„Die Kommunikation mit den Eltern ist besonders wichtig“

Datum: Donnerstag, 30. April 2020 15:04

Interview mit Prof. Felicitas Macgilchrist, Leiterin der Abteilung „Mediale Transformationen“ am Georg-Eckert-Institut – Leibniz Institut für internationale Schulbuchforschung, und Professorin für Medienforschung an der Universität Göttingen.

Prof. Felicitas Macgilchrist gehört zu den bundesweit wenigen wissenschaftlichen Experten im Bereich digitaler Schulbildung. Sie ist Leiterin der Abteilung Mediale Transformationen und Professorin für Medienforschung mit dem Schwerpunkt Bildungsmedien an der Georg-August-Universität Göttingen. Sie forscht an der Schnittstelle von Medien und schulischer Bildung mit einem besonderen Fokus auf den sozialen und politischen Kontext von Bildung in der digitalen Welt. Die wissenschaftliche Laufbahn führte die Schottin u.a. nach New York, Gent und Birmingham, sie hat u.a. in Russland, Deutschland, Vietnam, Belgien, Großbritannien und den USA gelehrt. Ihre Promotion absolvierte sie übrigens im Land Brandenburg, an der Europa-Universität Viadrina. Ihre Forschung zu Medialität und schulischer Bildung umfasst auch schulische Praktiken in einer (post-)digitalen Welt und die wissenschaftlichen, bildungspolitischen und medialen Debatten zum Thema „digitale Bildung“ – und somit eine der wesentlichen Grundlagen für das Homeschooling. Gründe genug für ein interessantes, aufschlussreiches Gespräch:

Sie forschen im Bereich der digitalen Schulbildung, die eine wichtige Grundlage für das Homeschooling wäre – ist die aktuelle Situation in der Corona-Pandemie zumindest für Ihre Forschung ein Glücksfall?

Bei dieser Situation, unter der auch ganz besonders die Kinder leiden, kann ich nicht von einem Glücksfall sprechen. Im Bereich digitale Technologie und Schulen gab es bereits zuvor viel Bewegung, auch wenn die Aufmerksamkeit nun noch einmal deutlich zugenommen hat.

Wie sind wir in Deutschland im Bereich digitale Schule und Homeschooling aufgestellt, insbesondere im Vergleich zu anderen Ländern?

Die Sorge, in vielen Dingen hinterherzuhinken, scheint mir eine Eigenheit der Diskussion in Deutschland zu sein. Man zieht hier oft Vergleiche zu anderen Ländern, in denen etwas besser funktionieren soll. Ein Beispiel in der digitalen Bildung ist die Debatte um die Steve Jobs-Schulen in den Niederlanden. Im Jahr 2016 gab es in Deutschland viele Schlagzeilen zu diesen Schulen, in denen alle Schüler mit einem iPad ausgestattet wurden und digital lernten. „Warum haben wir so etwas in Deutschland noch nicht?“ – lautete der besorgte Tenor. Zwei Jahre später wurden diese Steve Jobs-Schulen als Katastrophe beschrieben, die Kinder waren im Lernen weit hinter Gleichaltrigen zurückgeblieben und die Schulen sind jetzt weitgehend geschlossen. Eigentlich könnte sich Deutschland als Vorreiter im Datenschutz und bei der Entwicklung und dem Einsatz von digitalen Tools für einen reflektierten Umgang mit sensiblen Daten betrachten. Das macht man in Deutschland heute schon besser als in vielen anderen Ländern. In den USA fängt man jetzt erst an zu überlegen, was mit den Daten der Kinder passiert.

Ein Blick nach Südkorea oder Polen zeigt aber, dass viele Länder digitale Technologien viel stärker in der Schulbildung anwenden – oder täuscht das?

Polen und Norwegen haben stark in Open Educational Resources investiert, also in frei zugängliche Lern- und Lehrmaterialien. Sie müssen nicht digital sein, sind es aber oft. Es handelt sich dabei nicht um eine freiwillige Erstellung von Materialien und Programmen wie etwa außerhalb der Schule in Deutschland, sondern um ein staatliches Angebot mit direkter Anbindung im Schulunterricht, das allen Schülerinnen, Schülern und Familien zur Verfügung steht. Damit ging in diesen Ländern auch ein starkes Interesse an digitalen Medien einher. Das erleichtert sicher auch die „Schule zu Hause“ und hat dort digitale Schulbildung enorm vorangebracht.

