Kuchen für alle

Datum: Mittwoch, 27. März 2013 08:18

Meine große Schwäche galt schon immer Kuchen. Ich kann mich noch erinnern, wie hart ich früher mit meinem Bruder und meinem Vater förmlich um den Kuchen kämpften musste, den es bei uns damals eigentlich sehr oft und auch nicht zu knapp gab. Aber jeder wollte immer das größte Stück oder kein Randstück oder das mit dem dicksten Streusel drauf. Mit ausgeklügelten Taktiken wurde so der Genuss des aktuell auf dem Teller befindlichen Kuchenstücks beschleunigt oder hinausgezögert, je nachdem, wann das begehrte nächste Stück auf dem Kuchenteller freigelegt wurde. Denn diese Regel galt für uns Kinder: Man durfte sich kein Stück von unten weg nehmen, nur immer von oben. Damals habe ich auch gelernt, dass Eltern die Regeln machen. Denn nicht selten brach mein kuchenvernarrter Vater diese Grundregel und legte doch das Stück aus einer unteren Etage frei, dass auch wir Kinder wollten. Unser Protest war seinerzeit vergebens, in den 1970er und 1980er Jahren gab es noch nicht allzuviele Väter, die sich intensiv darum bemühten, die Welt aus der Sicht der Kleinen nachzuvollziehen. Und mein Vater konnte in Bezug auf Kuchen ohnehin nichts nachvollziehen, was zwischen ihm und seinem Wunschstück stand. Damals habe ich mir geschworen, wenn ich einmal groß bin, dann mache ich die Kuchenregeln. Jetzt bin ich groß, und an meiner Schwäche für Kuchen hat sich über die Jahre nichts geändert. Während der Arbeitswoche verzichte ich darauf, um nicht als Michelin-Männchen zu enden. Am Wochenende laufe ich dann aber an jedem Nachmittag wie von Außerirdischen gesteuert zum Bäcker um die Ecke. Zuvor werden die Kleinen ordentlich interviewt, was ich ihnen mitbringen soll, jeder kann drei Favoriten mit Prioritäten angeben, da ja nicht immer alles vorrätig ist. So war es auch an diesem Wochenende.
Natürlich habe auch ich meine Lieblingssorte. Wie so oft bestellte beim Bäcker direkt vor mir ein cholesteringepolsterter Rentner mit wunden Ellenbogen vom Fensterbrettgucken ausgerechnet meinen Prasselkuchen. Acht Stück. Ich wünschte ihm einen Herzinfarkt, aber er hielt durch, bis alle acht in der Tüte waren. Glücklicherweise blieb doch noch ein Exemplar für mich übrig. Leider verhinderte dies meine übliche Taktik, von meinem Lieblingskuchen noch ein Reservestück mitzunehmen, falls eines der Kinder seine Wünsche ändert. Mit fatalen Folgen, wie sich zeigen sollte. Zuhause am Kaffeetisch lenkte mein Prasselkuchen nämlich schnell den Blick meiner Kleinen auf sich. „Ooh Papa, der sieht aber lecker aus, darf ich was abhaben“, bat mein Mädchen. Mit der Kuchenmentalität meines Vaters hätte ich das Teil schnell in mich hineingestopt. Eine Generation später bin ich aber Anhänger der Vätergeneration, die als Pferd mit kleinem Mädchen auf dem Rücken durch die Wohnung galoppiert, auch mal selbst Prinzessin spielt, mit dem Kleinen Lego-Gebilde zusammen friemelt und viel Verständnis für die Kinder hat. Verdammt viel sogar. Sogar soviel, dass ich mich von einer Hälfte meines Prasselkuchens trennte. „Ooch Papa, dann will ich aber auch was!“, mit braunen Kulleraugen meldete sich nun auch noch Sohnematz zu Wort. Danach machte ein Viertel-Prasselkuchen einen recht verlorenen Eindruck auf meinem Teller. Naja, wenigstens hatte ich mir das Stück mit dem dicksten Streusel gesichert, wenigstens dieses kleine Ziel konnte ich mit etwas Taktik erreichen. Gerade wollte ich das Stück genießen, als meine bessere Hälfte in die Küche kam, sich mit einem „ooh, lecker“ den dicken Streusel von meinem Viertel pulte und genüsslich verschlang.
Moderne und verständnisvolle Väter sitzen heute eben ganz am Ende der familiären Nahrungskette. Dafür sind alle anderen umso glücklicher. So reiche ich am Ende meist dem kleinen Jungen in mir die Hand, wohl wissend, das heute meine Kinder an seiner Stelle sitzen und den Kampf um den Kuchen bereits im Voraus gewonnen haben.

Euer lausitzDADDY