden und zu lokalisieren. Auch mit Schall haben kleine Kinder noch Schwierigkeiten. Je nachdem, aus welcher Richtung er kommt, kann es sogar vorkommen, dass sie ihn ganz überhören. Während sich Erwachsene, wenn sie zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind, oft auch auf ihr Gehör verlassen, können Kinder dies noch nicht.
Ein weiterer Aspekt, der nicht zu unterschätzen ist: Kinder leben im Hier und Jetzt, sie sind sehr spontan und reagieren schon mal ohne nachzudenken. Wenn der Ball beim Spielen auf die Straße kullert, dann flitzen sie hinterher – ohne vorher nach einem Auto zu schauen. Wenn sie auf der anderen Straßenseite die Kitafreundin entdecken, laufen sie schnell hinüber. Sie denken in dem Moment nicht an eine mögliche Gefahr durch Autos. Ein Gefahrenbewusstsein müssen sie erst noch erlernen. Ein parkendes Auto oder eine Ausfahrt nehmen sie noch nicht als potenzielle Gefahrenquelle wahr. Erst durch Erklären und Erfahrung lernen sie, dass bei einem parkenden Auto plötzlich die Tür aufgehen kann oder dass aus der Parkplatzausfahrt Autos fahren können.
Kinder in der StVO
Aus diesen Gründen gelten für Kinder besondere Regeln im Straßenverkehr. Diese sind in der Straßenverkehrs-Ordnung StVO festgeschrieben. Hier ein Überblick:
StVO §2 Kinder als Radfahrer
Kinder unter acht Jahren müssen, Kinder zwischen 8 und 9 Jahren dürfen mit Fahrrädern Gehwege benutzen. Ist der Radweg baulich von der Straße getrennt, dürfen auch Kinder unter acht Jahren den Radweg nutzen. Ein Mindestalter für Kinder auf dem Rad gibt es nicht. Bei Kindern unter acht Jahren darf ein Elternteil (oder eine andere Person ab 16 Jahren) als Aufsichtsperson auf dem Gehweg mitfahren. Ansonsten ist der Gehweg für Radfahrer ab 10 Jahren tabu. Wollen auf dem Gehweg radfahrende Kinder und Eltern die Straße überqueren, müssen sie absteigen. Fahren Kinder (und ein begleitender Elternteil) auf dem Gehweg, müssen sie Rücksicht auf die Fußgänger nehmen. Übrigens: Solange Kinder mit dem Rad auf dem Gehweg fahren, gelten sie als Fußgänger und ihr Fahrrad als Spielzeug. Damit muss es theoretisch nicht verkehrssicher sein. Praktisch heißt das: Wenn die Vierjährige gerade Fahrradfahren lernt und nur im Hellen unterwegs ist, ist es kein Problem, wenn das Rad über kein Licht verfügt.
StVO §21 Kinder auf dem Rad mitnehmen
Wenn Kinder nicht auf dem eigenen Rad fahren, sondern auf dem der Eltern, müssen sie entsprechend gesichert werden. Die Person, die das Kind auf dem Rad mitnimmt, muss mindestens 16 Jahre alt sein. Die Kinder wiederum dürfen höchstens sechs Jahre alt sein. Zudem brauchen sie einen eigenen Sitz, das Mitnehmen auf dem Gepäckträger oder auf dem Rahmen ist nicht erlaubt. Der Sitz kann wahlweise vorn oder hinten am Rad befestigt sein. Die StVO schreibt vor, dass Vorrichtungen dafür sorgen müssen, dass die Füße der Kinder nicht in die Speichen geraten können. In einem zugelassenen Fahrradanhänger dürfen höchstens zwei Kinder transportiert werden.
StVO §21 Kinder im Auto sichern
Kinder unter zwölf Jahren bzw. unter 1,50 m Körpergröße müssen bei Autofahrten auf einem geeigneten Kindersitz oder einer Sitzerhöhung gesichert werden. Theoretisch lässt die StVO eine Ausnahme zu: Wenn auf der Rücksitzbank aufgrund von Kindersitzen nicht genug Platz ist für einen weiteren Kindersitz, reicht es, wenn Kinder ab drei Jahren mit einem Gurt angeschnallt sind. Wenn also bereits zwei Kindersitze auf der Rückbank sind und für einen dritten Kindersitz kein Platz ist, darf das dritte Kind ohne Kindersitz mitfahren. Praktisch sollten Eltern von dieser Ausnahmeregelung aus Sicherheitsgründen keinen Gebrauch machen.
StVO §24 Roller und Laufrad
Sind Kinder mit dem Roller oder Laufrad unterwegs, gelten sie als Fußgänger und haben sich an die entsprechenden Regeln zu halten. Das heißt vor allem: Sie müssen auf dem Gehweg bleiben, Radweg und Straße sind für sie tabu.
StVO §31 Sport und Spiel
Sport und Spiel auf der Fahrbahn, auf den Seitenstreifen und auf Radwegen sind nicht erlaubt. Ausnahmen gelten nur in verkehrsberuhigten Bereichen sowie Spielstraßen und wenn Verkehrszeichen explizit bestimmte Sportarten (wie Inline-Skaten oder Reiten) zulassen.
Helm oder nicht Helm?
Einen Schutzhelm schreibt die Straßenverkehrsordnung nur auf Krad, Mofa, Moped und Motorrad vor. Für Radfahrer gibt es in Deutschland keine Helmpflicht. Damit reiht sich Deutschland ein in die Regeln der meisten anderen europäischen Länder. Nur wenige Länder haben eine generelle Helmpflicht für Radfahrer, darunter Malta und Finnland. Andere Länder begrenzen die Helmpflicht auf Straßen außerhalb von Ortschaften, dazu gehören Spanien und die Slowakei. Mehrere Länder legen Wert auf den Schutz von Kindern, dort gilt die Helmpflicht nur für sie: Estland, Island, Kroatien, Litauen, Österreich, Schweden, Slowenien, Tschechien.
Obwohl in Deutschland keine Helmpflicht gilt – weder für Kinder noch Erwachsene – empfehlen die meisten Experten, auf dem Rad einen Helm zu tragen. Denn er kann bei einem Unfall oder Sturz vor schweren Kopfverletzungen schützen. Beim Helmkauf sollten Sie auf folgende Punkte achten: Der Helm sollte gut passen. Kaufen Sie bitte keinen zu großen Helm, in den das Kind noch reinwachsen soll. Für die passende Größe empfiehlt es sich, den Kopfumfang zu messen und natürlich den Helm aufzuprobieren. Hilfreich ist ein Licht hinten am Helm, es sorgt für mehr Sichtbarkeit in der dunklen Jahreszeit. Nach etwa fünf Jahren sollte der Helm ausgetauscht werden, da das Material mit der Zeit porös wird und nicht mehr so zuverlässig schützt. Ein Austausch wird ebenso nach einem Sturz empfohlen, da der Helm nicht sichtbare Risse davon getragen haben könnte. Die Optik des Helms ist für die Verkehrssicherheit nicht relevant, ein schönes Muster oder die Lieblingsfarbe des Kindes können aber die Lust am Tragen erhöhen. Wichtig für Sie als Eltern: Seien Sie Vorbild und tragen Sie ebenfalls einen Helm, insbesondere wenn Sie gemeinsam mit den Kindern unterwegs sind.
Die Bundesanstalt für Straßenwesen führt seit Mitte der 1970er-Jahre repräsentative Verkehrsbeobachtungen durch, bei denen auch das Tragen des Helms erhoben wird. Die zuletzt für 2021 veröffentlichten Zahlen zeigen, dass drei Viertel (77 Prozent) der Kinder im Grundschulalter einen Helm tragen. Bei Jugendlichen sind es noch 39 Prozent. Schaut man sich alle Altersgruppen an, trägt nicht einmal jeder Dritte einen Helm.
Sicher mit dem Rad unterwegs
Babys und Kleinkinder fahren auf dem Rad der Eltern mit. Dafür gibt es mehrere Lösungen. Wir stellen die wichtigsten vor.
Foto: ADAC/ Uwe Rattay
Fahrradanhänger
Wer schon ganz kleine oder zwei Kinder mitnehmen will, für den lohnt die Anschaffung eines Fahrradanhängers. Er eignet sich auch für längere Radtouren besser als ein Kindersitz. Nachteil gegenüber dem Kindersitz: Eltern und Kind können währen der Fahrt nicht miteinander reden. Die kleinen bunten Wagen bieten je nach Modell Platz für ein bis zwei Kinder, mit entsprechendem Einsatz auch für Säuglinge, die noch nicht sitzen können. Platz ist auch für Spielzeug oder eine Trinkflasche, was den Kindern ermöglicht, sich die Zeit zu vertreiben und sich selbst zu versorgen, ohne dass etwas verloren gehen kann. Die meisten Anhänger lassen sich auf Ausflügen unkompliziert zum Buggy umbauen. Mit etwa 400 bis 700 Euro pro Stück sind sie nicht eben preiswert, aber durchaus eine lohnende Investition für Familien, die häufig mit dem Rad unterwegs sind. Für Tagesausflüge und Radurlaub sind sie ideal. Die Kinder sitzen bequem, sind vor Insekten, Wind, Regen und Sonne geschützt. Bei einem Unfall sind sie durch eine gewisse Pufferzone und die geringe Kippgefahr besser geschützt als in einem Kindersitz. Erlaubt ist die Mitnahme von Kindern von 0 bis 7 Jahren, wobei die meisten Siebenjährigen kaum mehr hineinpassen werden, schon gar nicht mit Helm. Der wird ebenso empfohlen wie anschnallen. Eltern sollten vor dem Kauf eines Anhängers prüfen, ob ihr Fahrrad dafür geeignet ist: Der Anhänger muss sich am Rad befestigen lassen. Das zulässige Gesamtgewicht sollte mindestens 120 kg betragen. Nicht alle Anhänger sind mit Beleuchtung ausgestattet, hier kann Nachrüsten lohnen, da die meisten Anhänger das Rücklicht des Fahrrads verdecken. Ein bunter Wimpel und Reflektoren erhöhen die Sichtbarkeit. Wer in einem Zweisitzer nur ein Kind transportiert, sollte es wegen des Schwerpunkts in die Mitte setzen. Ist das nicht möglich, dann auf die rechte Seite.
Foto: ADAC/ Uwe Rattay
Fahrrad-Kindersitz
Für kürzere Strecken in der Stadt, auf denen vielleicht nicht immer ausreichend große „Parkplätze“ für ein Rad mit Anhänger zur Verfügung stehen, ist der klassische Kindersitz die bessere Wahl. Dafür muss das Kind selbständig sitzen können. Zur Auswahl stehen Modelle für die Montage hinten oder vorn, für im Schnitt knapp 100 Euro. Ob der Kindersitz hinter dem Fahrer oder zwischen Lenkerstange und Fahrer montiert wird, ist ein Stück weit Glaubensfrage. Beide Varianten haben ihre Vor- und Nachteile. Die Montage vorn ist nur für kleinere bzw. leichte Kinder bis höchstens 15 kg erlaubt. Hier liegt der Schwerpunkt für den Radfahrer günstiger, da die Fahrweise kaum beeinflusst wird. Allerdings fährt es sich durch die breitbeinige Sitzhaltung weniger komfortabel. Vorn kann das Kind mehr sehen und die Eltern haben ihr Kind im Blick, können sich mit ihm besser unterhalten. Allerdings ist es Wind und Wetter ungeschützt ausgesetzt und die Kopfstützte fehlt. Bei einem Sturz besteht die Gefahr, dass der Fahrer aufs Kind fällt. Hinten ist es vor dem Fahrtwind geschützt, der Transport stabiler als bei vorn montierten Sitzen. Das Kind hat mehr Platz und sitzt dadurch bequemer. Der Sitz muss Gurte haben, die vom Kind nicht allein zu öffnen sind. Ein Speichenschutz muss verhindern, dass die Kinderfüße in die Speichen kommen können. Ist ein solcher Speichenschutz montiert, ist es auch erlaubt, die Kleinen auf einem kleinen Sattel zwischen Lenker und Fahrer mitzunehmen. Der Kindersitz für hinten sollte nicht direkt am Gepäckträger montiert werden, sondern mittels Adapter am Rahmen. Die Kinder sollten dick genug angezogen sein, da sie durch den Fahrtwind und ohne Bewegung schnell auskühlen. Den Kindersitz nur für kurze Strecken nutzen oder aber ausreichend Pausen einplanen, da die Kleinen in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt sind. Da das Ein- und Aussteigen aus dem Kindersitz nicht ganz einfach ist, sind Zweibeinständer hilfreich. Auch auf dem Kindersitz gilt: bitte mit Helm! Auf dem Kindersitz dürfen Kinder nur im Alter von 9 Monaten bis 7 Jahren transportiert werden. Wird der Sitz vorn montiert, darf das Kind nicht mehr als 15 Kilogramm wiegen, hinten höchstens 22 Kilogramm.
Fahrradtrailer
Sogenannte Fahrradtrailer oder Trailerbikes sind gute Lösungen für junge Fahranfänger auf längeren Strecken. Diese Trailer sehen aus wie ein Kinderrad ohne Vorderrad und werden mittels einer langen Stange am Elternrad befestigt. Die Kleinen können also selbst in die Pedale treten, werden aber von den Eltern gelenkt und so sicher durch heikle Verkehrssituationen manövriert.
Foto: ADAC/ Uwe Rattay
Fahrradkupplung
Bei dieser Variante wird das Kinderrad mit Hilfe einer Tandemstange oder -kupplung ans Elternrad gekoppelt. Der Vorteil: Wenn dem Nachwuchs die Puste ausgeht oder die Strecke unübersichtlich wird, kann das Kinderrad relativ unkompliziert ans Elternrad montiert werden. Das Kind muss dann weder in die Pedale treten noch lenken.
Familientandem
Das Fahrrad hat wie ein Tandem zwei bis drei Sattel und die entsprechende Zahl an Pedalen. Je nach Modell finden darauf ein Erwachsener und bis zu drei Kinder Platz. Der Vorteil: Eltern und Kind(er) können sich unterhalten und die Familie kommt schneller voran, als wenn die Kinder mit ihrem Rad separat fahren. Das kann je nach gewählter Tourenlänge hilfreich sein. Eine Freilauffunktion für das Kinder-Tretlager ist sinnvoll, damit die Kinder sich bei Bedarf ausruhen können.
Foto: ADAC/ Uwe Rattay
Lastenrad
Diese noch recht junge Fahrrad-Variante eignet sich sowohl für den Transport des Wochenendeinkaufs als für den von Kindern. Es gibt unterschiedliche Modelle als klassisches Zweirad oder als Dreirad, teils sogar mit vier Rädern, mit Ladefläche vorn oder hinten. Sitzen die Kinder vorn (Modell Long John), hat man sie besser im Blick, allerdings ist hier das zulässige Gesamtgewicht vergleichsweise gering. Beim Longtail sitzen die Kinder dagegen hinten. Vorteil: Je nach Modell können auch mehr als zwei Kinder transportiert werden. Nachteil aller Lastenräder: Sie brauchen im Straßenverkehr und vor allem beim Parken viel Platz, den hat nicht jeder – vor allem nicht, wenn man in einer Mietwohnung lebt. Da man für die Fahrt mit Kindern viel Kraft braucht, lohnt es, über eine E-Bike-Variante mit zuschaltbarem Motor nachzudenken.
Für alle vorgestellten Transportlösungen gilt: Sie verändern den Schwerpunkt des Fahrzeugs und damit das Fahrgefühl. Gerade das Bremsen und Kurvenfahren braucht Übung. Am besten testen Sie das neue Gefährt vorab ohne Kinder, stattdessen mit einem Wasserkasten. Nehmen Sie Ihr Rad mit zum Fachhändler, um sicher zu gehen, dass sich Kindersitz und Co. auch tatsächlich daran befestigen lassen. Im Idealfall sind auch die Kinder dabei und können vor Ort probefahren bzw. probesitzen.
Hände weg von Stützrädern!
Etwa ab dem Vorschulalter können Kinder auch allein Fahrradfahren lernen, manche Kinder sitzen schon mit drei Jahren das erste Mal auf dem Rad. Zum Start bieten viele Eltern ihrem Nachwuchs ein Rad mit Stützrädern an. Bitte verzichten Sie darauf! Stützräder schaden mehr als sie nutzen. Das Kind lernt mit Stützrädern ein anderes, falsches Fahren. Es lernt damit nicht richtig anfahren, lenken, bremsen. Die Kinder gewöhnen sich an eine falsche Kurvenlage, da sie ihr Gewicht nach außen statt nach innen verlagern. Das Kind lernt nicht, allein das Gleichgewicht zu halten – was aber unerlässlich ist für das richtige Rad fahren. Zudem können Stützräder zum Sicherheitsrisiko werden: Wenn das Kind zu nah an einer Bordsteinkante oder durch ein Schlagloch fährt, kann das Rad umkippen.
Sehr viel besser geeignet für kleine Fahranfänger sind Laufräder. Damit kann man schon im Alter von etwa zwei Jahren starten. Das Fahren mit dem Laufrad fördert Motorik, Koordination und Gleichgewichtssinn, es stärkt die Muskulatur und unterstützt die kindgerechte Laufbewegung. Die Kleinen beherrschen das Laufrad-Fahren in der Regel recht schnell und machen sich mit neuen Geschwindigkeiten vertraut. Wenn die Kinder auf dem Laufrad sehr sicher sind, kann man den Umstieg aufs Fahrrad wagen.
So lernen Kinder Radfahren
Für die ersten Probefahrten sollte man sich eine ruhige Strecke ohne Hindernisse, Verkehr und möglichst auch Fußgänger suchen. Dann sind die Fahranfänger erstmal nur sich selbst im Weg, müssen aber nichts und niemandem ausweichen. Zunächst setzt man die Kleinen rauf aufs Rad und schiebt an, läuft evtl. anfangs noch nebenher und hält fest. Je nach Geschick und Ehrgeiz haben die jungen Radler den Dreh recht schnell raus oder benötigen noch ein paar Übungsstunden. Sobald die Kinder allein geradeaus fahren können, heißt es: aufsteigen, Kurvenfahren, bremsen und absteigen üben. Das wird vielleicht nicht auf Anhieb klappen und die eine oder andere Schramme geben, aber irgendwann können die Kinder stolz sagen: „Ich kann Rad fahren.“
Damit das Kind das Rad wirklich gut beherrscht und in Gefahrensituationen souverän reagieren kann, können Eltern mit den Kindern ein paar Fähigkeiten trainieren. Der ADFC hat dazu folgende Übungen zusammengestellt. Suchen Sie sich einen Übungsplatz ohne Verkehr und machen Sie am besten selbst mit, das erhöht die Motivation und macht Kindern dann umso mehr Spaß:
Auf- und Absteigen ohne große Schlenker: Zwischen zwei Kreidelinien (Abstand: ein Meter) soll Ihr Kind das Auf- und Absteigen üben, ohne dabei die gezeichnete Spur zu verlassen. Den Abstand nach und nach verringern.
Auf schmaler Linie entlang rollen: Erst schnell, dann immer langsamer werden und dabei so wenig wie möglich von der Linie abweichen.
Umfahren von Hindernissen: Einen Slalom-Parcours aufbauen: Der Abstand der Hindernisse wird von mal zu mal verringert.
Langsam fahren: „Schneckenrennen“ – ein Wettrennen, bei dem der langsamste Fahrer gewinnt. Wer unterwegs mit dem Fuß auf den Boden kommt, scheidet aus.
Zielgenaues Bremsen: So schnell wie möglich auf eine „Ziellinie“ zufahren, bremsen und vor der Linie zum Stehen kommen (am besten auf unterschiedlichen Untergründen trainieren).
Reagieren auf Zuruf: Das Kind fährt auf das mittlere von drei nebeneinander stehenden Hindernissen (Abstand jeweils zwei Meter) zu. Erst kurz davor Anweisung geben, ob das Kind links oder rechts, innerhalb oder außerhalb der Hindernisse entlangfahren soll.
Umschauen: Auf einer vorgezeichneten Linie geradeaus fahren und auf Zuruf zurück schauen – für ein bis zwei Sekunden, über die linke Schulter. Dabei sollte das Kind so wenig wie möglich von der Linie abweichen. Ob sich das Kind wirklich umgeschaut oder nur den Kopf gewendet hat, kann überprüft werden, indem ein Schild mit einer Zahl gezeigt wird, die das Kind laut rufen soll.
Abstände einschätzen: Ein Seil auf Lenkerhöhe zwischen zwei Bäumen oder Pfählen spannen und möglichst dicht daran entlang radeln, ohne es zu berühren.
Einhändig fahren: Geradeaus fahren, abwechselnd die linke und die rechte Hand hochhalten.
Abbiegen und Spurwechsel üben: Vor dem Abbiegen umschauen, Hand ausstrecken und dann sicher mit beiden Händen am Lenker abbiegen.
Expertentipp:
„Kinder sollten immer einen geeigneten Fahrradhelm tragen und – egal ob Kindersitz oder Lastenrad – immer angegurtet sein. Das A und O ist die Verkehrssicherheit des Fahrrads. Daher ist es wichtig, regelmäßig alle Funktionen auf Verkehrstauglichkeit zu überprüfen. Solche Fahrrad-Sicherheitschecks bietet der ADAC Berlin-Brandenburg übrigens kostenlos an. Aktuelle Termine und nähere Informationen gibt es unter adac.de auf den Seiten des Regionalclubs.“
Claudia Löffler, ADAC Berlin-Brandenburg e.V.
Fahrrad-Sicherheitschecks bietet beispielweise der ADAC an. Foto: ADAC Berlin-Brandenburg/ Stefan Zeitz
Das verkehrssichere Fahrrad
Die Straßenverkehrszulassungsordnung schreibt vor, wie ein Fahrrad ausgestattet sein muss. Diese Teile müssen vorhanden sein und funktionieren:
- Klingel
- zwei voneinander unabhängige Bremsen
- zwei rutschfeste und festverschraubte
- Pedale, die mit je zwei nach vorn und hinten wirkenden, gelben Rückstrahlern ausgestattet sind
- weißer Frontscheinwerfer und Frontreflektor (oft kombiniert)
- ein rotes Rücklicht und ein roter Rückstrahler (oft kombiniert)
- wahlweise Reflektorstreifen am Rad,
- Speichenclips oder pro Rad zwei gelbe Speichenreflektoren
Achten Sie außerdem auf einen Fahrradständer, einen Kettenschutz und einen Gepäckträger. Jüngere Kinder kommen mit einer Rücktrittbremse wahrscheinlich besser klar als mit Handbremsen.
Kinder sollten früh lernen, sich sicher und selbständig zu Fuß im Straßenverkehr zu bewegen. Foto: ADAC
Sicher zu Fuß unterwegs
Ein Großteil der Kinder ist zu Fuß im Straßenverkehr unterwegs. Hier ist es wichtig, dass die Eltern den Nachwuchs von Anfang an begleiten und ihm mit zunehmendem Alter mehr Selbständigkeit zutrauen. Kleinkinder werden beim Überqueren der Straße an die Hand genommen. Wenn sie älter werden, können sie auch allein neben den Eltern laufen. Lassen Sie das Kind sagen, wann Sie gemeinsam die Straße überqueren können. So lernt es einzuschätzen, wie weit ein Auto noch entfernt ist und ob die Zeit zum Überqueren ausreicht. Wann immer es möglich ist, sollten Sie an gesicherten Stellen die Straße überqueren. Das können Ampeln oder Zebrastreifen sein, aber auch Mittelinseln. Erklären Sie den Kindern, dass sie sich auch an einer grünen Fußgängerampel oder einem Zebrastreifen noch mal absichern sollten, ob wirklich kein Auto fährt. Erst dann dürfen sie die Straße überqueren. Bringen Sie Ihren Kindern bei, dass die Straße gerade und auf dem kürzesten Weg überquert wird und nicht schräg. Eine Herausforderung sind Kreuzungen ohne Ampel, da die Kinder hier auch auf Autos achten müssen, die in die zu überquerende Straße einbiegen wollen. Besondere Vorsicht ist ebenfalls an zugeparkten Straßen geboten, da Kinder hier nicht vom Fußweg aus die Straße einsehen können. In diesem Fall müssen sie erst zwischen den geparkten Autos vor bis zur Sichtlinie. Dabei müssen sie zusätzlich darauf achten, ob die Autos ausparken wollen.
Expertentipp:
„Seien Sie ein gutes Vorbild und halten Sie sich selbst immer an die Verkehrsregeln. Wiederholen Sie die Verkehrsregeln und die Begründungen für das richtige Verhalten, wenn Sie mit ihrem Kind unterwegs sind. Drei Dinge können sich Kinder übrigens leicht merken: Wo gehe ich?, Wie überquere ich die Straße? Und: Was bedeutet die Ampelfarbe?“
Claudia Löffler, ADAC Berlin-Brandenburg e.V.
Sicher im Auto unterwegs
Jedes siebte Kind ab sechs Jahren fährt innerhalb eines Ortes ohne Kindersitz im Auto mit. Ein Prozent der Kinder waren nicht einmal angeschnallt. Das ist das Ergebnis einer Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen von 2015. Während auf Autobahnen und Landstraßen fast alle Kinder richtig gesichert sind, werden Eltern innerorts schon mal nachlässig.
Dabei ist das richtige Sichern das A und O. Denn die meisten tödlichen Verkehrsunfälle mit Kindern passieren im Auto. Die rechtlichen Vorgaben stehen in der Straßenverkehrsordnung, die wir weiter oben schon vorgestellt haben. Experten empfehlen abweichend davon: Nutzen Sie so lange wie möglich Kindersitze mit Seitenaufprallschutz. Die kleinen, handlicheren Sitzerhöhungen, die ab einem Alter von drei Jahren ebenfalls zulässig sind, schützen bei einem Unfall unzureichend. Setzen Sie alle Kinder unter zwölf Jahren oder unter 1,50 Meter Körpergröße auf einen Kindersitz. Kinder, die nur mit einem Gurt gesichert sind, können aufgrund ihrer kleineren Körpergröße bei einem Unfall leichter verletzt werden.
Expertentipp:
„Immer anschnallen, Kinder ordnungsgemäß sichern und darauf achten, dass auch alle Mitfahrenden gesichert sind – selbst bei kurzen Strecken. Wer sicher und vorausschauend fährt, vermeidet dazu noch Gefahren. Darauf achten, Babys und Kleinkinder nie unbeaufsichtigt im Auto zurückzulassen. Ratsam ist auch eine Verriegelung der Tür (Kindersicherung) während der Fahrt.“
Claudia Löffler, ADAC Berlin-Brandenburg e.V.
Mit der Aktion Busschule für Erstklässler führt Cottbusverkehr die Jüngsten an das sichere Busfahren heran. Foto: Cottbusverkehr
Sicher mit Bus und Bahn unterwegs
Auch das Mitfahren in Bus und Bahn müssen Kinder erst erlernen. Wenn Familien ohnehin viel den ÖPNV nutzen oder mal mit dem Zug zum Wochenendausflug anreisen, bekommen Kinder automatisch eine gewisse Routine. Denn beim Ein- und Aussteigen und während der Fahrt sind andere Regeln zu beachten als in der motorisierten Familienkutsche. So ist das Anschnallen keine Pflicht, wird aber empfohlen, sofern Gurte vorhanden sind. Kinder sollten ab einem gewissen Alter mit dem Kaufen von Fahrscheinen und dem Planen der Fahrtroute vertraut gemacht werden. Dann können sie als Jugendliche auch selbständig Bus und Bahn nutzen und sind nicht mehr auf das Elterntaxi angewiesen.
Wer haftet bei Unfällen?
Seit 2002 haften Kinder bis zu zehn Jahren nicht für Schäden, die sie bei einem Unfall mit einem fahrenden Auto verursachen oder mitverschulden. Sie selbst erhalten auch bei eigenem Verschulden – etwa Missachtung der Vorfahrt – vollen Schadenersatz. Anders ist die Regelung bei parkenden Autos: Fährt ein Kind, das älter als sieben Jahre ist, mit seinem Fahrrad oder Roller gegen ein abgestelltes Fahrzeug, so kann es abhängig von seiner individuellen Einsicht für den Schaden selbst verantwortlich sein. Darüber hinaus kommt eine Haftung der Eltern in Betracht. Diese müssen sich – durch entsprechende Kontrollen – davon überzeugen, dass sich ihr Kind im Straßenverkehr allein sicher bewegen kann. Dies gilt natürlich nur bei Fahrlässigkeit. Wenn ein Kind vorsätzlich ein Auto beschädigt, haften die Eltern. Für Unfälle und Schäden, die Kinder unabsichtlich verursachen, kann eine Privathaftpflicht-Versicherung sinnvoll sein. Sie übernimmt die Kosten für entstandene Schäden. Allerdings sollten Eltern vor Vertragsabschluss prüfen, inwieweit Kinder unter 7 bzw. 10 Jahren in den Versicherungsschutz eingeschlossen sind. Oft sind sie vom Versicherungsschutz ausgeschlossen – eben wegen der Deliktunfähigkeit. Man kann sie in einigen Tarifen aber explizit aufnehmen lassen.
Kinder sind auf dem Weg von und zur Kita bzw. Schule im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung abgesichert. Dieser Versicherungsschutz besteht unabhängig vom Alter und auch dann, wenn die Kinder mit dem Rad fahren – übrigens auch dann, wenn die Schule das Radfahren untersagt hat.
Angebote in Kitas und Schulen
Damit Kinder zu sicheren Verkehrsteilnehmern werden, organisieren viele Kindergärten und Schulen in Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei, der Verkehrswacht oder Verkehrsclubs wie dem ADAC Angebote, die sich explizit an Kinder richten: Verkehrssicherheitstage, Motoriktraining, Busschule, Schulwegtraining, Verkehrsregeln kennenlernen oder die Fahrradausbildung an der Grundschule.
Zudem gibt es jährlich zum Start des neuen Schuljahres öffentlichkeitswirksame Aktionen vor Schulen, die Autofahrer für die Neulinge im Straßenverkehr sensibilisieren sollen. Dazu gehören neben Plakataktionen auch verstärkte Geschwindigkeitskontrollen. Vor den meisten Schulen und Kindergärten sind Tempo-30-Zonen eingerichtet, um die Sicherheit der Kinder zu erhöhen.
In Brandenburg starten Polizei und der ADAC zum Schuljahresbeginn die Aktion „Aufgepasst Brandenburg“, die ebenfalls mit Plakaten und Geschwindigkeitskontrollen einhergeht. Foto: Mark Bollhorst
Fahrradausbildung
In Deutschland legen Kinder in der 3. oder 4. Klasse eine Fahrradprüfung ab. Ob die Radfahrausbildung verpflichtender Teil des Lehrplans ist oder freiwillig bleibt, regeln die Länder. Während es in Berlin Pflicht ist, wird es in Brandenburg nur empfohlen. In Sachsen legt eine Verwaltungsvorschrift die entsprechende Integration in den Lehrplan der Grundschule fest. Zur Ausbildung gehören Theorie- und Praxis-Stunden. Der praktische Teil wird in enger Zusammenarbeit mit der Verkehrswacht absolviert, entweder auf dem Schulhof oder auf der eigens dafür eingerichteten Übungsfläche der Jugendverkehrsschule. Die Kinder üben unter anderem den Schulterblick, das Abbiegen mit Arm raushalten und das Spurhalten.
Nach der Ausbildung können die Schüler ihre Radfahrprüfung ablegen. Nach Angaben der Verkehrswacht absolvieren diese 95 Prozent aller Schüler eines Jahrgangs mit Erfolg. Der dabei erworbene Fahrrad-Führerschein bzw. Fahrradpass hat keine rechtliche Bedeutung, gibt den Kindern aber mehr Sicherheit auf zwei Rädern. Einziger Kritikpunkt an der Prüfung: Sie findet fast immer auf geschützten Flächen ohne realen Straßenverkehr statt.
Das können Eltern tun
Damit die Kinder das sichere Radfahren auch im normalen Straßenverkehr beherrschen, müssen sie es privat einüben. Das können sie am besten, wenn Familien möglichst viele Wege mit dem Rad zurücklegen. Das gilt für kurze Stecken zum Einkaufen oder zum Training, aber auch der Wochenendausflug kann eine gute Gelegenheit für ein Radtour sein.
Generell brauchen Kinder Übung und Routine als Teilnehmende am Straßenverkehr – sei es zu Fuß, mit dem Roller, dem Rad oder auch im Bus. Es ist also wichtig, dass Sie mit Ihren Kindern von Beginn an häufig ohne Auto unterwegs sind.
Legen Sie dabei wichtige Strecken, wie den Weg zur Schule oder zur Kita, zum Bäcker oder zum Fußballtraining immer wieder zurück. Begleiten Sie Ihr Kind anfangs auf dem Schulweg oder üben Sie diesen vor dem Schulstart, damit es ihn später allein oder mit Freunden schafft. Nutzen Sie gemeinsame Wege, um die wichtigsten Verkehrsregeln zu erklären und auf Gefahrenstellen wie Kreuzungen aufmerksam zu machen.
Reflektierende Kleidung und Accessoires sorgen für bessere Sichtbarkeit in der dunklen Jahreszeit. Fotos: IFK e.V.
Gefahrensituationen für Kinder im Straßenverkehr:
- Ein- und Ausfahrten
- Kreuzungen und Einmündungen
- Am Straßenrand parkende Autos, deren Autotür sich unerwartet öffnet
- Der „tote Winkel“ von LKWs
- Abbiegende Autofahrer
Erklären und zeigen Sie den Kindern, wie sie sich zu verhalten haben: An Ausfahrten und Kreuzungen zunächst auf heranfahrende Autos achten. Ganz wichtig ist auch: Bringen Sie Ihren Kindern bei, dass sie sich durch Blickkontakt davon überzeugen, dass der Autofahrer sie gesehen hat und über die Straße lässt.
Damit Kinder sichere Verkehrsteilnehmer werden, sollten sie die wichtigsten Verkehrsregeln kennen. Dazu gehören: Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer nehmen, also Fußgänger, Radfahrer, Autofahrer. Immer rechts halten. Zum Überqueren einer Straße absteigen und vorher schauen, ob die Straße frei ist. Hilfreich ist es, wenn sie wissen, wo rechts und links ist. Dann können sie auch auf Zuruf der Eltern reagieren. Üben Sie das daher immer wieder in Alltagssituationen.
Kleiden Sie Ihr Kind so, dass es gut gesehen werden kann. Bevorzugen Sie also bunte, kräftige Farben und achten Sie auf Reflektoren an Kleidung und Ranzen. Für den Ranzen oder Rucksack eignen sich reflektierende Anstecker oder Anhänger.
Nutzen Sie öffentliche Verkehrssicherheitstage, wie sie regelmäßig von den örtlichen Verkehrswachten und Verkehrsclubs angeboten werden, so Mitte Oktober in Cottbus von der Verkehrswacht.
Kinder kommen am besten zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Schule. Foto oben: ADAC/ Stefanie Aumiller
Eltern-Taxi
Sie führen seit Jahren zu Unmut bei Lehrern und Schulleitungen, aber auch Kindern und Eltern: jene Eltern, die ihre Kinder bis vor den Schulhof fahren. Mit ihren guten Absichten – nämlich ihre eigenen Kinder sicher zur Schule zu bringen – gefährden sie andere Kinder. Und so spielen sich jedes Jahr nach den Sommerferien die gleichen unschönen Szenen vor vielen Schulen ab, insbesondere vor Grundschulen: Autos halten mitten auf der Straße, an der Bushaltestelle oder auf dem Fuß- und Radweg, sie parken im Parkverbot. Sie hindern andere Verkehrsteilnehmer daran, sicher die Straße zu überqueren. Obwohl das Thema seit Jahren präsent ist und Polizei, Schulleitungen und Verkehrsverbände immer wieder versuchen, Eltern zu sensibilisieren, bleibt das Problem bestehen.
Das hat eine kürzlich veröffentlichte forsa-Studie bestätigt. Demnach haben elf Prozent der Grundschullehrkräfte in Deutschland im letzten Schuljahr so gut wie täglich und 19 Prozent wöchentlich vor ihrer Schule eine gefährliche Situation erlebt, die durch Eltern-Taxis entstanden ist. 17 Prozent der befragten Eltern von Grundschulkindern gaben an, ihr Kind regelmäßig mit dem Auto zur Schule zu fahren. Die Hauptgründe für das Elterntaxi sind: Bequemlichkeit, Angst um das Kind und das Verbinden mehrerer Wege (z.B. Arbeitsweg oder Geschwisterkind zur Kita bringen).
57 Prozent der befragten Eltern vermuten, dass Bequemlichkeit der Hauptgrund für das Elterntaxi ist. Quelle: forsa-Befragung 2022
Für die Studie, die der Verband Bildung und Erziehung, das Deutsche Kinderhilfswerk und der ökologische Verkehrsclub VCD in Auftrag gegeben haben, wurden 508 Grundschullehrkräfte sowie 500 Eltern von 6- bis 10-jährigen Kindern befragt. Sie haben auch konkrete Vorschläge dafür angegeben, wie der Schulweg für die Kinder sicherer werden kann. Dazu gehören ausreichend breite, nicht zugeparkte Fußwege, sichere Möglichkeiten, die Straße zu überqueren wie Zebrastreifen, Ampel, Mittelinsel oder Verkehrshelfer.
Kerstin Haarmann, Bundesvorsitzende des ökologischen Verkehrsclubs VCD, zieht ein ernüchterndes Fazit aus der Studie: „Damit Kinder ihren Weg zur Schule eigenständig zurücklegen können, brauchen wir überall sichere Rad- und Fußwege. Weniger als ein Drittel der Eltern bewertet die Fußwege im Schulumfeld als sicher. Geht es um sichere Radwege, ist es sogar nur ein Zehntel der Eltern. Hier besteht deutlicher Handlungsbedarf! Laut Umfrage kommen zudem
17 Prozent der Kinder mit dem Auto in die Schule. Bei einer Schule mit 1.000 Schülern bedeutet das: etwa 170 Autos vor dem Schultor. Alle zur gleichen Zeit. Dass das nicht funktionieren kann, müsste jedem einleuchten.“
Eine Alternative für jene Eltern, die ihre Kinder unbedingt zur Schule fahren wollen oder müssen, können sogenannte Elternparkplätze sein (siehe Interview mit Claudia Löffler) oder der Schulbus. Er bringt Kinder sicher und nachhaltig zur Schule. Durch Schülertickets wird das Familienbudget nicht übermäßig belastet. Ein schöner Nebeneffekt, wenn Sie Ihre Kinder mit dem Bus zur Schule fahren lassen: Anders als im Auto können sie schon vor Schulstart mit ihren Freunden schwatzen. Dieser Austausch, den Kinder, die zu Fuß gehen, jeden Morgen und Nachmittag haben, der fehlt Kindern in Elterntaxis. Damit schon Grundschulkinder das Mitfahren im Bus sicher beherrschen, vermittelt das Verkehrsunternehmen Cottbusverkehr allen Erstklässlern in Cottbus und Umland Grundlagen für das Busfahren in der Busschule.
Ziemlich beste Geschwister
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Bunt und laut: der Alltag mit Bruder oder Schwester
Drei von vier Kindern in Deutschland wachsen mit Schwester oder Bruder auf, manche haben mehrere Geschwister. Wie oft sie sich mit ihnen streiten und ob sie manchmal lieber Einzelkind wären, steht in den Statistikbüchern nicht. Spannend ist der Blick auf die Zahlen trotzdem:
- 75 Prozent der Kinder in Deutschland wachsen mit mindestens einem Geschwisterkind auf.
- Die meisten Geschwister haben einen Altersabstand von zwei bis drei Jahren.
- Wir teilen 50 Prozent unseres Erbguts mit unseren Geschwistern.
- Schon im Alter von drei Jahren verbringen Kinder doppelt so viel Zeit mit Bruder oder Schwester wie mit den Eltern.
- Geschwister im Kleinkindalter streiten sich etwa alle zehn Minuten.
Von den insgesamt 13,6 Millionen Kindern unter 18 Jahren in Deutschland leben knapp 10,3 Millionen Kinder mit Geschwistern im selben Haushalt und 3,4 Millionen als Einzelkind. © Statistisches Bundesamt (Destatis), 2021
Entgegen anderslautenden Meldungen sinkt die durchschnittliche Kinderzahl pro Familie nicht. Eine Frau in Deutschland bringt im mathematischen Schnitt 1,5 Kinder zur Welt. Etwa jede fünfte Frau bleibt kinderlos. Zum Vergleich: In Frankreich liegt die Geburtenrate bei 1,8 Kindern, in Spanien bei 1,2 Kindern. Es lässt sich aus den Statistiken auch kein Trend zum Einzelkind ablesen. Zwar ging die durchschnittliche Kinderzahl in deutschen Familien im vergangenen Jahrhundert stark zurück. Seit den 1990er-Jahren aber liegt der Anteil der Kinder, die dauerhaft ohne Geschwister aufwachsen, relativ stabil bei knapp 20 Prozent. Ein recht junger Trend, von dem sich erst noch zeigen muss, ob er langfristig stabil ist: Drei ist das neue Zwei. Der Anteil der Geburten eines dritten Kindes hat in den letzten zehn Jahren leicht zugenommen, während der Anteil der Einzelkinder zurück ging. Immer mehr Familien trauen sich ein drittes Kind zu. Der Klassiker aber ist weiterhin mit etwa 50 Prozent die Zwei-Kind-Familie.
Veränderung der Geburten von Januar bis November 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitrum in Prozent: Während die Gesamtzahl der Geburten nur ein geringes Plus von 0,9 Prozent verzeichnete, nahmen die Geburten der Geschwisterkinder merklich zu. © Statistisches Bundesamt (Destatis), 2021
Lange glaubte die Wissenschaft, dass die Geschwisterposition innerhalb einer Familie starken Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes hat. So gelten Erstgeborene als besonders leistungsorientiert und verantwortungsbewusst. Auch Sandwichkindern und Nesthäkchen werden gern bestimmte Eigenschaften nachgesagt. Doch das gilt als überholt. Viel stärkeren Einfluss auf die charakterliche und intellektuelle Entwicklung haben die Gene, die Umwelt, die Erziehung durch die Eltern und die Erfahrungen in Kita, Schule und Freizeit. Einen Effekt haben Geschwister aber zumindest auf die Eltern: Die werden in der Regel mit jedem Kind etwas gelassener. Durch ihre Erfahrung mit dem vorhergehenden Kind haben sie weniger Angst, bei der Erziehung etwas falsch zu machen, sind nicht mehr so vorsichtig und überbehütend.
In Deutschland wachsen die meisten Kinder zu zweit auf.
Was macht die Geschwisterbeziehung so besonders?
Da die meisten Kinder in Deutschland als Geschwisterkind aufwachsen, finden wir, dass sich ein etwas genauerer Blick auf das Leben mit Schwester oder Bruder lohnt. Tatsächlich ist ihre Beziehung utereinander sehr besonders. Der Entwicklungspsychologe und Familienforscher Hartmut Kasten fasst die besonderen Merkmale von Geschwisterbeziehungen so zusammen:
- Die Geschwisterbeziehung ist die längste Beziehung im Leben eines Menschen.
- Geschwisterbeziehungen besitzen etwas Schicksalhaftes, weil man sie sich nicht aussuchen kann, sondern in sie hineingeboren wird.
- Geschwisterbeziehungen können nicht beendet werden. Sie wirken fort, auch wenn sich die Geschwister getrennt haben oder kein Kontakt mehr besteht.
- Für Geschwisterbeziehungen gibt es keine gesetzlichen und gesellschaftlichen Regularien, nach denen sie gestaltet werden.
- Zwischen Geschwistern existieren stattdessen mehr oder weniger ausgeprägte, ungeschriebene Verpflichtungen moralischer Art.
- Durch das gemeinsame Aufwachsen sind Geschwisterbeziehungen häufig durch ein hohes Maß an Intimität und Vertrautheit charakterisiert.
- Typisch für viele Geschwisterbeziehungen ist eine tiefwurzelnde emotionale Ambivalenz, d.h. das gleichzeitige Vorhandensein von intensiven positiven und negativen Gefühlen.
Für viele Menschen ist die Geschwisterbeziehung damit die intensivste im Leben. Weder mit bester Freundin oder Kumpel, noch mit Eltern oder Ehepartner ist man länger verbunden. Bruder oder Schwester begleiten uns von der Geburt bis zum Tod. Allerdings unterliegt die Intensität dieser Beziehung im Laufe des Lebens einigen Schwankungen. Bis etwa ins Grundschulalter hinein haben sie eine sehr enge Bindung, sie streiten zwar viel, aber verbringen viel Zeit miteinander, teilen schöne Momente. In der Pubertät und im jungen Erwachsenenalter wird die Beziehung zu den Geschwistern weniger wichtig, jetzt rücken Gleichaltrige in den Fokus: Freunde und Mitschüler stehen an erster Stelle, die kleine Schwester nervt nur noch oder ist sogar peinlich. Mit dem Auszug des Bruders oder der Schwester, dem Beginn des Studiums oder einer Ausbildung wird die Distanz meist noch größer. Geschwister kümmern sich jetzt eher um andere Dinge, sortieren ihr Leben, suchen ihren Weg. Erst mit der eigenen Familiengründung – zumindest wenn sie etwa zeitgleich mit Geschwistern erfolgt – oder wenn der Pflegebedarf der Eltern steigt, wird der Kontakt wieder intensiver und bleibt dann meist bis ins hohe Alter eng. Schwestern haben tendenziell eine eher engere, intimere Bindung zueinander als Brüder oder Geschwister unterschiedlichen Geschlechts.
Geschwister sind einander Vorbild – im Guten wie im aus Elternsicht weniger Erwünschten.
Vorbild oder Rivale? Zur Bedeutung von Geschwistern
Geschwister übernehmen im Laufe der Kindheit verschiedene Rollen füreinander: Verbündete und Kooperationspartner, Wettbewerber und Konkurrent, Vorbild und Lehrer, Spielgefährte und Vertraute. Welcher dieser Aspekte gerade überwiegt, hängt von mehreren Faktoren ab: Vom Altersabstand und von der Zahl der Geschwister, vom Geschlecht, aber auch vom Temperament und Charakter der Kinder – und nicht zuletzt vom Verhalten, das wir Eltern gegenüber unseren Kindern zeigen.
In jedem Fall deuten Studien darauf hin, dass Kinder von Geschwistern profitieren – sowohl in der sozialen als auch in der kognitiven Entwicklung. Jüngere Geschwister lernen von den Großen, bekommen Dinge von ihnen erklärt und gezeigt: Wie saust man am schnellsten den Rodelberg herunter? Wie schreibt man eine Geburtstagskarte für Oma? Wie überredet man Papa am besten zu noch einer Folge der Lieblingsserie? Mit Geschwistern lernen Kinder leichter und schneller Sozialkompetenzen wie Empathie, Rücksichtnahme, Kompromissbereitschaft, Einfühlungsvermögen, Verantwortungsbewusstsein. Es gibt Studien, die darauf hindeuten, dass es Kindern mit Geschwistern leichter fällt, Freundschaften zu pflegen, weil sie mit Bruder oder Schwester das Streiten und Vertragen gelernt haben.
Nicht zuletzt dienen Geschwister als eine Art Puffer. Denn während Einzelkinder den positiven wie negativen Gefühlen ihrer Eltern immer direkt ausgesetzt sind, verteilt sich die Aufmerksamkeit bei mehreren Kindern, das gilt für Frust ebenso wie für Zuwendung, für Ärger genauso wie für Lob.
Eltern von Einzelkindern müssen jetzt nicht unsicher werden. Auch Einzelkinder entwickeln sich toll und eignen sich im Laufe ihres Lebens diese Sozialkompetenzen an. Das fällt ihnen umso leichter, je mehr ihnen schon in der Kindheit der Kontakt zu Gleichaltrigen ermöglicht wird. Das kann in Kita und Schule sein, mit Freunden oder Nachbarskindern oder mit Cousins und Cousinen.
„Ich spiele mit meinen Geschwistern gern Schule oder Barbie. Und mit den Schleichpferden. Doof finde ich, wenn es Streit gibt.“
Thea, 5
Gibt es den idealen Altersabstand?
Wissenschaftlich lässt sich die Frage mit „ja“ beantworten: Am harmonischsten verläuft laut Familienforscher Hartmut Kasten die Geschwisterbeziehung zwischen großem Bruder und drei Jahre jüngerer Schwester: „Studien zeigen, dass es in Familien mit dieser Konstellation am seltensten zur Scheidung der Eltern kommt.“ Diese Geschwister kommen besonders gut miteinander klar, rivalisieren selten und können viel miteinander anfangen, so Kasten.
In der Praxis können Eltern den Altersabstand nicht unbedingt so beeinflussen, wie sie sich das vielleicht wünschen. Und wie bei jeder Regel gibt es auch hier Ausnahmen. So kann auch die eben erwähnte Konstellation zu viel Zoff führen, genauso wie zwei Schwestern mit einem Abstand von nur anderthalb Jahren ein Herz und eine Seele sein können. Kommt noch ein drittes und vielleicht viertes Kind hinzu, verändert sich das Familiengefüge erneut. Geschwister können sich jetzt nicht nur gegenüber den Eltern verbünden, sondern auch gegenüber den anderen Geschwisterkindern.
Generell gilt: Je näher sich die Kinder stehen, desto wahrscheinlicher wird es zu Konflikten kommen. Ein geringer Altersabstand und vielleicht noch das gleiche Geschlecht führen dazu, dass die Vergleichs- und Konkurrenzmöglichkeiten größer sind. Solche Geschwister stehen sich sehr nahe, entwickeln eine große Intimität, geraten aber auch häufiger aneinander.
Großer Bruder, kleine Schwester – laut Wissenschaft die ideale Geschwisterkonstellation.
Ab einem Altersabstand von etwa fünf bis sechs Jahren, haben die Geschwister relativ wenig Anknüpfungspunkte. Die Bande zwischen den beiden wird zumindest in den ersten Jahren eher locker bleiben, weil die Interessen einfach zu unterschiedlich sind. Je größer der Altersabstand, desto eher wachsen Geschwister wie Einzelkinder auf.
Aus Elternperspektive sieht es wieder etwas anders aus: Ein sehr kleiner Altersabstand von ein bis zwei Jahren ist während der zweiten Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren körperlich und psychisch sehr anstrengend, dafür sind gemeinsame Familienaktivitäten leichter zu organisieren, weil die Kinder ähnliche Interessen haben. Ein eher großer Abstand von mindestens fünf Jahren ist vor allem für die Mütter nicht so fordernd. Dafür allerdings fängt man mit Windel, Nuckel und Kinderwagen quasi wieder von vorn an, kurz nachdem das große Kind dem Kleinkindalter entwachsen ist. Außerdem ist es schwerer, in der Freizeit und im Urlaub Aktivitäten zu finden, die beiden Kindern Spaß machen.
„Mit meinen Geschwistern kann ich so schön spielen. Außerdem ist es toll, dass mir mein großer Bruder bei den Hausaufgaben helfen kann. Was ich nicht mag ist, wenn mich mein Bruder ärgert oder meine Schwester zickt.“
Tessa, 9
Kinder auf das Geschwisterchen vorbereiten
Wenn ein zweites Kind geboren wird, ist das für die Eltern meist nicht mehr ein so starker Einschnitt wie noch bei der Geburt des ersten Kindes. Mittlerweile ist aus dem Paar eine Familie geworden, man hat sich in die Elternrolle eingefunden, den Alltag mit Kind erprobt und bestanden. Für das Erstgeborene aber kann die Geburt eines Geschwisterchens sehr prägend sein. Auf einmal muss es die Aufmerksamkeit der Eltern mit diesem kleinen Wicht teilen, vielleicht auch noch sein Kinderzimmer und sein Spielzeug. Das Erstgeborene sitzt nicht mehr allein auf dem Thron, manche Fachleute sprechen von einem Entthronungstrauma.
In der Realität dürften die wenigsten Kinder die Geburt ihrer Schwester oder ihres Bruders als Trauma erleben, sondern als eine ziemlich spannende und aufregende Zeit. Damit die Geburt des zweiten Kindes tatsächlich für alle Familienmitglieder zum freudigen Ereignis wird, können Eltern einiges tun. Die Vorbereitung des Kindes auf ein Geschwisterchen beginnt am besten schon während der Schwangerschaft. Spätestens wenn das Bäuchlein deutlich sichtbar wird, können die Eltern vom Nachwuchs erzählen. Wenn die Tritte des Kleinen spürbar sind, lassen Sie Ihr Kind auf den Bauch fassen. Älteren Kindern kann man ein Ultraschallbild zeigen, es vielleicht sogar zur Ultraschall-Untersuchung mitnehmen. Kleinere Kinder allerdings können mit den verpixelten schwarz-weiß-Portraits noch nicht viel anfangen. Der Neuankömmling in der Familie ist zugleich eine schöne Gelegenheit, sich gemeinsam mit dem großen Kind Fotos aus dessen Babyzeit anzusehen und ihm dabei die Bedürfnisse und Besonderheiten eines Babys zu verdeutlichen. Viele Bücher veranschaulichen das Thema Neuankömmling in der Familie kindgerecht und verpacken die Freuden und Leiden eines Alltags mit Baby in kurze Geschichten. Einige Geburtskliniken bieten Geschwisterkurse für die Großen an, in denen sie alles Wichtige rund um das Baby erfahren und einige Handgriffe erlernen, die beispielsweise fürs Wickeln gebraucht werden. Zum Abschluss gibt es ein Geschwisterdiplom.
Nach der Geburt werden Verwandte und Freunde das Baby sehen wollen. Bitten Sie vorab darum, dass der Besuch dabei nicht nur Augen für das niedliche Babys hat, sondern auch dem großen Geschwisterchen Aufmerksamkeit schenkt. Hilfreich gegen Eifersucht kann ein kleines Geschwister-Geschenk sein, damit nicht nur das Baby mit Präsenten überhäuft wird.
Lassen Sie das große Geschwisterkind bei der Pflege des Babys mithelfen.
Wenn das Baby ein eigenes Zimmer bekommt, kann der große Bruder oder die große Schwester beim Streichen der Wände, beim Aufbau der Möbel oder beim Aussuchen eines Kuscheltiers unterstützen. Dieses Einbeziehen sollte sich auch nach der Geburt fortsetzen. Das große Geschwisterkind kann kleine Aufgaben übernehmen, wenn es dies möchte und sich zutraut. Vielleicht will es beim Wickeln helfen oder die Milchflasche halten? Es kann den Kinderwagen schieben, das Baby streicheln, vielleicht auch mal tragen, beim Baden helfen. So fühlt es sich nicht ausgeschlossen, sondern gebraucht und wichtig. Zudem ist ein wenige Tage oder Wochen altes Baby einfach kein attraktiver Spielpartner. Außer liegen, schreien, trinken und schlafen kann es kaum etwas. Als Spielkamerad interessant wird es dann, sobald es lächeln kann und über die Faxen des großen Bruders feixt, sobald es Dinge greifen kann, sobald es zur großen Schwester krabbeln kann.
Ganz wichtig: Ermöglichen Sie Ihrem Kind nach der Geburt des Babys weiterhin exklusive Mama-Papa-Zeit, auch wenn der Alltag mit zwei Kindern anfangs sehr herausfordernd ist. Nehmen Sie sich trotzdem jeden Tag wenigstens ein paar Minuten Zeit nur für das große Kind, beispielsweise wenn das Baby schläft. Diese Exklusivzeit können Sie je nach Alter des Kindes zum Kuscheln, zum Vorlesen, für eine Runde Uno, eine Runde auf dem Bolzplatz, für ein Gespräch über den Tag oder gemeinsames Pizzabacken nutzen.
Nutzen Sie Spaziergänge mit dem Kinderwagen, um dorthin zu gehen, wo sich das große Kind wohlfühlt: auf den Spielplatz, in den Zoo, in den Wald. Wenn der Papa in den ersten Lebenswochen Elternzeit nimmt, kann es für alle hilfreich sein, wenn das große Kind jetzt erst mal mehr Papakind ist und von ihm die exklusive Zeit geschenkt bekommt, die Mama gerade nicht bieten kann.
Und wenn das Große trotz allem aggressiv oder ablehnend auf das Geschwisterchen reagiert? Dann sind Geduld, Zeit und Zuneigung gefragt. Vorwürfe oder schimpfen helfen nicht, sondern verschlimmern die Situation nur. Versuchen Sie in Gesprächen herauszufinden, warum das Baby das große Geschwisterkind so wütend und traurig macht. Ist es genervt, fehlt ihm Zeit mit Mama, hat es den Eindruck, alle mögen das Baby viel lieber? Falls es zu körperlichen Aggressionen kommt und das Kind das Baby hauen, schubsen oder kneifen will, trennen sie die beiden. Das Baby kann sich nicht wehren und braucht Ihren Schutz.
„Ich habe zwei Schwestern. Mit denen springe ich gern auf dem Trampolin oder wir backen gemeinsam. Aber manchmal nerven sie auch.“
Tim, 12
Alle Kinder gleich und gerecht behandeln?
Klassiker-Sätze einer Mehrkindfamilie: Der hat aber mehr! Wieso darf sie länger aufbleiben? Du bist zu ihr immer viel netter! Du bist so ungerecht! Mit ihm hast du aber länger gekuschelt! Wer zwei oder mehr Kinder hat, hat es nicht immer ganz einfach. Fast egal, wie man es macht, mindestens ein Kind fühlt sich ungerecht behandelt. Wenn Sie der großen Schwester und dem kleinen Bruder beim Mittagessen gleich viele Kartoffeln auftun, wird sich die große Schwester beschweren, warum der kleine Bruder genauso viel bekommt, obwohl er doch viel kleiner ist und gar nicht so viel schafft. Wenn Sie nun aber der großen Schwester mehr auftun, wird sich wiederum der kleine Bruder lautstark beschweren, weil er sich ungerecht behandelt fühlt. Bei der Verteilung von materiellen Gütern wie Smarties, Pommes, Erdbeeren werden Kinder zu Erbsenzählern. Es wird genau abgezählt und darauf geachtet, dass niemand mehr oder weniger bekommt. Beim Eingießen wird mit dem Lineal überprüft, ob auch keiner mehr hat als die oder der andere. Wie aber gehen Eltern am besten mit diesem sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn um?
Zunächst ein tröstlicher Gedanke: Dass Kinder ein Gerechtigkeitsempfinden haben, ist ja schon mal gut. Im Idealfall wenden sie das Ringen um Kompromisse nach ausgiebigem Einstudieren mit den Geschwistern später erfolgreich außerhalb der Familie an. Doch bis dahin ist es ein mühsamer von Streit und Frust übersäter Weg.
Alle Kinder einer Familie gleich zu behandeln, wird nicht funktionieren. Zu unterschiedlich sind die Ansprüche und Bedürfnisse, die Rechten und Pflichten, eben weil Kinder verschieden sind. Das Alter spielt dabei eine Rolle, ebenso Neigungen, Interessen und Temperamente. Insofern ist es sinnvoll und gerecht, wenn das große Geschwisterkind länger aufbleiben darf, mehr Taschengeld bekommt oder eben die größere Portion beim Essen. Entscheidender ist, diese scheinbare Ungleichheit den Kindern zu erklären. Erklären Sie dem kleinen Bruder, dass die große Schwester mehr Taschengeld bekommt, weil sie schon älter ist und sich dafür auch mehr Dinge allein kaufen muss. Erklären Sie, dass große Geschwister nicht nur mehr Rechte haben, sondern auch mehr Pflichten wie zum Beispiel beim Helfen im Haushalt. Und versprechen Sie dem jüngeren Kind, dass es später auch länger aufbleiben darf und größere Essensportionen bekommt.
Ansonsten können Kompromisse helfen: Der eine teilt den Kuchen, die andere sucht aus. Heute sitzt die eine neben Mama, morgen der andere. Heute kuschelt Papa zuerst mit dem einen und morgen zuerst mit der anderen. Heute sucht der eine die Vorlesegeschichte aus, morgen die andere. Seien Sie Vorbild: Kinder lernen bereitwilliger teilen, wenn sie sehen, dass auch andere Menschen in ihrer Umgebung gern Dinge abgeben. Wenn die Situation trotzdem mal wieder eskaliert, kann Humor helfen: Die Kinder zoffen sich lautstark um den letzten Keks? Schnappen Sie sich Ihren Mann und streiten Sie noch lauter um die Fernbedienung oder den Kaugummi.
„Ich habe leider keine Geschwister, wünsche mir aber eine Schwester. Mit ihr könnte ich dann spielen, am liebsten mit meinen Puppen. Das wäre schön.“
Zlata, 8
Haben Sie ein Lieblingskind?
Warum fühlen sich Geschwisterkinder überhaupt ungerecht behandelt oder glauben, zu kurz zu kommen? Vielleicht weil sie um die Zuneigung der Eltern rivalisieren und das Gefühl haben, Mama oder Papa bevorzugen ein Kind, haben den Bruder oder die Schwester lieber. Auch wenn sich das wohl nur die wenigsten Eltern eingestehen, so bestätigen Fachleute dieses Gefühl: Zumindest phasenweise bevorzugen wir Eltern ein Kind. Das kann daran liegen, dass ein Kind etwas anstrengender ist, dass nur ein Kind ein wirkliches Wunschkind war, dass ein Kind gerade besonders tolle Erfolge mit nach Hause bringt. Vielleicht beruhigt es Eltern zu wissen, dass es normal ist, wenn man phasenweise einem Kind nähersteht. Das Problem: Kinder haben für so etwas sehr feine Antennen. „Sie spüren sehr genau, wenn sie benachteiligt werden. Wenn das beständig der Fall ist, wirkt sich das nicht nur negativ aus auf ihre Beziehung zum Geschwisterkind, sondern träufelt wie Gift in ihre Seele, beeinträchtigt ihre Persönlichkeitsentwicklung und ihre Fähigkeit, ein glückliches Leben zu führen“, warnt Hartmut Kasten. Dauerhaft benachteiligte Kinder entwickeln kein Selbstwertgefühl, ihnen fehlt ein positives Selbstbild und das Vertrauen in ihre eigenen Möglichkeiten. Auch den Lieblingskindern tut die dauerhafte Bevorzugung nicht gut, so Kasten: „Sie erwarten oftmals eine bevorzugte Behandlung auch von anderen Menschen, mit denen sie es zu tun bekommen. Wenn diese ihnen nicht zuteil wird, ziehen sie sich zurück und sind unglücklich. Ihre unrealistische Erwartungshaltung steht ihnen oft im Weg und erschwert ihnen, glücklich zu leben.“
Daher ist es wichtig, dass Sie als Eltern sich bewusst machen, ob und warum Sie ein Kind gerade etwas lieber haben und dann aktiv dagegen steuern. Das kann eine extra Kuscheleinheit für das „benachteiligte“ Kind sein oder exklusive Mama-Zeit. Schwierig wird es, wenn der Nachwuchs fragt: „Wen von uns hast du lieber?“ oder „Hast du uns alle gleich lieb?“ Zum einen sollten Eltern herausfinden, ob die Frage einen ernsten Hintergrund hat oder nur aus Neugier kommt. Hier kann die Gegenfrage helfen: „Wieso möchtest du das wissen?“ oder „Was ist denn dein Gefühl? Findest du, dass ich ein Kind lieber habe?“
Ansonsten kann eine differenzierte Antwort dem Kind zeigen, dass Sie es mit seinen Gefühlen ernst nehmen. Sie können klar machen, dass sie jedes Kind ganz doll lieb haben, aber dass sie an dem Kind besonders seine Malkünste schätzen und an dem anderen die lustigen Einfälle. So machen Sie klar, dass jedes Kind etwas Besonderes ist, seine Stärken hat und nicht mit seinen Geschwistern konkurrieren muss.
Bitte keine Vergleiche!
Das ist ohnehin eine der wichtigsten Regeln für Eltern von mehreren Kindern: Bitte vergleichen Sie Ihre Kinder nicht miteinander. Gift für jede Geschwisterbeziehung sind solche Sätze: „Schau mal, wie gut dein Bruder schon Schnürsenkel binden kann.“ „Deine Schwester ist schon angezogen, warum dauert das bei dir so lange?“ „Dein Bruder konnte schon viel eher Fahrrad fahren.“ „Schau mal, deine Schwester hat in Mathe eine 1 bekommen.“ „Nimm dir doch mal ein Beispiel an deinem Bruder!“
Dass Geschwister unterschiedliche Talente und Interessen haben, ist richtig und gut so. Das gilt für alle Kinder. Leider gibt es in unserer Leistungsgesellschaft, die schon ab der ersten Klasse Kinder mit Zensuren vergleicht, den Trend, immer alles besser machen zu müssen. Das spüren auch unsere Kinder. Umso schöner ist es, wenn sie zu Hause so sein können wie sie sind, ohne Vergleiche und Maßstäbe, ohne Leistungsstreben.
Fördern Sie stattdessen die Talente, Interessen und Stärken jedes einzelnen Kindes. Geschwister versuchen sich ohnehin voneinander abzugrenzen und ihre eigene Identität zu finden. Um aus diesem ständigen Vergleichs- und Konkurrenzdenken herauszukommen, sollten Geschwister ihre Nischen haben, in denen nur sie glänzen können und ihre Erfolge erzielen. Bei ausgeprägter Rivalität ist es daher wenig ratsam, dass Geschwister dem gleichen Hobby nachkommen. Das gleiche Hobby kann einerseits den Alltag stressfreier machen, weil so weniger Fahrten im Elterntaxi und Termine anfallen. Aber der direkte Vergleich bei Wettkämpfen oder Auftritten kann für das unterlegene Geschwisterkind ziemlich frustrierend sein.
Geschwister vergleichen sich ohnehin ständig: Sie achten ganz genau darauf, ob die elterliche Zuneigung gleich verteilt ist, ob einer größere Geschenke zu Weihnachten bekommt, ob eine das größere Stück Kuchen bekommt. Dieses Vergleichen sollten Eltern nicht noch befördern, sondern allen Kindern immer wieder klar machen, dass sie sie genau so mögen, wie sie sind.
So innig ist die Geschwisterbeziehung nicht immer. Dann braucht es Geduld und Gelassenheit.
Streit und Rivalität: schlichten oder richten?
Wer mehrere Kinder hat, kennt die gesamte Spielwiese geschwisterlicher Hassliebe: Sie können sich aneinander reiben, streiten bis es Tränen gibt, um kurz darauf einträchtig miteinander ein Lego-Haus aufzubauen, sie können sich gemeinsam gegen die Eltern verbünden, sie können auf dem Schulhof aufeinander achtgeben. Der kleine Bruder kann heute tierisch nerven und morgen bester Kumpel sein.
Kaum eine Beziehung ist so facettenreich wie die von Geschwistern und wohl in kaum einer anderen Beziehung vollzieht sich der Wechsel zwischen Zwist und Zusammenhalt so oft und so schnell wie unter Geschwistern. Sind sich die beiden eben noch fast an die Gurgel gegangen, spielen sie zwei Minuten später einträchtig miteinander. Für Eltern kann das durchaus nervenaufreibend sein. Denn beim Streit wird es oft laut, da fliegen schon mal Spielzeugautos oder Türen – und nie weiß man so genau: Sollte ich jetzt eingreifen oder regeln die Beiden das unter sich?
Die Antwort von Fachleuten ist recht eindeutig: streiten lassen. So lange nicht ein Kind deutlich körperlich unterlegen ist oder kein Blut fließt, halten sich Eltern besser heraus. Der Versuch des Schlichtens oder gar des Richtens scheitert meist ohnehin. Wenn wir vergebens versuchen, den Schuldigen zu finden oder herauszubekommen, wer denn nun angefangen hat, hilft das keinem der Beteiligten weiter. Wenn wir trotzdem das Gefühl haben, dazwischen gehen zu müssen oder wenn sich eines der Kinder lautstark bei uns über sein Geschwisterkind beschwert, sollten wir die Streithähne ermuntern, selbst eine Lösung zu finden: „Was schlagt ihr vor, was ihr jetzt machen könntet, damit ihr weiterspielen könnt?“ So unterstützt man Kinder, eine Streitkultur zu erlernen. Manchmal hilft es schon zu trösten und eines der Kinder aus der Situation herauszunehmen. Noch mehr Tipps für den Umgang mit Geschwisterstreit finden Sie am Ende des Themas im Interview mit dem Sozialpädagogen Ulric Ritzer-Sachs.
Im Idealfall kommen die Kinder mit der Zeit immer seltener „petzen“ und einigen sich allein. Das so im geschützten Raum der Familien erlernte Verhandlungsgeschick kann später außerhalb der Familie nützlich sein. Denn einen Vorteil hat das Streiten mit Geschwistern: Egal wie böse der Zoff war, man kann sich ziemlich sicher sein, dass man einander verzeiht. Freundschaften dagegen können an einem Streit im Zweifel auch zerbrechen, Geschwisterbande aber bleibt.
Trotzdem kann es hilfreich sein, ein paar grundlegende Streitregeln einzuführen, die für alle Familienmitglieder gelten. Wie streng diese sind, hängt vom Temperament der Kinder (und auch Eltern) ab und von dem, was für Sie als Eltern noch tolerierbar ist. Die Psychologin und Buchautorin Helga Gürtler schlägt folgende Regeln vor:
- Niemals mehrere auf einen.
- Niemals mit einem harten Gegenstand in der Hand schlagen.
- Niemals mit Schuhen an den Füßen treten.
- Wenn einer weint oder sich nicht mehr wehren kann, muss Schluss sein.
Manchen Eltern sind vielleicht irritiert, weil sie Gewalt am liebsten ganz ausschließen möchten. Das aber, so Gürtler, ist ziemlich praxisfern. Und die Familie bietet sich als Übungsplatz dafür an, selbst bei großer Wut bestimmte Regeln einzuhalten. Nicht zuletzt sollten Eltern ihr eigenes Verhalten überprüfen: Wie reagieren Sie bei Wut? Knallen Sie mit den Türen? Schreien Sie? Benutzen Sie Schimpfwörter? Werfen Sie mit Dingen? Kinder lernen vor allem durch Nachahmen.
„Mit meiner kleinen Schwester kann ich so schön kuscheln. Außerdem ist es toll, wenn wir zusammen in den Stall gehen können. Wir wohnen nämlich auf einem Bauernhof.“
Johannes, 5
Tipps für (mehr) Geschwisterliebe
Streiten gehört also unweigerlich zu jeder Geschwisterbeziehung dazu, mal weniger ausgeprägt, mal intensiver. Das werden Eltern nicht verhindern können, sie sollten die positiven Aspekte der erlernten Streitkultur sehen. Nichtsdestotrotz können sich Eltern bemühen, mit kleinen Ritualen die Geschwisterbeziehung zu stärken. Daher haben wir ein paar Tipps zusammengestellt, die sich im Alltag gut umsetzen lassen.
Familienzeit: Gemeinsame Zeit stärkt die Familienbande, sowohl die zwischen Eltern und Kindern als auch unter den Geschwistern. Nehmen Sie sich bewusst Zeit für kleine Familienrituale wie die gemeinsame Mahlzeit, eine Kitzelrunde auf dem Sofa, eine Kissenschlacht oder eine gemeinsame Vorlesezeit. Auch Ausflüge und gemeinsamer Urlaub stärken den Zusammenhalt. Je älter die Kinder werden, je mehr Hobbys sie haben, desto schwieriger wird es, im Familienkalender solche gemeinsamen Zeitfenster zu finden, in denen wirklich alle da sind.
Geschwister-Projekte: Motivieren Sie Ihre Kinder, kleine Projekte und Herausforderungen gemeinsam (und möglichst ohne Hilfe der Eltern) anzugehen. Das kann die Planung der Wandertour fürs kommende Wochenende oder für den nächsten Urlaub sein. Oder ein kleines Kunstwerk, oder ein Kuchen für Papas Geburtstag. Oder Sie lassen die Kids ein Märchenstück einstudieren, dass sie der Familie am Weihnachtsabend vorführen. Selbst der Bau eines kleinen Zoos aus Legosteinen und Schleichtieren oder das Vollenden eines anspruchsvollen Puzzles kann die Geschwisterbande stärken, wenn die Kinder gemeinsam ihr Ziel erreicht haben.
Kleine Geschenke: Das Kind hat Geburtstag, ein Turnier gewonnen oder eine 1 in einer schweren Klassenarbeit bekommen? Ermuntern Sie das Geschwisterkind, seinem Bruder oder seiner Schwester dafür ein kleines Geschenk zu machen. Das kann ein selbstgemaltes Bild, eine Süßigkeit oder ein selbstgepflückter Blumenstrauß sein. Solche kleinen Aufmerksamkeiten können wahre Wunder wirken.
Nette Gesten: Achten Sie im Alltag darauf, dass die Geschwister liebevoll miteinander umgehen. Ist ein Kind krank, könnte das andere ihm die Wärmflasche oder das Lieblingskuscheltier holen. Hat sich die große Schwester das Knie aufgeschlagen, könnte der kleine Bruder das Pflaster bringen. Steht für ein Kind eine Prüfung oder Klassenarbeit an, sollten sowohl die Eltern als auch die Geschwister viel Erfolg wünschen.
Wenn sich Geschwister ein Zimmer teilen, ergeben sich mehr Gelegenheiten zum gemeinsamen Spiel.
Eigenes oder gemeinsames Kinderzimmer?
Während unseren Eltern und Großeltern diese Frage gar nicht erst gestellt wurde, weil der Raum begrenzt war, wachsen Kinder heute in der Regel in getrennten Kinderzimmern auf. Insofern kann man die Frage nicht richtig oder falsch beantworten. In erster Linie geben die räumlichen Voraussetzungen die Antwort. Eine Familie, die mit drei Kindern in einer Vier-Zimmer-Wohnung lebt, kann eben nicht jedem Kind ein eigenes Zimmer bieten. Je nach Altersabstand und Geschlecht, kann man Geschwister durchaus bis in die Grundschulzeit in einem gemeinsamen Kinderzimmer lassen.
Größer als vier oder fünf Jahre sollte der Altersabstand aber nicht sein. Ist das jüngere Geschwisterkind ein Nachzügler und der große Bruder bei der Geburt schon in der Schule, wird er sein Reich kaum mehr mit dem Baby teilen wollen. Ab einem gewissen Alter kann auch das Geschlecht eine Rolle spielen. Zwei Schwestern, die nur zwei Jahre auseinander sind, werden sich länger im Prinzessinnen-Zimmer wohlfühlen als Bruder und Schwester. Nicht zuletzt hängt die Entscheidung davon, ob die Geschwister sich ein Zimmer teilen, vom Miteinander ab: Verstehen sie sich im Alltag gut miteinander, spielen sie gern gemeinsam, streiten sie viel?
Wenn die Wohnfläche kein eigenes Zimmer für jedes Kind hergibt, haben Familien folgende Möglichkeiten: Ein Raumteiler – das kann ein Bücherregal oder Kleiderschrank sein, aber auch ein Hochbett oder ein Vorhang – kann ein ausreichend großes Zimmer quasi zu zwei Zimmern machen. Spätestens wenn die Kinder in die Pubertät kommen, sind klare Regeln und Absprachen nötig: Hat eines der beiden Kinder Besuch von Freunden, sollte das andere sich bereit erklären, das gemeinsame Zimmer in dieser Zeit nicht zu nutzen. Eine weitere Möglichkeit kann sein, dass die Eltern ihr Schlafzimmer aufgeben und das Wohnzimmer doppelt nutzen.
Eine Herausforderung wird die Zimmeraufteilung für Familien mit drei oder mehr Kindern. Denn die wenigsten Wohnungen oder Häuser verfügen über mindestens sechs Zimmer. Hier hat es sich etabliert, dass das größte Kind ein eigenes Zimmer bekommt. Wenn es auszieht, kann das nächstgrößere Kind nachrutschen. Die jüngeren Geschwister teilen sich so lange wie nötig ein Zimmer.