Sie haben selbst in Brandenburg promoviert, wir Brandenburger murren ja oft über die hinteren Plätze unseres Schulsystems im föderalen Vergleich – gibt es beim Thema Digitalisierung und Homeschooling Unterschiede eher zwischen Bundesländern oder eher zwischen einzelnen Schulen?

Die Unterschiede bestehen im aktuellen Stadium eher zwischen Schulen. Wir beobachten verstärkt, dass sich genau jene Schulen stärker digitalisieren und auf den Einsatz entsprechender Geräte ausrichten, bei denen die Eltern die notwendige Hardware kofinanzieren können. Diese Entwicklung halte ich für gefährlich, weil sie auf Schulen beschränkt bleibt, die ein gewisses sozioökonomisches Einkommen der Eltern vermuten können. Dieser Trend zeichnet sich nicht nur deutschland- sondern auch weltweit ab. Gymnasien und viele private Schulen setzen digitale Geräte so vor anderen Schulformen ein. Bei Vergleichen, welches Bundesland bei digitaler Bildung vorn und welches hinten liegt, verspüre ich immer Unbehagen. Wir unterscheiden lieber die Haltungen einzelner Schulen zu digitalen Technologien, dabei haben sich drei verschiedene Formen herauskristallisiert. Keine davon ist vorn, sie kennzeichnen lediglich einen anderen konzeptionellen Umgang. Es gibt Schulen, die wollen „behutsam“ digitalisieren. Sie sehen Schülerinnen und Schüler digitalen Medien ausgesetzt und hier geht es oft um digitales Mobbing, das viel weiter reicht als physisches Mobbing, weil es auch außerhalb der Schule präsent bleibt. Diese Schulen sehen sich als ein Ort, der durch die Abwesenheit von Geräten einen Schutzraum bieten kann. Andere Schulen entscheiden sich zur Nutzung digitaler Geräte und der Stärkung digitaler Kompetenzen der Schüler, die dadurch auch den Umgang mit digitalem Mobbing erlernen sollen. Sie lassen sich in zwei weitere Haltungen unterscheiden. Bei einer sprechen wir vom „enthusiastischen“ Digitalisieren, hier geht es um coole, neue Technologien und deren Anwendung in verschiedenen Projekten. Dieser Weg ist sehr technikfokussiert, man entdeckt sozusagen mit großer Euphorie die neuen Möglichkeiten der digitalen Technologien. Bei der anderen Haltung sprechen wir von „postdigitalen“ Konzepten – diese Schulen verwenden schon seit längerer Zeit Software und Geräte. Hier ist die Digitalisierung bereits in den Hintergrund geraten. Es wird zwischen analogen und digitalen Formen gewechselt, je nachdem, was gerade erfolgversprechender scheint. Hier geht es nicht um die Technik, sondern um die Aufgabe, das Ziel oder die kritische Reflexion. Die Digitalisierung ist dabei im Lernalltag zur Selbstverständlichkeit geworden.

Das aktuelle Homeschooling läuft sehr unterschiedlich: Einige Lehrer gestalten Unterricht per Videokonferenz, manche halten per Telefon oder E-Mail-Kontakt, von anderen wiederum hörten die Schüler seit der Schulschließung fast gar nichts. Welches Maß an Kontakt sollten Lehrer Ihrer Ansicht nach haben, um Schüler bestmöglich beim Homeschooling zu fördern?

