Nur für Mama!

Datum: Donnerstag, 31. März 2016 10:19

Kommt in Kitas und Schulen der Kunst ausreichend Raum zu?
Nein. Es wäre angemessen, wesentlich stärker in die Fächer Kunst und Werken zu investieren. Viele freie Schulen, Waldorf-Schulen oder Reformschulen, legen sehr viel mehr Wert auf handwerkliche Aktivitäten, was den Kindern in ihrer Entwicklung und auch ihren schulischen Leistungen nachweislich zu Gute kommt. Natürlich sind Mathe und Deutsch wichtig. Aber eben auch die künstlerischen Fächer. Studien zeigen, dass es eine gewisse Wechselwirkung gibt zwischen beiden Bereichen. Oft haben künstlerisch, musikalisch oder sportlich aktive Kinder besonders gute Leistungen. Kinder mit weniger guten Leistungen können diese wiederum durch Erfolge im Kunst- oder Sportunterricht kompensieren. Dazu kommt, dass viele Grundschullehrer nicht ausreichend ausgebildet sind und Kunst oft fachfremd unterrichten mit dem Ergebnis, dass die Kinder eben doch Ausmalbücher oder stereotype Bastelaufgaben bekommen. In den Kitas ist das künstlerische Angebot sehr unterschiedlich, da gibt es durchaus gute Einrichtungen mit tollen Konzepten und Angeboten für die Kinder von Malateliers bis hin zu Holzwerkstätten.

 

Warum brauchen Kinder Kunst?
Nehmen wir beispielhaft das Zeichnen: Durch das Zeichnen verarbeiten Kinder bestimmte Erlebnisse. Zunächst müssen die Kinder das Erlebte im Kopf strukturieren, dann müssen sie es auf Papier bringen, auf dem Papier ordnen. Dadurch können die Kinder das Erlebte verlangsamt verarbeiten und es noch mal Revue passieren lassen. Solche Verarbeitungsprozesse sind essentiell für die Entwicklung von Kindern.

 

Sie schreiben, dass Kunst und ästhetische Bildung wichtig sind für die Identitätsbildung von Kindern – inwiefern?
Einerseits können Kinder durch Kunst ihr Erlebtes individuell verarbeiten. Zum anderen gibt Kunst Kindern die Möglichkeit zum Probehandeln, zum Rollenspielen, zum Darstellen von Dingen, die in der Wirklichkeit so nicht immer möglich sind. Auf dem Papier oder im Spiel können sie Dinge ausprobieren und so die eigene Identitätsentwicklung unterstützen. Das eine Kind malt, wie es auf einen Baum klettert, obwohl es sich das in Wirklichkeit noch nicht getraut, es projiziert seine Wünsche in das Bild. Ein anderes Kind darf beim Räuber-und-Gendarm-Spiel die Pistole zücken, die in der Realität weder erlaubt noch erwünscht wäre. Kinder können mit Bildern auch schlimme Erlebnisse darstellen, für die sie keine Worte finden. Flüchtlingskinder verarbeiten so ihre oft traumatischen Reisen. Ein weiterer Aspekt ist die sogenannte Selbstwirksamkeitserfahrung. Kinder lernen, dass sie Spuren hinterlassen können, sie erfahren sich selbst. Schlussendlich macht es ein Kind unglaublich stolz, wenn es in der Kita eine Pappmaché-Figur gebaut hat, die ihr gegenüber steht. Das fördert die Ich-Stärke, die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes.

 