Ein festes Alter, wann Kinder unbedingt ein eigenes Zimmer brauchen, gibt es nicht. Unsere Großeltern mussten sich oft die komplette Kindheit und Jugend ihr Zimmer mit meist mehreren Geschwistern teilen. Heute ist in vielen Familien spätestens mit Beginn der Pubertät Schluss mit einem gemeinsamen Kinderzimmer. Dann brauchen die Jugendlichen einen Rückzugsort und grenzen sich zunehmend ab, nicht nur von den Eltern, sondern auch vom Bruder oder von der Schwester. Manche Geschwister aber streiten so viel, dass es um des Familienfriedens sinnvoll sein kann, sie schon eher räumlich zu trennen.
Wichtig, wenn sich Geschwister ein Zimmer teilen: Ermöglichen Sie jedem Kind Individualität. Wenn ein Kind eher auf Pferde steht und das andere Planeten vorzieht, dann berücksichtigen Sie das bei der Einrichtung des Zimmers. Mit Accessoires wie Wandtattoos, Vorhängen oder Lampen lässt sich jeder Bereich unkompliziert den aktuellen Vorlieben anpassen.
Ein gemeinsames Kinderzimmer hat durchaus Vorteile: Die Kinder lernen eher, miteinander auszukommen, Spielsachen zu teilen, Konflikte auszutragen, sich nach einem Streit wieder zu versöhnen, Rücksicht aufeinander zu nehmen. Sie hören einander zu, erzählen sich abends noch Geschichten und Geheimnisse, trösten einander.
„Ich habe einen großen Bruder. Den mag ich, weil er mir manchmal hilft. Er bringt mir mein Spielzeug, wenn ich nicht rankomme. Und er teilt immer seine Süßigkeiten mit mir.“
Magdalena, 3
Zwillinge
Diese besondere Geschwister-Konstellation bedeutet für Familien nicht nur doppeltes Glück, sondern gerade in den ersten Lebensjahren viel Arbeit. Viele der in diesem Beitrag vorgestellten Tipps gelten so auch für Zwillinge. Da Zwillinge aber meist eine noch engere Bindung haben als „normale“ Geschwister und von ihrer Umwelt als Einheit wahrgenommen werden, fällt es ihnen etwas schwerer, sich voneinander abzugrenzen, ihre Besonderheit zu finden, ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Zwillingseltern sollten sie dabei unterstützen. Das fängt schon mit der Alltagskommunikation an: Sprechen Sie Ihre Kinder nicht als Einheit an. Statt „Zwillinge, kommt mal bitte …“ oder „Könnt Ihr beiden mal …“ sollten die Kinder einzeln oder nacheinander und mit dem Namen angesprochen werden. Das Umfeld aus Erzieherinnen, Freunden und Lehrern wird die Zwillinge ohnehin oft genug über einen Kamm scheren. Daher sollten Eltern überlegen, ob sie ihre Zwillinge ständig gleich anziehen, denn das erschwert die Abgrenzung voneinander. Getrennte Hobbys entsprechend der jeweiligen Neigung können ebenfalls helfen. Ab wann Zwillinge jeweils ein eigenes Kinderzimmer brauchen und ob sie in Kita und Schule in getrennte Gruppen gehen sollten, lässt sich nicht pauschal sagen, hier kommt es auf das Miteinander der Geschwister und ihre Wünsche an. Achten Sie darauf, dass die Zwillinge jeweils eigene Freundschaften pflegen und nicht nur gemeinsame Freunde haben.
Halb- und Stiefgeschwister: Herausforderung Patchworkfamilie
Wird aus zwei Familien eine Patchwork-Familie, können sich von heute auf morgen die Geschwisterkonstellationen ändern. Der bisher Älteste ist auf einmal der Jüngste oder das Einzelkind bekommt mehrere Stiefgeschwister. Später können noch Halbgeschwister hinzukommen. In jedem Fall ist die neue Situation eine echte Herausforderung sowohl für die Erwachsenen als auch die involvierten Kinder.
Ein guter Start wird erleichtert, wenn sich die leiblichen Eltern im Einvernehmen getrennt haben und es ihnen gelingt, eventuelle Konflikte nicht vor den Kindern auszutragen. Gleichwohl kann es sein, dass Kinder den neuen Partner oder die ungewollten Geschwister zunächst nicht akzeptieren. Manchmal liegt das einfach daran, dass sie den neuen Familienmitgliedern bewusst oder unbewusst die Schuld an der Trennung der Eltern geben. In jedem Fall braucht es seine Zeit, bis die neue Familie zusammenwächst. Wie lange das dauert, hängt unter anderem vom Alter und Temperament der Kinder, vom praktizierten Wechselmodell und vom Verständnis der Erwachsenen ab.
Zunächst müssen sich die neuen Familienmitglieder kennenlernen, ihre neue (Geschwister-)Position in der Familie behaupten, die möglicherweise anderen Familienregeln aushandeln. Gerade das kann schwer sein, weil Kinder aus Patchwork-Familien häufig zwischen zwei Haushalten mit unterschiedlichen Regeln pendeln. Und so kann es durchaus ein bis zwei Jahre dauern, bis sich das neue Familiengefüge gefunden hat. Für die Erwachsenen ist es vor allem eine Herausforderung, sowohl den leiblichen als auch den Stiefkindern gerecht zu werden. In einer Patchwork-Konstellation kann es noch schneller zu dem Gefühl kommen, sich ungerecht behandelt zu fühlen.
Neben Geduld und Verständnis sowie klarer Kommunikation durch die Erwachsenen kann ein Familienrat helfen. Dabei setzen sich alle Familienmitglieder zusammen und besprechen aktuelle Probleme und Wünsche. Vorab werden die grundlegenden Regeln der Diskussion festgelegt: Dazu gehört, ausreden zu lassen, höflich zu bleiben, nicht zu schimpfen. Jeder darf zu Wort kommen. Umstrittene Punkte werden so lange diskutiert, bis sich alle Familienmitglieder auf einen Kompromiss geeinigt haben. Anschließend werden die vereinbarten Punkte schriftlich festgehalten und die Umsetzung beim nächsten Familienrat überprüft. Einen solchen Familienrat kann man nach Bedarf abhalten oder regelmäßig, beispielsweise ein Mal monatlich.
Besondere Geschwisterkinder: Krankheit und Behinderung
Eine besondere Situation für Familien ist es, wenn Kinder mit einem schwerkranken oder behinderten Geschwisterkind aufwachsen. Die Eltern stehen vor der doppelten Herausforderung, einerseits die Pflegebedürftigkeit des einen Kindes anzunehmen und sie in den Familienalltag zu integrieren und andererseits dem gesunden Geschwisterkind gerecht zu werden. Die größte Gefahr dabei: Das gesunde Kind bekommt zu wenig Aufmerksamkeit, steht ungewollt und unbewusst in der zweiten Reihe. Die zeitlichen und auch finanziellen Ressourcen in jeder Familie sind begrenzt. Je mehr das erkrankte oder behinderte Kind braucht, desto weniger bleibt für sein Geschwisterkind.
Gleichwohl sehen betroffene Familien ihre besondere Situation als Chance, sie weisen Ressourcen auf, über die „normale“ Familien nicht verfügen, oder nur im geringen Maß: „Positiv ist, dass Familien mit einem kranken oder behinderten Kind meist stark zusammenhalten! Es wird berichtet, dass Geschwister kranker oder behinderter Kinder offener, empathischer, reifer und toleranter sind und nicht selten später soziale Berufe ergreifen. Oft zeigen sie auch mehr soziales Engagement und Selbständigkeit. Sie haben die Chance, viele Fähigkeiten zu erlernen und übernehmen verschiedene Rollen im Umgang mit ihren Geschwistern“, heißt es im Elternratgeber der Stiftung FamilienBande. Die Autorin Ilse Achilles fasst zusammen, wie sich ein gesundes Geschwisterkind idealerweise entwickelt:
- es hat überwiegend eine gute Beziehung zu dem behinderten Kind
- es geht so sicher und kompetent wie möglich mit dem behinderten Kind um
- es kann sich dem behinderten Kind gegenüber abgrenzen
- es kann auch negative Gefühle dem behinderten Kind gegenüber empfinden und äußern
- es schämt sich in der Öffentlichkeit nicht für das behinderte Kind
- es plant seine Zukunft unabhängig vom behinderten Geschwisterkind
Wenn Eltern diese Entwicklungsziele im Alltag im Hinterkopf behalten, ist schon viel gewonnen. Praktisch lässt sich das mit folgenden Tipps beherzigen: Seien Sie offen und erklären Sie dem gesunden Geschwisterkind die Besonderheit seines Bruders oder seiner Schwester möglichst altersgerecht. Beschönigen Sie dabei weder, noch sollten Sie die Situation dramatisieren. Beantworten Sie Fragen des gesunden Kindes rund um das Geschwisterkind offen und ehrlich, drängen Sie aber kein Gespräch auf.
Übrigens hat die Einstellung zur Behinderung einen ähnlich großen Einfluss auf das Familienleben wie die Behinderung selbst. Wenn Sie offen und optimistisch in die Zukunft blicken und versuchen, den Alltag so normal wie möglich zu gestalten, hilft das dem Geschwisterkind enorm. Statt einem „Warum muss es ausgerechnet uns treffen? So ein Unglück!“, wäre ein: „Nun ist es eben so, machen wir das Beste daraus!“ hilfreicher. Neben dem kräftezehrenden Alltag sind Krankenhaus- oder Rehaufenthalte eine zusätzliche Belastung für das Geschwisterkind. Betroffene Familien sollten von Beginn an versuchen, ein verlässliches Netzwerk aus Verwandten, Freunden und Nachbarn aufzubauen, die bei Bedarf unterstützen und sich um das gesunde Geschwisterkind kümmern können.
Nutzen Sie professionelle Unterstützung. Das können Pflegedienste sein oder die Inanspruchnahme einer Kurzzeitpflege, familienentlastende und familienunterstützende Dienstleistungen. Die Kosten werden in der Regel übernommen. Insbesondere für gesunde Geschwister gibt es mittlerweile verschiedene Angebote wie Seminare, Ausflüge oder mehrtägige Camps. Hier haben die Kinder die Gelegenheit zu einer Auszeit vom Familienalltag, vor allem können sie sich mit Gleichgesinnten austauschen, mit Kindern, die ebenfalls mit besonderen Geschwistern aufwachsen. Außerdem bekommen sie Methoden vermittelt, die ihnen im Alltag helfen, mit stressigen oder frustrierenden Situationen umzugehen. In der Lausitz gibt es mit dem Geschwisterclub Bärenbande des Johanniter-Kinderhauses „Pusteblume“ in Burg im Spreewald einen tollen Ort, bei dem Geschwisterkinder einfach mal abschalten können.
Buchempfehlungen für Kinder
- Ein Baby in Mamas Bauch, 2015, Anna Herzog, ab 5 Jahre
- Ein Geschwisterchen für die kleine Eule, 2017 Debi Gliori, ab 3 Jahre
- Ein Geschwisterchen für Pauli, 2015, Brigitte Weninger, ab 3 Jahre
- Wieso, weshalb, warum? Junior Bd. 12: Unser Baby, 2005, Angela Weinhold, ab 2 Jahre
Buchempfehlungen für Eltern
- Geschwister – eine ganz besondere Liebe: So gelingt es Eltern, jedem Kind gerecht zu werden, 2021, Jan-Uwe Rogge u.a.
- Geschwister: Vorbilder – Rivalen – Vertraute, 2020, Hartmut Kasten
- Ich mag dich – du nervst mich: Geschwister und ihre Bedeutung für das Leben, 2015, Jürg Frick
- „... und um mich kümmert sich keiner!“ Die Situation der Geschwister behinderter und chronisch kranker Kinder, 2018, Ilse Achilles
- Aus Stiefeltern werden Bonuseltern: Chancen und Herausforderungen für Patchwork-Familien, 2015, Jesper Juul u. Knut Krüger
- Leben mit Zwillingen! Gut durch Trotzalter, Kindergarten und Grundschule, 2012, Petra Lersch u. Dorothee von Haugwitz
Das digitale Ferienmagazin der lausebande
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- Kategorie: Titelthemen
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17 Ziele für eine bessere Welt
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- Kategorie: Titelthemen
Zwischenbilanz zur UN-Nachhaltigkeitsstrategie inklusive Tipps für nachhaltige Eltern-Kind-Gespräche
Manchmal lösen sich vermeintliche Gewissheiten über Nacht in Luft aus. So wie der Glaube bzw. die Hoffnung, dass wir in Europa noch lange in Frieden leben können. Der Ukraine-Krieg, der Ende Februar begann und bei Redaktionsschluss einen Monat später noch immer nicht beendet war, wurde als Epochenwende bezeichnet. Plötzlich sind Krieg, Hunger und Armut, die es leider schon immer gab, für uns Europäer erschreckend nahe. Wir können nicht mehr ohne weiteres die Augen verschließen und so tun, als gingen uns die Konflikte in anderen Ländern nichts an.
Der Ukraine-Krieg hat noch etwas anderes grundsätzlich verändert: unseren Blick auf Themen wie Versorgungssicherheit und Klimaschutz. Der längst beschlossene Atomausstieg und ebenso der Kohleausstieg werden nun wieder in Frage gestellt. Der Krieg hat den Blick auf die Ziele unserer Gesellschaft verändert, er hat die Prioritäten verschoben. Er hat neue Themen in den Fokus gerückt und andere in den Schatten. Die Corona-Pandemie, die uns zwei Jahre lang täglich im Alltag und in den Medien begleitet hat, rutschte auf der Agenda weit nach unten.
Der Krieg hat auch die Themen in den Familien verändert. Wer Kinder im Kita- oder Schulalter hat, kommt kaum umhin, mit ihnen darüber zu reden. Der nur zehn Autostunden entfernte Krieg ist für uns alle so präsent, dass Kinder täglich mit Bildern, mit Gesprächsfetzen konfrontiert sind. Sie werden in den kommenden Wochen ukrainischen Kindern, Frauen und Großeltern im Stadtbild begegnen, die vor dem Krieg in ihrem Heimatland geflohen sind und bei uns Schutz finden.
Unsere Aufgabe als Eltern ist es, mit den Kindern das Gespräch zu suchen, ihre Fragen offen, ehrlich und altersgerecht zu beantworten, ihnen Ängste zu nehmen, ohne sie anzulügen, ihnen Möglichkeiten aufzeigen, wie sie selbst etwas für die vom Krieg betroffenen Menschen tun können. Zugleich sollten wir darauf achten, dass der Krieg nicht dauerpräsent ist, dass die Kinder trotzdem ohne schlechtes Gewissen ihrem Alltag nachgehen und Spaß mit Freunden haben dürfen. Denn, und damit schließt sich der Kreis, der Krieg ist derzeit ohne Frage eines der drängendsten Themen. Aber wir sollten darüber nicht die anderen UN-Ziele für eine nachhaltige Entwicklung vergessen. Wenn wir in einer besseren Welt leben wollen, dann brauchen wir nicht nur Frieden, wir müssen Menschen weltweit vor Hunger und Armut schützen, wir müssen Pflanzen und Tiere an Land und im Wasser schützen, wir müssen für faire Arbeitsbedingungen sorgen, wir müssen die Gerechtigkeit bei Themen wie Bildung und Gleichstellung verbessern.
Die entsprechenden 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung, kurz SDG (sustainable development goals), wurden 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedet. Bis 2030 sollen sie in allen Ländern erreicht sein. In diesem Jahr ist die Hälfte der ursprünglich dafür eingeplanten 15 Jahre um. Wir ziehen daher auf den kommenden Seiten Zwischenbilanz: Was wurde bisher zu jedem dieser Ziele erreicht, wie haben die aktuellen Krisen den Blick auf die Ziele verändert, was muss Deutschland tun, damit die Ziele noch erreicht werden können? Und nicht zuletzt geben wir Eltern Tipps, wie sie mit ihren Kindern über jedes dieser Ziele sprechen können.
Wir konnten für fast jedes der 17 Ziele renommierte Institutionen als Gesprächspartner gewinnen. Dafür danken wir an dieser Stelle. Durch ungewöhnlich viele Krankheitsfälle mussten uns vier Institutionen leider kurzfristig absagen. Für diese vier Nachhaltigkeitsziele haben wir auf der Plattform www.17ziele.de und im aktuellen Nachhaltigkeitsbericht der Bundesregierung geblättert und die wichtigsten Ergebnisse zur Halbzeitbilanz zusammengefasst.
Was bedeutet Nachhaltigkeit?
Bei Nachhaltigkeitsthemen denken die meisten von uns zuerst an Klimawandel und Umweltschutz, an Stromsparen und weniger konsumieren. Dabei umfasst der Begriff so viel mehr. Er mahnt uns, bei all unseren Handlungen auch an unsere Kinder und Enkel zu denken. All unser Tun sollte so ausgerichtet sein, dass auch spätere Generationen noch ein gutes Leben führen können. Im sogenannten Brundtland-Bericht von 1987 haben die Vereinten Nationen erstmals eine Definition von Nachhaltigkeit veröffentlicht: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.“ Ökologische Aspekte gehören ebenso dazu wie wirtschaftliche und soziale.
17 Ziele, 17 Beiträge – die Zwischenbilanz:
6: Sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen
7: Bezahlbare und saubere Energie
8: Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum
9: Industrie, Innovation und Infrastruktur
11: Nachhaltige Städte und Gemeinden
12: Nachhaltige/r Konsum und Produktion
16: Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen
17: Partnerschaften zur Erreichung der Ziele
Armut in all ihren Formen und überall beenden
Mit: Renate Vacker, Pressesprecherin Brot für die Welt
Foto: Bredehorst
Was wurde bisher aus Ihrer Sicht bei diesem Ziel erreicht und was muss noch passieren?
Es gibt Fortschritte, zum Beispiel bei der Minderung extremer Armut, der Geschlechtergerechtigkeit oder dem Zugang zu Bildung. Leider hat die Corona-Pandemie auch zu Rückschritten geführt. So ist der Schulbesuch zurückgegangen, weil Kinder zum Lebensunterhalt der Familie beitragen müssen, wenn die Eltern ihre Arbeit verlieren. Corona hat gezeigt, wie schnell Menschen, die keine Ersparnisse haben und kein Arbeitslosengeld bekommen, in Armut rutschen, wenn ihr Einkommen wegbricht. Soziale Sicherung ist deshalb ein Schlüssel, um Armut zu verhindern und zu überwinden. Derzeit sind nur 47 Prozent der Weltbevölkerung durch mindestens eine Sozialleistung effektiv abgesichert.
Wie haben aktuelle Krisen, wie die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg, dieses Ziel bzw. die Diskussion darüber verändert?
Aktuelle Krisen verdrängen langfristige Ziele schnell aus der öffentlichen Wahrnehmung. Die weltweit gerechte Verteilung von Corona-Impfstoffen gehört aber genauso zu den nachhaltigen Entwicklungszielen wie etwa die Bekämpfung der Tuberkulose.
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Millionen Menschen, vor allem Frauen und Kinder, in die Flucht getrieben. Krankenhäuser, Schulen und Wohngebiete werden bombardiert. Der Ukraine-Krieg ist ein dramatischer Rückschlag auf dem Weg, die nachhaltigen Entwicklungsziele und weltweiten Frieden zu erreichen. Wir beobachten zudem, dass der Krieg die Diskussion über den Ausstieg aus fossilen Energieträgern in eine andere Richtung getrieben hat. Es geht weniger um erneuerbare Energien, sondern vor allem um die nationale oder europäische Versorgungssicherheit.
Wie steht Deutschland bei diesem Ziel aus Ihrer Sicht da?
In der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie wird der Anteil der Menschen in armutsgefährdeten Lebenslagen gemessen. Nach dem letzten Sachstandsbericht hatte sich dieser Indikator zwischen 2010 und 2019 leicht verbessert. Neuere Berichte zeigen jedoch, dass die Armutsquote in Deutschland im Pandemiejahr 2020 wieder gestiegen ist. Auch die soziale Ungleichheit hat zugenommen.
Was können wir in Deutschland konkret dafür tun, damit dieses UN-Ziel erreicht wird?
Alle Ministerien sollten die Agenda 2030 mit ihren Zielen für eine global nachhaltige Entwicklung zur Richtschnur machen. Alle Gesetzesvorhaben sollten dahingehend geprüft werden. Ein gutes Beispiel ist das Lieferkettengesetz: Es trägt dazu bei, Ausbeutung und Umweltzerstörung entlang des Wertschöpfungsprozesses zurückzudrängen und Armut zu überwinden.
Wie können Familien mit ihren Kindern über dieses Ziel sprechen und ihre Kinder dafür sensibilisieren?
Eltern können mit ihren Kindern darüber sprechen, wer die Bananen anbaut oder wo das T-Shirt genäht wurde. Es gibt vielfältige Angebote für verschiedene Altersgruppen, etwa ein Pixi-Buch mit vielen farbigen Illustrationen für die Jüngeren, Spiele und Quiz, außerdem Material für den Schulunterricht.
Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern
Mit Miriam Wiemers, Projektleiterin des Welthungerindex Welthungerhilfe ...
... und Dirk Ebach, Projektleiter Fachjournal Welternährung Welthungerhilfe
Was wurde bisher aus Ihrer Sicht bei diesem Ziel erreicht und was muss noch passieren?
Die Welt ist vom Kurs abgekommen. Trotz großer Fortschritte auf dem Weg zu „Zero Hunger bis 2030“, sind die Hungerzahlen zuletzt wieder stark gestiegen. Bei anderen Nachhaltigkeitszielen, wie u.a. Zugang zu sauberem Wasser, Armutsbekämpfung, Bildung, Geschlechtergleichstellung und Friedensförderung, ist es vergleichbar negativ.
Wie haben aktuelle Krisen, wie die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg, dieses Ziel bzw. die Diskussion darüber verändert?
Die enormen globalen Auswirkungen dieser Krisen dürfen uns nicht täuschen. Schon vor Corona waren wir zu langsam und teils falsch unterwegs. Nur die Folgen dieser Krisen zu kompensieren, wird nicht reichen, den negativen Trend zu stoppen.
Kriege und bewaffnete Konflikte, extreme Armut, Klimawandelfolgen, soziale Ungerechtigkeit – diese Themen sind untrennbar miteinander verwoben und gefährden u.a. die Ernährungssicherheit. Die allermeisten Menschen sehen diese Zusammenhänge und diskutieren differenzierter darüber als vor ein paar Jahren, so unser Eindruck. Aber auch die Einstellung, dass alles sowieso nichts bringe, gibt es. Doch was ist die Alternative zu diesen kleinen mühsamen Schritten? Weitermachen wie bisher, bringt uns nur noch schneller weg von den Nachhaltigkeitszielen und einer gerechteren Welt.
Wie steht Deutschland bei diesem Ziel aus Ihrer Sicht da?
Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie betrachtet seit 2021 auch die Umsetzung der Ziele außerhalb Deutschlands stärker, also z.B. in der Entwicklungszusammenarbeit. Das ist ein guter Ansatz. Dennoch muss sich in Deutschland selbst mehr tun – bei den eigenen Zielen sind wir nämlich teils auch auf dem falschen Weg.
Was können wir in Deutschland konkret dafür tun, damit dieses UN-Ziel erreicht wird?
Zu unserem Thema, der Hungerbekämpfung, fällt vielen erst mal das Spenden ein oder dass die Politik handeln muss – doch jeder kann auch in seinem eigenen Leben etwas ändern. Jeder kann sich z.B. einen Tag aussuchen, an dem alle Anschaffungen und Handlungen mit der Nachhaltigkeitsbrille betrachtet und hinterfragt werden: Brauch ich das Auto / geht es mit dem Fahrrad? Ist der Kaffee fair gehandelt…hat er das Biosiegel? Heute Fleisch oder etwas Vegetarisches? Welche Ressourcen wurden wohl für dieses exotische Obst verbraucht? Lebe ich meinen Kindern Nachhaltigkeit vor oder rede ich nur darüber?
Wie können Familien mit ihren Kindern über dieses Ziel sprechen und ihre Kinder dafür sensibilisieren?
Machen sie den beschriebenen „Nachhaltigkeitstag“ mit Ihren Kindern gemeinsam – vermutlich wird Sie überraschen, wieviel Wissen und gute Ideen schon da sind. Mit dieser motivierenden Herangehensweise – wie kann ich meinen Beitrag leisten und kann ich vielleicht noch mehr tun – erhält man die Offenheit für diese Themen.
Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern
In sogenannten Entwicklungsländern gehören Komplikationen während der Schwangerschaft oder der Geburt zu den häufigsten Todesursachen. Aber nur noch sehr wenige Frauen auf der Welt sterben daran, weil bei 81 Prozent der Geburten Fachpersonal dabei ist und bei der Geburt hilft. Die gesamte weltweite Sterberate ist auch zurückgegangen und die durchschnittliche Lebenserwartung ist für Jungen auf 69,8 Jahre und bei Frauen auf 74,5 Jahre gestiegen. Allerdings hat das Corona-Virus die Lebenserwartung in einigen Ländern wieder sinken lassen.
Auch Impfungen haben geholfen, die Gesundheitssituation weltweit zu verbessern. Trotzdem bekamen 2017 ungefähr 19,9 Millionen Kinder im ersten Lebensjahr keine Impfung gegen diverse Infektionskrankheiten. Dadurch stieg für sie die Gefahr, dass sie an tödlichen Krankheiten erkranken.
Die Zahl der weltweiten Neuinfektionen mit der Immunschwächekrankheit AIDS geht seit einigen Jahren zurück. 2010 erkrankten noch 2,1 Mio. Menschen an AIDS, 2019 waren es 1,7 Mio. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt die Zahl der Malariafälle im Jahr 2019 auf etwa 229 Millionen, 2017 waren es etwa 10 Mio. weniger.
Aber nicht nur Krankheiten, sondern auch schlechte Wasser-, Hygiene- und Sanitärbedingungen beeinträchtigen die Gesundheit von vielen Menschen weltweit. Auch Luftverschmutzung durch Abgase vom Kochen, durch den Verkehr, die Industrie und Verbrennung von Abfällen lösen Krankheiten aus. Ein weiteres Problem ist, dass in mehr als jedem dritten Land auf 10.000 Menschen nur 10 Ärztinnen und Ärzte kommen und diese ungleich verteilt sind. Dadurch können viele Menschen bei Krankheiten nicht gut versorgt werden.
Wie ist die Situation in Deutschland?
In Deutschland beträgt die Lebenserwartung bei Mädchen 83,4 Jahre und 78,6 Jahre bei Jungen (vor Corona). Das ist deutlich höher als der weltweite Durchschnitt und zeigt, dass Gesundheit und Wohlergehen entscheidend für ein langes Leben sind. Es gibt daher auch immer weniger Menschen, die unter 70 Jahren sterben (vorzeitige Sterblichkeit). Für die positiven Entwicklungen sind auch die steigenden Ausgaben für Gesundheit verantwortlich. Diese lagen 2019 durchschnittlich bei 4.944 Euro pro Kopf. Das sind 11,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Der Anteil an Jugendlichen und Erwachsenen, die gelegentlich oder ständig rauchen, ging in den letzten Jahren zurück. 2016 rauchte nur jeder vierzehnte Jugendliche, aber mehr als jeder fünfte Erwachsene. Die Ursache ungefähr jedes zwanzigsten Todesfalls ist das Rauchen, was die Lebenserwartung auf durchschnittlich 70,6 Jahre reduziert.
Obwohl die Menschen in Deutschland immer länger leben, steigt der Anteil von Jugendlichen und Erwachsenen, die übergewichtig sind. Fast jeder vierte Jugendliche und fast die Hälfte aller Erwachsenen waren 2017 übergewichtig. Dadurch leiden die betroffenen Menschen häufiger unter gesundheitlichen Problemen wie Diabetes und Bluthochdruck.
Quellen: www.17ziele.de; Ziele für nachhaltige Entwicklung. Bericht 2021/ UN
Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern
Während die meisten Kinder und Jugendlichen aus Deutschland jede Woche zur Schule gehen, kann weltweit ungefähr jedes sechste Kind keine Schule besuchen. Für die betroffenen Kinder bedeutet das, dass sie nur über wenig Wissen verfügen und oft weder lesen, schreiben noch rechnen lernen. Dadurch können sie später auch nur einen gering qualifizierten Job ausüben und verdienen häufig sehr wenig Geld. Besonders Kinder, die in Armut leben, können nicht zur Schule gehen, weil ihnen das Geld für den Unterricht und die Schulmaterialien fehlt. Diese Kinder gehen schon früh arbeiten, um ihre Familie zu unterstützen. Manchmal gibt es gar keine Schule in der Nähe. Dadurch können sie sich auch schwer aus der Armut befreien. Ihnen fehlen wichtige Qualifikationen und Kompetenzen.
Das geringe Bildungsniveau einer Bevölkerung ist nicht nur für die betroffenen Menschen ein Problem, sondern auch für das Land als Ganzes. Wenn es in einem Land keine gebildeten und qualifizierten Fachkräfte gibt, kann es sich kaum weiterentwickeln und aus eigener Kraft nachhaltig wirtschaftlich wachsen.
Auch wenn viele Kinder zur Schule gehen können, kann mehr als die Hälfte von ihnen trotzdem noch nicht richtig lesen und rechnen. Das liegt oft daran, dass die Schulen und Lehrer schlecht ausgestattet sind. Denn während Schulen in Deutschland immer mehr mit Computern und Technik arbeiten, haben fast die Hälfte der Schulen südlich der Sahara keinen Zugang zu Trinkwasser, keinen Strom, keine Computer und kein Internet. Außerdem fehlen qualifizierte Lehrkräfte, um den Schülerinnen und Schülern Wissen gut zu vermitteln.
Wie ist die Situation in Deutschland?
In Deutschland hatte im Jahr 2019 jeder zehnte der 18- bis 24-Jährigen keine abgeschlossene Berufsausbildung, kein Abitur oder eine Fachhochschulreife und nahm auch nicht an Aus- und Weiterbildungen teil. Diese sogenannten frühen Schulabgängerinnen und Schulabgänger haben ein erhöhtes Risiko, keine Arbeit zu finden, kein ausreichendes Einkommen zu erzielen und zukünftig in Armut zu leben.
6,2 Millionen Menschen in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben. Viele können zwar einzelne Worte verstehen und auch schreiben, aber keinen längeren Text lesen und verfassen. Die Hälfte von ihnen sind Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. In den Schulen erzielen Menschen mit Migrationshintergrund oft schlechtere Ergebnisse und brechen zu 50 Prozent häufiger ab als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler mit deutscher Muttersprache. Dadurch ist es für sie schwieriger erfolgreich in das Berufsleben einzusteigen.
Quellen: www.17ziele.de; Ziele für nachhaltige Entwicklung. Bericht 2021/ UN
Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen
Mit: Bettina Jahn, Kommunikation & Bildung UN Women Deutschland e.V.
Was wurde bisher aus Ihrer Sicht bei diesem Ziel erreicht und was muss noch passieren?
In den letzten Jahren gab es einige wichtige Erfolge, etwa bei der Schulbildung oder im Kampf gegen Armut. Viele Fortschritte sind aber zu langsam und erweisen sich als wenig nachhaltig, wie sich unter anderem in der aktuellen Corona Krise zeigt. Zudem profitieren gar nicht alle von den Fortschritten: Marginalisierte Gruppen, etwa Frauen mit Behinderungen oder Schwarze und indigene Frauen, sind besonders häufig von Diskriminierung, Gewalt und Armut betroffen. Die Maßnahmen zur Erreichung von SDG 5 müssen Mehrfachdiskriminierungen viel stärker einbeziehen und eine sog. intersektionale Perspektive einnehmen. Und alle politischen Maßnahmen – ob bei der Bekämpfung der Pandemie oder des Klimawandels – müssen die Gleichstellung voranbringen.
Wie haben aktuelle Krisen, wie die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg, dieses Ziel bzw. die Diskussion darüber verändert?
Frauen und Mädchen sind in Krisen und Konflikten besonders gefährdet. Zum Beispiel steigt die geschlechtsspezifische Gewalt, im Privaten und im öffentlichen Raum. Erschreckenderweise nahm in Ländern wie Schweden oder den USA während der Pandemie auch die Akzeptanz für häusliche Gewalt zu. Aktuell wird deutlicher denn je, wie weit wir noch von wirklicher Gleichstellung entfernt sind und wie wichtig es ist, alle Geschlechter in Maßnahmen und Lösungen einzubeziehen, um wirklich nachhaltige Erfolge zu erzielen.
Wie steht Deutschland bei diesem Ziel aus Ihrer Sicht da?
Ob beim Einkommen, bei der Rente oder in Entscheidungs- und Machtpositionen – die Gleichstellung in Deutschland geht sehr langsam voran. Die Lohnlücke ist mit 18 Prozent eine der höchsten in Europa, die Rentenlücke mit fast 50 Prozent ebenso. Jede dritte Frau macht Gewalterfahrungen. Bei all dem spielt die ungleich verteilte Sorgearbeit (etwa Kinderbetreuung oder Hausarbeit) zwischen den Geschlechtern eine Schlüsselrolle. Der „Gender Care Gap“, der diese Ungleichverteilung beschreibt, ist durch die Corona-Pandemie und ihre Folgen weiter gewachsen – mit negativen Auswirkungen auf das Einkommen, die Alterssicherung, die Bildung und die gesellschaftliche Teilhabe von Frauen. All das hat verheerende Folgen für die Gleichstellung.
Was können wir in Deutschland konkret dafür tun, damit dieses UN-Ziel erreicht wird?
Die vielbesprochene Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss endlich Wirklichkeit werden, etwa durch bedarfsgerechte und kostenlose Kinderbetreuung, Teilzeit- und Elternzeitmodelle für alle Geschlechter. Das Ehegattensplitting muss abgeschafft, bezahlte und unbezahlte Sorgearbeit muss wertgeschätzt und (finanziell) aufgewertet werden. Wir brauchen Geschlechtervielfalt auf allen Ebenen und in allen gesellschaftlichen Bereichen. Wir brauchen umfassende Prävention geschlechtsspezifischer Gewalt und den Schutz betroffener Frauen.
Wir begrüßen die feministische Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit der neuen Bundesregierung, die die Bedeutung von Gleichstellung für eine nachhaltige, gerechte und friedliche Welt verdeutlichen.
Wie können Familien mit ihren Kindern über dieses Ziel sprechen und ihre Kinder dafür sensibilisieren?
Sprecht mit euren Kindern darüber, dass auch in Deutschland noch keine Gleichstellung der Geschlechter erreicht ist und was das bedeutet. Teilt zu Hause die Sorgearbeit gleichmäßig zwischen den Eltern und bezieht alle Kinder gleichermaßen in Haushaltstätigkeiten ein. Lasst eure Kinder ohne Geschlechterstereotype aufwachsen – Farben, Spielsachen, Kleider, Gefühle und Berufe haben kein Geschlecht und sind für alle da.
Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten
Mit: Prof. Dr. Uli Paetzel, Präsident Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall DWA
Was wurde bisher aus Ihrer Sicht bei diesem Ziel erreicht und was muss noch passieren?
In den letzten 30 Jahren ist es gelungen, weitere zwei Milliarden Menschen regelmäßig mit sauberem Trinkwasser zu versorgen. Aber: die Weltbevölkerung wächst sehr schnell. Daher haben heute immer noch gut zwei Mrd. Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Das ist jeder vierte Mensch auf der Welt. Ganz besonders schlimm ist die Situation in Afrika und Asien, aber zum Teil auch in Südamerika. Hier können sehr viele Kinder nicht zur Schule gehen, da sie das Wasser für die Familie vom nächsten Brunnen holen müssen. Weite Wege zu Fuß, keine Zeit für die Schule. Noch schlechter ist die Situation bei der Sanitärversorgung. Auch hier konnten in den letzten 30 Jahren für gut zwei Mrd. Menschen Verbesserungen erreicht werden. Aber das Wachstum der Weltbevölkerung frisst auch hier viele Erfolge auf. Noch immer haben rund 4,2 Mrd. Menschen keinen Zugang zu ordentlichen Toiletten. Jeder zweite Mensch auf der Welt benutzt einfache Gruben oder geht in den Wald. Dadurch können gefährliche Krankheiten übertragen werden. Und auch die Umwelt, insbesondere die Gewässer, werden dadurch sehr verschmutzt. Besonders problematisch ist, dass aus diesen Flüssen, Bächen und Seen andere Menschen trinken oder ihr Trinkwasser gewinnen.
Wie haben aktuelle Krisen, wie die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg, dieses Ziel bzw. die Diskussion darüber verändert?
Die Corona-Pandemie hat die Situation noch einmal deutlich verschlechtert. Viele Projekte konnten aufgrund der Beschränkungen in der Pandemie nicht gestartet oder fortgesetzt werden. Der Klimawandel verschärft die Lage. Fachleute gehen davon aus, dass in den nächsten zehn Jahren rund 700 Mio. Menschen gezwungen sein könnten, ihre Heimat zu verlassen, da es dort nicht mehr ausreichend Wasser gibt. Das sind so viele, wie in allen Ländern Europas leben. Wie sich der Krieg in der Ukraine auswirkt, kann man noch nicht sagen. Es muss aber leider davon ausgegangen werden, dass er die Lage noch weiter verschlimmert. Vor allem in der Ukraine selbst wird sehr viel getan werden müssen.
Wie steht Deutschland bei diesem Ziel aus Ihrer Sicht da?
Deutschland ist weltweit sehr aktiv. Wir helfen mit Geld, Wissen und Fachleuten beim Bau von Brunnen und Kläranlagen. Dazu kommen spannende Projekte wie beispielsweise die Gewinnung von Trinkwasser aus der Feuchtigkeit der Luft. Wichtig ist es immer, die Bevölkerung in den Ländern mitzunehmen. Nur gemeinsam können wir die Wasserprobleme lösen. Auch die DWA ist in vielen Ländern aktiv. Wir kümmern uns zum Beispiel um die Schulung und Ausbildung von Menschen, die in den Ländern auf Abwasseranlagen arbeiten.
Was können wir in Deutschland konkret dafür tun, damit dieses UN-Ziel erreicht wird?
Geld und Wissen. Wir können und müssen noch viel mehr Projekte in ärmeren Ländern mit Geld und unserem technischen Wissen unterstützen.
Wie können Familien mit ihren Kindern über dieses Ziel sprechen und ihre Kinder dafür sensibilisieren?
Ich glaube, der Schlüssel für mehr Gewässerschutz sind Bildung und neue Bilder, die wir in die Köpfe der Menschen transportieren. Sehr anschaulich ist das Konzept „Virtuelles Wasser“. Wir nutzen zwar pro Tag und Kopf in Deutschland nur rund 120 l Wasser aus der Wasserleitung. Bezieht man jedoch das Wasser mit ein, das für die Produktion unserer Lebensmittel, unserer Kleidung, der Autos und vieles mehr verwendet wird, verbraucht jeder Menschrund 4.000 l Wasser am Tag. Es gibt im Internet tolle Seiten, mit denen man seinen realen Wasserverbrauch berechnen kann, beispielsweise www.wasserampel.wfd.de.
Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für alle sichern
Mit: Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW
Foto: BDEW
Was wurde bisher aus Ihrer Sicht bei diesem Ziel erreicht und was muss noch passieren? Wie steht Deutschland bei diesem Ziel aus Ihrer Sicht da?
Die Bunderegierung hat das UN-Ziel aufgenommen und im Koalitionsvertrag verankert: Bis 2030 soll Deutschland 80 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren Energien beziehen. Wir sind auf einem guten Weg, bis zum 2030-Ziel liegt aber noch ein großes Stück Arbeit vor uns. Insbesondere mit Blick darauf, dass der Stromverbrauch in den kommenden Jahren voraussichtlich deutlich ansteigen wird. Die Bundesregierung muss deshalb zeitnah bestehende Hemmnisse für den Erneuerbaren-Ausbau beseitigen und die im Koalitionsvertrag angekündigten Maßnahmen möglichst schnell in die Tat umsetzen. Es ist ein massiver und beschleunigter Ausbau der Erneuerbaren Energien notwendig. Das 2030-Ziel schaffen wir nur, wenn künftig neben der Stromerzeugung auch der Wärmemarkt und der Verkehrssektor sowie industrielle Prozesse weitestgehend über Erneuerbare Energien gedeckt werden. Dafür muss die Politik die nötigen Voraussetzungen schaffen.
Wie haben aktuelle Krisen, wie die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg, dieses Ziel bzw. die Diskussion darüber verändert?
Mit Blick auf die aktuellen bestürzenden Ereignisse stehen jetzt natürlich Krisenbewältigung und Energie-Versorgungssicherheit im Mittelpunkt. Das schließt auch die Option ein, zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit eventuell Braunkohlekraftwerke aus der Sicherheitsbereitschaft zu aktivieren. Die derzeitige Lage kann entsprechend dazu führen, dass wir auf dem Weg der CO2-Minderung mal einen Schritt zur Seite gehen müssen. Eines ist jedoch klar: Für unsere Branche ist der Kohleausstieg gesetzt und das Ziel haben wir klar vor Augen: Klimaneutralität, verbunden mit dem schnellen und massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien.
Was können wir in Deutschland konkret dafür tun, damit dieses UN-Ziel erreicht wird?
Deutschland muss beim Klimaschutz erheblich schneller, digitaler und unbürokratischer werden. Das gesamte Energiesystem muss angepasst werden. Neben dem Erneuerbaren-Ausbau muss der Netzaus- und -umbau vorangetrieben werden, die dringend notwendigen wasserstofffähigen Gaskraftwerke geplant und umgesetzt und Speicherlösungen entwickelt werden. Nur so werden wir rechtzeitig aus der Kohle aussteigen können und gleichzeitig die hohe Versorgungssicherheit Deutschlands gewährleisten können.
Wie können Familien mit ihren Kindern über dieses Ziel sprechen und ihre Kinder dafür sensibilisieren?
Ein nachhaltiges und klimaneutrales Deutschland ist eine Gemeinschaftsaufgabe, bei der auch die Kleinsten mithelfen können. Ein Bewusstsein für Umweltschutz kann Kindern bereits in frühen Jahren vermittelt werden. Während einer Fahrradtour etwa kann Kindern nicht nur ein Beispiel für umweltfreundliche Mobilität vermittelt werden, vielleicht entdeckt man währenddessen auch Windkrafträder oder Solar-Anlagen. Ein perfekter Anlass, um Kindern zu zeigen, wie Strom mithilfe von Wind- und Sonnenenergie entsteht. Auch im Alltag finden sich allerhand Situationen, die zeigen, dass jeder Einzelne etwas für die Umwelt tun kann. Zum Beispiel das Thema Mülltrennung und Recycling. Kinder können früh verstehen, dass Abfälle getrennt entsorgt werden müssen, damit Materialien in den Wertstoffkreislauf zurückgeführt werden und so der Ressourcenverbrauch und der CO2-Ausstoß reduziert werden können. Ebenso das Licht beim Verlassen des Raumes auszumachen, um Energie zu sparen – im alltäglichen Leben gibt es viele Punkte, bei denen das Thema Umwelt und Ressourcenschutz eine Rolle spielen und Kinder darauf aufmerksam gemacht werden können.
Dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern
Mit: Dr. Annette Niederfranke, Direktorin ILO Büro Deutschland Internationale Arbeitsorganisation
Was wurde bisher aus Ihrer Sicht bei diesem Ziel erreicht und was muss noch passieren?
Weltweit gibt es unterschiedliche Fortschritte, immer noch sind massive Menschenrechtsverletzungen zu beklagen. Gleichzeitig ist über Fortschritte z.B. in Ländern Asiens zu berichten. Globale Lieferketten wurden aktiv aufgebaut mit verbesserten Produktionsprozessen und hochwertigeren Produkten, für die höhere Preise erzielt werden. Dies setzt positive Kettenreaktionen in Gang – verbesserte Arbeitsbedingungen, soziale Sicherung der Beschäftigten und ihrer Familien und stabiler Handel. In anderen Teilen der Welt vollzieht sich dies wesentlich langsamer.
Wie haben aktuelle Krisen, wie die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg, dieses Ziel bzw. die Diskussion darüber verändert?
Die COVID-19 Pandemie hat große Einbrüche auf den Arbeitsmärkten zur Folge. Von 2019-2021 sind 52 Millionen Vollzeitstellen weggefallen. Kinderarbeit ist seit 2016 erstmals wieder auf 160 Millionen gestiegen mit dramatischen Folgen für die Gesundheit, das Wohlergehen und die Zukunft der Kinder.
Der Krieg in der Ukraine wird weitreichende negative Auswirkungen haben – Hunger, Armut, Flucht, Verlust des Arbeitsplatzes, mangelnder sozialer Schutz und unterbrochene Wirtschaftsbeziehungen.
Wie steht Deutschland bei diesem Ziel aus Ihrer Sicht da?
Deutschland war und ist auf einem guten Weg – trotz der COVID-19 Pandemie. Kurzarbeitergeld und flexible Arbeitszeitregelungen, ein starkes soziales Sicherungssystem mit umfassendem Krankenversicherungsschutz, Elterngeld, Kindergeld, Elternzeit, Arbeitslosenversicherung und sichere Rente haben zu einer Stabilisierung der Arbeitsmärkte und sozialer Sicherung geführt.
Allerdings gibt es auch Teilaspekte des globalen Entwicklungsziels Ziel 8 – menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum – die immer noch unbefriedigend sind, insbesondere die Ungleichheit in der Erwerbsbeteiligung von Frauen und die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern trotz gleichwertiger Arbeit. Im Kontext der Pandemie wird die Sorge einer „Retraditionalisierung“ bei der Aufteilung von Erwerbs- und Pflegearbeit in Familien thematisiert. Deshalb muss Politik Familien bei der Betreuung von Kindern und der Pflege von Familienangehörigen noch stärker entlasten.
Was können wir in Deutschland konkret dafür tun, damit dieses UN-Ziel erreicht wird?
Investitionen in den „Care Sektor“, die Betreuung von Kindern und Pflege von Erwachsenen, könnten global bis 2035 ca. 300 Millionen zusätzliche Arbeitsstellen schaffen.
Auch im Bereich der Arbeitsausbeutung (siehe Fleischindustrie und Erntearbeit) sind starke institutionelle Strukturen nötig, so dass Verstöße direkt gemeldet und geahndet werden. Unternehmen sind verantwortlich für die Einhaltung von Sorgfaltspflichten auch zur Vermeidung von Fällen von Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz.
Wie können Familien mit ihren Kindern über dieses Ziel sprechen und ihre Kinder dafür sensibilisieren?
Der Einkauf ist ideal für die Sensibilisierung: Woher kommen unser Obst und Gemüse? Wer muss dafür arbeiten? Wie viel verdienen Menschen mit dieser Arbeit? Wie leben diese Menschen? Dies sind alles Fragen, die man ganz praktisch besprechen kann, um Kindern nahe zu bringen, wo Gefahren lauern und wie man konkret durch den eigenen Einkauf helfen kann, nachhaltig zu handeln und gute Arbeitsbedingungen weltweit zu unterstützen.
Eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, breitenwirksame und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen
Mit: Markus Krause, Wirtschaft & Politik, Industrie- und Handelskammer Berlin
Was wurde bisher aus Ihrer Sicht bei diesem Ziel erreicht und was muss noch passieren?
Der nachhaltige Um-bau der Industrie hat in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Die Entwicklung lässt sich in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik beobachten. Verbraucher sind heute deutlich bewusster hinsichtlich der umweltfreundlichen und sozialen Herstellung von Produkten und eher bereit, mehr Geld zu bezahlen – z.B. für ökologisch und regional hergestellte Lebensmittel. Auch immer mehr Unternehmen investieren Geld in die Entwicklung und Anwendung ressourcenschonender Produktionswege. Insgesamt müssen die Anstrengungen allerdings noch deutlich verstärkt werden. Vor allem die Umstellung der Energieerzeugung auf erneuerbare Träger wie Wind- oder Solarenergie muss beschleunigt werden.
Wie haben aktuelle Krisen, wie die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg, dieses Ziel bzw. die Diskussion darüber verändert?
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie arbeitsteilig die Weltwirtschaft organisiert ist und wie sehr die Wirtschaften der Staaten von reibungslosen Produktions- und Lieferketten untereinander abhängig sind. Insbesondere der Engpass bei Gütern aus dem medizinischen und pharmazeutischen Bereich, wie z.B. Schutzkleidung oder Impfstoffe, hat die Diskussion über die Krisenresilienz und eine stärkere nationale Eigenproduktion dieser Güter angefacht.
Auch der Krieg in der Ukraine hat den Blick auf wirtschaftliche Abhängigkeiten zwischen Staaten geschärft – dabei steht die Energieversorgung in besonderem Fokus. Dieses Szenario unterscheidet sich jedoch von der Pandemie, denn hier haben sich Staaten in großer Zahl bewusst für die Kappung von Wirtschaftsbeziehungen als ein Druckmittel zur Beendigung des Krieges entschieden. Mittel- bis langfristig wird der Krieg voraussichtlich dazu beitragen, dass viele Staaten, neben klassischen ökologischen und sozialen Faktoren, noch stärker auf die Achtung des Völkerrechts sowie der Menschenrechte in ihren internationalen Wirtschaftsbeziehungen achten.
Wie steht Deutschland bei diesem Ziel aus Ihrer Sicht da?
Wie alle Staaten, muss auch Deutschland auf dem Weg zur Nachhaltigkeit an Geschwindigkeit zulegen. Der Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugung sowie die Mobilitätswende zu alternativen Antrieben haben bisher nicht das erforderliche Tempo. Das hat unter anderem mit langwierigen Planungs- und Genehmigungsprozessen zu tun, die von der Politik vereinfacht und beschleunigt werden müssen.
Was können wir in Deutschland konkret dafür tun, damit dieses UN-Ziel erreicht wird?
Der Politik kommt eine wichtige Rolle zu, denn sie muss mit den richtigen Rahmenbedingungen Nachhaltigkeit und Wohlstand sichern. Außerdem muss jeder und jede Einzelne Möglichkeiten nutzen, um im Alltag nachhaltig zu handeln. Wir alle können Energie und Wasser sparen, technische Geräte reparieren, anstatt sie neu zu kaufen, oder bewusst nachhaltig zertifizierte Produkte kaufen. Nicht zuletzt können auch Wirtschaft und Wissenschaft viel zu, denn sie können ressourcenschonende Produkte und Produktionswege entwickeln, ihre Kosten senken und sie flächendeckend verfügbar machen.
Wie können Familien mit ihren Kindern über dieses Ziel sprechen und ihre Kinder dafür sensibilisieren?
Familien können ihren Kindern auf einfache Weise erklären, dass viele unserer natürlichen und wirtschaftlichen Grundlagen, wie z.B. wichtige Rohstoffe, nicht unendlich sind. Deshalb müssen wir Wege finden, wie wir den Verbrauch so stark wie möglich begrenzen oder Grundlagen nutzen, die praktisch unendlich sind, wie die Energie aus Wind oder Sonne.
Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Das heißt, dass wir alle die gleichen Rechte haben, beispielsweise das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Das bedeutet auch, dass wir alle die gleichen Chancen haben sollten, etwa beim Zugang zu Bildung und zur Gesundheitsversorgung sowie sozialer und wirtschaftlicher Teilhabe. Vielen Menschen bleibt dies jedoch verwehrt, weil sie von Armut betroffen sind. Armut hat viele Gesichter und damit einhergehend auch Ungleichheit. So haben beispielsweise 258 Millionen Kinder und Jugendliche keinen Zugang zu Bildung – das sind fast doppelt so viele Kinder, wie in ganz Europa leben. Auch eine Gesundheitsversorgung ist nicht für alle Menschen selbstverständlich, ebenso wenig wie die Gleichstellung von Mann und Frau.
Auch das Vermögen in Form von Kapital, Ressourcen und Immobilien sind ungleich auf der Welt verteilt. Mehr als ein Drittel des weltweiten Vermögens gehört 1 Prozent der reichsten Menschen und auch das restliche Vermögen wird unter den verbliebenen 99 Prozent der Weltbevölkerung ungleich und ungerecht verteilt. Innerhalb und zwischen den Ländern ist die wirtschaftliche Ungleichheit zwar noch immer hoch und in vielen Ländern steigt der Anteil des Einkommens, der den reichsten 1 Prozent zugutekommt. Gleichzeitig ist jedoch in den meisten Ländern ein Anstieg des Einkommens der ärmsten 40 Prozent der Weltbevölkerung zu verzeichnen.
Wie ist die Situation in Deutschland?
Um Ungleichheiten in Deutschland zu verringern, setzt man auf Integration, die Förderung gleicher Bildungschancen und eine gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen. Deutschland ist ein buntes Land und für ein friedliches Miteinander ist die Integration der in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländer unverzichtbar. Besonders wichtig ist nicht nur der Spracherwerb, sondern auch eine schulische Qualifizierung. Ausländerinnen und Ausländer ohne deutsche Staatsbürgerschaft erreichen in Deutschland seltener einen Schulabschluss, verglichen mit deutschen Schulabsolventinnen und -absolventen. Im Hinblick auf höhere Bildungsabschlüsse fällt auf, dass nur etwa 15 Prozent der ausländischen Schulabsolventinnen und -absolventen im Jahr 2019 die Fachhochschulreife oder allgemeine Hochschulreife erreicht haben, während mit 36,7 Prozent doppelt so viele deutsche Schulabsolventinnen und -absolventen einen höheren Abschluss erreichten.
Einkommensungleichheiten wird in Deutschland insbesondere mithilfe von Sozialleistungen, Sozialversicherungen und Steuern entgegengewirkt. Dennoch ist das Vermögen in Deutschland deutlich ungleicher verteilt. Einer der Gründe hierfür ist, dass die Menschen in Deutschland viel häufiger zur Miete wohnen statt in eigenen Immobilien.
Quellen: www.17ziele.de; Ziele für nachhaltige Entwicklung. Bericht 2021/ UN
Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten
Mit: Alexander Handschuh, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes
Foto: Baris Cihan
Was wurde bisher aus Ihrer Sicht bei diesem Ziel erreicht und was muss noch passieren?
Zur Erreichung des Ziels sind städtepolitische Maßnahmen auf nationaler Ebene notwendig. Städte und Gemeinden arbeiten aktiv daran, die Flächeninanspruchnahme in Innenstädten und Ortskernen zu minimieren und wieder mehr Grün und Blau, etwa durch die Entsiegelung von Flächen, durch Dach- und Fassadenbegrünung und eine insgesamt klimaangepasste Stadtentwicklung zu realisieren. Dies erhöht nicht nur die Aufenthaltsqualität in den Kommunen, sondern ist auch ein wichtiger Baustein nachhaltiger und resistenter Städte. Die Sicherheitslage ist in den Städten und Gemeinden Deutschlands grundsätzlich weit weniger kritisch als in den meisten anderen Städten Europas und der Welt. Auf der anderen Seite arbeiten die Kommunen weiter daran, die Sicherheit zu verbessern. Inklusion ist ein wichtiges Ziel für die Kommunen. Alle Menschen sollen unabhängig von Einschränkungen aktiv am sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Leben teilnehmen können. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund unterstützt deshalb die Initiative „Kommune Inklusiv“ der Aktion Mensch. „Kommune Inklusiv“ soll Modellansätze, wie lokale Inklusionsarbeit effektiv gestaltet werden kann, erproben und weiterentwickeln.
Wie haben aktuelle Krisen, wie die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg, dieses Ziel bzw. die Diskussion darüber verändert?
Die aktuellen Krisen, wie beispielsweise die Corona-Pandemie, haben gezeigt, dass die öffentliche Daseinsvorsorge auch in Krisenzeiten gesichert ist. Dennoch müssen die Ungleichheiten in den kommenden Jahren aufgearbeitet werden, um das UN-Ziel zu erreichen.
Wie steht Deutschland bei diesem Ziel aus Ihrer Sicht da?
Deutschland steht bei der Erreichung des Ziels insgesamt gut da. Allerdings braucht es in Deutschland allein bis 2025 jährlich mindestens 320.000 neue Wohnungen – und die neue Bundesregierung beabsichtigt daher, den Wohnungsbau deutlich auszuweiten. Gerade die zunehmenden Extremwetterereignisse aufgrund des Klimawandels, wie zuletzt die Flutkatastrophe im Juli 2021, verdeutlichen, dass die Städte und Gemeinden klimaresilient werden müssen und der Katastrophenschutz in Zukunft von besonderer Bedeutung sein wird.
Was können wir in Deutschland konkret dafür tun, damit dieses UN-Ziel erreicht wird?
Städte und Gemeinden nehmen hier eine Schlüsselrolle ein, da so gut wie alle UN-Ziele eine kommunale Relevanz haben und die Umsetzung vor Ort stattfindet. Auf europäischer Ebene wurde z.B. die Neue Leipzig-Charta verabschiedet, die auf gerechte, grüne und produktive europäische Städte ausgerichtet ist. Auf internationaler Ebene leisten deutsche Kommunen einen wesentlichen Beitrag durch globale Städtepartnerschaften. In Deutschland selbst setzen immer mehr Kommunen eine kommunale Nachhaltigkeitsstrategie um und leisten so ihren Beitrag.
Wie können Familien mit ihren Kindern über dieses Ziel sprechen und ihre Kinder dafür sensibilisieren?
Es ist wichtig, auch Kinder für dieses UN-Ziel zu sensibilisieren. Hierbei sollte man sich auf Dinge des täglichen Bedarfs beziehen. Denn anders als in Deutschland ist es in anderen Ländern keine Selbstverständlichkeit, Zugang zu öffentlicher Daseinsvorsorge wie der Abfallbeseitigung, der Versorgung mit Wasser, Gas und Strom zu haben. Das elfte UN-Ziel soll hieran etwas ändern und die Städte und Gemeinden weltweit inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten.
Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen
Mit: Christine Wenzl, Nachhaltigkeitsexpertin, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland BUND
Foto: BUND
Was wurde bisher aus Ihrer Sicht bei diesem Ziel erreicht und was muss noch passieren?
Unsere Wirtschafts- und Lebensweise muss die natürlichen Grenzen des Planeten einhalten. Das haben die Vereinten Nationen mit dem Ziel 12 vereinbart. Dafür müssen sich Produktionsweisen und die Konsumgewohnheiten grundlegend ändern – vor allem in den Industrieländern. Doch davon sind wir weit entfernt: Weltweit sind der Materialverbrauch und das Abfallaufkommen weiter gestiegen. Auch die Zahl der chemischen Stoffe, die sich weltweit im Umlauf befinden, steigt ungebremst.
Wie haben aktuelle Krisen, wie die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg, dieses Ziel bzw. die Diskussion darüber verändert?
Die Corona-Pandemie hat gravierende Auswirkungen für die UN-Ziele in insgesamt. Vor allem soziale Ungleichheit, Armut und Hunger haben sich weltweit verschärft. Eine Chance für den nachhaltigen Konsum könnte in der Rückbesinnung auf regionale Wirtschaftskreisläufe liegen. Die aktuelle Situation zeigt, wie wichtig es ist, unser Land unabhängiger von Gas- und Ölimporten zu machen. Dafür ist es essenziell, Energie zu sparen. Maßnahmen wie ein Tempolimit oder autofreie Sonntage kann die Bundesregierung sofort einführen.
Wie steht Deutschland bei diesem Ziel aus Ihrer Sicht da?
Der Handlungsdruck ist hoch: Weit entfernt sind wir von der nötigen Kreislaufwirtschaft. Plastik aus Haushaltsabfällen wird immer noch meist verbrannt. Rund 15 Prozent des Abfalls – mehr als 700.000 Tonnen jährlich – werden exportiert, und landen oft in Ländern des globalen Südens und dort häufig in der Umwelt. Und nicht nur bei Abfallexporten stehen deutsche Unternehmen weltweit an der Spitze. 2019 importierten sie für eine Summe von über einer Milliarde Euro Rohstoffe, Chemikalien und andere Waren aus aller Welt – darunter auch Metalle, die unter dem Einsatz von Kinderarbeit in den Minen Südamerikas oder Afrikas unter prekären Bedingungen abgebaut werden.
Was können wir in Deutschland konkret dafür tun, damit dieses UN-Ziel erreicht wird?
Es gilt, eine funktionierende Kreislaufwirtschaft zu etablieren. Zugleich müssen wir die verwendeten Materialien absolut reduzieren und die Abfallmengen drastisch mindern. Die Zukunft gehört dem Mehrwegsystem – Einweg muss der Vergangenheit angehören. Für langlebige und reparierbare Produkte muss die Bundesregierung verbindliche Vorgaben einführen. Gut anknüpfen kann sie dabei an eine neue europäische Richtlinie, die ein Recht auf Reparatur vorsieht. Um alle 17 Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, ist ein grundlegender Wandel nötig: wirtschaftlich, ökologisch und sozial. Dafür müssen wir die Grenzen des Wachstums anerkennen. Wir brauchen eine Gesellschaft und eine Wirtschaft, die solidarisch und fürsorglich mit Mensch und Natur umgehen.
Wie können Familien mit ihren Kindern über dieses Ziel sprechen und ihre Kinder dafür sensibilisieren?
Ein erster Schritt liegt in der Wertschätzung aller Dinge, mit denen wir uns im Alltag umgeben. Das kaputte Spielzeug kann repariert, abgelegte Kleidung auf dem Flohmarkt verkauft werden. Gern beteiligen sich Kinder selbst daran und bessern damit das Taschengeld auf. Bewährt ist auch: Zeit statt Zeug. Warum nicht zum Geburtstag einen Gutschein verschenken für einen gemeinsamen Konzertbesuch oder einen Ausflug zum Klettergarten? Und die Erwachsenen leben es vor: Es muss nicht alle zwei Jahre ein neues Handy sein, nicht der XXL-TV-Bildschirm und immer die neuste Mode.
Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen
Mit: Dr. Charlotte Unger, Senior Research AssociateInstitut für transformative Nachhaltigkeitsforschung IASS
Was wurde bisher aus Ihrer Sicht bei diesem Ziel erreicht und was muss noch passieren?
Obwohl wir genau wissen, was wir erreichen müssen, tun wir lange nicht genug. Zum einen haben die Länder dieser Welt noch nicht genug Treibhausgasminderungen versprochen, um die Erderwärmung nur auf 1.5. °C zu begrenzen. Zum anderen fehlen an vielen Stellen noch konkrete Maßnahmen, wie die bisher versprochenen Klimaziele auch wirklich erreicht werden. Besonders dramatisch ist die Lage, wenn es um die entstehenden Kosten geht. Die ärmsten Länder dieser Welt trifft der Klimawandel am härtesten, obwohl sie praktisch nichts dazu beitragen. Noch dazu können sie nur wenig dagegen tun. Reiche, so genannte Industrieländer, hatten zwar Zahlungen zugesagt, aber bislang haben sie ihre Versprechen noch nicht ausreichend erfüllt.
Wie haben aktuelle Krisen, wie die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg, dieses Ziel bzw. die Diskussion darüber verändert?
In Krisen erleben wir erstmal einen Schock. Wir erfahren, wie wenig wir für Katastrophen wie Corona oder den Krieg in der Ukraine gewappnet sind. Bei vielen Menschen weckt das einerseits Angst vor der Zukunft und davor, dass das Leben immer schwieriger, teurer und gefährlicher wird. In solchen Momenten scheint es zunächst einfacher, sich vor Umstellungen und Neuerungen zu verschließen. Anderseits sehen wir auch, dass Menschen in Krisensituationen stärker zusammenhalten. Krisen bedeuten auch die Chance, danach etwas Besseres und Gesunderes für Mensch und Planet aufzubauen. Wir müssen die Gelegenheit nutzen, z.B. die Corona-Hilfsgelder vor allem für nachhaltige und grüne Maßnahmen auszugeben.
Wie steht Deutschland bei diesem Ziel aus Ihrer Sicht da?
In Deutschland und auch in der Europäischen Union haben wir uns recht gute, ehrgeizige Klimaziele gesetzt. Das heißt, wir haben die grobe Richtung festgelegt, mit der wir den schlimmsten Klimawandel noch verhindern können. Aber es fehlen leider immer noch konkrete Maßnahmen und Vorschläge, wie wir die Ziele erreichen können.
Was können wir in Deutschland konkret dafür tun, damit dieses UN-Ziel erreicht wird?
Natürlich muss einerseits noch viel in der Politik passieren – hier muss der Rahmen vorgegeben werden für eine gute Umsetzung unserer Klimaziele. Aber das Thema geht jeden einzelnen von uns an, es betrifft praktisch jeden Lebensbereich. Die Informationen darüber, was jede/r tun kann, müssen noch viel konkreter werden und alle erreichen. Aber auch jede/r einzelne muss bereit sein, sich umzustellen und zukünftig vieles im Alltag verändern.
Wie können Familien mit ihren Kindern über dieses Ziel sprechen und ihre Kinder dafür sensibilisieren?
Ich habe selbst zehnjährige Zwillinge, die mich häufig zu Klimawandel und Umweltverschmutzung befragen. Wir können Kinder in ihrer Neugier bestärken, d.h. zunächst ihre Fragen ernst nehmen und uns über das Thema unterhalten. Wenn man selbst keine Antworten weiß, findet sich dafür vielleicht jemand im Bekanntenkreis oder man recherchiert gemeinsam. Gute Informationen gibt es z.B. bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Auch in der Schule oder der Kita kann man Anregungen auf Elternabenden einbringen. Besonders wichtig finde ich es, Vorurteilen und ‚Fake News‘ entgegenzuwirken. Klassiker sind etwa: „Weniger Auto fahren bringt eh nichts!“ Oder: „Ein bisschen wärmer, das ist doch schön!“ Hier muss erklärt werden, warum man viele so leicht daher gesagte Aussagen nicht glauben sollte. Danach gilt es zu besprechen, was wirklich stimmt.
Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen
Mit: Prof. Dr. Martin Visbeck, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel & Vorstand Konsortium Deutsche Meeresforschung
Was wurde bisher aus Ihrer Sicht bei diesem Ziel erreicht und was muss noch passieren?
Schaut man sich die Summe der bei der UN angemeldeten Projekte an, so belegt das Ozeanziel den letzten Platz. Daraus sollte man aber nicht unbedingt ableiten, dass nichts passiert ist. Zum einen hat 2017 die erste von der UN organisierte Ozeankonferenz stattgefunden, die nächste ist für diesen Sommer geplant. Dazu kommen internationale Verhandlungen über ein Umsetzungsabkommen zum Erhalt und zur nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt in internationalen Gewässern und das Abkommen zur Vermeidung von Plastikmüll, was insbesondere auch dem Ozean zugutekommt. Es gibt Bewegung und Erfolge, aber insgesamt wird es uns nicht gelingen, alle Ziele bis 2030 zu erreichen.
Wie haben aktuelle Krisen dieses Ziel bzw. die Diskussion darüber verändert?
Der Umgang mit der Klimakrise, der Corona-Pandemie und scheinbar regionalen Konflikten wie dem Ukraine-Krieg zeigen deutlich, dass keines der Probleme durch ein Land allein gelöst werden kann. Die multilateralen Prozesse und Zusammenarbeit der Staaten sind fundamental und werden in der Bedeutung weiter zunehmen. Die Illusion, dass kluges innenpolitisches Handeln den wirtschaftlichen Erfolg, Wohlstand und Zusammenhalt im eigenen Land garantiert, ist viel offensichtlicher geworden. Der Umgang mit dem Ozean und seinen Randmeeren und die Transformation zu einer nachhaltigen Mensch-Meer- Beziehung bietet viele Gelegenheiten für erfolgreiche internationale Zusammenarbeit sowohl in der ‚blauen‘ Wirtschaft als auch bei der Umsetzung von ambitionierten Schutzvorhaben.
Wie steht Deutschland bei diesem Ziel aus Ihrer Sicht da?
Deutschland hat ein sehr kleines wirtschaftliches Hoheitsgebiet in der Nord- und Ostsee. Auf der einen Seite hilft das, um eine umfassende Beobachtung der Seegebiete leisten zu können. Aber die Zielkonflikte zwischen wirtschaftlicher Nutzung durch Seehandel, Windparks, Fischerei, Marikulturanlagen, Küstenschutz und Tourismus untereinander und mit dem Naturschutz sind offensichtlich. Unsere Bilanz bei der Fischerei und dem Eintrag von Nährstoffen über die Flüsse ist katastrophal. Positiv zu bewerten ist, dass ein effizienter Prozess, der um einen Kompromiss zwischen Nutzung und Schutz im Kontext einer Marine-Raumordnung ringt, etabliert wurde. Allerdings schwächeln wir noch bei der Formulierung einer nationalen Meeresstrategie, die die Umsetzung von Ozeanthemen in, mit und durch Deutschland klar herausarbeitet.
Was können wir in Deutschland konkret dafür tun, damit dieses UN-Ziel erreicht wird?
Die Bundesregierung hat versprochen eine/einen Meeresbeauftragte/n einzusetzen. Das würde helfen, die Ozeanthemen über die Ministerien hinweg besser zu beschreiben und die gemeinsame Umsetzung zu mehr Nachhaltigkeit effizienter zu machen. In der Bildung kommt das Thema Ozean randständig vor. Mehr Engagement bei der UN Ozeandekade in allen Bereichen der Gesellschaft würde helfen, die vielen Möglichkeiten bekannter zu machen. Wer das Meer kennt, es schätzen gelernt hat, wird sich dafür einsetzen, es zu schützen und nur nachhaltig zu nutzen.
Wie können Familien mit ihren Kindern über dieses Ziel sprechen und ihre Kinder dafür sensibilisieren?
Das Thema Ozean und Meere ist besonders für Kinder spannend. Zum einem gibt es dort viel zu entdecken, außergewöhnliche Lebensräume von der Tiefsee über tropischen Riffe zum polaren Ozean. Beim Strandurlaub kann man Müll einsammeln und darüber auch über die anderen Problemzonen des Ozeanes lernen.
Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodendegradation beenden und umkehren und dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende setzen
Biologische Vielfalt und gesunde Ökosysteme sind die Grundlagen unseres Lebens: Mangrovenwälder schützen die Küsten vor Flut, Insekten bestäuben die Pflanzen, die wir essen, und Regenwälder wandeln CO2 in Sauerstoff um. Deshalb ist die rasante Zerstörung von biologischer Vielfalt ein echtes Problem. Mehr als die Hälfte der Ökosysteme ist heute in schlechterem Zustand als noch vor 50 Jahren, oder wird nicht nachhaltig genutzt: Ihre genetische Vielfalt geht verloren, oder sie wurden – wie die Hälfte aller Regenwälder – bereits vollständig zerstört. Übernutzung durch intensive Landwirtschaft und die Folgen des Klimawandels gehören dabei zu den wichtigsten Ursachen. Zwei Milliarden Hektar Land gelten weltweit als geschädigt. Die Zerstörung der Landökosysteme hat weitreichende Konsequenzen: Von ungefähr fünf Millionen Tierarten sterben jährlich zwischen 11.000 und 58.000 aus, unter anderem durch den Schwund ihrer Lebensräume, etwa 3,2 Mrd. Menschen werden direkt von Landschädigungen getroffen.
Darunter leiden auch indigene Völker und ihre traditionellen Lebensweisen. Und auch die globale Landwirtschaft, die unsere Versorgung mit Lebensmitteln garantiert, ist in Gefahr: Ein Drittel der fruchtbaren Landfläche weltweit ist in den letzten 40 Jahren durch Verschmutzung, Erosion oder Wüstenbildung verloren gegangen – während die Welt bis 2050 für die wachsende Erdbevölkerung schätzungsweise 50 Prozent mehr Lebensmittel produzieren muss. Doch noch ist die Hoffnung nicht verloren: Die Menschheit hat erkannt, wie sehr die Biodiversität bedroht ist und welche verheerenden Folgen damit einhergehen. Aus diesem Grund werden immer mehr Landökosysteme geschützt, wiederhergestellt und eine nachhaltige Nutzung gefördert. Weltweit gibt es immer mehr Projekte, die die Aufforstung der Wälder unterstützen und sich für die Arterhaltung und den Schutz der Ökosysteme einsetzen.
Wie ist die Situation in Deutschland?
Fast die Hälfte der Flächen in Deutschland wird landwirtschaftlich genutzt. Produktionssteigerungen und immer intensivere Bewirtschaftung gehen auch an der Umwelt nicht spurlos vorbei. Jeden Tag verliert die Natur hierzulande eine Fläche von etwa 90 Fußballfeldern an Verkehr und Siedlungsbau. Durch schwere Maschinen werden Böden beschädigt, was wiederum zu Erosion und einem Verlust der Bodenfruchtbarkeit führen kann. Düngemittel stellen ein Risiko für Erde und Grundwasser dar, und die niedrige Artenvielfalt auf landwirtschaftlich genutzten Flächen schränkt tierische Nahrungsquellen und Lebensräume ein.
Besonders stark diskutiert wird in Deutschland aktuell das Problem des Insektensterbens – ein erschreckendes Beispiel für den Verlust der biologischen Vielfalt. Bei 96 Prozent der Arten haben Insektenforscher einen Rückgang festgestellt. Das hat nicht nur drastische Folgen für die Landwirtschaft selbst – an vielen Orten gibt es nicht mehr genügend Insekten, um Felder natürlich zu bestäuben – sondern bringt ganze Ökosysteme aus dem Gleichgewicht. Die Anzahl der Vögel ist ebenfalls um 40 Prozent geschrumpft, da ihnen Insekten als Nahrungsquelle dienen.
Quellen: www.17ziele.de; Ziele für nachhaltige Entwicklung. Bericht 2021/ UN
Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen
Mit: Ben Christian, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens-und Konfliktforschung (HSFK)
Was wurde bisher aus Ihrer Sicht bei diesem Ziel erreicht und was muss noch passieren?
Ehrlich gesagt: Die Halbzeitbilanz sieht nicht sehr gut aus. Auch wenn die Arbeit vieler Menschen und Institutionen (wie z.B. der UN) vereinzelt Früchte trägt, so stimmt die generelle Entwicklung pessimistisch. Vom Ziel friedlicher, gerechter und inklusiver Gesellschaften sind wir auf jeden Fall noch weit entfernt. Kriegerische Konflikte, aber auch häusliche und kriminelle Gewalt, bedrohen das Leben von Millionen Menschen ganz unmittelbar. 2020 gab es weltweit 21 Kriege, momentan sind 82 Millionen Menschen auf der Flucht. Das ist also insgesamt ein düsteres Bild – es gibt viel zu tun.
Wie haben aktuelle Krisen, wie die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg, dieses Ziel bzw. die Diskussion darüber verändert?
Kriege und gewaltsame Konflikte gab es auch in den letzten Jahren zuhauf, viele von uns haben das nur erfolgreich verdrängt. Der Krieg in der Ukraine führt uns jetzt einmal mehr vor Augen, dass Frieden alles andere als selbstverständlich ist. Lange Zeit galt Europa als eine friedliche „Oase“ und Krieg als etwas, das woanders – weit weg – passiert und uns nichts angeht. Das war schon immer eine Illusion, die durch die enorme mediale Aufmerksamkeit und die politische Debatte aktuell ein jähes Ende findet. Stattdessen rücken die schrecklichen Folgen des Krieges stärker ins allgemeine Bewusstsein: Menschen werden getötet, Häuser zerstört, Familien auseinandergerissen. Der Krieg in der Ukraine führt also schon jetzt dazu, dass die Debatte über nachhaltigen Frieden in Deutschland eine neue Dimension erhält.
Wie steht Deutschland bei diesem Ziel aus Ihrer Sicht da?