Die Forschung redet hier von synchronem und asynchronem Lernen. Asynchron bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler anhand eines Tages- oder Wochenplans Aufgaben nach ihrem eigenen Rhythmus bearbeiten und bis zu einem bestimmten Zeitpunkt abschließen. Synchrones Lernen ist Unterricht zur gleichen Zeit, egal ob im Klassenraum oder jetzt beim Videocall. Die Forschung sagt wie so oft, dass eine Mischung aus beidem der ideale Weg ist. Das ist recht selbstverständlich. Keine Familie und keine Schule kann ermöglichen, dass alle Kinder von früh bis nachmittags durchgängig in Videokonferenzen sitzen. Videokonferenzen sind anstrengender, als im selben Raum zusammenzusitzen. Den Takt der Unterrichtsstunden in Videokonferenzen aufrecht zu erhalten, ist nicht sinnvoll und überfordert auch alle Seiten. Die Schüler über Wochen hinweg mit Aufgabenblättern oder Schulheften allein zu lassen, funktioniert aber ebenso wenig. Effektiver ist es, wenn die Schüler ihre Materialien selbständig bearbeiten, sich im Messenger darüber austauschen und regelmäßig ihre Lehrenden befragen und bestimmte Themen mit ihnen besprechen können.

Auch bei der Art der Aufgabenübermittlung arbeiten Schulen sehr unterschiedlich: Mancherorts gibt es Aufgaben auf Papier per Post oder zur Abholung, andere Schulen arbeiten mit Clouds und Kommunikationstools. Wo sehen Sie hier den richtigen Weg?

Hier besteht nicht selten der Irrtum, dass digital per se besser ist. Die Nutzung einer Cloud ist natürlich viel einfacher, wenn alle über entsprechende Geräte und einen Zugang zum Internet verfügen. Insbesondere für ökonomisch benachteiligte Familien wird das schnell zu einem Problem. Wir beobachten in vielen Ländern, auch in Deutschland, dass Aufgaben auf Papier als barrierearmer Weg genauso richtig sein können, weil man hier alle Schülerinnen und Schüler gerecht behandelt. Wenn es eine bewusste Entscheidung ist, gibt es also durchaus gute Gründe auch für den analogen Weg.

Brandenburgs Lehrerschaft gilt als stark überaltert, bringt das automatisch Nachteile für digitale Lernkonzepte und das Homeschooling mit sich?

Das wird oft zusammengebracht, die Forschung sagt aber etwas anderes. Es ist tatsächlich stärker personen- als altersabhängig. Es geht eher darum, wer Lust darauf hat und wer nicht. Es gibt auch sehr junge Lehrer und Lehramtskandidaten, die digitalem Arbeiten gegenüber nicht aufgeschlossen sind. Ich arbeite selbst in der Lehrerausbildung und erfahre das immer wieder. Zudem haben wir in der Forschung beobachtet, dass gerade ältere, erfahrene Lehrpersonen einen besonders entspannten Zugang zur Anwendung digitaler Lerntools haben können. Man braucht im Unterricht gerade bei deren Anwendung immer einen Plan B, weil sie ungeplant und nicht selten ausfallen – das ist in allen Ländern so. Wenn der Erklärfilm nicht funktioniert, weil die Technik ausfällt, muss also ein analoges Konzept her. Ältere Lehrkräfte haben da mehr Erfahrung und Konzepte in der Schublade, sie sind oft ausprobierfreudiger. Jüngere Lehrer müssen diese Dinge oft erst erarbeiten. So haben wir in allen Alterskategorien Lehrende, die digitalen Technologien gegenüber mehr oder weniger positiv gegenüberstehen.

Weiterbildung ist für Lehrer in vielen Bereichen freiwillig, digitale Weiterbildung scheint dabei oft hintenanzustehen – sollte man Lehrer hier künftig mehr in die Pflicht nehmen?

Man sollte eher eine andere Art von Lehrerfortbildung anbieten. Bisher sind viele Fortbildungen zu digitalen Technologien reine Erklärungen, wie man bestimmte Tools rein technisch nutzt. Das sind nicht die spannenden Fragen, die erfahrene Lehrpersonen beantwortet haben wollen. Sie suchen nach konzeptionellen Anwendungen, die den Unterricht spannend und vielleicht auch einfacher machen. So kann der Einstieg zu Gedichten im Deutschunterricht die Aufgabe für jeden Schüler sein, über den Twitter-Account der Schule ein Gedicht als Tweet mit maximal 260 Zeichen zu erstellen und zu versenden. Hier geht es nicht um die technische Nutzung von Twitter, sondern um ein spannendes Konzept für den Deutschunterricht, das sich auch weiterspinnen lässt. Solche Arten der Fortbildung gibt es kaum. Ich halte es für vielversprechender, wenn Fortbildung die Bedürfnisse der Lehrkräfte anspricht statt sie nur technisch in die Pflicht zu nehmen. Es geht nicht darum, wie etwas funktioniert, sondern wie man etwas konzeptionell anwendet. Es gibt eine zweite Art der Lehrerfortbildung, die bereits sehr erfolgreich praktiziert wird. Das sind Open-Space-Workshops, an deren Ende die Lehrkräfte eine für sie passende und fertig einsetzbare Unterrichtsstunde generiert haben. Die Fortbildner vermitteln das mit vielfältigen Tools und Konzepten, mit denen unterschiedlichste Themen bearbeitet werden können.

