Das mach ich doch mit rechts

Datum: Montag, 30. Januar 2012 10:03

 

Händigkeit ist Hirnigkeit
Es ist bis heute nicht endgültig geklärt, wie stark der Anteil vererbter Eigenschaften die Händigkeit bestimmt. Klar ist allerdings, dass die Händigkeit schon vor der Geburt fest steht und mit der Entwicklung des Gehirns auch fest programmiert wird, also für jeden Menschen genetisch bedingt ist und auch bleibt, selbst wenn Einflüsse der Umwelt, Erziehung und Normvorstellungen zu einem tatsächlich abweichenden Handgebrauch führen. Die Händigkeit wird somit durch das Gehirn vorgegeben – und Wissenschaftler bezeichnen die Umerziehung der Händigkeit als den „maximalen unblutigen Angriff auf das Gehirn, der möglich ist“. Die Umschulung der Händigkeit widerspricht der Natur und grundlegenden Strukturen im menschlichen Gehirn, die ein Leben lang Bestand haben. Heute ist in der Wissenschaft unbestritten, dass jeder gesunde Mensch von Natur aus über eine dominante Gehirnhälfte und dadurch bedingt über einen dominanten Handgebrauch verfügt.
Im menschlichen Organismus laufen die Nervenbahnen, die für motorische oder sensorische Impulse verantwortlich sind, fast vollständig überkreuz. Rechts befindliche Bestandteile des Körpers werden durch die linke Gehirnhälfte gesteuert und umgekehrt linke Bestandteile durch die rechte Gehirnhälfte. Am intensivsten werden dabei die am weitesten vom Rumpf entfernten Teile der Extremitäten – wie die Hand- oder Fingermuskulatur – durch die gegenüberliegende Gehirnhälfte repräsentiert. Auch die Steuerung der Augen, Ohren und Füße erfolgt durch die jeweils gegenüberliegende Gehirnhälfte. Man spricht dabei von Lateralität bzw. Seitigkeit. Allerdings ist die Verbindung z.B. bei den Füßen von ganz anderer Qualität, da diese andere und weniger komplizierte Aufgaben wie laufen, stehen, springen oder balancieren ausführen. So kann man eine Dominanz der Hand auch nicht zwangsläufig auf die Füße übertragen. Das Hantieren und feinteilige Arbeiten mit den Händen bringt in vielen Aufgaben weitaus diffizilere Ansprüche mit sich. Aus diesem Grund – und verbunden mit der starken Bindung an die gegenüberliegende Gehirnhälfte aufgrund der Entfernung vom Rumpf – kommt der Händigkeit im Gegensatz zur Steuerung anderer Organe oder Extremitäten auch eine besondere Bedeutung zu.

Lateralität: Als Händigkeit bezeichnet man die Überlegenheit der linken oder rechten Hand. Sie äußert sich in einer größeren Geschicklichkeit, längeren Ausdauer und dem präferierten Handgebrauch. So werden feine Tätigkeiten, wie z.B. das Zeichnen und Schreiben, Schneiden mit dem Messer und das kleinteilige Bauen, vornehmlich mit der bevorzugten oder auch als dominant bezeichneten Hand ausgeführt. Dabei hat die Verteilung der motorischen und sensorischen Dominanz für Hände, Füße, Augen und Ohren keine Auswirkung auf die grundsätzliche Verteilung verschiedener Kompetenzen im Gehirn. So sind die Gehirnhälften (Gehirnhemisphären) unabhängig von der Händigkeit bei jedem Menschen gleich spezialisiert:


Linke Gehirnhälfte
(rechte Körperseite)
Rechte Gehirnhälfte (linke Körperseite)
Analytisches, logisch-sprachliches Denken, linear (das heißt strukturiert aufeinander folgend) Synthetisches, ganzheitliches Denken,
beziehungsreich und gleichzeitig
Zeit Raum und Perspektive
Sprachzentrum Körperliche Vorstellung im Raum, räumliche Orientierung
Grammatikalisches Verständnis Bildhafte Vorstellung, Erkennen von Gesichtern
Sprachliche Sinnerfassung der Worte, Wortschatz, insbesondere abstrakte Begriffe Melodiegedächtnis
Gesten Erkennen von Tonhöhe und Tonfall in der Stimme, Gefühlsverständnis, Ausdrucksverständnis; sprachfreie soziale Wahrnehmung
Intellekt Intuition