Deutschland steht insgesamt gut da. Wir haben das große Glück, in einem weitestgehend friedlichen und sicheren Land zu leben, mit starken demokratischen Institutionen. Allerdings haben die NSU-Morde, der rassistische Anschlag in Hanau oder auch das Aufdecken rechtsextremer Gruppen in der Polizei gezeigt, dass wir auf dem Weg zu einer wirklich friedlichen und inklusiven Gesellschaft noch viel zu tun haben. In Deutschland können sich nicht alle Menschen gleichermaßen sicher fühlen – das ist inakzeptabel.
Was können wir in Deutschland konkret dafür tun, damit dieses UN-Ziel erreicht wird?
Frieden fängt immer bei uns selbst an: in der Familie, im Freundeskreis, in der Nachbarschaft, der Schule oder im Betrieb. Wir können also alle einen Beitrag zum friedlichen Zusammenleben leisten. Außerdem können wir uns politisch für Frieden weltweit einsetzen: uns über die Situation in anderen Ländern informieren; unseren Abgeordneten deutlich machen, dass uns diese Themen wichtig sind; internationale NGOs unterstützen – es gibt viele Möglichkeiten!
Wie können Familien mit ihren Kindern über dieses Ziel sprechen und ihre Kinder dafür sensibilisieren?
Über Krieg zu sprechen ist nicht einfach. Allerdings haben Kinder ein gutes Gespür dafür, was ihren Eltern Sorgen bereitet. Insofern sollten Eltern unbedingt mit ihren Kindern auch über das sprechen, was sie besorgt: etwa der Krieg in der Ukraine oder der Klimawandel. Natürlich müssen Fragen altersgerecht beantwortet werden. Dabei können bestimmte Medienformate (z.B. Logo; www.frieden-fragen.de) helfen, die man sich gemeinsam anguckt. Außerdem kann es hilfreich sein, wenn man am Ende gemeinsam etwas tut, um die Situation zu verbessern: auf eine Friedensdemo gehen, Spenden sammeln oder Geflüchteten helfen.
Umsetzungsmittel stärken und die Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben erfüllen
Mit: Svenja Schulze, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Foto: BPA, Sve Kugler
Was wurde bisher aus Ihrer Sicht bei diesem Ziel erreicht und was muss noch passieren?
SDG 17 ist ein übergeordnetes Ziel, das die Marschroute vorgibt: Nachhaltigkeit ist nur gemeinsam zu schaffen. Das entspricht genau meinem Ansatz in der Entwicklungspolitik. Gemeinsam sind wir viel, viel stärker. Für ambitionierte Ziele wie die Agenda 2030 gilt das umso mehr, zumal die Zwischenbilanz nicht gut ausfällt. Zuletzt gab es wegen Corona sogar Rückschritte. Der Krieg wird uns noch weiter zurückwerfen. Darum ist jetzt umso mehr Engagement nötig.
Wie haben aktuelle Krisen, wie die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg, dieses Ziel bzw. die Diskussion darüber verändert?
Die Corona-Pandemie hat deutlich gezeigt, wie sehr wir auf internationale Zusammenarbeit angewiesen sind. Das Virus besiegen wir nur gemeinsam. So ziehen wir mit anderen Geberländern an einem Strang in der internationalen Impfinitiative. Deutschland ist hier Vorreiter und leistet nicht nur seinen fairen Anteil an der Versorgung der Entwicklungsländer mit Impfstoffen, Tests und Medikamenten. Wir helfen auch mit, dass Afrika eine eigene Impfstoffproduktion aufbaut. Welche Folgen Putins Angriffskrieg in der Ukraine haben wird, lässt sich heute in seinem ganzen Ausmaß nur erahnen. In jedem Fall ist es ein dramatischer Rückschlag für eine auf Kooperation ausgerichtete Weltordnung. Der Krieg in der Kornkammer der Welt hat auch dramatische Auswirkungen auf die globale Wirtschaft und die Ernährung. Es drohen Hungersnöte. Die Aufgaben für Entwicklungszusammenarbeit sind größer als je zuvor.
Wie steht Deutschland bei diesem Ziel aus Ihrer Sicht da?
Ich will den Ansatz der multilateralen Zusammenarbeit in der deutschen Entwicklungspolitik deutlich stärken – im Sinne des SDG 17. Darüber hinaus setzen wir uns für eine engagierte Umsetzung der Agenda 2030 insgesamt ein. Wir sind der zweitgrößte Geldgeber für nachhaltige Entwicklung weltweit. Nachhaltigkeit in der Entwicklungspolitik bedeutet aber auch, jene stärker einzubeziehen, die die Macher*innen von morgen sind. Darum haben wir im Bundesentwicklungsministerium einen Jugendbeirat ins Leben gerufen, der die Perspektive von Jugendlichen in die Entwicklungspolitik einbezieht.
Was können wir in Deutschland konkret dafür tun, damit dieses UN-Ziel erreicht wird?
SDG 17 ist die Basis für vieles. Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Einzelpersonen müssen zusammenarbeiten. Jede und jeder Einzelne kann mithelfen, dass wir gemeinsam unsere eine Welt nicht überlasten – bei der Energieversorgung, bei der Ernährung, beim sozialen Zusammenhalt. Die Agenda 2030 betrifft ja das ganze Leben.
Wie können Familien mit ihren Kindern über dieses Ziel sprechen und ihre Kinder dafür sensibilisieren?
Mit vielen anderen gemeinsam Herausforderungen zu bestehen und Probleme zu lösen, das kennen wir ja aus der Familie, aus Schule und Kita. Das ist Multilateralismus im Kleinen. Wer mehr über Bildung für nachhaltige Entwicklung erfahren möchte, dem empfehle ich das Onlineportal www.globaleslernen.de.
Everyday for Future
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Ein Familien-Ratgeber zum Thema Nachhaltigkeit
Wenn wir in Deutschland über Nachhaltigkeit reden, dann sind wir schnell bei Themen wie Strom sparen, weniger heizen und öfter mal zu Fuß gehen. Dass wir mit unserem westlichen Lebensstil im Vergleich zu Menschen aus den Entwicklungsländern mehrere Tonnen CO2 von echter Nachhaltigkeit entfernt sind, lassen wir dabei gern außer acht. Wie umfassend der Begriff Nachhaltigkeit gemeint ist, zeigt ein Blick auf die 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung. Diese Agenda wurde 2015 von den Vereinten Nationen festgelegt. Sie umfasst 17 globale Ziele für eine lebenswerte Welt, die bis 2030 in allen Staaten erreicht werden sollen. Ein Blick darauf und auf die aktuelle Situation in vielen Staaten der Erde zeigt: Vom Erreichen der Ziele sind wir noch weit entfernt.
Die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele
- Ziel 1: Armut in all ihren Formen und überall beenden
- Ziel 2: Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern.
- Ziel 3: Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern.
- Ziel 4: Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern.
- Ziel 5: Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen
- Ziel 6: Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten
- Ziel 7: Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für alle sichern
- Ziel 8: Dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern
- Ziel 9: Eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, breitenwirksame und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen
- Ziel 10: Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern
- Ziel 11: Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten
- Ziel 12: Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen
- Ziel 13: Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen
- Ziel 14: Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen
- Ziel 15: Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodendegradation beenden und umkehren und dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende setzen.
- Ziel 16: Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen
- Ziel 17: Umsetzungsmittel stärken und die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben erfüllen
Kein Hunger, keine Armut, Frieden: Vieles, was für uns selbstverständlich ist, ist es in anderen Ländern eben längst nicht. In Äthiopien würden einige Menschen nie auf die Idee kommen, Wasser zu sparen. Sie wären schon dankbar, wenn sie überhaupt ausreichend sauberes Wasser hätten. Wenn alle Menschen auf der Welt so leben würden wie jene in Deutschland, Schweden oder Japan, bräuchten wir noch mindestens eine weitere Erde. Unser Wohlstand, unsere Möglichkeit jederzeit auf die andere Erdhalbkugel zu jetten, unsere zwei Autos vor dem Einfamilienhaus und unsere Shoppingtouren bei den großen Handelsketten gehen auf Kosten des Planeten und jener Menschen, die in Armut leben.
Gleichwohl oder gerade deswegen lohnt es sich, wenn auch wir darüber nachdenken: Was bedeutet Nachhaltigkeit für uns als Familie? Wie können wir die Welt enkeltauglich hinterlassen? Das fängt bei den oben erwähnten „Sparmaßnahmen“ im Alltag an, geht weiter beim sozialen und politischen Engagement für Umwelt und Frieden, gegen Armut und Hunger. Nicht zuletzt beginnt es damit, wie wir unseren Kindern Nachhaltigkeit vorleben, welchen Stellenwert das Thema bei uns einnimmt und ob und wie wir mit unseren Kindern darüber reden – und wenn sie größer sind, vielleicht auch konstruktiv darüber streiten. Genau dafür wollen wir auf den kommenden Seiten Anregungen geben.
Die UN-Ziele spielerisch erklärt
Auf der Website Go Goals können sich Familien kostenfrei ein Brettspiel zum Ausdrucken herunterladen. Es ist dem bei Kindern beliebten Leiterspiel nachempfunden. Gewonnen hat, wer zuerst das Zielfeld mit der 2030 erreicht hat. Auf dem Weg dahin brauchen Kinder und Eltern Würfelglück und müssen Fragen rund um die Nachhaltigkeitsziele beantworten. Manche der Fragen können schon Vorschulkinder beantworten, bei anderen braucht es die Unterstützung vom Mama, Papa oder älteren Geschwistern.
Den ökologischen Fußabdruck berechnen
Ein erster grober Richtwert dazu, wie nachhaltig jeder von uns lebt oder auch nicht, bietet der CO2-Ausstoß. Es gibt verschiedene Methoden den jährlichen pro-Kopf-Ausstoß umweltschädlicher Emissionen zu berechnen, daher findet man auch verschiedene Statistiken. In einem aber gleichen sie sich. Erstens: Der weltweite CO2-Ausstoß hat in den vergangenen Jahren zugenommen, nicht abgenommen. Viele der reichen Industrienationen haben zwar tatsächlich CO2 eingespart im Vergleich zu 1990. Aber die weniger entwickelten Länder haben aufgeholt. Wohlstand geht immer auch einher mit zusätzlichem Energiehunger und damit CO2-Emissionen. China und Indien, die zwar pro-Kopf noch immer einen vergleichsweise niedrigen Ausstoß haben, gehören durch ihre riesige Bevölkerung zu den größten CO2-Emittenten weltweit. Auch in den Ländern südlich der Sahara lässt sich ein Anstieg der CO2-Emissionen beobachten – allerdings von einem nahezu lächerlich geringen Niveau aus. So stößt ein Mensch in Mali durchschnittlich 50 Kilogramm CO2 pro Jahr aus. In Deutschland sind es 8.500 Kilogramm. Das ist fast die 200-fache Menge! Die Pandemie hat höchstens für eine leichte Delle gesorgt, die sich bereits wieder glättet. Zweitens: Je reicher und besser entwickelt ein Land, desto höher der rechnerische pro-Kopf-Ausstoß an CO2. Wir haben uns die jährlichen Zahlen der EU-Kommission angeschaut, hier die Werte von 2019 – also noch ohne Corona-Einfluss:
Grafik: Jährlicher pro-Kopf CO2-Ausstoß in Tonnen in ausgewählten Ländern 2019, Quelle: EU, Fossil CO2 emissions of all world countries – 2020 Report
Das heißt umgekehrt: Wenn wir allen Menschen auf der Welt einen gewissen Wohlstand zugestehen wollen, dann bleiben uns folgende Möglichkeiten:
1) Wir in der westlichen Welt fahren unseren Lebensstil zurück. Das ist sehr unwahrscheinlich.
2) Die weltweiten CO2-Emissionen werden drastisch steigen. Damit wäre nach einhelliger wissenschaftlicher Meinung das Leben auf der Erde nicht mehr lebenswert.
3) Bleibt uns also nur noch die Möglichkeit, fossile Energieträger Schritt für Schritt, aber doch zügig, durch erneuerbare Energieträger zu ersetzen. Das ist ein Punkt, an dem die Politik gefragt ist und bereits handelt. Was aber können wir im Kleinen tun?
Wer wissen will, wie viel Einsparpotenzial der eigene Lebensstil hat, der kann einen CO2-Rechner zu Rate ziehen. Dort beantwortet man einige Fragen zum persönlichen Alltag, beispielsweise zum Fleischkonsum, zur Nutzung von Auto und Flugzeug, zum Konsumverhalten und zum Energieverbrauch. Am Ende erhält man einen ökologischen Fußabdruck und kann diesen Wert mit dem Durchschnitt in Deutschland aber auch in anderen Ländern vergleichen. Wir haben einige dieser Rechner getestet und sind dabei von einer vierköpfigen Familie, die im Einfamilienhaus lebt, sich vorwiegend bio und regional ernährt, zwei Autos besitzt, davon einen Mittelklasse-Benziner und einen E-Kleinwagen, und in den letzten fünf Jahren zwei Mal in den Urlaub geflogen ist. Beim Strom- und Heizenergieverbrauch haben wir uns ebenfalls an Durchschnittswerten orientiert. Hier der Vergleich:
Umweltbundesamt CO2-Rechner:
Für den Schnellcheck reichen schon sehr wenige Angaben, um innerhalb von 30 Sekunden eine erste persönliche CO2-Bilanz zu erhalten. Da nur wenige Daten abgefragt werden, ist diese Berechnung nicht sehr aussagekräftig. Daher empfehlen wir, auch noch den zweiten Schritt zu machen und die detaillierte CO2-Bilanz auszufüllen, in der u.a. der Strom- und Heizverbrauch abgefragt werden. Dann zeigt sich für unser Beispiel auch schon ein deutlicher Unterschied.
Ergebnis Schnellcheck: 6,68 Tonnen CO2
Ergebnis CO2-Bilanz: 8,7 Tonnen CO2
deutscher Durchschnitt: 10,78 Tonnen
WWF-Klimarechner
Hier sind 35 Fragen zu beantworten, vor allem zu Mobilität, Konsum und Wohnen. Die meisten Antworten weiß man aus dem Kopf, bei einigen muss man eventuell nochmal in den letzten Abrechnungen nachschauen. Am Ende erhält man nicht nur den persönlichen CO2-Ausstoß, sondern auch den in unserem Beispiel etwas frustrierenden Hinweis: „Würde die gesamte Weltbevölkerung so leben, bräuchten wir 2,3 Planeten.“
Ergebnis: 9,74 Tonnen CO2
deutscher Durchschnitt: 12,37 Tonnen
weltweiter Durchschnitt: 6,41 Tonnen
myclimate Fußabdruck-Rechner
Hier kommt man mit nur acht Fragen zur CO2-Bilanz. Die Antwortmöglichkeiten sind stark vereinfacht, individuelle Werte lassen sich nicht eingeben. Daher dient der Rechner nur zur groben Orientierung.
Ergebnis: 9,9 Tonnen CO2
EU-Durchschnitt: 8,4 Tonnen
0,6 Tonnen sollte ein Mensch maximal verbrauchen, um den Klimawandel aufzuhalten
https://co2.myclimate.org/de/footprint_calculators/
Brot-für-die-Welt-Fußabdrucktest
Dieser Rechner ist optisch schön gestaltet und kann auch schon von älteren Kindern und Jugendlichen ausprobiert werden. Hier gilt es 13 Fragen aus den Bereichen Ernährung, Wohnen, Mobilität und Konsum zu beantworten. Als Ergebnis erhält man keinen CO2-Wert, sondern den ökologischen Fußabdruck, berechnet in der Maßeinheit globale Hektar gha. Dieser Wert wurde in den 1990er Jahren entwickelt. Er ist eine Art Buchhaltungssystem für die Umweltressourcen unserer Erde. Auf der Angebotsseite wird gemessen, welche Flächen der Planet hat: Wälder, Felder, Seen, Meere, Wüsten, Weiden, Steppen, Straßen und Städte. Auf der Nachfrageseite wird berechnet wie viel Kapazität die Menschen nutzen. Mit dem Ökologischen Fußabdruck kann man Angebot und Nachfrage vergleichen. Mit dem Ergebnis aus unserem Beispiel bräuchten wir 2,9 Planten.
Ergebnis: 4,6 gha
deutscher Durchschnitt: 4,7 gha
weltweiter Durchschnitt: 2,8 gha
nachhaltig: 1,6 gha
LUBW-Jugendrechner
Diesen CO2-Rechner, der extra für Jugendliche entwickelt wurde, haben wir in Süddeutschland entdeckt. Entwickelt wurde er von der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg. Junge Leute ab etwa zwölf Jahren können hier Fragen zu ihrem Lebensstil beantworten. Es ist der einzige Rechner im Test, der die Lebenswirklichkeit von Jugendlichen zumindest teilweise abdeckt, indem er nach Shoppingtouren, Diskobesuchen und dem Schulweg fragt.
Die meisten der hier vorgestellten Rechner geben zusätzlich zur persönlichen Nachhaltigkeitsbilanz Empfehlungen, was man selbst konkret tun kann, um den ökologischen Fußabdruck weiter zu reduzieren. Zum Teil kann man gleich CO2-Kompensationszertifikate erwerben, wie es mittlerweile für Flugreisen gängig ist. Wie sinnvoll es ist, sich ein grünes Gewissen zu erkaufen, muss dabei jede Familie selbst wissen. Darüber hinaus gibt es noch spezielle Rechner, mit denen man bestimmte Bereiche abfragen kann. Einen guten Überblick über das grüne Level bei Heizung und Strom bekommt man auf www.co2online.de.
Unser Fazit: Auch wenn sehr unterschiedliche Daten abgefragt wurden, lag unsere erdachte Familie immer leicht unter dem deutschen Durchschnitt des jährlichen CO2-Ausstoßes. Und das immerhin trotz zweier Autos und Flugreisen. Das sagt schon viel über unseren Lebensstil und unseren Lebensstandard aus. Besonders deutlich wird das, wenn wir diese Werte mit den internationalen Durchschnittswerten vergleichen oder wie es zwei der Rechner formuliert haben: Würden alle Menschen auf der Erde so leben wie diese Familie, dann bräuchten wir noch ein bis zwei weitere Planeten. Wir verbrauchen einfach mehr Ressourcen, als uns die Natur zur Verfügung stellt.
Mit Kindern über Nachhaltigkeit reden
Wer sich das bewusst macht, kann leichter und realistischer darüber nachdenken, ob und wie er oder sie selbst nachhaltiger leben will. Gerade für Eltern ist das eine zentrale Frage. Denn unser Alltag hat Einfluss darauf, wie wir die Erde unseren Kindern hinterlassen. Sie sind die erste Generation, die im ständigen Bewusstsein des Klimawandels aufwächst. In Medien, Schulen und öffentlichen Diskussionen ist das Thema gefühlt dauerpräsent. Insofern kommen Eltern gar nicht umhin, auch zu Hause über das Thema zu reden. Das beginnt im Kleinkindalter damit, dass wir unseren Kindern erklären, warum wir Obst und Gemüse lieber auf dem Wochenmarkt als beim Discounter kaufen, warum wir das Licht ausschalten, wenn wir das Zimmer verlassen und warum wir das Fahrrad anstelle des Autos nehmen, warum wir Holzspielzeug bevorzugen. Je jünger die Kinder sind, desto einfacher sollten die Erklärungen sein. Dazu gehört es auch, Kindern altersgerecht Zusammenhänge und Hintergründe aufzuzeigen. Woher kommt das Schnitzel auf dem Teller? Was ist der Unterschied zwischen grünem Strom und fossiler Energie? Warum ist Autofahren schlecht für die Umwelt? Kindern im Kitaalter könnte man sagen: Die Abgase, die hinten aus dem Auto herauskommen, machen die Luft schmutzig und die schmutzige Luft wiederum macht Vögel, Bäume und Blumen krank. Im Schulalter kann man dann auch schon über CO2 und andere Emissionen reden und den Treibhauseffekt erklären.
Kleine Kinder finden alles spannend, was krabbelt und kriecht, flattert und fliegt, sie schnuppern an Blumen, sammeln Steine und Äste. Diese Begeisterung für die Natur kann man aufgreifen, viel Zeit mit ihnen draußen verbringen und so ein Bewusstsein für Umwelt und Natur schaffen. Wer Tiere und Pflanzen schon früh schätzen lernt, der wird später eher bereit sein, sie zu schützen.
Eltern können also in den ersten Lebensjahren einen Grundstein legen für Umweltbewusstsein. Wichtig dabei ist: Das sollte mehr oder weniger nebenbei passieren und nicht mit dem erhobenen Zeigefinger. Kinder sollten nicht den Eindruck bekommen, alles Schöne wäre verboten. Genauso wenig sollte man Panik schüren, indem man ihnen mit Horrorszenarien erläuert, was alles passieren könnte, wenn wir nicht nachhaltiger leben. Eltern sind also gut beraten, wenn sie einen vernunftgeleiteten Mix aus Umweltaufklärung und grünem Wegweiser bieten.
Vorbild sein
Fast noch wichtiger oder zumindest effektiver als das Reden, ist das Vorleben. Denn machen wir uns nichts vor: Es ist wenig überzeugend, den Kindern ein grünes Gewissen zu predigen, aber jedes Jahr ans Mittelmeer zu fliegen und die Kids täglich mit dem Elterntaxi zur Schule und zur Musikschule zu chauffieren.
Daher sollte zunächst jede Familie für sich schauen: Worauf können wir verzichten? Vielleicht auf das zweite Auto oder sogar komplett aufs Auto? Was brauchen wir unbedingt? Das hängt nicht zuletzt von den persönlichen Lebensumständen ab. Wer sehr ländlich wohnt, wird kaum ohne Auto zurechtkommen. Jüngere Kinder orientieren sich stark an den Eltern: Was sie vorleben, wird verinnerlicht und als selbstverständlich genommen. Kinder im Kita- und Grundschulalter kann man noch gut über Mitmach-Aktionen für die Themen Umwelt und Nachhaltigkeit begeistern. Das können kleine Forschungsprojekte sein, Experimente oder Familien-Challenges.
Auf die Fensterbank statt in den Mülleimer: Mit buntem Klebeband wird ein leerer Quarkbecher zum Kräutertopf.
Hier ein paar Ideen, die passend zu den Interessen der Kinder abgewandelt werden können:
Basteln statt entsorgen: Lassen Sie die Kinder für vier Wochen Dinge sammeln, die sonst im Müll landen würden, die man säubern und weiterverwenden kann, z.B. Jogurt-Becher, die kleinen gelben Ü-Eier, Cremedosen, Klopapierrolle. Wenn genug zusammengekommen ist, können die Kinder daraus etwas basteln – sei es ein Müllmonster oder Puppenhaus in Miniaturformat.
Müll-Sammel-Challenge: Jedes Familienmitglied bekommt eine kleine Tüte. Gemeinsam geht es in den Stadtpark oder ins Wohngebiet: Wer hat zuerst seine Tüte mit herumliegenden Müll gefüllt. Bitte Einweg-Handschuhe nicht vergessen.
Plastikfrei einkaufen: Wie lange schaffen wir es, beim Einkaufen auf Plastik zu verzichten? Die Kinder können mithelfen, in dem sie nach Alternativen suchen, wie der Zahnbürste aus Bambus oder den losen Äpfeln.
Insekten ein Zuhause geben: Bauen Sie mit Ihren Kindern ein kleines Insektenhotel aus leeren Dosen und Bambusstäben. Im Internet gibt es einfache Anleitungen. Wer handwerklich nicht so geduldig ist, kann auch ein fertiges Hotel kaufen und im Garten oder Park aufhängen. Dann besucht man es alle vier Wochen und beobachtet, wer sich dort so tummelt, welche Zimmer schon bewohnt sind.
Blühstreifen anlegen: Bienen, Hummeln und andere Insekten lieben Blüten. Säen Sie im Frühjahr mit Ihren Kindern eine heimische Wildblütenmischung aus, entweder auf einem Wiesenstreifen oder in einem Kasten oder Blumentopf auf dem Balkon oder der Fensterbank. Den Sommer über können Sie dann gemeinsam beobachten und bestimmen, wer sich an dem Bienenbuffet bedient.
Nachhaltig fasten: Aschermittwoch fällt in diesem Jahr auf den 2. März und damit auch der Beginn der Fastenzeit. Verzichten Sie doch dieses Jahr mal auf Dinge, die der Umwelt schaden: Denkbar sind Plastikfasten (sechs Wochen keine Produkte mit Kunststoff kaufen), Palmölfasten oder eine vegane Fastenzeit. Auch spannend: Sechs Wochen keine Lebensmittel wegwerfen.
Wasserhahn abstellen: Auch wenn in den zurückliegenden Dürresommern das Wasser an einigen Stellen knapp wurde, so gilt Deutschland noch immer als wasserreiches Land. Während in einigen Ländern die Menschen kilometerweit laufen müssen für sauberes Wasser, haben wir es ständig und überall zur Verfügung. Damit Kinder eine Ahnung bekommen, was Wasserknappheit bedeutet, benutzen Sie bei dieser Challenge für einen Tag nur einen einzigen Wasserhahn in der Wohnung bzw. im Haus. Alle anderen sind tabu. Das heißt dann vielleicht, dass man zum Händewaschen nach dem Toilettengang in die Küche gehen muss. Oder beim Kochen Wasser im Bad holen muss. Und statt zu duschen gibt es nur eine Katzenwäsche. Am nächsten Tag sollte man über das Erlebte reden.
Wie lange verrottet eine Bananenschale: Was wir täglich wegwerfen, landet in der Regel in der Mülltonne und später im Recycling oder in der Verbrennung. Was aber passiert mit dem vielen Müll, der in der Natur landet. Finden Sie es in diesem Experiment heraus. Dazu wählen Sie mit Ihren Kindern drei bis fünf Dinge aus, die sie in einem Blumentopf oder -kasten mit Erde vergraben. Das können Bonbonfolie, Bananenschale, Kaffeefilter, Zigarettenstummel, Bierdeckel oder ein Stück Papier sein. Die Kinder graben je ein kleines Stück davon etwa 5 bis 10 Zentimeter tief, beschriften die Stelle und schauen dann ein Mal pro Woche nach, wie der Gegenstand aussieht. Ist er bereits kleiner geworden, hat er angefangen sich zu zersetzen? Nach jeder Beobachtung machen die Kinder eine Notiz und vergraben das Stück wieder. Nach acht bis zwölf Wochen kann man Bilanz ziehen und den nicht verrotteten Müll regulär entsorgen.
Zugluft-Detektive: Im Winter gibt es im Haus kuschlig warme Ecken, aber auch kühle. Lassen die Kinder zunächst raten, wo es in der Wohnung besonders warm ist und wo die Heizung nicht hinkommt. Im zweiten Schritt binden Sie eine leichte Feder an ein Stück Garn und lassen die Kinder aufspüren, wo im Haus Zugluft durch die Ritzen kommt oder auch, wo die Heizung so stark aufgedreht ist, dass die heiße Luft die Feder tanzen lässt. Überlegen Sie dann gemeinsam, was sie dagegen machen können. Eine Lösung kann sein, eine Decke vor die Tür zu legen.
Papier als Wärmespeicher: Warum sind Häuser in Griechenland meistens weiß? Warum sind Solaranlagen dunkel? Mit diesem einfachen Experiment können Sie Ihren Kinder vermitteln, wie helle Farben Wärme reflektieren und dunkle Farben Wärme absorbieren. Dazu suchen sich die Kinder fünf verschiedene farbige Blätter Bastelpapier und legen sie in die Sonne. Nach etwa 15 Minuten können sie fühlen und erzählen, welches Papier sich wie warm anfühlt. In einem zweiten Schritt können die Kinder zwei leere Flaschen bekleben: eine mit weißem Papier, eine mit schwarzem Papier. Dann beide Flaschen mit Wasser füllen und nach wieder etwa 15 Minuten vergleichen die Kinder, in welcher Flasche das Wasser wärmer ist.
Ganz so nah wird man Blaumeise und Co. bei der Nabu-Vogelzählung nicht kommen, für die Kinder ist es trotzdem ein Erlebnis. Foto: Rita Priemer
Klopapier-Reißprobe: Immer wieder verstopfen Feuchttücher die Abwasserrohre, weil eben nicht nur Toilettenpapier im WC landet. Mit einem einfachen Reißtest können Sie dem Nachwuchs veranschaulichen, warum Feuchttücher nur in den Restmüll gehören. Lassen Sie die Kinder vier bis fünf verschiedene Sorten Papier in der Wohnung suchen, z.B. Klopapier, Küchenrolle, Feuchttücher, Taschentücher, Schreibpapier. Weichen Sie das Papier für etwa drei Minuten in kaltem Wasser ein und machen Sie dann die Reißprobe: Welches Papier ist schon stark aufgeweicht und lässt sich gut zerreißen, welches dagegen nicht?
Autofrei-Challenge: Wie viele Tage schaffen wir als Familie es, komplett auf das Auto zu verzichten? Das gilt für alle Wege: Zu Kita und Schule, zur Arbeit und zum Verein, zum Einkaufen und zur besten Freundin. Diese Challenge ist im Frühjahr und Sommer leichter umzusetzen. Reden Sie anschließend darüber, was gut war, was vielleicht schwierig war. Vielleicht könnte ein langfristiges Ziel sein, einen autofreien Tag pro Woche oder eine autofreie Woche pro Monat umzusetzen.
Vögel zählen: Zwei Mal im Jahr, im Sommer und im Winter, ruft der Nabu zur Vogelzählung auf. Da kann wirklich jeder mitmachen, ganz ohne ornithologische Vorkenntnisse. Einfach für eine Stunden in den Garten oder Park setzen und bekannte Vögel zählen. Die genaue Beschreibung und eine Bilderliste mit den gängigsten heimischen Vogelarten findet sich auf der Nabu-Homepage.
Im Gespräch bleiben
Schwierig könnte es werden, wenn die Kinder dem Grundschulalter entwachsen. Der Einfluss von Mitschülern und Freunden wird wichtiger, Eltern müssen hinten anstehen. Da kann es dann durchaus passieren, dass die bisher mitgetragenen grünen Familienregeln in Frage gestellt werden. Die Kinder, die bisher ohne Murren second-hand-Kleidung getragen haben, bestehen jetzt auf neue Marken-Sneaker. Sie wollen unbedingt ein eigenes Moped, damit sie nicht mehr auf den Bus angewiesen sind. Vielleicht passiert aber auch das Gegenteil. Die Jugendlichen wollen sich nur noch vegan ernähren und erwarten, dass in der Familienküche darauf Rücksicht genommen wird. Sie weigern sich, für den Sommerurlaub den Flieger zu nehmen. Ein paar Anregungen, wie man mit Kindern über solche Themen im Gespräch bleibt, gibt der Umweltpsychologe Gerhard Reese im Anschluss an diesen Beitrag. Wichtig ist es, auf die Argumente der jungen Erwachsenen einzugehen, sachlich seinen eigenen Standpunkt darzulegen und einen Kompromiss zu suchen, den alle Familienmitglieder mittragen können.
Fridays for Future-Aktivisten gehen seit drei Jahren für mehr Klimaschutz auf die Straße, hier beim Klimastreik 2019 in Berlin.
Nachhaltiges Engagement
Nachhaltigkeit zu Hause im Alltag zu leben, ist ein erster Schritt. Mit Blick auf die Weltbevölkerung und den Anteil, den Einzelne haben, ist es zwar ein wichtiger, aber eben nur ein kleiner Schritt. Wer mehr bewirken will, der kann das über ehrenamtliches Engagement. Möglichkeiten gibt es derer viele – auch schon für kleine Kinder.
Erste Adresse sind Naturschutzvereine, zu den bekanntesten gehören der NABU und der BUND, die in vielen auch kleineren Städten Regionalgruppen haben, teils extra Kinder- und Jugendgruppen. Zum Engagement gehören in der Regel Arbeitseinsätze in der Natur, wie der Bau und das Aufhängen von Nisthilfen und Insektenhotels, das Zählen von Insektenarten oder die Pflege von Biotopen.
In Sachsen können sich ältere Kinder im Grundschulalter bei den Jungen Naturwächtern engagieren. Mit dem Programm sollen Kinder und Jugendliche für den Naturschutz begeistert werden. Sie beobachten die Natur, informieren über sie und sind wichtiger Teil des Naturschutzes in Sachsen. So unterstützen die Naturschutzhelfer beispielsweise bei Kartierungsaufgaben oder übernehmen die Betreuung für besondere Schutzgebiete. In der Regel sind die Gruppen an eine feste Grundschule angebunden. In Brandenburg gibt es die Naturfreundejugend. Auch hier geht es darum, der jungen Generation Wissen über die Natur und einen sorgsamen Umgang mit ihr nahe zu bringen. Als Mitglied hilft man beim Organisieren von Seminaren und Freizeiten.
Spätestens mit Fridays for Future ist auch politisches Engagement wieder en vogue. Regelmäßig geht die junge Generation dafür auf die Straße und übt Druck auf die Politik aus. Ihr Ziel: Die Politik soll schnell und konsequent handeln, um das 1,5-Grad Ziel noch zu erreichen. Zu den konkreten Forderungen an die Bundespolitik gehören unter anderem verbindliche CO2-Reduktionsmaßnahmen, der Kohleausstieg bis 2030 und der Erdgasausstieg bis 2035 sowie ein Ende der Subventionen für fossile Energieträger. Stattdessen fordern sie einen Ausbau der erneuerbaren Energieträger. FfF-Regionalgruppen in der Lausitz gibt es in Cottbus, Senftenberg, Finsterwalde, Bautzen, Görlitz und Zittau. Die Kontaktdaten finden man auf der FfF-Homepage. Der nächste große Klimastreik, an dem sich FfF-Gruppen weltweit beteiligen, ist am 25. März.
Familien, deren Zeitbudget kein wöchentliches Engagement in Vereinen oder auf der Straße zulässt, können sich sporadisch an konkreten Aktionen für Naturschutz und Nachhaltigkeit beteiligen. Das können Baumpflanzaktionen oder Müllsammel-Aktionen vor Ort sein, aber auch der Frühjahrsputz in Kita, Schule oder im Zoo. Hier gibt es viele niedrigschwellige Angebote, die auch im Kleinen und mit überschaubarem Aufwand etwas bewirken können.
Wenn die Kita oder Schule zum Haus der kleinen Forscher wird: Durch das Erforschen ihrer Umwelt lernen Kinder, wie sich ihr Handeln auf Mensch und Natur auswirken kann und werden für einen nachhaltigen Umgang sensibilisiert. Foto: Christoph Wehrer/ Stiftung Haus der kleinen Forscher
Grüne Bildung
Auch vor Kita und Schule macht das Thema Nachhaltigkeit nicht halt. Grüne Kitas oder ein reguläres Schulfach Nachhaltigkeit gibt es noch nicht. Aber viele Einrichtungen setzen grüne Themen in Projekten um oder planen Wandertage dazu. In Waldkindergärten spielt die Natur eine zentrale Rolle. Je nach Konzept verbringen die Kinder den kompletten Tag oder zumindest große Teile davon draußen. Sie beschäftigen sich mit der sie umgebenden Natur, mit ihren Tieren und Pflanzen.
Ein weiteres Konzept, dass Themen wie Energie, Wasser und Nachhaltigkeit spielerisch vermittelt, ist das „Haus der kleinen Forscher“. Die Stiftung engagiert sich bundesweit für frühkindliche Bildung in den MINT-Fächern, Kitas können sich zertifizieren lassen. Erzieherinnen werden so qualifiziert, dass sie über Experimente schon bei den Kleinsten Interesse an den Naturwissenschaften wecken. Einige der oben vorgestellten Challenges und Experimente haben wir auf der Homepage der Initiative entdeckt.
In der Schule wird das Spielen und Lernen weitgehend in den Klassenraum verlagert. Ein Schulfach Nachhaltigkeit gibt es nicht. Umweltthemen werden in der Grundschule im Sachunterricht behandelt, außerdem bieten viele Grundschulen das Fach Schulgarten an. Abgesehen davon spielen Erlebnisse in der Natur dann in der Regel nur bei Exkursionen und Projekttagen eine Rolle. Wenn Eltern oder Kinder Anregungen dafür geben wollen, werden sie bei Waldschulen bzw. Waldschulheimen (u.a. in Lübben, Müllrose, Lebusa, Senftenberg, Jänschwalde, Domsdorf und Niesky) fündig. In Cottbus bietet das Pädagogisches Zentrum für Natur und Umwelt vielfältige Aktionen und Materialien an.
Der Nabu Brandenburg bildet derzeit ehrenamtliche Naturtrainer für Kitas und Grundschulen aus. In Schulungen lernen sie die Natur aus den verschiedenen Blickwinkeln der Umweltbildung, Natur- und Erlebnispädagogik kennen. Die Themen reichen vom Erleben der Jahreszeiten zur Arbeit mit den Elementen Wasser oder Boden, von Tieren und Pflanzen, von gesunder Ernährung bis zum Basteln und Werkeln mit Naturmaterialien. Da das Projekt erstmalig in Brandenburg umgesetzt wird, können sich interessierte Kitas und Grundschulen, die ausgebildete Naturtrainer in ihrer Einrichtung einsetzen wollen, beim Nabu melden.
Der Nationale Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung des Bundesbildungsministeriums fördert passende Bildungsangebote in den Ländern. Anregungen und Unterrichtsmaterialien findet man auf der Website www.bne-portal.de.
Für Sachsen können wir einen Blick auf die Homepage www.bne-sachsen.de empfehlen. Nicht ganz so schön aufbereitet, aber doch einen ersten Überblick für Brandenburger Angebote gibt es unter www.bne-in-brandenburg.de.
Wer sich nach der Schule intensiver mit diesen Themen beschäftigen möchte, findet mittlerweile eine Vielzahl an Studiengängen dazu. Da auch für Unternehmen Nachhaltigkeit immer wichtiger wird, ergeben sich für Berufsanfänger ganz neue Berufsbilder.
Lieber zu Fuß statt im Elterntaxi: Kinder auf dem Weg zu Schule und Kita.
Nachhaltigkeit im Alltag
Wenngleich wir gezeigt haben, dass jede und jeder einzelne von uns nur einen sehr kleinen Beitrag für Umweltschutz und Nachhaltigkeit leisten kann, so sollte man dennoch mit genau diesen kleinen Schritten anfangen. Getreu dem Motto „Everyday for Future“ können wir die Welt für unsere Kinder gemeinsam mit ihnen jeden Tag ein klitzekleines bisschen besser machen. Wir geben einen ersten Überblick über die zentralen Bereiche, in denen sich Nachhaltigkeit umsetzen lässt.
Mobilität & Reisen: Dieser Bereich umfasst einerseits die alltäglichen Wege zu Kita, Schule, Arbeit, Hobby, Freunden, zum Arzt und zum Einkaufen. Dazu gehört auch die Frage: Wie kommen wir in den Urlaub? Während es im Alltag durchaus leicht ist, das Auto stehen zu lassen und stattdessen das Fahrrad zu nehmen oder zu Fuß zu gehen, reisen die meisten Familien eben doch mit dem Auto oder dem Flugzeug in den Sommerurlaub. Mit Blick auf das Gepäck, das man mit zwei oder mehr Kindern einpacken muss, ist das durchaus nachvollziehbar. Vielleicht ist es also hier sinnvoll und einfacher, zunächst bei der Alltagsmobilität anzusetzen.
Garten: Das eigene grüne Paradies kann für Familien ein echter Segen sein. Kinder, die mit einem Garten aufwachsen, sind viel an der frischen Luft, begeistern sich für Pflanzen und Tiere. Wenn sie Obst und Gemüse selbst aussäen, pflegen und ernten können, dann sehen sie zum einen, wie viel Zeit und Aufwand es braucht, bis aus einem Samenkorn ein Apfel oder eine Tomate wird. Sie lernen Nahrung als das wertzuschätzen, was sie ist: ein Lebens-Mittel. Noch ein angenehmer Nebeneffekt: Wer seine Möhren und Radieschen selbst groß gezogen hat, der wird weniger mäkeln. Tipps rund um naturnahes Gärtnern mit Kindern haben wir in der lausebande-Ausgabe April 2019 zusammengestellt.
Freizeit & Spielen: Unter diesem Stichwort lassen sich all jene Aktivitäten zusammenfassen, die abseits von Garten und Urlaub sowie Schule und Arbeit das Familienleben ausmachen. Wo verbringen wir die Wochenenden? Welche Ausflüge machen wir? Sind wir viel draußen wandern und die Umgebung erkunden oder fahren wir lieber in Freizeitparks und Museen? Gibt es nachhaltige und weniger nachhaltige Hobbys? Aber auch: Welches Spielzeug kaufen wir, wieviel Spielzeug brauchen Kinder überhaupt. Ist Holz wirklich nachhaltiger als Plastik?
Ernährung: Das ist einer der Bereiche, wo Familien relativ schnell relativ viel ändern können, wenn sie nicht schon vegan leben. Der Konsum tierischer Lebensmittel – und dazu gehören nicht nur die Wiener und die Fischstäbchen, sondern auch das Glas Milch, das Frühstücksei und die Käseschnitte – hat einen ziemlich hohen Anteil am ökologischen Fußabdruck. Glaubt man Umfragen, ist die Zahl der Menschen, die sich konsequent vegetarisch oder vegan ernähren, noch immer sehr gering.
Teilen statt kaufen: Mit der Diskussion um Nachhaltigkeit hat dieser Trend stark zugenommen: Wir leihen uns Dinge statt sie zu besitzen. Dazu gehören Car-Sharing-Konzepte und Mitfahrzentralen ebenso wie E-Scooter zum Leihen. Auch wer sich in der örtlichen Bibliothek anmeldet und Bücher und DVDs ausleiht statt sie zu kaufen, spart Ressourcen. Wer den Gedanken weiter denkt, der kann auch auf größere und selten genutzte Geräte wie Bohrmaschine oder Entsafter verzichten und diese stattdessen von Freunden oder Nachbarn ausleihen.
Einkaufen: Konsum und Nachhaltigkeit scheinen ein Widerspruch in sich. Denn der Kauf neuer Dinge verbraucht Ressourcen. Daher können Familien ihr Einkaufsverhalten zumindest überdenken. Das fängt bei der Frage an, ob man wirklich alles neu kaufen muss oder ob nicht auch gebrauchte Möbel, Kleidung und Spielsachen ausreichen. Die haben sogar den Vorteil, dass mögliche Schadstoffe bereits ausgewaschen oder ausgedünstet sind. Weitere Schritte sind der Umstieg auf verpackungsarme Kosmetik wie Zahncremetabs oder festes Shampoo, der Kauf von Bioprodukten sowie regionalen und saisonalen Lebensmitteln.
Müll vermeiden: Der erste Schritt dazu ist, weniger zu kaufen. Was doch gekauft werden muss, hat möglichst wenig Verpackung. Einige Städte bieten mittlerweile Unverpackt-Läden an, in der Lausitz beispielsweise Cottbus und Görlitz. Wer in die Bäckerei oder Fleischerei geht, kann seinen eigenen Behälter mitbringen. Noch ein Aspekt, der uns in den letzten Jahren abhanden gekommen ist: Dinge reparieren statt sie zu entsorgen. Das beginnt beim Loch in der Hose und endet beim kaputten Smartphone. Wo dennoch Müll entsteht, ist Recycling die bessere Wahl. Das heißt praktisch: Möglichst viel Müll in den gelben Sack geben, Altglas und Altpapier ebenso wie Elektroschrott gehören in den Wertstoffcontainer. Wer einen Kompost hat, kann diesen für Biomüll nutzen.
Wohnen und Energie: Dieser Bereich umfasst viele Aspekte: den Hausputz, der auch ohne Chemiereiniger aus der Drogerie funktioniert; das Sparen von Strom, Wasser und Energie; das Einrichten und Renovieren der Wohnung und nicht zuletzt den Hausbau. Einen ausführlichen Ratgeber zum Energiesparen finden Familien im lausebande-Archiv Ausgabe Februar 2022.
Geldanlage: In Zeiten von Dauerniedrigzinsen, sind alternative Geldanlagen zum klassischen Sparbuch sehr gefragt. Immer größer wird dabei der Marktanteil von nachhaltigen Geldanlagen. Diese grünen Investments versprechen neben Rendite auch ein grünes Gewissen. Da der Markt hier immer begehrter ist, wird er zunehmend unübersichtlicher, einheitliche Kriterien und Siegel fehlen noch, so dass es wichtig ist, sich vorab gründlich zu informieren.
Ausblick auf die Aprilausgabe
Dieser Einblick zeigt erstens: Einfache Antworten, wie Familien nachhaltiger leben können, gibt es nicht. Was für eine Familie machbar und umsetzbar ist, kann ganz verschieden sein. Verbote und Verzicht sind immer schwierig und können die Lust an der Nachhaltigkeit nachhaltig trüben. Daher sind Kompromisse vielleicht der bessere Weg. Was dieser Überblick ebenfalls zeigt: Nachhaltigkeit ist ein unglaublich komplexes und vielschichtiges Thema. Daher werden wir das Thema in der Aprilausgabe der lausebande erneut aufgreifen. Dann werden wir einige der eben vorgestellten Bereiche vertiefen und Familien konkrete Tipps geben, die schnell und unkompliziert umzusetzen sind und solche, die etwas für fortgeschrittene Umweltschützer sind.
Noch mehr entdecken
Wer jetzt Lust bekommen hat auf mehr Nachhaltigkeit im Alltag, für den haben wir eine kleine Auswahl an Büchern, Spielen, Blogs, Apps und Podcasts zusammengestellt, die besonders für Familien geeignet sind.
Familienblog www.gruenesfamilienleben.de: Seit 2018 bloggen Jani und Freddi über die Themen Nachhaltigkeit und Minimalismus und geben Tipps, wie man sie mit Kindern praktisch umsetzt. Sie versuchen sich beispielweise regelmäßig in Nachhaltigkeits-Challenges und berichten über ihre Erfolge und Hürden. In dem Blog findet man vor allem vegane Rezepte und Tipps zum Gärtnern.
Buch „Wieviel wärmer ist 1 Grad?“: Wird es wirklich immer wärmer? Kann man ein Grad Unterschied überhaupt spüren? Mit anschaulichen Bildern und kurzen Texten werden Kindern (und Eltern) Themen wie Klimazonen und Treibhauseffekt erklärt. Außerdem gibt es Anregungen, die sich im Alltag umsetzen lassen.
Buch „So viel Müll!!“: Wie lange dauert es, bis ein Plastikstrohhalm verrottet? Wo landet der Müll aus unserer Mülltonne? Das Buch beantwortet dieses und weitere Fragen mit tollen, farbenfrohen Grafiken und Illustrationen. Für kleinere Kinder zum Vorlesen, ältere Kinder können selber darin blättern. Auch hier gibt es zum Schluss Tipps, wie der Nachwuchs selbst gegen Umweltverschmutzung aktiv werden kann.
Wissenssendung Erde an Zukunft: Die Kika-Sendung wagt in jeder Folge den Blick in die Zukunft: Wie könnte die Welt von morgen aussehen? Häufig geht es dabei um Nachhaltigkeitsthemen: Plastikfreie Zukunft, Rohstoffe aus der Tiefsee, Atommüll endlich sicher?, Ackerbau ohne Chemiekeule. Die Sendungen sind mit gut zehn Minuten recht kurzweilig.
Podcast Besser Leben: In dem Podcast von BR1 gehen die Moderatorin Melitta Varlam und „Umweltkommissar“ Alexander Dallmus wöchentlich der Nachhaltigkeit auf den Grund. Zuletzt ging es um Teelichter, Klopapier und Kaffeekapseln als Umweltsünder und um mögliche Alternativen. Beantwortet werden Fragen wie: Ist der Ketchup aus der Plastik- oder aus der Glasflasche nachhaltiger? Sind Tetrapaks oder Glasflaschen für die Ökobilanz besser? Die Antworten sind teils überraschend.
Planet A – Das nachhaltige Kartenspiel: Hier können Kinder ab etwa 8 Jahren als Umwelthelden Aufgaben und Herausforderungen bewältigen und dabei viel über nachhaltigen Lebensstil lernen. Beispielsweise müssen sie Ideen sammeln, wie sich Plastik einsparen lässt. Durch das spielerische Lernen können Anregungen quasi nebenbei mitgenommen und im realen Leben ausprobiert und umgesetzt werden.
Tatort Meer – Das Umwelt-Krimispiel: Hier müssen die Spielenden einen Kriminalfall lösen, der sich an realen Vorfällen orientiert. Vogelwartin Smilla verschwindet von einer Vogelinsel, nachdem sie angefangen hat, zu Umweltsünden zu recherchieren. Anhand von Hinweisen und Spuren gilt es das Verschwinden aufzuklären. Empfohlen ist das Spiel ab 14 Jahren. Wenn die Eltern oder große Geschwister unterstützen, können auch jüngere Umweltdetektive ermitteln.
App Nachhaltiger Shaun: Hier können Kinder dem etwas trägen aber beliebten Comic-Held Shaun das Schaf dabei helfen, nachhaltige Gemeinden für Streuner zu bauen! Das Spiel führt durch bekannte europäische Hauptstädte.
App Energie-Führerschein: Diese Lern-App für ältere Kinder etwa ab Klasse drei verbindet Quizfragen mit der Gestaltung einer eigenen Insel. Desto mehr Fragen rund um Nachhaltigkeit und Energiesparen die Kinder richtig beantworten können, desto lebenswerter wird ihre Insel. Am Ende winkt der Energie-Führerschein. Da die App in Österreich entwickelt wurde, nehmen einige Fragen speziell auf das Land Bezug.
Spielen & Rätseln mit Bauer Hubert: Auf der Website www.bauerhubert.de des Bundeslandwirtschaftsministeriums finden Kinder Comics, Rätsel, Spiele und Geschichten rund um nachwachsende Rohstoffe. Puzzle, Suchbilder und Memorys sind dabei, aber auch eine Online-Schnitzeljagd. Durch die große Auswahl an Spielen eignet sich die Homepage bereits für Kitakinder.
Kinderseite Wilder Wind: Die Homepage www.wilderwind.at versammelt Spiele, Rätsel und Experimente für Kinder – immer zu den Themen Wind und Windenergie. Witze und Scherzfragen und ein nicht ganz ernst gemeintes Windhoroskop lassen auch Eltern schmunzeln. Außerdem informiert die von einem Windenergieverband in Österreich herausgegebene Seite kindgerecht zu Energie- und Klimathemen.
Onlinemagazin ÖkoLeo: Das Portal des Hessischen Umweltministeriums informiert Kinder und Jugendliche in Videos, Podcasts und kurzen Texten über Umwelt- und Naturthemen. Selber aktiv werden können Kinder mit den Basteltipps, Rezepten, Experimenten und kleinen Forschungsaufträgen.
Ideen für Energiesparer
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Ein Ratgeber rund um Wohnen und Energie
Die Post, die Familien in den zurückliegenden Wochen von ihren Energieversorgern erreicht hat, dürfte in den meisten Fällen wenig erfreulich gewesen sein. Der Anstieg der Strom- und Gaspreise, der im Herbst vergangenen Jahres eingesetzt hat, ist nun auch bei den Versorgern angekommen. Sie geben die Preiserhöhungen an die Kunden weiter. Nach Angaben von strom-report.de haben die Versorger Preiserhöhungen von durchschnittlich 68 Prozent angekündigt. Das dürfte sich in deutlich höheren Abschlägen bemerkbar machen.
Derzeit liegt der Strompreis in Deutschland bei etwa 32 Cent pro Kilowattstunde. Das ist doppelt so viel wie noch vor 20 Jahren. Damit gehört Deutschland weltweit noch immer zu den Ländern mit den höchsten Preisen. In den meisten europäischen Nachbarländern zahlen Haushalte etwa zehn Cent weniger. Auch die Gaspreise sind zuletzt deutlich gestiegen. Die Gründe dafür sind vielschichtig, was schon daran liegt, dass sich die Preise für Strom und Gas aus mehreren Komponenten zusammensetzen – so macht die Beschaffung am Strommarkt vom Endpreis nur ein Viertel aus. Der Rest sind Steuern, Umlagen und Netzentgelte.
Hier ein Überblick über die wichtigsten Faktoren für die aktuell hohen Energiepreise:
Steigende Nachfrage: Mit der Erholung der Weltwirtschaft nach den langen Lockdowns zieht auch die Nachfrage nach Strom und Gas wieder an. Eine erhöhte Nachfrage führt zu höheren Preisen.
Dunkelflaute: Der nasskühle Sommer und der dann folgende Winter mit wenig Wind haben für eine geringere Stromproduktion aus erneuerbaren Energien im Vergleich zu den Vormonaten gesorgt. Erschwerend hinzu kommt der stockende Ausbau von Windkraft- und Photovoltaikanlagen. Immerhin hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck einen deutlich beschleunigten Ausbau versprochen.
Abgaben: In Deutschland haben Steuern, Entgelte und Umlagen einen hohen Anteil an den Energiepreisen. Die CO2-Abgabe verteuert fossile Energieträger wie Erdgas und Erdöl. Zudem haben die vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland eine Preiserhöhung für dieses Jahr angekündigt. Allerdings fällt die Erhöhung bei dem für Sachsen und Brandenburg zuständigen Betreiber 50Hertz mit drei Prozent relativ gering aus. Dafür wird die EEG-Umlage weiter sinken, in diesem Jahr von 6,5 auf 3,72 Cent pro Kilowattstunde, bis sie ab 2023 ganz wegfallen soll.
Geopolitik: Politische Entscheidungen in den Erdgasförderländern haben Einfluss auf die zur Verfügung stehende Gasmenge und damit auf die Preise. Eine schnelle Inbetriebnahme der Ostseepipeline Nord Stream II könnte die angespannte Lage auf dem europäischen Gasmarkt kurzfristig entspannen. Das ist aber derzeit nicht in Sicht.
Wer es genauer wissen möchte, dem empfehlen wir einen Blick in das lausebande-Archiv. Die Gründe für die turbulenten Entwicklungen am Energiemarkt haben wir in der Novemberausgabe 2021 ausführlich erläutert: zum Beitrag.
Die CO2-Abgabe wird die Kosten für das Heizen in den kommenden Jahren weiter steigen lassen. Grafik: www.heizspiegel.de
Wie die Preisentwicklung weiter geht, ist derzeit unsicher. Einige Fachleute rechnen mit einer Entspannung am Energiemarkt bis spätestens Mitte 2022, andere erwarten weiter steigende Preise. Die tatsächliche Entwicklung hängt davon ab, wie es bei den eingangs genannten Faktoren weitergeht. Wie schnell wird die Gasleitung Nord Stream II in Betrieb gehen? Wie viel Strom können Wind und Sonne in den kommenden Monaten liefern? Wird der Energiehunger der Weltwirtschaft anhalten oder stabilisiert sich die Nachfrage bald auf dem vor-Corona-Niveau?
Regionale Versorger für lokale Wertschöpfung und langfristige Sicherheit
Eines haben die aktuellen Verwerfungen am Energiemarkt schon jetzt gezeigt. Die vermeintlichen Billiganbieter für Strom und Gas können deren Kunden im Zweifelsfall viel Geld und Ärger kosten. Tausende Haushalte haben in den zurückliegenden Wochen die Kündigung ihres Strom- oder Gasanbieters erhalten und sind in die Ersatzversorgung durch die Grundversorger vor Ort gefallen – teilweise zu deutlich höheren Tarifen als die „Stammkundschaft“. Der Grund ist nachvollziehbar: Die Grundversorger kaufen Strom und Gas langfristig am Markt ein, was in Situationen wie derzeit für eine sichere Versorgung zu stabilen Preisen sorgt. Für die vielen unerwarteten Neukunden müssen sie jetzt kurzfristig an den Börsen Energie zu sehr hohen Preisen einkaufen. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft kritisierte jüngst das Gebaren der unseriösen Billiganbieter. Dessen Geschäftsführerin Kerstin Andreae warnt: „Unseriösen Geschäftsmodellen muss Einhalt geboten werden. Es ist falsch verstandener Verbraucherschutz, immer nur das billigste Angebot zu preisen. Richtig verstandener Verbraucherschutz setzt auf seriöse Anbieter, die die Versorgung gewährleisten.“
Für Lausitzer Familien bringt ein Vertrag mit dem lokalen Grundversorger vor Ort zusätzliche, indirekte Mehrwerte. Denn so werden Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Region gesichert. Häufig sind es die Stadtwerke und Wasserversorger, die lokale Vereine, Kitas und Schulen als Sponsor unterstützen. Einige Anbieter haben Bonusprogramme aufgelegt, mit denen ihre Kunden Rabatt in lokalen Einrichtungen wie dem Schwimmbad erhalten oder sie zahlen einen Bonus bei Nachwuchs. Übrigens sollte man sich von den großen Vergleichsportalen nicht täuschen lassen. Denn nicht alle lokalen Grundversorger sind dort gelistet – das heißt aber nicht, dass sie nicht mit den Preisen mithalten können. Ganz im Gegenteil: Aktuell ist die Nachfrage nach deren Tarifen so hoch, dass einige im Moment keine neuen Kunden aufnehmen können.
Quelle: BDEW 2021, Angaben in Prozent
So setzen sich die Preise für Strom und Gas zusammen
Ein Großteil des Geldes, das wir für Strom und Gas bezahlen, fließt direkt in Steuern und Umlagen. Bei Strom machen sie gut die Hälfte aus, beim Gaspreis ein knappes Drittel. Dazu gehören unter anderem die Mehrwert-, Erdgas- und Stromsteuer, die EEG-Umlage und die Konzessionsabgabe. In diese Kategorie fällt auch der CO2-Preis. Diese Abgabe soll fossile Energieträger teurer machen und so perspektivisch Treibhausgasemissionen senken. Seit 2021 wird sie auch im Bereich Wärme fällig und damit beim Gaspreis. Derzeit liegt der CO2-Preis bei 25 Euro pro Tonne Kohlenstoffdioxid. Bis zum Jahr 2025 soll er schrittweise auf bis zu 55 Euro steigen. 2021 stieg der durchschnittliche Gaspreis um gut 1 Cent auf 7,06 Cent pro kWh – knapp die Hälfte der Preissteigerung geht auf die CO2-Abgabe zurück.
Vom Strompreis geht nur etwa ein Viertel an die Versorgungsunternehmen, beim Gaspreis knapp die Hälfte. Der Rest des Betrags sind Netzentgelte. Das verdeutlicht, wie wenig die Versorger an den Energiepreisen für Verbraucher ändern können. Für spürbare Entlastungen könnte aktuell vor allem der Staat sorgen, indem er Steuern und Umlagen senkt. Das scheint angesichts des hohen Finanzbedarfs im dritten Pandemiejahr aber unwahrscheinlich. Angekündigt wurde vorerst nur eine finanzielle Entlastung für einkommensschwache Familien.
Spartipps rund um Energie
Die vielen Zahlen verdeutlichen eines: Da die Kosten für Strom & Co. einen großen Anteil am monatlichen Familienbudget ausmachen, lohnt es sich, hier nach Einsparpotenzial zu suchen. Wer Energie und damit Kosten einsparen will, sollte zunächst versuchen, den Verbrauch zu reduzieren. Strom, Gas und Wasser, das nicht verbraucht wird, spart Geld und schont die Ressourcen. Wir geben einen Überblick über die größten Stromfresser im Haushalt und leicht umzusetzende Spartipps für den Familienalltag.
Energieverbrauch kennen
Um herauszufinden, wie groß das eigene Einsparpotenzial ist, lohnt ein Vergleich der letzten Abrechnungen mit dem Strom- und mit dem Heizspiegel. Sie geben den durchschnittlichen Verbrauch aufgeschlüsselt nach Familiengröße und Wohnfläche an. Daran lässt sich gut einschätzen, ob man eher zu den Verschwendern oder zu den Sparfüchsen zählt. Lösungen finden Sie unter:
Ein weiteres Hilfsmittel ist ein Strommessgerät. Um herauszufinden, welche Geräte besonders viel Strom ziehen, kann man sich ein solches Gerät ausleihen, zum Beispiel beim kommunalen Stromversorger oder bei der Verbraucherzentrale. In der Regel gibt es die Geräte gegen eine geringe Gebühr, teilweise sogar kostenfrei. Kaufen kann man Strommesser im Baumarkt, die Kosten dafür liegen zwischen 15 und 40 Euro. Das Gerät steckt man dann zwischen Steckdose und Elektrogerät. Sehr lehrreich ist es, auf diese Weise den Stand-by-Verbrauch von TV, Radio und Co. zu messen. Dort schlummert bei vielen Haushalten ordentlich Einsparpotenzial.
Angaben in kWh pro Jahr, ohne elektrische Warmwasseraufbereitung, Quelle: Stromspiegel 2021 www.stromspiegel.de
Heizen
Den größten Posten der monatlichen Nebenkosten macht das Heizen aus. Etwa zwei Drittel der Energie, die wir zu Hause verbrauchen, benötigen wir, um im Winter die Wohnräume warm zu halten. Über den Heizspiegel (www.heizspiegel.de) kann man unkompliziert herausfinden, ob man im Vergleich zu anderen Haushalten eher viel oder wenig Geld fürs Heizen ausgibt.
Je nachdem welcher Energieträger verheizt wird, fällt die Klimabilanz unterschiedlich aus. Die meisten Privathaushalte in Deutschland heizen mit Erdgas, gefolgt von Erdöl und Fernwärme. Fast jede zweite Heizung verfeuert Gas, dessen Vorzüge sind: Es hat einen guten Heizwert und einen vergleichsweise geringen CO2-Ausstoß, man kann zwischen vielen Anbietern wählen und braucht anders als z.B. bei Öl keine Lagerkapazitäten. Die ineffiziente und teuerste Variante ist übrigens das Heizen mit Strom, also eine Elektroheizung, die man nur über die Steckdose anschließt. Deutlich effizienter und in in Neubauten mittlerweile meist Standard ist die Wärmepumpe.
Weitere Einsparmöglichkeiten ergeben sich durch den Austausch der Umwälzpumpe. Sie transportiert das heiße Wasser vom Heizkessel zu den Heizungen. Ältere Modelle arbeiten sehr kostenintensiv und ineffizient. Hier lohnt der Kauf eines neuen Modells. Für den Austausch einer alten Umwälzpumpe oder Heizungsanlage gibt’s übrigens Geld vom Staat: Der fördert nämlich Maßnahmen für mehr Energieeffizienz im Eigenheim.
In der Regel lässt sich die gewünschte Raumtemperatur über das Thermostat direkt an der Heizung einstellen. Die Zahlen auf dem Thermostat entsprechen einer bestimmten Raumtemperatur:
* : ca. 5° C, Frostschutz / Stufe 1: ca. 12° C
Stufe 2: ca. 16° C / Stufe 3: ca. 20° C
Stufe 4: ca. 24° C / Stufe 5: ca. 28° C
Kuschlig warm, aber teuer: Wer die Heizung im Winter auf höchste Stufe stellt, wird spätestens bei der nächsten Abrechnung ins Schwitzen kommen. Devenorr, istock
Empfohlen werden tagsüber ca. 20 Grad für Wohn- und Kinderzimmer, 22 Grad fürs Bad, 18 Grad für die Küche (die wird nämlich durch den Herd und die Abwärme des Kühlschranks mitgeheizt), 16 bis 18 Grad fürs Schlafzimmer. Da sich Kinder mehr bewegen als Erwachsene und auch mal wild durchs Zimmer toben, reagieren Eltern am einfachsten mit dem Zwiebelprinzip bei der Kleidung: Beim Lesen oder Puzzeln wird die Strickjacke angezogen, beim Fangespielen und Budebauen wieder ausgezogen. Für wenig genutzte Räume reichen 18 Grad. Unter 16 Grad sollte die Temperatur nicht sinken, da sonst Schimmel droht. Die wichtigste Maßnahme gegen Schimmel und für überschaubare Heizkosten ist regelmäßiges Stoßlüften. Eine vierköpfige Familie gibt am Tag rund zehn Liter Wasserdampf an die Luft ab. Besonders wichtig ist das Stoßlüften daher nach dem Aufstehen und nach dem Duschen/Baden. Je kälter es draußen ist, desto kürzer sollten Sie lüften, sonst kühlen die Zimmer zu sehr aus. In dieser Zeit die Heizung abdrehen. Wer die Möglichkeit hat, darf gern vier Mal am Tag die Fenster weit öffnen.
Spartipp: Das effektivste Mittel, um Heizkosten zu sparen, ist weniger zu heizen: Das heißt je nach persönlichem Wärmeempfinden, im Herbst den Beginn der Heizperiode möglichst lange hinauszögern und im Frühjahr so bald wie möglich aufs Heizen verzichten. Zudem die Heizung lieber etwas weniger stark aufdrehen, jedes Grad weniger macht sich auf der Abrechnung bemerkbar. Als Faustregel gilt, dass sich pro Grad Absenkung etwa sechs Prozent Heizkosten einsparen lassen. Nachts die Heizungen entweder ganz abdrehen oder zumindest die Temperatur reduzieren.
Exkurs – Gender Gap beim Heizen
Im Winter ist es ein verbreitetes Ritual in vielen Familien und Büros: Frau dreht die Heizung auf, damit sie nicht friert. Mann dreht sie ab, weil er schwitzt. Zurück geht das auf eine sehr männlich geprägte Festlegung zur „idealen“ Raumtemperatur in den 1960er Jahren: Damals orientierte man sich bei der Einstellung der Thermostat-Werte der Heizung auf Temperaturen zwischen 12 Grad (Stufe 1) und 28 Grad (Stufe 5) an der Wohlfühltemperatur eines 40 Jahre alten und 70 Kilogramm schweren Mannes. Stufe 3 wurde als ideal festgelegt. Dass Frauen aus biologischen Gründen eine ganz andere Wohlfühltemperatur als Männer haben, wurde damals außer Acht gelassen. Dabei gibt es viele Gründe, warum Frauen schneller frieren und im Winter gefühlt immer kalte Hände und Füße haben: Sie haben im Schnitt weniger Muskelmasse, die wiederum bei Männern für eine bessere Durchblutung und damit Wärme sorgt. Sie haben dünnere Haut, die Wärme schneller abgibt und der weibliche Körper konzentriert die Wärme bei kühleren Außentemperaturen auf die Körpermitte, um die wichtigen Organe und potenziellen Nachwuchs zu schützen. Sie frieren dadurch schneller an Händen und Füßen. Eine Studie von 2019 hat gezeigt, dass die Umgebungstemperatur nicht nur ein Wohlfühlfaktor ist, sondern sich auch auf die geistige Leistungsfähigkeit auswirkt. Männer und Frauen sollten Fragen zu Mathematik und Sprache beantworten. Frauen erreichten die meisten richtigen Antworten bei 30 Grad Raumtemperatur, Männer bei 20 Grad. Wie kann also ein Kompromiss im Kampf ums Thermostat aussehen? Indem ER und SIE ihre individuelle Wohlfühltemperatur nicht nur über die Heizung regulieren, sondern auch mit der passenden Kleidung. Sie zieht eine Strickjacke an, er tauscht Pullover gegen T-Shirt.
Licht
Klassische Glühbirnen dürften nach dem EU-weit umgesetzten Verkaufsverbot vor gut zehn Jahren nur noch in den wenigsten Haushalten zu finden sein. Die gängige Alternative, die sich durchgesetzt hat, sind LED-Lampen. Sie gelten als besonders effizient, sparsam und vergleichsweise umweltfreundlich. Sie sind in der Herstellung durchaus problematisch, da sie seltene Erden enthalten. Dennoch gelten sie derzeit als Maß aller Dinge: Sie enthalten kein Quecksilber, sind sehr lange haltbar und haben einen geringen Stromverbrauch, das macht sie effizienter und nachhaltiger als Energiesparlampen und Halogenlampen. Letztere ereilt übrigens ebenfalls das Schicksal der klassischen Glühbirne. Voraussichtlich bis 2023 müssen sie aus dem Verkauf genommen werden.
Spartipp: Falls noch nicht geschehen, alle Lampen mit LED ausstatten. Auch bei sparsamen LED gilt: Licht aus, sobald man das Zimmer verlässt.
Waschen
Wie bei allen Elektrogroßgeräten im Haushalt gilt: Je jünger die Maschine, desto besser die Effizienzklasse und desto geringer der Energieverbrauch. Moderne Waschmaschinen haben eine Mengenautomatik und passen den Wasserbrauch der Beladung an. Den meisten Strom verbraucht die Maschine für das Aufheizen des Wassers. Wer kann, sollte auf einen Wäschetrockner verzichten. Der spart zwar Zeit und Arbeit, schlägt aber bei der Stromrechnung zu buche. Die mit Abstand umweltfreundlichste Möglichkeit Wäsche zu trocknen, ist die Wäscheleine auf dem Balkon oder im Garten.
Spartipp: Nur volle Maschinen waschen. Eco-Programm nutzen. Normal verschmutzte Wäsche bei maximal 40 Grad waschen und auf Vorwäsche verzichten. Wäsche im Freien oder auf dem Dachboden statt drinnen oder mit dem Wäschetrockner trocknen lassen.
Kochen
Schon die Wahl des Herdes entscheidet über Nachhaltigkeit. Gasherde gelten als energieeffizienter und damit nachhaltiger, sind aber vom Aussterben bedroht. In den meisten Haushalten findet sich ein Elektroherd. Auch die Wahl der Kochplatten wirkt sich auf den Stromverbrauch aus. Induktionsherde sind in der Anschaffung am teuersten, gelten aber als besonders effizient, da sie am schnellsten die gewünschte Kochtemperatur erreichen. Auf den Rängen folgen Glaskeramik-/Ceran-Kochfelder und gusseiserne Platten.
Spartipp: Kochen mit Deckel oder mit Schnellkochtopf. Herdplatte passend zur Größe von Topf und Pfanne wählen. Beim Backen auf das Vorheizen verzichten (außer bei Brot). Umluft statt Ober-/ Unterhitze nutzen. Wasser für Nudeln im Wasserkocher statt im Topf erhitzen.
Kühlen
Da er ununterbrochen läuft, zählt der Kühlschrank zu den größten Stromfressern. Hier können Familien mit einer guten Effizienzklasse viel Strom sparen. Besonders viel Strom zieht das Gefrierfach. Daher sollte dieses nicht größer als nötig sein. Generell gilt, dass der Kühlschrank so groß wie nötig und so klein wie möglich sein sollte. Als Richtwert werden 140 Liter für einen zwei-Personen-Haushalt empfohlen und 60 l für jede weitere Person. Als Idealtemperatur mit Blick auf die Energieeffizienz und die Haltbarkeit der Lebensmittel gelten 7 Grad im Kühlschrank und minus 18 Grad im Gefrierfach.
Spartipp: Der Kühlschrank steht am besten relativ frei – mit etwas Abstand zur Wand und nicht in der Nähe von Herd oder Heizung. Kühlschrank regelmäßig reinigen und Gefrierfach regelmäßig abtauen. Die Tür immer nur kurz öffnen. Ein voller Kühlschrank verbraucht weniger Strom als ein (fast) leerer. Also im Zweifel den Kühlschrank mit Wasserflaschen und Milchpackungen auffüllen.
Fast alle Geschirrspüler verfügen über ein eco-Programm, das Strom spart.
Spülen
Geschirrspüler kann man sich guten Gewissens ins Haus holen. Generell gelten sie als so sparsam, dass sich eine Anschaffung schon für Zwei-Personen-Haushalte lohnt, da der Abwasch mit der Hand fast immer mehr Wasser und Energie verbraucht. Für Familien lohnt die Anschaffung also erst recht. Die aktuell sparsamsten Modelle verbrauchen nur acht Liter Wasser pro Waschgang.
Spartipp: Die Spülmaschine nur voll beladen starten und Sparprogramme nutzen oder eine möglichst niedrige Temperatur wählen.
Wasser
Jeder Mensch in Deutschland verbraucht täglich im Schnitt 125 Liter Wasser – zum Trinken, Duschen, Baden, für Toilette, Geschirrspüler und Waschmaschine. So entspannend ein heißes Vollbad im Winter sein kann, so sehr schlägt es auf der Kostenseite zu buche. Baden verbraucht sehr viel mehr Wasser und Energie als Duschen, es sei denn die ganze Familie nutzt nacheinander das eingelassene Wasser, was zumindest früher nicht unüblich war. Aber selbst fünf Minuten unter der Dusche lassen bereits bis zu 70 Liter abfließen. Gut ein Drittel des Wasserverbrauchs geht für Körperpflege drauf. Daher besteht hier das größte Einsparpotenzial für Familien. Bis zur Pubertät schwitzen Kinder kaum. Wenn sie nicht gerade im Dreck gespielt haben, kann man sich auf ein Mal baden oder duschen pro Woche beschränken, den Rest der Woche reicht eine Katzenwäsche. Und baden zu zweit spart Wasser und macht den Kids ohnehin mehr Spaß. Auch Haare waschen muss man bei kleinen Kindern nicht so oft.
Spartipp: Duschen statt baden, noch besser: Katzenwäsche statt duschen. Beim Einseifen, Zähneputzen und Rasieren kein Wasser laufen lassen. Sparduschkopf oder Durchflussbegrenzer nutzen. An der Toilette die Spartaste nutzen. Regenwasser sammeln und zum Blumengießen nutzen. Auch nicht genutztes Wasser aus dem Wasserkocher oder aus der Trinkflasche der Kinder kann noch zum Blumengießen genutzt werden. Ecoprogramme von Geschirrspüler und Waschmaschine nutzen. Obst und Gemüse in einer Schüssel statt unter fließendem Wasser waschen.
Unterhaltungselektronik wie Fernseher, Tablet und Smartphone gehören mittlerweile zum größten Posten auf der Stromrechnung. Grafik: www.co2online.de
Fernsehen
Die zwei Jahre Pandemie haben einige Familien genutzt, um das private Heimkino auszubauen. Die Fernseher werden immer größer – und damit auch der Stromverbrauch. So verbraucht ein TV-Gerät mit 50 Zoll Bildschirmdiagonale pro Jahr etwa 60 kWh Strom, bei 65 Zoll sind es bereits 80 kWh. Als Faustregel für die Wahl der Bildschirmgröße gilt: Die Diagonale sollte etwa einem Drittel der Entfernung zum Gerät entsprechen. Beträgt der Abstand zum Fernseher also etwa 1,50 Meter, reicht eine Bildschirmdiagonale von gut 50 Zentimetern (ca. 20 Zoll) aus. LED-Bildschirme sind effizienter als LCD- oder Plasma-Modelle. Ein Plasmafernseher verbraucht mehr als doppelt so viel Strom wie ein LCD-Fernseher.
Spartipp: Stellen Sie die Werte für Helligkeit und Kontrast nicht zu hoch ein. Wenn das Gerät über einen Stand-by-Modus verfügt, trennen Sie es nach der Nutzung vom Strom, am einfachsten über abschaltbare Verteilerdosen. Stellen Sie den Fernseher nicht so auf, dass er direkter Sonneneinstrahlung ausgesetzt ist. Deaktivieren Sie Zusatzfeatures wie die Hintergrundbeleuchtung. Wenn Sie nur Musik hören wollen, nutzen Sie die Audiofunktion und verzichten Sie auf ein Bild. Nutzen Sie den Eco-Modus, wenn Ihr Gerät darüber verfügt.
Smartphone & Co.