Sehen Sie im Dschungel des Homeschoolings Bedarf an einem zentralisierten Konzept – sozusagen einer Ländervorgabe, wie Schüler zuhause unterrichtet werden sollen bzw. müssen?

Nach meinem Eindruck sind zentralisierte Vorgaben keine gute Lösung. Jede Lehrperson kennt die Notwendigkeiten ihrer Klasse und ihrer Schülerinnen und Schüler besser und sollte wissen, welches Konzept eher passt. Seit die Schulen geschlossen haben, findet auf Twitter ein wahnsinnig aktiver Austausch über Tools, Projekte und Ideen statt. Sie werden an einigen Orten zentral gesammelt, ein Beispiel dafür ist die Plattform Bildungspunks (www.bildungspunks.de) oder die Angebote der Edunauten (www.edunauten.de). Es geht dabei eher um die pädagogische Perspektive für digitale Bildung, das kann aber auch für Eltern lehr- und hilfreich sein. Besonders wichtig für die Schulen scheinen mir aktuell aktive Kontakte und Kommunikation bei der Einbindung der Eltern. Hier gibt es sehr große Unterschiede zwischen einzelnen Schulen und Lehrkräften. Manche Schulen nutzen Clouds oder haben einen anderen Kanal eingerichtet, auf dem sie mit den Eltern kommunizieren, andere nutzen E-Mails oder das Telefon. Wo zu wenig kommuniziert wird, sind die Eltern am stärksten verunsichert oder unzufrieden.

Welche Kommunikation ist in Zeiten des Homeschoolings wichtiger – die von Schule bzw. Lehrkräften mit Schülern oder die mit den Eltern?

Beides ist wichtig. Die Kommunikation mit den Eltern ist aber auch aus dem Grund besonders wichtig, weil Eltern wiederum mit den Schülern kommunizieren.

Viele Eltern fühlen sich aktuell als Ersatzlehrer überfordert – die einen haben schlichtweg nicht das Wissen, andere müssen sich parallel ums Homeoffice kümmern – welche Rolle sollte den Eltern eigentlich beim Homeschooling zukommen?

Es gibt kein Konzept, das allen gerecht wird. So wollen Eltern, die mehr Zeit für Ihre Kinder haben oder deren Kinder selbständig und gut arbeiten können, durchaus mehr Aufgaben von der Schule. Es gibt andererseits aber Eltern, deren Kinder mehr Unterstützung benötigen und die sich dann schnell als Ersatzlehrer fühlen. Und dann weitere Eltern, die wegen ihres eigenen Berufs sehr unter Stress stehen. Meines Erachtens ist die wichtigste Funktion der Eltern derzeit ein möglichst solidarisches Verhalten, sowohl mit anderen Familien als auch mit der Schule. Viele Schulen wissen, welche unterschiedlichen Voraussetzungen ihre Schüler zuhause haben. Sie bauen Angebote auf, die möglichst alle Schülerinnen und Schüler mitnehmen, damit niemand auf der Strecke bleibt. Viele Schulen versuchen, sich zurecht zu finden, und neue Konzepte für die Fernlehre aufzubauen – das braucht aber Zeit. Die Open University in England, eine große Fernuniversität, hat neulich allen Lehrenden viel Glück gewünscht. Sie brauche zwei Jahre, um ein gutes Fernlehrekonzept zu entwickeln und umzusetzen. Und wir erwarten uns dies von unseren Schulen binnen zwei Wochen. Wichtig finde ich aber auch die Kommunikation mit den Schulen bzw. den Lehrern. Wenn sich eine Schule sich nicht gemeldet hat, und Eltern unklar ist, was sie tun sollen, kann man anrufen oder eine E-Mail schreiben und fragen.