  

   
   
   
   
  














Zwar müssen sowohl Links- als auch Rechtshänder diese unterschiedlichen Funktionskompetenzen im Gehirn gut verknüpfen – aber die Verteilung dieser Zuständigkeiten kann auch erklären, warum beide unterschiedlich „ticken“ und sich in bestimmten Persönlichkeitszügen unterscheiden. So werden Rechtshänder stärker von der abstrakt, sprachlich und analytisch geprägten linken Gehirnhälfte bestimmt, während Linkshänder ihre Dominanz in der stärker bildreich, räumlich und intuitiv geprägten rechten Gehirnhälfte haben. Da allerdings viele andere Einflüsse aus der Umwelt und der Erziehung das menschliche Wesen bestimmen, sind diese Einflüsse kaum nachweisbar. Allerdings wird beobachtet, dass Linkshänder trotz normaler Freundschaften und keinerlei Merkmalen von Verhaltensauffälligkeiten dazu neigen, sich besonders gern zurück zu ziehen.

Trotz einigen Jahrzehnten der Gehirnforschung verstehen wir bis heute nur Bruchstücke dessen, was in unserem Kopf passiert und entsteht. Allerdings verschaffen Tests mit modernen, bildgebenden Verfahren zur Messung von Hirnaktivitäten immer bessere Einblicke. Dabei hat eine Studie mit Linkshändern, Rechtshändern und auf die rechte Hand umerzogenen Linkshändern Erstaunliches gezeigt. Während bei den ersten beiden Gruppen während des Schreibens starke Aktivierungsmuster in der jeweils gegenüberliegenden Gehirnhälfte dominierten, zeigten auf rechts umgeschulte Linkshänder Aktivierungsmuster in beiden Gehirnhälften mit gesteigerten Aktivitäten in der rechten Gehirnhälfte. Obwohl diese Erwachsenen von Anbeginn mit der rechten Hand geschrieben haben, bestanden im Gehirn also die Merkmale eines Linkshänders fort. Man kann Linkshänder also nicht wirklich umschulen, da die Händigkeit im Gehirn programmiert ist und die Schaltstellen in der dominanten Gehirnhälfte bestehen bleiben. Andererseits beweisen diese Studien, dass bei Umerziehung der Händigkeit deutlich höhere Anforderungen durch vermehrten Energieeinsatz und überlagerte Prozesse an beide Gehirnhälften gestellt werden – was für Menschen nicht nur mit mehr Anstrengung verbunden ist, sondern auch zu vielfältigen Störungen führen kann.

Zum Glück wird heute kaum noch bewusst auf die nicht dominante Hand umgeschult, eine Gefahr lauert aber gerade hierzulande durch die traditionell rechtshändige Umwelt. Manche Kinder vollziehen die Umschulung auf die nicht dominante Hand selbst als Modell- und Nachahmungsverhalten, weil sie auch so sein wollen wie „die Anderen“. Das geschieht oft recht früh, der Eintritt in den Kindergarten ist hier eine besonders sensible Phase. Besonders gefährdet sind Kinder mit unsicherer Feinmotorik und Koordination im Vergleich zu Gleichaltrigen – aber auch aufmerksame Kinder mit einer guten Intelligenz, die eine sehr gute feinmotorische Geschicklichkeit haben und den Unterschied zwischen Führungs- und Haltehand weniger spüren. Leider gibt es in den Bildungs- und Erziehungsplänen für Kinder in Krippen und Kindergärten noch immer keine klaren Hinweise zum Umgang mit der Händigkeit und einer guten Integration links- und rechtshändiger Kinder. Auch bei der medizinischen Vorsorge spielt Händigkeit keine Rolle – hier sind Eltern selbst gefordert, ihren Kindern den richtigen Weg in ein unbeschwertes Leben zu bereiten.