Bei PC, Tablet und Smartphone lassen sich über die Regulierung der Bildschirmhelligkeit Stromkosten sparen. Am PC sollte man den Energiesparmodus auswählen. Auch Smartphones verfügen über solche Einstellungen. Dort verlängert es die Akku-Laufzeit zudem, wenn man kaum benötigte Apps löscht, sie ziehen viel Strom. Auch die GPS-Ortung kann man getrost deaktivieren, wenn man nicht gerade den Routenplaner nutzt. Das gleiche gilt für W-Lan und Bluetooth. Jedes automatische Mail-Abrufen und Infos zu den neuesten Facebook-Einträgen brauchen ebenfalls Strom. Den PC am besten ausschalten oder auf Stand-by schalten, wenn man ihn länger nicht nutzt – z.B. über Nacht oder in der Mittagspause. Weniger Strom als ein PC verbrauchen Laptops oder Tablets, hier lässt sich eine Tastatur anschließen. Wer den PC nicht zum Spielen nutzt, kann bei der Hardware sparen, weniger Leistung verbraucht weniger Strom. Ein recht junger aber hungriger Stromfresser ist das Streamen. Durch Netflix & Co. gerät das analoge Fernsehen ins Hintertreffen, immer häufiger werden Filme, Serien und Musikvideos übers Internet gestreamt. Das kostet Strom, ebenso wie die Nutzung von Clouds.
Spartipp: Nicht benötigte Apps und Funktionen deaktivieren. Stand-by statt Bildschirmschoner. Nicht genutzte Tabs und Fenster im Browser schließen. Musik nicht über YouTube hören, sondern Musikstreaming-Dienste. Wenn möglich in der Wohnung ein Lan-Kabel nutzen. Die Autoplay-Funktion ausschalten. Die Auflösung der Bildqualität senken.
Smart Home
Alexa ist für Familien der Einstieg ins smarte Zuhause. Zu den digitalen Helfern im Haushalt zählen auch Mäh- oder Saugroboter. Noch einen Schritt weiter geht das Prinzip des Smart Home. Bei dieser Technologie werden diverse Haushaltsgeräte miteinander vernetzt und über eine Steuerung – meist das Smartphone – gesteuert. Über Funk- oder Kabelverbindung und Sensoren lassen sich so Heizungen, Rollläden, Alarmanlage oder Waschmaschine von jedem Ort aus und zu jeder Zeit regeln. Wenn wir das Haus verlassen, wird die Alarmanlage eingeschaltet und die meisten E-Geräte ausgeschaltet. Im Urlaub werden die Rollläden regelmäßig hoch- und wieder heruntergelassen. Beim Lüften schaltet sich die Heizung automatisch ab. Das E-Auto lädt dann, wenn das Solarmodul auf dem Hausdach besonders viel Strom liefert. Die Anbieter dieser Technik versprechen mehr Komfort und Sicherheit sowie Energieeffizienz. Doch ob letzteres Versprechen tatsächlich eingehalten werden kann, ist nicht ganz klar. Denn die digitalen Butler ziehen ebenfalls Strom. Eine Ende 2019 veröffentlichte Studie des Öko-Instituts im Auftrag der Verbraucherzentrale hat Energieverbrauch und Energieeinsparung unterschiedlicher Smart-Home-Systeme miteinander verglichen. Das Ergebnis ist ernüchternd: Gerade wenn solche Systeme mit dem Ziel von mehr Komfort und Sicherheit installiert werden, ist es ein Null-Summen-Spiel. Eine Familie, die ihr Haus vollumfänglich mit Smart Home-Anwendungen von der Heizung über Fenster und Türen bis hin zu Bewegungsmeldern, Kameras, Rauchmeldern, Lautsprechern, Staubsauger und Gartenbewässerung ausstattet, hat zusätzliche Stromkosten von 170 Euro pro Jahr. Dem stehen Einsparungen bei den Heizkosten von 172 Euro gegenüber.
Spartipp: Je größer die Interoperabilität zwischen smarten Anwendungen und Steuereinheiten verschiedener Hersteller ist, desto weniger Steuereinheiten braucht es. Das schont die Umwelt und spart Kosten. Achten Sie zudem bei der Anschaffung der Smart Home-Geräte auf einen geringen Eigenverbrauch. Manche Hersteller produzieren beispielsweise Schalter, die den Druck beim Betätigen dieses Schalters zur Energieerzeugung nutzen, und so gar keine zusätzliche Energie verbrauchen.
Alt und neu nebeneinander: Links der klassische Drehstromzähler, rechts ein digitaler Stromzähler.
Smart Meter: Digitale Sparhelfer
Mit einem Smart Meter, was so viel bedeutet wie intelligentes Zählersystem, lässt sich der Stromverbrauch digital und automatisiert erfassen und auswerten. Derzeit gibt es am Markt drei Typen von Stromzählern: noch immer häufig zu finden sind die klassischen analogen Zähler, bei denen sich Zahlenräder entsprechend dem Stromverbrauch drehen. Diese werden schrittweise bis 2032 durch digitale Zähler ersetzt. Sie haben den Vorteil, dass sie den aktuellen Verbrauch anzeigen, aber auch Stromverbrauchswerte tages-, wochen-, monats- und jahresweise speichern können. So können Familien besser nachvollziehen, wann sie besonders viel Strom verbrauchen.
Der neueste Typ von Stromzählern ist eine Weiterentwicklung des digitalen Modells: die intelligenten Zähler, auch Smart Meter genannt. Sie können den erfassten Stromverbrauch über ein Kommunikationsmodul (Smart-Meter-Gateway) an den Messstellenbetreiber übermitteln. Der wiederum kann die Daten an Stromversorger und Netzbetreiber weitergeben. Langfristiges Ziel ist es, den Stromverbrauch auf Angebot und Nachfrage abzustimmen. Das E-Auto könnte dann nachts laden, weil die Stromnachfrage geringer ist. Mit entsprechend flexiblen Tarifen der Energieversorger, die ihre Preise tagesaktuell anpassen, ließe sich so Geld sparen. Noch sind solche Tarife aber kaum zu finden.
Ebenfalls noch Zukunftsmusik, aber technisch schon möglich, ist die Verknüpfung des Smart Meter mit dem Smart Home. Dann schaltet sich der Geschirrspüler oder die Waschmaschine automatisch ein, sobald der Strom besonders günstig verfügbar ist. Mit dem intelligenten Stromnetz ließe sich auch der Verbrauch monatsgenau abrechnen – und nicht mehr wie bisher über einen kalkulierten Abschlag. Die Nachzahlung oder Erstattung am Jahresende wäre dann nicht mehr notwendig. Das Ablesen durch die Kunden entfällt dann auch – die Daten werden automatisch übermittelt.
Seit 2020 gibt es eine Einbaupflicht solcher Zähler in Privathaushalten und Unternehmen, wenn sie mehr als 6.000 kWh Strom im Jahr verbrauchen. Wobei die wenigsten Familien einen so hohen Stromverbrauch haben. Betroffen sein können künftig auch Familien, die eine Solaranlage auf dem Dach haben. Für Photovoltaikanlagen mit einer Nennleistung von mehr als 7 Kilowatt ist der Einbau ebenfalls Pflicht. Die gleiche Regelung soll für Haushalte mit einer steuerbaren Verbrauchseinrichtung kommen, z. B. einer Wärmepumpe oder einer Nachtspeicherheizung, soweit eine Steuerung mit dem Netzbetreiber vereinbart wurde. Mit der Einbaupflicht setzt die Bundesregierung EU-Vorgaben um.
Die Kosten für die neuen modernen Stromzähler zahlt – wie bisher auch – der Kunde. Allerdings hat die Bundesregierung die Preise gedeckelt, die allerdings an den Stromverbrauch gekoppelt sind. Für einen digitalen Zähler zahlen Durchschnittshaushalte 20 Euro jährlich, für ein Smart Meter 40 Euro im Jahr.
Preisobergrenzen für moderne Stromzähler:
- Digitaler Stromzähler, bis 6.000 kWh: max. 20 Euro/Jahr
- Smart Meter, 3.000-4.000 kWh: max. 40 Euro/Jahr
- Smart Meter, 6.000-10.000 kWh: max. 100 Euro/Jahr
- Smart Meter, 10.000-20.000 kWh: max. 130 Euro/Jahr
Stecker ziehen
Das ist einer der effektivsten und am einfachsten umsetzbaren Stromspartipps. Denn die Stand-by-Funktion vieler Geräte zieht unnötigen Strom. Dabei müssen Radio, Stereoanlage, Fernseher, PC, Kaffeemaschine, Toaster, Mikrowelle oder Spielekonsole gar nicht dauerhaft an der Steckdose hängen, da wir sie ohnehin nur wenige Stunden pro Tag oder gar Woche nutzen. Hier hilft wieder ein Strommessgerät. Damit kommt man den stillen Stromfressern auf die Schliche. Geräte, die im Leerlauf besonders viel Strom ziehen, sollte man nur ans Netz anschließen, wenn sie wirklich benutzt werden. Entweder man zieht den Stecker oder noch einfacher: Man nutzt eine Steckdose bzw. Steckerleiste zum Abschalten. Alternativ gibt es für schwer zugängliche Netzstecker auch Funksteckdosen, wobei auch diese etwas Strom ziehen. Um den Stand-By-Verbrauch zu reduzieren, hat die EU eigens eine Verordnung beschlossen: Neue Elektrogeräte dürfen nicht mehr als ein Watt im Stand-by verbrauchen. Auch Ladegeräte und Netzteile ziehen Strom, selbst wenn das Smartphone nicht dran hängt. Elektro-Zahnbürste und Akku-Rasierer daher nicht ständig laden, sondern nur nach Bedarf.
Vor dem Urlaub oder nach Benutzung Stecker ziehen. Die Stand-by Funktion kostet einen Durchschnittshaushalt pro Jahr etwa 60 Euro. Foto: www.co2online.de / Phil Dera
Energielabel im Überblick
Eines der wichtigsten Kriterien beim Kauf eines neuen Elektrogeräts sollte das Energielabel sein. Dieses ampelfarbene, in der EU einheitliche Label gibt Aufschluss über die Energieeffizienz des Gerätes. Seit vergangenem Jahr wird es schrittweise umgestellt. Die bisherigen Effizienzklassen und Messmethoden waren nicht mehr aussagekräftig genug. Für die einzelnen Produktklassen galten unterschiedliche Klassifizierungen. So war ein Kühlschrank mit einem A+++ Klassenbester, ein Staubsauger aber bereits mit A. Die neuen Label umfassen nur noch die Kategorien A (bester Wert) bis G (schlechtester Wert). Die neuen Messmethoden orientieren sich stärker als bisher an der täglichen Nutzung im Haushalt. Die Anforderungen sind strenger. So kann sich ein Kühlschrank, der vorher A+++ erhielt, jetzt in Kategorie C wiederfinden. Den besten Wert A erhält derzeit kaum ein Gerät. Damit sollen die Hersteller ermuntert werden, noch effizientere Geräte zu bauen. Die Umstellung erfolgt schrittweise, bis 2030 soll sie abgeschlossen sein.
Neu sind außerdem die Piktogramme unten auf dem Label. Sie zeigen die maximale Füllmenge (in Gedecken bzw. Kilogramm), den durchschnittlichen Strom- und Wasserverbrauch pro Wasch- bzw. Spülgang, die Laufzeit für das Energiesparprogramm und die Lautstärke und lassen sich so leichter vergleichen. Ein QR-Code oben rechts auf dem Label führt zu einer EU-Datenbank mit detaillierten Produktinformationen.
Der Blick aufs Label und der Vergleich mehrerer Geräte lohnt, weil Familien beim Kauf besonders effizienter Geräte Energie und so übers Jahr gerechnet mehrere hundert Euro sparen können. Damit hat man den in der Regel höheren Neupreis schnell wieder rein.
Altes (links) und neues Label im Vergleich, hier am Beispiel eines Geschirrspülers. Neu sind die Effizienzklassen, ein QR-Code und die Piktogramme unten. Quelle: BMWi
Mehr Effizienz durch Bauen und Renovieren
Sowohl Eigenheimbesitzer als auch Häuslebauer sollten beim Thema Bau und Sanierung immer auch die Energieeffizienz des Gebäudes mitbedenken. Nach Angaben der Verbraucherzentrale kann durch energetische Vollsanierung im Idealfall mehr als die Hälfte der bisherigen Energiekosten eingespart werden. Das Zauberwort heißt „Dämmung“. Wichtig ist, das Haus komplett zu betrachten – und bei der Sanierung sowohl Decken und Wände, als auch Fenster, Türen und Dach im Blick zu haben. Fenster und Türen können entweder durch eine Erneuerung der Dichtung energetisch optimiert werden, oder werden komplett erneuert.
Das Dämmen von Wänden, Dach und Decken spart Heizkosten. Welches Dämmmaterial gewählt wird, hängt von mehreren Faktoren ab. Es gibt sowohl synthetische als auch nachwachsende Dämmstoffe. Wir empfehlen vor der Umsetzung und gegebenenfalls auch für die Durchführung selbst, Experten zu Rate zu ziehen. Eine erste, kostenfreie Beratung bietet die Energieberatung der Verbraucherzentrale. Sie berät auch zu Fördermitteln. Das Gute ist: ein vollsaniertes Haus muss nicht nur im Winter weniger geheizt werden, es heizt sich auch im Sommer nicht so stark auf, so dass man sich unter Umständen die Klimaanlage sparen kann. Zum optimalen und sparsamen Heizen gehört nicht nur eine gute Dämmung, sondern auch das richtige Lüften. Da das von Experten geforderte mehrmalige Stoßlüften für je fünf bis zehn Minuten im Familienalltag nicht immer umsetzbar ist, kann sich der Einbau einer Lüftungsanlage lohnen.
Wer neu baut, kann das unkompliziert einplanen und sollte es auch. Die relativ hohen Investitionskosten lassen sich staatlich fördern, wenn man sich für ein Modell mit Wärmerückgewinnung entscheidet. Dann spart man im Winter auch Heizkosten, so dass sich die Anschaffungskosten auszahlen können. Es gibt verschiedene Systeme. Dabei wird immer über Rohre in den Wänden und einen Ventilator Innenraumluft gegen Frischluft von außen ausgetauscht, ohne dass dabei Luftzug, störende Geräusche oder Kälte entstehen. Ein Filter verhindert, dass Pollen oder Feinstaub in die Wohnung gelangen. Die Systeme funktionieren so gut, dass man sich dann das Lüften im Alltag sogar sparen kann. Lüftungsanlagen beugen Schimmel vor, bei regelmäßiger Wartung und Filterwechsel ist die Luft im Haus deutlich besser als ohne ein solches System. Der Preis liegt im mittleren vierstelligen Bereich.
Alte, ineffiziente Heizungspumpen verbrauchen viel Strom und sollten daher ausgetauscht werden. © BMWi
Der zweite wichtige Aspekt bei Bau oder Sanierung ist eine effiziente Heizung und Warmwasseraufbereitung. Denn nach dem Heizen ist das Erwärmen des Wassers in Privathaushalten der größte Posten in der Energiebilanz. Zur Wassererwärmung gibt es zwei Systeme: Bei der zentralen Warmwasserversorgung wird das Wasser zentral an einem Ort erwärmt, meist in der Heizanlage im Keller, diese Variante gilt als besonders umweltfreundlich. Bei der dezentralen Versorgung wird das Wasser dort erwärmt, wo es gebraucht wird – also in einem oder mehreren Boilern in der Wohnung, z.B. in der Küche. Darüber hinaus unterscheidet man noch, ob das Wasser in einem Warmwasserspeicher oder in einem Durchlauferhitzer erwärmt wird. Wer die Wahl hat, sollte lieber auf einen Durchlauferhitzer statt auf einen Warmwasserspeicher setzen. Letzterer sorgt für eine gleichbleibend warme Temperatur des gespeicherten Wassers, das verbraucht unnötig Strom. Zudem kann es lohnen, herkömmliche, hydraulisch gesteuerte Durchlauferhitzer gegen elektronisch geregelte auszutauschen. Dort lässt sich die gewünschte Temperatur genau einstellen. Das spart Strom und auch Wasser, da kein kaltes Wasser zugemischt werden muss. Die Temperatur von Warmwasserspeichern ist oft unnötig hoch eingestellt. 60 Grad Celsius reichen vollkommen aus. Weniger sollte es allerdings nicht sein, um das Risiko von Legionellen auszuschließen. Ein- und Mehrfamilienhäuser sind häufig mit Zirkulationspumpen ausgestattet. Diese lassen ständig das warme Wasser zwischen Heizkessel und Waschbecken bzw. Dusche zirkulieren. Dadurch kommt beim Duschen sofort warmes Wasser aus der Leitung. Ein teurer Komfort, auf den man besser verzichten sollte. Entweder man lässt die Pumpe über eine Zeitschaltuhr nur tagsüber arbeiten oder man schaltet sie gleich komplett ab. Wasser wird je nach Anschluss entweder mit Gas, Öl, Fernwärme oder Strom erhitzt. Im Eigenheim kann man sich auch eine Anlage einbauen, die das Wasser mit Holzpellets oder Solarenergie erhitzt. Besonders aufwendig und teuer ist die Wassererwärmung mit Strom.
Ein dritter Punkt, der auch unabhängig von einer Sanierung durchgeführt werden kann, ist der hydraulische Abgleich. Er sorgt dafür, dass durch alle Heizkörper im Haus die richtige Menge Wasser mit dem optimalen Druck fließt und die Räume so optimal erwärmt werden. Er ist beispielsweise dann nötig, wenn einige Heizkörper nicht richtig warm werden und andere schon bei Stufe 1 oder 2 sehr heiß werden. Dann ist das Heizsystem nicht optimal eingestellt. Durchgeführt wird der Abgleich von einem Heizungsfachbetrieb, die Kosten liegen ungefähr zwischen 500 und 1.000 Euro. Der Staat zahlt einen Zuschuss von bis zu 20 Prozent.
Der hydraulische Abgleich wird von einem Fachbetrieb durchgeführt und spart langfristig Geld. Foto: www.co2online.de /Alois Müller
Neu kaufen oder reparieren?
Etwa alle zwei bis drei Jahre gibt es ein neues Smartphone – das alte landet dann wahlweise in der Schublade, beim Nachwuchs oder im Idealfall wenigstens noch im Recycling. Die Lebenszyklen von i-Phone und Co. werden immer kürzer, die Gründe sind vielfältig. Nur in wenigen Fällen ist ein Defekt der Grund. Das ist naturgemäß wenig nachhaltig. Schätzungsweise 200 Millionen alter Smartphones lagern in deutschen Haushalten – ungenutzt. Statistisch produziert jeder Mensch in Deutschland im Jahr zehn Kilogramm Elektroschrott.
Daher sollten Familien vor jedem Neukauf abwägen: Muss es wirklich ein neues Gerät sein, oder kann der Kühlschrank, die Waschmaschine, der Föhn oder eben das Smartphone doch noch länger genutzt werden? Zum einen muss man schauen, ob sich das Gerät noch reparieren lässt und wie hoch die Kosten dafür sind. Die neue Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag ein Recht auf Reparatur festgeschrieben. Es verpflichtet Händler dazu, Geräte so zu designen, dass sie leicht zu reparieren sind und Ersatzteile für eine bestimmte Dauer zur Verfügung zu stellen. Im vergangenen Jahr hatte die EU ein solches Recht bereits für bestimmte Haushaltsgeräte wie Waschmaschine, Geschirrspüler und Kühlschrank eingeführt. Dies soll nun auf weitere Geräte – darunter Smartphones und elektrische Zahnbürsten – ausgedehnt werden. Verbraucherschützer fordern zudem einen staatlichen Zuschuss zu Reparaturkosten. Thüringen ist hier Vorreiter. Privathaushalte erhalten bis zu 100 Euro, wenn sie ein Gerät reparieren statt neu zu kaufen. Allerdings war der entsprechende Fördertopf gedeckelt und schnell aufgebraucht. Über eine Neuauflage ist noch nicht entschieden. Sachsen will bis zum Sommer entscheiden, ob ebenfalls ein Reparaturbonus eingeführt wird.
Ein solcher finanzieller Anreiz könnte mehr Menschen überzeugen, ihre defekten E-Geräte reparieren zu lassen, statt neu zu kaufen. Ist das Gerät schon deutlich älter, kann die Neuanschaffung sehr wohl lohnen, da Geräte immer effizienter werden. So kann sich der Kaufpreis relativ schnell durch den geringeren Verbrauch amortisieren.
Ein weiterer Grund für einen Neukauf kann – gerade bei Familien – auch der Wunsch nach einem größeren Gerät sein. Hat zu zweit die kleine Waschmaschine oder der schmale Geschirrspüler noch gereicht, braucht man mit zwei oder mehr Kindern größere Geräte. Passen Sie daher die Gerätegröße Ihrem Haushalt an. Für Familien mit mehreren Kindern kann eine Waschmaschine mit großem Fassungsvermögen lohnen. Auch der Kühlschrank sollte dem tatsächlichen Bedarf entsprechen.
Rebound-Effekt: Warum wir trotz höherer Effizienz mehr Energie verbrauchen
Ende vergangenen Jahres vermeldete das Umweltbundesamt: „Der Stromverbrauch in Deutschland ist seit Beginn der 1990er-Jahre im Trend gestiegen.“ Das gilt für fast alle Bereiche von der Industrie bis zu den Privathaushalten. So verbrauchten Haushalte im Jahr 2000 durchschnittlich 2.627 kWh für Strom, im Jahr 2019 waren es 2.633 kWh. Wie aber kann es sein, dass Fernseher, Waschmaschinen und Geschirrspüler immer effizienter werden, der Stromverbrauch aber dennoch steigt? Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen verfügen Haushalte heute über deutlich mehr Geräte mit Kabel oder Akku als noch vor 20 Jahren. Gab es damals noch keine Smartphones, hat heute fast jedes Familienmitglied ein eigenes. Hinzu kommen Tablets, Notebooks und Sprachassistenten.
Der zweite Grund ist in Fachkreisen unter dem Begriff „Rebound-Effekt“ bekannt. Damit ist eine Art Bumerang-Effekt gemeint, der Einsparpotenziale bei neueren, effizienteren Geräten durch ein verändertes Verbraucherverhalten wieder zu Nichte macht. Das passiert, wenn wir nach dem Umstieg auf sparsame LED-Leuchten das Licht öfter mal brennen lassen, weil es ja nicht mehr so viel verbraucht. Oder seit der Fassadendämmung wird das Thermostat etwas höher gedreht. Fernseher sind über die Jahre effizienter geworden – aber auch größer. Wer sich einen neuen sparsamen Kühlschrank anschafft und den alten Kühlschrank als Zweitgerät im Keller weiterlaufen lässt, hat natürlich auch nichts eingespart. Das funktioniert auch indirekt: Wenn Familien durch eine effizientere Heizung Geld sparen, gönnen sie sich von dem zusätzlich zur Verfügung stehenden Geld vielleicht mal eine Flugreise – so wird das eingesparte CO2 an anderer Stelle ausgestoßen. Mit der weiteren Zunahme der E-Mobilität wird der Stromverbrauch in Deutschland auch in absehbarer Zeit nicht sinken. Umso wichtiger ist es, vermehrt erneuerbare statt fossiler Energien zu nutzen – auch im Eigenheim.
Immer mehr Eigentümer nutzen die Kraft der Sonne zur Herstellung von Strom oder Wärme – hier eine Solarthermieanlage auf dem Dach eines Einfamilienhauses. Foto: www.co2online.de / Alois Müller
Erneuerbare Energien nutzen
Wer zu Hause Erneuerbare Energien herstellt und nutzt, verursacht weniger CO2-Emissionen, spart langfristig Geld und macht sich vom zuletzt recht turbulenten Energiemarkt samt seinen Preisschwankungen unabhängiger. Wer neu baut und nach neuesten Standards dämmt, kann sein Haus theoretisch bereits komplett mit erneuerbaren Energien versorgen. Der Klassiker ist die Solaranalage auf dem Dach – die Sonnenenergie kann wahlweise für die Gewinnung von Strom (Photovoltaik) oder Wärme (Solarthermie) genutzt werden.
Wurde der produzierte Sonnenstrom aufgrund einer großzügigen Einspeisevergütung früher gern ins öffentliche Stromnetz eingespeist, lohnt sich heute eher der Eigenverbrauch. Nach Angaben des Portals co2online.de rechnet sich die Investition in eine Photovoltaikanlage nach etwa 8 bis 15 Jahren. Je höher der Stromverbrauch, desto eher. Denn derzeit sparen Familien mit Sonnenstrom gut 20 Cent pro kWh. Daher kann sich die Anschaffung eines E-Autos samt Ladestation lohnen. Wer mehr Sonnenstrom produziert, als er selbst verbraucht, kann den Überschuss ins Netz einspeisen oder zwischenspeichern.
Die Installation einer Solaranlage kostet zwischen 6.000 und 12.000 Euro. Hinzu kommen etwa 300 Euro jährlich für Wartung und Versicherung. Wer sich für eine solche Anlage entscheidet, kann dafür staatliche Fördermittel beantragen. Die wichtigsten Förderprogramme stellen wir im folgenden Kapitel vor.
Zu den erneuerbaren Energien gehört übrigens auch der mit Holz befeuerte Kamin – der sorgt im Winter für wohlige Wärme. Der romantische Blick auf das knisternde Feuer wurde aber durch eine im vergangenen Jahr vom Umweltbundesamt veröffentlichte Studie getrübt. Demnach verursachen Kamine und Holzöfen zwar kaum CO2, aber dafür mehr Feinstaub als alle PKW und LKW in Deutschland zusammen.
Wie sinnvoll sind Ökostrom-Tarife?
Mieter haben kaum Einfluss darauf, ob eine Solaranlage auf dem Dach oder eine Biogasanlage im Keller steht. Sie können aber Ökostrom beziehen. 2018 wurde bereits jede vierte Kilowattstunde Strom in Privathaushalten über einen solchen Tarif bezogen.
Mittlerweile bieten viele Versorger, auch die regionalen Grundversorger, einen Öko- und Naturstromtarif an. Dabei kommt weiterhin jener Strom aus der Steckdose, der vor Ort zur Verfügung steht. Das kann hier in der Lausitz auch das nahe gelegene Braunkohlekraftwerk sein. Ein Teil des Geldes, das man für den Tarif zahlt, wird aber in den Ausbau erneuerbarer Energien gesteckt. So zumindest die Theorie. Denn in Deutschland wird dieser Ausbau bereits durch die EEG-Umlage finanziert. Strom aus Erneuerbaren, der bereits über die EEG-Umlage finanziert wird, darf nicht mit dem Ökostromlabel versehen werden – um eine Doppelförderung zu vermeiden. Die entsprechenden Herkunftszertifikate der Ökostromanbieter kommen daher meist aus dem Ausland, beispielsweise aus Norwegen, wo Wasserkraft eine große Rolle spielt. Solche Tarife bringen die Energiewende in Deutschland nicht voran. Es gibt auch Anbieter, die mit dem Ökostrom den zusätzlichen Ausbau von regenerativen Energien in Deutschland fördern, denen keine EEG-Umlage zusteht oder aber solche, die nach 20 Jahren Laufzeit keinen Anspruch mehr auf EEG-Vergütung haben. Solche Tarife gibt es. Die sind aber gar nicht so leicht zu finden. Einen aktuellen Test gibt es bei Ökotest. Die Zeitschrift hat im Mai 2021 knapp 70 Ökostromanbieter verglichen und nur zehn für empfehlenswert befunden.
Kamine verursachen jährlich in Deutschland genauso viel Feinstaub wie der Straßenverkehr. Grafik: www.co2online.de
Fördermittel
Zwei Drittel der Energie, die wir zu Hause verbrauchen, wird für das Heizen benötigt. Daher fördert der Staat private Bauherren, die ihr Eigenheim energieeffizienter machen, mit Zuschüssen und Krediten. Über die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) können unter anderem die Wärmedämmung, die Erneuerung von Fenstern, Türen und die Erneuerung oder die Optimierung der Heizungsanlage gefördert werden. Der Staat zahlt wahlweise für günstige Kredite oder Zuschüsse, sowohl für den Bau und Kauf energieeffizienter Gebäude als auch für Umbau und Sanierung. Die Nutzung von erneuerbaren Energien wird ebenfalls gefördert. Die beiden zentralen Ansprechpartner für die Förderprogramme sind die BAFA (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle) und die Förderbank KfW. Hauseigentümer holen sich am besten einen Profi zur Seite, da das Thema sehr komplex ist. Die professionelle Energieberatung fördert der Staat ebenfalls mit bis zu 80 Prozent der Kosten. Für Ein- und Zweifamilienhäuser liegt der Zuschuss bei maximal 1.700 Euro.
Profis fragen: Energieberatung nutzen
Wem die Informationen unseres Beitrags noch nicht reichen oder wer jetzt mit der energetischen Sanierung des Familienheims starten will, dem legen wir eine Beratung durch Profis ans Herz. Wir empfehlen die Energieberatung der Verbraucherzentrale und das sehr umfangreiche Online-Portal von co2online. Beide beraten anbieterneutral und können auch über Förderprogramme Auskunft geben. Auf der jeweiligen Homepage finden Familien bereits jede Menge Spartipps.
Energieberatung der Verbraucherzentrale: Online-Beratung und Basis-Check vor Ort für Mieter und Hausbesitzer kostenfrei. Ein tiefergehender Detail-, Gebäude-, Heiz- oder Solarwärmecheck durch die Energieprofis kostet 30 Euro. Terminvereinbarung kostenfrei unter Tel. 0800 – 809 802 400
www.verbraucherzentrale-energieberatung.de
co2online: Das Portal versammelt mehrere kostenfreie Online-Angebote: Die Energiesparchecks für Mieter und Hausbesitzer geben in nur fünf Minuten einen guten Überblick über Einsparpotenzial bei Strom-, Wasser- und Wärmeverbrauch. Hilfreich sind auch die Fördermittelchecks, die je nach Vorhaben die in Frage kommenden Programme auflisten. Eine Suche nach Postleitzahl listet Handwerksbetriebe und Energieberatungsunternehmen in der gewünschten Region auf.
Krieg der Sternchen
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Zur Diskussion um gendergerechte Sprache
In dieser Ausgabe widmen wir uns einem Thema, dass auf den ersten Blick gar nicht so viel mit Familien zu tun hat, zu dem viele unserer Leser*innen aber vermutlich trotzdem eine sehr klare Position haben. Es geht um gendergerechte Sprache, also die Mitnennung von Frauen und von Menschen, die sich keinem Geschlecht zuordnen. Die Mehrheit der Deutschen lehnt das ab. Wo immer das Thema in den Medien aufkommt, wird hart und heftig diskutiert – insbesondere in den sozialen Medien.
Dass ein kleiner Stern einen Krieg der Meinungen auslösen kann, zeigte im Sommer ein Edeka-Markt aus Friedberg bei Augsburg. Der Marktleiter stellte das Foto von einem Glas „Student*innen Futter“ online, das schon länger ohne viel Aufsehen im Laden verkauft und gekauft wurde. Der Post bei Facebook und Twitter ging viral und löste neben Zustimmung einen regelrechten Shitstorm aus. Der Marktleiter sieht die Diskussion gelassen, die Zielgruppe des Produkts freut sich über das neue Glas, denn nicht nur die Beschriftung passt zu ihrer Philosophie, sondern auch alles andere: Die Nüsse in Bio-Qualität sind fair gehandelt und in einem Pfandglas verpackt. Und alle anderen haben ja zum Glück noch eine Riesenauswahl an Studentenfutter.
Was genau ist gendergerechte Sprache?
Genderneutrale oder gendergerechte Sprache ist ein Bestandteil des Diversity-Themenkomplexes. Diversity lässt sich am besten mit dem Begriff „Vielfalt“ übersetzen. Gemeint ist dabei der bewusste Umgang mit der Vielfalt der Gesellschaft und ein respektvoller Umgang mit Verschiedenheit und Individualität. Neben dem gleichberechtigten Umgang der Geschlechter gehören dazu beispielsweise noch folgende Aspekte: Ethnie, Religion, sexuelle Orientierung, soziale Herkunft, Behinderung.
Gendergerechte Sprache will alle Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, einbeziehen und sie gleichberechtigt ansprechen. Das gilt nicht nur für Männer und Frauen, sondern auch für Menschen, die sich in diesem zweigeschlechtlichen System nicht wiederfinden. Um sie sprachlich einzubeziehen, gibt es mehrere Möglichkeiten, darunter eher ungewöhnliche Vorschläge wie die Nutzung neutraler Endungen. Das würde bei dem Wort „Leser“ dann so aussehen: Lesy, Lesx, Lesens (ens als Wortendung, hergeleitet aus der Mitte des Wortes Mensch). Die bisher gebräuchlichste Form ist der Genderstern *, also Leser*in.
Dieses Foto eines Edeka-Marktes löste neben Zustimmung viel Häme aus, der Marktleiter reagiert mit Humor und kommentiert: „Wir sind Teil der Genderverschwörung…. In den nächsten Wochen werden wir noch weitere Lebensmittel umbenennen… Passend zum deutschen Naturell starten wir mit Kartoffel*innen.“
Haben wir keine anderen Probleme?
Diejenigen, die Gendersprache für Unfug halten, fragen häufig: Haben wir keine anderen Sorgen? Wollen wir uns nicht lieber um die wirklichen Probleme kümmern? Ohne Frage gibt es genug Herausforderungen für die nächsten Jahre und Jahrzehnte, um die wir uns schnell und mit ganzer Kraft kümmern sollten. Doch ist das wirklich ein Grund, andere Themen liegen zu lassen und zu warten, bis der große Problemberg abgearbeitet ist? Es gibt einige Menschen, denen das Thema wirklich am Herzen liegt, die nach kreativen Lösungen für eine Sprache suchen, die nicht nur alle Geschlechter miteinbezieht, sondern zugleich lesbar bleibt. Lassen wir doch diese Menschen einfach weitermachen und alle anderen, die das für überflüssig halten, können sich ja den wirklich wichtigen Problemen widmen.
Sprache ändert sich – schon immer
Eines der häufigsten Argumente, das jene hervorbringen, die Gendern für Unfug halten lautet: Das grammatische Geschlecht (Genus) meint nicht das biologische Geschlecht (Sexus). Will heißen: Mieter können sowohl männliche als auch weibliche Personen bezeichnen – insbesondere in der Mehrzahl seien immer auch Frauen mit gemeint. Zudem könne eine Koryphäe ja ebenso ein Mann sein, obwohl es die Koryphäe heißt. Ebenso könne die Katze einen Kater meinen. Und das – und hier nun das zweite Standard-Argument – sei schon immer so gewesen.
Genau das stimmt so aber nicht. Zwar gibt es im Deutschen drei grammatische Geschlechter, neben maskulin und feminin noch das Neutrum (der, die, das bzw. er, sie, es). Tatsächlich verneint der Duden erst ab den 1970ern einen Zusammenhang zwischen grammatischem und biologischem Geschlecht. Bis dahin waren Lehrer explizit männliche Lehrpersonen und Ärztinnen explizit Frauen. Das – so die Vermutung der Sprachwissenschaftlerin Carolin Müller-Spitzer – war den damaligen historischen Gegebenheiten geschuldet. In der Öffentlichkeit waren über Jahrhunderte Männer sehr viel präsenter, Frauen spielten kaum eine Rolle. Daher war es legitim, nur von Politikern und Ärzten zu reden. Erst der gesellschaftliche Wandel, nämlich dass immer öfter Frauen öffentlich wahrnehmbar wurden, hat den Duden dazu veranlasst festzulegen, dass nun auch sie mit gemeint sind, wenn man in der Mehrzahl spricht.
Was heißt das? Sprache wandelt sich. Und das schon immer. Wer mag sich vorstellen, dass wir heute noch so schreiben und sprechen wie Goethe und Schiller vor gut 200 Jahren? Die Pandemie hat uns so viele Wortneuschöpfungen (Boostern, Lockdown, Impfneid) gebracht wie wohl nie zuvor in so kurzer Zeit. Das ist per se nichts schlechtes. Es zeigt aber vor allem eines – und das könnte eigentlich zu etwas mehr Gelassenheit in der Gender-Debatte führen: Sprache ändert sich nicht, weil es von oben so auferlegt wird.
Ist gendergerechte Sprache feministische Sprachdiktatur von oben oder natürlicher Sprachwandel von unten? Foto: Vagengeym_Elena, istock
Droht uns eine Sprachdiktatur?
Die Menschen reden, wie sie es wollen und lassen sich nichts vorschreiben. Im Umkehrschluss heißt das: Niemand muss Angst davor haben, zum „Gender-Sprech“ gezwungen zu werden. Wenn aber immer mehr Menschen das von sich aus freiwillig tun, dann wird es sich mit der Zeit durchsetzen. Dann wird eine Gewöhnung einsetzen und wir werden die Genderpause in Bürger:innen vielleicht ganz automatisch mitsprechen.
Als der Duden in seiner Online-Ausgabe viele Nomen um die weibliche Bezeichnung ergänzte, wurde ebenfalls wieder das Argument der Sprachdiktatur von ober hervorgeholt. Gerade beim Duden ist es umgekehrt. Die Redaktion nimmt neue Wörter oder auch Grammatikregeln immer erst dann auf, wenn sie in der gesprochenen und geschriebenen Praxis immer häufiger vorkommen. Ebenso verschwinden solche Wörter, die ohnehin kaum Jemand noch nutzt. Hier ein paar Beispiele: Erstmals neu aufgenommen wurden im Jahr 2020: Geisterspiel, Gendersternchen, Klimakrise, Wiesn. Gestrichen wurden: Bäckerjunge, Lehrmädchen, Niethose, Lehrpfennig. Die Regel, dass auf das Wort „wegen“ immer der Genitiv folgt, hat der Duden mittlerweile aufgeweicht. Da die meisten Menschen sich nämlich nicht daran halten, und „wegen dir“ oder „wegen dem Wetter“ statt „deinetwegen“ oder „wegen des Wetters“ sagen, wird umgangssprachlich auch der Dativ toleriert.
Die Auswahl, welche Wörter gestrichen oder neu aufgenommen werden, erfolgt nicht willkürlich oder nach persönlichen Vorlieben der Duden-Redaktion. Stattdessen wird vor jeder Neuauflage eine riesige Datenmenge aus unzähligen Texten analysiert und dann geschaut, welche Wörter wann das erste Mal genutzt wurden und wie häufig sie verwendet werden.
Sprachgender im Laufe der Zeit
1973: Der Duden führt das generische Maskulin ein, das gilt, wenn das männliche und weibliche Geschlecht gleichermaßen gemeint sind. Das Wort „Leser“ soll also offiziell männliche Leser und weibliche Leserinnen umfassen. Frauenbewegungen war das ein Dorn im Auge – sie verwendeten fortan den Schrägstrich, um Frauen in der Sprache sichtbar zu machen: Leser/innen.
1981: Erstmalige Verwendung des Binnen-I. Der Autor Christoph Busch veröffentlicht ein Buch über freie Radios und verwendet darin als erste Person das Binnen-I: Statt Hörer/-innen bzw. Hörer/Innen schrieb er HörerInnen. Die freien Radios der Schweiz übernahmen diese Schreib- und Lesart zuerst, dann folgte die Schweizer Wochenzeitung WOZ und schließlich die deutsche Tageszeitung taz, deren Markenzeichen es wurde.
1990er-Jahre: Früheste Nutzung des Sternchens als Bestandteil eines Wortes. Der Stern* wird auf Computersystemen als Platzhalter für eine beliebige Zeichenkette verwendet – ähnlich wie bei einer Fußnote. Englischsprachige LGBT-Communities begannen, Bezeichnungen wie transsexuell, Transmann oder Transfrau mit trans* zusammenzufassen. Nach und nach verbreitete sich das Gendersternchen, sodass heute die Form Leser*innen die wohl am häufigsten verwendete, nicht-amtliche Form der genderneutralen Sprache ist.
1992: Das Hand- und Arbeitsbuch „sprachgewaltige Frauen“ schlägt u.a. vor, Wörter mit „Er“ im Wortstamm abzuwandeln: Aus „Erfahrung“ soll „Siefahrung“ werden, aus „Erachtens“ „Sieachtens“ und so weiter.
2001: Sprachliche Gleichstellung wird „amtlich“. Das Gleichstellungsgesetz wird in Deutschland auf den Weg gebracht. Zur Sprache heißt es da: „Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes sollen die Gleichstellung von Frauen und Männern auch sprachlich zum Ausdruck bringen. Dies gilt auch für den dienstlichen Schriftverkehr.“ Doppelnennungen wie Beamtinnen und Beamte sowie neutralisierende Formen wie Angestellte halten Einzug in amtliche Dokumente und Pressemitteilungen.
2003: Erste Erwähnung der Gender-Gap durch den Autor Steffen Kitty Herrmann. In seinem Artikel „Performing the gap“ rief er den Unterstrich_ zwischen männlichen und weiblichen Endungen von Nomen ins Leben: Leser_in. Mit diesem Platz sollen alle einbezogen werden, die sich nicht als vermeintliche Männer oder Frauen definieren.
2010er-Jahre: Als Alternative für das Gendersternchen oder die Gender-Gap wird der Doppelpunkt immer beliebter: Leser:in. Diese Schreibweise wird von Screen-Readern für Seheingeschränkte oder Blinde als kurze Pause gelesen und gilt damit als inklusiver. In der Folge verbreitete sich der Genderdoppelpunkt vor allem bei Behörden und Institutionen.
2021: Der Duden schafft das generische Maskulinum bei Personenbeschreibungen ab: Ab sofort meint „der Leser“ nur noch männliche Leser. Spricht man Frauen und Männer an, muss man Leserinnen und Leser bzw. Leser und Leserinnen schreiben – wie es schon vor 20 Jahren mit dem deutschen Gleichstellungsgesetz angestoßen wurde. Gleichzeitig halten Neubildungen wie „Gästin“ oder „Bösewichtin“ Einzug in den Duden.
Aber lehnt nicht die Mehrheit Gendersprache ab?
Tatsächlich ist die Mehrheit der Menschen in Deutschland gegen das Gendern in der Sprache. Zwei Drittel halten Gendersternchen und ähnliche Formen für unnötig und überflüssig. Entsprechende Ergebnisse brachte eine im Sommer veröffentlichte Umfrage von infratest dimap zu Tage. In Auftrag gegeben hat sie die „Welt am Sonntag“. Ein Jahr zuvor war die gleiche Umfrage schon ein Mal durchgeführt worden. Innerhalb dieses einen Jahres ist Ablehnung von gendergerechter Sprache sogar noch gewachsen. Wenig überraschend: Unter denen, welche die Partei die Grünen wählen, befürworten deutlich mehr das Gendern als unter jenen, die der AFD zugeneigt sind. Zudem zeigt die Umfrage, dass Frauen und Jüngere eine gendergerechte Sprache etwas stärker befürworten, ebenso Menschen mit einem hohen Bildungsgrad.
Hier wird sich in den kommenden Jahren, vielleicht auch erst Jahrzehnten zeigen, ob sich für gendergerechte Sprache eine Mehrheit findet oder ob es das Herzensprojekt einer engagierten, aber kleinen Minderheit bleibt.
Wir hätten gern noch eine kleine Umfrage unter Lausebanden veröffentlicht und haben uns dazu auf der Straße umgehört. Die Familien, die wir befragt haben, hielten Gendern durchweg für Blödsinn. Allerdings war keine von ihnen bereit, diese Meinung mit Name oder gar Foto in der lausebande zu veröffentlichen.
Stört Gendern den Textfluss?
Ein Grund für diese starke Ablehnung ist das Sprachgefühl. Viele Menschen stören sich daran, dass Texte mit Genderstern, Doppelpunkt, Binnen-I oder auch der Doppelform weniger verständlich sind. Der Lesefluss ist gestört, die Gender-Zeichen lenken bisweilen vom Inhalt des Textes ab. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Insbesondere wenn in einem Text sehr konsequent die Doppelform Leser und Leserinnen genutzt wird, kann das zu deutlich mehr Textlänge führen. Vermutlich ist es auch genau diese Form des Genderns, die viele abschreckt und die ganze Thematik etwas elitär wirken lässt. Dabei gibt es mittlerweile sprachliche Alternativen wie die Nutzung von neutralen Begriffen, z.B. Studierende statt Student*innen oder Redaktion statt Redakteur*innen. Am Ende dieses Artikels stellen wir einige dieser Möglichkeiten vor.
Kann Sprache zu mehr Gleichberechtigung führen?
Warum sollten wir überhaupt beim Sprechen und Schreiben gendern oder auch nicht? Ein Argument, das sowohl von der pro- als auch der contra-Seite gern zitiert wird, ist die Gleichstellung der Frau. Die eine Seite sagt: Viel wichtiger als gendergerechte Sprache sei die reale Gleichstellung von Frauen, also bessere Bezahlung, gleiche Jobchancen, vielleicht sogar eine Frauenquote. Was bringe es Frauen beim Sprechen explizit mit zu nennen, wenn sich doch in der Realität ohnehin nichts an der Benachteiligung von Frauen ändere? Wie weit der Weg zur Gleichstellung von Mann und Frau in der Realität noch ist, haben wir in der Februarausgabe 2021 der „lausebande“ aufgezeigt und empfehlen dieses Spezial an dieser Stelle gern zum Nachlesen (siehe hier).
Die Gegenseite wiederum argumentiert: Gendergerechte Sprache ist ein Mosaikstein in der Debatte um Gleichstellung. Erst wenn wir Frauen explizit mit nennen und nicht nur mit meinen, werden sie in Artikeln, Reden, Fernsehsendungen sicht- und hörbar. Und genau diese veränderte Wahrnehmung kann langfristig auch die Wirklichkeit verändern. Dass das tatsächlich so ist, darauf deuten Studien hin. So wurden in einer Untersuchung der FU Berlin knapp 600 Grundschulkindern Berufe vorgelesen. Anschließend sollten die Kinder einen Fragebogen beantworten, z.B. wie viel sie in dem Beruf verdienen können, ob er schwer zu erlernen oder auszuführen ist und ob sie selbst ihn sich zutrauen. Wurde sowohl die männliche als auch die weibliche Berufsbezeichnung genannt, dann interessierten sich mehr Mädchen für jene Berufe, die typischerweise eher von Jungs gewählt werden und trauten sich diese eher zu. Wurde nur die männliche Variante vorgelesen, fehlte dieser Effekt.
Spannend ist ein weiterer Befund der Wissenschaft. Demnach hat Sprachstruktur sehr wohl Einfluss auf die reale Gleichstellung der Geschlechter. Mehrere Studien haben jene Länder miteinander verglichen, in denen die Grammatik zwischen den Geschlechtern unterscheidet, mit jenen, wo das nicht passiert. In diesen Ländern sind die Frauen geringer am Erwerbsleben beteiligt, ebenso politisch weniger stark vertreten und selbst in der Schule werden Mädchen von Jungs abgehängt. Zudem sind Menschen, die eine Sprache mit grammatischem Geschlecht sprechen, tendenziell eher traditionellen Geschlechterzuschreibungen verhaftet. Sie stimmen beispielsweise eher Aussagen zu wie „Insgesamt sind Männer bessere Führungskräfte in der Wirtschaft als Frauen“. Um auszuschließen, dass diese Unterschiede tatsächlich in der Sprache begründet liegen, wurden auch solche Länder untersucht, in denen mehrere Sprachen mit unterschiedlichen Strukturen gesprochen werden (z.B. Indien, Kenia, Nigeria). Auch dort wurden diese Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen festgestellt. Sprache hat also durchaus Einfluss auf unser Denken und Handeln.
Wer legt fest, wie wir schreiben?
Doch wer entscheidet eigentlich darüber, wie wir sprechen und schreiben? Während im privaten Bereich jeder und jede frei von Vorgaben sprechen und schreiben kann (denn wir leben eben nicht in einer Sprachdiktatur), gibt es für Institutionen wie Schulen und Verwaltungen offizielle Normen für die deutsche Rechtschreibung, auch etliche Verlage und Medien orientieren sich daran.
Diese Vorgaben stehen im Amtlichen Regelwerk. Das ist – entgegen der weitverbreiteten Meinung – nicht der Duden. Der ist noch immer das meist verkaufte Rechtschreibwörterbuch und war bis 1996 offiziell verbindlich in orthografischen Zweifelsfällen. Seit der Rechtschreibreform gibt der Rat für deutsche Rechtschreibung das Amtliche Regelwerk heraus. Es umfasst einen Regelteil und ein Wörterverzeichnis mit etwa 12.000 Einträgen. Es ist online kostenfrei abrufbar und im Buchhandel in der Auflage von 2006 erhältlich. Der Rat für deutsche Rechtschreibung ist damit die wichtigste Instanz für die Regeln der deutschen Orthografie. Daher hat seine offizielle Empfehlung zu gendergerechter Sprache, die im März 2021 veröffentlicht wurde, durchaus Gewicht. Diese Empfehlung, an die sich offizielle Einrichtungen halten müssen, mahnt zur Zurückhaltung bei gendergerechter Sprache, wenn sie zulasten der Lesbarkeit geht. Vor diesem Hintergrund ist die Nutzung von Gender-Stern, Gender-Gap, Doppelpunkt und anderen verkürzenden Formen nicht regelkonform. Der wichtigste Grund dafür ist die Lesbarkeit und Verständlichkeit. Ziel dieser Regelung ist es, bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht auszuschließen. Dazu gehören Grundschulkinder, die das Lesen und Schreiben erst erlernen und festigen müssen, aber auch Erwachsene, die selbst einfache Texte kaum lesen können, das betrifft immerhin 12 Prozent der Erwachsenen. Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, würde man mit Gender-Stern und Co. ebenfalls ausschließen. Immer mehr Menschen nutzen im Internet die Möglichkeit, sich Texte vorlesen zu lassen, das gilt vor allem für Ältere. Auch hier muss die Verständlichkeit im Vordergrund stehen.
So hitzig die Debatte ist, so unterschiedlich waren erwartungsgemäß auch die Reaktionen auf diese offizielle Empfehlung des Rates. Dessen Geschäftsführerin Dr. Sabine Krome übt sich in Gelassenheit: „Das Thema ist sehr komplex, das muss man differenziert betrachten. Wir betrachten das Thema von den Aspekten der Rechtschreibung und Verständlichkeit aus, das war keine sprachpolitische Entscheidung.“ Es gehe vor allem darum, das Erlernen der deutschen Sprache nicht noch mehr zu erschweren, so Krome: „Es ist zu beobachten, dass Rechtschreibkenntnisse in den vergangenen Jahren im Zuge anderer gesellschaftlicher Entwicklungen ohnehin zurückgegangen sind.“
Hauptanliegen ist es also, die deutsche Sprache nicht noch schwerer zu machen. Es geht nicht darum, bestimmte Personen und Gruppen von Schreibenden auszuschließen. Der Rat für deutsche Rechtschreibung bekräftigt in der Empfehlung daher, dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll und sie sensibel angesprochen werden sollen. „Dies ist allerdings eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht allein mit orthografischen Regeln und Änderungen der Rechtschreibung gelöst werden kann“, so die Empfehlung. Die Schulen können und sollen das Thema gendergerechte Sprache durchaus im Unterricht thematisieren, so Geschäftsführerin Krome. „Das kann aber auch auf historischer und kultureller Ebene eingeordnet werden, z.B. mit Blick auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft.“
Praktisch heißt das für die Schulen, aber auch Verwaltungen: Bezeichnungen wie „Schüler und Schülerinnen“ sind also weiter möglich, Schüler*innen, SchülerInnen, Schüler_innen oder Schüler:Innen jedoch dürfen nicht genutzt werden, auch nicht in Lehrmaterialien wie Schulbüchern oder Arbeitsblättern. Kurz nach der Empfehlung im März reagierten die ersten Kultusministerien mit entsprechenden Mitteilungen. Die waren angesichts der klaren Vorgaben aus Mannheim erstaunlich unterschiedlich. Während das CDU-geführte Bildungsministerium in Sachsen die Schulen aufgefordert hat, die amtlichen Regeln eins zu eins umzusetzen, will das Grünen-geführte Kultusministerium in Baden-Württemberg den Schulen die Nutzung von Gender-Stern und Co. freistellen. „Das ist so mit dem Statut des Rats nicht vereinbar“, sagt Dr. Sabine Krome vom Rat für Rechtschreibung. „Die Empfehlungen des Rats müssen von den staatlichen Stellen aller sieben Länder mit Deutsch als Amtssprache beschlossen werden, sie haben Verbindlichkeit für den gesamten deutschen Sprachraum. Das Amtliche Regelwerk sieht bisher keine typografischen Zeichen im Wortinneren vor.“
Das Gendersternchen spielt an den meisten Schulen keine Rolle – sehr wohl aber wird über Geschlechterrollen, Diversity und Sprachwandel diskutiert.
Diese Regeln gelten an den Schulen
Das Gendersternchen spielt an den meisten Schulen keine Rolle – sehr wohl aber wird über Geschlechterrollen, Diversity und Sprachwandel diskutiert.
Wir haben daher alle 16 für die Schulen zuständigen Ministerien in Deutschland angeschrieben und nach der Umsetzung der offiziellen Empfehlung gefragt, alle Länder außer Bremen und Thüringen haben geantwortet, hier ihre Antworten.
Brandenburg: Das Bildungsministerium (als Verwaltung) sowie die Schulen sind zu geschlechtersensibler Sprache wie auch zur Beachtung der Normen der deutschen Rechtschreibung verpflichtet. Für die Schulen wie für die Verwaltung gilt das Amtliche Regelwerk der Rechtschreibung und dieses sieht keine Verwendung von Sonderzeichen im Wortinnern zur Bezeichnung von Geschlechteridentitäten vor. Praktisch bedeutet das: keine Verwendung von Gender*-Sternchen, Binnen-I, Schrägstrich / oder Auslassungen. Die weibliche und die männliche Form sind auszuschreiben, die Reihenfolge kann wechseln. Da wo sinnvoll und gebräuchlich, können Alternativen genutzt werden, wie beispielsweise Lehrkräfte, Studierende, Auszubildende usw. Lehr- und Lernmaterialien werden in der Regel von Verlagen herausgegeben, also von privatwirtschaftlich agierenden Unternehmen. Jede Schule entscheidet im Rahmen ihrer Selbstständigkeit und nach Rücksprache mit den schulischen Gremien, welche Lehr- und Lernmaterialien sie anschafft. Darauf hat das Bildungsministerium keinen Einfluss. Es veröffentlicht indes alljährlich eine Liste zugelassener Schulbücher.
Sachsen achtet auf die Umsetzung der Vorgaben und schreibt dazu: Die Verwendung von Sonderzeichen, wie Gender-Stern, Gender-Doppelpunkt, Gender-Unterstrich oder Doppelpunkt im Wortinneren, erfüllt weder die Kriterien für eine gendergerechte Schreibung noch entspricht sie den aktuellen Festlegungen des Amtlichen Regelwerks, welches die Grundlage für die deutsche Rechtschreibung bildet und somit auch für die Schulen gilt. Diese Zeichen sind daher im Bereich der Schule und auch in offiziellen Schreiben von Schulen nicht zu verwenden. Dennoch sei das Ziel beim Lehren und Lernen an den Schulen eine geschlechtergerechte und verständliche Sprache: „Es geht darum, alle Geschlechter auf respektvolle Art und Weise anzusprechen und sichtbar zu machen, ohne die amtlichen Regelungen zur Rechtschreibung zu verletzen. Unsere Schulen und vor allem unsere Schülerinnen und Schüler brauchen verlässliche Regeln. Diese gibt es und wir setzen sie um.“
Baden-Württemberg orientiert sich an den eingangs vorgestellten Vorgaben und wendet diese auch für die Korrekturen von Aufsätzen an. Die Beurteilungs- und Korrekturrichtlinien für die Abschlussprüfungen enthalten allerdings keine Aussagen zum Gendern. Generell, so das Kultusministerium, sei es ein Anliegen, dass Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg für geschlechtergerechte Sprache sensibilisiert werden. In der Schulbuchzulassungsverordnung des Landes betreffen zwei der fünf Vorgaben das Thema „gendergerechte Sprache“. Demnach ist auf sprachliche Klarheit und die korrekte Anwendung der Rechtschreibung entsprechend der Vorgaben des Rats für deutsche Rechtschreibung zu achten. Weiterhin soll das Buch ausreichend Identifikationsmöglichkeiten bieten und stereotype Rollenzuschreibungen vermeiden, das jedoch nicht nur über die Sprache, sondern auch über die Bildauswahl und die Vermeidung von Klischees. Die Aufregung um die Aussage von Kulturministerin Theresa Schopper sieht die Pressestelle gelassen und keinen Verstoß gegen offizielle Richtlinien: „Im Unterricht können Lehrkräfte mit ihren Schülerinnen und Schülern vereinbaren, wie und in welcher Form sie geschlechtergerechte Sprache benutzen möchten. Das ist jedoch nichts Neues: Es gibt keinen neuen Erlass, Verordnung oder Entscheidung dazu – die Ministerin hat auch keine neue Verfahrensweise angekündigt. In dem von Ihnen angesprochenen Interview hat die Ministerin den Status Quo aufgegriffen und gesagt, dass es gut sei, wenn Schülerinnen und Schüler in der Schule für geschlechtergerechte Sprache sensibilisiert würden.“
Bayern hat als einziges Bundesland darauf verwiesen, dass die eingangs vorgestellten Regelungen auch für Schulbücher greifen: „Grundlage für die Rechtschreibung in Schulen, öffentlicher Verwaltung und Rechtspflege ist das Amtliche Regelwerk für die deutsche Rechtschreibung, das vom Rat für deutsche Rechtschreibung herausgegeben wird. Die in Bayern zugelassenen Schulbücher unterliegen ebenfalls diesen amtlichen Regelungen.“
Berlin: Dort gilt als rechtliche Grundlage die Gemeinsame Geschäftsordnung der Berliner Verwaltung, d.h. alle Schreiben werden mit weiblicher und männlicher Form gefasst. Zur Schule heißt es weiter: „Im Unterricht wird die Schreibweise nach Duden gelehrt und nur diese, d.h. alle männlichen und weiblichen Bezeichnungen gemäß Schreibweise des Duden sind richtig. Das heißt aber auch, dass Gendersternchen, Unterstrich usw. nicht als normgerechte Schriftsprache gelehrt werden, aber natürlich als gesellschaftliches Phänomen untersucht und besprochen werden können. Im Sinne eines zeitgemäßen Unterrichts ist das Aufgreifen von Genderfragen ausdrücklich erwünscht und durch unsere übergreifenden Themen im Rahmenlehrplan (Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter) auch als Vorgabe verortet.“
Hamburg: Für den Unterricht und Leistungskontrollen gelten die Vorgaben des Dudens bzw. der Gesellschaft für deutsche Sprache. Für alle anderen Bereiche, z.B. externe und interne Kommunikation, Homepage und andere Veröffentlichungen gilt, dass darüber hinaus auch das Gendern mit Sonderzeichen möglich ist, allerdings die jeweiligen Zielgruppen im Blick behalten werden sollen, also Verständlichkeit berücksichtigt werden soll.
Hessens Kultusministerium arbeitet aktuell an einem Erlass für die Schulen, in dem der Themenkomplex gendergerechte Sprache im Mittelpunkt steht: „Hauptaugenmerk ist dabei, dass die Schülerinnen und Schüler die korrekte Rechtschreibung lernen und diese eingehalten wird.“
Mecklenburg-Vorpommern verweist bei diesem Thema auf zwei Aspekte: die rechtlichen Rahmenbedingungen und Gendern als gesamtgesellschaftlicher Prozess. Die Lehrkräfte sind gehalten, sich in der gendergerechten Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern und den Eltern an den gesetzlichen Beschlüssen zu orientieren und sie sind dazu verpflichtet, diese in alle Bereiche des Schulalltags zu implementieren. Zudem ist das Gendern als gesamtgesellschaftlicher Prozess Teil des Sprachwandels und hat somit Eingang in die geltenden Bildungsziele gefunden. So sind beispielsweise unterschiedliche Aspekte und Formen des Genderns in den Rahmenlehrplänen wiederzufinden.
Nordrhein-Westfalen: Dort gilt für Schulen neben den Vorgaben des Rats der deutschen Rechtschreibung das Landesgleichstellungsgesetz, dass eine geschlechtergerechte Sprache empfiehlt. Weiter heißt es aus dem Schulministerium: Es „setzt sich für die Förderung von Akzeptanz geschlechtlicher Vielfalt sowie für den Abbau von Diskriminierung, auch gegenüber nicht-binären Menschen, ein. Dies betrifft auch den Bereich der Lernmittel. So geben die Prüfkriterien für Lernmittel des Ministeriums für Schule und Bildung unter anderem vor, dass Lernmittel frei von jeglicher Form von Diskriminierung sein müssen. Des Weiteren müssen sie Menschen mit unterschiedlichen Diversitätsmerkmalen in angemessenem Umfang sowie klischeefrei und vielfältig repräsentieren. Die gesellschaftlich kontrovers geführte und noch nicht abgeschlossene Debatte zu Schreibweisen, die nicht-binäre Geschlechter sprachlich sichtbar machen, wird vom Ministerium für Schule und Bildung intensiv beobachtet.
Niedersachsen: Von der Pressestelle heißt es auf unsere Nachfrage nach Vorgaben durch das dortige Kultusministerium lapidar: „Derlei Vorgaben gibt es seitens des Kultusministeriums nicht.“
Rheinland-Pfalz hat bereits seit 1995 eine Verwaltungsvorschrift „Geschlechtergerechte Amts- und Rechtssprache“. Darin heißt es: „Die Amtssprache und die Rechtssprache müssen geschlechtergerecht sein. Ihre geschlechtsgerechte Ausgestaltung trägt dazu bei, den Grundsatz der Gleichbehandlung von Frau und Mann zu verwirklichen.“ Darüber hinaus gibt es seitens des Ministeriums für Familie, Frauen, Integration und Verbraucherschutz eine Handreichung „Geschlechtergerechte Sprache“. Aus den Schulen heraus gebe es zum Thema gendergerechte Sprache bislang nur wenige Rückmeldungen. Klar sei aber auch, dass Schülerinnen und Schüler mit dem Thema in Berührung kommen und sie damit umgehen können sollen. Das Land wünscht sich eine gemeinsame Festlegung aller Länder in dieser Frage.
Schleswig-Holstein achtet auf die Einhaltung der amtlichen Regeln des Rates für deutsche Rechtschreibung im Unterricht. Dies bedeutet für die Schulen, dass – wie bei anderen Verstößen gegen die Rechtschreibung auch – die Verwendung von verkürzten Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen in schriftlichen Arbeiten von Schülerinnen und Schülern, in denen die Bewertung der Sprachrichtigkeit in die Leistungsbewertung eingeht, beim ersten Auftreten als Fehler markiert und anschließend als Folgefehler gekennzeichnet wird. Möglich sind die jeweils ausgeschriebene weibliche und männliche Form sowie eine neutrale Variante: Expertinnen und Experten und beispielsweise Studierende. Diese Regelungen beziehen sich auf das Erlernen und die Rechtschreibung der deutschen Sprache im Unterricht. Lehrmaterialien werden in Schleswig-Holstein über die Schule ausgewählt, Regelungen von Landesseite gibt es nicht.
Sachsen-Anhalt nimmt andere rechtliche Grundlagen als Basis für die Schulen: Die Regelungen zur gendergerechten Sprache in offiziellen Dokumenten und im Schriftverkehr – und damit auch im Bereich Schule – richten sich nach den gültigen Rechtsvorschriften des Landes Sachsen-Anhalt. Es gelten das „Gesetz zur Förderung der Gleichstellung der Frau in der Rechts- und Verwaltungssprache des Landes Sachsen-Anhalt“ aus dem Jahr 1992 (Nebeneinander von weiblicher und männlicher Sprachform – also voll ausgeschriebene Paarformeln – oder Auswahl einer nicht geschlechtsbezogenen Sprachform) sowie die Grundsätze der Rechtsförmlichkeit (gültig seit 28.10.2014). Der Landtag hat im Jahr 2018 beschlossen, dass die bestehenden rechtlichen Vorgaben zur sprachlichen Gleichstellung derzeit ausreichend sind.
Saarland: Das dortige Ministerium für Bildung und Kultur MBK macht keine Vorgaben und nutzt sehr wohl das Gender-Sternchen, zumindest intern. Konkret heißt es aus der Pressestelle: „Es ist Querschnittsaufgabe im MBK, auf geschlechtergerechte Sprache zu achten und damit auch als Vorbild für die Arbeit in unseren Schulen zu dienen. In der internen Kommunikation gendern wir grundsätzlich mit *, auf unseren Webseiten mit Nennung weiblicher und männlicher Form, wegen der Barrierefreiheit. In den Veröffentlichungen des Ministeriums sowie in Rundschreiben, Erlassen und anderen für die Öffentlichkeit bestimmten Texten wird streng darauf geachtet, sowohl die männliche wie auch die weibliche Form immer dann gesondert aufzuführen, wenn es keine geschlechterneutrale Form gibt. Um dem Anspruch gerecht zu werden, alle Geschlechter zu berücksichtigen (m/w/d), wird auch hier das Gender-Sternchen eingesetzt (z.B. Schüler*innen). Eine geschlechtergerechte Sprache und die damit einhergehende Akzeptanz lässt sich nicht verordnen, sondern ist das Ergebnis einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Eine Pflicht zum Gendern im Unterricht gibt es daher nicht. Wir versuchen aber in unserer täglichen Kommunikation als Bildungsministerium zu einem Bewusstseinswandel beizutragen.“
Der Duden gilt vielen als Referenz für die korrekte Rechtschreibung und Grammatik, er nimmt immer mehr gendergerechte Einträge auf.
Die Sprachinstitute und ihre Positionen
Neben dem Rat für deutsche Rechtschreibung verfügt Deutschland über weitere Institute und Vereine, die sich um die Pflege und den Erhalt der deutschen Sprache kümmern. Hier ein Überblick zu ihren Positionen zur gendergerechten Sprache.
Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache begleitet die Debatte wissenschaftlich. Einen offiziellen Standpunkt hat es nicht, es finden sich unter den Forschenden sowohl solche, die das Gendern befürworten und solche, die es ablehnen. Intensiv damit beschäftigt sich Prof. Dr. Carolin Müller-Spitzer. Sie leitet das am Institut beheimatete Forschungsprojekt Empirische Genderlinguistik. Im Interview mit der „lausebande“ wünscht sich Spitzer mehr Gelassenheit in der Debatte: „Es geht nicht darum, alles in schnellem Tempo mitzumachen. Vielmehr sollte man diejenigen, die neue Sprachformen ausprobieren möchten, entspannt experimentieren lassen und schauen, wo es uns hinführt. Die sprachliche Welt geht davon ganz bestimmt nicht unter, im Gegenteil: vielleicht werden uns so neue Horizonte eröffnet.“
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ist eine Vereinigung von knapp 200 Menschen, die sich für Sprache und Dichtung interessieren. Zuletzt hat sich der Verein 2019 zum Thema positioniert: Demnach „bietet die deutsche Sprache, so wie sie sich im Lauf der Jahrhunderte entwickelt hat, ein schier unerschöpfliches Repertoire an Ausdrucksmöglichkeiten. Alle Sprecher, Sprecher und Sprecherinnen, SprecherInnen, Sprecher!innen, Sprecher_innen, Sprecher*innen, Sprecher/innen, Sprecherïnnen, Sprechex und Sprechys sind aufgefordert, von diesem Reichtum guten Gebrauch zu machen. Dazu kann man Ratschläge geben; pauschale Vorgaben oder gar Vorschriften sollte sich niemand anmaßen.“ Ausgenommen von dieser sprachlichen Freiheit seien offizielle Kontexte wie der Deutschunterricht an der Schule oder Behörden. Hier müsse sowohl auf die im Grundgesetz garantierte Gleichberechtigung als auch auf Verständlichkeit geachtet werden. Auf ihrer Homepage nutzt die Akademie die grammatische männliche Form mit dem Verweis, dass damit ebenso Frauen gemeint seien.
Die Duden-Redaktion hat seit 1996 keine offizielle Funktion mehr, gibt aber bis heute das meist genutzte Wörterbuch der deutschen Sprache heraus. Für Aufsehen sorgte die Anfang des Jahres vorgenommene Neuerung, wonach bei männlichen Nomen wie Arzt oder Bäcker nun auch die weibliche Form einen extra Eintrag erhält. Zusätzlich wurden neue gewöhnungsbedürftige Kreationen wie Gästin oder Schuftin aufgenommen. In einem Presseinterview kurz nach der Veröffentlichung sagte die Chefredakteurin des Dudens, Kathrin Kunkel-Razum: „Wir plädieren für einen Mix, also für das Ausschöpfen aller sprachlichen Möglichkeiten, die es gibt. Wenn aber ein Zeichen verwendet werden soll – und dafür gibt es gute Gründe –, dann sehen wir aktuell, dass der Stern am häufigsten verwendet wird, und dann würden wir auch dazu raten, diesen zu benutzen. Aber, wie gesagt, es gibt ganz viele Möglichkeiten, geschlechtergerecht zu formulieren.“ Im Sommer 2020 war bereits die aktuelle Auflage der gedruckten Version erschienen – dort noch ohne weibliche Einträge, dafür aber mit einem dreiseitigen Überblick über die Möglichkeiten, die das Deutsche für das Gendern bereithält.
Die Gesellschaft für deutsche Sprache ist ein gemeinnütziger Verein, der nach eigenem Bekunden das Bewusstsein und das Interesse für die deutsche Sprache fördern will. Zu den wichtigsten Aufgaben gehören die Sprachberatung und die Vornamenberatung. Vielen dürfte die einmal jährlich vom Verein veröffentlichte Liste der beliebtesten Vornamen bekannt sein. Die Gesellschaft unterstützt die Bemühungen um eine sprachliche Gleichbehandlung, gleichwohl empfiehlt sie nicht alle derzeit gängigen Methoden, nämlich dann nicht, wenn sie die Lesbarkeit und Verständlichkeit von Texten einschränken und nach heute gültigen Regeln grammatikalisch und orthografisch nicht vertretbar sind. Dazu zählt beispielsweise das Gender-Sternchen.
Der Verein Deutsche Sprache tritt für die Rettung der deutschen Sprache ein und vereint eher konservative Meinungen. Die zunehmende Nutzung von Anglizismen ist ihm ebenso ein Graus wir das Gendern. Er positioniert sich sehr klar gegen die Nutzung gendergerechter Sprache. Gendern sei nutzlos, unwissenschaftlich, sexistisch und undemokratisch. Der Verein verweist darauf, dass die Mehrheit der Deutschen sprachliches Gendern ablehne und sieht eine sprachliche Gängelung der Menschen. Er hat eine Petition zur Rettung der deutschen Sprache gestartet, die sich gegen die durch den Duden vorgenommene „Sexualisierung der deutschen Sprache“ richtet und unterstützt eine Unterlassungsklage eines Audi-Mitarbeiters, der sich durch die Gender-Richtlinien seines Arbeitgebers gegängelt sieht.
Wie stark gendern die Medien? Zumindest in Überschriften gestaltet es sich schwierig.
Gendergerechte Sprache in den Medien
Einen vermutlich noch viel größeren Einfluss als diese Institute haben die Medien auf die Entwicklung und die Nutzung von Sprache. Durch ihre breite Öffentlichkeit wird ihre Sprech- und Schreibweise vergleichsweise stark wahrgenommen. Medien sind daher ein Gradmesser für die Relevanz und Akzeptanz gendergerechter Sprache. Als Petra Gerster, ehemalige Nachrichtensprecherin beim ZDF, anfing in der „heute“-Sendung die Genderlücke zu sprechen, sorgte das für viel Aufsehen. Sie erhielt nach eigenen Angaben zahlreiche wütende Mails. Doch wie so oft trat irgendwann Gewöhnung ein, die Zahl der kritischen Mails ging mit der Zeit deutlich zurück. Die Entscheidung dazu hatte sie selbst getroffen. Die wenigsten Medien machen der Redaktion verpflichtende Vorgaben. Hier ein Überblick über den Umgang ausgewählter Medien mit gendergerechter Sprache:
Die Nachrichtenagenturen wie dpa, AFP und Reuters haben im Juni gemeinsame Leitlinien zu diskriminierungssensibler Sprache veröffentlicht. Demnach wird das generische Maskulinum in kompakter Nachrichtensprache noch vielfach verwendet, soll aber schrittweise zurückgedrängt werden. Ob die Nachrichtenagenturen in einigen Jahren ganz darauf verzichten können, hänge von der weiteren Entwicklung der Sprache ab. Solange nicht klar ist, ob und welche Sonderzeichen wie Gendersternchen sich durchsetzen, wird darauf verzichtet. Stattdessen sollen andere Formen wie Studierende oder „ärztlicher Rat“ statt „Rat des Arztes“ genutzt werden.
Die Lausitzer Rundschau hat das Thema in der Redaktion in den vergangenen Monaten häufiger diskutiert: „Wir empfehlen den Redakteurinnen und Redakteuren, sich an den Leitlinien der Nachrichtenagenturen für diskriminierungssensible Sprache zu orientieren. Bei unseren redaktionellen Texten benutzen wir keine Gendersternchen oder das Gender-Gap, kein Binnen-I oder Schrägstrich- bzw. Klammerschreibweisen.“
Die Sächsische Zeitung teilt auf lausebande-Anfrage mit: Das Thema wird in der Redaktion regelmäßig diskutiert, eine Entscheidung im Sinne von Regelwerk oder Leitlinien gibt es bislang nicht. Die Chefredaktion tendiert dazu, zunächst ein belastbares Meinungsbild aus der Leserschaft zu gewinnen, also von den Menschen, für die sie schreiben. Und dies durchaus differenzierend zwischen Print und digital mit ihrem jeweils unterschiedlichem Publikum.
Vom Regionalfernsehen LTV heißt es auf unsere Nachfrage: „Die oberste Leitlinie ist, dass wir gendergerechte Sprache in jedem Fall benutzen möchten. Da es für unser Empfinden etwas unglücklich klingt, im Fernsehen die Version mit dem *innen zu nutzen, haben wir uns geeinigt in den Texten jeweils beide Versionen zu nennen (also Cottbuserinnen und Cottbuser). An den Stellen, wo eine Alternative möglich ist, die beide Geschlechter mit einschließt (z.B. Nutzende anstatt Nutzerinnen und Nutzer), versuchen wir, diese Begriffe zu verwenden.“
Der rbb bemüht sich grundsätzlich um eine gendersensible, verständliche und zugewandte Sprache. Die konkrete Umsetzung des Genderns bleibt den Redaktionen überlassen. Sie entscheiden mit Blick auf die jeweilige Zielgruppe über die Verwendung des gesprochenen Gendersternchens. „In allen anderen Nachrichten und ebenso in der Unternehmenskommunikation des rbb werden Gendersternchen, Doppelpunkt oder Binnen-I nicht verwendet. Wir legen großen Wert auf Verständlichkeit. Deshalb bevorzugen wir hier, beide Geschlechtsformen oder genderneutrale Sprache zu nutzen.“
Der Radiosender Fritz des rbb war einer der ersten, der sich bewusst für das Mitsprechen des Gender-Gaps entschieden hat. Bereits seit Herbst 2020 wird beim Sprechen die entsprechende kurze Pause gelassen. Begründet wurde das mit der recht jungen Zielgruppe und Redaktion des Senders, die beide sehr wohl Wert auf gendergerechte Sprache legen. Von der Zielgruppe kam dann auch überwiegend Zustimmung.
Beim MDR regelt ein „Leitfaden für einen diskriminierungsfreien und geschlechtergerechten Sprachgebrauch“ das Thema. Das Papier verweist darauf, dass durch die Sprache in Programmen und auf Webseiten niemand diskriminiert werden soll. Gender-Sternchen, Binnen-I oder andere Sonderschreibweisen aber hat das Direktorium abgelehnt. Grundsätzlich empfiehlt der MDR-Leitfaden den Mitarbeitenden, nach kreativen Lösungen zu suchen und die alleinige Verwendung des generischen Maskulinums zu vermeiden.