Welche Tools sollten Eltern Ihres Erachtens beim Homeschooling nutzen?

Es gibt viele Tools für Lernmanagement und Organisation, die man auch hier nutzen kann. Aber für die wichtige Funktion der Eltern, Meinungen einzuholen und mit anderen Eltern, der Schule und Lehrern zu kommunizieren, wie die Klasse vorangehen kann, sind E-Mail und Telefon manchmal tatsächlich die besten Medien. Ich kenne ein gutes Beispiel mit einer Familie, in der die Kinder einige Probleme in der Schule hatten. Seit der Schulschließung ist die Mutter durch die Übermittlung der Aufgaben auf Papier und den Kontakt per Telefon aber erstmals ständig in die Abläufe eingebunden – und die Kinder kommen nun besser voran als zuvor in der Schule.

Welche Erkenntnisse liefert Ihnen die aktuelle Phase?

Wir merken, wie groß die Bedeutung der Elternarbeit ist. Eine klare Kommunikation mit den Eltern bringt alle Beteiligten nach vorn. Es geht dabei weniger um die Inhalte, als vielmehr um die Kommunikation an sich. Jede Schule und jede Klasse braucht etwas anderes. Egal wie betroffen, zufrieden oder unzufrieden die Eltern sind – sie fühlen sich umso wohler, je mehr kommuniziert wird. Die zweite Erkenntnis ist der enorme Austausch zwischen Lehrern und Bildungsaktiven in Deutschland und auch auf internationaler Ebene. Wir erkennen zudem, dass die Lösungen der Schulen grundsätzlich in drei Kategorien passen: Werkzeuge, Verbindungen und Vermeidung von Barrieren. Auch hier geht es nicht um richtig oder falsch, sondern um die Bedürfnisse der jeweiligen Schule. Werkzeuge steht für den schnellen Einsatz von digitalen Tools wie Clouds, die teils schon vorher genutzt wurden, nun aber forciert werden. Die Gefahr dabei ist, dass man sich vorschnell für bestimmte Tools entscheidet und damit auf ein System festlegt. Das Positive ist, dass die Kommunikation schnell einfacher wird. Bei den Verbindungen machen sich Schulen zuerst Gedanken, wie sie Schüler und Eltern unterstützen können. Sie richten sich an den Bedürfnissen aus, im Zentrum stehen die Kommunikationsmöglichkeiten. Das muss nicht immer der digitale Weg sein, hier geht es eher darum, den besten Weg zu finden, im sozialen Kontakt zu bleiben. Ein dritter Weg ist das barrierearme Arbeiten, mit Aufgaben auf Papier und der Kommunikation per E-Mail oder Telefon. Hier geht es meist darum, alle zu erreichen und alle auf dem gleichen Stand zu halten. Dieser Weg wird manchmal bewusst mit Blick auf die Schüler und Lernenden, manchmal auch unbewusst mit Blick auf die Lehrenden und die fehlenden Tools der Schule eingeschlagen.

Wir sind aktuell im Ausnahmezustand, fallen wir mit Öffnung der Schulen dann wieder in den ursprünglichen Zustand zurück oder lassen sich bereits Lehren für Veränderungen ziehen, wenn die Präsenzlehre wieder zum Normalzustand wird?

Diese Frage stellen wir uns selbst gerade in verschiedenen Projekten, in denen wir Schulen während der aktuellen Phase begleiten. Bereits zu erkennen sind zwei Sachen. Zum einen haben bereits viel mehr Lehrende mit digitalen Bildungsmedien herumexperimentiert. Das wird den Alltag prägen. Zum anderen ist für viele klar geworden, für welche Aufgaben digitale Technologien gut geeignet sind und für welche weniger gut. In Deutschland ging es bislang immer um Digitalisierung, das hat die Diskussion in eine falsche Richtung gelenkt. Es bedeutet im engeren Sinn, analoge Dinge ins Digitale zu überführen – also das digitale Lehrbuch statt des gedruckten oder das Smartboard statt der Kreidetafel. Jetzt sehen wir aber, welche Lernkonzepte sich besonders gut digital umsetzen lassen. Da erstellen Schüler beispielsweise Erklärvideos und laden diese in die Schulcloud. Es geht also nicht darum, analoge Dinge ins Digitale zu überführen, sondern digitale Bildungsmedien konzeptionell in den Unterricht einzubeziehen. Das sind neue Praktiken, die sich herausbilden.

