
Guter Englischunterricht holt die Kinder in ihrer Lebenswirklichkeit ab
Interview mit dem Sprachlehrforscher Prof. Dr. Frank G. Königs über guten Fremdsprachenunterricht und den Sinn und Unsinn von Chinesisch-Kursen in Kitas. Königs, der seit seiner Schulzeit selbst sechs Fremdsprachen gelernt hat, bildet an der Philipps-Universität Marburg künftige Sprachlehrer aus und leitet das dortige Informationszentrum für Fremdsprachenforschung.
Die Forschung trifft unterschiedliche Aussagen dazu, in welchem Alter ein Kind Fremdsprachen gut erlernen kann. Gibt es das perfekte Alter für Kinder? Aus meiner Sicht gibt es kein perfektes Alter. Es gibt auch keine empirischen Belege dazu, welches Alter besonders geeignet ist. Wir wissen, dass jüngere Lerner wahrscheinlich eher in der Lage sind bei der Aussprache näher an das Ideal eines Muttersprachlers heranzukommen, da tun sich Erwachsene eher schwerer. Andererseits haben ältere Lerner andere kognitive Möglichkeiten, um eine Fremdsprache zu erlernen.
Es gibt Leute, die frühem Fremdsprachenlernen skeptisch gegenüberstehen und sagen: Bevor ein Kind eine Fremdsprache lernt, sollte es zunächst seine Muttersprache gut beherrschen – was sagen Sie dazu? Mir macht eher Sorge, dass wir in den letzten Jahren den Trend haben, dass viele Eltern möglichst früh bei ihren Kindern mit einer Fremdsprache beginnen wollen. Das Paradebeispiel ist der Wunsch mancher Eltern, chinesisch schon im Kindergarten zu lernen. Das irritiert mich deshalb, weil dabei verloren geht, dass wir Kindern die Möglichkeit geben sollten Kind zu sein. Werden sie schon früh gedrillt, chinesisch zu lernen, ist das zu viel des Guten. Hier wird mehr oder weniger grundlos ein Leistungsdruck erzeugt. Es spricht nichts dagegen, wenn ein Kind schon früh eine andere Sprache lernt – aber die Frage ist: aus welcher Motivation heraus? Wenn es nur um gute Karrierechancen in 20 oder 30 Jahren geht, halte ich das für fragwürdig. Dann habe ich Zweifel, ob das Erlernen bereits im Kitaalter beginnen muss. Etwas anderes ist es, wenn das Kind einen Bezug zu der erlernten Fremdsprache hat.
Also spricht nichts gegen sorbische Immersionskitas, wie es sie bei uns der Lausitz gibt? Ja genau. In solch einen Fall finde ich Immersionsprogramme angemessen und sinnvoll. Aber in Bayern wiederum wäre eine sorbische Kita Quatsch. Immersion kann also durchaus ihre Berechtigung haben, aber ich sehe sie nicht als Allheilmittel.
Welche Methode ist denn aus Ihrer Sicht besser, um eine Fremdsprache zu erlernen: Klassischer Fremdsprachenunterricht oder Immersionsprogramme? Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Unsere Kinder beispielsweise waren auf einem Gymnasium mit bilingualem Französisch-Zweig. Als sie das Französische Jahre später wieder brauchten, waren sie selbst überrascht wie gut sie es noch beherrschten. Insofern liegt der Nutzen bilingualer Ausbildungsgänge vielleicht im stabilen Wissensvorrat, der sich schneller aktivieren lässt. Bei Immersionseinrichtungen ist es in jedem Fall wichtig, dass das Personal beide Sprachen gut beherrscht, denn Kinder wollen immer so gut sein wie ihre Umgebung. Insofern haben die Pädagogen auch eine sprachliche Vorbildfunktion.
Die meisten Kinder kommen erstmals in der Grundschule intensiv mit einer Fremdsprache in Kontakt – ist das zu spät? Nein, das ist völlig ausreichend. Immerhin ist es gelungen, den Fremdsprachenunterricht in der Grundschule zu verankern, das hat viele Anläufe gebraucht. Die Schwierigkeit sehe ich eher im Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule. In der Grundschule kommen die Kinder noch spielerisch mit dem Englischen in Kontakt, am Gymnasium erfolgt dann ein systematischer Zugang, da fangen viele Kinder wieder bei null an.
Wie könnte dieser Übergang besser gelingen? Der spielerische Zugang zur Fremdsprache in der Grundschule ist durchaus richtig, aber die Kinder müssen auch lernen, wie sie das Erlernte anwenden können. Die Gymnasien und Oberschulen wiederum müssten die Kinder da abholen, wo sie sprachlich stehen, was aufgrund der Heterogenität der Voraussetzungen bei den Kindern unter Umständen schwierig ist. Ich sehe da auch die Politik in der Pflicht. Es braucht eine entsprechende Lehrerausbildung mit klaren Vorgaben. Die Grundschullehrer-Ausbildung ist wenig fachorientiert aufgebaut, sie setzt den Schwerpunkt auf pädagogische und didaktische Inhalte was auch wichtig ist, aber dadurch kommt fachspezifisches Wissen außerhalb der Kernfächer Deutsch, Mathe und Sachunterricht zu kurz. In der Folge lebt der Englischunterricht in der Grundschule stark vom Engagement des Lehrers, mehr als an jeder anderen Schulform.