Der Spiegel empfiehlt in seinen zuletzt Anfang 2020 aktualisierten Standards auf die alleinige Verwendung des generischen Maskulinums zu verzichten. Stattdessen sei angestrebt, in Texten beide Geschlechter abzubilden. Denkbar sei die Nennung beider Geschlechter oder die Nutzung geschlechtsneutraler Varianten wie Studierende.
Die taz macht der Redaktion keine Vorschriften. Dennoch finden sich in fast allen Artikeln gendergerechte Formen von Substantiven, wobei die Vielfalt groß ist: Politiker:innen, Leser*innen, MinisterpräsidentInnen oder auch einfach nur Zuschauer, denn nicht alle müssen und wollen mitmachen.
Das ZDF teilt das Anliegen einer geschlechtergerechten Ansprache. Es stellt der Redaktion und der Moderation frei, dafür sprachliche Mittel zu finden. Es gibt keine Vorgabe, in ZDF-Sendungen zu gendern, aber auch keine Verbote.
Die ARD bemüht sich in allen Sendungen des Ersten um eine geschlechtergerechte Sprache, von der sich möglichst alle Zuschauerinnen und Zuschauer angesprochen fühlen. In den Nachrichtensendungen von ARD aktuell wird der Genderstern nicht mitgesprochen, weil er derzeit nicht dem allgemeinen Sprachgefühl entspreche.
Führen auch andere Länder diese Debatte?
Wer die oft hitzige Debatte in Deutschland verfolgt, fragt sich mitunter, ob auch andere Länder mit so viel Leidenschaft darüber diskutieren. Das passiert durchaus. So brach in Frankreich ein regelrechter Shitstorm über die Redaktion des Wörterbuchs Petit Robert her, das in Frankreich eine Stellung inne hat wie der Duden in Deutschland. Die Ursache: Das Wörterbuch hat in seiner Online-Ausgabe das Pronomen „iel“ aufgenommen, eine Zusammensetzung aus „il“ für „er“ und „elle“ für „sie“. Damit sollen jene Menschen benannt werden können, die sich keinem Geschlecht zuordnen. Das Wort werde zunehmend in der Praxis verwendet, so die Begründung der Redaktion. Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Während Transgender-Vertretungen die Neuerung als historischen, überfälligen Schritt begrüßen, sieht Frankreichs Bildungsminister Jean-Michel Blanquer die französische Sprache bedroht. Die Robert-Redaktion reagiert gelassen, sie freut sich über die angestoßene Debatte und will „iel“ ebenfalls in die nächste gedruckte Auflage aufnehmen. Auch die Diskussion um die Verwendung von Genderstern oder Bindestrich wird seit Jahren kontrovers geführt, an Schulen beispielsweise wurde sie untersagt – ähnlich wie in Deutschland.
In Schweden wurde diese Diskussion schon vor sechs Jahren geführt. Seitdem findet sich in schwedischen Wörterbüchern das Personalpronomen „hen“ – genutzt wird es analog zu „iel“. Es ergänzt somit die Pronomen „han“ für „er“ und „hon“ für „sie“. Mit „hen“ kann man sowohl Menschen ohne Geschlechtszugehörigkeit bezeichnen, es aber auch einfach allgemein nutzen, wenn kein Geschlecht explizit genutzt werden soll, beispielsweise in Kinderbüchern, in denen der Hauptfigur kein Geschlecht zugeschrieben wird, wie ein Elefant oder Monster. Als das Wörterbuch „hen“ aufgenommen hat, war das nur eine Reaktion auf den allgemeinen Sprachgebrauch. Das Pronomen wurde in Medien und im Alltag zunehmend häufiger verwendet. Gleichwohl hat die Aufnahme ins Wörterbuch im Jahr 2015 zu Debatten geführt. Der schwedische Autor Jan Guillou warf militanten Feministinnen vor, sie würden die Sprache zerstören.
Andere Länder müssen diese Debatten erst gar nicht führen, weil es in ihrem Sprachsystem keine Unterscheidung zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht gibt. So spielt die Genusunterscheidung im Chinesischen, Japanischen, Türkischen und Ungarischen keine Rolle.
Das Englische wiederum verzichtet weitgehend auf das grammatische Genus, unterscheidet aber bei den Pronomen zwischen den Geschlechtern. Dort steht doctor für Arzt und Ärztin, friend für Freund und Freundin. Wo es die Unterscheidung dennoch gibt, wird nach geschlechtsneutralen Lösungen gesucht. Statt policeman wird policeofficer genutzt. Die Pronomen sie und er werden mit she und her übersetzt. Um alle Geschlechter einzubeziehen, wir die Formulierung they genutzt. In der kanadischen Armee wurde im Frühjahr die Nutzung des Wortes unmanned/unbemannt durch das genderneutrale Wort „uncrewed“ ersetzt.
Wenn wir starke Töchter – und auch Jungs haben wollen – gehört noch viel mehr dazu als die Sprache. Foto: Olga Nikiforova, istock
Praxistipps für Familien
Das waren ganz schön viele Argumente für und auch gegen eine gendergerechte Sprache. Was heißt das praktisch für Familien? Natürlich dürfen und sollen Sie weiter so mit Ihren Kindern sprechen, wie Sie es für richtig halten. Wer aber Töchter hat und diesen Artikel aufmerksam gelesen hat, ist vielleicht doch geneigt, es mal mit gendergerechter Sprache zu versuchen. Denn solange wir nur von Ingenieuren, Piloten, Mechanikern und Ärzten sprechen, könnte es passieren, dass Mädchen sich nicht angesprochen fühlen, dass sie davon ausgehen, diese Berufe seien nichts für Frauen. Die Sprache allein wird die Vorstellungswelt unserer Kinder aber nicht verändern. Daher ist es mindestens genauso wichtig, Jungs und Mädchen gleichermaßen zu fördern, ihnen alle Hobbys zu ermöglichen, ganz gleich ob der Sohn zum Tanzen will oder sich die Tochter Lego Technics wünscht. Denn vermutlich noch viel stärker als Sprache wirken unsere unterbewussten Rollenzuschreibungen und Klischees. Wir trösten Mädchen, wenn sie weinen. Wenn Jungs weinen, heißt es: „Jetzt hab dich nicht so. Ein Indianer kennt keinen Schmerz.“ Wir ermutigen Jungs auf Bäume zu klettern und sich mal zu raufen, ermahnen aber Mädchen, das hübsche Kleid beim Spielen nicht schmutzig zu machen. Vielleicht sollten wir einfach mal unsere gedanklichen Schubladen öffnen und neu einsortieren.
Wer im Alltag mehr „Gendersprech“ wagen will, für den haben wir ein paar Möglichkeiten zusammengestellt:
Neutrale Formulierung: Studierende, Vorsitzende, Publikum statt Zuschauer/innen, Teilnehmende, Redaktion statt Redakteure, Kinder oder Jugendliche statt Schüler, Mensch statt Bürger, Lehrkraft statt Lehrer, Beschäftigte statt Mitarbeiter oder Arbeitnehmer, medizinisches Personal statt Ärzte und Pfleger, alle statt jeder, niemand statt keiner
Satzbau ändern: „Alle, die teilnehmen…“ statt „Die Teilnehmer…“, „Nutzen Sie bitte die Garderobe.“ Statt „Besucher nutzen bitte die Garderobe.“ „Wer studiert hat, kann…“ statt „Akademiker können…“, „Wer das befürwortet, glaubt…“ statt „Befürworter glauben…“.
Geschlechter abwechselnd nennen: „Die Leser….“, später im Text: „Die Leserinnen….“
Doppelform: Leser und Leserinnen, LeserInnen, Leser/innen, Leser:innen, Leser(innen), Leser_innen, Leser*innen – gesprochen mit einer kurzen Pause
Und wie gendert die „lausebande“?
Wie geht eigentlich unser Magazin mit dem Thema gendergerechte Sprache um? Die Frage haben wir uns in der Vergangenheit oft gestellt. Das Thema wird präsenter und wir sprechen auch in unseren Familien und mit unseren Kindern darüber. Immer öfter erreichen uns Pressemitteilungen und Texte, die konsequent gegendert sind. Öffentliche Einrichtungen, mit denen wir zusammenarbeiten, verfassen Genderrichtlinien und halten sich zumindest in der Außenkommunikation auch immer öfter daran. Es gibt also viele Gründe, aus denen wir uns entschieden haben, dieses Thema einmal ausführlich zu beleuchten. Das Ergebnis bestätigt den Eindruck aus den Gesprächen in unseren Familien und mit vielen Partnern – und unseren eher pragmatischen Umgang mit dem Gendern. Wir werden es weiterhin ähnlich handhaben wie bisher. Weder der Redaktion, noch anderen am Heft Beteiligten werden wir Vorgaben machen. Auch Interviews oder unser regelmäßig auf Seite 4 veröffentlichtes Grußwort werden wir nachträglich weder gendern noch ent-gendern. Auf Sonderzeichen werden wir in unseren eigenen Texten aufgrund der Lesbarkeit verzichten. Sprache ist ein lebendiges Kommunikationsmittel, wenn sich in unserem Alltag klare und vor allem von den Menschen angenommene Regeln durchsetzen, wird sich das natürlich auch in unseren Texten spiegeln.
Anett Linke, Redaktionsleitung der lausebande: Ich selbst fand die Recherche zu dem Thema so spannend, dass ich bewusster als bisher auf gender-gerechtes Sprechen und Schreiben achte. Ohnehin korrigieren mich meine Kinder regelmäßig. Ein typischer Dialog mit meiner Tochter: „Du könntest vielleicht auch Gärtner werden.“ – „Nein, wenn dann Gärtnerin, Mama.“ Schön, dass sie da schon etwas weiter ist als ich. Mit dem Gendersternchen und der kurzen Pause mag ich mich noch nicht so recht anfreunden. Aber ich werde in meinen Artikeln zunehmend austesten, ob es auch andere Möglichkeiten des gendergerechten Schreibens gibt. Ich glaube die Premiere ist geglückt. Der Text, den Sie eben gelesen haben, ist weitgehend gendergerecht geschrieben. Falls Ihnen das nicht aufgefallen ist, zeigt das: Gendern ist gar nicht so schwer und auch nicht schlimm. Und vor allem kein Grund, das Kriegsbeil auszugraben.
Wer jetzt Lust bekommen, das Gendern selbst mal auszuprobieren, findet auf folgenden Seiten noch mehr Tipps und Anregungen:
Für kleine Antikörperchen
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Warum ein starkes Immunsystem für Kinder so wichtig ist
Mit Superkräften durch den Winter
Draußen sinken die Temperaturen merklich, innen werden die Heizungen aufgedreht und der Kamin bestückt. Und allerorten laufen die Kindernasen. Der Herbst hat begonnen und mit ihm die Erkältungszeit. In diesem Jahr scheint es besonders heftig zu sein. Die ersten Meldungen über gehäufte Atemwegsinfektionen gab es bereits im Sommer, deutlich früher als sonst. Daher schauen wir uns an, was es mit diesen Zahlen auf sich hat, woran das liegt und welchen Zusammenhang diese Entwicklung mit Corona und dem kindlichen Immunsystem hat.
So funktioniert unser Immunsystem
Unser Immunsystem arbeitet leise aber effektiv. Es ist unser wichtigster, angeborener Schutz vor Krankheiten und Infekten. Um die Immunabwehr zu unterstützen, ist es hilfreich zu wissen, wie sie funktioniert.
Die Immunabwehr setzt sich aus mehreren Bestandteilen zusammen: Organe zählen ebenso dazu wie bestimmte Zellen. Die Haut ist die größte und sichtbarste Barriere gegen Krankheitserreger. Auch die Schleimhäute in Nase, Mund und Rachen halten Viren & Co. auf dem Weg ins Körperinnere auf. Haben die Erreger diese äußeren Barrieren überwunden, werden Abwehrzellen bzw. Fress- und Killerzellen und Eiweiße bzw. Enzyme aktiv. Diese Enzyme bekämpfen Erreger auf unterschiedliche Weise, beispielsweise indem sie Abwehr- und Fresszellen aktivieren oder die Zellwand von Bakterien oder die Hülle von Viren zerstören.
Unser Immunsystem muss sich mit unterschiedlichen Erregern auseinandersetzen. Grafik: BZgA
Das Mikrobiom & die Rolle des Darms
Das für unser Immunsystem wichtigste Organ ist der Darm. Hier haben sich schätzungsweise 70 bis 80 Prozent unserer Abwehrzellen eingenistet und vollbringen täglich Höchstleistungen. Die junge Ärztin und Autorin Giulia Enders hat das vor zehn Jahren erfrischend anschaulich in ihrem Buch „Darm mit Charme“ beschrieben. Es ist vermutlich der erste Bestseller rund um dieses auf den ersten Blick eher unappetitliche Organ. Über das Mikrobiom, also die Massenansiedlung von Bakterien und anderen Kleinstlebewesen, schreibt sie: „Unsere Darmmikrobiota wiegt bis zu 2 Kilo und beherbergt rund 100 Billionen Bakterien. In einem Gramm Kot sind mehr Bakterien als Menschen auf der Erde. Bekannt ist außerdem, dass die Mikrobengemeinschaft unverdauliches Essen für uns aufknackt, unseren Darm mit Energie versorgt, Vitamine herstellt, Gifte oder Medikamente abbaut und unser Immunsystem trainiert. […] Unser Immunsystem wäre die erste Instanz, die etwas an dieser massiven Besiedelung auszusetzen hätte. Auf seiner Agenda steht ziemlich weit oben: Körper gegen Fremdes verteidigen […] Wie kann da gleichzeitig ein bakterielles Woodstock in unseren Eingeweiden abgefeiert werden?“ Die Frage, die sie so süffisant stellt, beantwortet sie selbst. Die Besiedlung des Darms beginnt mit der Geburt – bei der natürlichen Geburt legen sich die vaginalen Bakterien der Mutter wie ein Schutzfilm über das Neugeborene. Dessen Immunsystem ist noch ziemlich unausgereift und den neuen Gästen gegenüber sehr tolerant. Diese ersten Bakterien und alle weiteren siedeln sich in den Schleimhäuten des Darms, aber auch in denen von Magen, Mund und Nase an. Mit ihnen beginnt das Training des Immunsystems – es lernt gute von schlechten Bakterien und Eindringlingen zu unterscheiden.
Noch weiß die Wissenschaft recht wenig über das Mikrobiom im Darm – wenig überraschend angesichts der Vielfalt und Masse. Was aber bekannt ist, können Eltern im Alltag nutzen: Neben der natürlichen Geburt hat auch die spätere Ernährung großen Einfluss auf die Zusammensetzung der Darmbewohner. Details und konkrete Tipps folgen auf den kommenden Seiten. Zunächst aber folgen noch einige Erläuterungen zum Immunsystem.
Das angeborene Immunsystem
Die Medizin unterscheidet zwischen dem angeborenen, auch unspezifischen Immunsystem und dem erworbenen bzw. spezifischen Immunsystem. Während das angeborene Immunsystem sich bereits im Mutterleib entwickelt und von Beginn an auf Eindringlinge reagieren kann, entwickelt sich das spezifische Immunsystem im Laufe der ersten Lebensjahre.
Beide Immunsysteme haben ihre Berechtigung und helfen uns, gegen Eindringlinge vorzugehen. Das angeborene Immunsystem reagiert schnell, aber unspezifisch auf alle Krankheitserreger. Hat man beispielsweise eine kleine Schnittwunde, über die Bakterien eindringen können, spürt es diese auf und zerstört sie. Allerdings ist es nur begrenzt in der Lage, die Ausbreitung von Keimen und Erregern zu verhindern.
Das erworbene Immunsystem
Dann kommt das erworbene Immunsystem zum Einsatz. Es entwickelt sich im Laufe der Kindheit und lernt mit jedem Infekt hinzu. Wenn ein Kind erstmals einen Infekt durchmacht, ausgelöst zum Beispiel durch einen Erkältungsvirus, merkt sich der Körper den Erreger, bildet Antikörper und Lymphozyten, auch B-Zellen und T-Zellen genannt. Kommt das Kind später erneut mit dem Erreger in Kontakt, ist das Immunsystem bereits darauf vorbereit und kann den Infekt abwehren. Daher kann das erworbene Immunsystem gezielter und effektiver auf bestimmte Erreger reagieren.
Kurz erklärt: Der Nestschutz für Säuglinge
Damit Säuglinge trotz ihres anfangs noch unreifen Immunsystems vor bestimmten Erregern geschützt sind, verfügen sie über einen sogenannten Nestschutz. Dabei gehen mütterliche Antikörper bereits im Mutterleib auf das Ungeborene über. Diese Antikörper bauen sich nach der Geburt im Laufe der ersten Lebensmonate wieder ab. Daher werden bestimmte Impfungen für Säuglinge bereits ab zwei Monaten empfohlen, darunter die gegen Keuchhusten und Pneumokokken. Gut zu wissen für Mütter: Stillen verlängert den Nestschutz, da auch über die Muttermilch Antikörper weitergegeben werden.
Infekte im Kleinkindalter
Da das kindliche Immunsystem dieses Prinzip erst erlernen muss, sind Kleinkinder in den ersten Lebensjahren so häufig krank. Krippen- und Kitakinder haben gefühlt alle vier Wochen eine Schnupfnase. Das ist für die Eltern aufreibend, für das Kind langfristig aber wichtig. Durch den Kontakt mit anderen sind Kinder jeder Menge Erregern ausgesetzt und reagieren darauf mit einem Infekt, mal stärker, mal fast symptomfrei. Kinderärzte bestätigen: 12 bis 15 Infekte pro Jahr sind bei Kleinkindern normal und kein Grund zur Sorge.
Das bessert sich, sobald das Immunsystem ausgereift ist – etwa im Vorschulalter. Die Ausbildung des Immunsystems beginnt bereits im Mutterleib, ab der zwölften Schwangerschaftswoche. Nach der Geburt schützt zunächst der „Nestschutz“ den Säugling vor schweren Erkrankungen. Etwa bis zum fünften Geburtstag ist das Immunsystem weitgehend ausgereift, passt sich allerdings im Laufe des Lebens immer noch weiter an.
Auswirkungen des Lockdowns auf die kindliche Immunabwehr
Aus diesem Grund sahen einige Ärzte die Kita- und Schulschließungen während der Lockdowns durchaus kritisch. Neben vielen anderen negativen Effekten fehlte den Kindern einfach die Möglichkeit, ihr Immunsystem zu trainieren. Durch die Schließungen und die Kontaktbeschränkungen waren sie deutlich weniger Krankheitserregern ausgesetzt. Das Immunsystem konnte nicht reifen. Die Folge dessen erleben wir jetzt. Kinderarztpraxen und Kinderkliniken schlagen Alarm, weil immer mehr Kinder mit Atemwegsinfektionen schwer erkranken. Während diese Infektionswelle sonst erst im Winter einsetzt, begann sie in diesem Jahr ungewöhnlich früh. Das Clinical Virology Network, das regelmäßig aktuelle Daten zu Atemwegsinfekten erfasst und auswertet, meldete bereits im Juni: „Die respiratorischen Viren sind zurück. ... Berichte aus Australien und Texas zeigen, dass es zu einem außersaisonalen Anstieg von respiratorischen Erregern kommt (v.a. RSV), nachdem die Covid-19-Maßnahmen zurückgefahren wurden.“ Besonders stark betroffen von diesem Anstieg sind Kinder im Alter unter 4 Jahren. Teilweise mussten in den zurückliegenden Wochen ganze Krippenbereiche zeitweise geschlossen werden, weil so viele Kinder erkrankt waren. Zurückgeführt wird das darauf, dass seit dem späten Frühjahr die Hygienemaßnahmen und Kontaktbeschränkungen zurückgefahren wurden und zugleich die Kinder wieder weitgehend uneingeschränkt Kita und Schule besuchen konnten.
Besonders häufig tritt dabei der sogenannte Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) auf, der zur Gruppe der Erkältungsviren gehört. Für die meisten Kinder ist er ungefährlich, er gehörte schon vor Corona zu den häufigsten Erkältungsviren im Kleinkindalter. Eine Meldepflicht besteht nicht. Das RS-Virus löst typische Erkältungssymptome auf, insbesondere Husten. Sehr junge Kinder unter zwei Jahren können auch so schwere Symptome zeigen, dass ein Klinikaufenthalt nötig ist. Lebensgefährlich ist das Virus aber nur für Kinder mit Vorerkrankungen wie Herzfehlern und Lungenerkrankungen sowie für Frühgeborene. Für diese Hochrisikopatienten gab es schon vor Corona eine offizielle Prophylaxe-Empfehlung. Sie erhalten vor Beginn der Saison eine passive Impfung.
Der Mikrobiologe Prof. Dr. Bosch von der Uni Kiel, Experte für die Erforschung des Mikrobioms, warnt vor den langfristigen Folgen zu strenger Hygienemaßnahmen und Kontaktbeschränkungen: „Wir nehmen über unsere Umwelt, also über Ernährung, Sozialkontakte, Familienangehörige und Haustiere ständig Mikroben auf, die unser Mikrobiom verändern, was auch ganz wichtig ist. Nun haben wir die Pandemie, die das alles erschwert. Natürlich müssen wir alles dafür tun, dass sich das Corona-Virus nicht weiter ausbreitet, in dieser Hinsicht sind die Hygieneregeln notwendig. Nichtsdestotrotz ist die Besiedlung mit Mikroben essentiell für unsere Gesundheit. Jetzt braucht es eine Gratwanderung zwischen den Hygieneregeln und der Möglichkeit, unser Mikrobiom weiter zu füttern.“
Er hat im Februar mit internationalen Wissenschaftlern anderer Disziplinen eine Studie veröffentlicht zu den Zusammenhängen zwischen den Corona-Maßnahmen und dem Mikrobiom. Demnach weisen viele schwer erkrankte Corona-Patienten ein gestörtes Mikrobiom auf. Schon aus diesem Grund sollte es in unserem Interesse sein, dem Immunsystem ausreichend Möglichkeiten des Trainings zu geben. Die große Herausforderung für uns Eltern wird darin liegen, den Spagat zwischen Hygienemaßnahmen und Rückkehr zur Normalität erfolgreich zu meistern.
Viele Pandemie-Maßnahmen waren wichtig, hatten aber zugleich negative Auswirkungen auf das menschliche Mikrobiom. Grafik: Katja Duwe-Schrinner
Das können Eltern für ein starkes Immunsystem tun
Umso wichtiger ist es, dass das Immunsystem der Kinder jetzt wieder in Gang kommt. Um diesen Prozess zu unterstützen, können Eltern im Alltag erstaunlich viel tun. Wir haben auf den folgenden Seiten ein paar Tipps zusammengestellt, die eine gute Ausgangslage für ein langfristig starkes Immunsystem schaffen. Die folgenden Tipps und Ratschläge gelten für gesunde Kinder. Ist ein Kind schwer erkrankt oder leidet bereits an bestimmten chronischen Vorerkrankungen oder leben immungeschwächte Angehörige im Haushalt, dann können insbesondere mit Blick auf die Hygienemaßnahmen andere Regeln erforderlich sein.
Ernährung: Eine gute Basis für ein fittes Immunsystem legen Eltern mit einer gesunden, ausgewogenen Ernährung. Die wichtigsten Regeln finden sich beispielsweise bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung: Ballaststoffreiche, pflanzliche Lebensmittel sind gutes Futter für die Darmbakterien, ebenso wie fermentiertes Essen wie Joghurt, Käse und Sauerkraut. Rotes Fleisch, Fast Food und stark verarbeitete Lebensmittel mit vielen Zusatzstoffen wirken sich ungünstig aus. Süßigkeiten gehören theoretisch gar nicht auf den Speiseplan. Da dies aber realitätsfern ist, gilt als Faustregel: Ein Kind sollte jeden Tag höchstens so viele Süßigkeiten essen, wie in seine Hand passen. Beim Trinken gilt: Ideal sind ungesüßte Getränke wie Tee und Wasser. Erwachsene trinken 1,5 bis 2 Liter täglich, Kinder je nach Alter 0,5 bis 1 Liter täglich. Milch ist für die Calcium-Versorgung sinnvoll. Saft und Saftschorlen, Limos und Kakao sind zu süß und gehören nur ausnahmsweise auf den Speiseplan.
Gesunde Ernährung hat reichlich Obst und Gemüse als Basis und verzichtet möglichst auf verarbeitete Lebensmittel.
Nahrungsergänzungsmittel: Wer sich abwechslungsreich ernährt, viel Obst und noch mehr Gemüse zu jeder Mahlzeit auf dem Teller hat, der kann dann auch guten Gewissens auf die zusätzliche Gabe von Vitaminen verzichten. Nur bei bestimmten Grunderkrankungen oder einer streng vegetarischen bzw. veganen Ernährung kann die Zufuhr von Nährstoffen wie Vitamin B12 wichtig sein. Vitamin C, welches als förderlich für eine starke Immunabwehr gilt, findet sich besonders in Zitrusfrüchten und Kohl. In Westeuropa leiden wir am ehesten unter einem Vitamin-D-Mangel, zumindest in der kalten und dunkleren Jahreszeit. Dem lässt sich mit viel Zeit an der frischen Luft vorbeugen. Bei Kindern bis zwei Jahren empfehlen Kinderärzte die Vitamin-D-Gabe, da Babys und Kleinstkinder nicht der direkten Sonne ausgesetzt werden sollen.
Natürliche Geburt und Stillen: Die Kaiserschnittrate, also die Häufigkeit, mit der Kinder über einen Kaiserschnitt anstatt vaginal zur Welt kommen, hat in den letzten Jahren zugenommen. Das sehen Fachleute mit Blick auf das Immunsystem durchaus kritisch. Denn auf dem mühsamen Weg durch den Geburtskanal kommt das Baby mit reichlich Bakterien der Mutter in Kontakt – die erste Grundausstattung für das Mikrobiom des Kindes. Forscher haben herausgefunden, dass sich das Mikrobiom im Darm von Kaiserschnitt-entbundenen Kindern erst im Grundschulalter mit dem von natürlich entbundenen Kindern angleicht. Studien deuten darauf hin, dass Kaiserschnitt-Kinder häufiger von Allergien und Autoimmunkrankheiten betroffen sind. Stillen hat ebenso einen positiven Effekt auf das Immunsystem des Kindes. Vor allem die Milch der ersten Tage, das sogenannte Kolostrum, enthält jede Menge mütterlicher Immunzellen, die den Darm des Babys besiedeln. Für Säuglinge gilt daher: Sie sollten möglichst lange gestillt werden. Empfohlen wird eine ausschließliche Stillzeit für 4 bis 6 Monate, anschließend wird nach und nach die Beikost eingeführt.
Im Vergleich mit Reifgeborenen haben Frühgeborene insbesondere für Atemwegserkrankungen eine höhere Anfälligkeit. Kaiserschnitt-Kindern werden hingegen vor allem psychische Krankheiten häufiger diagnostiziert. Datenquelle: TK-Studie Kindergesundheitsreport 2019
Raus an die frische Luft: Ein weiterer Booster für ein fittes Immunsystem: Oft raus ins Grüne. Das hat mehrere positive Effekte. Zum einen geht der Gang nach draußen vor allem im Winter mit einem deutlichen Temperaturunterschied einher – das trainiert die Abwehr. Außerdem kommen Kinder draußen in der Regel mit jeder Menge Dreck in Berührung: Sie streicheln den Hund, kosten vom Sand-Kuchen und spielen in der Pfütze. All das ist wunderbares Training für das Immunsystem. Eine weitere positive Nebenwirkung vom Aufenthalt im Freien ist die Vitamin-D-Produktion. Die wird nämlich durch Sonnenlicht angekurbelt. Außerdem gilt zumindest für Kinder: Wer draußen ist, bewegt sich –und damit wären wir schon beim nächsten Punkt.
Bei Wind und Wetter raus zu gehen, stärkt die Abwehr.
Bewegung: Regelmäßiger Sport stärkt nachweislich das Immunsystem und schützt auch sonst vor Krankheiten und Übergewicht. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt für Erwachsene 2,5 bis 5 Stunden pro Woche Sport wie Joggen, Schwimmen oder schnelles Radfahren. Kinder sollten sich noch mehr bewegen, so die WHO: Mindestens eine Stunde täglich Fahrrad oder Roller fahren, toben oder fange spielen, dazu noch 3 Stunden pro Woche intensive Bewegung, wie sie im Schulsport oder beim Vereinstraining passieren.
Armbäder oder Wassertreten nach Sebastian Kneipp soll sich heilsam auf den Organismus auswirken. © Jäckle/ Kneipp-Bund
Schlafen: Auch unser Immunsystem braucht ab und zu Ruhe zur Regeneration. Daher ist eine gute und ausreichend lange Nachtruhe wichtig. Wer ein oder zwei Nächte schlecht geschlafen hat oder gar eine Nacht durchgemacht hat, merkt schnell, dass er tags darauf nicht so leistungsfähig ist. Das gilt auch für das Immunsystem, es wird bei zu wenig Schlaf anfälliger. Erwachsene brauchen zwischen sechs und neun Stunden Schlaf, Kinder entsprechend ihres Alters länger. Achten Sie als Eltern daher darauf, dass Ihr Kind abends rechtzeitig zur Ruhe kommt und dass jüngere Kinder Mittagsschlaf machen.
Temperaturunterschiede: Wie oben bereits angedeutet, ist der schnelle Wechsel der Umgebungstemperatur ein gutes Training für das Immunsystem. Daher können auch Kneippkuren, Saunabesuche und Wechselduschen dem Immunsystem auf die Sprünge helfen. Schon Kleinkinder kann man für wenige Minuten mit in eine Niedrigtemperatursauna mitnehmen. Beim Wassertreten nach dem Konzept von Sebastian Kneipp watet man mit den Beinen immer im Wechsel durch ein Becken mit kaltem und eines mit warmem Wasser. Unser Tipp für den Winter: Die Kinder für ein paar Sekunden – die ganz Harten auch für ein paar Minuten – barfuß durch den Schnee laufen lassen. Danach ganz schnell wieder warm kuscheln.
Antibiotika: Sie sind Fluch und Segen gleichermaßen. Als sie Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals entdeckt und erfolgreich getestet wurden, mussten Menschen nicht mehr an einfachen bakteriellen Infektionen sterben. Heute gehören Antibiotika zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten. Das ist zugleich ein Fluch. Denn aufgrund der zunehmenden Verbreitung von Antibiotika, nicht nur in der Humanmedizin, sondern auch in der Massentierhaltung, entwickeln sich Resistenzen. Das heißt jene Bakterien, die durch das Antibiotikum bekämpft werden sollen, werden widerstandsfähig. Das Antibiotikum wirkt nicht mehr. Vor allem im Krankenhaus häufen sich resistente Keime, darunter MRSA aus der Gattung der Staphylokokken und Escherichia-coli-Bakterien. Die Weltgesundheitsorganisation zählt die Antibiotika-Resistenzen zu den größten globalen Bedrohungen für die Gesundheit. Ein weiteres Problem von Antibiotika: Die meisten von ihnen zerstören nicht nur die „schlechten“ Bakterien, sondern auch die „guten“. Sie spülen einmal den Darm durch und lassen nicht viel übrig. Daher gehört Durchfall zu den häufigsten Nebenwirkungen von Antibiotika. Vom zuvor mühsam aufgebauten Mikrobiom im Darm verschwindet vieles, manche gute Bakterien sogar dauerhaft. Das lässt sich an einem weiteren Beispiel veranschaulichen: Erhalten Patienten wegen einer Parodontitis oral Antibiotika, ist manch Mundsoor die Folge, eine Pilzerkrankung. Die Hefepilze befinden sich auch bei gesunden Menschen im Mund, werden aber normalerweise durch Bakterien in Schach gehalten. Das Antibiotikum vernichtet diese Bakterien, die Hefepilze können sich ausbreiten. Eltern sollten daher darauf achten, dass ihre Kinder Antibiotika nur dann verschrieben bekommen, wenn dies medizinisch sinnvoll und notwendig ist. Noch immer werden auch bei Erkältungen Antibiotika verschrieben. Dabei werden viele Erkältung durch Viren verursacht, Antibiotika wirken aber nur gegen Bakterien, nicht gegen Viren. Wer sicher gehen will, kann den behandelnden Arzt um einen sogenannten PCT-Test bitten. Damit lässt sich ein bakterieller Infekt recht zuverlässig ausschließen oder bestätigen. In vielen Kliniken wird er standardmäßig genutzt, um die unnötige Antibiotika-Gabe zu verhindern. Wer dennoch ein Antibiotikum nehmen muss – denn wie eingangs beschrieben, kann es durchaus segensreich sein – sollte sich bei der Einnahme genau an die Vorgaben des Arztes halten. Werden Antibiotika kürzer als vorgeschrieben eingenommen, erhöht dies die Chance auf Resistenzen. Übrigens können Familien auch bei der Ernährung Einfluss nehmen: Fleisch- und Wurstprodukte aus Massentierhaltung sind aufgrund der verbreiteten Gabe von Antibiotika häufig mit multiresistenten Keimen belastet und sollten daher nicht oder nur gut durchgegart verzehrt werden. Aus dem gleichen Grund ist es wichtig, Obst und Gemüse vor dem Verzehr gründlich zu waschen. Durch die Gülle können sich auch hier resistente Keime finden.
Hygiene: Sie war neben Abstand das A und O der zurückliegenden zwei Jahre. Mit ausreichend Hygiene durch regelmäßiges und gründliches Händewaschen, durch den Verzicht auf das kulturell tief verankerte Händeschütteln und durch das Niesen und Husten in die Armbeuge, sollten noch mehr Corona-Infektionen verhindert werden. Manche Experten finden diese Hygienetipps so hilfreich und grundlegend, dass sie unabhängig von Pandemien beibehalten werden sollten. Dass diese Regeln wirken, hat der drastische Rückgang an Grippeinfektionen im vergangenen Winter gezeigt. Für Eltern besteht die Gratwanderung darin, einerseits auf die Einhaltung grundlegender Hygieneregeln zu achten, andererseits nicht durch übertriebene Hygiene mehr Schaden als Nutzen anzurichten. Denn tatsächlich gelten Kinder, die auf dem Bauernhof aufwachsen und dort mit jeder Menge Dreck und Keimen in Kontakt kommen, als weniger anfällig für Autoimmunerkrankungen und Allergien. Praktisch heißt das: regelmäßiges Händewaschen ist wichtig und richtig, Desinfektionsspray für zu Hause braucht es aber nicht.
Ob Pfütze, Sandkasten oder Waldboden: Kinder spielen gern im Dreck und das tut ihrem Immunsystem gut.
Übergewicht: Verschiedene Studien belegen einen Zusammenhang zwischen Körpergewicht und Erkrankungen des Immunsystems. Demnach erkranken stark übergewichtige Menschen häufiger an Autoimmunerkrankungen wie Diabetes. Für die Entstehung der Zuckerkrankheit werden immer häufiger entzündliche Mechanismen diskutiert, denn das Fettgewebe setzt eine Reihe von Botenstoffen frei, die infolge einer Überreaktion des Immunsystems Entzündungen fördern. Zudem führt eine ungesunde, ballaststoffarme Ernährung zu einem ungünstigen Mikrobiom im Darm.
Rund jeder Zweite mit starkem Übergewicht erkrankt früher oder später an Typ 2 Diabetes und in der Folge an weiteren schweren Erkrankungen, die überproportional häufig im Krankenhaus behandelt werden müssen. Quelle: statista (2014)
Zahngesundheit: Zähne putzen für ein funktionierendes Immunsystem? Was auf den ersten Blick etwas merkwürdig klingt, ist auf den zweiten Blick durchaus sinnvoll. Zum einen ist Mundhygiene wichtig, weil die Schleimhäute in Mund und Rachen das erste potenzielle Einfallstor für Bakterien und Co. sind. Gerade Babys und Kleinkinder untersuchen ihre Umwelt am liebsten, indem sie alles, was sie in die Finger bekommen, auch in den Mund stecken. Wenn der Körper dann auch noch Kariesbakterien bekämpfen muss, ist das wenig hilfreich. Unentdeckte oder unbehandelte Entzündungen des Zahnnervs oder des Zahnfleisches gehen mit Bakterien einher, die sich zunächst unbemerkt über den Blutkreislauf im ganzen Körper ausbreiten können. Zu den möglichen Folgen gehören Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes oder eine Lungenentzündung.
Laut Deutscher Mundgesundheitsstudie ist es um die Zahngesundheit von Kindern derzeit gut bestellt. 81 Prozent der Zwölfjährigen sind frei von Karies. Foto: Kantar Health
Rauchen & Alkohol … sind für Kinder ohnehin tabu. Wir führen den Punkt dennoch mit auf. Denn erstens kann Passivrauchen dem Kind schaden. Das gleiche gilt für Alkohol, falls die Mutter in der Schwangerschaft oder Stillzeit trinkt. Die Inhaltsstoffe von Nikotin und Alkohol haben eine blockierende Wirkung auf das Immunsystem. Nicht zuletzt haben die Eltern eine starke Vorbildwirkung auf den Nachwuchs. Die Kinder von rauchenden Eltern werden mit größerer Wahrscheinlichkeit im Erwachsenenalter ebenfalls rauchen, als die Kinder von Nichtrauchern.
Autoimmunerkrankungen – wenn das Immunsystem verrückt spielt
Selbst wenn Familien all die eben genannten Tipps beherzigen, gerät das Immunsystem manchmal trotzdem auf die schiefe Bahn. Dann hat es Schwierigkeiten, körpereigene Zellen von gefährlichen Erregern zu unterscheiden und bekämpft beide gleichermaßen leidenschaftlich. Das Immunsystem richtet sich gegen den eigenen Körper und löst Entzündungsprozesse aus, die Folge sind sogenannte Autoimmunerkrankungen. Dazu zählen Rheuma, Diabetes Typ I, Schuppenflechte, Multiple Sklerose und chronisch entzündliche Darmerkrankungen. Auch Allergien, Heuschnupfen und Asthma sind Nebenwirkungen eines überbordenden Immunsystems.
Eine im Frühjahr 2021 veröffentlichte Untersuchung belegt, dass die Zahl dieser Erkrankungen in den vergangenen Jahren in Deutschland zugenommen hat. Nach Angaben des Versorgungsatlas, einer Einrichtung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung, ist der Anteil gesetzlich krankenversicherter Patienten mit mindestens einer dieser Autoimmunerkrankungsdiagnosen von 2012 bis 2018 von 3,5 auf 4 Prozent angestiegen. Dies entspricht einem Zuwachs von etwa 500.000 Patienten. Die genauen Ursachen kennt man nicht, vermutlich spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Übergewicht, Stress, übertriebene Hygiene. Viele der genannten Erkrankungen finden sich in Urvölkern nicht, sie scheinen also auch eine Folge des westlichen Lebensstils zu sein.
Ob Pandemie und Lockdown diese Zahlen weiter nach oben schnellen lassen, ist derzeit noch ungewiss. Die kurzfristigen Folgen der mehrmonatigen Kontaktbeschränkungen und Schließungen haben wir oben schon beschrieben. Die Kinder holen jetzt die verpassten Infekte nach. Der Kinderarzt Tobias Tenenbaum hält langfristige Effekte für eher unwahrscheinlich (siehe Interview). Der Wissenschaftler Thomas Bosch von der Universität Kiel ist da etwas skeptischer und hält langfristige Auswirkungen zumindest für möglich. In einem im Frühjahr veröffentlichten Aufsatz schreibt er: „Es werden für die kommenden Jahren noch weitreichende gesundheitliche Konsequenzen der Corona-Pandemie und insbesondere die Zunahme von Krankheiten, die auf einem Verlust an mikrobieller Vielfalt im menschlichen Körper beruhen (wie Diabetes, Adipositas oder chronische Entzündungen), befürchtet.“
Behandlung von Infekten
Mit dem Herbst und dem bevorstehenden Winter werden die Infekte weiter zunehmen. Das war schon vor Corona so. Wir verbringen wieder mehr Zeit drinnen, da können die Viren leichter von einem zum nächsten springen. Daher folgen abschließend noch ein paar Tipps, welche Mittel und Therapien gegen Erkältungsinfekte helfen und wann der Gang zum Arzt nötig wird.
Vielleicht vorab: Kinder müssen nicht bei jedem Infekt dem Kinderarzt vorgestellt werden, solange sie keinen Krankenschein brauchen. Dass Kinder krank werden, ist ganz normal. Dazu gehört auch hohes Fieber. Auch wenn die 40 vor dem Komma erschrecken kann, können Eltern zunächst ruhig bleiben. Fieber ist eine natürliche Reaktion des Immunsystems auf Krankheitserreger. Es zeigt an, dass der Körper versucht, diese zu bekämpfen. Insofern helfen einem fiebernden Kind zunächst Ruhe, Wärme und ausreichend zu trinken am besten. Ein Arztbesuch wird erst nötig, wenn weitere Symptome hinzukommen, oder das Fieber länger als zwei bis drei Tage anhält. Ob bzw. ab wann man das Fieber senken sollte, darüber ist die Wissenschaft uneins. Per se ist das Fieber vom Körper gewollt und sinnvoll. Insofern sollten Eltern zunächst schauen, ob es dem Kind trotz Fieber halbwegs gut geht. Wer das Fieber senken will, aber nicht auf klassischen Fiebersaft wie Ibuprofen oder Paracetamol zurückgreifen will, kann lauwarme Wadenwickel nutzen. Immer wichtig bei Fieber: ausreichend trinken, am besten Wasser oder Tee.
Hausmittel
Der Gang zu Arzt oder Apotheke ist oft nicht nötig. Manchmal hat man die passende „Medizin“ bereits zu Hause. Wir stellen ein paar sanfte Hausmittel ohne Nebenwirkungen vor. Das einfachste und wichtigste Mittel für kranke Kinder sind übrigens Bettruhe und Kuschelzeit mit Mama und Papa.
Wadenwickel sind ein beliebtes Hausmittel bei Fieber. Sie sollten aber nur bei sehr hohem Fieber (ab 40 Grad) angewendet werden und dann auch nur, wenn das Kind nicht friert. Denn oft zittern Kinder trotz hohen Fiebers. Dann brauchen sie Wärme und keine kühlenden Wickel. Für die Wadenwickel werden Handtücher in lauwarmes Wasser gegeben, dann ausgewrungen und für etwa zehn Minuten um die unteren Beine gewickelt. Darüber ein trockenes Tuch wickeln. Wadenwickel sollten erst bei Kindern ab zwei Jahren angewandt werden.
Inhalieren finden Kinder meist lästig. Es hilft aber super bei Husten und verstopfter Nase, da es für Feuchtigkeit sorgt. Bei starkem oder häufigem Husten verschreibt die Kinderärztin ein Gerät samt Kochsalzlösung zum Inhalieren. Je nach Alter des Kindes muss es sich dafür einen Aufsatz in den Mund stecken oder eine Maske über Mund und Nase halten. Alternativ kann man heißes Wasser in eine Schüssel geben und darin wahlweise Salz (ca. 10 Gramm auf 1 Liter) oder Kamillentee auflösen. Dann Kopf mit Handtuch drüber halten und einatmen. Vorher unbedingt prüfen, ob der Wasserdampf nicht zu heiß ist. Um die Kinder während des Inhalierens bei der Stange zu halten, hilft Ablenkung durch einen Film, ein Hörbuch oder Vorlesen.
Zwiebeln sind nicht nur in der Küche ideale Helfer, sondern auch in der Hausapotheke. Ihre Säfte haben eine antibakterielle Wirkung. Diese kann man sich in Form eines Hustensafts zu Nutze machen. Dazu eine Zwiebel klein würfeln und mit ein bis zwei Esslöffeln Honig vermengen. Die Mischung ein paar Stunden stehen lassen. Der Saft, der dabei entsteht, soll mehrmals täglich getrunken gegen Husten helfen. Babys unter 1 Jahr dürfen keinen Honig essen, für sie ist dieser Hustensaft daher ungeeignet. Gegen Ohrenschmerzen sollen Zwiebelwickel helfen. Dazu die Zwiebel ebenfalls würfen und in ein Baumwolltuch wickeln und auf das schmerzende Ohr legen. Das sollte man vorsichtig testen. Bei manchen Kindern werden die Schmerzen dadurch noch größer, dann lieber darauf verzichten.
Hühnersuppe gilt als eines der wirksamsten und schmackhaftesten Hausmittel gegen Erkältung – vorausgesetzt sie wird aus frischen Zutaten selbst gemacht und nicht nur aus fertiger Hühnerboullion aus dem Glas. Denn entscheidend sind – neben der Wärme und der Flüssigkeit – die Vitamine und Nährstoffe aus dem Gemüse und dem Hühnerfleisch. Wer noch Suppennudeln mit in den Topf gibt, macht diese Medizin dem Nachwuchs auch schmackhaft.
Die beste Medizin bei Infekten: Ruhe und Zuwendung. Foto: iStock
Alternativmedizin
Eine weitere Möglichkeit, leichte Infekte zu behandeln, sind Verfahren der Alternativmedizin. So unterschiedlich sie sind, liegt ihnen immer ein ganzheitlicher Ansatz zu Grunde. Sie schauen nicht nur auf die Symptome, sondern auch auf mögliche Ursachen und setzen in der Behandlung auch dort an. Wir stellen die bekanntesten vor:
Schüßler-Salze: Die Biochemie nach Wilhelm Heinrich Schüßler (1821-1898) geht davon aus, dass für die meisten Beschwerden ein gestörter Salzhaushalt des Körpers die Ursache ist. Schüßler war Anhänger der Homöopathie, fand aber die Vielzahl von Wirkstoffen zu unübersichtlich. Stattdessen beschränkte er sich auf zwölf Mineralsalze (auch Funktionsmittel genannt), die den Mineralhaushalt wieder regulieren und so bei bestimmten Beschwerden helfen sollen. Wie bei der Homöopathie werden die Wirkstoffe verdünnt (potenziert) und in Tablettenform verabreicht. Schüßler-Salze werden häufig bei Zahnungs- und Verdauungsbeschwerden und bei Erkältungen angewandt. Bei schweren Erkrankungen oder bei Nierenproblemen sind sie ungeeignet.
Pflanzenheilkunde: Die Pflanzenheilkunde, auch Phytotherapie genannt, setzt auf die Heilkraft der Pflanzen. Während die Schulmedizin nur mit isolierten Wirkstoffen bestimmter Pflanzen arbeitet, wird bei der Phytotherapie die ganze Pflanze genutzt. Demnach helfen bei bestimmten Beschwerden bestimmte Kräuter – Thymian bei Husten, Johanniskraut bei Depressionen. Die Pflanzenwirkstoffe können in vielen Formen verabreicht werden: Kräutertee, Tabletten, Saft, Salbe, Öl oder Badezusatz. Bestimmte Öle wie Menthol sind allerdings für Babys und Kleinkinder tabu. Wegen möglicher Nebenwirkungen und der Frage der Dosierung sollte ein Experte zu Rate gezogen werden.
Homöopathie: Die Homöopathie ist eines der am weitesten verbreiteten, aber auch eines der umstrittensten Verfahren. Begründet wurde die Homöopathie vom Arzt Samuel Hahnemann (1755-1843). Das Verfahren beruht auf zwei Prinzipien. Erstens: Ähnliches wird mit Ähnlichem geheilt, zweitens: die Heilmittel werden verdünnt bzw. potenziert. Das Ähnlichkeitsprinzip besagt, dass Substanzen, die bei gesunden Menschen bestimmte Symptome hervorrufen, diese Symptome bei Kranken lindern können. Ein Beispiel dafür ist die Zwiebel. Sie bringt die Augen zum Tränen und die Nase zum Laufen. Als homöopathisches Mittel soll sie gegen Schnupfen wirken. Die Heilmittel werden aus Ursubstanzen wie Pflanzen, Tieren und Mineralien hergestellt. Diese werden zerkleinert und in einer Alkohol-Wasser-Lösung verdünnt, mindestens im Verhältnis 1 zu 10, wodurch die Potenz D1 entsteht. Dabei gilt: je stärker die Verdünnung, desto höher die Wirksamkeit. Am Ende entstehen sogenannte Globuli. Das homöopathische Mittel soll die Selbstheilungskräfte des Körpers anregen und so zur Linderung oder Heilung von Beschwerden führen.
Kaum ein Verfahren ist so umstritten wie die Homöopathie. Kritiker bemängeln sowohl das Ähnlichkeits- als auch das Verdünnungsprinzip. Gerade letzteres widerspreche jeglichen naturwissenschaftlichen Grundlagen aus Physik, Chemie und Biologie. Bei besonders extremer Verdünnung ist kein Molekül der Wirksubstanz mehr nachweisbar. Homöopathen glauben dennoch an die Wirkung: Die Ursubstanz hat durch das Verschütteln und Verdünnen ihre Information bzw. ihre Energie auf das Wasser übertragen und kann so auf den Körper wirken.
Wichtig: Bei ernsten oder langanhaltenden Beschwerden und Erkrankungen sollte immer ein Schulmediziner zu Rate gezogen werden. Das gilt auch, wenn die eben genannten Hausmittel und alternativmedizinischen Behandlungsmethoden keinen Erfolg zeigen.
Wie Impfen die Immunabwehr stärkt
Wie unser Beitrag gezeigt hat, können wir unsere Kinder nicht vor allen Krankheiten schützen – und müssen es auch gar nicht. Ganz im Gegenteil: Das Durchmachen von Erkältungen ist eine gute Übung für das Immunsystem und langfristig wichtig. Vor bestimmten Krankheiten können und sollten wir unsere Kinder aber sehr wohl schützen – durch Impfen. Impfungen schützen vor bestimmten Krankheiten, die einen schweren Verlauf aufweisen und in seltenen Fällen sogar zum Tod führen können. Daher klären wir im separaten Spezial rund um das Thema Impfungen auf.
Buchempfehlungen
Dreck ist gesund! Warum zu viel Hygiene Ihrem Kind schadet. Von Prof. Dr. B. Brett Finlay, Dr. Marie-Claire Arrieta, 2018 erschienen im Goldmann Verlag, ISBN: 978-3-641-21077-9.
Die Mikrobiologen Brett Finlay und Marie-Claire Arrieta haben erforscht, dass zu viel Hygiene den Aufbau eines intakten Immunsystems hemmen und damit den Weg für eine Vielzahl chronischer Krankheiten wie Diabetes, Asthma und Fettleibigkeit ebnen kann. Der Schlüssel zu einer gesunden Entwicklung von Kindern liegt in einem ausgeglichenen Haushalt von Mikroben, den Eltern über das Hygieneverhalten beeinflussen können.
Immun: Alles über das faszinierende System, das uns am Leben hält. Von Philipp Dettmer, 2021 erschienen im Ullstein Verlag, ISBN: 978-3864931758.
In jeder Sekunde unseres Lebens werden wir angegriffen. Bakterien, Viren, Pilzsporen und andere Lebewesen wollen in unseren Körper eindringen. Doch dann werden sie von einer riesigen Armee Zellen angegriffen, unserem Immunsystem. Die Zellen kämpfen wie ein T-Rex auf Speed und opfern ihr eigenes Leben für uns. Philipp Dettmer, bekannt aus dem YouTube-Kanal »kurzgesagt – in a nutshell«, erklärt das Immunsystem anschaulich und unterhaltsam.
Ein Königreich für mein Kind
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Der Ratgeber rund ums Kinderzimmer
Vermutlich haben die meisten Kinder in den zurückliegenden anderthalb Jahren so viel Zeit in ihrem Kinderzimmer verbracht wie nie zuvor. Durch Kita- und Schulschließungen, geschlossene Freizeitparks, Schwimmbäder und Kinos und aufgrund von Quarantäne wurden die eigenen vier Wände zum nicht immer ganz freiwilligen Rückzugsort, zum überdachten Spielplatz, zum Lernort, zu jenem Ort, wo Bruder oder Schwester plötzlich zum wichtigsten Spielpartner wurden.
Doch auch unabhängig von Pandemien verbringen Kinder ab einem gewissen Alter ziemlich viel Zeit in ihrem eigenen Reich. Grund genug für uns, das Thema etwas intensiver zu beleuchten. Auf den kommenden Seiten geben wir Tipps rund um die Einrichtung des Kinderzimmers und für den Alltag: Wie sieht der ideale Schreibtisch aus, wie viel Spielzeug braucht das Kind, wie halten wir Ordnung?
Wir schauen, ab wann ein Kind wirklich ein eigenes Zimmer braucht, auf welche Aspekte die Familie beim Kauf der Einrichtung Wert legen sollte und geben ein paar praktische Tipps, wo man gute und hochwertige Möbel bekommt.
Vom Babyzimmer bis zum Jugendzimmer
Kinderzimmer durchlaufen von der Geburt bis zum Flüggewerden eines Kindes bis zu fünf Phasen. In denen haben die Kinder ganz unterschiedliche Ansprüche und Vorlieben, die es mit den Vorstellungen der Eltern zu vereinen gilt. Damit nicht alle vier bis fünf Jahre komplett neu renoviert und eingerichtet werden muss, sind modulare, mitwachsende Möbel und neutrale Farben hilfreich. Wenn die Familie umzieht oder ein Geschwisterkind ein- oder auszieht, kann das ebenfalls für Veränderungen genutzt werden.
Phase 1: Babyzimmer
Eines vorneweg: Im Baby- und auch noch im Kleinkindalter können Eltern guten Gewissens auf ein Kinderzimmer verzichten. Gerade wer als Paar zunächst noch eine kleine Wohnung bewohnt, kann das Babybett und eventuell die Wickelkommode zunächst ins Schlafzimmer der Eltern stellen. Babys können ein eigenes Zimmer haben, aber sie brauchen es nicht. In der Regel halten sie sich die meiste Zeit ohnehin in der Nähe der Eltern auf, also wahlweise in Schlafzimmer, Küche oder Wohnstube. Hinzukommt, dass Kinderärzte empfehlen, das Babybett in den ersten Lebensmonaten neben das Elternbett zu stellen. Das verringert das Risiko für den plötzlichen Kindstod und erleichtert das nächtliche Stillen bzw. Milchgeben. Unabhängig von der elterlichen Entscheidung, ob das Baby bereits ein eigenes Zimmer bekommt oder nicht, braucht es eine gewisse Grundausstattung. Dazu gehört neben dem Gitterbett auch Stauraum für Kleidung und Spielzeug und eventuell eine Wickelkommode.
Selbst gemalte Bilder aufzuhängen, würdigt die Kunstwerke der Kleinen. Sie sind ein toller Wandschmuck.
Phase 2: Kleinkindzimmer
Auch für die Kleinkindphase bis etwa drei, vier Jahre gilt: Die Kinder suchen in diesem Alter noch die Nähe von Mama und Papa und brauchen nicht zwingend ein eigenes Zimmer. Wer selbst Kinder hat und abends fluchend über herumliegende Bausteine und Autos auf dem Wohnzimmerteppich stolpert, kennt das. Wenn das Kind in diesem Alter ohnehin noch im Schlafzimmer der Eltern schläft, dann reicht ein Fach im elterlichen Kleiderschrank und Stauraum für Spielzeug und eine Spielecke im Wohnzimmer. Wer gern das Kinderzimmer einrichten möchte, sollte neben dem Bett einen Kleiderschrank kaufen, Schränke und Regale für Spielzeug und eventuell einen Spiel- und Basteltisch – wobei Kinder auch gern den Küchen- und Esszimmertisch mit nutzen. Wichtig ist, dass die Kinder ausreichend Platz zum Spielen haben. Das tun sie am liebsten auf dem Boden oder in einer Höhle unter dem Hochbett oder Tisch.
Phase 3: das Superheldenzimmer
Jedes Kind macht irgendwann die Phase durch, in der es unbedingt die geliebten Kindheitshelden im Zimmer haben möchte. Ob Feuerwehrmann Sam, Anna & Elsa, Bibi & Tina oder Spongebob Schwammkopf – die Liste an Idolen ist so lang wie deren Überlebenszeit begrenzt ist. Die Vorlieben von Mädchen und Jungen wechseln oft im Jahres-, wenn nicht sogar im Monatsrhythmus. Dasselbe gilt für Themenzimmer, bei denen die gesamte Gestaltung beispielsweise auf Rennautos oder Fußbälle ausgelegt ist. Patrick Star, Harry Potter, Bambi, Spiderman und Co. sollten also lieber nur als Möbelfolie, Bettwäsche, Figuren oder Zeitschriften Einzug ins Kinderzimmer halten – und nicht als Tapete oder Möbelstück. Es sei denn, die Eltern haben ausreichend finanzielle Reserven und Spaß am beständigen Renovieren.
Mit Wandtattoos lassen sich Wände flexibel und kostengünstig umdekorieren – passend zu den aktuellen Vorlieben.
Phase 4: das Grundschulkinderzimmer
Mit zunehmendem Alter kommen neue Möbel ins Kinderzimmer – beispielsweise der Schreibtisch. Klassischerweise gibt es diesen zum Schulstart. Für viele Familien ist er ein Symbol für den Beginn der neuen Lebensphase. Wirklich gebraucht wird er in diesem Alter noch nicht, da auch hier gilt: Viele Kinder erledigen Schulaufgaben im Beisein der Eltern am Küchentisch oder in der Wohnstube. Dennoch wird in diesem Alter das Kinderzimmer als Rückzugsort immer wichtiger. Das kann das Bett sein, die selbstgebaute Höhle oder auch eine gemütliche Sitzecke. Eine einfache und flexible Lösung dafür sind Sitzsäcke oder Matratzen.
Phase 5: das Jugendzimmer
Irgendwann kommt der Zeitpunkt, ab dem aus Kindern junge Erwachsene werden – Kinderspielzeug ist da nur noch peinlich, während Erwachsenenkram noch langweilig ist. Zwischen beiden Extremen gilt es, einen Spagat bei der Raumgestaltung und Ausstattung hinzubekommen. Der erste Schritt dorthin ist ein gründliches Ausmisten und Neuorganisieren des Zimmers. Spielbereiche können durch Chillbereiche ersetzt werden. Ein Sofa oder Sitzsäcke schaffen den Rückzugsraum, den der Teenie nach Schultag und Hausaufgaben benötigt. Dazu gehört auch ein Couch- oder Beistelltisch zum Ablegen des Handys oder Abstellen der Getränke. Ein flauschiger Teppich auf dem Boden des Chillbereiches grenzt das Areal optisch ab. Mit Glaswänden oder Podesten kann das Zimmer in unterschiedliche Zonen eingeteilt werden, z.B. in Schlaf-, Arbeits- und Wohnzonen. In der Mitte des Raumes sollte wenn möglich etwas Freiraum für spontane Tanzeinlagen oder PC-Reparaturen zur Verfügung stehen. Bei der Wandfarbe kommt es nun mehr denn je auf eine dezente Wahl an, die weder zu kindlich, noch zu erwachsen wirkt. Pastellige Töne oder Kombinationen aus zwei unaufgeregten Farben (z.B. Grau-Grün) kommen in der Regel gut an. Die Farbwahl sollte unbedingt mit dem Bewohner abgesprochen werden. Eine ungewöhnliche, aber spaßige Art der Wandgestaltung sind Graffitis – hierbei aber lieber auf Wandtattoos zurückgreifen, falls das Kind nicht künstlerisch begabt ist. Noch interessanter sind sogenannte Fototapeten, die einen 3D-Effekt erzeugen. Sie sind zwar etwas kostspieliger, sehen aber cool aus und lassen sich leicht entfernen oder überstreichen, wenn das Motiv nicht mehr gefällt. Schränke und Regale müssen nicht unbedingt neu gekauft werden, sondern können mit Klebefolie oder Spiegeln umgestaltet werden. Aus dem Bett wird mit Vorhängen oder Gardinen im Handumdrehen ein Himmelbett. Dafür am besten die selben Stoffe verwenden wie am Fenster – so entsteht ein harmonisches Gesamtbild. Ein PC oder Laptop steht ohnehin in fast jedem Jugendzimmer. Ein zusätzlicher Beamer kann das Bild von TV, Spielekonsole oder PC an eine freie Wand projizieren. Wird gerade kein Medium genutzt, kann alternativ ein stilvolles Großbild an die Wand gebeamt werden.
Klein aber oho – Tipps für das Einrichten kleiner Zimmer
Wenn der Grundriss nur ein kleines Kinderzimmer hergibt, helfen ein paar Tricks, um trotzdem alles Wichtige darin unterzubringen:
- Ein Hochbett bringt zusätzlichen Stauraum mit sich – genauso wie Treppen.
- Die Ecken des Raumes können durch Eckregale optimal genutzt werden.
- Mit Hängenetzen kann herumliegendes Spielzeug schnell beseitigt werden – diese passen auch gut in Ecken.
- Robuste Körbe und Kisten schaffen nicht nur Stauraum, sondern auch Sitzmöglichkeiten.
- Helle Wände lassen ein Zimmer optisch größer erscheinen – einige Farben und Kontraste dürfen aber nicht fehlen.
- Rollcontainer können unter dem Schreibtisch platziert werden.
- Spiegel an den Schranktüren oder gegenüber vom Fenster lassen kleine Räume weitläufiger und großzügiger wirken.
- Magnetische Schranktüren ersetzen eine zusätzliche Pinnwand, hier eignet sich selbstklebende Magnetfolie.
- Vielleicht findet der Kleiderschrank im Flur oder Elternschlafzimmer Platz.
- Weniger ist mehr: Bei wenig Platz ist es besonders wichtig, regelmäßig nicht mehr genutzte Spielsachen, Bücher und Kleidung auszusortieren.
Wenn das Zimmer irgendwann trotzdem zu klein wird, kann es eine Option sein, das Kinderzimmer mit dem Schlafzimmer der Eltern zu tauschen.
Bei Schreibtischen gibt es ebenfalls mitwachsende Modelle – dieser in Deutschland hergestellte „growing table“ lässt sich dank Schraubsystem an den Tischbeinen in vier Höhen einstellen. © pure position via www.afilii.com.
Nachhaltigkeit im Kinderzimmer
Nachhaltigkeit spielt in immer mehr Bereichen unserer Gesellschaft eine zunehmend wichtige Rolle. Politik und Wirtschaft bemühen sich, eine enkeltaugliche Welt zu hinterlassen. Auch Familien können mit ihrem Lebensstil dazu beitragen. Im Folgenden geben wir Tipps, wie schon das Kinderzimmer nachhaltig und trotzdem schick eingerichtet werden kann.
Mitwachsende Möbel
Wenn sich das erste Kind ankündigt, gehört der Besuch des Möbelhauses für die werdenden Eltern zum angenehmen Pflichtprogramm: Gitterbett, Wickeltisch, Kleiderschrank. Vor ihrem inneren Auge entsteht bereits das Babyzimmer. Leider denken die wenigsten Eltern in dem Moment daran, dass so ein Kind schnell größer wird und dann neue Möbel braucht. Mit Blick auf die Nachhaltigkeit und die langfristigen Kosten ist es daher sinnvoll, schon beim ersten Möbelkauf fürs Kind auf mitwachsende Modelle zu achten. Die Klassiker für Möbel, die gut mitwachsen und so die Kinder über mehrere Jahre begleiten können, sind Betten, Schreibtische und Hochstühle.
Wenn Eltern gleich beim Kauf des Gitterbettes auf ein mitwachsendes Modell gesetzt haben, verlängert sich die Lebenszeit des Bettes bis in die Grundschulzeit. Mithilfe von ein paar Handgriffen lässt sich das Gitterbett dann nämlich in ein Juniorbett umbauen, das aussieht wie ein normales Bett im Miniaturformat oder wie ein Kojenbett, das an einer Seite komplett offen ist. Einige nachhaltig nutzbare Gitterbetten lassen sich danach wiederum als Kindersofa oder Bänkchen weiterverwenden.
Mitwachsende Modelle gibt es ebenso unter den Hochstühlen. Sie lassen sich auf die individuelle Größe des Kindes anpassen. Selbst für Erwachsene und beispielsweise für den Gästebesuch eignen sich diese Modelle. Andere Hochstühle verwandeln sich später in Stauraum.
Generell hilfreich sind sogenannte modulare Möbelsysteme. Über Kastenstecksysteme lassen sich an Regalen, Schränken oder Schreibtischen einige Module an- und wieder abbauen, so dass das Zimmer den jeweiligen Bedürfnissen und Platzverhältnissen unkompliziert angepasst werden kann. Wichtig für alle mitwachsenden und modularen Möbel: Fragen Sie beim Hersteller oder Händler explizit, ob es eine Nachkaufgarantie für Ersatzteile gibt. Denn wenn Sie die fehlende Schraube oder eine zusätzliche Schublade in zehn Jahren nicht mehr bekommen, hilft das beste Möbelsystem nicht.
Tipp: Wer mitwachsende oder Systemmöbel kauft, weil er diese über mehrere Jahre nutzen möchte, wählt am besten ein zeitloses Design und neutrale Farben. Denn die Vorlieben der Kinder für bestimmte Farben und Filmhelden wechseln erstaunlich schnell.
Übrigens: Wer schon früh weiß, dass er eine Großfamilie mit drei oder mehr Kindern haben möchte, für den kann die Anschaffung eines klassischen Baby- bzw. Kinderbettes sinnvoller sein. Denn dann wird immer dann ein neues Möbelstück gekauft, wenn das größte Kind aus dem Babybett rausgewachsen ist. In diesem Fall wird das Babybett für einen langen Zeitraum gebraucht, da lohnt dann auch eher die Neuanschaffung.
Ein Möbel, drei Funktionen: Dieser in Sachsen gefertigte Hochstuhl aus geöltem Eichenholz ist schadstofffrei und vielfältig nutzbar. © Zaunkönig/ Yvonne Most Fotografie via afilii.com
Minimalismus statt Überfluss
Generell gilt bei der Einrichtung des Kinderzimmers: lieber etwas weniger als zu viel. Denn am nachhaltigsten ist immer noch der Verzicht. Wer nichts kauft, verbraucht keine Ressourcen. Wer diesen Minimalismus sehr konsequent umsetzen will, verzichtet auf das Einrichten eines Babyzimmers in den ersten ein bis zwei Lebensjahren. Denn in dieser Zeit brauchen die Kleinsten nicht zwingend ein eigenes Zimmer. Ebenso sollten Eltern beim Spielzeug und bei der Kleidung darauf achten, dass die Schränke nicht zu voll werden. Das überfordert Kinder und erschwert das Aufräumen und Ordnung halten.
Wiederverwenden statt Wegwerfen
Für fast alle Gegenstände, die sich im Kinderzimmer befinden, kann man auf Gebrauchtes zurückgreifen: Möbel, Spielzeug, Kleidung. Mittlerweile gibt es gute Online-Plattformen, wo man Gebrauchtes kaufen oder verkaufen kann, darunter Ebay und Ebay Kleinanzeigen, Vinted (ehemals Kleiderkreisel und Mamikreisel) oder Fairmondo. Unter dem Schlagwort Upcycling lassen sich Gegenstände aufwerten und weiternutzen. So wird die Obstkiste zum Bücherregal, die Obstkonserve zum Stiftehalter und das T-Shirt zur Umhängetasche. Entsprechende Inspirationen und Anleitungen finden sich ebenfalls im Internet.
Wer gebraucht kauft, spart nicht nur Kosten und schont die Umwelt, in der Regel ist vor allem gebrauchte Kinderkleidung weniger stark mit Schadstoffen belastet, da diese bereits ausgewaschen sind. Wer dennoch lieber neu kauft, der kann nicht mehr genutzte Möbel und Accessoires danach weiterverkaufen oder an soziale Einrichtung vor Ort spenden. Das sind beispielsweise Sozialkaufhäuser, Hospize, Flüchtlingseinrichtungen. Auch Kitas freuen sich über gut erhaltenes Spielzeug.
Natürliche Materialien
Ein Aspekt ist die Wahl der Materialien beim Kauf von Möbeln, Spielzeug und Kleidung. Nachhaltige Produkte sind aus nachwachsenden Rohstoffen und möglichst unbehandelt. Dann sind sie nachhaltig für die Umwelt und für die Gesundheit der Kinder. Denn natürliche, unbehandelte Materialien dünsten keine Schadstoffe aus. Möbel werden am besten aus heimischem Massivholz gefertigt. Holz gilt als nachhaltig und gesund und ist daher in den letzten Jahren ein immer beliebterer Baustoff geworden. Holz hat durchaus Vorteile, zunächst weil es ein nachwachsender Rohstoff ist und CO2 bindet statt freizusetzen. Holz hat aber auch Nachteile. Zum einen ist es anfälliger für Schimmel als andere Materialien. Je nachdem, womit das Holz behandelt wurde – z.B. Lack, Leim oder Holzschutzmittel – dünstet es Schadstoffe aus. Besonders heikel sind Nadelgehölze wie Pinien oder die heimische Kiefer. Sie dünsten Terpene aus, die sie im Wald gut duften lassen, die im Haus aber zu schlechter Luft führen. Auch das Harz im Holz kann mit der Zeit Terpene ausdünsten, ebenso mit Öl behandelte Holz- oder Korkböden. Für gesunde Menschen ist eine zu hohe Terpen-Konzentration in der Regel unproblematisch, bei Allergikern und empfindlichen Menschen kann sie Augen, Nase und Schleimhäute reizen. Holz ist damit nicht per se gefährlich, entscheidend sind die richtige Holzart und die Verarbeitung. Ideal, aber leider nicht so beliebt bei Eltern und Kindern, sind nicht lackierte Betten, Schränke und Regale. Viele Familien bevorzugen lackierte Möbel, da diese als pflegeleichter gelten und durch die Farbe schicker aussehen.
Auch bei Textilien wie Vorhängen, Teppichen, Matratzen und Bettwäsche ist es wichtig, auf natürliche Materialien zu setzen. Das können Baumwolle, Leinen, Schurwolle, Sisal, Latex (für Matratzen) oder Hanf sein. Gerade Teppiche sind heikel. Auf ihnen spielen die Kinder viel, zugleich sind die meisten von ihnen mit Brand- und Mottenschutzmitteln behandelt.
Bunt, schick und trotzdem nachhaltig: Der gefilzte Natur-Teppich Lotte. © myfelt via www.affilii.com
Regional kaufen – Anbieter aus der Lausitz
Da Siegel nur bedingt Orientierung geben und zum nachhaltigen Einkauf unserer Ansicht nach der Kauf bei regionalen Anbietern gehört, geben wir im Folgenden eine kleine Auswahl regionaler Händler rund um das Thema Einrichten.
Naturfarben Finsterwalde: Wer renovieren will, holt sich die passende Wandfarbe meist im Baumarkt. Siegel wie der Blaue Engel sind aber mit Blick auf Schadstoffe nur begrenzt aussagekräftig. Wer wirklich sicher gehen will, dass die Farben keine gesundheitsschädlichen Stoffe ausdünsten, kauft wirkliche Naturfarben. Mit Jesus Hernansanz gibt es einen Unternehmer, der diese in der Lausitz verkauft – in seinem Geschäft in Finsterwalde. Dort vertreibt er Wandfarben und Oberputze aus natürlichen Rohstoffen des deutschen Herstellers Kreidezeit. Zum Sortiment gehören auch Kasein-, Lehm- und Vega-Wandfarben, die sich besonders für Kinderzimmer eignen. Kaseinfarbe beispielsweise besteht aus Kasein (dem Bestandteil von Milch, der zu Käse weiterverarbeitet wird), Kreide, Wasser, Soda und Milch. Wie die Lehm- und Vega-Wandfarbe ist Kasein-Farbe gut deckend, atmungsaktiv, geruchsarm, antistatisch und biologisch abbaubar. Im Gegensatz zu Naturfarben aus dem Baumarkt verzichten die in Finsterwalde angebotenen Produkte vollständig auf chemische Zusatzstoffe.
Holz-Noack Spremberg: Wer Fußböden oder Möbel für das Kinderzimmer mit besonderem Anspruch an Nachhaltigkeit und Natürlichkeit verwenden möchte, der findet bei Holz-Noack im Spremberger Ortsteil Sellessen die passende Auswahl und fachliche Beratung. Neben Tipps zur Einrichtung des Kinderzimmers findet man hier Leimholzplatten zum Bauen von Möbeln oder diverse Materialien für Fußböden von hochwertigem Laminat über Parkett, Massivholzdielen, Renovierungsdielen, Designvinyl oder Kork. Für die Renovierung von Innenräumen erhält man hier Profilhölzer, Rahmenhölzer, Glattkantbretter und Leisten sowie nachhaltige Holzanstriche zur Pflege. Die Kompetenz reicht vom Sägewerk bis zum Holzhausbau.
Tischlerei: Wer nicht nur das IKEA-Regal, das in tausend anderen Kinderzimmern steht, haben will, sondern Wert legt auf Individualität, ist bei einer Tischlerei gut aufgehoben. Man erhält aber auch beim Tischler vor Ort individuelle Kinderzimmermöbel, die in jedem Fall ökologischer und nachhaltiger sind und auf alle individuellen Bedürfnisse abgestimmt werden können – und dabei bezahlbarer daherkommen, als man oft denkt. Hier einige Tischlereien aus der Region: Tischlerei Bosse (Cottbus), Tischlerei Lausitz (Spremberg), Tischlerei Graf (Hoyerswerda), Tischlerei Bareinz (Calau). Bei letzterer gibt es sogar Spielgeräte aus Holz: Tischler Frank Bareinz fertigt echte Lieblingsstücke für Hof und Garten – wie Karussells, Eisenbahnen oder ein Riesenrad im Miniformat. Für absolut kreative Individualisten gibt es in Cottbus das junge Label Wer Baut Das (www.wer-baut-das.de), bei dem unterschiedliche Gewerke individuelle Lösungen als Komplettlösung anbieten. Hier arbeiten Designer, Elektriker, Tischler, Lackierer etc. Hand in Hand. Dabei können individuelle Möbel, aber auch Lampen oder vollkommen abgefahrene Unikate entstehen. Wer z.B. eine Riesen-Actionfigur als 3D-Modell im Kinderzimmer platzieren oder Spiderman als Riesen-Wandrelief installieren möchte, ist hier genau richtig.
Renovieren ohne Schadstoffe
Die meisten Kinderzimmer werden eingerichtet, wenn sich das Baby ankündigt. Dann wird renoviert, Möbel werden ausgesucht, Teppich verlegt. Da der Nachwuchs vermutlich viele Jahre in diesem Zimmer verbringen wird, ist es wichtig, schon beim Einrichten auf ein paar grundlegende Dinge zu achten. Wer beim Renovieren und Möbelkauf auf schadstoffarme Produkte achtet, legt einen guten Grundstein für die gesunde Entwicklung des Kindes.
Studien zeigen nämlich immer wieder auf, dass unsere Wohnungen stark mit Schadstoffen belastet sind und diese Schadstoffe sich bereits im Blut und Urin der Kinder nachweisen lassen. Seit Mitte der 1980er-Jahre untersuchen Umweltbundesamt und Robert-Koch-Institut regelmäßig in Privatwohnungen die Luft, den Hausstaub, das Trinkwasser sowie Blut und Urin der Bewohner. Die Ergebnisse sind ernüchternd, teils erschreckend. So ergab die jüngste Untersuchung im Zeitraum 2014-2017, dass Weichmacher und andere kritische Stoffe in fast allen Urinproben von Kindern und Jugendlichen zwischen 3 und 17 Jahren festgestellt wurden.
Kritische Stoffe wie Weichmacher, Schwermetalle, Schimmelsporen oder gefährliche Kohlenwasserstoffe sind mittlerweile omnipräsent: Sie kommen in fast allen Dingen vor, mit denen wir täglich Kontakt haben: Fußboden, Möbel, Kleidung, Lebensmittel, Spielzeug, Büromaterial. Wir können sie weder sehen noch riechen, dennoch reichern sie sich mit der Zeit im Körper an und können dort Folgen für die Gesundheit und die körperliche Entwicklung haben. Die gute Nachricht: Wer ein paar Dinge beachtet, kann die Konzentration dieser kritischen Stoffe in seinem Zuhause teils deutlich reduzieren.