Welche Rolle sollten künftig klassische Schulbücher neben digitalen Lernplattformen und online abrufbarem Wissen spielen?

Auch mit dieser Frage beschäftigen wir uns. Bleibt das Curriculum wie heute bestehen, bei dem Kompetenzen und Inhalte in verschiedenen Schulfächern festgelegt werden, die in einem Jahr erreicht werden sollen, sind sowohl klassische als auch digitale Lehrbücher hilfreich. Rückmeldungen der Schüler besagen, dass viele lieber mit dem digitalen Lehrbuch arbeiten, ebenso viele aber lieber mit dem klassischen Lehrbuch. Das Konzept vieler Schulen, zum klassischen Schulbuch für Zuhause das digitale Schulbuch für die Schule dazu zu erwerben, scheint ein guter Weg. Eine Erkenntnis ist allerdings, dass Schüler zum Lernen für Klausuren nach wie vor viel lieber Papier nutzen, während bei Projektarbeiten durch das mögliche Zugreifen auf weitere Informationen digitale Medien im Vordergrund stehen.

Mit dem Digitalpakt werden bis zum Jahr 2025 insgesamt 5,5 Mrd. Euro für die digitale Transformation von Schulen bereitgestellt. Wird das Geld richtig eingesetzt und halten Sie die Summe für ausreichend?

Diese Frage lässt sich auf drei Wegen beantworten. Der erste widmet sich der Infrastruktur, der zweite der konzeptionellen Ebene und der dritte dem Geldbeutel der Eltern. Wir wissen, dass die Schulen in Deutschland allgemein über keine ausreichende Infrastruktur verfügen. Egal wieviel Geld geflossen wäre, es hätte nicht gereicht. Viele Schulen sind in der Infrastruktur auch mit Waschbecken und Seife schlecht ausgestattet. Wenn ein Land nur einen kleinen Teil seiner Ausgaben ins Bildungssystem steckt, wird die Infrastruktur immer leiden. Wenn in einer Schule tausend Schüler digital lernen wollen, stellt dies erhebliche Anforderungen an die IT-Infrastruktur. Dabei endet es aber nicht, denn eine solche Struktur erfordert auch einen laufenden IT-Support. Eine Firma mit tausend Mitarbeitern, die alle an digitalen Geräten arbeiten, unterhält heute selbstverständlich eine mehrköpfige IT-Abteilung. Das scheint in Deutschlands Schulen illusorisch. Wie groß die Herausforderung ist, wurde in den letzten Wochen bei den vielen erforderlichen Videokonferenzen deutlich. Die Universitäten konnten hier mit eigenen Lösungen datenschutzkonform arbeiten, während andere Zoom und weitere externe Angebote mit teils fraglichem Datenschutz nutzen mussten. Das ist gerade bei der Arbeit mit Kindern ein Problem. Beim konzeptionellen Weg geht es darum, ob die Schule eine behutsame oder enthusiastische Digitalisierung oder eine postdigitale Schule anstrebt. Hier entscheidet sich beispielsweise, ob das Geld in Geräte und eine Cloud oder andere Lernmittel investiert wird. Die infrastrukturelle Ebene ist dabei deutlich kostspieliger als die konzeptionelle Ebene. Allerdings kann man auch nicht konzeptionell arbeiten, wenn man über kein WLAN oder andere digitale Angebote verfügt. Der dritte Weg ist Ergebnis der sozialen Ungleichheit. Wir beobachten, dass vor allem die Schulen digital aufrüsten, bei denen Eltern die Hardware der Schüler finanzieren können. Das betrifft Gymnasien oder einzelne Schulen in einem sozioökonomisch privilegierten Umfeld.

Wenn Eltern über keinen Plan verfügen, sollte Homeschooling dann einfach der regulären Unterrichtsstruktur folgen?

