Schul-Spezial Teil 1: "Alles PISA oder was?"

Datum: Freitag, 23. August 2013 12:36


Der Föderalismus
Nach aktuellen Umfragen wünschen sich neun von zehn Eltern grundlegende Veränderungen insbesondere durch eine Zuständigkeit des Bundes und eine Beseitigung der Kleinstaaterei in der deutschen Bildung. Dieser Wunsch ist gerade in unseren Neuen Bundesländern groß, da viele Eltern gute Erinnerungen an das zentralisierte und leistungsfähige Bildungssystem der DDR haben. Der Ursprung der Länderhoheit in der Bildung liegt im Föderalismus, der in seiner heutigen Form von den Alliierten Siegermachten 1945 auf der Konferenz von Jalta beschlossen wurde, um auf deutschem Boden das Ausbreiten einer Ideologie wie die der Nazis zu unterbinden. Seit 1949 ist der Föderalismus in der Verfassung verankert. Deutschland weist aber schon seit Jahrhunderten föderale Strukturen auf, schon in der Zeit alter Fürstentümer. Der Föderalismus umfasst die gewisse Eigenständigkeit der einzelnen 16 Bundesländer z.B. in Polizei, Medien, Kirche, Kultur und Bildung. Bildung ist dabei schon immer einer der wenigen Bereiche, in denen sich die einzelnen Länder politisch profilieren. Allerdings bestehen zumindest hier die historischen Gründe für die starke Dezentralisierung aus der Nazi-Ära nicht mehr.
Gerade in den neuen Bundesländern werden Sinn und Vorteile des Föderalismus oft nicht verstanden, da ein Großteil der Elterngeneration in einem anderen System aufgewachsen ist. Dabei ist der Föderalismus nicht das grundlegende Problem unseres Bildungssystems. Andere föderale Staaten wie etwa Australien verfügen trotz dieser Struktur über sehr leistungsfähige Bildungssysteme. Zudem gibt es tatsächlich zwischen einzelnen Bundesländern sehr große Unterschiede in den Anforderungen an die Bildung: hier deutlich mehr Migranten, dort viel mehr Kinder aus sozial benachteiligten Familien.Viele Bildungsexperten sind sich heute einig, dass nicht der Föderalismus an sich das Problem ist, sondern der mangelnde Wettbewerb und die fehlende Abstimmung zwischen den Bundesländern. Seit 2006 ist auch Brandenburg aus dem Vergleichstest PISA-E ausgestiegen, der unabhängig und auf internationaler Ebene einen Vergleich der Bildungssysteme der einzelnen Bundesländer untereinander, aber auch mit Bildungssystemen anderer Staaten ermöglicht. Stattdessen haben die Bundesländer ein Institut mit der Erstellung eines neuen Tests beauftragt, der als VERA3 und VERA8 in Brandenburg z.B. in den Klassenstufen 3 und 8 erfolgt. Ein genauer, nationaler und internationaler Vergleich der Bundesländer auf unabhängiger Basis ist damit nicht mehr gegeben. Genau hier liegt das Problem: Die Bundesländer scheuen den genauen Vergleich untereinander. Zu sehr wird die „Gefahr“ schlechter Ergebnisse gefürchtet, statt die Chance zu begreifen, von den guten Ergebnissen anderer zu lernen und zu profitieren. Genau eine solche Transparenz würde aber dazu führen, dass sich der Föderalismus mit seinen dezentralen Strukturen und einem möglichen Wettbewerb der Systeme als großer Vorteil gestaltet. Stattdessen einigt man sich momentan unter den Bundesländern auf Minimalstandards, die alle mittragen – mit diesem Konsensprinzip bestimmt immer der Langsamste das gemeinsame Tempo. Das Kompetenzgerangel in der föderalen Struktur verhindert auch viele Entwicklungen: In den 16 Bundesländern werden 24 verschiedene Tests zur Beurteilung der Sprachfähigkeit von Kindern zur Einschulung eingesetzt, Grundschulzeiten unterscheiden sich, Kriterien für Notengebung, Unterrichtsinhalte – es geht soweit, dass ein Abiturkandidat in einem Bundesland zu den Besten gehören und in einem anderen nicht einmal zur Prüfung zugelassen werden kann. Da die Bundesländer zu sehr aneinander vorbei arbeiten, werden die Chancen des föderalen Systems nicht genutzt, ein Voneinanderlernen findet kaum statt.

Andererseits wünschen sich heute viele Akteure im Bildungssystem, das schließt sicher auch das Brandenburger Bildungsministerium ein, mehr Bildungskompetenzen beim Bund. Das hat auch viel mit Geld zu tun, das die Länder nicht mehr ausgeben wollen oder können und vom Bund benötigen. Ein Blick in die jüngere Geschichte beweist aber auch hier, dass mehr Verantwortung beim Bund keine Lösung der Probleme des Bildungssystems bedeuten muss. Was wir in den Neuen Bundesländern gar nicht registriert haben: Bereits Mitte der 1960er Jahre wurde im Westen schon einmal die Bildungskatastrophe ausgerufen. Miserable Ergebnisse in einem internationalen Vergleich führten zu vielen Umbrüchen im westdeutschen Bildungssystem. Der Bund sicherte sich über Jahrzehnte deutlich mehr Einfluss – und nach Verbesserungen mündete die Kompetenzverschiebung dennoch in den katastrophalen PISA-Ergebnissen des Jahres 2000. Erst im Jahr 2006 hat sich der Bund wieder klar aus der Bildungspolitik der Länder zurückgezogen. Wer heute also eine Zuständigkeit des Bundes und eine Einheitlichkeit als Lösung für die Probleme in unserem Bildungssystem fordert, der ignoriert realistische und tatsächlichen Anforderungen und Gegebenheiten.