Dazu gehört der Verzicht auf Rauchen im Haus und auf Produkte mit Duftstoffen wie Raumspray, Deospray, Aromaöl oder Duftstäbchen. Statt klassischer chemischer Reinigungsmittel sind Hausmittel oder Produkte mit Biosiegel besser. Möbel aus unlackierten Massivholz enthalten weniger Schadstoffe als Spanholzmöbel. Fußböden aus Holz sind besser geeignet als Böden aus PVC oder Linoleum. Bei der Auswahl von Farben und Tapeten lohnt es sich ebenfalls, schadstoffarme Produkte auszuwählen.
Da eine Ursache für kritische Luftwerte die verwendeten Baumaterialien sind, sollten Familien hier ansetzen. Wer ein Haus baut, kann von Anfang an auf schadstofffreie bzw. -arme Produkte setzen. Dabei ist die Auswahl nicht ganz einfach, jeder Baustoff hat Vor- und Nachteile. Ökologisch und nachhaltig heißt nicht automatisch schadstofffrei. Gütesiegel geben nur begrenzt Auskunft.
Aus der großen Anzahl von Labels und Gütesiegeln überzeugen tatsächlich nur zwei mit Blick auf die gesundheitliche Wirkung auf den Verbraucher: natureplus und ECO-Institut.
Generell sollte man von Trockenbau bis Innenausbau Wert legen auf möglichst naturnahe Baustoffe, die wenig oder nur mit schadstoffarmen Produkten verarbeitet wurden. Geeignet sind Naturbaustoffe wie reiner Kalkputz, Lehmputz, Tonziegel, Holz, bei der Dämmung Holzweichfaser, Hanf oder Schafwolle. Achtung: Dämmstoffe sind oft mit Zusätzen wie Flamm- oder Mottenschutz bearbeitet. Hier am besten konkret nach schadstoffarmen Produkten fragen oder auf Siegel achten. Schafwolle hat den besonderen Vorteil, dass sie nicht nur nachhaltig ist, sondern auch Aldehyde aus der Luft filtern und die Luftfeuchtigkeit regulieren kann. Besonders wichtig ist ein Blick auf Gütesiegel und Inhaltsstoffe bei Silikonen, Klebern und Dichtmassen, sie enthalten häufig Lösemittel, Weichmacher, Flammschutzmittel oder den Schadtstoff Butanonoxim.
Verschiedene Leuchten unterstreichen die einzelnen Bereiche eines Kinderzimmers und sorgen für Behaglichkeit. © licht.de
Richtig Lüften
Wer nicht selbst Bauherr ist, sondern nur Mieter oder in ein gebrauchtes Haus zieht, hat nur bedingt Einfluss auf die Wahl der Baumaterialien. Daher ist das wichtigste und einfachste Mittel gegen dicke Luft im Kinderzimmer: regelmäßiges Lüften. Da Häuser heute sehr viel besser gedämmt sind als noch vor einigen Jahrzehnten, findet ein natürlicher Luftaustausch nicht mehr statt.
So lüften Sie richtig:
- Mindestens zwei Mal am Tag für mehrere Minuten bei weit geöffnetem Fenster lüften.
- Stoßlüften ist besser als Lüften bei angekipptem Fenster.
- Durchzug sorgt für einen schnelleren Luftaustausch.
- Je kälter es draußen ist, desto kürzer sollten Sie das Fenster öffnen – dafür aber häufiger.
- Besonders wichtig ist Lüften nach dem Schlafen, weil sich dabei Feuchtigkeit in der Luft anreichert – und nach dem Renovieren und Putzen.
- Nach dem Renovieren am besten ein bis zwei Wochen warten und regelmäßig lüften, bevor der Nachwuchs (wieder) einzieht.
Beleuchtung
Die Beleuchtung des Kinderzimmers steht bei der Einrichtung meist weiter hinten auf der Agenda. Sie ist aber ebenfalls wichtig, hat doch das richtige Licht Einfluss auf unser Wohlbefinden, aber auch auf die körperliche Entwicklung. So gilt zu wenig Tageslicht als eine der Hauptursachen für Kurzsichtigkeit und für Vitamin-D-Mangel, der wiederum zu einem gestörten Knochenwachstum und zu Skelett-Verformungen führen kann.
Aus diesen Gründen, sollte durch große Fenster möglichst viel Tageslicht ins Kinderzimmer gelangen. Wer ein Haus baut, kann darauf Einfluss nehmen. Ideal sind bodentiefe Fenster, die viel Licht ins Zimmer bringen. Die Landesbauordnungen von Brandenburg und Sachsen schreiben vor, dass gut 12 Prozent der Grundfläche eines Raumes mit Fenstern zu versehen sind. Fachleute empfehlen den doppelten Standard – also 25 Prozent der Grundfläche. Wer mit den vorhandenen Fenstern leben muss, sollte darauf achten, dass diese tagsüber möglichst viel Licht hereinlassen und nicht durch Rollos oder Vorhänge bedeckt sind. Ist das Kinderzimmer nach Süden ausgerichtet, braucht es dagegen einen Sonnenschutz, da sich das Zimmer sonst aufheizt.
Der zweite Faktor, den Eltern sehr wohl beeinflussen können, ist die künstliche Beleuchtung. Im Laufe der Jahre sollte sich diese den sich verändernden Bedürfnissen der Kinder anpassen. Babys beispielsweise liegen viel und schauen dann zur Decke. Dabei sollten sie nicht vom Deckenlicht geblendet werden. Ohnehin ist indirektes Licht im Kinderzimmer günstig. Im Kleinkindalter hilft eine kleine, dimmbare Beleuchtung in Bettnähe oder ein mobiles Nachtlicht gegen die abendliche Angst vor Monstern und Gespenstern. Generell sind für das Kinderzimmer Wand- und Deckenleuchten besser geeignet als Stehlampen. Letztere können beim wilden Toben schnell Umkippen.
Mit dem passenden Leuchtmittel hat man weitere Einflussmöglichkeiten. Hersteller versuchen bereits, Leuchtmittel zu entwickeln, deren Leuchtspektrum möglichst nah ans Sonnen- bzw. Tageslicht herankommt. Beim Kauf achten Familien vor allem auf zwei Werte: Der Wert Lumen gibt an, wie hell eine Lampe strahlt. Je höher der Lumen-Wert, desto heller die Lampe. Früher diente die Wattzahl als Orientierung für die Strahlkraft der Glühbirne. 100 Watt entsprechen etwa 1.300 Lumen, 40 Watt etwa 400 Lumen. Mit Kelvin wird die Lichtfarbe bzw. Farbtemperatur angegeben. Ein niedriger Wert steht für warmes rötlich bis gelbes Licht, ein hoher Wert für kälteres bläuliches Licht. Bis 3.000 Kelvin spricht man von warm-weißem Licht, zwischen 3.000 und 5.000 Kelvin von neutral-weißem Licht und ab etwa 5.000 Kelvin von hellem Tageslichtweiß.
Ein Paradies für Kinder: ein Hochbett zum Klettern, Rutschen, Höhlebauen und natürlich schlafen.
Schlafen
Die meisten werdenden Eltern kaufen für ihr Baby ein Gitterbett. In den ersten Lebenswochen kann man sich auch für eine Wiege oder einen Stubenwagen entscheiden. Die sind durchaus hübsch anzusehen und haben den Charme, dass man sie leicht von einem ins andere Zimmer schieben kann. Aber die Kleinen wachsen so schnell raus, dass man sich gut überlegen sollte, ob die Anschaffung wirklich lohnt. Die Vorteile eines Gitterbetts liegen klar auf der Hand: Das Kleine kann im Schlaf nicht aus dem Bett fallen und wenn es etwas mobiler ist, nicht allein aus dem Bett krabbeln. Folgende Ausstattung erleichtert den Alltag mit Baby und Kleinkind: Ein höhenverstellbarer Lattenrost kann in den ersten Lebensmonaten in der Höhe so eingestellt werden, dass die Eltern das Kind rückenschonend ins Bett legen und herausheben können. Zudem kann die Matratzenhöhe parallel zur Höhe des Elternbetts eingestellt werden. Steht das Gitterbett noch neben dem Elternbett, können die Eltern nachts ohne aufzustehen reagieren, wenn das Kind Kummer hat. Wer sein Kind stillt, sollte sich für ein Beistellbett entscheiden, bei dem man eines der beiden langen Gitter entfernen kann. Dann wird das Bett wie eine Art Balkon am Elternbett befestigt und das Baby muss zum nächtlichen Stillen nur noch auf Mamas Bettseite gezogen werden. Spätestens wenn die Kleinen stehen können, sollte die Matratze möglichst weit unten im Bett befestigt werden, damit sie nicht kopfüber aus dem Bett fallen oder allein herausklettern. Hier kommt das dritte lohnenswerte Zubehör ins Spiel: sogenannte Schlupfsprossen. Diese herausnehmbaren Gitterstäbe ermöglichen es Kindern ab etwa einem Jahr, selbständig das Bett zu verlassen, wenn sie nachts heraus oder morgens eigenständig aufstehen wollen.
Babybetten haben in der Regel eine Größe von 60 mal 120 cm oder 70 mal 140 cm. Die Gitterstäbe sollten so eng stehen, dass Babys Kopf nicht durchpasst, also max. 6,5 cm auseinander. Der Lattenrost sollte stabil sein und ein mögliches Durchrutschen der Füßchen nicht ermöglichen. Die optimale Matratze wird passend zur Bettgröße gewählt und ist weder zu hart noch zu weich. Die meisten Baby- und Kindermatratzen haben einen festeren Rand, da sich die Kinder gern daraufstellen. Genau wie das Bett selbst sollte die Matratze frei von Schadstoffen sein. Das Bettgitter bzw. dessen Lackierung muss speichelfest sein.
Verzichten Sie auf wasserfesten Nässeschutz. Dieser kann zu Hitzestau führen. Wer vor einem nächtlichen Malheur Angst hat, achtet besser darauf, dass der Matratzenbezug abnehmbar und bei 60 Grad waschbar ist. Wer dennoch einen Nässeschutz haben möchte, wählt ein Modell aus reiner Baumwolle.
Nun gilt es noch, den passenden Ort fürs Babybett zu finden. Experten empfehlen, das Babybett im ersten Lebensjahr im Elternschlafzimmer direkt neben dem Elternbett aufzustellen. Es sollte so stehen, dass ältere Babys durch die Gitterstäbe nicht nach potentiell gefährlichen Dingen wie Steckdosen, Kabeln oder Gardinen greifen können.
Wann Sie vom Babybett aufs Kinderbett umsteigen, hängt von mehreren Faktoren ab. Vielleicht kündigt sich ein Geschwisterchen an und Sie brauchen das Babybett jetzt für das neue Baby. Oder Ihr Kind wächst aus dem Gitterbett heraus. Wenn das Gitterbett nicht benötigt wird, sollte zunächst noch ein Ausfallschutz angebracht werden. Während wir Erwachsenen nachts wach werden, wenn wir von der Bettkante zu kullern drohen, funktioniert dieser Schutzmechanismus bei Kindern noch nicht. Anders als Erwachsene, die kurz wachwerden, bevor sie sich im Bett drehen, bewegen sich Kinder im Schlaf. Daher brauchen sie entweder einen hohen Bettrahmen, einen einfach nachzurüstenden Ausfallschutz oder aber Sie polstern den Boden neben dem nicht zu hohen Kinderbett, falls das Kind nachts doch herausfällt.
Ab dem Kitaalter oder spätestens mit dem Schulstart wünschen sich viele Kinder ein Hochbett. Wenn das Kind alt und reif genug dafür ist, dann kann ein Hochbett tatsächlich eine echte Attraktion im Kinderzimmer sein. Tagsüber wird es wahlweise zum Klettergerüst oder zur Kuschelhöhle. Außerdem erhöht es den Platz zum Spielen, der im Zimmer zur Verfügung steht. Wichtig vor der Anschaffung: Das Kind sollte grobmotorisch so sicher sein, dass es beim Spielen nicht stürzt. Kleinkinder denken noch nicht daran, was hinter ihnen ist und laufen einfach rückwärts – auch auf einem Hochbett. Wichtig ist ebenfalls, dass das Bett stabil gebaut ist, da die Kinder es intensiv bespielen werden. Sind Geschwister oder Freunde im Haus, muss es auch mehrere Kinder aushalten können. Bedenken Sie ebenfalls, dass Sie als Eltern abends vielleicht noch mit dem Kind kuscheln wollen oder es nachts aus dem Bett heben müssen, wenn es Kummer hat. Wie bei allen anderen Möbeln im Kinderzimmer gilt: Idealerweise lässt sich das Bett umbauen, denn auch die Hochbettphase geht irgendwann vorbei. In der Regel mit zehn bis zwölf Jahren ziehen die Heranwachsenden ein großes, breites Bett vor, auf dem sie chillen können – auch mit ihren Freunden.
Dem plötzlichen Kindstod vorbeugen
Obwohl er nur noch selten vorkommt, ist er noch immer ein Schreckgespenst junger Eltern: der plötzliche Kindstod, der Babys unter einem Jahr scheinbar grundlos im Schlaf ereilt. Bis heute können Experten nicht die genauen Ursachen benennen, die zum Tod führen. Es gibt aber mittlerweile Empfehlungen für eine optimale Schlafumgebung für Babys, die das Risiko deutlich senken:
Stillen: Mehrere Studien deuten daraufhin, dass Stillen das Risiko für den plötzlichen Kindstod deutlich senkt. Zum einen stärkt Muttermilch die kindlichen Abwehrkräfte. Zudem haben gestillte Kinder einen leichteren Schlaf und werden nachts häufiger wach, was das Risiko für einen plötzlichen, unbemerkten Atemstillstand im Schlaf reduziert.
Rückenlage: Bis zum ersten Geburtstag sollten Kinder idealerweise immer auf dem Rücken schlafen. So können sie das Gesicht nicht in der Matratze vergraben und ersticken. Sobald sich Kinder allein drehen können, lässt es sich nicht mehr verhindern, dass sie sich im Schlaf auf die Seite oder auf den Bauch drehen.
Schlafsack: Babys schlafen besser mit Schlafsack statt Zudecke. Eine Zudecke könnten sie sich über das Gesicht ziehen und ersticken. Zudem schwitzen sie unter einer zu dicken Decke stark, was ebenfalls als Risikofaktor gilt. Der Schlafsack sollte die passende Größe haben, so dass das Kind nicht mit dem Kopf durchrutschen kann und ausreichend Platz zum Strampeln hat. Wer nicht auf eine Decke verzichten möchte, sollte deren Fußende unter die Matratze stecken.
Matratze: Die optimale Baby-Matratze ist luftdurchlässig und nicht zu weich. Auf eine nicht atmungsaktive Unterlage als Matratzenschutz sollten Sie verzichten.
Babybett im Schlafzimmer: Idealerweise schläft das Kind im ersten Jahr in seinem eigenen Babybett am Elternbett. Schläft das Kind im Elternbett, besteht das Risiko, dass es überhitzt oder erstickt. Schläft es im eigenen Zimmer, haben Eltern es weniger gut im Blick und können weniger schnell auf Unregelmäßigkeiten beispielsweise der Atmung reagieren.
Weniger ist mehr: Auch wenn es niedlich aussieht – verzichten Sie auf Kissen, Plüschtiere, ein Fell zum Unterlegen, lange Betthimmel und ein Nestchen/ Polster. Auch sie erhöhen das Risiko zu ersticken oder sich darin zu verheddern. Bänder, Schnüre und Ketten (z.B. Bernsteinkettchen) gehören aus dem gleichen Grund ebenso wenig in Babys Bett.
Nicht rauchen: Schwangere und Stillende sollten aufs Rauchen verzichten, in der Wohnung sollte Rauchen generell tabu sein.
Raumtemperatur: Die ideale Raumtemperatur liegt im Schlafzimmer nachts zwischen 16 und 18 Grad. Damit das Kind nicht überhitzt, ziehen Sie es nicht zu dick an, ein Schlafanzug reicht, verzichten Sie auf eine Mütze. Das Bett sollte weder in der Nähe der eingeschalteten Heizung noch in der prallen Sonne stehen.
Lernen
Wir haben oben bereits erläutert, warum Kinder im Grundschulalter noch nicht zwingend einen eigenen Schreibtisch benötigen. Wer dennoch den eigenen Schreibtisch bevorzugt, achtet am besten auch hier auf ein mitwachsendes, höhenverstellbares Modell. Damit wird der Schreibtisch zum treuen Begleiter bis ins Teenageralter. Das gleiche gilt für den Schreibtischstuhl.
Selbst wenn es dem Nachwuchs schwerfällt, Ordnung zu halten, sollte zumindest ein Bereich immer aufgeräumt sein: der Schreibtisch von Schulkindern. Denn Hausaufgaben und Schularbeiten lassen sich an einem übersichtlichen Arbeitsplatz sehr viel besser erledigen. Dinge, die ablenken können, haben da nichts zu suchen. Im Grunde reicht es aus, wenn ein Schreibtisch über gutes Licht, Schreibutensilien, Schreibunterlage, PC/ Laptop, einen Kalender, den aktuellen Stundenplan und gegebenenfalls einen Globus verfügt.
Wichtig ist die richtige Beleuchtung am Schreibtisch. Das Licht sollte nicht auf Bildschirm oder Tastatur reflektieren, gut geeignet sind verstellbare Schreibtischleuchten mit indirektem Licht. Steht der Schreibtisch am Fenster, dann sollte das Licht am besten seitlich einfallen, bei Linkshändern von der rechten Seite, bei Rechtshänder von der linken Seite. Das vermeidet Schatten beim Schreiben.
Dieser in den Niederlanden hergestellte Schrank verbindet Stauraum und cooles Design, ein echter Hingucker fürs Kinderzimmer. © This is Dutch via www.afilii.com
Stauraum
Die meisten Kinder haben eher zu viel als zu wenig Spielzeug. Selbst wenn die Eltern auf Minimalismus setzen, gibt es zu Geburtstagen und beim Besuch von Oma und Opa immer wieder Nachschub fürs Spielzeugregal. Damit Spielsachen, Bücher, Bastel- und Malbedarf, aber auch Kleidung einen festen Platz haben, braucht es ausreichend Stauraum. Geeignet sind Regale und Schränke. Häufig genutzte Spielsachen sollten für die Kinder gut sichtbar sein: über offene Regalfächer oder durchsichtige Boxen. Denn sonst gilt: aus den Augen aus dem Sinn. Idealerweise lassen sie sich gleich im Behälter dorthin schieben, wo gespielt wird. Dafür eigenen sich Rollcontainer oder Boxen mit kleinen Rädern. Kleidung kann in den Schrank. Aber auch hier ist es wichtig, dass die Kinder an Sachen, die sie regelmäßig tragen, allein herankommen. Das erleichtert die Selbständigkeit.
Ist aus Platzgründen nur wenig Stauraum vorhanden, können selten genutzte Dinge wie Bettwäsche auch in anderen Räumen gelagert werden. Wenn die Kinder ohnehin lieber am Ess- oder Wohnzimmertisch malen und basteln, können die dafür benötigten Utensilien dort gelagert werden. Kinder sind leidenschaftliche Sammler. Schöne Steine, die Muschel aus dem Sommerurlaub oder Figur aus dem Überraschungsei werden gehütet wie ein Schatz. Schaffen Sie Raum, diese Schätze zu präsentieren, beispielsweise auf dem Fensterbrett, auf einem Wandregal oder klassisch im Setzkasten.
Platz zum Spielen
Wenn Eltern das Kind von der Kita abholen und fragen, was es heute gemacht habe, hören sie meist: „Gespielt.“ Die Antwort mag für die Eltern wenig erkenntnisreich sein, sie können aber damit zufrieden sein. Denn die wichtigste Tätigkeit im ersten Lebensjahrzehnt ist das Spielen. Das sollte sich in der Gestaltung des Kinderzimmers widerspiegeln. Kleine Kinder spielen am liebsten auf dem Fußboden. Dort breiten sie wahlweise ihre Barbies, Legosteine, Fahrzeuge, Dinos oder Schleichfiguren aus. Daher ist es essentiell, das Kinderzimmer nicht mit Möbeln vollzustellen, sondern in der Mitte des Raumes oder an einer Wand ausreichend Freiraum zum Spielen zu lassen. Kinder lieben es zu bauen: Türme aus Legosteinen, Burgen aus Holzbausteinen, Zoos oder ein Puppenhaus. Dafür brauchen sie viel Platz. Im Zweifel sollten Sie daher auf einen Tisch verzichten, wenn das Zimmer zu klein ist.
Bei der Wahl des Spielzeugs werden Sie mit zunehmendem Alter des Kindes immer weniger mitreden können. Generell gilt: Weniger ist mehr. In den ersten ein, zwei Lebensjahren sind die Küchenutensilien für die Kinder ohnehin viel interessanter als Spielzeug.
Wenn Sie selbst Spielzeug kaufen, beachten Sie folgendes: Kaufen Sie kein lärmendes Spielzeug, Kinderohren sind empfindlich. Geben Sie Ihrem Kind Spielsachen, die seinem Alter und seiner Entwicklung angepasst sind – sie sollten weder unter- noch überfordern. Ansonsten gilt: Prüfen Sie Spielzeug mit Ihren Sinnen: Nehmen Sie es in die Hand, ziehen Sie daran, riechen Sie daran. Spielzeug sollte nicht nach Chemie riechen, nicht abfärben, robust sein, nicht scharf oder spitz sein, nicht zu groß oder zu schwer für das Kind sein, Kleinteile sollten sich nicht ablösen lassen. Ist das Spielzeug einmal in Benutzung, prüfen Sie es regelmäßig auf Beschädigung: Hat es Risse, lösen sich Kleinteile ab, ragen Holzsplitter heraus? Dann entsorgen oder reparieren Sie das Spielzeug.
Kleinkinder brauchen nicht viel Spielzeug, sie können sich auch mit Töpfen oder Wäscheklammern ausgiebig beschäftigen.
Ordnung halten
Gerade in Familien spielt das Thema Ordnung und Aufräumen eine große Rolle. Während man mit Kleinkindern im Haushalt an allen Orten der Wohnung unbeabsichtigt auf Spielzeugautos und Bausteine tritt, verlagern die größeren Kinder das kreative Chaos ins eigene Kinderzimmer.
Wir geben an dieser Stelle ein paar Tipps für mehr Ordnung im Kinderzimmer und in allen anderen Räumen. Die wichtigste Regel lautet: weniger ist mehr. Kinderzimmer, die vor Spielsachen förmlich überquellen, sind schwerer in Ordnung zu halten.
Vorbild sein: Wenn die Eltern eher chaotisch veranlagt sind und in der Wohnung viel herumliegt, dann werden die Kinder ebenfalls kein großes Interesse daran zeigen, dass in ihrem Zimmer alles aufgeräumt ist.
Ordnungsverständnis fördern: Ordnung ist ein sehr erwachsenes Konzept. Wenn Kinder ihr Spielzeug in ihrem Zimmer verteilen, ist das für sie normal, aber nichts Negatives oder etwas, das man ändern müsste. Mit der Aufforderung „Räum bitte auf“ können sie nicht viel anfangen. Kinder müssen das Prinzip von Ordnung und Chaos erst lernen und brauchen dafür die Unterstützung der Eltern.
Beim Aufräumen helfen: Je kleiner die Kinder, desto mehr Unterstützung brauchen sie. Daher sollte man das anfangs mit den Kindern gemeinsam machen. Zudem helfen den Kindern konkrete Anweisungen. Statt „Räum dein Zimmer auf“, brauchen sie Sätze wie: „Leg die Bausteine zurück in die Kiste, räum die Bücher ins Regal.“ Wenn Kinder Freunde zu Besuch haben, dann kann man sie bitten, mit aufzuräumen, bevor sie wieder nach Hause gehen.
Aufräumen erleichtern: Kinder können ihr Spielzeug dann allein wegräumen, wenn alles einen festen Platz hat und die Kinder diese Plätze gut erreichen können. Kisten in unterschiedlicher Größe eignen sich ideal, um für Ordnung zu sorgen: Eine für die Bausteine, eine für die Fahrzeuge, eine für die Kuscheltiere. Kleinen Kindern können Bilder auf der Kiste beim Wegräumen und Wiederfinden helfen. Noch besser sind durchsichtige Boxen.
Spielerisch aufräumen: Jüngere Kinder lassen sich mit kleinen Spielen leichter zum Aufräumen motivieren. Zwei Ideen als Anregung: Die Kuscheltiere werden von einer festgelegten Linie aus in einen großen Korb geworfen. Ziel sind möglichst viele Treffer. Für das Aufräumen der Legosteine dürfen die Socken ausgezogen werden und die Kinder versuchen, die Steine mit den Zehen in die Kiste zu bugsieren.
Regelmäßig aussortieren: Je weniger Spielzeug im Zimmer ist, desto leichter lässt sich Ordnung halten. Da das Spielzeug mit der Zeit naturgemäß immer mehr wird, sollte man Spielsachen (und übrigens auch Kleidung) regelmäßig aussortieren. Spielzeug, für das der Nachwuchs zu groß geworden ist, kann man weggeben. Anderes kann man für eine Weile wegschließen und nach etwa einem halben Jahr wieder hervorholen. Da ist es auf einmal auch wieder interessant.
Aufräumregeln festlegen: Legen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind Regeln fürs Aufräumen fest, zum Beispiel: Bevor ein neues Spiel begonnen wird oder neues Spielzeug aus dem Regal genommen wird, muss das nicht mehr gebrauchte weggeräumt werden. Oder man einigt sich darauf, dass tagsüber kreatives Chaos erlaubt ist und abends gemeinsam aufgeräumt wird. Bei Jugendlichen hat man nicht mehr so viel Einfluss, sollte aber doch auf ein Minimum an Regeln bestehen, z.B. keine Lebensmittel im Zimmer und einmal wöchentlich/ monatlich Grundreinigung.
Ausnahmen ermöglichen: Keine Regel ohne Ausnahme, das gilt auch fürs Aufräumen. Wenn das Kind den ganzen Tag an einer tollen Burg gebaut hat oder eine Bude errichtet hat, dann sollte es die auch etwas länger stehen lassen dürfen. Wenn nach einem langen Tag mal die Zeit fehlt, dann kann man die Aufräumaktion um einen Tag verschieben.
Haben die Kinder viel Zeit in den Bau ihrer Spiellandschaft investiert, kann man verhandeln, dass diese ein paar Tage stehen bleiben darf.
Das sichere Kinderzimmer
Jeden Tag verunglücken Kinder zu Hause: Säuglinge fallen von der Wickelkommode, Krabbelkinder ziehen am Kabel des Bügeleisens, Kleinkinder an der Tischdecke mit dem heißen Tee und Vorschulkinder testen neugierig, ob die Zirkelspitze vom großen Bruder in die Steckdose passt. Glücklicherweise enden die meisten Unfälle harmlos, einige wenige aber auch tödlich. So starben im Jahr 2019 immerhin 33 Kinder im Alter bis 4 Jahre durch Sturz, Ertrinken, Ersticken oder Vergiftung daheim. Auch wenn die meisten Familien von häuslichen Unfällen verschont bleiben, lohnt es sich bei der Einrichtung des Kinderzimmers – aber auch der restlichen Zimmer – auf eine kindersichere Ausstattung zu achten.
Im Säuglingsalter ist die häufigste Unfallursache der Sturz von der Wickelkommode oder vom Sofa bzw. Bett. Die Eltern sind einen kurzen Moment unaufmerksam, holen eine frische Windel, holen das klingelnde Handy – und genau dann dreht sich das Baby zur Seite und stürzt. Die beste Prävention gegen Sturzunfälle: Babys nie unbeaufsichtigt erhöht liegen lassen, sondern entweder immer eine Hand am Kind lassen oder das Kind auf einer Decke auf dem Fußboden wickeln. Übrigens: Auch ein Sturz in einer vermeintlich schützenden Autoschale ist gefährlich, daher Babywippe oder Autoschale nur auf dem Boden abstellen, nie auf einem Tisch oder Sofa.
Bei Säuglingen können Stürze aus dieser Höhe dramatische Folgen haben: Sie enden oft mit schweren Kopfverletzungen wie Gehirnerschütterung oder Schädelbruch. Der Gang zum Kinderarzt reicht dann nicht mehr, stattdessen heißt es: Krankenhaus. 3 von 100 Kindern unter einem Jahr müssen im Schnitt jedes Jahr wegen einer Verletzung ins Krankenhaus, bei den über 5-Jährigen sind es nur noch halb so viele.
Für die Einrichtung des Kinderzimmers heißt das: Am besten auf die Wickelkommode verzichten und auf dem Boden wickeln, dann kann sich direkt ans Wickeln noch eine Spiel- und Kuschelstunde anschließen. Wer dennoch nicht auf die Wickelkommode verzichten möchte, sollte folgende Dinge beachten:
Sicher wickeln
- Den Wickeltisch in einer Zimmerecke aufstellen.
- Möglichst Wickeltisch mit Fallschutz verwenden.
- Ein möglichst breiter Wickeltisch verringert das Risiko, dass das Kind herunterfällt, wenn es sich doch einmal dreht.
- Kein Regal über dem Wickeltisch befestigen, da Gegenstände von dort aufs Kind fallen könnten.
- Auf ein Mobile über dem Wickeltisch verzichten, damit sich das Kind nicht danach ausstreckt.
- Alle Wickelutensilien (Windeln, Feuchttücher, Waschlappen, Creme, Wechselsachen) griffbereit haben.
- Babypuder nicht in Kindsnähe abstellen, um Einatmen zu verhindern.
- Wenn doch etwas geholt werden muss, das Kind mitnehmen oder solange auf dem Boden auf einer Decke ablegen.
Da die meisten Familien den Wickeltisch nur eine relativ kurze Zeit benötigen, selbst wenn sie zwei Kinder haben, sollte man ernsthaft überlegen, ob man dieses Möbel überhaupt braucht. Wer den Komfort des Wickelns in dieser Höhe nicht missen möchte, sollte darauf achten, dass der Tisch oder die Kommode umbaubar ist und sich nach der Windelzeit anderweitig nutzen lässt.
Eine weitere Gefahr im ersten Lebensjahr ist das Ersticken: Wenn Babys im Schlaf keine Luft bekommen, japsen sie nicht nach Luft, sondern ersticken lautlos. Daher schläft das Baby am besten im eigenen Gitterbett neben dem Elternbett. Auf niedliche Decken, Kissen, Nestchen und große Kuscheltiere sollten Eltern in den ersten Lebensmonaten besser verzichten. Hier besteht die Gefahr, dass sich das Kind diese nachts über das Gesicht zieht. Ein Schlafsack reicht aus. Ebenso sind Bernsteinketten und lange Schnullerketten wegen der Strangulierungsgefahr tabu.
Je älter und mobiler das Kind wird, desto mehr potenzielle Risiken kommen hinzu. Ganz gleich ob krabbelnd oder laufend – die Kleinen wollen jetzt die Welt erkunden und das sind zunächst die eigenen vier Wände. Daher sollte all das nicht für Kleinkinder erreichbar sein, was ihnen gefährlich werden kann: giftige Zimmerpflanzen, Kosmetika und Reinigungsmittel, Medikamente, heiße Getränke, Speisen und Elektrogeräte wie Bügeleisen oder Wasserkocher. Gibt es eine Treppe im Haus, dann sollte diese zunächst mit einem Gitter gesichert werden. Ebenso wichtig: Mit dem Kind frühzeitig das richtige und sichere Treppengehen üben. Steckdosen sollten mit einer Kindersicherung ausgestattet werden.
Fenster- und Balkontürgriffe müssen entweder verschlossen oder für das Kind nicht erreichbar sein. Dafür gibt es eigens abschließbare Griffe. Hier spielt der im Vergleich zu Erwachsenen veränderte Körperschwerpunkt von Kleinkindern eine Rolle. Durch den relativ großen Kopf fallen sie schneller kopfüber, wenn sie sich zu weit aus dem Fenster oder dem Bett lehnen. Das heißt auch: Ein Hochbett erst ab etwa sechs Jahren. Nutzen es jüngere Kinder, dann nur unter Aufsicht Erwachsener.
Da Kinder recht schnell das Klettern für sich entdecken und alles erklimmen, was für sie erreichbar ist, gilt es, Regale und Schränke in der Wohnung an der Wand zu befestigen. Tabu fürs Kinderzimmer ist ein Hochstuhl. Der sollte nur zu den Mahlzeiten unter Aufsicht der Eltern genutzt werden, da mobile Kinder gern allein aus ihm auszusteigen versuchen und dabei stürzen können.
Gänzlich ungeeignet sind Lauflernhilfen. Sicherheitsexperten und Ärzte warnen immer wieder vor deren Anschaffung. Kleine Kinder, die noch nicht oder gerade erst laufen können, sind dort sehr schnell unterwegs. Stürze an Teppichkanten, Treppen, Wänden und Türschwellen sind vorprogrammiert. Stürzt das Kind mit dem Gerät, kann es sich zudem einklemmen oder quetschen und nicht selbst befreien. Lauflernhilfen gelten daher als das gefährlichste „Verwahrgerät“ für Kleinkinder und Babys.
Aber einen hundertprozentigen Schutz vor Unfällen wird man nie erreichen – und das ist auch gar nicht wünschenswert. Kinder wollen nicht in Watte gepackt werden, Beulen und Schrammen gehören zu jeder Kindheit. Was Eltern aber sehr wohl leisten können und sollten: Kinder vor schweren Verletzungen schützen. Dabei gilt der Grundsatz: Zutrauen statt Überbehüten.
Sie schützen Ihre Kinder auch, indem Sie ihnen behutsam den richtigen Umgang mit Gefahrenquellen beibringen. Machen Sie früh auf mögliche Gefahrenstellen im Haus aufmerksam – hier gilt: Wiederholung prägt ein. Erklären Sie immer wieder: Beim Treppensteigen am Geländer festhalten. Klemm dir nicht die Finger ein, wenn du den Schrank zumachst. Der Herd ist heiß.
Sicheres Licht
Auch bei der Beleuchtung des Kinderzimmers sind einige Sicherheitsaspekte zu beachten: Kabel sollten für Kinder nicht erreichbar sein. Auch heiße Leuchten sollten nicht in Reichweite der Kinderhände sein. Wenn sie diese mit Tüchern oder dergleichen abdecken, kann es im schlimmsten Fall zu einem Brand kommen. Aufgrund der empfindlichen Augen von Kindern ist direktes, blendendes Licht in Kinderzimmern nicht zu empfehlen. Stattdessen sind indirektes Licht und verkleidete Lampen sinnvoll. Lampen und Lampenschirme aus Glas sind wegen der Bruchgefahr im Kinderzimmer tabu.
Sicheres Spielzeug
Spielzeug wird gerade in den ersten Lebensjahren gern in den Mund genommen. Daher sollte es möglichst wenig Schadstoffe enthalten. Als Orientierung dienen entsprechende Gütesiegel und der Geruchssinn. Was intensiv nach Chemie riecht, gehört weder ins Kinderzimmer noch in einen anderen Raum der Wohnung. Generell sind Spielsachen aus unbehandelten Naturmaterialien wie Baumwolle oder Holz eher seltener mit Schadstoffen belastet als Bausteine aus Plastik oder Plüschtiere aus Polyester. Auch bei Knete, Stiften, Farben und Kleber sollten Eltern auf schadstoffarme oder noch besser schadstofffreie Produkte achten.
Spielzeug sollte altersgerecht sein. Das heißt insbesondere: Kleinteiliges Spielzeug gehört nicht in die Hände von Kindern unter drei Jahren. Wenn sie kleine Dinge verschlucken, können sie ersticken oder sich innerlich verletzen – beispielsweise bei Knopfbatterien oder scharfen Gegenständen. Generell sollte Spielzeug keine scharfen Kanten oder spitzen Ecken haben. Manchmal entstehen diese, wenn ein Stück abbricht. Dann gilt: entweder reparieren oder entsorgen.
So harmonisch geht es zwischen Kindern nicht immer zu, daher gilt: Im Zweifel müssen getrennte Kinderzimmer her.
Allein oder zu zweit: Geschwister im Zimmer
Spätestens wenn sich das zweite Kind ankündigt, stehen Eltern vor der Frage: Teilen sich die Kinder ein Zimmer oder bekommt jeder sein eigenes Zimmer? Die Antwort darauf hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zum einen vom Platz: Zum Glück müssen wir nicht wie noch frühere Generationen Bett und Zimmer mit der ganzen Familie teilen, aber nicht jede Familie hat ausreichend Zimmer für jedes Kind. Dann ist es hilfreich, wenn sich die Geschwister möglichst lange ein Zimmer teilen. Das ist leichter, wenn der Altersabstand nicht so groß ist. Größer als drei oder vier Jahre sollte er nicht sein. Ist das jüngere Geschwisterkind ein Nachzügler und der große Bruder bei der Geburt schon in der Schule, wird er sein Reich kaum mehr mit dem Baby teilen wollen. Ab einem gewissen Alter kann auch das Geschlecht eine Rolle spielen. Zwei Schwestern, die nur zwei Jahre auseinander sind, werden sich länger im Prinzessinnen-Zimmer wohlfühlen als Bruder und Schwester. Nicht zuletzt hängt die Entscheidung, ob die Geschwister sich ein Zimmer teilen, auch vom Miteinander ab: Verstehen sie sich im Alltag gut miteinander, spielen sie gern gemeinsam, streiten sie viel?
Wenn die Zimmerzahl kein eigenes Zimmer für jedes Kind hergibt, haben Familien folgende Möglichkeiten: Ein Raumteiler – das kann auch ein Bücherregal oder Kleiderschrank sein, aber auch ein Hochbett oder ein Vorhang – kann ein ausreichend großes Zimmer quasi zu zwei Zimmern machen. Spätestens wenn die Kinder in die Pubertät kommen, sind klare Regeln und Absprachen nötig: Hat eines der beiden Kinder Besuch von Freunden, sollte das andere sich bereit erklären, das gemeinsame Zimmer in dieser Zeit nicht zu nutzen. Eine weitere Möglichkeit kann sein, dass die Eltern ihr Schlafzimmer aufgeben und das Wohnzimmer doppelt nutzen. Wenn dieses ausreichend groß ist, kann auch hier ein Raumteiler die beiden unterschiedlichen Funktionen sichtbar machen.
Eine Herausforderung wird die Zimmeraufteilung für Familien mit drei oder mehr Kindern. Denn die wenigsten Wohnungen oder Häuser verfügen über sechs oder mehr Zimmer. Hier hat es sich etabliert, dass das größte Kind ein eigenes Zimmer bekommt. Wenn es auszieht, kann das nächstgrößere Kind nachrutschen. Die jüngeren Geschwister teilen sich so lange wie nötig ein Zimmer.
Ein festes Alter, wann Kinder unbedingt ein eigenes Zimmer brauchen, gibt es nicht. Unsere Großeltern mussten sich oft die komplette Kindheit und Jugend ihr Zimmer mit meist mehreren Geschwistern teilen. Heute ist in vielen Familien spätestens mit Beginn der Pubertät Schluss mit einem gemeinsamen Kinderzimmer. Dann brauchen die Jugendlichen einen Rückzugsort und grenzen sich zunehmend ab, nicht nur von den Eltern, sondern unter Umständen auch vom Bruder oder von der Schwester. Manche Geschwister aber streiten so viel, dass es um des Familienfriedens sinnvoll sein kann, sie schon deutlich eher räumlich zu trennen. Ähnliches gilt für Zwillinge: Hier sollten die Eltern ihre Kinder genau beobachten und schauen, was sie brauchen und was ihnen gut tut. Harmonieren sie gut miteinander oder brauchen sie Rückzugsmöglichkeiten, weil es viel Streit gibt?
Wichtig, wenn sich Geschwister ein Zimmer teilen: Ermöglichen Sie jedem Kind Individualität. Wenn ein Kind eher auf Pferde steht und das andere Planeten vorzieht, dann berücksichtigen Sie das bei der Einrichtung des Zimmers. Mit Accessoires wie Wandtattoos, Vorhängen oder Lampen lässt sich jeder Bereich unkompliziert den aktuellen Vorlieben anpassen.
Bei allen kleineren und größeren Reibereien, hat ein gemeinsames Kinderzimmer auch Vorteile: Die Kinder lernen, miteinander auszukommen, Spielsachen zu teilen, Konflikte allein auszutragen, sich nach einem Streit wieder zu versöhnen, Rücksicht aufeinander zu nehmen. Sie hören einander zu, erzählen sich abends noch Geschichten und Geheimnisse, trösten einander.
Links & Empfehlungen
Es gibt jede Menge Onlineshops für die nachhaltige Ausstattung von Kinderzimmern, hier seien nur ein paar Links genannt.
Möbel
Spielzeug, Wohntextilien & Accessoires
Außerdem sind wir bei unseren Recherchen auf das Portal www.afilii.com der Journalistin und Mutter Katja Runge gestoßen. Dort finden Eltern tolle Möbel und Accessoires, die nicht nur funktional und schick, sondern auch nachhaltig sind. Ausgewählte Lieblingsstücke haben wir auf den vorangegangenen Seiten vorgestellt.
Ich sehe was, was du nicht siehst
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Ein Ratgeber rund ums Sehen und Kinderbrillen
Zu den Wortneuschöpfungen der Pandemie gehört auch der Begriff der „Quarantäne-Kurzsichtigkeit“. Erste Studien zeigen eine Zunahme der Kurzsichtigkeit bei Kindern und Jugendlichen bedingt durch die Pandemie. Über Wochen und Monate waren sie angehalten, das Haus oder die Wohnung nicht zu verlassen, bei Quarantäne war es ihnen sogar verboten. Was das mit unseren Kindern gemacht hat, ist Thema aktueller Untersuchungen. Dass es auch den Augen und der Sehkraft geschadet hat, darauf deuten erste Studien aus anderen Ländern hin. Das fehlende Draußenspiel, der Mangel an Tageslicht und das häufige Sitzen vor dem Bildschirm haben zu einer Zunahme an Kurzsichtigkeit geführt. Grund genug für uns, das Thema Augen und Sehen bei Kindern mal etwas genauer zu betrachten.
Entwicklung des kindlichen Sehvermögens
Schon im Mutterleib öffnet das Ungeborene das erste Mal die Augen, kann aber außer hell und dunkel nicht viel wahrnehmen. Auch direkt nach der Geburt kann das Neugeborene noch nicht viel mehr erkennen – die Sehfähigkeit mitsamt der organischen Voraussetzungen muss sich erst noch entwickeln. Die Augen des Neugeborenen sind noch unreif. Augenlinse, Netzhaut und Sehrinde im Gehirn müssen nachreifen. Daher sehen Babys in den ersten Lebenswochen nur sehr unscharf, können Farben nicht unterscheiden, sondern nur hell und dunkel. Zumindest aber reicht es, um Mamas und Papas Gesicht nach kurzer Zeit (wieder) zu erkennen. Neugeborene können Dinge am besten aus einer Entfernung von 20 bis 25 Zentimetern erkennen – meist nehmen Eltern beim Tragen oder Wickeln diesen Abstand intuitiv ein. Das Sehvermögen entwickelt sich in den ersten Lebensmonaten rasant weiter. Das Scharfsehen funktioniert mit der Zeit immer besser, zunächst auf kurzen Entfernungen, die Kinder beginnen Farben zu erkennen und zu unterscheiden, zunächst nur kräftige, kontrastreiche Farben. Daher sind Mobiles mit einfachen Formen in kräftigen Farben optimal, um das Sehen zu trainieren und dem Baby spannende Anreize zu geben. Die Fortschritte des Sehens im ersten Lebensjahr bemerken Eltern beispielsweise daran, wenn das Baby zum ersten Mal zurücklächelt oder bewusst nach Gegenständen zu greifen beginnt. In den ersten vier Wochen kommt es noch vor, dass Babys schielen. Das muss erst abgeklärt werden, wenn es über die sechste Lebenswoche hinaus auftritt. Etwa um den ersten Geburtstag verfügt ein Kleinkind über schätzungsweise 50 Prozent der Sehschärfe eines Erwachsenen, ungefähr im Vorschulalter können Kinder so scharf sehen wie Erwachsene ohne Sehschwäche. Das räumliche Sehen setzt im ersten Lebensjahr ein und wird in den folgenden Jahren gefestigt, bis es mit etwa neun Jahren ausgereift ist. Jetzt können Kinder realistisch einschätzen, ob zwei unterschiedlich große Autos gleich weit entfernt sind. Allerdings unterscheidet sich das Gesichtsfeld in diesem Alter noch von Erwachsenen, es ist seitlich noch eingeschränkt. Mit spätestens zwölf Jahren ist das Sehvermögen dann vollends ausgereift.
Kurzsichtigkeit: neue Volkskrankheit?
Einer der am weitesten verbreiteten Sehfehler ist Kurzsichtigkeit, auch Myopie genannt. Wer daran leidet, kann Dinge in direkter Nähe sehr gut sehen, hat mit zunehmender Entfernung aber Schwierigkeit, scharf zu sehen. Bei der Kurzsichtigkeit, die häufig während der Schulzeit beginnt, verlernt das Auge im Grunde das Sehen in der Ferne.
Diese Faktoren begünstigen Kurzsichtigkeit:
- Veranlagung
- Zu wenig Tageslicht
- Häufiges Sehen auf kurze Distanz
Es gab in den zurückliegenden Jahren wiederholt Warnungen, dass immer mehr Menschen kurzsichtig werden, die Zahl der Brillenträger nehme zu und selbst Kinder bräuchten immer häufiger eine Brille. Als eine Ursache gilt die zunehmende Verbreitung von Smartphone, Tablet und Co. in Kinderzimmern. Ist da etwas dran? Wir haben Statistiken gewälzt und sind dabei zu überraschenden Erkenntnissen gekommen.
Die Kurzsichtigkeit nimmt zu – aber nur in bestimmten Altersgruppen und Weltregionen. Vor allem in Industrienationen ist sie ein Problem, besonders stark betroffen sind einige asiatische Regionen, wo die Quote für Kurzsichtigkeit unter jüngeren Menschen teilweise um 90 Prozent liegt. Laut Gutenberg-Gesundheitsstudie der Universität Mainz leidet in Deutschland etwa jeder dritte junge Erwachsene unter Kurzsichtigkeit.
Kurzsichtigkeit bei Kindern wird auch Schulmyopie genannt, weil sie bedingt durch häufiges Nahsehen meist im Schulalter beginnt. Foto: pch.vektor/Freepik.
Kinder sehen ab der Schule schlechter. Es gibt wenig Erhebungen zu Sehfehlern bei Kindern. Die Gesundheitsstudie KiGGS hat zwei Mal die Kurzsichtigkeit bei Kindern zwischen 0 und 17 Jahren erfragt. Eine Auswertung der beiden Studien im Ärzteblatt kommt zu beruhigenden Ergebnissen: In den vergangenen Jahren hat sich die Sehfähigkeit von Kindern nicht verschlechtert. Die erste Erhebung (2003-2006) hat eine Kurzsichtigkeit bei 11,6 Prozent der Kinder festgestellt, die zweite Erhebung (2014-2017) bei 11,4 Prozent der Kinder. Je älter die Kinder, desto mehr waren kurzsichtig. Vor allem in der Schule nimmt ihr Anteil zu. Mädchen sind etwas häufiger von Kurzsichtigkeit betroffen.
Bildungsstarke Menschen sind häufiger kurzsichtig. Mehrere Studien haben einen direkten Zusammenhang zwischen Kurzsichtigkeit und Bildungsweg nachgewiesen. So ist die Zahl der kurzsichtigen Hochschulabsolventen in Deutschland deutlich höher (53 Prozent) als der Bevölkerungsdurchschnitt (35 Prozent). Der Grund: Menschen mit höherer Bildung lesen viel in Büchern und an Bildschirmen und verbringen mehr Zeit drinnen – in der Schule, später in der Universität und der Bibliothek. Das erklärt auch die hohen Zahlen in bildungsstarken Regionen Asiens und bei Mädchen, die bekanntermaßen eher für Bücher zu begeistern sind als Jungs.
Smartphones machen keine schlechten Augen. Zumindest gibt es bisher kaum Studien, die einen solchen Einfluss belegen würden. Das gilt auch für andere Bildschirmmedien. In der Auswertung der KiGGS-Studien heißt es: „Ein Zusammenhang zwischen Myopie und der Nutzung anderer Medien, wie Fernsehen, Spielkonsole oder Computer, besteht den Daten zufolge nicht.“
Raus in die Natur!
Diese Ergebnisse sollen aber keineswegs in einem Plädoyer gegen das Lesen münden. Denn das Bücherlesen ist nur einer von mehreren Faktoren, die Einfluss darauf haben, ob jemand eine Kurzsichtigkeit entwickelt. Ein weiterer Faktor ist die genetische Vorbelastung, also die Frage ob schon die Eltern eine Brille tragen. Sind beide Elternteile kurzsichtig, wird das Kind mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 Prozent ebenfalls kurzsichtig, bei einem Elternteil mit Brille liegt die Wahrscheinlichkeit bei 30 Prozent – im Vergleich zu zehn Prozent ohne genetische Vorbelastung.
Ein zweiter großer Einflussfaktor ist das Tageslicht. Kurzsichtigkeit entsteht, wenn der Augapfel zu stark wächst und zu lang wird. Je früher dieser Prozess einsetzt, desto stärker ausgeprägt ist die Kurzsichtigkeit im Erwachsenenalter, da der Augapfel etwa bis zum 30. Lebensjahr wächst. Tageslicht hemmt das Wachstum. Daher empfehlen Experten, dass Kinder möglichst viel Zeit im Freien verbringen, idealerweise mindestens zwei Stunden täglich. Draußen trainieren Kinder automatisch das Sehen auf weite Entfernungen, wenn sie beispielsweise einen Vogel am Himmel entdecken oder ein Haus am Horizont. Wer viel Zeit draußen verbringt, der kann damit auch häufiges Lesen ausgleichen. Kinder, die viel lesen, aber zugleich viel draußen sind, haben kein höheres Risiko für Kurzsichtigkeit als gleichaltrige Lesemuffel. Am besten wird die Lesezeit auf den Balkon oder in den Garten verlegt.
Im Umkehrschluss heißt das für Tablet und Co.: Nicht die Nutzung von Bildschirmmedien verschlechtert die Sehfähigkeit. Aber Kinder, die viel auf dem Sofa vor dem Fernseher sitzen oder ständig im Kinderzimmer daddeln, sind weniger draußen. Damit fehlt den Augen Tageslicht. Insofern kann die übermäßige Nutzung digitaler Medien zumindest einen indirekten Einfluss auf die Augen haben.
Ab nach draußen: Bei Aktivitäten wie Drachensteigen bewegen sich Kinder und tun nebenher ihren Augen Gutes.
Gesunder Lebensstil, gesunde Augen
Wer viel Zeit draußen verbringt, bewegt sich auch mehr. An der frischen Luft rennen, springen, klettern Kinder. Das tut nicht nur den Augen gut. Ohnehin fördert ein gesunder Lebensstil die Sehkraft. Wer sich viel bewegt, fördert die Durchblutung – das kommt auch den Augen zu gute. Eine abwechslungsreiche Ernährung ist ebenfalls hilfreich für eine gute Sehkraft. Vor fünf Jahren machte ein Fall aus Kanada Schlagzeilen. Ein 11-jähriger Junge war nach einer strengen Diät aufgrund von Allergien fast erblindet. Gemüse fehlte fast komplett auf seinem Speiseplan – und damit auch fast alle für die Sehkraft wichtigen Vitamine. Als besonders hilfreich für die Augen gelten Vitamin A, das der Körper aus Beta-Carotin gewinnt, das Nerven-Vitamin B, Vitamin C und E sowie der Pflanzenfarbstoff Lutein. Diese Lebensmittel enthalten besonders viel dieser „Augen-Nährstoffe“:
Beta-Carotin: Möhren, Süßkartoffel, Paprika, Tomate, Mango
Vitamin B: Kerne, Samen, Fleisch, Milchprodukte, Bananen, Vollkornprodukte
Vitamin C und E: Beeren, Nüsse, Zitrusfrüchte
Lutein: Seefisch, Leinöl, Aprikosen, Pfirsiche, Nektarinen, Orangen, grünes Gemüse wie Brokkoli, Spinat, Avocado, Erbsen
Wer sich normal und ausgewogen ernährt und auf Abwechslung auf dem Teller achtet, der nimmt ausreichend dieser Nährstoffe zu sich. Eine explizit Augen-freundliche Ernährung oder gar die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln sind nicht notwendig. Normale Ernährung schützt also vor Mangelerscheinungen wie in dem Extrembeispiel aus Kanada. Aber sie kann Augenkrankheiten oder Sehschwächen wie Kurzsichtigkeit nicht verhindern.
Foto: serhii_bobyk/ Freepik
3-D-Filme und VR-Brillen für Kinder?
Schadet das räumliche Sehen beim 3-D-Kinobesuch oder beim Computerspielen mit Virtual Realtiy (VR)-Brille den Augen von Kindern? Noch vor zehn Jahren gab es dazu kritische Stimmen, die eindringlich warnten, 3-D-Filme könnten bei jüngeren Kindern die Ausbildung des dreidimensionalen Sehens verhindern oder bei vorbelasteten Kindern sogar epileptische Anfälle auslösen. Damals war die Technik noch recht jung, es gab kaum Studien. Heute urteilen die meisten Fachleute etwas entspannter. Jüngere Studien haben gezeigt, dass 3-D-Filme weder der Sehschärfe schaden, noch Kopfschmerzen oder Schwindel verursachen. Auch der Augenarzt Prof. Dr. Wolf Alexander Lagrèze vom Universitätsklinikum Freiburg gibt Entwarnung: „3-D-Filme können von Kindern bedenkenlos angeschaut werden.“ Eine Altersgrenze oder -empfehlung gibt es nicht. Hier können Eltern auf ihr Bauchgefühl hören und sich an der FSK-Angabe des Films oder der Altersfreigabe des Computerspiels orientieren. Stellt man im Kinosessel dann fest, dass das Kind doch nicht mit dem 3-D-Sehen klar kommt, sollte man den Kinobesuch abbrechen. Das kann auch einfach daran liegen, dass die Eindrücke beim 3-D-Film sehr viel realistischer und intensiver sind und jüngere oder sensible Kinder damit einfach noch überfordert sind. Generell gilt für Bildschirmmedien – unabhängig davon ob in 3-D oder mit VR-Brille: weniger ist mehr.
Sehschwächen bei Kindern: Erkennen und Behandeln
Anders als die Vorsorge beim Kinderarzt oder beim Zahnarzt wird eine Vorsorge-Untersuchung beim Augenarzt von den meisten Krankenkassen nicht übernommen. Die vom Berufsverband der Augenärzte schon länger geforderte augenärztlich-orthoptische Untersuchung von Kleinkindern gibt es bisher nicht. Dafür allerdings gehört ein Sehtest zu den Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt. Werden hier Auffälligkeiten festgestellt, gibt es die Überweisung zum Augenarzt. Eine im Frühjahr veröffentlichte Studie belegt den Nutzen der kinderärztlichen Sehtests. Für die Studie wurden die Daten von knapp 200.000 Kindern im Jahr der Einschulung ausgewertet. Jene Kinder, die an der
U 8 und U 9 inklusive Sehtest teilgenommen hatten, konnten schärfer sehen. Das lässt darauf schließen, dass bei ihnen eine Sehschwäche rechtzeitig erkannt und behandelt wurde. Denn – anders als bei Erwachsenen – lassen sich bestimmte Sehschwächen und Fehlsichtigkeiten im Kleinkindalter noch so behandeln, dass sie sich mit etwas Glück auswachsen. Wir stellen die häufigsten Sehfehler bei Kindern vor:
Kurzsichtigkeit/ Myopie ist bei Kindern die am häufigsten verbreitete Sehschwäche. Kurzsichtige können in der Ferne nicht scharf sehen. Organische Ursache ist entweder eine zu hohe Brechkraft der Linse oder ein zu langer Augapfel – das ist vor allem bei Frühgeborenen ein Risikofaktor. Kurzsichtigkeit wird oft vererbt. Meist beginnt sie in der Schulzeit, da häufiges Sehen auf Nahdistanz und wenig Tageslicht die Entwicklung begünstigen. Die klassische Therapie ist das Tragen einer Brille. Je höher die Kurzsichtigkeit ausgeprägt ist (dafür steht der Dioptrien-Wert), desto hilfreicher und wichtiger ist eine Sehhilfe.
Weitsichtigkeit/ Hyperopie kennen die meisten eher als typische Fehlsichtigkeit im Alter. Wer weitsichtig ist, hat Probleme, in der Nähe scharf zu sehen. Daher halten ältere Menschen Kleingedrucktes beim Lesen häufig mit ausgestrecktem Arm. Manchmal sind auch Kinder schon weitsichtig. Organische Ursache ist ein zu kurzer Augapfel oder eine zu geringe Brechkraft der Linse. Bei Kindern wird Weitsichtigkeit mit einer Brille therapiert, manchmal gibt sie sich im Laufe der Grundschulzeit, da der Augapfel bei Kindern noch wächst.
Hornhautverkrümmung/ Astigmatismus wird oft erst durch einen Sehtest entdeckt, vor allem wenn sie nur ein Auge betrifft. Durch eine ungleichmäßige Wölbung der Hornhaut sieht das betroffene Auge einen Punkt leicht verzerrt als Linie oder Ellipse. Auch hier hilft eine Brille. Solange nur ein Auge betroffen ist und das Kind keine Brille trägt, korrigiert das Gehirn das Bild über das andere Auge. Dadurch besteht die Gefahr, dass das andere Auge schwachsichtig wird.
Starkes Schielen lässt sich operativ therapieren – hier ein Vorher-Nachher-Eindruck. Foto: BVA Bildarchiv
Schielen/ Strabismus ist eine Gleichgewichtsstörung des Augenmuskels. Diese führt zu einer Fehlstellung der Augen. Starkes Schielen ist leicht erkennbar, schwieriger ist der sogenannte Mikrostrabismus zu erkennen, dafür braucht es eine professionelle Diagnostik beim Augenarzt. Bleibt Schielen unerkannt, besteht die Gefahr, dass ein Auge mit der Zeit schwachsichtig wird, weil das Gehirn ein Auge bevorzugt – damit verhindert es das Entstehen von Doppelbildern. Schätzungsweise drei Prozent der Kinder schielen. Von denen wiederum entwickelt mindestens jedes zweite eine einseitige Sehschwäche. Übrigens: In den ersten Lebenswochen ist das Schielen noch normal und nicht behandlungsdürftig. Wenn es sich im Alter von ein bis zwei Monaten noch nicht gelegt hat, sollte jedoch der Kinder- oder Augenarzt aufgesucht werden. Schielen sollte unbedingt behandelt werden, und zwar so früh wie möglich. Sonst kann nicht nur eine einseitige Sehschwäche entstehen, sondern auch das räumliche Sehen nicht richtig erlernt werden. Die Behandlung umfasst zwei bis drei Bausteine: Eine Brille korrigiert den Brechungsfehler, ein Augenpflaster klebt das vom Gehirn bevorzugte Auge ab, um die einseitige Sehschwäche zu korrigieren bzw. zu verhindern. Etwa jedes zweite schielende Kind wird operiert. Dabei wird die Stellung der Augenmuskeln chirurgisch korrigiert, das optimale Alter für eine solche OP geben Experten mit 5 bis 6 Jahren an.
Schwachsichtigkeit/ Amblyopie bildet sich dann aus, wenn einer der eben beschriebenen Sehfehler ein Auge betrifft und nicht rechtzeitig erkannt wird. Dann vernachlässigt das Gehirn das betroffene Auge. In der Folge wird das weniger genutzte Auge schwachsichtig. Amblyopie ist vor allem eine Folge von unbehandeltem Schielen und Hornhautverkrümmung. Wenn der Sehfehler bereits im Kleinkindalter erkannt und behandelt wird, besteht eine gute Chance, dass sich Schwachsichtigkeit gar nicht erst entwickelt oder wieder zurückgeht. Die Therapie erfolgt entweder über eine Brille oder ein Augenpflaster.
Augenlasern schon für Kinder?
Ständig Brille aufsetzen, beschlagene Gläser im Winter, beim Toben aufpassen, die Kontaktlinsen früh einsetzen und abends wieder rausnehmen? Für manche Kinder und Jugendliche ist das nervig. Andere wollen aus optischen Gründen keine Brille tragen. Erwachsene entscheiden sich daher manchmal dafür, ihren Sehfehler operativ durch das Lasern der Augenlinse behandeln zu lassen. Solange der Augapfel noch wächst, ist Lasern allerdings keine Option. Und keine gute Augenklinik würde sich bei Kindern und Jugendlichen darauf einlassen. Die einzige Ausnahme sind einige sehr seltene medizinisch bedingte Fälle. Ansonsten wird eine Laser-OP frühestens mit Ende 20 oder Anfang 30 durchgeführt. Dann ist der Augapfel ausgewachsen und die durch die OP gewonnene neue Sehschärfe hat lange Bestand.
In der Augenarzt-Praxis erfolgen verschiedene Untersuchungen, am Spaltlampenmikroskop werden die Augen auf Erkrankungen gescannt. Foto: senivpatro/ Freepik
Zusätzliche Vorsorge beim Augenarzt?
Sehfehler bei Kindern zu erkennen, ist für Eltern nicht immer einfach, da die Kinder sie oft gut ausgleichen können. Ist beispielsweise nur ein Auge betroffen, nutzt das Kind automatisch stärker das andere Auge, um scharf zu sehen. Anzeichen, die auf einen Sehfehler hindeuten können, sind: häufiges Blinzeln, Zukneifen oder Reiben der Augen, fehlende Motivation für Dinge, bei denen man in der Nähe scharf sehen muss wie Malen, Lesen oder Ausschneiden sowie Kopfschmerzen. Auch wenn Kinder immer wieder ungeschickt sind, kann das ein Zeichen für Fehlsichtigkeit sein. Ein weiteres Zeichen für eine Sehschwäche ist es, wenn ein Kind Spielzeug immer wieder nah an die Augen hält, um es zu begutachten.
Gleichzeitig ist es sehr wichtig, dass Sehfehler frühzeitig erkannt und behandelt werden. Unbehandelte Sehschwächen können das Kind langfristig beim Spielen und bei der Teilnahme am Straßenverkehr einschränken. Selbst bei der Berufswahl im Erwachsenenalter sind Einschränkungen möglich. So müssen Piloten nachweislich mit beiden Augen gut sehen können.
Augenärzte empfehlen daher schon lange, eine augenärztliche Vorsorge-Untersuchung für Kleinkinder zwischen 31 und 42 Monaten. Bisher ist das jedoch keine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen. Einige Kinderärzte bieten ein zusätzliches Sehscreening an, dass gezielt nach Risikofaktoren für Amblyopie sucht. Solange es aber keine familiäre Vorbelastung gibt oder die regulären Sehtests beim Kinderarzt unauffällig sind, ist das eine IGeL-Leistung, die Eltern selbst zahlen müssen. Die Kosten liegen zwischen 20 und 30 Euro. Eltern, die auf Nummer sicher gehen und eine unentdeckte Sehschwäche ausschließen wollen, sollten eine solche Untersuchung machen lassen – am besten beim Augenarzt.
So läuft der Besuch beim Augenarzt
Wer mit seinem Kind zum Augenarzt möchte, um die Augen untersuchen zu lassen, braucht entweder eine Überweisung vom Kinderarzt oder zahlt die Untersuchung als Privatleistung. Idealerweise arbeiten in der Praxis ausgebildete Kinderoptometristen, das können Sie bei der Anmeldung erfragen. In der Zusatzqualifizierung zum Kinderoptometristen wird das Erkennen von frühkindlichen Entwicklungsstörungen und Auffälligkeiten beim Sehen besonders geschult, ebenso die fachgerechte Anpassung von Sehhilfen für Kinder.
Beim Augenarzt wird zunächst die Sehschärfe getestet: klassisch mit einer Motivtafel, auf der kleinere Kinder Bilder erkennen und benennen sollen, ältere Kinder Zahlen oder Buchstaben. Zuerst erfolgt der Test mit beiden Augen, dann wird jeweils ein Auge abgeklebt. Zudem werden das räumliche Sehen und das Farbsehen überprüft. Mit Hilfe von Lampe und Lupe wird das Auge auf organische Störungen untersucht. Manchmal ist die Gabe von pupillenerweiternden Augentropfen nötig. Einige Kinder empfinden sie als unangenehm, weil sie leicht brennen. Danach können die Kinder für einige Zeit in der Nähe nicht mehr scharf sehen, also beispielsweise nicht lesen oder keine Hausaufgaben machen. Das sollte bei der Terminvereinbarung mit dem Augenarzt eingeplant werden.
Die passende Kinderbrille finden
Wenn der Augenarzt zweifelsfrei eine Fehlsichtigkeit festgestellt hat, wird diese in der Regel mit einer Brille korrigiert. Dazu stellt der Augenarzt eine Brillenverordnung aus, mit der man dann zum Optiker gehen und die passende Brille auswählen kann. Der Besuch beim Optiker reicht nicht aus. Der kann zwar ebenfalls die Augen vermessen und eine entsprechende Brille anfertigen, dann aber trägt der Kunde die Kosten allein.
Apollo-Optik bietet zur Fachberatung vom Optiker eine breite Auswahl an Sehhilfen. Das Unternehmen baut mit deutschlandweit rund 900 Filialen auf eine große Kompetenz und unterhält auch im Gebiet der lausebande mehrere Filialen, u.a. in Cottbus, Guben, Lübben, Lübbenau, Spremberg, Senftenberg und Hoyerswerda. Im Bild zu sehen ist die freundliche Filiale im Cottbuser Lausitz Park – hier in einer Beratungssituation mit Filialleiter Jan Petrikowski-Werhun (rechts).
Die Kosten für eine Kinder-Brille übernimmt in der Regel die Krankenkasse. Das gilt allerdings nur für die Gläser, das Gestell muss aus der eigenen Tasche bezahlt werden. Anders als bei Erwachsenen, werden die Kosten für Brillen von Kindern komplett getragen – unabhängig vom Dioptrien-Wert. Das gilt allerdings nur für medizinisch notwendige und wirtschaftliche Gläser. Extra-Wünsche wie eine Entspiegelung trägt die Kasse nicht. Bei Erwachsenen werden nur Brillengläser aus Glas bezahlt, bei Kindern auch Kunststoffgläser. Ab 14 Jahren allerdings nur noch, wenn das Kind die Brille für den Sport braucht. Eine Brillen-Versicherung, wie sie Optiker gern empfehlen, lohnt nicht. Wenn die Brille beim Toben oder nach einem Sturz doch mal kaputt geht, trägt die Kasse die Kosten für eine neue Brille. Dafür braucht man dann aber wieder ein Rezept. Eine neue Brille zahlt die Kasse ebenfalls, wenn das Kind aus der bisherigen rausgewachsen ist oder wenn sich die Sehschärfe um mindestens 0,5 Dioptrien verbessert oder verschlechtert hat.
Bei der Wahl der Brille sollten Kinder und Eltern sowohl auf Funktionalität als auch Optik achten. Foto: Freepik
Die Auswahl des Brillengestells sollten Eltern und Kind gemeinsam treffen. Wichtigstes Kriterium aus Kindersicht: Die Brille muss optisch gefallen, das Kind muss sich mit ihr wohlfühlen, sonst wird es sie nicht oder nur ungern tragen. Gleichwohl sollten die Eltern auf weitere Aspekte achten, die vor allem den Tragekomfort betreffen. Das Material sollte leicht sein und die Fassung nicht zu groß, damit die Brille mit ihrem Gewicht nicht auf die Nase drückt. Aus dem gleichen Grund sollte die Nasenauflage aus sehr weichem Material bestehen. Die Bügel sind am besten elastisch und biegsam, um ein Abbrechen zu verhindern. Sinnvoll für jüngere Kinder sind Bügel mit Federscharnieren, die auch dann nicht abbrechen, wenn sie nach hinten gebogen werden. Für Babys gibt es spezielle Bügel, die das Ohr umschließen oder aber Bänder, welche über den Kopf gezogen werden. So rutscht die Brille nicht so leicht von der Nase. Bei der Auswahl und dem Anpassen einer Kinderbrille verlassen sich Eltern am besten auf die Expertise eines Optikers.
Die Pflege der Brille ist wenig aufwendig. In der Regel reicht es, sie regelmäßig mit warmem Wasser und eventuell etwas Seifenschaum oder Spülmittel abzuwaschen und zu reinigen. Je kleiner die Kinder sind, desto öfter wird es nötig sein. Danach wird die Brille mit einem Baumwolltuch getrocknet.
Oft tragen Kinder trotz eines sogar deutlichen Sehfehlers im Schulsport gar keine Brille. Daher raten Augenärzte Brillenträgern zu speziellen Kindersportbrillen mit nicht splitterndem Kunststoff, die für Durchblick sorgen und vor Verletzungen schützen. Foto: BVA Bildarchiv
Kontaktlinsen als Alternative
Viele Erwachsene verzichten auf ihre Brille und tragen stattdessen Kontaktlinsen. Das kann auch für den Nachwuchs eine Option sein. Eine Altersgrenze für das Tragen von Kontaktlinsen bei Kindern gibt es nicht. Theoretisch können schon Babys und Kleinkinder Linsen tragen. Das passiert in der Praxis aber nur in Fällen bestimmter Augenerkrankungen. Um klassische Sehschwächen mit Kontaktlinsen auszugleichen, sollten Kinder in der Lage sein, die Linsen selbst zu wechseln und zu reinigen. Hier zählt keine starre Altersgrenze, sondern mehr die persönliche Reife des Kindes: Manche Kinder sind schon mit sieben Jahren verantwortungsbewusst und geschickt genug, sich um ihre Kontaktlinsen selbst zu kümmern, anderen kann man das selbst mit zwölf Jahren noch nicht zutrauen. Eltern können ihr Kind am besten einschätzen: Ist es im Alltag selbständig, kümmert es sich um die ihm übertragenen Aufgaben? Dann kann man durchaus einen Versuch starten. Vorher sollte man gemeinsam besprechen, was für eine Brille spricht und was für Kontaktlinsen. Wir geben in der Tabelle (siehe unten) einen Überblick über die wichtigsten Aspekte.
Spezielle Kontaktlinsen für Kinder braucht es übrigens nicht. Wer unsicher ist, ob Kontaktlinsen wirklich das richtige sind, sollte mit Probelinsen oder Tageslinsen starten. Wenn die Kids nach wenigen Tagen merken, dass sie mit der Brille doch besser klarkommen, hält sich der finanzielle Mehraufwand in Grenzen. Langfristig sind Monatslinsen günstiger, allerdings haben Tageslinsen den Vorteil, dass sie abends einfach entsorgt werden können und nicht gereinigt werden müssen. Das kann bei jüngeren Kindern daher anfangs eine Alternative sein.
Eine weitere Option, die in Deutschland bisher kaum bekannt ist, aber beispielsweise in Asien sehr verbreitet, sind Nachtlinsen. Sie werden auch Ortho-K-Linsen genannt. Sie müssen nur nachts getragen werden. In dieser Zeit formen sie die Hornhaut so, dass man tagsüber scharf sehen kann – ohne Brille und ohne Linsen. Der Zustand hält etwa 8 bis 16 Stunden an, dann nimmt die Hornhaut wieder ihre ursprüngliche Form an. Die Nachtlinsen sind eine Option für Kinder mit Kurzsichtigkeit bis zu einem Wert von maximal -4,5 Dioptrien und mit Hornhautverkrümmung bis zu einem Wert von bis zu cyl 2 Dioptrien. Sie eignen sich vor allem dann, wenn die Kinder viel Sport treiben, insbesondere Schwimmen, da hier sowohl eine Brille als auch Tageslinsen keine Option sind. Mit Kosten von 800 bis 1.000 Euro jährlich sind Nachtlinsen recht preisintensiv.
Ganz gleich, für welche Art von Kontaktlinsen man sich entscheidet: Wie bei der Brille sollten sich Familien beim Optiker vor Ort beraten lassen. Er passt die Linsen optimal ans Auge und die Sehschwäche an und kann Sitz und Verträglichkeit regelmäßig kontrollieren.
Augenkrankheiten im Überblick
Neben den vorgestellten Sehfehlern können Kinder typische Augenkrankheiten bekommen – die sind zwar unter Umständen lästig, aber in der Regel gut zu therapieren. Wir stellen die häufigsten Erkrankungen am Auge vor.
Bindehautentzündung kommt bei kleineren Kindern sehr häufig vor – zum Leidwesen der Eltern. Ursache sind in der Regel entweder Viren oder Bakterien. Da eine solche Entzündung der Bindehaut sehr ansteckend ist, dürfen die Kinder so lange nicht in die Kita, bis sie wieder symptomfrei sind. Zu den Symptomen gehören gerötete, tränende und geschwollene Augen oft in Verbindung mit eitrigem Sekret. Da die Augen meist jucken oder brennen, wischen sich die Kinder mit den Händen darüber. Daher ist es wichtig, dass die Kinder zu Hause bleiben und dort auf Hygiene achten. Das heißt, extra Waschlappen und Handtuch für das erkrankte Kind und regelmäßig Hände waschen. Das betroffene Auge wird regelmäßig mit einem Lappen mit warmem Wasser gereinigt. Ist die Entzündung bakteriell verursacht, was sich durch einen Abstrich klären lässt, verschreibt der Kinderarzt antibiotische Augentropfen. Bei durch Viren ausgelöste Entzündungen müssen Eltern Geduld und Hygiene aufbringen. Die verschwinden nach einigen Tagen von allein wieder. Von in Internetforen empfohlenen Hausmitteln wie Muttermilch oder Kamillentee raten Ärzte ab.
Gerstenkörner sind ebenfalls lästig, aber kommen bei Kindern nicht so häufig vor. Dabei entzündet sich – meist ausgelöst durch Bakterien – eine Talg- oder Fettdrüse am Augenlid, dort sammelt sich Sekret. Meistens reicht es, ein paar Tage abzuwarten, bis das Gerstenkorn von allein aufplatzt und das Sekret abfließen kann. Wärme durch Rotlicht oder einen warmen Waschlappen kann den Prozess beschleunigen. Auf keinen Fall sollten Eltern versuchen, das Korn selbst auszudrücken. Bei starken Schmerzen oder Rötung sollte der Kinderarzt aufgesucht werden.
Ein verstopfter Tränenkanal kommt im Säuglingsalter häufiger vor. Das liegt daran, dass bei Babys nach der Geburt der Tränennasengang manchmal noch nicht vollständig geöffnet ist. So kann die Tränenflüssigkeit nicht in Richtung Nase abfließen, sie sammelt sich stattdessen im Auge. Die Folge: das Auge tränt. Hier hilft warmes Wasser zur Reinigung und Geduld. Spätestens mit fünf Monaten ist der Tränenkanal vollständig ausgebildet.
Allergien und Heuschnupfen können für die Betroffenen eine echte Qual sein. Schätzungsweise jedes dritte von einer Allergie betroffene Kind hat mit roten, tränenden Augen zu kämpfen. Auch wenn die Augen jucken oder brennen, sollten die Kinder versuchen, sie nicht zu reiben. Hier helfen nur Maßnahmen, welche die Allergene und damit die allergische Reaktion mindern. So sollten von Heuschnupfen betroffene Kinder zur Pollenflugzeit nicht mit offenem Fenster schlafen oder ein Pollenschutzgitter anbringen und vor dem Zu-Bett-Gehen die Haare waschen.