Homeschooling stammt als Begriff aus den 1970er-Jahren, als es Eltern eigentlich darum ging, Kinder außerhalb der Schule zu unterrichten. Der Beweggrund war ein ganz anderer als das heute erzwungene Lernen daheim. Insofern passt der Begriff auch gar nicht auf die aktuelle Situation. In der damaligen Diskussion ging es Eltern um eine Art von Lernen, das den Interessen der Kinder entgegenkommt. Das Lernen sollte nicht einer starren Struktur von Fächern folgen. Wenn ein Kind also zwei Tage Mathematik lernen möchte, kann es andere Fächer danach wieder aufholen. Die Forschung zu „connected learning“ (siehe https://clalliance.org/about-connected-learning/) legt diesen Ansatz auch für das aktuelle Homeschooling nahe. Jetzt ist die Zeit, die Stärken der Kinder zu stärken. Wenn es nicht von der Schule vorgegeben wird, müssen Eltern auf keinen Fall zu Hause strikt den Unterricht nach Zeiten und Fächern wie in der Schule umsetzen. Struktur ist wichtig – aber sie muss zur Situation passen. Kinder aus Schulen, die mit Wochenplänen arbeiten, kommen derzeit oft besser zurecht. Das kann eine Orientierung für Eltern sein, gemeinsam mit den Kindern die Tage und die gesamte Woche zu planen, dabei aber eine freie Aufteilung des Unterrichtsstoffs zuzulassen. Ist ein Tagespensum einmal schneller erfüllt, haben die Kinder früher Freizeit, dafür kann es an einem anderen Tag auch einmal länger dauern.

Abschließend: Welchen Rat geben Sie Eltern, die daheim beim Homeschooling verzweifeln?

Es klingt banal, aber Geduld ist wichtig. Es ist nicht immer einfach, geduldig mit den eigenen Kindern, mit den Schulen, mit der herumspinnenden Technik zu sein. Kontakt und Austausch kommen auch eine große Rolle zu. In der Regel sind die Eltern mit der größten Unzufriedenheit auch jene Eltern die von der Schule die wenigsten Informationen erhalten haben. Sie könnten zuallererst Kontakt zur Lehrperson oder Schulleitung aufnehmen. Sie können oft erklären, warum sie sich für diese oder gegen jene Medien entschieden haben. Soziale Kontakte sind auch für die Kinder wichtig. Oft könnten Eltern sie mehr miteinander kommunizieren lassen. Es gibt in Deutschland eine große Diskussion um eine begrenzte Bildschirmzeit für Kinder im Schulalter, oft wurde von einer halben Stunde pro Tag gesprochen. Ich halte diese Diskussion für verfehlt, weil es darauf ankommt, wie ein Kind die Bildschirmzeit tatsächlich nutzt. Wenn ein Kind in zwei Stunden mit einem hochkomplexen Malprogramm ein Bild malt, dann kann man das nicht mit dem Ansehen eines zweistündigen Films vergleichen. Es geht nicht um die Zeit mit oder ohne Bildschirm, sondern um aktive oder passive Zeit. Zudem brauchen die Kinder jetzt ganz viel Bildschirmzeit, um mit ihren Freunden zu kommunizieren, die sie nicht sehen können. In einer vor wenigen Jahren in den USA durchgeführten Studie wurde dem Smartphone die einstige Funktion der Shoppingmall zugeschrieben. Früher trafen sich Freunde in der Shoppingmall und hingen miteinander herum, heute machen sie das in ihrem Gerät, die Kommunikation ist aber ähnlich intensiv wie früher. Auch das kann manchen verzweifelten Eltern helfen: Sie sollten sich aktuell weniger Sorgen wegen der Bildschirmzeit machen. Die Gemeinschaft motiviert oft auch stärker beim Lernen. Gerade Teenager nutzen ihr Smartphone mit Freundeskreisen für einen Mix aus sozialem Kontakt und gemeinsamem Lernen.

Wir danken für das Gespräch.

Viele interessante Erkenntnisse aus dem bisherigen Homeschooling in Corona-Zeiten hat Felicitas Macgilchrist mit ihrem Team auf folgender Webseite zur Verfügung gestellt:

www.basement.gei.de