Welche Einflüsse hat Kunst darüber hinaus auf die körperliche Entwicklung, welche auf die kognitive und soziale?
Auch für das Denken sind Zeichnen, Malen und Spielen ganz entscheidend. So lernen die Kinder, ähnlich wie beim Lesen, eigene Vorstellungen zu entwickeln und selbst kreativ und aktiv zu werden. Anstatt passiv vorgegebene Bilder zu verstehen, generieren sie eigene Bilder. Wer eigene Bilder schafft, fördert komplexes Denken. Unsere Forschungen haben gezeigt, dass Zeichnen bei Vorschulkindern und Grundschülern das Schreiben erleichtert. Die graphomotorischen Fähigkeiten, die durch das Malen und Zeichnen ausgebildet werden, sind wichtige feinmotorische Voraussetzungen, um das Schreiben zu erlernen. Das sinnliche Erfahren von Material wie Farbe, Sand oder Holz – wie klingt es, wie fühlt es sich an, wie stapelt es sich – ist wichtig, um sich eine Vorstellung von der Umwelt zu schaffen und diese ins eigene Denken einzubeziehen. Auf sozialer Ebene wiederum kann das Zeichnen ein Kommunikationsmittel sein. Wenn ein Kind die Sprache nicht oder nicht so gut beherrscht, schaffen Bilder die Möglichkeit, sich dennoch auszudrücken und mit anderen zu verständigen.

 

Wie verändert die zunehmende Digitalisierung des Alltags das künstlerische Verhalten von Kindern?
Kinder fühlen sich stark zu Medien hingezogen, gerade auch zu digitalen. Kinder lieben bewegte Bilder. Natürlich geht damit auch eine gewisse bildnerische Kompetenz einher. Kinder verwenden die im Handy vorhandenen Bildbearbeitungs- und Filmfunktionen mit einer beeindruckenden Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit. Was sie dabei nicht lernen: selbst gestalten. Eltern und Erzieher sollten an die Möglichkeiten digitaler Medien anknüpfen und ihren Kindern ermöglichen, mit den digitalen Medien selbst kreativ zu werden. Ein Beispiel sind „Lege-Trickfilme“, bei denen die Kinder gemalte Figuren bewegen, aufzeichnen und zu einem Film verbinden.

 

Wann sollte die künstlerische Erziehung der Kinder beginnen?
So früh wie möglich. Vor dem ersten Geburtstag spielt die ästhetische Bildung nur eine Nebenrolle, weil die Kinder zunächst Grundlegendes wie Krabbeln und Laufen lernen. Aber auch im ersten Lebensjahr sammeln die Kleinen schon ästhetische Erfahrungen, wenn sie im Brei schmieren oder im Sand malen und lernen, dass sie selbst Spuren hinterlassen. Ab dem zweiten Lebensjahr ist kreativ sein sehr essentiell. Wenn wir uns Biographien bekannter Künstler anschauen, stellen wir immer wieder fest, dass sie von frühester Kindheit an in irgendeiner Form kreativ waren. Sei es dass sie malen und basteln, sei es dass sie etwas bauen und konstruieren. Dabei können die Eltern ihren Nachwuchs unterstützen, indem sie unterschiedlichste Materialien bereitstellen und ihm immer wieder Anregungen bieten.

 

Wie kann ich Kunst-Muffel motivieren? Müssen Eltern selbst kunst-affin sein, um bei ihren Kindern die Liebe zur Kunst zu wecken?
Jedes Kind ist von sich aus am bildnerischen Gestalten und an Kunst interessiert. Eltern müssen ihr Kind genau beobachten, seine Stärken und Interessen herausfinden. Es gibt Kinder, die sind am Zeichnen interessiert, andere begeistern sich für Farben, wieder andere können mit Malen nichts anfangen, sind aber für Bauen und Konstruieren zu haben. Auch das Bauen mit Legosteinen ist eine Form von gestalterischem Verhalten.

 

Was sollte ich machen, wenn ich der Meinung bin, mein Kind ist künstlerisch sehr begabt?
Zunächst gilt wieder: das Kind genau beobachten. Steht das Kreativsein im Vordergrund? Was interessiert das Kind besonders? Dann sollten die Eltern möglichst viele Anregungen bieten: verschiedene Materialien, Bilder- und Kunstbücher für Kinder mit Praxisanregungen bereitstellen, mit dem Kind ins Museum geben. Dann gibt es spezielle Malschulen und Kunstschulen, wo die Kinder gefördert werden können.

 

Literatur-Empfehlung: Constanze Kirchner: Kinder & Kunst. Was Erwachsene wissen sollten. (Erstauflage 2008) Seelze-Velber 2013.