Fremdkörper und Chemikalien im Auge sollten schnellstmöglich entfernt werden. Chemikalien wie Reinigungsmittel werden mit klarem Wasser ausgespült. Gefährliche Fremdkörper wie Glas-, Holz- oder Metallsplitter sollte immer ein Arzt entfernen. Er kann gleich überprüfen, ob das Auge verletzt wurde. Wichtig, aber für die Kleinen nicht ganz einfach: das Auge nicht reiben. Am besten das Auge mit einem sauberen Tuch abdecken, bis man beim Arzt ist. Bei kleinen, harmlosen Fremdkörpern wie einer Wimper oder einem Sandkorn kann man dagegen abwarten. Meist hilft sich das Auge selbst durch verstärkte Tränenproduktion oder vermehrtes Blinzeln. Reicht das nicht aus, können Eltern mit einem sauberen Tuch versuchen, den Fremdkörper aus dem Auge zu wischen.
Wichtiger als eine Sonnenbrille ist im Sommer ein Sonnenhut zum Schutz der Kopfhaut, da kleine Kinder nur selten dichtes Haar haben.
Kinderaugen im Sommer schützen
Brauchen die Augen im Sommer einen Sonnenschutz? Nein, denn das Auge besitzt einen natürlichen UV-Schutz. Sowohl die Linse als auch die Hornhaut filtern die UV-A, UV-B und UV-C-Strahlung zu einem großen Teil. Den häufig zu lesenden Ratschlag, dass man im Sommer unbedingt eine Sonnenbrille tragen müsse, können Eltern daher beruhigt ignorieren. Wenn die Kinder von der Sonne geblendet sind und ständig die Augen zusammenkneifen, kann eine Sonnenbrille eine sinnvolle Ergänzung sein. Alternativ kann ein Sonnenhut oder Basecap schützen. Ohnehin kommt die intensive Sonnenstrahlung im Sommer von oben und fällt damit nicht direkt aufs Auge. Tatsächlich wichtig ist ein Sonnenschutz für die Augen aber beim Skiurlaub. Der Schnee reflektiert die Sonne, so dass deutlich mehr UV-Strahlung aufs Auge trifft. Ob die Sonnenbrillengläser wirklich einen UV-Schutz brauchen, ist unter Experten umstritten. Schaden kann er nicht und die im deutschen Einzelhandel verkauften Sonnenbrillen sind in der Regel ohnehin mit UV-400-Schutz versehen.
Ganz gleich, ob in den Bergen oder im heimischen Garten: Kinder (und Erwachsene) sollten nie länger direkt in die Sonne blicken, das kann nämlich zu einer Verletzung bzw. zu einem Sonnenbrand der Augen führen. Bei Babys unter einem Jahr ist die Netzhaut noch nicht vollständig ausgebildet, daher sollten sie überhaupt nicht der direkten Sonne ausgesetzt werden – auch um ihre empfindliche Haut zu schützen.
Da Sommer immer auch Badezeit ist, kommen Kinderaugen häufig mit Chlor- oder Salzwasser in Kontakt. Das ist per se weder gefährlich noch schädlich für den Nachwuchs. Aber einige Kinder reagieren empfindlich darauf, die Augen werden rot, tränen oder brennen. Dann kann eine Schwimmbrille helfen. Diese muss so an die Größe des Kindes angepasst sein, dass sie kein Wasser hereinlässt.
Weitere Informationen
Das Portal der Wissenschaftlichen Vereinigung für Augenoptik und Optometrie vereint jede Menge Informationen zum kindlichen Sehen und zu möglichen Therapien bei Sehfehlern.
Die Homepage des Berufsverbandes der Augenärzte hat im Menüpunkt „Gesunde Augen“ einen extra Unterpunkt für Themen rund um junge Augen:
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Was gute Kinderbetreuung ausmacht – mit Checkliste
Seit mehr als einem Jahr bleibt unseren Kindern vieles verwehrt. Dazu gehörte oft auch der Besuch der Kita, sie durften in den zurückliegenden Monaten nur von einem Teil der Kinder regelmäßig besucht werden. Eltern in systemrelevanten Berufen konnten ihre Kinder weiter schicken, die anderen hatten das Nachsehen. Diese unfreiwillige Verkleinerung der Gruppen hatte zumindest ein Gutes: Viele Erzieher konnten erstmals mit einem Betreuungsschlüssel arbeiten, der von Fachleuten empfohlen wird, aber in mehr als 90 Prozent der Kitas deutlich überschritten wird. Da viele Kinder zu Hause bleiben mussten, konnte sich eine Krippenerzieherin tatsächlich um drei Kinder kümmern statt wie üblich um sechs. Die Vorschulgruppe zählte nur noch acht statt 14 Kinder. Für die wenigen Kinder in der Einrichtung war das ein Segen.
Damit hat die Pandemie zugleich die größte Schwäche der deutschen Kita-Landschaft aufgezeigt. Während die quantitative Versorgung sehr gut ist – gerade in den neuen Bundesländern und in ländlichen Gebieten wie der Lausitz – ist bei der Qualität viel Luft nach oben. Anlass genug für uns, die Kinderbetreuung in der Lausitz und in Deutschland mal etwas genauer zu betrachten.
Aktuell sind die meisten Kitas in der Lausitz gut ausgelastet, wie eine Umfrage der „lausebande“ in den Kommunen zeigt. Viele Kindergärten melden für das Schuljahr 2019/2020 eine Belegung von fast 100 Prozent. Während in den Krippen oft noch freie Plätze zu haben sind, liegt die Auslastung im Kindergarten in einigen Einrichtung sogar über 100 Prozent. Hier wurden aufgrund der hohen Nachfrage kurzfristig zusätzliche Kapazitäten geschaffen.
So kommt es in einigen Orten tatsächlich zu Wartelisten. Dort wo der Bedarf schon jetzt besonders hoch ist oder in den nächsten Jahren weiter steigen könnte, reagieren die Kommunen. Vielerorts werden neue Kitas gebaut oder bestehende erweitert. So entstehen bis zum kommenden Jahr mehr als 1.000 zusätzliche Kita-Plätze in der Lausitz, davon allein knapp 500 in Cottbus. Wir geben einen Überblick über die jüngsten Bauvorhaben:
Neue Kitaplätze in den Jahren 2018 bis 2021 (Auswahl):
- Cottbus: Neubau der Kita „Campus“ (110 Plätze)
- Cottbus: Neubau der Kita „Carl & Carla“ am Carl-Thiem-Klinikum Cottbus (168 Plätze)
- Cottbus: Erweiterung der Kita „Humi Kids“ (216 statt 170 Plätze)
- Cottbus-Sandow: Sanierung der Wehrpromenade 2 und damit 80 neue Plätze in der Kita „Spreepiraten“ (siehe Seite 74/75)
- Burg: Erweiterung der Kita Spreewald-Lutki (165 statt 145 Plätze)
- Lübbenau: Neubau der Kita Storchennest (65 statt 50 Plätze)
- Lübbenau: Erweiterung der Kita „Sagenhaft“ (15 Plätze mehr)
- Weißwasser: Neubau der Kita „Regenbogen“ (144 Plätze)
- Wittichenau: Neubau der Kita „St. Marien“ (215 statt 140 Plätze)
- Calau: Neubau der Kita „Calauer Spielträume“ (43 Plätze)
Zukünftige Kitaplätze bis 2022 (Auswahl):
- Cottbus-Ströbitz: Schaffung von 90 neuen Plätzen in der Rostocker Straße 3
- Cottbus-Mitte: Schaffung von 100 Plätzen
- Kolkwitz: Schaffung von 80 Plätzen in der „Naturkita Kinderwelten“
- Rohne (Gemeinde Schleife): Schaffung von 60 Plätzen
- Grano (Gemeinde Schenkendöbern): Neues Kinderhaus mit 200 Plätzen (u.a. Kita und Vorschule)
- Groß Gastrose: Schaffung von 60 Plätzen Lübben: Schaffung von 110 Plätzen
- Mühlrose: Schaffung von 60 Plätzen
- Großräschen: Schaffung von 140 Plätzen
- Schwarzkollm: Neubau der Kita (46 statt 43 Plätze)
- Senftenberg: Erweiterung der Kita Naseweis (18 neue Plätze)
- Senftenberg: Erweiterung der Kita Seesternchen (57 neue Plätze)
Mit kleinen Experimenten lassen sich schon Kitakinder für Naturwissenschaft begeistern. Foto: Designed by rawpixel.com/ Freepik
Frühkindliche Bildung
Kitas werden offiziell als Kinderbetreuungseinrichtungen bezeichnet. Das reduziert ihre Aufgabe auf die Betreuung der Kinder. Dabei haben sie noch eine zweite, mindestens ebenso wichtige Aufgabe: Bildung. Neben der Familie sind Krippe, Kita und Tagesmutter der wichtigste Ort für frühkindliche Bildung. Hier lernen Kinder soziales Verhalten, erlernen Grundfertigkeiten in der mathematischen, sprachlichen und naturwissenschaftlichen Bildung, sie können sich motorisch und künstlerisch weiterentwickeln. Bildung ist im föderalen Deutschland Ländersache. Jedes Bundesland hat einen eigenen Bildungsplan, in dem die wichtigsten Ziele frühkindlicher Bildung in Kitas festgeschrieben sind.
Der Sächsische Bildungsplan legt sechs Bildungsbereiche fest, in denen die Pädagogen die Kinder begleiten und fördern sollen: Entdecken, Ordnen, Wahrnehmen, Wohlfühlen, Dialog und Beteiligung. In Brandenburg gibt es ebenfalls sechs Bildungsbereiche: 1) Körper, Bewegung und Gesundheit 2) Sprache, Kommunikation und Schriftkultur, 3) Musik, 4) Darstellen und Gestalten, 5) Mathematik und Naturwissenschaft, 6) Soziales Leben. Weiter heißt es, die Kitas haben die Aufgabe die kindliche Neugier zu unterstützen, Themen der Kinder aufzugreifen und zu erweitern und sie auf den Übergang in die Schule vorzubereiten.
Wie es um die Qualität frühkindlicher Bildung in Deutschland bestellt ist, wird seit 2006 jährlich durch die Bertelsmann-Stiftung untersucht und im Ländermonitor veröffentlicht. Gute Kitas zeichnen sich demnach durch positive pädagogische Interaktionen und bildungsanregende Aktivitäten aus. Dafür und für eine sprachlich-kognitive Entwicklung sowie das emotionale Wohlbefinden des Kindes braucht es ausreichend Personal. Und da kommt auch der jüngste Ländermonitor erneut zu einem wenig erfreulichen Urteil: „Ungeachtet aller Kraftanstrengungen, die die Länder, Kommunen, Träger und zunehmend auch der Bund in den vergangenen Jahren unternommen haben, … ist die Personalausstattung in deutschen KiTas nach wie vor nicht kindgerecht und führt zu belastenden Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten.“
Personalschlüssel in Kitas (Quelle: Bertelsmann-Stiftung, Ländermonitor 2019)
Der Betreuungsschlüssel: Schlusslicht Ostdeutschland
Der große Pferdefuß ist das fehlende Personal. Eine der wichtigsten Kennzahlen, wenn es um die Qualität von Kitas geht, ist der Personal- bzw. Betreuungsschlüssel. Er besagt, um wie viele Kinder sich eine Erzieherin kümmern muss. Die Bertelsmann-Stiftung erhebt diese Zahlen regelmäßig und sie gibt auch klare Empfehlungen für den idealen Personalschlüssel. Demnach sollte eine Erzieherin höchstens drei Krippenkinder betreuen. Im Kindergartenalter zwischen 3 und 6 Jahren werden zwei Erzieher für höchstens 15 Kinder empfohlen. Bei der letzten Erhebung der Bertelsmann-Stiftung wurde dieser Schlüssel deutschlandweit für 76 Prozent der Kinder nicht erreicht, in Ostdeutschland sogar für 93 Prozent. Bremen und Baden-Württemberg weisen einen besonders kindgerechten Personalschlüssel auf, während Sachsen neben Mecklenburg-Vorpommern Schlusslicht ist.
Allerdings ist der Personalschlüssel eine rechnerische Größe, von der noch Vorbereitungszeiten, Teamsitzungen, Elterngespräche, Urlaub und Fortbildungszeiten abgezogen werden müssen. Er gibt nicht an, wie viele Kinder zu jedem Zeitpunkt am Tag von einer Fachkraft betreut werden. Dies wiederum wird mit Hilfe der sogenannten Fachkraft-Kind-Relation dargestellt, die sich tatsächlich nur auf die direkte pädagogische Arbeitszeit in den Gruppen bezieht. Und hier liegen die Werte nach Abzug der eben genannten Zeiten noch schlechter. Praktisch heißt das beispielsweise für Brandenburg: Laut Personalschlüssel stehen theoretisch für elf Krippenkinder zwei Erzieher bereit, praktisch müssen sich zwei Erzieher aber um 16 Kinder kümmern.
Eine gute Fachkraft bietet den Kindern im Kitalltag viele unterschiedliche Anregungen, sowohl draußen in der Natur als auch drinnen beim Kreativsein. Foto: Designed by Freepik
Fachkraft oder Hilfskraft?
Mindestens ebenso wichtig wie die Zahl der Erzieher ist deren Qualifikation. Sie hat maßgeblichen Einfluss darauf, wie gut Kita sein kann. In Deutschland führt üblicherweise eine dreijährige Berufsausbildung zur staatlich anerkannten ErzieherIn. Die Ausbildung gilt unter Experten als sehr gut. Von den derzeit gut 23.000 Beschäftigten in Brandenburg sind knapp 19.600 ausgebildete Erzieher, 700 haben studiert. Klassische Studiengänge, die auf die Arbeit im Kindergarten vorbereiten sind der Sozial-, Heil- oder Kindheitspädagoge oder der Erziehungswissenschaftler.
Auch bundesweit ist das Ausbildungsniveau der Erzieher hoch. 83 Prozent des pädagogischen Personals besitzen einen einschlägigen Abschluss, 5,4 Prozent haben ein Studium abgeschlossen. In Ostdeutschland ist das Ausbildungsniveau noch etwas höher als in Westdeutschland. Quereinsteiger spielen im Kitabereich bisher nur eine geringe Rolle. Das könnte sich mit dem zunehmenden Personalmangel ändern. Welchen Einfluss das wiederum auf die Qualität der frühkindlichen Bildung hat, muss sich erst noch zeigen.
Der Anteil an Akademikern in Kindergärten ist mit 5 bis 10 Prozent sehr niedrig – sowohl im Vergleich zu anderen Bereichen der Kinder- und Jugendarbeit wie Schulen (100 Prozent), Kinder- und Jugendhilfe (20-30 Prozent) und der Erziehungsberatung (60 bis 70 Prozent), als auch im internationalen Vergleich. In vielen Ländern liegt der Anteil der studierten Fachkräfte im hohen zweistelligen Bereich. Diese Länder haben erkannt, dass die Arbeit mit Kleinkindern ebenso anspruchsvoll und wichtig ist wie die mit Kindern im Schulalter. Entsprechend viel Wert wird auf die Qualifizierung der Pädagogen gelegt. „Das heißt, in dieser Hinsicht sind die Kitas in Deutschland nach wie vor abgehängt. Der Satz, „Man braucht kein Universitätsdiplom, um Kinder wickeln zu können“, ist fatal und in keiner Weise zielführend“, kommentiert Prof. Dr. Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts. Er verweist darauf, dass die Arbeit mit kleinen Kindern, die ihre Bedürfnisse noch nicht klar artikulieren können, ausgesprochen anspruchsvoll ist: „Ich habe noch kein überzeugendes Argument gehört, warum Erzieherinnen und Erzieher geringer qualifiziert sein sollten als Grundschullehrkräfte. In beiden Altersgruppen sind die Themen komplex: Inklusion, Spracherwerb, Motorik, musische Erziehung, Gruppenprozesse, naturwissenschaftliche Phänomene, Digitalisierung, soziale und emotionale Entwicklung, Kooperation mit Eltern und, und, und.“
Pro-Kopf-Ausgaben für Kindertagesbetreuung 2019, Quelle: Martin R. Textor/ kindergartenpaedagogik.de
Gute-KiTa-Gesetz: Milliarden für die Kleinsten
Um die Qualität der Kinderbetreuung weiter zu verbessern, hat die damalige Bundesfamilienministerin Franziska Giffey vor gut zwei Jahren das Gute-KiTa-Gesetz auf den Weg gebracht. Der Bund stellt den Ländern bis zum Jahr 2022 etwa 5,5 Milliarden für die Verbesserung der Qualität und Gebührenreduzierungen bereit. Sachsen erhält 269 Millionen Euro, Brandenburg 165 Millionen Euro. Wofür die Länder das Geld konkret einsetzen, können sie selbst entscheiden. Möglich sind Maßnahmen in zehn Handlungsfeldern, beispielsweise zur Schaffung eines bedarfsgerechten Angebotes, eines besseren Fachkraft-Kind-Schlüssels, zur Qualifizierung von Fachkräften oder zur Stärkung der Kitaleitungen.
Brandenburg setzt mit den Mitteln vier Maßnahmen um:
- Zusätzliches Personal für lange Betreuungszeiten: Bei Betreuungszeiten von mehr als acht Stunden soll der Fachkraft-Kind-Schlüssel verbessert werden. Dafür wird eine zusätzliche Erzieherinnen- und Erzieher-Stunde pro Tag für eine Gruppe von sechs Kindern, die durchschnittlich mehr als acht Stunden täglich betreut werden, finanziert.
- Mehr Zeit für Azubis: Für die Anleitung von Auszubildenden, Studierenden und Quereinsteigern bekommen die Erzieherinnen mehr Zeit. Mit den Mitteln aus dem Gute-KiTa-Gesetz können drei Anleitungsstunden pro Woche pro Erzieherin bzw. Erzieher für Kindertageseinrichtungen im vorschulischen Bereich gefördert werden.
- Stärkere Elternbeteiligung: Elternvertretungen erhalten mehr Unterstützung. Es wird eine Kontakt- und Beratungsstelle Kita eingerichtet und die fachliche Begleitung der Elternbeiräte auf Landes- und Kreisebene über zusätzliche Personalstellen abgesichert. Zudem werden die Sachausgaben des Landeskitaelternbeirates getragen.
- Beitragsfreiheit für Geringverdiener: Das letzte Kitajahr ist in Brandenburg bereits für alle Eltern kostenfrei. Mit dem Gute-KiTa-Gesetz müssen seit August 2019 Geringverdiener und Empfänger von Sozialleistungen keine Beiträge mehr zahlen, sowohl Krippe als auch Kindergarten sind für diese Familien kostenfrei. Die Einkommensgrenze liegt bei etwa 20.000 Euro Jahresnettoeinkommen beider Eltern und erhöht sich mit der Zahl der Kinder. Bei zwei Kindern liegt die Grenze bei 24.896 Euro.
Sachsen will mit dem zusätzlichen Geld den Personalschlüssel verbessern, indem es die Vor- und Nachbereitungszeiten der Pädagogen neu berechnet:
- Pädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtungen soll ab einem Beschäftigungsumfang von 22 Stunden in der Woche mindestens eine Stunde für mittelbare pädagogische Tätigkeiten zur Verfügung stehen, ab einem Beschäftigungsumfang von 34 Stunden je Woche mindestens zwei Stunden. Damit wird sich nach Angaben des Kultusministeriums der Personalumfang sächsischer Kitas um rund 1.365 Vollzeitkräfte erhöhen. Das wirkt sich am Ende positiv auf den Personalschlüssel aus.
- Auch in der Kindertagespflege fallen zusätzliche Tätigkeiten an. Zudem ist für Vernetzung mit anderen Kindertageseltern ein höherer Aufwand erforderlich. Daher soll auch hier je aufgenommenem Kind eine halbe Stunde wöchentlich für mittelbare pädagogische Tätigkeit finanziert werden.
Kritiker bemängeln, dass diese Mittel nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein sind. Zudem fordern sie strengere Vorgaben, wie die Mittel einzusetzen sind. Würde das Geld vorrangig in die Gebührenfreiheit investiert, entlaste dies zwar die Eltern, gehe aber nicht mit der so wichtigen Qualitätsverbesserung einher. So heißt es im jüngsten Ländermonitor der Bertelsmann Stiftung: „Mit Blick auf den noch nicht abgeschlossenen, finanziell verlässlich ausgestatteten qualitativen und quantitativen KiTa-Ausbau erscheint die zunehmende Ausweitung der Beitragsfreiheit kontraproduktiv… Eine vollständige Beitragsfreiheit sowie die Abschaffung von Zusatzgebühren für die KiTa-Betreuung ist erst anzustreben, nachdem der Qualitätsausbau abgeschlossen bzw. die erreichte Qualität langfristig finanziell gesichert ist.“
Immerhin hat der Bund bereits angekündigt, Kinderbetreuungseinrichtungen auch über 2022 hinaus jährlich mit Finanzmitteln in Milliardenhöhe auszustatten. Schon heute zeigt ein Blick auf die Pro-Kopf-Ausgaben der Länder für die Kinderbetreuung große Unterschiede. Sachsen und Brandenburg gehören zu den Schlusslichtern. Ein Grund für die deutlichen Unterschiede ist neben der teilweisen Beitragsfreiheit der Personalschlüssel. So gibt der Stadtstaat Bremen mit dem bundesweit besten Personalschlüssel mehr als doppelt so viel Geld pro Kind aus wie Mecklenburg-Vorpommern, das beim Personalschlüssel Schlusslicht ist.
Monatliche Elternbeiträge für einen Kitaplatz über 9 Stunden bei einem Bruttojahresverdienst der Eltern von 60.000 Euro. Quelle: eigene Berechnungen auf Grundlage der kommunalen Satzungen, ohne Gewähr © zwei helden GmbH
Kitagebühren
Die Kita-Finanzierung in Deutschland ist für Außenstehende etwas unübersichtlich. Die Kosten teilen sich Bund, Länder, Kreise und Gemeinden sowie Träger und Eltern. Der Bund stellt den Ländern jährlich pauschale Fördergelder zur Verfügung, im Detail regeln die Länder die Kita-Finanzierung und leisten wiederum den Kommunen einen Zuschuss. Ebenso erbringt der Kreis seinen Anteil, den Rest müssen sich Eltern und Kommune teilen. Aufgrund unterschiedlicher Finanzstrukturen ist dieser verbleibende Kostenanteil überregional kaum vergleichbar. In Brandenburg zahlt man innerhalb der neuen Bundesländer vergleichsweise viel für die Betreuung der Kinder und deutlich mehr als bei den sächsischen Nachbarn, was unsere Erhebung in Lausitzer Kommunen bestätigt.
In Brandenburg beteiligt sich das Land in Form einer sogenannten Kinderkostenpauschale an den Kosten der Kindertagesbetreuung für Tagespflege, Krippe, Kindergarten und Hort. Diese erhalten die Landkreise und kreisfreien Städte. Den Löwenanteil der Kosten schultern dennoch die Kommunen für ihre eigenen Kitas oder für Zuschüsse an freie Träger. Nach eigenen Satzungen der Kommunen oder den Beitragsordnungen der Träger können die Eltern an den Kosten beteiligt werden. Die Höhe des Elternbeitrags regeln die Kommunen in den Kita-Gebührensatzungen. Je nach Standortmarketing oder kommunaler Haushaltslage können die Kommunen einen höheren Anteil übernehmen und Eltern entlasten. Dadurch schwanken die Elternbeiträge in Brandenburg von Ort zu Ort teils beträchtlich. Die Satzungen gelten für Kitas in kommunaler Trägerschaft. Kitas freier oder privater Träger müssen ihre Elternbeiträge selbst in Beitragsordnungen festlegen und darüber Einvernehmen mit dem örtlichen Jugendamt herstellen. Dabei darf der Beitrag für die Inanspruchnahme eines Betreuungsplatzes nicht höher sein als die Kosten, die der Einrichtungsträger für die Bereitstellung dieses Betreuungsplatzes aufzubringen hat.
Wie tief die Eltern für den Kitaplatz in den Geldbeutel greifen müssen, hängt also vom Wohnort ab. Der Betrag bemisst sich zum einen nach dem Alter des Kindes – Krippenplätze kosten mehr als Kindergartenplätze – und nach der Betreuungszeit. Zudem gewähren die Kommunen Rabatt für Geschwisterkinder, die eine Kita oder einen Hort besuchen. Alleinerziehende müssen ebenfalls weniger zahlen.
In Sachsen dürfen höchsten 23 Prozent der Betriebskosten in der Krippe auf die Eltern umgelegt werden, in Kita und Hort bis zu 30 Prozent. Eltern mit geringem Einkommen können die Beiträge teilweise oder komplett erlassen werden. Davon abgesehen spielt die Höhe des elterlichen Verdienstes bei der Beitragsbemessung in Sachsen keine Rolle.
In Brandenburg dagegen bemisst sich der Beitrag nach dem Einkommen der Eltern, mit dem Ziel, hier eine gewisse soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Die konkrete Höhe legen ebenfalls die Kommunen fest – und da gibt es große Unterschiede, wie unsere Tabelle zeigt. Das gilt auch für die Bemessung des Einkommens. Einige Kommunen nehmen das Nettoeinkommen als Grundlage, andere das Bruttoeinkommen. Das Kindergeld wird von einigen Kommunen beim Einkommen angerechnet, von anderen nicht. Jede Kommune hat einen Höchstbetrag festgelegt, der ebenfalls stark variiert. So zahlen „Spitzenverdiener“ für das von uns gewählte Beispiel einer 9-stündigen Kitabetreuung 367 Euro in Calau und 143 Euro in Spremberg.
Schrittweise beitragsfrei in Brandenburg
Die Elternbeiträge sind zwar in Brandenburg im Schnitt etwas höher als in Sachsen, dafür ist hier das letzte Kitajahr seit 2018 beitragsfrei. In Sachsen gab es diese Regelung schon einmal in den Jahren 2013 und 2014, sie wurde aber wieder gekippt. In Brandenburg müssen zudem Geringverdiener und Empfänger von Sozialleistungen keine Kitabeiträge zahlen. Mit diesen Regelungen besucht schon heute jedes dritte Kitakind in Brandenburg kostenfrei die Kita. In den kommenden Jahren soll die Beitragsfreiheit weiter ausgebaut werden. Bis 2022 soll auch das vorletzte Kitajahr beitragsfrei sein, zwei Jahre später die komplette Kindergarten-Zeit, also für Kinder von 3 bis 6 Jahren. Für diese Regelung setzt das Land Mittel aus dem 2019 vom Bund beschlossenen Gute-Kita-Gesetz um.
Blick ins Ausland – Wie machen es andere Nationen?
Wo derzeit die größten Mängel in deutschen Kitas liegen, haben wir dargestellt. An dieser Stelle folgt ein Blick ins Ausland. Er soll beispielhaft aufzeigen, wie Kita ebenfalls funktionieren kann und mögliche Anregungen geben.
Frankreich: Kleinkinder unter drei Jahren werden, wenn sie nicht zu Hause bleiben, bei Tagesmüttern oder in der Krippe betreut. Hier ist der Bedarf noch größer als das Angebot. Ein stärkerer Fokus liegt in Frankreich auf dem Angebot für Kinder ab drei Jahren. Sie besuchen die école maternelle, eine Art Vorschule, die für alle Kinder in Frankreich kostenfrei und verpflichtend ist und im Vergleich zum deutschen Kindergarten stark verschult ist. Die Kinder werden dort bereits auf die klassische Schule vorbereitet. Die Pädagogen der école maternelle haben ein Studium absolviert und sind eher Lehrer als Erzieher. Es gibt zwar keinen klassischen Unterricht nach Fächern, aber Projekte in den Bereichen Sprache, Musik, Kunst, Sport und Naturwissenschaft. Die konkreten Bildungsinhalte sind in einem Lehrplan festgelegt. Die Tage sind klar strukturiert. Die Kinder lernen früh Disziplin und stillsitzen. Zeit für freies Spiel gibt es wenig. Wenn die Kinder mit sechs Jahren in die Grundschule kommen, können sie meist schon etwas schreiben.
Schweden: Die skandinavischen Länder gelten im schulischen Bereich als vorbildlich. Auch der vorschulische Bereich hat durchaus Vorzüge. Ein Rechtsanspruch auf eine Kinderbetreuung besteht, sobald das Kind ein Jahr ist. Eltern, die nicht arbeiten, können ihr Kind allerdings nur für wenige Stunden täglich schicken. Ab drei Jahren und dann noch mal im Jahr vor dem Schuleintritt erhöht sich die Stundenzahl. Verpflichtend wie in Frankreich ist der Besuch der Kita oder Vorschule nicht. Die Schulpflicht beginnt mit 7 Jahren. Zwischen 1 und 6 Jahren besuchen die Kinder Kitas bzw. Vorschulen, für die ein Elternbeitrag in Abhängigkeit des Einkommens fällig wird. 6 bis 7-Jährige besuchen die kostenfreien Vorschulklassen, die direkt an der Schule angesiedelt sind und bereits auf den Schulbesuch vorbereiten. Mehr als 95 Prozent der Kinder besuchen die Vorschulklassen, bei den unter Dreijährigen liegt die Betreuungsquote bei etwa 60 Prozent. Der Betreuungsschlüssel gilt als vorbildlich. In der Kita/ Vorschule kommen auf einen Erzieher fünf Kinder, in der Vorschulklasse betreut ein Pädagoge etwa 16 Kinder. Ein Großteil der Erzieher hat ein mindestens dreijähriges Hochschulstudium absolviert. Hervorzuheben ist auch die Evaluation: Alle Kitas und Vorschulklassen müssen sich regelmäßig einer externen Überprüfung unterziehen. Diese systematische Qualitätsdokumentation fokussiert nicht auf die Leistungen der Kinder – wie bei PISA, sondern auf eine Verbesserung der Einrichtungen.
Neuseeland: In Neuseeland gehen viele Kinder bereits mit einem halben Jahr in den Kindergarten. Der Staat zahlt nur für 26 Wochen Elterngeld, danach gehen die meisten Eltern wieder arbeiten. Ihre Kinder können sie guten Gewissens in den Kindergarten bringen. Das neuseeländische Curriculum für Kinder bis zum Schuleintritt (mit fünf Jahren) gilt als vorbildlich. Bereits 1996 wurde der „Te Whariki“ genannte Bildungsplan für 0 bis 5-Jährige eingeführt. Er ist in Anlehnung an die Ureinwohner Neuseelands, die Maori, zweisprachig und berücksichtigt beide Kulturen. Kulturelle Vielfalt ist ein zentraler Punkt. Whariki kommt aus der Sprache der Maori und heißt Flechtmatte. Im übertragenen Sinne sind darin die Prinzipien frühkindlicher Bildung (ganzheitliche Entwicklung, Befähigung, Familie & Gemeinschaft, soziale Beziehungen) verwoben mit den Lernzielen: Wohlbefinden, Zugehörigkeit, Teilhabe, Kommunikation, Erforschen & Entdecken. Dabei fällt auf, dass anders als bei uns in Deutschland nicht Themen wie Sprache und Mathematik im Fokus stehen. Stattdessen möchte der ganzheitliche neuseeländische Ansatz jedes Kind dazu befähigen, auf seine Weise aufzuwachsen, ihm die notwendigen Freiräume zu ermöglichen und es bei seinen Lernprozessen unterstützen. Die individuellen Lernfortschritte des Kindes werden beobachtet und dokumentiert. Anders als in Deutschland üblich werden dabei nicht Kompetenzen wie Ausschneiden und Zählen geprüft und abgehakt, sondern Fortschritte in den Bereichen Mut, Zutrauen, Verspieltheit, Verantwortungsgefühl, Beharrlichkeit aufgeschrieben. Etabliert hat sich dafür die Form von Lerngeschichten. Dieses in Neuseeland entwickelte Dokumentationsmodell wird mittlerweile auch in anderen Ländern angewandt. Möglich ist das auch dank eines hervorragenden Betreuungsschlüssels. Auf eine Erzieherin kommen drei bis fünf Kinder. Fachkräfte in den Kitas haben in der Regel ein mindestens dreijähriges Studium absolviert. Anschließend folgt eine zweijährige Anerkennung in der Kita, während der man von einem Supervisor begleitet wird. Vergleichbar ist dies in etwa mit dem Referendariat angehender Lehrer in Deutschland.
Tagesmütter betreuen in der Regel nur vier bis fünf Kinder und haben so Zeit für die individuellen Bedürfnisse jedes Kindes. Foto: Designed by Freepik
Die familiennahe Alternative: Tagesmutter
Die Alternative zum klassischen Kindergarten ist die Tagespflege. Hier kümmert sich eine Tagesmutter oder ein Tagesvater um eine kleine Schar an Kindern – erlaubt sind höchstens fünf Kleinkinder. Die Kinder werden in einer eher familiären, vertrauten und ruhigen Atmosphäre betreut. Im Vergleich dazu kann es in einer größeren Kita mit 100 oder mehr Kindern deutlich lauter und anonymer zugehen.
Beide Betreuungskonzepte haben ihre Vor- und Nachteile. Hier ist es wichtig zu schauen, was zu den eigenen Wünschen und vor allem zum Kind passt. Kinder, die zu Hause mit mehreren Geschwistern aufwachsen oder viele Kontakte zu Freunden haben, kommen mit der offenen Atmosphäre einer Kita vermutlich besser zurecht als ruhige Kinder, die stärker die Nähe zu einer erwachsenen Bezugsperson suchen. Zudem können die Betreuungszeiten in der Tagespflege bei Bedarf flexibel abgesprochen werden, während Kitas feste Öffnungszeiten haben.
Tagesmütter bzw. -väter benötigen eine Pflegeerlaubnis vom Jugendamt. Diese erhalten sie, wenn sie eine pädagogische Ausbildung abgeschlossen haben oder aber eine Grundqualifizierung für die Tagespflege, die nicht so umfassend und umfangreich wie die Erzieherausbildung ist, aber die Grundlagen der kindlichen Pädagogik vermittelt. Zudem müssen sie einen Erste-Hilfe-Kurs für Säuglinge und Kleinkinder belegen, ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und Sicherheits- und Hygienestandards in den Räumlichkeiten nachweisen. Tagesmütter betreuen die ihnen anvertrauten Kinder entweder in ihrer eigenen Wohnung oder in eigens dafür angemieteten Räumen. Theoretisch kann die Betreuung in der Wohnung des betreuten Kindes erfolgen, das ist aber die Ausnahme. In Sachsen nutzten 900 von insgesamt fast 1.700 Tageseltern im vergangenen Jahr gemietete Räumlichkeiten, 800 von ihnen betreuten die Kinder zu Hause. Männer spielen – ähnlich wie als Erzieher in der Kita – bisher nur eine marginale Rolle. Deutschlandweit sind knapp vier Prozent der Tageseltern männlich, in Sachsen und Brandenburg liegt die Quote mit gut sechs Prozent etwas höher.
Kleine Gruppen, feste Bindung
Der klare Vorteil, den eine große Krippe bzw. Kita nicht bieten kann, ist die familiennahe und bedarfsorientierte Betreuung. Die Kinder haben mit der Tagesmutter eine feste Bezugsperson statt wechselnder Erzieher. Für viele Familien wird sie durch die enge Bindung über die Jahre fast zu einer Art Familienmitglied. Das bestätigt Franziska Friedrich von der Informations- und Koordinierungsstelle Kindertagespflege in Sachsen: „Es ist die feste Bezugsperson und die kleine Gruppengröße, die viele Eltern überzeugt und die sich deswegen ganz bewusst für das Modell der Kindertagespflege entscheiden.“
In Sachsen waren die Tagesmütter aus diesem Grund auch die ersten, die nach dem Lockdown im Frühjahr 2020 wieder öffnen durften – noch vor den Kitas. Aufgrund kleiner Gruppen mit einer festen Bezugsperson ermöglichte Kultusminister Christian Piwarz bereits Anfang Mai 2020 wieder die Betreuung: „Vor allem wegen ihrer Familiennähe und der Flexibilität bei den Betreuungszeiten wird die Kindertagespflege von den Eltern geschätzt. Auch in Zeiten der Corona-Pandemie wird einmal mehr deutlich, wie wertvoll die Kindertagespflege als Stütze für das gesellschaftliche System ist.“
In Sachsen werden etwa 7.000 unter Dreijährige von einer Tagesmutter oder einem Tagesvater betreut. Zum Vergleich: Etwa 50.000 Kinder in diesem Alter besuchen in Sachsen eine Kindertageseinrichtung, das sind etwa sieben Mal so viele. In Brandenburg sind es acht Mal so viele. Die Zahl der Tageseltern ist hier seit Jahren leicht rückläufig, dabei ist die Nachfrage durchaus da, sagt Ingrid Pliske-Winter, Vorsitzende des Landesverbands Kindertagespflege Brandenburg: „Die Eltern suchen verstärkt nach freien Plätzen in der Kindertagespflege. Viele haben durch Corona erkannt, dass die kleinen Gruppen durchaus Vorteile bieten.“ Ingrid Pliske-Winter hat selbst fast 30 Jahre als Tagesmutter in dem Beruf gearbeitet und schwärmt noch immer: „Das ist der schönste Beruf. Viele Frauen entscheiden sich ganz bewusst für die Kindertagespflege, weil sie nicht in Kitas mit großen Gruppen arbeiten möchten.“ Damit der Beruf noch attraktiver wird, muss er zum einen stärker in den öffentlichen Fokus gerückt werden, zum anderen müssen die selbständig tätigen Tagesmütter und -väter finanziell besser abgesichert werden – vor allem für das Rentenalter. In der Lausitz wurden im vergangenen Jahr gut 1.200 Kinder durch 300 Tageseltern betreut.
Vertretung durch gute Planung
Zum Nachteil kann das Vertretungsproblem werden, das lässt sich aber durch gute Organisation und Abstimmung im Vorfeld gut klären. Geplanten Urlaub der Tagesmutter kann man im Vorfeld planen und den Familienurlaub ebenfalls in die Zeit legen oder rechtzeitig Ersatz organisieren. Wenn die Tagesmutter krank wird oder aus anderen Gründen kurzfristig ausfällt, muss es eine Vertretungsregelung geben. In der Praxis haben sich verschiedene Modelle etabliert, die je nach Kommune variieren. Beispielsweise können sich mehrere Tagesmütter vernetzen und gegenseitig vertreten. Dann belegen diese Tagesmütter maximal vier von fünf Betreuungsplätzen. Der fünfte Platz ist frei, um ein Kind einer anderen Gruppe vertretungsweise zu übernehmen. Andere Kommunen praktizieren eine Springerlösung, bei der eine feste Vertretungsperson mehrere Tagesmütter im Notfall vertritt. Auch die Kooperation mit einer Kita bzw. Krippe in der Nähe ist möglich. Wichtig bei all diesen Lösungen: Die Kinder sollten die mögliche Vertretungsperson kennen und mit ihr vertraut sein. Das kann durch regelmäßige Besuche erreicht werden. Für einige Kinder kann es dennoch zum Problem werden, wenn der Vertretungsfall tatsächlich eintritt, da sich ein enges Vertrauensverhältnis im Kleinkindalter nur schwer über wöchentliche Treffen für wenige Stunden aufbauen lässt.
Eine zweite Hürde: In der Regel dürfen Tagesmütter die Betreuung nur für Kinder im Alter bis zu drei Jahren übernehmen. Das heißt, danach muss sich das Kind an eine neue Einrichtung gewöhnen. Kinder, die von Beginn an eine Kita mit integrierter Krippe besuchen, wird der Übergang durch die Kontinuität der Kinder, des Ortes und möglicherweise der Erzieher vielleicht leichter fallen. Wichtig ist, dass Eltern ihr Kind rechtzeitig vor dem notwendigen Wechsel in der Wunsch-Kita anmelden. Zudem sollte die Entwöhnung ähnlich behutsam passieren wie die Eingewöhnung. Die Betreuungszeit bei der Tagesmutter wird schrittweise reduziert. Am besten legt man zwischen den letzten Tag bei der Tagesmutter und den ersten in der neuen Kita eine Urlaubswoche mit intensiver Familienzeit. Je nachdem, wie eng die Bindung zwischen Tagesmutter und Familie über die Jahre gewachsen ist, kann man den Kontakt auch noch länger aufrecht erhalten, vielleicht mit gelegentlichen Besuchen oder Telefonaten.
Soviel kostet die Tagesmutter
Die Kosten sind für Tageseltern in der Regel die gleichen wie für einen Platz in der Kita. Die öffentlich geförderte Kindertagespflege ist in Deutschland der Kindertagesbetreuung rechtlich gleichgestellt, daher soll es auch keine Unterschiede bei den Elternbeiträgen geben. Ist wie in Brandenburg ein Kitajahr beitragsfrei, dann gilt das auch für Tagesmütter. Praktisch spielt das bisher nur für Geringverdiener und Empfänger von Sozialleistungen eine Rolle. Da für sie die komplette Kitazeit einschließlich der Krippe beitragsfrei ist, gilt das auch für Tageseltern. Wer nicht unter die Beitragsfreiheit fällt, zahlt jene Elternbeiträge, die laut kommunaler Satzung auch für die städtischen Kitas zu zahlen sind.
Wo finde ich eine Tagesmutter?
Wer sein Kind in den ersten Jahren gern zu einer Tagesmutter bzw. -vater geben möchte, informiert sich am besten zunächst auf der Homepage der Stadt. Idealerweise sind dort nicht nur alle Kitas aufgelistet, sondern auch die Tageseltern. Das variiert aber von Kommune zu Kommune. Man kann sich auch direkt ans zuständige Jugendamt wenden. Dort gibt es eine Übersicht über alle tätigen Tageseltern, denn diese brauchen eine Zulassung vom Jugendamt. In Sachsen hat die Informations- und Koordinierungsstelle Kindertagespflege in Sachsen eine Karte mit Tageseltern veröffentlicht, die allerdings nicht vollständig ist: www.iks-sachsen.de/kindertagespflegepersonen_finden. Ansonsten ist der eigene Freundes- und Bekanntenkreis eine gute Informationsquelle.
Zum Konzept einer Kita gehört auch, ob und wie Feste wie Ostern, Fasching, Halloween und Weihnachten mit den Kindern gefeiert werden. Foto: Designed by Freepik
Darauf sollte man bei der Kita-Wahl achten
Unsere Statistik zeigt: Nicht immer haben Eltern die bei der Suche einer Kindertageseinrichtung viel Auswahl. Viele Kitas haben Wartelisten. Wer erstmals Nachwuchs erwartet, sollte sich also bereits während der Schwangerschaft über die in Frage kommenden Kitas informieren und einen Betreuungsplatz anfragen – zumindest, wenn ein Krippenplatz gebraucht wird. Wir geben einen Überblick, welche Faktoren besonders zu beachten sind.
Das Konzept
Jede Kindertageseinrichtung hat ein Konzept, nach dem sie ihre pädagogische Arbeit ausrichtet. In einigen Fällen kann man bereits vom Namen auf das Konzept schließen: Das ist bei Wald-, Kneipp- oder Montessori-Kitas so. Etwas weiter unten stellen wir die in Deutschland gängigen Kita-Konzepte vor. Das Konzept der favorisierten Kita sollte auch zur persönlichen Lebenseinstellung passen. Wer zu Hause Wert auf gesunde Ernährung und viel Bewegung legt, für den ist eine Sport- oder Bewegungskita vielleicht das richtige. Kinder, die zu Hause mehrsprachig aufwachsen, sind in einer zweisprachigen oder internationalen Kita gut aufgehoben. Familien, die viel und gern draußen sind, fühlen sich in einer Waldkita gut aufgehoben. Die Auswahl an Konzepten ist groß. Hier ist es wichtig, sich vorab zu informieren und darüber klar zu werden, was einem wichtig ist. Schließlich besucht das Kind für die nächsten Jahre Tag für Tag diese Einrichtung und wird dort ähnlich stark für den weiteren Lebensweg geprägt wie zu Hause.
Neben dem Konzept, nach dem das Team arbeitet, sollten Eltern auch nach der konkreten Umsetzung fragen: Welche Angebote gibt es? Werden Projekte mit den Kindern umgesetzt? Sind Ausflüge vorgesehen? Wird gemeinsam gebastelt, gemalt und gesungen? Wie sind die Tage strukturiert? Wie werden die Kinder gefördert?
Zum Konzept gehört auch das Thema Ernährung. Wie erfolgt die Mittagsverpflegung? Wird selbst gekocht oder ein Caterer hinzugezogen? Wird Wert auf gesunde Ernährung gelegt? Sind Süßigkeiten im Alltag erlaubt bzw. erwünscht? Bringen die Kinder Frühstück und Vesper von zu Hause mit oder wird das durch die Kita gestellt?
Die Rahmenbedingungen
Daneben sind aber auch ganz praktische Fragen wichtig, manchmal sogar entscheidend. Das beste Konzept nützt nichts, wenn die Kita 16 Uhr schließt, die Eltern aber in der Regel erst 17 Uhr Feierabend haben. Daher werden bei der Wahl der Kita auch die Rahmenbedingungen eine Rolle spielen. Wie sind die Öffnungszeiten? Sind diese bei Bedarf mit Schichtdienst vereinbar? Wichtig kann die Lage sein. Ist die Kita in der Nähe der Wohnung oder Arbeitsstelle, so dass man das Kind mal zu Fuß oder mit dem Rad bringen kann? Wie viel Zeit muss ich für den Weg zur Kita einplanen? Hilfreich kann es sein, wenn schon befreundete oder benachbarte Familien in der Kita sind oder dort ebenfalls ihren Nachwuchs anmelden. Es kann die Eingewöhnung für die Kinder erleichtern, wenn der beste Kumpel ebenfalls da ist. Zudem kann man sich beim Bringen und Abholen der Kinder gegenseitig unterstützen.
Schauen Sie sich die Räumlichkeiten an. Wie viele Räume gibt es, wie groß sind sie? Wo essen die Kinder, wo schlafen sie? Gibt es Themenräume, wie eine Holz- oder Bastelwerkstatt? Wie sieht das Außengelände aus? Ist es groß, welche Spielmöglichkeiten gibt es? Ist es im Sommer schattig?
Eine ebenso wichtige Frage ist jene nach dem Betreuungsschlüssel. Der ist sowohl in Brandenburg als auch in Sachsen frustrierend schlecht und weit von den offiziellen Empfehlungen entfernt. Aufgrund der schlechten Finanz- und Personalausstattung haben die Kitas hier wenig Spielraum. Fragen Sie dennoch nach. Einige Krippen und Kindergärten haben Wege gefunden, einen etwas besseren Betreuungsschlüssel umzusetzen als der landesweite Durchschnitt.
Das Bauchgefühl
Das entscheidende Kriterium aber lässt sich nicht in harte Fakten packen: Was sagt Ihr Bauchgefühl? Fühlen Sie sich wohl? Haben Sie den Eindruck, dass sich Ihr Kind in der Einrichtung wohlfühlen würde? Das können Sie nur vor Ort beurteilen, bei einem Gespräch mit der Leitung, einem Rundgang durchs Haus, dem Austausch mit dem Erzieher-Team. Hier gewinnen Sie einen ersten Eindruck, wie das Miteinander im Team funktioniert, wie die Leitung mit den Mitarbeitern spricht, wie die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Kita klappt. Fragen Sie nach: Gibt es regelmäßige Elternabende und Entwicklungsgespräche? Gibt es gemeinsame Aktivitäten wie Sommerfeste oder Herbstputz? Ganz wichtig: Wie gehen die Erzieher mit den Kindern um? Ist der Ton liebevoll oder ruppig, bestimmend oder einladend? Natürlich kann auch eine Erzieherin mal einen schlechten Tag haben, aber wenn hier schon der erste Eindruck nicht stimmt, sollte man zumindest noch mal überlegen, ob die Kita wirklich die richtige ist.
Balancieren, klettern, toben: Bewegungskitas schaffen den Kleinen vielfältige Möglichkeiten, sich zu bewegen. Foto: Designed by jcopm/Freepik
Pädagogische Konzepte im Überblick
Neben den ganz praktischen Rahmenbedingungen wie Öffnungszeiten und Wohnortnähe spielt bei der Wahl der Kita auch das pädagogische Konzept eine wichtige Rolle. Mit welchen Konzepten arbeiten die Erzieher, in der Tradition welcher pädagogischen Vorbilder stehen sie? Die Auswahl ist groß, wir stellen die wichtigsten pädagogischen Konzepte im Überblick vor.
Fröbel: Friedrich Wilhelm August Fröbel (1782-1852) gilt als Begründer des Kindergartens. In Fröbels Pädagogik stehen das Kind und das Spielen im Mittelpunkt. Beim freien Spiel und im Kontakt mit anderen Kindern und mit Erwachsenen lernen sie ihre Umwelt kennen und begreifen. Wichtigstes Ziel der Erziehung nach Fröbel ist der freie denkende, selbständige Mensch. Fröbel-Pädagogik geht davon aus, dass Bildung nur aus dem Kind selbst heraus möglich ist und nicht von außen aufgezwungen werden kann.
Montessori: Das nach der Ärztin und Pädagogin Maria Montessori (1870-1952) benannte Konzept stellt das Kind mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt. Es achtet das Kind in seiner Persönlichkeit. Die Kinder dürfen selbst entscheiden, womit sie sich beschäftigen, wann und in welcher Form. Dabei begleiten die Erzieher die Kinder und geben ihnen Anregungen, machen Angebote. Sie unterstützen nach dem Prinzip „Hilf mir, es selbst zu tun.“ Maria Montessori hat eigens für ihr Konzept Lern-Materialien entwickelt, die wahlweise Sinne aktivieren, die Sprache schulen oder das mathematische Verständnis fördern.
Waldorf: Die Waldorf-Pädagogik ist eine durch Rudolf Steiner (1861–1925) begründete Pädagogik. Eine wichtige Rolle nehmen die Erzieherinnen als Vorbild ein, da das Waldorf-Konzept davon ausgeht, dass die Kinder Erwachsene nachahmen. In Waldorf-Einrichtungen wird die Umgebung ästhetisch und anregend gestaltet, um den Kindern eine Vielzahl an Sinneseindrücken zu vermitteln. Auf klassisches Spielzeug wird verzichtet. Stattdessen soll die kindliche Phantasie mit Naturmaterialien und einfachen Puppen angeregt werden. Einen hohen Stellenwert hat die Förderung der künstlerischen Gestaltung und von rhythmischer Körperbewegung.
Reggio: Benannt ist das Konzept nach der norditalienischen Stadt Reggio Emilia, in der es erstmals erprobt wurde. Kinder werden hier als kleine Forscher und Wissenschaftler angesehen, die sich neues Wissen weitgehend selbständig aneignen. Erzieher und Eltern bieten nur Impulse an, aber keine fertigen Lösungen, sie leiten nicht an, sondern begleiten. Stattdessen entdecken und begreifen die Kinder ihre Umwelt selbst. Sie beschäftigen sich weitgehend selbständig mit den Dingen und Themen aus ihrer Lebenswirklichkeit, die sie interessieren und die ihre Neugier wecken.
Freinet: Das nach dem französischen Reformpädagogen Célestin Freinet benannte Konzept stellt noch konsequenter das Kind und seine Interessen in den Mittelpunkt. Die Kinder entscheiden nicht nur selbst, womit sie sich beschäftigen. Sie bekommen auch Verantwortung für die Organisation des Kitaalltags und der Räumlichkeiten übertragen. Die Kinder bestimmen weitgehend selbst über die Tagesstruktur, das Erzieher-Team steht ihnen begleitend zur Seite. Die Kinder lernen im freien Spiel, in Ateliers und Werkstätten, im Rollenspiel und im Austausch mit anderen Kindern.
Bewegungskita: Der natürliche Bewegungsdrang, der bei Kindern noch stark ausgeprägt ist, wird hier zum Programm gemacht. Die Kinder werden im Alltag immer wieder zu Bewegung angeregt. Klassische Sport- und Bewegungsangebote sind nur ein Aspekt. Die Räume sind so ausgestattet, dass die Kinder im Spiel immer wieder dazu angeregt werden, sich zu bewegen. Beispielsweise ist der Bauraum mit großen Bausteinen ausgestattet, die ganzen Körpereinsatz fordern, um aus ihnen einen Turm zu errichten. Da in diesen Einrichtungen die gesunde Entwicklung der Kinder im Fokus steht, gehen sie oft mit gesunder Verpflegung einher.
Waldkita: Hier ist der Name Programm. Die Kita ist der Wald, er ist Lehrer und Spielplatz zugleich. In Waldkindergärten findet der Alltag fast komplett an der frischen Luft statt, selbst die Mahlzeiten. Wie konsequent das Prinzip umgesetzt wird, hängt von der Einrichtung ab. Einige verzichten komplett auf klassische Gruppenräume und haben für schlechtes Wetter höchstens einen Bauwagen oder ein Tipi. Andere verbringen zumindest die Mahl- und Schlafenszeit drinnen, an sehr kalten Tagen auch Spielzeit. Die Kinder sind in jedem Fall bei Wind und Wetter draußen, spielen mit dem, was die Natur bietet. Klassisches Spielzeug gibt es nicht.
Kneipp: Dieses Konzept geht zurück auf den Naturheilkundler Sebastian Kneipp (1821-1897), der sich auf die gesunde Entwicklung des Menschen fokussierte und dafür ganzheitliche Ansätze entwickelt hat, die Körper und Geist gleichermaßen in den Blick nehmen. Am bekanntesten sind die Wasseranwendungen, sogenannte Kneipp-Bäder, die sich auch in Kneipp-Kitas finden. Darüber hinaus stehen folgende Aspekte im Vordergrund: Spiel und Bewegung sowie der verantwortungsvolle Umgang mit der Natur. Die Kinder sind viel draußen, gesunde Ernährung spielt eine Rolle, gern werden Kräuter sowie Obst und Gemüse aus dem eigenen Kita-Garten verarbeitet. Wer sich für eine Kneipp-Kita interessiert, sollte auf eine Zertifizierung achten. Die garantiert die Einhaltung bestimmter Standards.
Situationsansatz: Dieses Konzept hat sich in den vergangenen 50 Jahren entwickelt und kommt in vielen Kindergärten zum Einsatz, ohne dass es immer explizit so benannt wird. Es geht darum, die Kinder mit ihren aktuellen Interessen, Wünschen und Sorgen wahrzunehmen und diese in konkrete Projekte und Spiele umzusetzen. Das Konzept orientiert sich stark an der Lebenswelt der Kinder. Das, was sie aktuell beschäftigt (der Schmetterling im Garten, das Wetter, ein Streit der Eltern, das neue Haustier, der Tod des Opas…), wird durch die Erzieher aufgegriffen und in die pädagogische Arbeit einbezogen.
Offenes Konzept: Kindergärten, die nach diesem Konzept arbeiten, verzichten auf die in Kitas übliche Raum- und Gruppenaufteilung. Stattdessen gibt es unterschiedliche Themenräume, wie einen Sport-, Musik- und Theaterraum, ein Atelier und eine Werkstatt. Die Kinder können sich entsprechend ihrer Interessen frei im Haus bewegen. Ihre Spielpartner können sie ebenfalls frei aussuchen, da es keine festen Gruppen gibt. Im Mittelpunkt stehen auch hier die Neigungen und Bedürfnisse des Kindes. Es gibt auch teiloffene Kitas, die das Prinzip weniger konsequent umsetzen und Stammgruppen mit eigenen Räumen beibehalten, diese aber tagsüber zeitweise öffnen.
Inklusion: Dieses Konzept könnte und sollte sich theoretisch jede Kita auf die Agenda schreiben – unabhängig vom gewählten pädagogischen Schwerpunkt. In der Praxis findet Inklusion von Kindern, die vermeintlich anders sind, nur selten statt. Es geht vor allem – aber nicht nur – um die Inklusion von Kindern mit Behinderung oder Beeinträchtigungen. In Inklusions-Kitas wird vermittelt, dass jedes Kinder anders und besonders ist und mit all seinen Besonderheiten normal ist. Unterschiede werden thematisiert – aber alle Kinder unabhängig von ihren körperlichen, ethnischen oder sozialen Besonderheiten in den Kita-Alltag integriert. Es wird bewusst vermieden, Kinder mit in extra Gruppen zu fördern, um Ausgrenzung und Stigmatisierung zu vermeiden. Stattdessen wird jedes Kind individuell nach seinen Bedürfnissen gefördert. Davon sollen am Ende alle Kinder profitieren. Sie lernen schon früh, dass es normal ist anders zu sein, werden offen und tolerant, bekommen Werte wie Mitgefühl und Gleichberechtigung vermittelt.
Kirchliche Kita: Kirchliche Kitas arbeiten ebenfalls mit den hier vorgestellten pädagogischen Konzepten. Sie unterscheiden sich in erster Linie durch den Träger – in der Regel die evangelische oder katholische Kirche – von nicht-kirchlichen Kitas. Kitas mit kirchlichem Träger legen besonderen Wert auf die Vermittlung christlicher Werte wie Nächstenliebe, Respekt, Wertschätzung und Ehrlichkeit. Wie stark religiöse Bräuche den Kita-Alltag bestimmen, hängt von der Einrichtung ab. Einige feiern Gottesdienste mit den Kindern, andere beschränken sich auf das Tischgebet vor dem Essen. Christliche Themen spielen im Alltag eine größere Rolle. So werden religiöse Feste wie Weihnachten und Ostern zum Anlass genommen, über Gott und Glauben zu sprechen. In der Regel ist es erwünscht, aber nicht erforderlich, dass das Kind bzw. die Eltern Mitglied der Kirche sind.
Zweisprachigkeit/ Witaj: Eine Besonderheit in der Lausitz sind zweisprachige Kindergärten. Zum einen gibt es in Grenznähe deutsch-polnische und in Richtung Zittau deutsch-tschechische Kitas. Zum anderen spielt das Sorbische/Wendische in der Region eine wichtige Rolle. Kinder in sorbischen Familien wachsen zweisprachig auf. Mit dem Witaj-Konzept können sie diese Zweisprachigkeit auch in der Kita und später an der Schule im Alltag leben. Diese Kitas sind für alle Kinder offen, unabhängig von der Muttersprache. Es gibt Kindergärten, deren Alltag komplett in sorbischer Sprache stattfindet und solche, bei denen nur einzelne Gruppen sorbisch sprechen.
Nicht ohne meinen Teddy: Gerade zu Beginn der Kitazeit können sogenannte Übergangsobjekte über den Trennungsschmerz bei Kindern hinwegtrösten. Designed by master1305/Freepik
Die Einrichtung kennen lernen
Wenn Sie nun jene Kita oder Tagesmutter gefunden haben, die für Sie in Frage kommt, ist es wichtig, sich die Einrichtung etwas genauer anzuschauen. Erster Anhaltspunkt ist die Homepage, sie informiert über die wichtigsten Grundlagen wie Öffnungszeiten, Angebote und das umgesetzte Konzept. Fotos können einen ersten Eindruck von den Räumlichkeiten und dem Außengelände vermitteln, aber nicht den persönlichen Einblick vor Ort ersetzen.
Daher vereinbaren Sie am besten ein persönliches Erstgespräch mit der Kita-Leitung. Bei dem Gespräch sollten Sie die Möglichkeit haben, alle die Fragen zu stellen, die Ihnen wichtig sind und die wir oben erläutert haben. Ein Rundgang durch das Haus und die Gruppenräume sollte ebenfalls dazu gehören. Vielleicht besteht auch die Möglichkeit, mit den voraussichtlichen Erziehern Ihres Kindes zu sprechen. Fragen Sie, ob die Möglichkeit besteht, für ein oder zwei Stunden zu hospitieren und den Kita-Alltag zu beobachten. Einige Kindergärten bieten Schnuppertage oder Krabbelgruppen an, in denen die Kinder vorab schon mal in den Kita-Alltag eintauchen können. Wenn Sie solche Angebote nutzen können, beobachten Sie das Miteinander von Kindern und Erziehern, aber auch den Umgangston innerhalb des Teams und das Miteinander der Kinder. In der Regel bekommt man hier schon einen guten ersten Eindruck, ob man selbst und das Kind sich hier wohlfühlen würden oder nicht. Hilfreich ist es auch, andere Eltern zu fragen, die bereits ihre Kinder in der Einrichtung haben. Welche Erfahrungen haben sie gemacht, was finden sie gut, was weniger?
Die Eingewöhnung
Wenn Sie sich dann für die Kita oder auch Tagesmutter entschieden haben, beginnt die tatsächliche Kitazeit mit der Eingewöhnung. Diese Zeit ist für Eltern und Kind spannend und herausfordernd. Gerade beim ersten Kind tun sich manche Eltern schwer, wenn sie ihr Kind für so lange Zeit in fremde Betreuung geben sollen. Hilfreich für alle Seiten ist es, wenn das Kind bereits daran gewöhnt ist, von anderen betreut zu werden – beispielsweise von den Großeltern.
Für eine gelingende Eingewöhnung ist es wichtig, dass die Eltern wirklich hinter der Entscheidung stehen. Wenn das Kind spürt, dass Mama es nur ungern bei der Erzieherin oder Tagesmutter lässt, wird es sich ebenfalls nur schwer von Mama lösen. Manchmal sind Väter bei der Sache entspannter. Wenn möglich, sollten sie dann die Eingewöhnung übernehmen.
Viele Kitas arbeiten bei der Eingewöhnung nach dem Berliner Modell. Zunächst kommt ein Elternteil mit dem Kind stundenweise in die Kita. Das Kind lernt die Erzieherin kennen und manchmal auch schon erste Kinder – Mutter oder Vater bleiben die ganze Zeit dabei. Nach zwei, drei Tagen verlassen die Eltern den Raum testweise für kurze Zeit. Fühlt sich das Kind wohl, wird dieser Zeitraum in den kommenden Tagen immer weiter ausgedehnt. Dieses Modell dauert meist zwischen zwei und vier Wochen. Doch auch während und nach der Eingewöhnung kann es noch vorkommen, dass das Kind beim Abschied von den Eltern weint. Das ist normal und ein Zeichen für die enge Bindung zu den Eltern. Hier sollten die Eltern darauf vertrauen, dass die Erzieher das Kind trösten. Meist ist der Kummer nach wenigen Minuten vergessen und das Kind spielt den Rest des Tages ausgelassen. Hat das Kind aber tagsüber immer wieder Schwierigkeiten, weint viel oder isst schlecht, braucht es vielleicht noch etwas Zeit. In diesem Fall sollten Eltern und Kita nach einer gemeinsamen Lösung suchen – beispielsweise das Kind zunächst nur verkürzt zu bringen.
Da sich vorher nicht sagen lässt, wie gut und wie schnell die Eingewöhnung klappt, ist es wichtig, dass Eltern einen zeitlichen Puffer einplanen. Der Wiedereinstieg in den Job sollte also nicht unbedingt auf Tag eins nach der zweiwöchigen Eingewöhnung gelegt werden.
Die Kitazeit kann für Kinder, Eltern und Erzieher eine großartige Zeit werden, wenn alle an einem Strang ziehen. Designd by Freepik
Ein Plädoyer für mehr Wertschätzung!
Die richtige Kita zu finden, kann manchmal etwas dauern. Vielleicht ist auch noch mal ein Wechsel nötig, wenn man nach den ersten Wochen merkt, dass es doch nicht passt. Da ein Wechsel vor allem für das Kind schwierig ist, sollten Sie bei Problemen zunächst das Gespräch mit der Erzieherin oder der Einrichtungsleitung suchen. Auch die Elternvertretung kann ein hilfreicher Ansprechpartner sein und vermittelnd wirken. Bedenken Sie auch: Oft genug steht und fällt die Qualität der Kinderbetreuung mit der jeweiligen Erzieherin. So wie eine gute Erzieherin in einer eher mäßigen Kita vieles wettmachen kann, ist es auch umgekehrt: Die beste Kita hilft nicht, wenn Ihr Kind bei einer eher ungeeigneten Erzieherin landet.
Noch etwas ist vielleicht schwierig, aber wichtig: Behalten Sie die Bedürfnisse und Wünsche Ihres Kindes im Blick. Selbst wenn Sie mit dem Mittagessen unzufrieden sind oder mit der Erzieherin nicht gut klar kommen, muss das kein K.O.-Kriterium sein. Solange sich Ihr Kind in der Einrichtung pudelwohl fühlt und dort Freunde gefunden hat, sollten Sie Ihre Bedenken zur Seite wischen. Denn der schärfste Kritiker sollte immer Ihr Kind bleiben. Wenn es sich wohlfühlt, gern in die Kita geht, seine Erzieher mag, Freundschaften schließt, viel Neues lernt, dann können die Kitajahre eine tolle Zeit für Sie als Familie werden.
Gleichwohl braucht es in Deutschland in den kommenden Jahren eine enorme Kraftanstrengung, um die Bedingungen für unsere Jüngsten weiter zu verbessern. Die Finanzausstattung der Krippen und Kindergärten muss deutlich anwachsen. Und diese zusätzlichen Mittel müssen in die Qualität der Kitabetreuung gesteckt werden. Konkret heißt das: Im Kita-Alltag müssen noch stärker die Bedürfnisse der Kinder im Mittelpunkt stehen. Sie müssen mit ihren Kompetenzen, Neigungen, Interessen wahrgenommen und gefördert werden. Dafür muss der Betreuungsschlüssel radikal verbessert werden, vor allem in den ostdeutschen Bundesländern. Hier betreuen Erzieher im Schnitt doppelt so viele Kinder wie von Fachleuten empfohlen. Es braucht mehr Erzieher und Erzieherinnen, mehr Tageseltern und diese müssen gut ausgebildet sein, vielleicht studiert haben. Sie müssen besser bezahlt werden. Wie sie ihre in der Ausbildung oder im Studium erworbenen Kompetenzen im Alltag umsetzen, muss überprüft und evaluiert werden – einerseits im Team durch die Kollegen, aber wenn möglich auch durch externe Prüfer. Der Erzieherberuf muss von der Gesellschaft mehr wertgeschätzt werden – von der Politik, aber auch von uns Eltern. Für die Pflegekräfte hat mit der Pandemie die öffentliche Diskussion um eine Aufwertung des Berufsbildes begonnen. Für Erzieher sollte sie ebenfalls umgehend in Gang gesetzt werden.
Seepferdchen, ahoi!
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Wie aus Wasserratten sichere Schwimmer werden
Einmal jährlich lädt die DLRG zu einem eher traurigen Pressegespräch. Anlass ist die Veröffentlichung der Badetoten. Vergangenes Jahr sind in Deutschland 378 Menschen ertrunken, die meisten von ihnen beim Baden in Seen oder Flüssen. In Sachsen starben 22 Menschen durch Ertrinken, in Brandenburg 24. Unter den Toten waren bundesweit 23 Kinder im Vorschul- oder Grundschulalter. „Hier ist sicherlich die bereits an sich zurückgehende Schwimmfertigkeit bei den Kindern eine Ursache, was das Corona-Jahr 2020 durch längerfristig geschlossene Bäder leider nur verschlimmert hat“, vermutet DLRG-Präsident Achim Haag, der zugleich beklagt: „Das Jahr 2020 war für die Schwimmausbildung ein verlorenes Jahr. Diese Entwicklung ist alarmierend und hat bereits vor der Pandemie begonnen. Fast 25 Prozent aller Grundschulen können keinen Schwimmunterricht mehr anbieten, weil ihnen kein Bad zur Verfügung steht und ausbildende Verbände wie die DLRG haben lange Wartelisten von ein bis zwei Jahren für einen Schwimmkurs.“
Die Pandemie hat ein ohnehin bestehendes Problem weiter verschärft. Nach DLRG-Angaben ist mehr als jeder zweite Grundschulabsolvent kein sicherer Schwimmer mehr. „Die Anstrengungen müssen deutlich intensiviert werden, um marode Bäder zu sanieren und Schulunterricht sicher zu stellen. Sobald die Bäder wieder öffnen können, gilt es, zusätzliche Wasserzeiten für die Ausbildung zu schaffen“, fordert Haag daher. Nach Schätzungen der Wasserretter ist die Zahl der Nichtschwimmer in Deutschland im vergangenen Jahr auf 1 Million Menschen gestiegen, 2021 dürfte diese Zahl nochmals deutlich wachsen. Im Vergleich dazu mag die Zahl von 23 ertrunkenen Kindern im vergangenen Jahr noch gering erscheinen. Aber: Die Zahl der Beinahe-Badeunfälle wird nicht erhoben. Jedes Jahr geraten Kinder zu lange unter Wasser, können zwar noch gerettet werden, tragen durch den Sauerstoffmangel aber erhebliche Folgeschäden davon. Die DLRG fordert daher Intensivkurse anzubieten, sobald die Schwimmbäder wieder öffnen dürfen, den Schwimmunterricht in Schulen zu stärken und die Bäderkapazitäten langfristig zu sichern und wieder zu erhöhen. In den vergangenen knapp 20 Jahren mussten in Deutschland 1.400 Bäder von einst 7.700 ihre Türen für immer schließen. Statistisch schließt damit alle vier Tage ein Schwimmbad irgendwo in Deutschland für immer seiner Pforten. Vielen Bädern droht die Schließung, hier wären dringend Sanierungen erforderlich – allein das Geld fehlt. Die Pandemie wird dieses Problem weiter verschärfen.
Die dramatischsten Folgen des Bädersterbens sind die steigende Zahl an Nichtschwimmern und ein Vereinssterben, weil einfach nicht mehr genügend Beckenkapazitäten vorhanden sind. Allein der Deutsche Schwimm-Verband hat seit Anfang der 2000er-Jahre etwa 80.000 Mitglieder und mehr als 200 Vereine verloren.
Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft DLRG überwacht jährlich im Sommer viele Gewässer, um Menschen vor dem Ertrinken zu retten. © DLRG
Mitte März forderte der Deutsche Sportlehrerverband, die Schwimmbäder für Anfängerkurse und den Schulschwimmunterricht wieder zu öffnen. Der Verband warnt vor den langfristigen Folgen der monatelangen Schließzeit und des damit verbundenen Unterrichtsausfalls: „Mittlerweile sind davon zwei Schuljahrgänge erheblich betroffen und weiterführende Schulen müssen sich auf eine Generation von Schüler*innen einstellen, die nicht schwimmen kann.“ Der Verband rechnet in den neuen 5. Klassen mit etwa 50 bis 80 Prozent Nichtschwimmern: „Das Problem der mangelnden Schwimmfähigkeit war bereits vor der Corona-Pandemie akut und hat sich nun nochmals verschärft.“
Der Deutsche Schwimm-Verband appelliert ebenfalls an die Politik, bei der Pandemie-Bekämpfung endlich die Kinder stärker in den Blick zu nehmen. Verbandspräsident Marco Troll warnt: „Da ohnehin schon zu wenige Grundschüler*innen Schwimmen lernen und nun in einem Jahrgang fast gar keine Schwimmlernkurse mehr stattfinden können, wird es für die Kinder insgesamt dramatisch. Die Politik sollte nicht ignorieren, dass Schwimmen hier über den Sport hinaus auch ein Kulturgut ist, das insbesondere zur Gesund- und Lebenserhaltung dient. Unsere Gesellschaft sollte hier nicht weniger konsequent für Schutz sorgen als in anderen Bereichen.“
Virusübertragung im Schwimmbad?
Schwimmbäder sind seit Monaten geschlossen – wie fast alle Freizeit- und Sporteinrichtungen. Dabei gelten Hallenbäder als vergleichsweise sicher. Eine Virusübertragung scheint hier kaum möglich. Zum einen können sich die Viren bei der hohen Luftfeuchtigkeit und den warmen Temperaturen nur schwer ausbreiten. Zum anderen sorgen das Filtern und das Chlor im Wasser dafür, dass die Viren deaktiviert werden. Coronaviren sind behüllte Viren, die durch Desinfektionsverfahren leichter zu inaktivieren sind als unbehüllte Viren wie Noroviren. Das Umweltbundesamt bestätigte dies bereits im März 2020:
„Bei Bädern, die normgerecht gebaut und betrieben werden, in denen die Wasseraufbereitung den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht und bei denen insbesondere die Durchströmung, Aufbereitung und Betriebskontrolle normgerecht erfolgen, kann davon ausgegangen werden, dass eine hygienisch einwandfreie Wasserbeschaffenheit erzielt wird und das Schwimm- und Badebeckenwasser gut gegen alle Viren, einschließlich Coronaviren, geschützt ist.“
Die meisten Kinder lernen das Schwimmen im Schwimmunterricht oder in Anfängerkursen – wie hier in Cottbus .© DLRG
Schwimmunterricht in der Schule
Normalerweise lernt ein Großteil der Kinder in Deutschland das Schwimmen in der Grundschule. In allen Bundesländern ist das Schulschwimmen Teil des Lehrplans in der Primarstufe. Sachsen gilt als besonders vorbildlich, da der Schwimmunterricht hier bereits in Klasse 2 verpflichtend stattfindet, viele Bundesländer starten erst in Klasse 3 oder noch später. In Brandenburg können die Schulen selbst entscheiden, in welcher Klassenstufe die Schüler schwimmen lernen, allerdings sollte der Schwimmunterricht in Klasse 4 abgeschlossen sein. In Ausnahmefällen kann das Schwimmen auch noch in Klasse 5 und 6 erlernt werden. Zudem ist in Klasse 7 erneut Schwimmunterricht vorgesehen, dann aber nicht im gesamten Schuljahr, sondern nur über 15 Stunden.
Die Kosten für den Schwimmunterricht inklusive der eventuell entstehenden Transportkosten zur Schwimmhalle übernimmt der Schulträger, für die Kinder und Eltern ist der Schwimmunterricht kostenfrei. Ziel ist, dass die Kinder sichere Schwimmer werden und mindestens eine Schwimmart gut beherrschen. Der Schwimmunterricht findet in Schwimmbädern statt, viele von ihnen sind als Schulschwimmzentrum anerkannt. Damit sichern die Bildungsministerien eine hohe Qualität der Schwimmausbildung durch qualifizierte Lehrer und weniger Ausfall ab. In Südbrandenburg wird die Zahl der Schulschwimmzentren weiter ausgebaut.
Schulschwimmzentren in der Lausitz: Hoyerswerda, Bautzen, Schirgiswalde-Kirschau, Kamenz, Löbau, Rothenburg, Weißwasser, Cottbus, Doberlug, Finsterwalde, Spremberg, Eisenhüttenstadt
Für manche Schule wird es zur Herausforderung, das nächstgelegene Bad zu erreichen. Lösungen sind hier beispielsweise Kompaktkurse im Freibad im Sommer. Alternativ findet der Schwimmunterricht bei langen Anfahrtszeiten nur alle zwei Wochen statt – dafür als Doppelstunde.