Wie sieht guter Fremdsprachenunterricht denn aus? Er sollte Schüler begeistern aber auch deutlich machen, dass der Lehrer von seinem Fach begeistert ist. Viel hängt daran, wie authentisch und glaubwürdig ein Lehrer wirkt. Die Schüler müssen das Gelernte in einen für sie realistischen Kontext einordnen können. Ein Beispiel: Man glaubte Kinder würden besser Englisch lernen, wenn man ihnen in den Lehrbüchern die Geschichte der Indianer vermittelt. Aber wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind sein Englisch im Gespräch mit einem Indianer anwendet? Heute weiß man, dass sie es viel spannender finden, etwas über das Schulsystem in den USA oder in England zu erfahren. Das berührt ihre Lebenswirklichkeit viel stärker. Wir müssen also Themen finden, die die Schüler erreichen und für sie von Bedeutung sind. Wichtig ist zudem ein methodisch abwechslungsreicher Unterricht. Und natürlich sollte der Lehrer die Fremdsprache sehr gut beherrschen.
Sind Muttersprachler bessere Fremdsprachenlehrer? Ja und nein. Sie beherrschen zwar die Sprache perfekt, aber sie können den Lernprozess der Schüler nicht so gut nachvollziehen – anders als deutsche Fremdsprachenlehrer. Sie haben eine andere Wahrnehmung bei Fehlern. Sie neigen eher dazu, Kinder für ihre Fortschritte zu loben, weil sie sich freuen, dass jemand ihre Sprache lernt. Ein deutscher Muttersprachler dagegen wird eher Hinweise geben bei bestimmten Fehlern. Insofern sind gut ausgebildete Fremdsprachenlehrer mit guten Sprachkenntnissen besser geeignet. Das ist aber leider nicht immer der Fall. Es passiert immer wieder, dass Schüler nach einem Auslandsjahr sprachliches Wissen mitbringen, welches der Lehrer nicht kennt, z.B. bestimmte Redewendungen. Das kann dann zu Missverständnissen, im schlimmsten Fall zu Fehlbeurteilungen führen. Da müssen Lehrer lernen sich weiterzuentwickeln.
Ein Auslandsaufenthalt bringt Schüler also in der Regel weiter, wenn sie eine Fremdsprache lernen? Unbedingt, denn die Schüler sehen, dass sie das Erlernte tatsächlich im richtigen Leben brauchen, dass sie mit der Fremdsprache etwas Praktisches anfangen können. Das gibt einen Motivationsschub. Wenn ein mehrwöchiger Aufenthalt gut vorbereitet, organisiert und auch nachbereitet wird, kann er dem Schüler mehr bringen als der vergleichbare Zeitraum im Klassenzimmer. Man ist von morgens bis abends der Sprache und der Kultur ausgesetzt, man lernt Redewendungen kennen.
Wie können Eltern ihre Kinder beim Sprachenlernen unterstützen? Sie können eine Menge machen, ohne gleich einen Lehrerersatz zu spielen. Das beginnt mit Interesse und Anerkennung der gelernten Fremdsprache. Das ist selbst dann wichtig, wenn ich als Elternteil die Fremdsprache nicht beherrsche. Daher sollten Eltern den Lernprozess positiv begleiten, indem sie z.B. Vokabeln abfragen oder nachfragen, was man neues gelernt hat. Eltern sollten versuchen, den Kontakt zur Sprache zu ermöglichen, z.B. durch eine Sprachreise oder auch durch eine Urlaubsreise. Für die Kinder kann es eine tolle und sehr motivierende Erfahrung sein, wenn sie für die Eltern die Rolle des Sprachmittlers übernehmen. Es sollte kein Zwang oder Druck aufgebaut werden, aber die Kinder sollen sehen: Meine Eltern nehmen das ernst und halten es für wichtig.
Die zunehmende Digitalisierung des Alltags ist auch beim Sprachenlernen angekommen: Lässt sich auch mit Hilfe von Apps und Onlinekursen eine Sprache gut lernen? Ich muss zugeben, dass ich mich mit dem Gebiet bisher nur wenig beschäftigt habe. Aber ich nehme sehr wohl wahr, dass der Markt digitaler Angebot stetig wächst und dass auch traditionelle Lehrwerke kaum noch ohne digitale Elemente auskommen. Ich glaube allerdings nicht, dass eine App allein reicht, um eine Fremdsprache zu erlernen. Ich denke Fremdsprachenunterricht, der nur auf digitalen Elementen basiert, ist weniger erfolgreich. Da fehlt die menschliche Komponente. Ein Lehrer, der vor mir steht, ist mir weitaus sympathischer als ein Bildschirm. Als Ergänzung können digitale Helfer, wenn sie technisch gut gemacht sind, sicher hilfreich sein, aber nicht ausschließlich.
Wie profitiert ein Kind noch, wenn es eine Fremdsprache lernt, außer dass es eine weitere Sprache spricht? Es lernt andere Sichten auf die Welt kennen. Fremdsprachen-Unterricht vermittelt ja nicht nur sprachliche Strukturen, sondern auch kulturelle Elemente. Schüler lernen, wie Sprecher anderer Sprachen auf die Welt blicken. Wir können die Welt nur verstehen, wenn wir uns in die Lage anderer hineinversetzen können und dafür braucht man u.a. Sprache.