2020/21 sind viele Schwimmkurse ausgefallen, die DLRG in Cottbus will gemeinsam mit Partnern wie dem Stadtsportbund Cottbus im Sommer zusätzliche Kurse anbieten. Foto: DLRG Cottbus
Corona & die Folgen für das Schwimmenlernen
In Brandenburg sind nach Angaben des Bildungsministeriums etwa 260 Grundschulen – von insgesamt gut 400 – vom Ausfall des Schwimmunterrichts betroffen. Die Rückstände aus dem vergangenen Schuljahr konnten immerhin aufgeholt werden. So wurde jenen Schülern, die nach Schuljahresende noch als Nichtschwimmer galten, nach den Sommerferien Schwimmunterricht angeboten. „Bis zum November 2020 wurden alle diesbezüglichen Lernrückstände aufgeholt“, so eine Ministeriumssprecherin. Etwas schwieriger dürften die Rückstände aus diesem Schuljahr aufzuholen sein. Das Ministerium will in Kooperation mit dem Landessportbund und den Schwimmverbänden zusätzliche Kurse in den Sommerferien anbieten, die an die Förderstruktur von Schule und Sport angelehnt sind. Gleichwohl betont das Ministerium: „Die Lernrückstände im Schulschwimmen werden nicht kurzfristig aufzuholen sein, sodass auch im folgenden Schuljahr entsprechende Angebote unterbreitet werden sollen.“
In Sachsen stellt sich die Situation ähnlich dar. Für rund 10.000 Zweitklässler der Grund- und Förderschulen fand aufgrund der Corona-Pandemie im Schuljahr 2019/2020 kein oder nur teilweise Schwimmunterricht statt. Besonders stark betroffen sind etwa 2.000 Schüler, die fast gar keinen Schwimmunterricht hatten. Das Land hatte in Abstimmung mit den Schulen und Schwimmhallen bereits Ersatzkurse geplant, die allerdings durch die erneute Hallenschließung seit Anfang November 2020 ebenfalls nicht stattfinden konnten. Wie viele Schüler im aktuellen Schuljahr vom Ausfall betroffen sind, dazu kann das Ministerium noch keine Angaben machen. Dieser Jahrgang dürfte aber ungleich schwerer getroffen sein, da die Schwimmhallen bereits wenige Wochen nach Schuljahresbeginn geschlossen wurden und noch kein Ende der Schließzeit absehbar ist. Das Ministerium sucht für alle betroffenen Schüler nach Lösungen, um den Ausfall nachzuholen: „Wir stehen hier im engen Kontakt mit den schwimmsportbetreibenden Verbänden, Kommunen und weiteren Akteuren. Wir ziehen hier an einem Strang, wenn es um das Nachholen der Kurse geht. Wir bleiben hier am Ball, denn Schwimmunterricht ist wichtig und rettet Leben.“
Die Option, die Schwimmbäder wenigstens für den Schwimmunterricht zu öffnen, kommt derzeit weder für Sachsen noch für Brandenburg in Frage. Hier wäre im Sinne der Kinder mehr Flexibilität und Mut zu wünschen. Immerhin gelten Schwimmbäder – wie oben dargestellt, als vergleichsweise sicher. Zudem findet der Schwimmunterricht in jenem Klassenverband statt, in dem sich die Kinder ohnehin in der Schule sehen. Das zusätzliche Risiko einer Ansteckung durch Schwimmunterricht dürfte also zu vernachlässigen sein. Dem gegenüber steht das ungleich höhere Risiko, das Schuljahr mit tausenden von Nichtschimmern abzuschließen.
Cottbuser Initiative mit Modellcharakter
Aktuell bemühen sich Schwimmvereine und -verbände um die Organisation von zusätzlichen Schwimmkursen in den Sommerferien. So hat die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft ihre Ortgruppen und Regionalverbände aufgerufen, wo immer möglich zusätzliche Kapazitäten zu schaffen. Wir wollen beispielhaft eine Initiative aus der Region vorstellen, die Vorbildcharakter für andere Kommunen haben könnte und die jetzt auf Unterstützung angewiesen ist.
Bereits Ende vergangenen Jahres hat der Stadtsportbund Cottbus gemeinsam mit weiteren Partnern das Aktionsbündnis „Jedes Kind soll Schwimmen können“ aus der Taufe gehoben. Ziel ist es, dass am Ende der Grundschulzeit jedes Cottbuser Kind sicher schwimmen kann. In Cottbus will man durch die Einbindung von ehemaligen und aktuellen Schwimmtrainern an den Grundschulen sowie einer Traineroffensive bei Eltern und Großeltern schnellstmöglich Abhilfe schaffen und so möglichst viele zusätzliche Kurse in den Sommerferien organisieren. „Es fehlen Cottbuser, die Kindern Schwimmen beibringen können. Wir brauchen neben der sofortigen Aufhebung des Sportverbots im Freien endlich Öffnungsstrategien für die Schwimmhallen und Turnhallen. Die Zeit ist überfällig. Wir stehen bereit und in den Startlöchern“ so Stadtsportbund-Geschäftsführer Tobias Schick im Aufruf an freiwillige Helfer, sich in den Sommerferien bereit zu halten. Zugleich braucht das Bündnis dringend Unterstützung von der Politik. Bund und Land sind jetzt gefragt, nicht länger nur mit Verboten und Einschränkungen zu arbeiten, sondern taugliche und sichere Konzepte zu erarbeiten, die den Kindern endlich wieder regelmäßige Bewegung mit Gleichaltrigen ermöglichen. „Das Ausfallen des Sportunterrichts, die Untersagung des Vereinssports und die Bewegungsarmut in der Corona Pandemie über die letzten Monate können wir bereits bei unseren Jüngsten und uns selbst wahrnehmen. Alle werden dicker und träger. Das andauernde Sportverbot verschärft die Situation zunehmend und der Sport im Freien muss endlich wieder gestattet werden“, so Tobias Schick in seinem Appell.
Helfen Sie Kindern beim Schwimmen lernen!
Für die Sommerkurse sucht die DLRG in Cottbus noch Unterstützer
Interview mit Dario Lembcke, Technischer Leiter Ausbildung, DLRG Stadtverband Cottbus, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!:
Wie stellt sich aktuell die Situation für den DLRG Stadtverband Cottbus dar?
Normalerweise bieten wir pro Jahr zwei Anfängerkurse für die Schwimmausbildung an, einen im Frühjahr und einen im Herbst. 2020 mussten wir den Frühjahrskurs unterbrechen, konnten ihn aber im Herbst beenden. Den Herbstkurs mussten wir im November unterbrechen und konnten ihn bis heute nicht fortsetzen. Der Frühjahrskurs 2021 konnte ebenfalls nicht stattfinden. Die Ausbildung unserer Rettungsschwimmer kann aktuell ebenfalls nicht stattfinden.
Also ist es derzeit vermutlich schwierig für Eltern, an einen Kursplatz zu kommen?
Unsere Kinderschwimmgruppen und Schwimmlernkurse sind allesamt auf Jahre ausgebucht, das war schon vor Corona so. Um den jetzt entstandenen Stau wenigstens etwas abzufedern, möchten wir im Sommer zusätzliche Kurse anbieten. Dafür brauchen wir einerseits zusätzliche Bahnen im Schwimmbad Lagune. Aber vor allen Dingen brauchen wir jetzt engagierte Helfer, die uns bei der Ausbildung und anderen Aktivitäten unterstützen.
Wofür genau brauchen Sie Unterstützung?
Kurzfristig suchen wir Helfer, die unseren Stadtverband bei der Absicherung der Schwimmkurse unterstützen, also die Kinder am Beckenrand betreuen und bei der Organisation rund um die Schwimmkurse helfen. Da kann uns im Grunde jeder helfen, einzige Voraussetzung: Man sollte Freude daran haben, Kinder beim Schwimmenlernen zu unterstützen. Alles weitere ergibt sich dann im Laufe der Tätigkeit selbst, da gilt: Learning by doing. Darüber hinaus bieten wir auch die Möglichkeit, sich als Rettungsschwimmer, Ausbildungsassistent und Ausbilder weiterzubilden
Wieviel Zeitaufwand sollten Helfer dafür einplanen?
Unsere Anfängerkurse finden ein Mal wöchentlich statt und dauern in der Regel 14 Wochen. Pro Woche sollte man anderthalb bis zwei Stunden einplanen. Wer nach der Begleitung eines Kurses Lust auf mehr hat, der kann sich gern langfristig als Mitglied bei uns engagieren. Die Mitarbeit bei der DLRG rettet nicht nur Leben, sie macht auch unheimlich viel Spaß.
Wenn Kinder von Beginn an mit dem Wasser vertraut sind, haben sie mehr Spaß am Schwimmen lernen. Foto: DLRG
Von Babyschwimmen bis Vereinsschwimmen
Bis Anfang 2020 galt also, dass im Idealfall alle Kinder am Ende der Grundschulzeit halbwegs sicher schwimmen können. In der Praxis beenden etwa 90 Prozent der Schüler den Schwimmunterricht mit dem Seepferdchen. Das Schwimmabzeichen Bronze, mit dem man als sicherer Schwimmer gilt, haben zum Ende der Grundschulzeit 50 bis 70 Prozent der Kinder. Ohnehin ist das Alter von 9 bis 10 Jahren relativ spät, um das Schwimmen zu erlernen.
Umso wichtiger ist es, dass Kinder frühzeitig Schwimmen lernen. Als gutes Einstiegsalter gilt die Vorschule. In der Regel sind Kinder mit 5 Jahren fit für den Seepferdchenkurs. Teilweise werden solche Kurse über Kindergärten organisiert und angeboten. Das ermöglicht den Kindern, das Schwimmen in der gewohnten Kindergruppe zu erlernen und erspart den Eltern den logistischen Aufwand aus Bringen, Holen und ggf. Begleiten. Das ist aber nicht die Regel. Daher müssen Eltern, die nicht bis zum Schwimmunterricht in der Grundschule warten wollen, selbst aktiv werden. Erste Ansprechpartner vor Ort sind, die Schwimmhallen und Schwimmsportvereine. Sie bieten Schwimmkurse für alle Altersklassen an. Es lohnt sich, auch bei Rehasport-Vereinen nachzufragen, die oft über Beckenkapazitäten verfügen. Die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft DLRG und die Wasserwacht des DRK organisieren ebenfalls Schwimmkurse, hier kann man sich über die Homepage informieren. Manche Vereine bieten Wasserkurse vom Babyschwimmen bis zum Goldabzeichen an. Dabei sollten Eltern wissen, dass das Babyschwimmen kein Schwimmlernkurs ist. Hier stehen die Wassergewöhnung und das gemeinsame Miteinander von Baby und Eltern im Fokus. Das frühzeitige Gewöhnen ans Wasser ist ohnehin die beste Voraussetzung für das Schwimmen lernen. Familien sollten also den Nachwuchs von Beginn an mit an den See oder ins Schwimmbad nehmen und dort mit ihm planschen, damit er erst gar keine Angst vor dem Wasser entwickelt. Kinder, die sich vor dem Untertauchen scheuen, können das gut zu Hause unter der Dusche oder in der Wanne üben. Wer das gezielt mit dem Nachwuchs trainiert, sollte darauf achten, dass die Kinder die Augen unter Wasser öffnen und die Nase nicht zuhalten. Auch das Ausatmen unter Wasser kann in der Badewanne gut geübt werden.
Ob die Eltern beim Schwimmkurs selbst mit dabei sind, wird unterschiedlich gehandhabt. Teilweise ist bereits durch den Anbieter vorgegeben, ob die Eltern ins Wasser sollen, am Beckenrand bleiben dürfen oder sich ganz zurückziehen sollen. Generell gilt: Je jünger die Kinder, desto eher werden die Eltern im oder am Wasser dabei sein. Am Ende wird die Entscheidung darüber aber von den persönlichen Bedürfnissen des Kindes und den Angeboten vor Ort abhängen.
Schwimmen lernen in der Pandemie?
Derzeit allerdings ruhen alle Schwimmvereine, von wenigen Leistungssportlern abgesehen. Training findet höchstens im Trockenen und meistens nur digital statt. Auch Eltern haben aktuell fast keine Chance, mit ihren Kindern schwimmen zu lernen oder die vorhandenen Schwimmfertigkeiten zu festigen. Fast alle Schwimmhallen sind geschlossen, die meisten bereits seit November. Wer also nicht über einen privaten überdachten Pool verfügt, muss sich gedulden, bis die Schwimmbäder wieder geöffnet werden oder das Wetter das Baden im Freien erlaubt.
Es gibt jedoch einige Vereine und Kursanbieter, die Onlinekurse und Trockenübungen für Schwimmanfänger anbieten. Dort werden Grundlagen und Bewegungsmuster via Bildschirm vermittelt. Die DLRG hat auf ihrem YouTube-Kanal eine Playlist „Schwimmen lernen“ mit kurzen Videos zum Thema veröffentlicht. Sinnvoll für Eltern sind besonders die Clips zur Wassergewöhnung in der Badewanne und zur Vermittlung der Baderegeln.
Online-Kurse können besonders für jene Eltern sinnvoll sein, die nicht auf einen Platz im nächsten Schwimmkurs warten können oder wollen. Sie können selbst zum Schwimmlehrer für das eigene Kind werden. Das notwendige Wissen dafür kann man sich sehr gut online vermitteln lassen – auch jetzt schon in Vorbereitung auf die hoffentlich bald startende Freibadsaison.
Schwimmbretter sind bei Kindern ein beliebtes Wasser-spielzeug und werden in Seepferdchenkursen gern als Unterstützung genutzt. Foto: Foto Michael Siepmann, © DLRG
Schwimmhilfen: Flügel oder Gürtel?
Solange der Nachwuchs noch nicht schwimmen kann, sollte er – erstens – nur beaufsichtigt am und im Wasser spielen. Zweitens ist eine Schwimmhilfe zu empfehlen. Aber: Diese bietet keine 100-prozentige Sicherheit! Daher müssen auch Kinder mit Schwimmhilfe immer beaufsichtigt werden, solange sie nicht sicher schwimmen können. Gleichwohl bieten Schwimmhilfen den Eltern ein sicheres Gefühl und ermöglichen den kleinen Wasserratten, sich frühzeitig ans Wasser zu gewöhnen. Der Klassiker sind die Schwimmflügel, die über die Oberarme gezogen und dann aufgepustet werden. Eltern sollten darauf achten, dass jeder Schwimmflügel über zwei getrennte Luftkammern verfügt. Öffnet sich versehentlich ein Verschluss und Luft entweicht, bietet die zweite Luftkammer noch gewisse Sicherheit.
Nach einem ähnlichen Prinzip funktionieren Schwimmscheiben. Hier sorgt fester Schaumstoff für Auftrieb. Der Vorteil: Die Zahl der Schwimmscheiben pro Arm kann je nach Bedarf angepasst werden. Ängstlichen Schwimmanfängern kann eine solche Schwimmscheibe anfangs noch zusätzliche Sicherheit bieten. Der Nachteile dieser Schwimmhilfen: Sie schränken die natürliche Beweglichkeit der Kinder ein, gerade dann, wenn es darum geht, die richtigen Schwimmbewegungen zu erlernen.
Alternativ zu Schwimmhilfen für den Arm gibt es Schwimmgürtel, die ebenfalls aus festem Schaumstoff bestehen und um den Bauch des Kindes befestigt werden. Auch sie haben den Vorteil, dass je nach Fertigkeit des Kindes einzelne Schaumstoffblöcke entfernt werden können. Zudem gibt es noch aufblasbare Schwimmwesten und Schwimmkissen aus Baumwolle. All diese Modelle schränken die Beweglichkeit weniger ein als Schwimmhilfen für den Arm.
Von Schwimmsitzen oder Schwimmreifen raten Experten dringend ab. Hier kann es leicht passieren, dass das Kind runterrutscht oder umgekippt und dann untertaucht. Zudem schränken sie die Bewegungsfähigkeit der Kleinen ein. Eine Wassergewöhnung mit natürlichen Bewegungsabläufen ist darin kaum möglich.
Ganz gleich, für welches Modell sich Eltern entscheiden: Achten Sie darauf, dass es mit der EU-Norm EN 13138 bezeichnet ist. Dann ist es laut TÜV eine geprüfte Schwimmhilfe und nicht nur ein Wasserspielzeug. Da Schwimmhilfen fast immer aus Plastik bestehen und Weichmacher enthalten können, sollte man sich vorab über die Inhaltsstoffe informieren, beispielsweise über Ökotest oder wenigstens den Geruchstest. Von Schwimmhilfen, die stark nach Chemie riechen, sollte man besser die Finger lassen.
Wer seine Schwimmhilfe im Fachhandel und Einzelhandel kauft, kann davon ausgehen, dass diese geprüft wurde. Vorsicht ist bei Schwimmhilfen geboten, die am Strand oder im Ausland gekauft werden. Also am besten schon vor dem Urlaub einkaufen. Außerdem sollten Eltern beim Kauf auf die passenden Größen- bzw. Gewichtsangaben achten.
Schwimm- bzw. Poolnudeln, Luftmatratzen, Schwimmringe und Schwimmbretter sind keine geeigneten Schwimmhilfen. Sie gelten als Wasserspielzeug und sollten nur von sicheren Schwimmern oder unter Aufsicht benutzt werden. Da sie nicht direkt am Körper befestigt werden, können Kinder leicht unter Wasser rutschen.
Rückenschwimmen mit Hilfsmittel – nach dem Schwimmkurs sollte es auch ohne Schwimmbrett klappen. Foto: DLRG
Brust oder Kraul? Die Schwimmarten
In Deutschland erlernen die meisten Kinder als erstes Brustschwimmen. In vielen anderen Ländern starten Schwimmanfänger mit dem Kraulen, auch Freistil genannt. Dieser gilt als einfacher zu erlernen, da er eher unseren natürlichen Bewegungsabläufen entspricht. Wir stellen die unterschiedlichen Schwimmtechniken mit ihren Vor- und Nachteilen vor. Offizielle Empfehlungen für eine Anfänger-Schwimmart gibt es nicht. Ein sicherer Schwimmer beherrscht mindestens zwei Schwimmarten – das ist Grundvoraussetzung für das Schwimmabzeichen Bronze.
Brustschwimmen
Deutschland ist Brustschwimmerland. Etwa 80 bis 90 Prozent der Kinder, die ihr Seepferdchen ablegen, erlernen zunächst das Brustschwimmen. Das ist insofern erstaunlich, da die dafür erforderlichen Bewegungsabläufe recht komplex sind und eine gewisse Koordination brauchen. Die Gefahr dabei: Wenn Kinder die Technik unsauber erlernen, prägen sich die falschen Bewegungsabläufe ein und behalten sie unter Umständen bis ins Erwachsenenalter bei. Die Kinder erlernen das Brustschwimmen meist mit dem Kopf über Wasser. Das hat den großen Vorteil, dass sie die Anweisungen des Schwimmlehrers am Beckenrand jeder Zeit hören können. Vermutlich ist das auch ein Grund, warum das Brustschwimmen bis heute so beliebt ist für das Schwimmenlernen. Das ständige über-Wasser-Halten des Kopfes hat zudem den Vorteil, dass auch Kinder, die Angst vor dem Untertauchen haben, leichter zu motivieren sind. Allerdings belastet diese Kopfhaltung mit der Zeit die Nackenmuskulatur und Halswirbelsäule einseitig. Profis nehmen beim Brustschwimmen den Kopf unter Wasser und tauchen nur kurz zum Luftholen auf.
Kraulen/ Freistil
In englischsprachigen Ländern wie den USA und Australien erlernen die Kinder zunächst das Kraulen, auch Freistil genannt. Für sie ist diese Schwimmart meist einfacher und schneller zu erlernen, was frühzeitig erste Erfolgserlebnisse garantiert. Die Kreuzbewegung von Armen und Beinen entspricht dem natürlichen Bewegungsmuster des Menschen – sowohl das Krabbeln im Kleinkindalter als auch später das Laufen und Radfahren setzen ähnliche Bewegungen voraus. Für Kinder anfangs vielleicht etwas schwierig ist die richtige Atmung: Ausgeatmet wird unter Wasser, zum Einatmen wird der Kopf seitwärts aus dem Wasser gedreht, das muss zugleich mit der Armbewegung koordiniert werden. Das erschwert Kindern zunächst die Orientierung im Wasser. Im Schwimmsport ist Kraulen die wichtigste Schwimmtechnik, da man mit ihr am schnellsten vorwärts kommt. Für Profis ist sie daher die Königsdisziplin.
Rückenschwimmen
Gerade für jüngere Kinder ist sie als Einstieg eher ungeeignet. Zum einen verlieren sie auf dem Rücken liegend schnell die Orientierung im Wasser, die Gefahr für einen Zusammenprall mit anderen Schwimmern oder dem Beckenrand steigt. Zum anderen tun sich jüngere Kinder schwer damit, sich flach auf dem Rücken ins Wasser zu legen. Den natürlichen Auftrieb im Wasser können sie noch nicht für sich nutzen. Stattdessen versuchen sie, sich hinzusetzen, um den Kopf über Wasser zu halten und rutschen quasi mit dem Po nach unten. Hat man die Schwimmart, die vom Bewegungsablauf dem Kraulen ähnelt, erst einmal erlernt, bringt sie mehrere Vorteile mit: Die Atmung ist hier sehr einfach, da der Kopf immer über Wasser ist. Zugleich ist die Rückenlage für Muskulatur, Wirbelsäule und Gelenke sehr schonend. Das Rückenschwimmen strengt durch den natürlichen Auftrieb weniger an und dient guten Schwimmern als Erholungsphase im Wasser.
Delfin/ Schmetterling
Diese Schwimmart nehmen wir nur der Vollständigkeit halber mit auf. Zum Schwimmenlernen ist sie aufgrund ihrer Komplexität und des hohen Kraftaufwands ungeeignet. In der Regel ist das Delfinschwimmen (ehemals Schmetterling) dem Profisport vorbehalten, im Breitensport spielt es kaum eine Rolle. Bei Wettkämpfen wird die Technik gern kurz nach dem Start oder dem Wenden genutzt, da sie für kurze Zeit hohes Tempo ermöglicht.
Das Seepferdchen-Abzeichen ist für viele Kinder ein persönlicher Meilenstein. Foto: DLRG
Von Seepferdchen bis Gold: Die Schwimmabzeichen im Überblick
In Deutschland gibt es seit vergangenem Jahr noch vier offizielle Schwimmabzeichen, die Auskunft darüber geben, welche Schwimmfertigkeiten beherrscht werden. Bis Ende 2019 gab es noch ein Jugendschwimmabzeichen, seit Anfang 2020 wird nur noch in vier Stufen unterschieden – unabhängig vom Alter. Darüber hinaus bieten einige Bäder und Vereine noch das Ablegen inoffizieller Schwimmstufen wie Seeräuber oder Seepirat an. Die dienen aber eher der Motivation der Kinder, beim Schwimmen lernen dran zu bleiben, einheitliche Kriterien liegen ihnen nicht zu Grunde.
Seepferdchen / Frühschwimmer
Wer das Seepferdchen haben möchte, der muss nach einem Sprung vom Beckenrand 25 Meter in einer Schwimmart wie Brust oder Kraul schwimmen und einen Gegenstand aus schultertiefem Wasser hochholen können. Zudem sollten die Kinder die wichtigsten Baderegeln kennen. Ganz wichtig: Wer die Seepferdchen-Prüfung absolviert hat, ist kein sicherer Schwimmer. Das gilt erst mit dem Freischwimmer-Abzeichen.
Deutsches Schwimmabzeichen Bronze / Freischwimmer
Den Freischwimmer bzw. das Schwimmabzeichen in Bronze erhält, wer die Baderegeln kennt und folgende Prüfungsleistungen im Wasser ablegen kann: Einen Gegenstand tauchend aus 2 Meter Wassertiefe hervorholen. Vom Startblock oder 1-Meter-Brett ins Becken springen. Vom Beckenrand kopfwärts ins Wasser springen und innerhalb von 15 Minuten mindestens 200 Meter schwimmend zurücklegen, davon 150 Meter in einer Schwimmart und 50 Meter in einer weiteren Schwimmart, wobei während des Schwimmens von Bauch- in Rückenlage gewechselt werden soll oder umgekehrt. Erst wenn Kinder dies beherrschen, gelten sie als sichere Schwimmer und können auch unbeaufsichtigt im Wasser bleiben.
Deutsches Schwimmabzeichen Silber
Für das Abzeichen in Silber muss man neben den Baderegeln auch das richtige Verhalten zur Selbstrettung beherrschen. Im Wasser muss man 20 Minuten am Stück schwimmen, nachdem man kopfwärts vom Beckenrand ins Wasser gesprungen ist. In dieser Zeit sind mindestens 400 Meter zurückzulegen, davon 300 m in Bauch- oder Rückenlage in einer Schwimmart und 100 m in der anderen Körperlage, der Wechsel erfolgt während des Schwimmens. Zudem muss man 10 Meter Streckentauchen mit Abstoßen vom Beckenrand im Wasser und zwei Mal einen Gegenstand aus etwa zwei Meter tiefem Wasser hochholen. Zudem muss man vom 3-Meter-Brett springen oder zwei verschiedene Sprünge aus 1 Meter Höhe absolvieren.
Deutsches Schwimmabzeichen Gold
Für das höchste Schwimmabzeichen muss man neben den Baderegeln und dem Wissen zur Selbstrettung auch wissen, wie man andere Personen aus dem Wasser rettet. Nach dem Sprung kopfwärts vom Beckenrand sind innerhalb von 30 Minuten mindestens 800 Meter zurückzulegen, davon 650 Meter in einer Schwimmart, 150 Meter in einer weiteren. Auch hier muss während des Schwimmens die Körperlage gewechselt werden. Weitere Prüfungsinhalte sind: Startsprung und 25 Meter Kraulschwimmen, 50 Meter Rückenschwimmen mit Grätschschwung ohne Armtätigkeit oder Rückenkraulschwimmen, 10 Meter Streckentauchen aus der Schwimmlage heraus ohne Abstoßen vom Beckenrand, innerhalb von drei Minuten drei Mal einen Gegenstand aus zwei Meter tiefem Wasser holen. Ein Sprung aus drei Meter Höhe oder zwei verschiedene Sprünge aus ein Meter Höhe. 50 Meter Brustschwimmen nach Startsprung in höchstens 1:15 Minuten und 50 Meter Transportschwimmen, wobei ein schwerer Gegenstand geschoben oder gezogen werden muss.
Typische Fehler im Wasser
Es gibt ein paar Mythen rund ums Schwimmen und Planschen, die noch immer verbreitet sind. Daher wollen wir an dieser Stelle über typische und teils gefährliche Irrtümer aufklären:
Irrtum 1: Kinder rufen im Wasser um Hilfe, wenn sie untergehen
Das tückische an Badeunfällen mit Kindern ist, dass sie leise ertrinken. Während ältere Kinder und Erwachsene anfangen, im Wasser zu strampeln oder um Hilfe rufen, wenn sie unterzugehen drohen, gehen Kleinkinder aufgrund ihrer spezifischen Gewichtsverteilung leise unter. Sobald der Kopf unter Wasser gerät, können sie ihn nicht mehr allein heben und sinken wie ein Stein zu Boden. Deswegen passiert es leider auch jedes Jahr wieder, dass Kinder in vollen und bewachten Schwimmbädern unbemerkt untergehen und ertrinken. Daher ist es so wichtig, dass Eltern ihre Kinder am Wasser immer im Blick behalten.
Irrtum 2: Mit dem Seepferdchen kann mein Kind sicher schwimmen
Es ist ein Irrglaube vieler Eltern, dass sie sich entspannt zurücklehnen können, sobald das Kind erfolgreich am Seepferdchen-Kurs teilgenommen hat. Kinder mit Seepferdchen können sich eine Weile über Wasser halten, sind aber keine sicheren Schwimmer. Laut DLRG gelten Kinder dann als wassersicher, wenn sie sich unter und über Wasser gleichermaßen gut zurechtfinden, wenn sie mindestens 15 Minuten im tiefen Wasser schwimmen können, wenn sie in Bauch- und Rückenlage schwimmen können, wenn sie mehrere Sprünge beherrschen und nicht anhalten müssen, wenn sie versehentlich Wasser schlucken.
Irrtum 3: Schwimmen kann man nicht verlernen
Fürs Schwimmen gilt das gleiche wie fürs Radfahren: Wenn man es einmal beherrscht, verlernt man es nicht mehr. Das stimmt – allerdings erst dann, wenn man beides sicher beherrscht. Im Umkehrschluss heißt das: Nach dem absolvierten Seepferdchen-Kurs müssen Eltern unbedingt dran bleiben und mit dem Kind oft und regelmäßig schwimmen gehen. Die frisch erlernten Schwimmfertigkeiten müssen erst noch gefestigt und ausgebaut werden, bevor sie sprichwörtlich in Mark und Bein übergehen. Ideal ist es daher, den Seepferdchen-Kurs im Frühjahr zu absolvieren, dann ist den ganzen Sommer Gelegenheit zum Üben.
Irrtum 4: Beim Untertauchen sollte man die Nase zuhalten
Viele Kinder halten sich automatisch die Nase zu, wenn sie im Schwimmbad, im Meer oder auch in der Badewanne unter Wasser tauchen. Eltern sollten versuchen, Kindern dies behutsam abzugewöhnen. Denn damit ein Kind sicher im und unter Wasser schwimmen kann, braucht es beide Hände. Das gilt auch für den Sprung vom Beckenrand oder Turm. Es sollte daher möglichst früh lernen, durch die Nase auszuatmen. Ebenso wichtig ist es, das Tauchen mit offenen Augen einzuüben, damit die Kinder unter Wasser nicht die Orientierung verlieren. Bei empfindlichen Augen kann eine Taucherbrille helfen.
Irrtum 5: Beim Schwimmen muss der Kopf über Wasser bleiben
Eltern macht es manchmal Angst, wenn gerade bei jungen Kindern der Kopf plötzlich unter Wasser ist. Wenn Kinder aber sicher schwimmen können und gelernt haben, unter Wasser auszuatmen, ist es völlig legitim, beim Schwimmen und Tauchen den Kopf unter Wasser zu nehmen. Außer beim Rückenschwimmen lassen Profischwimmer den Kopf bei allen Schwimmarten die meiste Zeit unter Wasser und tauchen nur kurz zum Luft holen auf. Gerade jüngere Kinder, bei denen der Kopf im Vergleich zum Körpergewicht noch relativ schwer ist, haben oft Probleme, den Kopf so lange über Wasser zu halten.
Irrtum 6: Mit Schwimmhilfen lernt das Kind leichter schwimmen
Schwimmhilfen werden von Experten als Auftriebshilfe bezeichnet, damit sich Eltern nicht in falscher Sicherheit wiegen. Sie sorgen dafür, dass das Kind im Wasser stärkeren Auftrieb bekommt, erleichtern aber weder das Schwimmenlernen noch bieten sie 100-prozentigen Schutz vor dem Ertrinken. Das gilt ganz besonders für Luftmatratzen und Schwimmreifen.
Ausblick – Schwimmen lernen 2021
Unsere Kinder werden in der Pandemie allzu oft als Treiber dargestellt, als diejenigen, die über Kita und Schule Infektionen weitertragen. Mit Blick auf die zahlreichen Einschränkungen, die uns nun schon mehr als ein Jahr begleiten, sind die Kinder und Jugendlichen vor allem die Verlierer dieser Pandemie. Und ihnen fehlt offenbar eine Lobby in Berlin. Die jüngsten Beschlüsse mit der bundesweiten Notbremse machen das einmal mehr deutlich. Der Bereich des Schul- und Freizeitsports ist nur einer von vielen Aspekten, in denen Kinder zu den Leidtragenden gehören. Schaut man hier insbesondere auf das Schwimmenlernen, wird derzeit tausenden Kindern die Möglichkeit genommen, Schwimmen zu lernen – eine überlebenswichtige Fähigkeit. In vielen Vereinen waren die Schwimmkurse schon vor der Pandemie auf Jahre ausgebucht, die Wartelisten ellenlang. Corona verschärft dieses Problem weiter.
Der bevorstehende Sommer könnte uns die fatalen Folgen dieser fehlgeleiteten Politik bereits vor Augen führen. Schon im vergangenen August gab es deutlich mehr Badetote im Vergleich zum Vorjahresmonat. Diese Zahlen könnten sich in diesem Jahr nochmals erhöhen. Viele Menschen werden in der Heimat Urlaub machen, an den hiesigen Gewässern. Eine so wasserreiche Region wie die Lausitz wird einen regelrechten Ansturm an Gästen und Einheimischen erleben. Niemand von uns möchte dabei sein, wenn im Freibad oder am See ein Kind ertrinkt.
Daher schließen wir dieses Titelthema der lausebande mit einem dringenden Appell. Der eine richtet sich an die Entscheidungsträger in Berlin, Potsdam und Dresden: Die Familien wurden bei den Entscheidungen der vergangenen Monate viel zu oft vergessen. Umso wichtiger ist es, sie jetzt nicht erneut allein zu lassen, sondern mutige, kreative Lösungen zu suchen und umzusetzen. Das kann die Öffnung von Schwimmhallen zumindest für den Schwimmunterricht sein, das kann die politische und finanzielle Unterstützung von Initiativen wie der des Cottbuser Aktionsbündnisses sein, das muss langfristig ein klares Bekenntnis für den Erhalt und die Schaffung von Beckenkapazitäten sein. Unser zweiter Appell richtet sich an Eltern und Großeltern. Einerseits können Sie ganz konkret Vereine, Initiativen und Schwimmbäder bei Ihnen im Ort unterstützen. Für die Durchführung zusätzlicher Schwimmkurse braucht es engagierte Menschen, welche vor Ort als ehrenamtliche Helfer unterstützen. Auch finanzielle Spenden für die ehrenamtlichen Ausbilder können weiterhelfen. Zweitens – und das ist fast noch wichtiger – sollten Eltern am Wasser immer besonders aufmerksam sein. Behalten Sie Ihre Kinder stets im Blick. Lassen Sie sie nicht unbeaufsichtigt im Wasser spielen, so lange sie keine sicheren Schwimmer sind. Und haben Sie in vollen Freibädern und an gut besuchten Seen immer auch ein Auge auf andere Kinder. Wenn wir alle in diesem besonderen Jahr etwas aufmerksamer sind als üblich, dann kann das Leben retten. Freuen wir uns auf einen schönen, entspannten Sommer.
Raus ins Grüne
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Tipps für Abenteuer in Wald und Wiese
Selten war die Sehnsucht nach der Natur größer als in diesen Monaten. Der Wald, die Wiese, der Park werden zum Rückzugsort, an dem man Kraft tanken kann, sich weiterhin sicher und mit Abstand bewegen kann. Die Wochen des Lockdowns haben den Menschen gezeigt, dass auch die Natur tolle Möglichkeiten bietet, einen Tag zu gestalten, Zeit gemeinsam als Familie zu verbringen. Die Tage werden jetzt wieder wärmer. Grund genug für uns, in diesem Titelthema auf die Natur bei uns vor der Haustür zu blicken und Empfehlungen für spannende Ausflüge ins Grüne zu geben. Vorher aber machen wir einen kleinen Klimaexkurs: Wie geht es Wald und Wiese eigentlich?
Es blüht und brummt…
… leider immer weniger. Seit Jahren wird ein Insektensterben in erschreckenden Größenordnungen registriert. In vielen Gebieten ist sowohl die Zahl der Insektenarten als auch der Insekten selbst um bis zu 80 Prozent zurückgegangen. Das hat perspektivisch dramatische Folgen für die Umwelt und auch für uns Menschen, warnen Naturschutzverbände wie der NABU und der BUND. Die Insekten sind elementar für das Bestäuben zahlreicher Pflanzen und damit unserer Grundnahrungsmittel. Zudem finden die Vögel mit weniger Insekten nicht mehr ausreichend Nahrung. Das setzt sich in der Nahrungskette immer weiter fort. Die Gründe für das Insektensterben liegen vor allem in der von Monokulturen geprägten, intensiven Landwirtschaft und in der großflächigen Anwendung von Pestiziden. Die vernichten nicht nur vermeintlichen Schädlinge, sondern haben auch verheerende Auswirkungen auf viele Insekten.
Nach langem Ringen hat die Bundesregierung ein Verbot des als besonders schädlich geltenden Pflanzenschutzmittels Glyphosat ab 2024 beschlossen. Schon heute fördert Brandenburg mehr Pflanzenvielfalt an Ackerrändern: Bauern, die Blühstreifen anlegen, erhalten eine finanzielle Förderung von 700 Euro pro Hektar. Das Landwirtschaftsministerium stellt dafür bis zu sechs Millionen Euro jährlich zur Verfügung.
Ein weiterer Grund für das Schwächeln unseres Ökosystems ist die zunehmende Flächenversiegelung. Nach Angaben des Umweltbundesamtes sind in Deutschland aktuell 6,5 Prozent der Gesamtfläche versiegelt. Das klingt nicht viel, wird aber stetig mehr – im Schnitt 178 Quadratkilometer pro Jahr. Das ist etwas mehr als die Fläche der Stadt Cottbus! Ein Hauptgrund dafür liegt im Bau neuer Straßen, mit 50 bis 70 Prozent Anteil weisen Verkehrsflächen den höchsten Anteil an versiegelten Böden aus. Doch auch der Trend zum Eigenheim verstärkt die Versiegelung. Jedes neu gebaute Haus versiegelt wieder Fläche – in der Regel Grün- und Brachland.
Familien können schon mit kleinen Maßnahmen großes bewirken: Wer einen Garten hat, sollte diesen möglichst naturnah gestalten: selten Rasenmähen, Insektenhotels und Totholzecken einrichten, Wassertränken für Vögel und Insekten aufstellen, Verbuschung und offenen Boden als Nistmöglichkeit lassen, torffreie Blumenerde nutzen. Solche Blumen und Kräuter anpflanzen, auf die Insekten fliegen. Das gilt auch für den Balkon: Die Klassiker wie Geranie mögen schön aussehen, sind aber bei Bienen und Co. unbeliebt. Besser sind Kräuter (Blüten stehen lassen!), Erdbeeren, Bienenfreund/ Phacelia, Hornklee, Wilder Dost, Astern, Sonnenblumen, Malven, Goldkosmos, Goldlack, Fächerblume, Kapuzinerkresse, Verbene, Männertreu, Wandelröschen, Löwenmäulchen, Lavendel. Im Handel findet man mittlerweile auch bienen- und schmetterlingsfreundliche Samenmischungen.
Mit der Zählaktion „Insektensommer“ macht der NABU auf das leise Verschwinden von Käfern und Co. aufmerksam. Distelfalter, Marienkäfer und Steinhummel haben es bei der letzten Zählung im Sommer 2020 in die Top 100 geschafft. Foto: NABU/ Helge May.
Klimaretter Baum?
Ähnlich dramatisch wie auf Wiesen und Äckern sieht die Situation in den Wäldern aus. Knapp ein Drittel der Fläche Deutschlands sind von Wald bedeckt. Diesen Schatz sollten wir gut hüten, denn: Bäume tun dem Klima gut. Durch Fotosynthese wandelt jeder Baum täglich Kohlendioxid in Sauerstoff um. Damit deckt ein Baum im Schnitt den Sauerstoffbedarf von 20 Menschen. Der Wald in Deutschland nimmt von den jährlich hierzulande ausgestoßenen Treibhausgasen etwa 7 Prozent Kohlenstoff auf und bindet diesen im Holz. Bäume bieten Lebensraum für unzählige Tiere und Kleinstlebewesen, Wälder sind wichtige Wasserspeicher und -filter. Darüber hinaus haben Wälder eine wichtige Bedeutung als Erholungsraum und als Wirtschaftsfaktor. Doch diese für unser Ökosystem und unsere Wirtschaft so wichtigen Funktionen sind in Gefahr.
Mit einer Fläche von rund 11,4 Millionen Hektar bedeckt der Wald 32 Prozent der Fläche Deutschlands und speichert gegenwärtig etwa 1,2 Milliarden Tonnen Kohlenstoff.
Wald in Not: Klimastress für Bäume
Dem Wald geht es nicht gut. In Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern, werden seit etwa vier Jahren starke Waldschäden beobachtet. Experten sprechen von einem zweiten Waldsterben. Schon in den 1980er Jahren hatten hohe Schadstoffkonzentrationen zu einem Baumsterben geführt. Nun führen mehrere Faktoren dazu, dass unsere Wälder erneut leiden. Die Ursachen des aktuellen Waldsterbens sind vor allem klimatische Veränderungen. Dürre und Hitze schwächen die Bäume, was sie anfälliger für Stürme und andere Wetterextreme macht. Eine weitere Folge der extremen Trockenheit sind vermehrte Waldbrände und ein starker Borkenkäferbefall. Forstleute sprechen von der größten Plage seit dem Zweiten Weltkrieg. Auch andere Schädlinge und Pilze breiten sich schneller aus.
Eine zweite Ursache neben den klimatischen Veränderungen sind die Monokulturen. Die Forstwirtschaft hat zu lange den Fokus auf die Wirtschaft gelegt und schnell nachwachsende Fichten und Kiefern gepflanzt. Diese Monokulturen sind deutlich anfälliger als Mischwälder. 2019 lud Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner daher zum ersten Nationalen Waldgipfel. Dort wurden konkrete Maßnahmen festgelegt. Damit es dem Wald wieder besser geht, werden in Deutschland zwei Strategien verfolgt: Zum einen wird versucht, den Klimawandel zu verlangsamen. Die zweite Maßnahme betrifft den Wald selbst: Dieser soll so umgebaut werden, dass sich die Vielfalt der Baumarten erhöht und die Wälder nachhaltiger bewirtschaftet werden.
Insektenbefall – hier die Fraßspuren eines Borkenkäfers – war 2018 nach Sturmschäden die zweithäufigste Ursache für Schadholzeinschlag. Foto: FNR
Waldumbau: naturnahe, artenreiche Wälder
Im Grunde heißt das: zurück zu den Wurzeln! Bevor in Deutschland aus wirtschaftlichen Gründen Forstplantagen mit Monokulturen aus Nadelhölzern angebaut wurden, herrschte vielerorts ein Mischwald vor mit einem deutlich höheren Anteil an Laubwäldern. Solche naturnahen Mischwälder gelten aufgrund ihrer Artenvielfalt als weniger anfällig für Trockenschäden und Schädlinge. Experten empfehlen heimische, standortangepasste Baumarten zu bevorzugen. Nicht-heimische Baumarten, die vielleicht besser mit der Trockenheit zurechtkommen, sollten ebenfalls testweise angepflanzt werden. Zudem sollen die Wälder naturnäher werden. Das heißt beispielsweise, dass Totholz in größeren Mengen im Wald belassen wird als bisher. Denn auch abgestorbene Bäume dienen als Lebensraum und Wasserspeicher. Ziel der Bundesregierung ist, dass der Anteil an wilden Naturwäldern an der gesamten Waldfläche auf fünf Prozent steigt. Zudem will der Bund das Monitoring für Waldschäden verbessern und Forschung und Wissenschaft in diesem Bereich ausbauen. Für die Wiederaufforstung von 277.000 Hektar Waldfläche, die in den vergangenen Jahren zerstört wurden, stellt der Bund in den kommenden Jahren knapp 550 Millionen Euro bereit. Aktuell laufen in drei Regionen Deutschlands groß angelegte Testpflanzungen mit neuen Baumarten. Dabei wird getestet, ob Bäume, die in wärmeren Mittelmeerregionen heimisch sind, auch bei uns in Deutschland zurecht kommen. Bei der jüngsten Zwischenauswertung auf einer Waldfläche in Thüringen schnitten Traubeneichen, Orientbuchen und Libanonzedern gut ab, bei türkischen Tannen und Hemlocktannen gab es vereinzelt Probleme durch Frostschäden und Pilzbefall.
Der Waldumbau hat bereits begonnen – die Grafik zeigt, dass die künftige Waldgeneration einen deutlich höheren Anteil an Mischwald haben wird. Grafik: FNR 2019
Auch in der Lausitz hat der Waldumbau begonnen. Noch herrschen in der vergleichsweise reich bewaldeten Region Kiefern vor. Sie nehmen fast zwei Drittel der Waldfläche ein. Da sie aufgrund ihres schnellen Wuchses und geringen Nährstoffbedarfs sehr beliebt sind, wurden sie jahrelang in der Forstwirtschaft bevorzugt. Nun hat ein Umdenken eingesetzt, auch in der Lausitz geht der Trend hin zu widerstandsfähigeren Mischwäldern.
Darum tut Kindern Natur gut
Damit bleibt uns der Wald nicht nur in seinen so wichtigen Funktionen fürs Klima und für die Tierwelt erhalten, sondern auch als Ort der Erholung. Denn Wald und Wiese, das Draußensein in der Natur sind gerade für Kinder unheimlich wichtig. Kinder, die viel Zeit draußen verbringen, profitieren davon in vielerlei Hinsicht. Das bestätigen einerseits verschiedene Studien. Andererseits wissen das die meisten Familien aus ihrer täglichen Erfahrung. Wer Quarantäne-bedingt mehrere Tage nicht das Haus verlassen durfte, der weiß, wie wichtig Bewegung an der frischen Luft ist.
Nicht jeder hat ein Waldstück vor der Tür. Doch auch in der Stadt werden Parks und Wiesen zu grünen Oasen für die Kleinen.
Kinder haben einen sehr großen Bewegungsdrang, im Grundschulalter ist dieser besonders stark ausgeprägt. Neben dem Sportverein ist das Draußenspielen die beste Möglichkeit, diesem Bedürfnis nachzugehen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt, dass sich Kinder täglich mindestens eine Stunde intensiv bewegen sollten, im Idealfall zwei bis drei. Umfragen belegen regelmäßig, dass schon eine Stunde nicht einmal mehr die Hälfte aller Kinder ab dem Grundschulalter schafft. Dabei ist Bewegung für eine gesunde körperliche Entwicklung wichtig. Sie beugt Übergewicht vor, fördert das Knochenwachstum, stärkt das Immunsystem, wirkt präventiv gegen Haltungsschäden, führt zu besserer Fitness und Ausdauer und ist wichtig für die Motorik. Draußen lernen Kinder ihre Kraft und ihr Können einzuschätzen, beim Balancieren, Klettern springen, testen sie das aus, überwinden Ängste, verbessern sich, stärken ihre Selbstwahrnehmung und ihr Selbstbewusstsein. Ein Kind, das endlich auf den Baum gekommen ist, an dem es schon so oft gescheitert ist, wird ungemein stolz auf sich sein. Kinder erlernen im Draußenspiel am besten Risikokompetenz. Durch Ausprobieren lernen sie ihre körperlichen Fähigkeiten einzuschätzen: Kann ich von dieser Mauer springen oder ist sie hoch? Sie wägen ab und werden, wenn sie sich trauen, mit einen Erfolgserlebnis und Glückshormonen belohnt. Schlussendlich sind Kinder, die sich viel bewegen, in der Regel auch im Erwachsenenalter sportlicher.
Kinder, die viel Zeit draußen verbringen, fördern auch ihre Sehkraft. Als Hauptursache für die immer weiter zunehmende Kurzsichtigkeit gilt neben Vererbung zu wenig Tageslicht. Augen brauchen für ein gesundes Wachstum ausreichend Tageslicht. Kinder, die sich viel in Räumen aufhalten und dort auf Bildschirme oder auch Bücher schauen, werden eher kurzsichtig als Kinder, die viel draußen sind und beim Waldspaziergang den Blick in die Ferne schweifen lassen.
Wer viel draußen spielt, schult seine Sinne. Schon ein Spaziergang durch den Wald kann wirklich alle Sinne anregen: Das Zwitschern der Vögel, der Blick in die Baumwipfel, der Duft der Nadeln, der Geschmack der Waldheidelbeeren und das unterschiedliche Gefühl, wenn man über Rinde oder Moos streicht. Diese Vielfalt an Sinneseindrücken bietet kein Kinderzimmer. Im Übrigen ist in der Regel auch die Luft im Wald deutlich besser und gesünder als die Luft in den eigenen vier Wänden.
Bewegung an der frischen Luft macht ausgeglichener. Vermutlich kennen viele Familien das Gefühl, das gern unter dem Begriff „Lager-Koller“ zusammengefasst wird. Wenn die ganze Familie am Wochenende zu lange gemeinsam in den eigenen vier Wänden aufeinander hockt, dann droht der „Koller“ – ein gemeinsamer Spaziergang oder eine Runde Fußballspielen auf dem Hof helfen hier meist schon. Daher sind Kinder und Familien, die viel Zeit draußen verbringen, in der Regel ausgeglichener. Wald und Wiesen entschleunigen, sie haben eine beruhigende, ausgleichende Wirkung. Gleich einer Oase, fällt der Alltagsstress ab. Familien können das ganz leicht selbst testen: Beobachten Sie Ihre Kinder. Oft ist es so, dass sich Geschwister draußen seltener streiten als drinnen. Nicht von ungefähr gilt zu wenig Bewegung in der Natur als eine Ursache für Hyperaktivität von Kindern.
Das Draußenspiel fördert sehr viel stärker die kindliche Kreativität. Denn während im Kinderzimmer meist zahlreiche klassische Spielzeuge wie Puppen, Lego oder Brettspiele zur Verfügung stehen, die meist nach festen Schemata bespielt werden, braucht es für Naturmaterialien wie Stöcke, Steine und Baumstämme viel mehr Phantasie. So wird der lange Ast wahlweise zum Schwert, zum Zauberstab oder Kochlöffel, der Baumstamm zur Brücke über das tiefe Meer oder zum Versteck vor den Dinosauriern.
Foto: NABU, Clemens Karkow
Waldbaden: Bäume als Therapie?
Die Japaner gehen noch einen Schritt weiter: Sie schreiben dem Wald eine heilende Wirkung zu. Seit Anfang der 1980er-Jahre forciert das dortige Landwirtschaftsministerium das „Waldbaden“, auf Japanisch „Shinrin-Yoku“. Das bedeutet so viel, wie mit allen Sinnen in den Wald einzutauchen, die klare Luft, den Duft der Nadeln und Blätter, den weichen Boden und das diffuse Licht wahrzunehmen und aufzusaugen. Waldmedizin ist an japanischen Universitäten ein anerkanntes Forschungsgebiet, das Waldbad eine anerkannte Therapie, denn mehrere Studien belegen die gesundheitsfördernde Wirkung regelmäßiger, langer Spaziergänge durch den Wald: Puls und Blutdruck sinken, der Cortisolspiegel sinkt, im Blut steigt die Zahl natürlicher Killerzellen, das Immunsystem kommt also in Gang. Der Wald hat also nachweislich eine entschleunigende, beruhigende und gesundheitsstärkende Wirkung. Ein Grund dafür liegt darin, dass die Waldluft vergleichsweise reiner ist. Im Vergleich zur Stadtluft ist sie sehr viel sauberer, einige Baumarten geben zudem ätherische Stoffe ab, die ebenfalls positiv aufs Gemüt wirken.
Spielideen für Wald und Wiese
Mögen die eben beschriebenen Vorzüge des Erlebens in der Natur für Elternohren noch so toll klingen, Kinder lockt man damit nicht zwingend vom bequemen Sofa. Je älter sie sind, desto schwieriger wird es, sie zum Wiesenspaziergang oder zur Waldwanderung zu motivieren. Daher haben wir ein paar Anregungen zusammengestellt, die kleine Kinder ihre müden Füße vergessen lassen und große Kinder vielleicht doch vom Bildschirm weglocken.
Wald-Challenge: Kinder lieben es, sich zu messen. Hier kann man sehr einfach Wettkämpfe organisieren: Wer balanciert am schnellsten über den Baumstamm? Wer wirft den Tannzapfen am weitesten? Wer hüpft am weitesten? Zudem kann man vorab zu Hause eine Liste vorbereiten mit kleinen Aufgaben: Wer entdeckt zuerst ein Vogelnest, eine Tierspur, eine Vogelfeder… usw.? Dann wird unterwegs abgehakt.
Schatzsuche für Kleine: Kinder lieben es, kleine Schätze zu suchen. Hier haben Eltern verschiedene Möglichkeiten. Sie können eine kleine Schnitzeljagd im Wald vorbereiten und einen Schatz verstecken. Als Hinweise können neben zu Hause vorbereiteten Zetteln auch Pfeile aus Stöckern oder Steinen dienen. Alternativ kann man einen Pappkarton oder Eierkarton mitnehmen und die Kinder sammeln dort ihre Schätze vom Wegesrand. Man kann auch vorab festlegen: Jeder sammelt drei harte Dinge, drei weiche, drei grüne und drei kleine.
Schatzsuche für Große: Für größere Kinder ab etwa Klasse 3 ist Geocaching die spannendere Variante. Für die Schnitzeljadg anhand von GPS-Koordinaten braucht man das Smartphone als Wegweiser. Wer den Schatz, den Cache findet, kann sich in einer Art Logbuch eintragen und die kleine Überraschung aus dem Cache gegen eine neue eintauschen – für die nächsten Schatzsucher. Die bekanntesten Seiten sind www.geocaching.com – hier gibt es auch die passende App für die Schatzjagd – und www.opencaching.de.
Naturgeräusche erkennen: Das Spiel eignet sich besonders für Kinder im Grundschulalter und schult die Wahrnehmung. Alle setzen sich auf den Boden oder einen Baumstumpf und schließen für zwei bis fünf Minuten die Augen, um sich nur auf die Geräusche zu konzentrieren, die ringsum zu hören sind. Anschließend tauscht man sich darüber aus, was man gehört hat. Entweder, indem die Kinder davon erzählen oder es aufmalen oder aufschreiben.
Wald- und Wiesen-Bingo: Auf einem weißen A-4-Papier werden mehrere Dinge aufgeschrieben oder gemalt, die man bei einem Spaziergang durch Wald und Wiese entdecken kann. Das können zum Beispiel sein: Vogel, Pilz, Blume, Spinne, Käfer, Stock, Eichel, Beere, Wegemarkierung Wanderweg, Schnecke, Raupe, Fußspur, Tierspur. Jedes Kind bekommt eine Liste bzw. eine Bildertafel mit diesen Dingen. Alles was man entdeckt, kann angekreuzt werden. Wer zuerst eine bestimmte Anzahl gefunden hat, hat gewonnen.
Stock-Mikado: Die Kinder sammeln mehrere Stöcke unterschiedlicher Größe. Dann werden diese wie beim Mikado auf einen Haufen geworfen und die Kinder versuchen nacheinander, einen Stock hochzuheben, ohne dass die anderen wackeln. Sonst ist das nächste Kind an der Reihe. Wer zum Schluss die meisten Stöcker hat, gewinnt.
Bäume ertasten: Dieses Spiel schult Tast- und Orientierungssinn. Dafür braucht es zwei Personen. Ein Kind schließt die Augen und wird von einem anderen Kind oder Elternteil zu einem Baum geführt. Diesen soll es mit noch immer geschlossenen Augen umarmen und ertasten. Danach wird es wieder an die Ausgangsposition zurückgeführt. Jetzt darf es die Augen öffnen und muss versuchen, den Baum wiederzufinden. Etwas kniffliger wird es, wenn die Kinder um die eigene Achse gedreht werden, bevor sie zum Baum geführt werden.
Der Wald eignet sich wunderbar für Versteckspiele und Schatzsuchen.
Waldknigge – So verhaltet ihr euch im Wald richtig:
- Auf den Wald- und Wanderwegen bleiben.
- Ruhig sein und Tiere nicht stören oder anfassen.
- Abgesperrte Gebiete nicht betreten.
- Kinder bleiben in Sichtweite der Eltern
- Tiere nicht füttern.
- Feuer und Rauchen sind im und am Wald verboten.
- Keinen Müll im Wald hinterlassen.
- Beeren, Pilze und Blumen nur für den Eigenbedarf ernten.
- Den Wald so verlassen, wie er vor dem Besuch war.
Spaziergang im Grünen: Die richtige Ausrüstung
Das Schöne am Spielen im Freien: Im Grunde ist alles vorhanden und wirklich viel Vorbereitung braucht es nicht. Wer das Glück hat, eine grüne Scholle direkt vor der Haustür zu haben, kann die Kinder einfach rausschicken – hier reicht dem Wetter angemessene Kleidung. Jüngere Kinder müssen natürlich beaufsichtigt werden, ab dem Grundschulalter können die Kinder auch schon mal ohne Eltern draußen herumtollen, am besten mit Freunden oder Geschwistern.
Wer gleich einen Tagesausflug mit Sack und Pack plant, der sollte doch ein wenig Zeit in die Vorbereitung investieren. Wichtig ist neben der passenden Kleidung ausreichend Verpflegung (alternativ ein Zwischenstopp am Imbiss oder in der Gaststätte), ein paar Spielideen und ein Erste-Hilfe-Set für kleine Katastrophen:
- Kleidung: lange, leichte, helle Sachen und feste Schuhe, so dass Zecken keine Chance haben, Basecap oder Sonnenhut
- Erste Hilfe: Sonnenschutz, Anti-Mückenspray, Pflaster, Zeckenkarte
- Verpflegung: Picknickdecke, ausreichend Getränke, Snacks
- Spiel & Co.: Kompass, Fernglas, Fotoapparat, Vordruck Wald- und Wiesen-Bingo, Springseil, Augenbinde, (Becher-)Lupe, Smartphone oder Bestimmungsbuch
Erste Hilfe bei Insektenstichen
Wer sich viel draußen tummelt, kann nicht nur Pflanzen entdecken, sondern auch allerlei Getier. Was also tun, wenn es zu einem Insektenstich oder -biss kommt? Die meisten Bisse oder Stiche von Insekten sind harmlos. Hier können Eltern nur trösten, kühlen und abwarten, bis der Schmerz und die Schwellung nach spätestens ein paar Tagen wieder nachlassen. Elektrische Stichheiler, die mit Hitze funktionieren, sind für jüngere Kinder ungeeignet, da sie sehr heiß werden. Nach einem Bienenstich ist es wichtig, den Stachel zu entfernen und die Einstichstelle wenn möglich zu desinfizieren und zu kühlen. Eine Zecke sollte schnellstmöglich mit einer speziellen Zeckenzange oder -karte entfernt werden, die es beispielsweise in der Apotheke gibt. Hier sollte man darauf achten, die Zecke weder zu quetschen noch mit Hausmitteln wie Öl nachhelfen. Beides kann dazu führen, dass Krankheitserreger noch schneller übertragen werden. Zecken können FSME und Borreliose übertragen. Gegen FSME gibt es eine Impfung, die in Risikogebieten (in der Lausitz ist das bisher nur der Landkreis Bautzen) von den Krankenkassen bezahlt wird. Besteht der Verdacht einer Borreliose-Infektion, die an einer kreisroten Rötung um die Einstichstelle zu erkennen ist, sollte man sofort zum Arzt, da diese mit Antibiotikum behandelt werden muss. Ansonsten muss man nur dann einen Arzt aufsuchen, wenn das Kind allergisch auf Insektenstiche reagiert. Das ist zwar selten, aber gefährlich. Symptome dafür sind Atemnot, Fieber, Übelkeit, Schüttelfrost und Quaddeln am Körper.
Bei Wanderungen durch die Natur lassen sich viele Pflanzen und Tiere beobachten.
Noch besser ist es, vorzubeugen: Zum einen gelingt das über Schutzkleidung wie lange Hosen und Shirts. Dann kommen die Insekten nicht so leicht zum Zug. Im Sommer können bei kurzer Kleidung Anti-Insekten-Sprays oder -Lotionen helfen. Für Kleinkinder gibt es spezielle Produkte auf Basis von ätherischen Ölen. Gelbe Farben ziehen Insekten ebenfalls an, diese daher im Sommer möglichst meiden. Auch wichtig, aber für Kinder nicht immer leicht umzusetzen: Ruhig bleiben! Einige Insekten wie Bienen und Wespen stechen nur dann zu, wenn sie sich bedroht fühlen. Daher sollte man die Tiere weder wegpusten noch anderweitig verscheuchen. Achten Sie zudem darauf, dass keine Insekten im Trinkglas schwimmen oder sich aufs Eis setzen und so in den Mund gelangen können.
Rückzugsort Lausitz: Wilde Natur
Wir haben bereits weiter oben gezeigt, dass die Lausitz vergleichsweise dicht bewaldet ist. Dazu kommen jede Menge Naturparks, gleich drei UNESCO-Landschaften und viele Flecken echter Wildnis. Sowohl auf ehemaligem Tagebaugelände als auch auf einstigen Truppenübungsplätzen sind dank der Betreten-Verboten-Schilder Rückzugsorte für Tiere und Pflanzen entstanden, die sich allmählich ein Stück Land zurückerobert haben. Vor allem die Kippenböden sind nährstoff- und schadstoffarm, wie es in Deutschland nur noch ganz selten anzutreffen ist, und bieten so bedrohten Tier- und Pflanzenarten eine neue Heimat. Entstanden sind echte Naturparadiese und kleine Wildnis-Gebiete, in denen der Mensch sich bis heute zurücknimmt. Das ist ein Grund, warum sich der Wolf in der Lausitz so wohl fühlt.
Das wichtigste und größte Wildnisgebiet in Sachsen ist das Naturschutzgebiet Königsbrücker Heide östlich von Dresden. Auf etwa 7.000 Hektar kann sich hier die Natur ohne Forstwirtschaft, Jagd oder andere Einflüsse des Menschen entwickeln. Ein Großteil des Gebietes war einst ein Truppenübungsplatz, heute tummeln sich hier neben Biber und Hirsch auch wieder Wölfe.
Mit dem Dubringer Moor verfügt die Lausitz unweit von Hoyerswerda über ein weiteres einzigartiges Naturschutzgebiet. Es gilt als eine der letzten und größten Moorlandschaften zwischen Elbe und Oder. Wer hier mit Fernglas und Muße ausgestattet spazieren geht, kann eine vielfältige Tier- und Pflanzenwelt entdecken.
Zwischen Finsterwalde und Lauchhammer entwickelt sich seit knapp 20 Jahren das Naturparadies Grünhaus. Die NABU-Stiftung Nationales Naturerbe kaufte dafür eine knapp 2.000 Hektar große Tagebaufläche. Über die Jahre ist ein grünes, blühendes Naturparadies entstanden, das bei Naturfreunden bundesweit für seine einzigartige Artenvielfalt bekannt ist. Die NABU-Stiftung bewahrt rund 1.930 Hektar in Grünhaus für die Natur.
Der Wolf lebt seit 2000 wieder in Deutschland, besonders wohl fühlt er sich in der Lausitz. Das Foto zeigt zwei Welpen des Daubaner Rudels in Ostsachsen. Foto: NABU/ M. Hamann
Noch etwas weiter nördlich ist – ebenfalls auf einer ehemaligen Tagebaukippe – ein weiteres Naturparadies entstanden: Sielmanns Naturlandschaft Wanninchen. Bereits im Jahr 2000 erwarb der Tierfilmer Heinz Sielmann mit seiner Stiftung etwa 3.300 Hektar Fläche, um sie für den Naturschutz zu sichern. Seitdem erobern sich Flora und Fauna das Gebiet zurück. Auf den sandigen Dünen haben sich seltene Pflanzen wie Sandstrohblume, Silbergras und Mähnengerste angesiedelt. Auch Wölfe sind auf den weiten Flächen heimisch geworden. Auf 270 Hektar sind wertvolle Moorflächen zu finden.
Wer diese und weitere Lausitzer Wildnisgebiete entdecken will, kann sich auf der jeweiligen Homepage über Wanderwege, Aussichtspunkte und Erlebnisangebote informieren. Familien können hier auf eigene Faust unberührte Natur entdecken oder geführte Wanderungen und Angebote nutzen. In einem Spezial im Anschluss an unser Titelthema stellen wir Naturparks und Biosphärenreservate samt ihrer Angebote vor. Der Verband pro agro hat zudem auf dem Online-Portal www.natur-schau-spiel.com Besucherzentren in Brandenburger Naturlandschaften und Angebote für Familien übersichtlich dargestellt. Unbedingt mal reinschauen vor dem nächsten Ausflug, hier findet man viele tolle Tipps.
Was wächst denn hier? Tiere und Pflanzen bestimmen
Gänseblümchen und Löwenzahn können die meisten vermutlich noch benennen. Doch dann wird’s schon schwieriger. Wer unterwegs in der Natur wissen möchte, was hier blüht und brummt, wächst und zwitschert, der kann entweder ein Tier- und Pflanzenbestimmungsbuch mitnehmen oder aber Apps dafür nutzen. Wir stellen einige kostenfreie Programme vor.
Insektenwelt: Mit der kostenlosen App des NABU kann man die häufigsten heimischen Insekten bestimmen, kartieren und melden. In der App sind die 122 häufigsten der etwa 33.000 in Deutschland vorkommenden Arten hinterlegt. Zum Bestimmen einfach das Insekt mit dem Smartphone fotografieren und abgleichen lassen. Dazu gibt es jede Menge Informationen zu der bestimmten Insektenart.
Flora Incognita: Die App der TU Ilmenau ermöglicht das Bestimmen von mehr als 4.800 Wildpflanzenarten, darunter alle heimischen. Dazu wird die Pflanze mit der Kamera des Smartphones fotografiert. Zusätzlich zur Pflanzenart erhält man Informationen zu Merkmalen, Verbreitung oder Schutzstatus. Beobachtete Pflanzen kann man speichern, exportieren oder in sozialen Netzwerken teilen.
Pl@ntNet: Die von einer Forschungsgemeinschaft entwickelte App ermöglicht die Bestimmung von Wildpflanzen anhand von Fotos. Derzeit beinhaltet die Datenbank Aufnahmen von mehr als 4.000 im französischen Mutterland verbreiteten Wildpflanzen. Die Anzahl der abgedeckten Pflanzenarten und die Menge der zur Verfügung stehenden Fotos nehmen mit der wachsenden Beteiligung der Nutzer kontinuierlich zu, da diese ihre Beobachtungen übermitteln können.
Naturblick: Die App vom Naturkundemuseum Berlin gehört zu den vielseitigsten, da sie sowohl beim Bestimmen von Tieren als auch Pflanzen hilft. Über die Handykamera kann man Vögel, Säugetiere, Amphibien, Reptilien, Schmetterlinge, Bäume, Kräuter und Blumen fotografieren und bestimmen lassen. Selbst Tierstimmen wie Vogelgezwitscher können über das Mikrofon aufgenommen und bestimmt werden.
Vogelwelt: Die NABU-App hilft bei der Bestimmung von Vögeln. Die kostenlose Basisversion enthält detaillierte Informationen zu mehr als 300 Vogelarten, darunter Fotos, Verwechslungsmöglichkeiten, Gesang und Verhalten. Weitere Funktionen wie Vogelstimmen sind als In-App-Kauf buchbar. Was bisher nicht möglich ist: Das bestimmen von Vögeln anhand selbstgemachter Fotos oder Tonaufnahmen.
Wild und würzig: die Taubnessel.
Kleine Kräuterkunde: Essbare Wildpflanzen
Überraschend viele der Pflanzen, die in Wald und Wiese wachsen, sind nicht nur genießbar, sondern auch noch schmackhaft und gesund. Wir geben einen kleinen Überblick über heimische Wildpflanzen, die man fast überall findet und zum Verfeinern der nächsten Mahlzeit nutzen kann:
Gänseblümchen sind im Frühjahr und Sommer auf fast jeder Wiese zu finden. Von der Blüte bis zum Stengel sind sie essbar und peppen Salate auf.
Löwenzahn wächst ebenfalls fast überall. Auch hier können Blüten und Blätter gegessen werden, am besten allerdings gleich im Frühjahr, da die Blätter mit der Zeit leicht bitter werden und dann nur noch in Maßen genossen werden sollten.
Bärlauch gilt als schmackhafter Knoblauch-Ersatz, der keinen Mundgeruch hinterlässt. Beim selber Sammeln nicht mit der ähnlichen, aber giftigen Herbstzeitlosen verwechseln. Sicherstes Erkennungsmerkmal der Bärlauch-Blätter ist ihr kräftiger Duft.
Taubnessel ist in der Handhabung etwas einfacher als die Brennnessel. Die süßen Blüten verfeinern Salate, die Blätter sind auch für Pesto oder Kräuterquark geeignet.
Vogelmiere überzeugt mit einem hohen Mineralienanteil. Durch ihren milden Geschmack ist sie auch bei Kindern beliebt.
Giersch ist ebenfalls eine echte Vitaminbombe, enthält mehr Vitamin C als eine Zitrone. Die milden Blätter können vielseitig in der Küche verwendet werden, beispielsweise in Salat, als Spinat-Ersatz, als Füllung für Teigtaschen oder im Smoothie.
Gundermann gilt als wilde Petersilie, sein würziges Aroma eignet sich aber auch für süße Speisen wie Eiscreme oder Limonade. Die Blätter können ebenso verwendet werden wie die lila Blüten.
Rezeptvorschläge findet man im Internet, beispielsweise auf:
Engagiert für die Natur: Vereine und Freizeit
Wer nach der Lektüre Lust bekommen hat, sich aktiv für die Natur zu engagieren, hat viele Möglichkeiten. Zum einen organisieren sich unter dem Dach der beiden großen Naturschutzverbände NABU und BUND ehrenamtlich Aktive in Regionalgruppen, die sich bei ihren Arbeitseinsätzen über weitere Mitstreiter freuen. Einige von ihnen haben auch Kindergruppen. Jugendliche organisieren sich in der Jugendorganisation NAJU.
Noch niedrigschwelliger ist das Mitmachen bei Aktionen wie Vogel- und Insektenzählungen, zu denen der NABU regelmäßig aufruft. Da kann auch der Nachwuchs schon mitmachen. Die beobachteten Tiere werden unkompliziert per Mail oder App gemeldet. Ganz nebenbei lernen die Kinder so die Vogel- und Insektenarten kennen.
In Sachsen können sich ältere Kinder im Grundschulalter bei den Jungen Naturwächtern engagieren. Mit dem Programm sollen Kinder und Jugendliche für den Naturschutz begeistert werden. Sie beobachten die Natur, informieren über sie und sind wichtiger Teil des Naturschutzes in Sachsen. So unterstützen die Naturschutzhelfer beispielsweise bei Kartierungsaufgaben oder übernehmen die Betreuung für besondere Schutzgebiete. In der Regel sind die Gruppen an eine feste Grundschule angebunden.
In Brandenburg können sich Kinder und Jugendliche bei der Naturfreundejugend engagieren. Auch hier geht es darum, den Kindern Wissen über die Natur und einen sorgsamen Umgang mit ihr nahe zu bringen. Als Mitglied hilft man beim Organisieren von Seminaren und Freizeiten.
Die kleinen „Waldwichtel“ der gleichnamigen Kita in Weißwasser verbringen fast den ganzen Tag draußen. Der Waldkindergarten ist zudem als „Haus der kleinen Forscher“ zertifiziert. 2019 startete dazu ein neues Modellprojekt – zum offiziellen Start kam Ministerpräsident Michael Kretschmer (2.v.l.) vorbei. Foto: AWO Lausitz
Bildungsangebote: Kita im Grünen
Eben weil das Erleben mit und in der Natur Kindern so gut tut, haben einige Kindergärten ihr Konzept darauf ausgerichtet. Auch in der Lausitz finden sich Waldkindergärten, in denen die Kinder fast den ganzen Tag draußen im Wald verbringen. In anderen Einrichtungen steht zumindest das Erleben und Entdecken der Natur im Vordergrund. Die Kinder sind viel draußen, aber nicht so konsequent wie einem klassischen Waldkindergarten. Viele dieser Kitas haben sich als „Haus der kleinen Forscher“ zertifizieren lassen. Die Stiftung engagiert sich bundesweit für frühkindliche Bildung in den MINT-Fächern. Erzieher werden so qualifiziert, dass sie über Experimente und forschendes Lernen schon bei den Kleinsten Interesse an den Naturwissenschaften wecken. Wir geben einen Überblick über jene Einrichtungen, bei denen das Naturerlebnis im Fokus steht:
- Natur- und Waldkindergarten Rohrspatzen, Elsterheide
- Kita Waldwichtel, Weißwasser
- Kita Waldsee Hoyerswerda, OT Bröthen
- Kita „Haus der kleinen Naturforscher“, Senftenberg OT Sedlitz
- Kita „Bienenschwarm“, Hosena
- Naturkita „Am Spring“, Großräschen
- Waldkita Kindergärtnerei Neu-Seeland
- Naturkindergarten Greifenhain, Drebkau
- Waldorf-Kindergarten Cottbus
- Naturkindergarten, Lübben
- Kita „Marjana Domaškojc“, Vetschau OT Raddusch
- Kita Brummkreisel, Guben
In der Schule wird das Spielen und Lernen weitgehend in den Klassenraum verlagert. Erlebnisse in der Natur spielen dann in der Regel nur bei Exkursionen und Projekttagen eine Rolle. Zudem ist die Arbeit im Schulgarten Teil des Lehrplans im Unterrichtsfach Sachunterricht in der Grundschule.
Dann gibt es noch jene Einrichtungen, die sich an Kinder im Schulalter richten und spezielle pädagogische Angebote rund um das Thema Wald machen – beispielsweise für Exkursionen. Hier kann der Sachunterricht ins Klassenzimmer unter freiem Himmel verlegt werden. Die Kinder erfahren in Rallyes, Führungen, Waldspielen, Exkursionen jede Menge über Ameisen, Lurche, Spechte und Bäume. Hier ein Überblick:
- Waldschule Roggebusch, Müllrose
- Waldschule Zum Specht, Lübben
- Waldschule Waidmannsruh, Lebusa OT Freileben
- Waldpädagogik-Mobil der Oberförsterei Senftenberg
- Waldschule Kleinsee, Jänschwalde OT Drewitz
- Pädagogisches Zentrum für Natur und Umwelt, Cottbus
- Waldschulheim Stannewisch, Niesky
- Schülerakademie Elbe-Elster, Domsdorf
Noch mehr Entdeckertipps:
Die Hundertsassa
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- Kategorie: Titelthemen
100 lausebanden – Zeit, für ein Dankeschön
Liebe Familien, liebe lausebande-Fans,
Wow! Im März 2021 veröffentlichten wir die 100. Ausgabe der lausebande. Als wir im April 2011 die erste Ausgabe veröffentlichten, wurden wir oft gefragt, wie wir das monatlich durchhalten wollen. Heute ist die lausebande vielen Eltern und Familien in der Lausitz und im Spreewald ein selbstverständlicher Begleiter. Für uns ist sie ein Spiegel unseres Alltags und ein bisschen wie ein verlängertes Wohnzimmer. In zehn Jahren sind unsere vier Kinder groß geworden, die „Familie lausebande“ ist währenddessen immer mehr gewachsen, das Familienunternehmen dahinter ebenso. Dabei ist die lausebande immer ein Herzensprojekt geblieben, eine sehr persönliche Angelegenheit. Zum Glück hat unser Enthusiasmus auf viele Wegbegleiter abgefärbt, denen ich einmal ausführlich Danke sagen möchte.
Natürlich steht die Familie an erster Stelle! Ohne mein Duracellhäschen und Wirbelwind, meine taffe Katrin, würde es auch heute nicht funktionieren. Unsere Kinder waren ebenso stets Teil des Teams. Und das zählte auch immer zur Familie: Nadine Schönemann, die der lausebande ihren Namen gab, Sandra Wedler, die im Geburtsjahr mit an Bord war. Annette Raab war viele Jahre ein liebgewonnener Teil der lausebande, ebenso wie Melanie Schreiber. Romy Rettinghaus war die wohl beste Praktikantin der Welt, Coline Erdmann und Kay Ackermann spielten ebenso im Team wie Daniel Kirchner. Heute sorgen Stephan „Hecke“ Heckenthaler als Verkaufsturbo, Jonas „Joko“ Köhler als Junior-Redakteur und Anett Linke mit gründlicher Recherche, guter Schreibe und Familiensinn für dieses Familienmagazin.
Auch drumherum ist ein familiäres Netzwerk zusammengewachsen. Die Cottbuser Druckzone produzierte oft in Windeseile, ohne je Abstriche in der Qualität zu machen – Kerstin Engel macht ihrem Namen alle Ehre. Das Team von Flyer Vatyler fuhr einige Runden um den Erdball, um die lausebande zu den Lesern zu bringen. Das Büro 68 sorgt trotz nie nachlassendem Zeitdruck mit Satz und Grafik immer für ein schönes Gesicht der lausebande. Wir haben immer auf regionale Partner geachtet. Last not least sind es weit über 600 Werbekunden, die dieses Magazin mit ermöglicht haben. All das erfüllt mich mit Demut und großer Dankbarkeit – und es macht Mut und Lust auf zehn weitere Jahre.
Ihr Jens Taschenberger,
Herausgeber
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